European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2021:T279018.20211119 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 19 November 2021 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 2790/18 | ||||||||
Anmeldenummer: | 12156095.7 | ||||||||
IPC-Klasse: | C08L 3/00 C08L 33/06 C08L 63/00 C08L 67/00 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Polymeres Material und Verfahren zu dessen Herstellung | ||||||||
Name des Anmelders: | BIOTEC Biologische Naturverpackungen GmbH & Co. KG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | NOVAMONT SPA | ||||||||
Kammer: | 3.3.03 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Änderungen - Zwischenverallgemeinerung (nein) Änderungen - Mehrfachauswahl (nein) Änderungen - zulässig (ja) Erfinderische Tätigkeit - (ja) Einspruchsgründe - verspätet eingereichter Einspruchsgrund Einspruchsgründe - Ermessen der Einspruchsabteilung |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die am 26. Oktober 2018 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents 2 497 797 in geänderter Fassung auf Grundlage des Hilfsantrags 1, eingereicht in der mündlichen Verhandlung am 19. September 2018, und einer geänderten Beschreibung. Das Patent wurde auf Basis der europäischen Anmeldung Nr. 12156095.7 erteilt, die als Teilanmeldung der europäischen Anmeldung Nr. 08841590.6 (Stammanmeldung) eingereicht wurde.
II. Ansprüche 1 und 13 des Hilfsantrags 1 lauteten wie folgt:
"1. Verfahren zur Herstellung eines stärkehaltigen polymeren Materials mit einem Gehalt an niedermolekularen Substanzen von weniger als 3 Gew.%, bezogen auf die Gesamtzusammensetzung, wobei die niedermolekularen Substanzen ausgewählt sind aus Wasser, Glycerin, Sorbitol und/oder Mischungen daraus und wobei das Endprodukt einen Wassergehalt kleiner 1,5 Gew.-% bezogen auf die Gesamtzusammensetzung des Gemischs aufweist, gekennzeichnet durch:
(a) Herstellen eines Gemischs enthaltend wenigstens
- 1 bis 75 Gew.% Stärke und/oder Stärkederivat,
- 10 bis 85 Gew.% Polyester und
- 0,05 bis 3 Gew.% eines glycidyl(meth)acrylathaltigen Polymers;
(b)Homogenisieren des Gemischs unter Zuführen von thermischer und/oder mechanischer Energie;
(c) Einstellen des Wassergehalts des Gemischs, so dass das Endprodukt einen Wassergehalt von kleiner 1,5 Gew.%, bezogen auf die Gesamtzusammensetzung des Gemischs, aufweist.
13. Stärkehaltiges thermoplastisch verarbeitbares polymeres Material, dadurch gekennzeichnet, dass
(a) das polymere Material weniger als 3 Gew.%, bezogen auf die Gesamtzusammensetzung, niedermolekulare Substanzen und kein Glycerin und/oder Sorbitol enthält, wobei niedermolekulare Substanzen Substanzen mit einem Molekulargewicht von kleiner 500 g/mol sind,
(b) der Stärkeanteil des polymeren Materials mindestens 34 Gew.% beträgt,
(c) eine aus dem polymeren Material hergestellte Folie eine Reißdehnung gemäß DIN 53455 von mindestens 200 % und/oder einen Dart-Drop-Wert gemäß ASTM D-1709 von mindestens 5 g/mym aufweist,
(d) das polymere Material Polyester und ein epoxidgruppenhaltiges Copolymer mit einem Molekulargewicht (Mw) von 1.000 bis 25.000 enthält."
III. Im Einspruchsverfahren wurden inter alia folgende Dokumente herangezogen:
D5: WO 2005/017034 A1
D7: US 6,472,497 B2
D17: DE 42 37 535 A1
IV. Die Gründe der angefochtenen Entscheidung, die für die vorliegende Beschwerde von Relevanz sind, können folgendermaßen zusammengefasst werden:
- Anspruch 13 des Patents wie erteilt verstoße gegen die Erfordernisse der Artikel 76(1) und 123 (2) EPÜ.
- Der während der mündlichen Verhandlung eingereichte Hilfsantrag 1 erfülle die Erfordernisse von Artikeln 76(1) und 123(2 ) EPÜ. Insbesondere sei der Gegenstand der Ansprüche 1 und 13 von der Stammanmeldung und von der Teilanmeldung ableitbar.
- D5 sei der nächstliegende Stand der Technik für die Ansprüche 1 und 13 des Hilfsantrags 1.
- Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 unterscheide sich von D5 dadurch, dass der Wassergehalt des Gemischs eingestellt werde, so dass das Endprodukt einen Wassergehalt von kleiner als 1,5 Gew.% aufweise. Die objektive technische Aufgabe sei die Bereitstellung eines Verfahrens zur Herstellung eines weichmacherfreien stärkehaltigen polymeren Materials, das zu Folien mit verbesserten mechanischen Eigenschaften und gutem Aussehen führen würde. Es gebe keinen Grund, den Wassergehalt der Zusammensetzungen in D5 unter 1,5 Gew.% einzustellen. Außerdem habe der Fachmann keinen Anlass, aus D17, glycidyl(meth)acrylathaltige Polymere in Verbindung mit einem Wassergehalt des Gemischs von kleiner 1,5 Gew.% zu verwenden. Aus diesen Gründen sei der Gegenstand des Anspruchs 1 im Lichte der D5 alleine oder in Kombination mit D17 nicht naheliegend.
- Der Gegenstand des Anspruchs 13 des Hilfsantrags 1 unterscheide sich von D5 dadurch, dass der Gehalt an niedermolekularen Substanzen des Materials weniger als 3 Gew. % betrage, und dass ein epoxidgruppenhaltiges Copolymer mit einem Molekulargewicht (Mw) von 1.000 bis 25.000 verwendet worden sei. Die objektive technische Aufgabe sei die Bereitstellung eines weiteren weichmacherfreien stärkehaltigen polymeren Materials, das zu Folien mit guten mechanischen Eigenschaften führe. Es sei in D5 oder D17 nicht erkannt worden, dass Folien mit guten mechanischen Eigenschaften herstellbar seien, wenn das thermoplastische Material weniger als 3 Gew.% niedermolekulare Substanzen enthalte. Somit sei der Gegenstand des Anspruchs 1 erfinderisch gegenüber D5.
- Der während der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Einspruchsgrund gemäß Artikel l00(b) EPÜ sei prima facie nicht begründet und deshalb nicht zum Verfahren zugelassen.
V. Gegen diese Entscheidung legte die Einsprechende (Beschwerdeführerin) Beschwerde ein. Mit der Beschwerdebegründung beantragte sie die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Folgende Anlage wurde mit der Beschwerdebegründung eingereicht:
D23: experimenteller Bericht (1. März 2019)
VI. Mit der Beschwerdeerwiderung beantragte die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) die Zurückweisung der Beschwerde, d.h. die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage des in der angefochtenen Entscheidung abgehandelten Hilfsantrags 1. Hilfsweise beantragte sie, das Patent auf Basis der Hilfsanträge 2 bis 24 (eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung) aufrechtzuerhalten. Der Wortlaut der Hilfsanträge 2 bis 24 ist für die vorliegende Entscheidung nicht relevant.
Folgende Dokumente wurden mit der Beschwerdeerwiderung eingereicht:
D24: EP 1 661 975 Al
D25: EP 1 932 862 Al
D26: EP 1 193 310 Al
D27: J. March, Advanced Organic Chemistry, 4. Aufl., 1992, S. 376/377
VII. Mit Schreiben vom 18. Oktober 2021 reichte die Beschwerdegegnerin die Hilfsanträge 2a, 6a, 8a und 10a-13a ein, deren Wortlaut für die vorliegende Entscheidung nicht relevant ist.
VIII. Eine mündliche Verhandlung fand am 19. November 2021 statt.
IX. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:
Hilfsantrag 1
a) Zulässigkeit der Änderungen (Artikel 123(2) und 76(1) EPÜ)
i) Anspruch 1
Der Gegenstand des Anspruchs 1 basiere auf einer unzulässigen Zwischenverallgemeinerung sowie auf einer unzulässigen Listenauswahl.
Mit Bezug auf die Zwischenverallgemeinerung seien das Merkmal "niedermolekulare Substanzen", ihre Menge sowie ihre Art in der Stammanmeldung und in der Teilanmeldung wie eingereicht nur im Kontext mit Eigenschaften des polymeren Materials offenbart, gemäß denen das polymere Material:
thermoplastisch sei;
einen Stärkeanteil von mindestens 34 Gew.% aufweise; und
sich zur Herstellung einer Folie mit einer Reißdehnung gemäß DIN 53455 von mindestens 200% und/oder einem Dart-Drop-Wert gemäß ASTM D-1709 von mindestens 5 g/mym eigne.
Da der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 nicht durch diese Merkmale beschränkt sei, liege eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung vor.
Mit Bezug auf die Mehrfachauswahl würden folgende Merkmale jeweils eine Listenauswahl darstellen:
Die Einschränkung "weniger als 3 Gew.-%" sei aus den folgenden Optionen ausgewählt: weniger als 10 Gew.%, weniger als 7 Gew.-%, weniger als 5 Gew.-%, und weniger als 3 Gew.-%.
Die niedermolekularen Substanzen (Wasser, Glycerin, Sorbitol und/oder Mischungen davon) seien aus verschiedenen Ausführungsformen ausgewählt.
Was das Endprodukt betreffe, sei dessen Wassergehalt von weniger als 12 Gew.-% auf weniger als 1,5 Gew.-% reduziert worden. Dies sei die zweitbevorzugte Option unter sieben Alternativen.
Auch der Gehalt des epoxidgruppenhaltigen Polymers (0,05 bis 3 Gew.%) sei auf die zweitbevorzugte Option beschränkt worden, die aus vier verschiedenen Bereichen ausgewählt worden sei.
Schließlich sei das epoxygruppenhaltige Polymer als ein glycidyl(meth)acrylat-haltiges Polymer definiert, was die Auswahl einer Ausführungsform unter zahlreichen Ausführungsformen der ursprünglichen Anmeldung darstelle.
Außerdem enthielten die Stammanmeldung und die Teilanmeldung wie eingereicht keinen Hinweis ("pointer") auf die neue Merkmalskombination des vorliegenden Anspruchs 1. Selbst die Beispiele der zwei Anmeldungen können nicht als Hinweis für die beanspruchte Merkmalskombination gelten. Insbesondere sei die Bedingung in T 1621/16 vom 14. Oktober 2019, die vorsehe, dass ein geänderter Anspruch unter die Beispiele falle ("if an amended claim falls within this/these example(s)"; Punkt 1.7.3, Bedingung ii), 3. Satz) und nicht ungekehrt, nicht erfüllt, z.B. sei ein Endprodukt mit einem Wassergehalt von 1,5 Gew.-% nicht von den Beispielen gestützt.
Somit verstoße Anspruch 1 gegen Artikel 123(2) und 76(1) EPÜ.
ii) Anspruch 13
Die Stammanmeldung und die Teilanmeldung wie eingereicht enthielten keinen Hinweis auf die neue Merkmalskombination, die in Anspruch 13 des Hilfsantrags 1 zusammengesetzt worden sei. Insbesondere würden die folgenden Merkmale jeweils eine Listenauswahl darstellen:
Die Einschränkung "weniger als 3 Gew.-%" sei aus den folgenden Optionen ausgewählt: weniger als 10 Gew.%, weniger als 7 Gew.-%, weniger als 5 Gew.-%, und weniger als 3 Gew.-%.
Die niedermolekularen Substanzen (Wasser, Glycerin, Sorbitol und/oder Mischungen davon) seien aus zwei alternativen Ausführungsformen ausgewählt.
Das Polymermaterial enthalte außerdem einen Polyester. Dies stelle eine weitere Auswahl dar.
Schließlich sei eine spezifizierte Ausführungsform des epoxy-gruppenhaltigen Polymers aus der Liste der epoxygruppenhaltigen Polymere ausgewählt und der breiteste Bereich seines Molekulargewichts angegeben worden. Jedenfalls sei das epoxidgruppenhaltige Polymer im Verfahren des Streitpatents verbraucht und im Endprodukt nicht mehr als solches vorhanden.
Außerdem enthielten die Stammanmeldung und die Teilanmeldung wie eingereicht keinen Hinweis auf die neue Merkmalskombination, die in Anspruch 13 des Hilfsantrags 1 zusammengesetzt worden sei.
Somit verstoße Anspruch 13 gegen Artikel 123(2) und 76(1) EPÜ.
b) Erfinderische Tätigkeit
i) Anspruch 1
D5 sei der nächstliegende Stand der Technik für Anspruch 1 des Hilfsantrags 1. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 unterscheide sich von D5 dadurch, dass
(1) im Gemisch 0,05 bis 3 Gew.% glycidyl(meth)acrylathaltiges Polymer (anstatt Maleinsäureanhydrid) enthalten sei, und
(2) das Endprodukt einen Wassergehalt von kleiner 1,5 Gew. %, bezogen auf die Gesamtzusammensetzung des Gemischs, aufweise.
Die Unterscheidungsmerkmale (1) und (2) führten zu keinem technischen Effekt. Insbesondere sei es nicht gezeigt, dass ein Problem über die gesamte Breite des Anspruchsumfangs gelöst sei. Außerdem, da bei den zwei Unterscheidungsmerkmalen (1) und (2) kein synergistischer Effekt zu beobachten sei, sollten zwei Teilprobleme formuliert werden. Besagte Teilprobleme hätten jeweils als Ziel, ein alternatives Verfahren zur Herstellung eines stärkehaltigen Polymermaterials bereitzustellen.
Es sei für den Fachmann aus D5 naheliegend, ein glycidyl(meth)acrylathaltiges Polymer anstelle von Maleinsäureanhydrid einzusetzen. Ferner würde D5 in Kombination mit D7 dem Fachmann das Einstellen des Wassergehalts auf kleiner 1,5 Gew. % nahelegen.
Selbst wenn davon ausgegangen würde, dass der reduzierte Wassergehalt zu einer Verbesserung der mechanischen Eigenschaften führe, wäre es für den Fachmann naheliegend, den Wassergehalt zu reduzieren, um die Hydrolyse der Glycidylgruppen zu verringen (und damit die mechanischen Eigenschaften des Endprodukts zu verbessern). Schließlich seien die Epoxid-Gruppen der D5 ebenso hydrolyseempfindlich wie die Ester-Gruppen der D7.
Aus diesen Gründen sei der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht erfinderisch gegenüber D5 in Kombination mit D7.
ii) Anspruch 13
D5 sei der nächstliegende Stand der Technik für Anspruch 13 des Hilfsantrags 1. Der Gegenstand des Anspruchs 13 unterscheide sich von D5 dadurch, dass
die Zusammensetzung ein epoxidgruppenhaltiges Copolymer mit einem Molekulargewicht (Mw) von 1.000 bis 25.000 enthalte.
Es sei für den Fachmann aus D5 naheliegend, ein anspruchsgemäßes glycidyl(meth)acrylathaltiges Polymer anstelle von Maleinsäureanhydrid einzusetzen. Somit sei der Gegenstand des Anspruchs 13 nicht erfinderisch gegenüber D5.
c) Zulässigkeit des spät vorgebrachten Einspruchsgrunds gemäß Artikel l00(b) EPÜ
i) Einspruchsphase
Die Einspruchsabteilung habe ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt und hätte den neuen Einspruchsgrund in das Verfahren einbeziehen müssen. Insbesondere habe die Einspruchsabteilung einen technischen Effekt für die erfinderische Tätigkeit des Anspruchs 13 gewürdigt, obwohl dieser Effekt auf Vergleichsbeispielen beruhe, die weniger als 34 Gew.-% Stärke enthalten und somit nicht unter Anspruch 13 fallen. Dies stünde im Widerspruch zu der Behauptung, dass der Einwand nach Artikel l00(b) EPÜ nicht prima facie relevant sei, weil der Stärkegehalt in den Vergleichsbeispielen unter 34 Gew.-% liege.
ii) Beschwerdephase
Das Polymermaterial gemäß Anspruch 13 des Hilfsantrags 1 habe bestimmte mechanische Eigenschaften, wenn es zu einer Folie verarbeitet wird, nämlich eine Reißdehnung von mindestens 200 % und/oder einen Dart-Drop-Wert von mindestens 5 g/mym. Es sei aber z.B. aus D23 klar, dass der Fachmann nicht in der Lage sei, die genannten mechanischen Eigenschaften über dem gesamten beanspruchten Bereich zu erreichen. Der neue vorgebrachte Einspruchsgrund gemäß Artikel l00(b) EPÜ sei deshalb ins Beschwerdeverfahren zuzulassen.
X. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden:
Hilfsantrag 1
a) Zulässigkeit der Änderungen (Artikel 123(2) und 76(1) EPÜ)
i) Anspruch 1
Der Gegenstand des Anspruchs 1 finde eine Basis in den Ansprüchen 1, 4, 15 und 25 und auf Seite 9, Absätze 2 und 3 der Stammanmeldung (und dementsprechend der Teilanmeldung). Insbesondere erkenne der Fachmann in der Stammanmeldung, dass eine klare Verbindung zwischen dem polymeren Material und dem Verfahren bestünde. Somit würden sich die 2. und 3. Absätze auf Seite 9 der Anmeldung nicht nur auf das Material, sondern auch auf das Verfahren beziehen.
Außerdem stellten die in Anspruch 1 eingeführten Merkmale keine Mehrfachauswahl, sondern bevorzugte Ausführungsformen der Stammanmeldung und der Teilanmeldung dar. Einen Hinweis ("pointer") darauf, dass die in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 kombinierten Merkmale bereits in der ursprünglich eingereichten Stammanmeldung gemeinsam offenbart seien, stelle die Tatsache dar, dass alle Ausführungsbeispiele unter die beanspruchte Merkmalskombination fallen. Diese Tatsache würde der Bedingung in T 1621/16 entsprechen.
Somit erfülle Anspruch 1 die Erfordernisse von Artikeln 123(2) und 76(1) EPÜ.
ii) Anspruch 13
Die Merkmalskombination des Anspruchs 13 basiere auf die Ansprüchen 32, 33, 35 und 38 in Kombination mit Seite 9, Absatz 3 der Stammanmeldung (und dementsprechend der Teilanmeldung). Bei dieser Kombination handele es sich nicht um eine Mehrfachauswahl von Merkmalen aus verschiedenen Listen, sondern um eine bevorzugte Ausführungsform der Erfindung. Einen Hinweis darauf, dass die in Anspruch 13 kombinierten Merkmale bereits in der Stammanmeldung und in der Teilanmeldung wie eingereicht bevorzugt seien, stelle die Tatsache dar, dass die Ausführungsbeispiele unter die beanspruchte Merkmalskombination fallen.
Somit erfülle Anspruch 13 die Erfordernisse von Artikeln 123(2) und 76(1) EPÜ.
b) Erfinderische Tätigkeit
i) Anspruch 1
D5 sei der nächstliegende Stand der Technik für Anspruch 1 des Hilfsantrags 1. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 unterscheide sich von D5 dadurch, dass
(1) im Gemisch 0,05 bis 3 Gew.% glycidyl(meth)acrylathaltiges Polymer (anstatt Maleinsäureanhydrid) enthalten sei, und
(2) das Endprodukt einen Wassergehalt von kleiner 1,5 Gew. %, bezogen auf die Gesamtzusammensetzung des Gemischs, aufweise.
Die Unterscheidungsmerkmale (1) und (2) führten zu einer Verbesserung der mechanischen Eigenschaften des polymeren Materials. In D5 oder D7 werde weder gelehrt noch vorgeschlagen, die Wassermenge zu reduzieren, um die mechanischen Eigenschaften von Polymermaterialien zu verbessern. Außerdem hätte der Fachmann ausgehend von der D5 nicht auf ein glycidyl(meth)acrylathaltiqes Polymer zurückgegriffen.
Somit sei der Gegenstand des Anspruchs 1 erfinderisch gegenüber D5 in Kombination mit D7.
ii) Anspruch 13
D5 sei der nächstliegende Stand der Technik für Anspruch 13 des Hilfsantrags 1. Der Gegenstand des Anspruchs 13 unterscheide sich von D5 dadurch, dass
(1) das Material weniger als 3 Gew. % niedermolekulare Substanzen, bezogen auf die Gesamtzusammensetzung, aufweise;
(2) eine aus dem polymeren Material hergestellte Folie eine Reißdehnung gemäß DIN 53455 von mindestens 200% und/oder einen Dart-Drop-Wert gemäß ASTM D-1709 von mindestens 5 g/mym aufweise; und
(3) die Zusammensetzung ein epoxidgruppenhaltiges Copolymer mit einem Molekulargewicht (Mw) von 1.000 bis 25.000 enthalte.
Weder der Anteil an niedermolekularen Substanzen im polymeren Material noch die Reißdehnung und der Dart-Drop-Wert des polymeren Materials seien in D5 beschrieben oder nahegelegt. In den Beispielen der D5 werde kein epoxidgruppenhaltiges Polymer verwendet, sondern es werde Maleinsäureanhydrid als Phasenvermittler eingesetzt. Anspruch 13 des Hilfsantrags 1 beruhe deshalb auch auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber D5.
c) Zulässigkeit des spät vorgebrachten Einspruchsgrunds gemäß Artikel l00(b) EPÜ
i) Einspruchsphase
Die Einspruchsabteilung habe ihren Ermessensfreiraum unter Berücksichtigung der richtigen Kriterien korrekt ausgeübt. Insbesondere habe die Einspruchsabteilung zu Recht den neuen Einspruchsgrund als verspätet und prima facie nicht begründet bewertet.
ii) Beschwerdephase
Sofern die Beschwerdeführerin mit der Beschwerdebegründung den Einspruchsgrund nach Artikel 100(b) EPÜ als neuen Grund in der Beschwerde einführen möchte, stimme die Beschwerdegegnerin der Einführung nicht zu.
XI. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
XII. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, d.h. die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage des in der angefochtenen Entscheidung für gewährbar erachteten Hilfsantrags 1. Hilfsweise beantragte sie, das Streitpatent auf der Grundlage der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 2 bis 24 oder auf der Grundlage der Hilfsanträge 2a, 6a, 8a, 10a, 11a, 12a oder 13a, eingereicht mit Schreiben vom 18. Oktober 2021, aufrechtzuerhalten.
Entscheidungsgründe
Hilfsantrag 1 (Patent in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung)
1. Zulässigkeit der Änderungen (Artikel 123(2) und 76(1)
EPÜ)
Es wird bemerkt, dass die Beschreibung der Teilanmeldung wie ursprünglich eingereicht sowohl die Beschreibung der Stammanmeldung wie eingereicht als auch deren Ansprüche (als Ausführungsformen umformuliert) enthält. Daher werden die Erfordernisse des Artikels 76 (1) EPÜ im Folgenden mit Bezug auf die Stammanmeldung analysiert, und das Ergebnis der Analyse gilt in genau derselben Weise für die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ. Dieser Ansatz entspricht auch den Ausführungen der Parteien, die dieselben Argumente für Artikel 76(1) EPÜ und Artikel 123(2) EPÜ vorgebracht haben.
1.1 Anspruch 1
Es wird nicht bestritten, dass die Merkmale des Anspruchs 1 individuell in der Stammanmeldung offenbart sind. Die Beschwerdeführerin ist jedoch der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung enthalte sowie auf unzulässigen mehrfachen Listenauswahlen basiere und daher gegen Artikel 76(1) EPÜ (und dementsprechend Artikel 123(2)EPÜ) verstoße.
1.1.1 Zwischenverallgemeinerung
Die Kammer vertritt die Ansicht, dass der geänderte Anspruch 1 eine Basis in den Ansprüchen 1, 4, 15 und 25, sowie Seite 9, 2. und 3. Absätzen der Stammanmeldung findet.
Entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin ist die Kammer der Auffassung, dass die 2. und 3. Absätze der Seite 9 der ursprünglichen Anmeldung nicht untrennbar mit dem davorstehenden Absatz gelesen werden müssen. Insbesondere gibt es in den 2. und 3. Absätzen der Seite 9 kein sprachliches Indiz dafür, dass diese Absätze sich nur auf den davorstehenden Absatz beziehen. Selbst die Tatsache, dass der Hinweis auf niedermolekulare Substanzen erst mit dem Absatz zwischen den Seiten 8 und 9 vorkommt, spielt hier keine Rolle, weil die 2. und 3. Absätze der Seite 9 auch ohne den davorstehenden Absatz verstanden werden können. Vielmehr handelt es sich in den besagten Absätzen um freistehende allgemeingültige Definitionen, die für die gesamte Erfindung relevant sind.
Außerdem basiert die Darstellung der Beschwerdeführerin auf einer unzulässigen Aufteilung der Erfindung im Streitpatent in zwei voneinander losgelöste Gegenstände - das polymere Material und das Verfahren. Selbst die Tatsache, dass die Ansprüche genau die Ausführungsformen in der Beschreibung widerspiegeln, kann nicht alleine als Hinweis interpretiert werden, dass das Verfahren und das Material komplett getrennt gelesen werden müssen. Vielmehr muss die ganze Beschreibung in Betracht gezogen werden.
Im vorliegenden Fall betrifft die Stammanmeldung ein stärkehaltiges polymeres Material und ein Verfahren zu dessen Herstellung (siehe Seite 1, erster Absatz). Dies wird in den Beispielen der ursprünglichen Anmeldung bestätigt, da die erfindungsgemäßen Verfahren zu erfindungsgemäßen Materialien führen.
Darüber hinaus zielt die Stammanmeldung auf die Herstellung von weichmacherfreien Materialien (Seiten 1 und 2), was durch das Verfahren gemäß Anspruch 1 und das Produkt gemäß Anspruch 32 erreicht wird (Seite 2, letzter Absatz bis Seite 3, Zeile 2; Seite 8, dritter voller Absatz) und die 2. und 3. Absätze der Seite 9 liefern die Definition von "weichmacherfrei", die sowohl für das beanspruchte Verfahren als auch für das beanspruchte Produkt gültig ist.
Die Kammer ist deshalb der Auffassung, dass die Produktmerkmale auf Seite 9 (siehe Absätze 2 und 3) der Stammanmeldung mit den Merkmalen der ursprünglichen Verfahrensansprüche (unabhängig von den Produktmerkmalen im Absatz zwischen den Seiten 8 und 9) kombiniert werden können ohne dabei Artikel 76(1) EPÜ (oder dementsprechend Artikel 123(2) EPÜ) zu verletzen.
1.1.2 Mehrfachauswahl
Das Verfahren von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 basiert auf dem Verfahren von Anspruch 1 der Stammanmeldung, wobei
das epoxidgruppenhaltige Polymer auf glycidyl(meth)acrylathaltiges Polymer eingeschränkt wird,
dessen Menge auf 0.05 bis 3 Gew.%,
der Wassergehalt auf 1,5 Gew.% und
die Menge an niedermolekularen Substanzen auf 3 Gew.% eingeschränkt werden und
die Natur der niedermolekularen Substanzen (Wasser, Glycerin und/oder Sorbitol) spezifiziert wird.
Was die ersten drei Änderungen betrifft, kann nicht die Rede von einer mehrfachen Auswahl von Listen von gleichwertigen Alternativen sein, weil die erste Einschränkung die einzige beanspruchte Option für das epoxidgruppenhaltige Polymer darstellt (Anspruch 15) und die weiteren zwei Änderungen nur der Einschränkung von Anspruchsmerkmalen auf bevorzugte und beanspruchte Optionen in Listen von konvergierenden Alternativen (Ansprüche 4 und 25) entsprechen. In dieser Hinsicht ist die Kammer der Meinung, dass die Auswahl aus Listen von konvergierenden Alternativen nicht in gleicher Weise behandelt werden sollte wie die Auswahl aus Listen von getrennten und unabhängigen Alternativen, insbesondere wenn dadurch, wie im vorliegenden Fall, eine Einschränkung auf den so-genannten "Kern der Erfindung" stattfindet.
Was die letzten Änderungen betrifft, wurde im Absatz 1.1.1 schon betont, dass die Stammanmeldung auf die Herstellung von weichmacherfreien Materialien zielt. Die Hinzufügung der Merkmale (Gehalt und Natur der niedermolekularen Substanzen) ist deshalb die Einschränkung auf eine bevorzugte Ausführungsform, wobei bei der Definition von "weichmacherfrei" eine der Optionen auf Seite 9 spezifiziert wird, was nicht mehr als eine einzige Auswahl innerhalb der Offenbarung der Stammanmeldung darstellen kann.
Die Kombination von Merkmalen des Anspruchs 1 kann deshalb nicht als eine willkürliche ausgewählte Kombination aus einer Vielzahl verschiedener Möglichkeiten in der ursprünglichen Offenbarung ("singling out") angesehen werden, sondern stellt die Einschränkung an den so-genannten "Kern der Erfindung" dar.
Das wird auch durch die Tatsache bestätigt, dass alle Ausführungsbeispiele unter die beanspruchte Merkmalskombination fallen.
Die Änderungen liefern deshalb dem Fachmann keine neue technische Information und sind unmittelbar und eindeutig aus der Stammanmeldung ableitbar, sodass die Bedingungen von Artikel 76(1) (und dementsprechend von Artikel 123(2) EPÜ) erfüllt sind.
Was die Bestätigung durch die Beispiele betrifft, wurde von der Beschwerdeführerin argumentiert, dass die Ansicht der Kammer im Widerspruch zu der Entscheidung T 1621/16, insbesondere deren Absatz 1.7.3, Bedingung ii) stehe. Dies ist jedoch für die Kammer nicht der Fall.
In T 1621/16 wird zuerst ausgeführt, dass, wenn Rückzugspositionen für ein Merkmal als Liste konvergierender Alternativen beschrieben werden, die Auswahl eines mehr oder weniger bevorzugten Elements aus dieser Liste nicht als eine willkürliche Auswahl betrachtet werden muss, da diese Auswahl nicht zu einem Herausgreifen einer Erfindung aus einer Mehrzahl unterschiedlicher Optionen führt, sondern einfach zu einem Gegenstand, der auf einer mehr oder weniger beschränkten Version dieses Merkmals basiert (Orientierungssatz, Punkt 1); Punkt 1.7.2). Deshalb sollten Auswahlvorgänge aus Listen konvergierender Alternativen nicht wie Auswahlvorgänge aus Listen nicht konvergierender Alternativen behandelt werden (Punkt 1.7.1). Diese Stellung ist in Übereinstimmung mit der obenstehenden Analyse, in der die Einschränkung auf bevorzugte Mengen nicht als eine willkürliche Auswahl aus einer Liste von unabhängigen Alternativen betrachtet wurde.
In T 1621/16 werden ferner zwei Bedingungen aufgelistet, die mindestens erfüllt werden sollten, um zu prüfen, ob eine Mehrfachauswahl aus Listen konvergierender Alternativen den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ entspricht und zwar
i) die Kombination sollte nicht mit einem nicht offenbarten technischen Beitrag verbunden sein, und
ii) die Kombination sollte durch einen Hinweis (pointer) in der Anmeldung in der eingereichten Fassung gestützt sein (Orientierungssatz, Punkt 2); Punkt 1.7.3).
Was die erste Bedingung betrifft, ist die Kammer überzeugt, dass der Aspekt des technischen Beitrages keine Relevanz für die Analyse der Erfüllung der Erfordernisse des Artikel 123(2) EPÜ hat (außer für den Zweck vorgesehen in G 1/93, Abl. EPA 1994, 541). In dieser Hinsicht ist die Kammer mit der Begründung in T 1937/17 vom 6. Juli 2021 (Punkte 4.3 und 4.3.1) einig, wo erläutert wird, warum diese Bedingung nicht relevant ist. Da aber diese Bedingung im vorliegenden Fall von den Parteien nicht weiter analysiert wurde, erübrigt sich eine detaillierte Analyse.
Was die zweite Bedingung betrifft, hat die Kammer zuvor erklärt, dass sie im vorliegenden Fall aus den oben erwähnten Gründen erfüllt ist, insbesondere, weil alle Ausführungsbeispiele unter die beanspruchte Merkmalskombination fallen.
In dieser Hinsicht hat jedoch die Beschwerdeführerin betont, dass die Bedingung ii) gemäß T 1621/16 erfüllt sein könne, wenn ein geänderter Anspruch unter die Beispiele falle ("if an amended claim falls within this/these example(s)", Punkt 1.7.3, Bedingung ii), 3. Satz) und nicht ungekehrt, was hier nicht der Fall wäre.
Die Kammer kann den 3. Satz im Absatz 1.7.3, Bedingung ii), unabhängig vom präzisen Wortlaut, nur so verstehen, dass die Beispiele einen Anhaltspunkt liefern können, wenn sie unter den Gegenstand des geänderten Anspruchs fallen (und nicht ungekehrt). Dass die Bedingung in T 1621/16 so zu verstehen ist, wird auch im Absatz 1.8.7 von T 1621/16 bestätigt, worin die Bedingung ii) im Absatz 1.7.2 als erfüllt betrachtet wird, weil einige aufgelisteten Beispiele unter den Anspruchsumfang fallen, sodass sie einen Anhaltspunkt für die spezifische Kombination liefern.
Ein Widerspruch mit der Entscheidung T 1621/16, die die obige Begründung entkräften kann, ist deshalb nicht vorhanden.
Aus diesen Gründen kommt die Kammer zur Schlussfolgerung, dass durch die Änderungen der Fachmann keine neuen technischen Informationen erhält, sodass die Bedingungen von Artikel 76(1) EPÜ (und dementsprechend Artikel 123(2) EPÜ), dem "Goldstandard" (G 2/10, Abl. 2012, 376) folgend, erfüllt sind.
1.2 Anspruch 13
Die Beschwerdeführerin ist ebenfalls der Meinung, dass die Änderungen im Anspruch 13 gemäß dem Hilfsantrag 1 auf einer unzulässigen, willkürlichen Auswahl aus einer Vielzahl an Listen basiere, sodass die Erfordernisse von Artikel 76(1) (und dementsprechend von Artikel 123(2) EPÜ) nicht erfüllt seien.
Das Produkt vom Anspruch 13 des Hilfsantrags 1 basiert auf dem Produkt vom Anspruch 32 der Stammanmeldung, wobei
die Menge an niedermolekularen Substanzen auf 3 Gew.% eingeschränkt wird,
die niedermolekularen Substanzen als Substanzen mit einem Molekulargewicht von kleiner 500 g/mol definiert sind, und
das Polymermaterial Polyester und
ein epoxidgruppenhaltiges Copolymer mit einem Molekulargewicht (Mw) von 1.000 bis 25.000, aber
kein Glycerin oder Sorbitol enthält.
Was die ersten vier Änderungen betrifft, kann nicht die Rede von einer mehrfachen Auswahl von Listen von gleichwertigen Alternativen sein, da
die ersten zwei Änderungen nur der Einschränkung von Anspruchsmerkmalen auf bevorzugte und beanspruchte Optionen in Listen von konvergierenden Alternativen (Ansprüche 33 und 35) entsprechen,
Polyester den einzigen in den abhängigen Ansprüchen erwähnten weiteren Bestandteil darstellt (Anspruch 38) und
ein epoxidgruppenhaltiges Copolymer als wesentliches Merkmal der Erfindung in der Beschreibung offenbart wird (siehe Seite 3, 2. Absatz und Seite 6, 1. Absatz), bevorzugt mit einem Molekulargewicht (Mw) von 1.000 bis 25.000 (Seite 6, 1. Absatz).
Dadurch wird, aus den selben Gründen wie für Anspruch 1, ein Fachmann keine neue technische Information erhalten.
Was die Abwesenheit von Glycerin und/oder Sorbitol betrifft, ist sie auf Seite 9, 3. Absatz als eine der bevorzugten Bedingungen von einem weichmacherfreien Material definiert. Auch hier wird bei der Definition von "weichmacherfrei" eine der Optionen auf Seite 9 spezifiziert, was nicht mehr als eine einzige Auswahl innerhalb der Offenbarung der Stammanmeldung (und deshalb auch keine neue technische Information) darstellen kann.
Schließlich enthält das in allen Beispielen beschriebene erfindungsgemäße Material kein Glycerin und/oder Sorbitol und enthält gleichzeitig einen Polyester sowie ein epoxidgruppenhaltiges Copolymer mit einem Molekulargewicht (Mw) von 1.000 bis 25.000.
Somit werden durch die Änderungen nicht willkürliche Merkmale aus unterschiedlichen Ausführungsformen kombiniert, sondern das Material wird durch die Präzisierung von bevorzugten Mengen und Komponenten auf den so-genannten "Kern der Erfindung" eingeschränkt.
Es handelt sich deshalb bei dem Gegenstand des Anspruchs 13 des Hilfsantrags 1 um eine bevorzugte Ausgestaltung der ursprünglich eingereichten Erfindung, die schon dem Fachmann in der Stammanmeldung zur Verfügung stand.
1.3 Die Argumente der Beschwerdeführerin geben der Kammer deshalb keinen Anlass, von der Entscheidung der Einspruchsabteilung in Bezug auf Artikel 76(1) EPÜ (und dementsprechend Artikel 123(2) EPÜ) abzuweichen.
2. Erfinderische Tätigkeit
2.1 Anspruch 1
2.1.1 Nächstliegender Stand der Technik
D5 betrifft biologisch abbaubare Polymermischungen und ein Verfahren zu deren Herstellung (siehe D5, Ansprüche 1 und 11). D5 wurde in der Entscheidung der Einspruchsabteilung als nächstliegender Stand der Technik angesehen. Sowohl die Beschwerdeführerin als auch die Beschwerdegegnerin sind ebenfalls von D5 und insbesondere von den Beispielen der D5 (siehe Tabelle 1, dritte Spalte mit Rückbezug auf Seite 17, Zeile 20 bis Seite 18, Zeile 32) als nächstliegendem Stand der Technik ausgegangen. Die Kammer hat keinen Grund, von dieser Auswahl abzuweichen.
2.1.2 Unterscheidungsmerkmale
In dem Beispiel in der dritten Spalte der Tabelle 1 von D5 wird unter anderen ein Polymermaterial enthaltend 59,1 Gew. % Polyester, 39,4 Gew. % native Kartoffelstärke und 1,5 Gew. % Maleinsäureanhydrid vorbereitet. Das Material wird hergestellt, indem zunächst der Polyester aufgeschmolzen und zehn Minuten geknetet wird. Anschließend werden Maleinsäureanhydrid und native Stärke hinzugegeben, und es wird bei 160°C geknetet (siehe D5, Seite 18, Zeile 21-29). Die Parteien stimmen darin überein, dass das Verfahren des Anspruchs 1 sich von diesem Beispiel der D5 dadurch unterscheidet, dass
(1) im Gemisch 0,05 bis 3 Gew.% glycidyl(meth)acrylathaltiges Polymer (anstatt Maleinsäureanhydrid) enthalten ist, und
(2) das Endprodukt einen Wassergehalt von kleiner 1,5 Gew. %, bezogen auf die Gesamtzusammensetzung des Gemischs, aufweist.
Die Kammer sieht ebenfalls keinen Anlass, von dieser Sicht abzuweichen.
2.1.3 Die gegenüber D5 gelöste Aufgabe
Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, dass die genannten Unterscheidungsmerkmale (1) und (2) zu keinem technischen Effekt führen.
Die Kammer kann sich dieser Ansicht aus folgenden Gründen nicht anschließen.
Wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen, macht die D5 keine spezifischen Angaben zu den mechanischen Eigenschaften des Polymerblends in Anwesenheit von Maleinsäureanhydrid. Dagegen wurden in der internationalen Phase der Stammanmeldung Vergleichsversuche bezüglich Folien mit einem glycidyl(meth)acrylathaltigen Polymer und einer Restfeuchtigkeit von 1,2% und 1,8% durchgeführt (siehe Beschwerdeerwiderung, Seiten 47-48). Die Ergebnisse zeigen, dass Folien, die 1,2% Wasser enthalten, verbesserte Eigenschaften im Vergleich zu Folien mit höherem Wassergehalt aufweisen. Dies wird mit Bezug auf Vergleichsbeispiele gezeigt, die näher zum beanspruchten Gegenstand als die Beispiele von D5 sind. Somit ist es für die Kammer zumindest glaubhaft, dass die genannten Unterscheidungsmerkmale (1) und (2) (insbesondere die Reduzierung der Restfeuchtigkeit) zu verbesserten mechanischen Eigenschaften führen.
Die Beschwerdeführerin hat ferner argumentiert, dass ein solcher Effekt nicht über den gesamten Schutzumfang des Anspruchs 1 erreicht sei. Die Kammer ist aber der Auffassung, dass, ohne experimentellen Nachweis des Gegenteils, die Ausführungen der Beschwerdeführerin rein spekulativer Natur sind und deshalb nicht berücksichtigt werden können.
Somit ist die Kammer der Auffassung, dass die objektive technische Aufgabe darin besteht, ein polymeres Material mit verbesserten mechanischen Eigenschaften bereitzustellen.
2.1.4 Naheliegen der Lösung
Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, dass es für den Fachmann aus D5 naheliegend gewesen wäre, das Wassergehalt zu reduzieren, um die mechanischen Eigenschaften des Polymermaterials zu verbessern.
Diese Sichtweise ist aus folgenden Gründen nicht überzeugend:
Erstens wird in D5 oder D7 weder gelehrt noch vorgeschlagen, die Wassermenge zu verringern, um die mechanischen Eigenschaften von polymeren Materialien zu verbessern.
Zweitens lehrt die D7, dass der Wassergehalt reduziert werden soll, damit beim Vermischen des als Weichmacher verwendeten Polymers die Estergruppen in Molekülketten des hydrophoben Polymers durch Veresterungsreaktionen mit der nativen Stärke reagieren können (siehe D7, Spalte 8, Zeilen 1-21). Da weder D5, noch das Streitpatent auf solche chemische Reaktionen angewiesen sind, hätte der Fachmann keinen Grund, die Lehre von D7 zu berücksichtigen und den Wassergehalt zu reduzieren. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin beruht die Vernetzungschemie des Streitpatents auf die Reaktion von Glycidyl-Gruppen mit den Reaktiven Gruppen des Polyesters und der Stärke (in erster Linie Hydroxy-Gruppen).
Drittens ist es nicht glaubhaft, dass die Glycidyl-Gruppen der D5 ebenso hydrolyseempfindlich wie die Ester-Gruppen der D7 sind. Es ist z.B. bekannt, dass die Hydrolyse von Epoxid-Gruppen in der Regel die Anwesenheit von Katalysatoren benötigt (siehe D27, Seite 376, Absatz O-7). Daher hätte der Fachmann die Lehre von D7 in Bezug auf die Esterchemie zur Verbesserung der mechanischen Eigenschaften von Polymerwerkstoffen auf Epoxidchemiebasis nicht berücksichtigt.
Unter diesen Umständen ist die Kammer der Auffassung, dass die Reduzierung des Wassergehalts unter 1,5 Gew.-% nicht naheliegend für den Fachmann ausgehend von D5 ist.
Schon aus diesem Grund beruht Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 ausgehend von D5 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
2.2 Anspruch 13
Die Beschwerdeführerin geht davon aus, dass Anspruch 13 sich von D5 lediglich dadurch unterscheidet, dass die Zusammensetzung ein epoxidgruppenhaltiges Copolymer mit einem Molekulargewicht (Mw) von 1.000 bis 25.000 enthält (siehe Beschwerdebegründung, Seite 49, Absatz 7.4.1).
Die Kammer kann sich dieser Beurteilung der Unterscheidungsmerkmale nicht anschließen. Wie von der Beschwerdegegnerin angemerkt, ist der Anteil an niedermolekularen Substanzen im polymeren Material in der D5 nicht beschrieben. Somit stellt besagter Anteil mindestens ein weiteres Unterscheidungsmerkmal gegenüber D5 dar. Schon aus diesem Grund kann die Argumentationslinie der Beschwerdeführerin nicht überzeugen.
Die Argumente der Beschwerdeführerin geben der Kammer deshalb keinen Anlass, von der Entscheidung der Einspruchsabteilung in Bezug auf Artikel 56 EPÜ abzuweichen.
3. Zulässigkeit des spät vorgebrachten Einspruchsgrunds gemäß Artikel l00(b) EPÜ
3.1 Einspruchsverfahren
Die Beschwerführerin hat erstinstanzlich den Einspruchsgrund der mangelnden Ausführbarkeit (Artikel 100(b) EPÜ) erstmalig während der mündlichen Verhandlung am 19. September 2018 geltend gemacht. Die Einspruchsabteilung hat den verspätet vorgebrachten Einspruchsgrund nicht zugelassen, da er prima facie nicht begründet und daher nicht relevant sei.
Die Beschwerführerin ist der Auffassung, dass die Einspruchsabteilung ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe und den neuen Einspruchsgrund in das Verfahren hätte einbeziehen müssen (siehe Beschwerdebegründung, Absatz 6.2.3). Insbesondere hat sie argumentiert, dass die Einspruchsabteilung einen technischen Effekt für die erfinderische Tätigkeit gewürdigt hätte, obwohl dieser Effekt auf Vergleichsbeispielen beruhe, die weniger als 34 Gew.-% Stärke enthalten und somit nicht unter Anspruch 13 fallen. Dies stünde im Widerspruch zu der Behauptung, dass der Einwand nach Artikel l00(b) EPÜ nicht prima facie relevant sei, weil der Stärkegehalt in den Vergleichsbeispielen unter 34 Gew.-% liege.
Hinsichtlich der Ermessensausübung der Einspruchsabteilung gilt nach ständiger Rechtsprechung:
"Ein erstinstanzliches Organ, das nach dem EPÜ unter bestimmten Umständen Ermessensentscheidungen zu treffen hat, muss bei der Ausübung dieses Ermessens einen gewissen Freiraum haben, in den die Beschwerdekammern nicht eingreifen. Eine Beschwerdekammer sollte sich nur dann über die Art und Weise, in der die erste Instanz bei einer Entscheidung in einer bestimmten Sache ihr Ermessen ausgeübt hat, hinwegsetzen, wenn sie zu dem Schluss gelangt, dass die erste Instanz ihr Ermessen nach Maßgabe der falschen Kriterien, unter Nichtbeachtung der richtigen Kriterien oder in willkürlicher bzw. unangemessener Weise ausgeübt hat und damit ihr eingeräumtes Ermessen überschritten hat." (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, Juli 2019, Abschnitt V.A.3.5.1.b))
Somit ist für die Kammer zu prüfen, ob die Einspruchsabteilung ihr Ermessen nach Maßgabe der falschen Kriterien, unter Nichtbeachtung der richtigen Kriterien oder in willkürlicher bzw. unangemessener Weise ausgeübt hat.
Es ist unbestritten, dass der neu vorgebrachte Einspruchsgrund nicht innerhalb der Einspruchsfrist erhoben wurde und insofern als spät vorgebracht zu betrachten ist. Die Einspruchsabteilung war deshalb befugt, den neuen Einspruchsgrund nach Artikel 100(b) EPÜ nicht in das Verfahren zuzulassen. Ferner ist gemäß der Rechtssprechung bei der Entscheidung einer Einspruchsabteilung, ob sie einen neuen Einspruchsgrund zulässt, die Prima-facie-Relevanz ein entscheidendes Kriterium (siehe G 9/91, ABl. EPA 1993, 408 und Rechtsprechung, oben, IV.C.4.5.3). Somit stellt die Kammer fest, dass die Einspruchsabteilung das richtige Kriterium angewendet hat. Es bleibt deshalb zu prüfen, ob dabei die Einspruchsabteilung ihr Ermessen in willkürlicher bzw. unangemessener Weise ausgeübt hat.
Im vorliegen fall hat die Einspruchsabteilung argumentiert, dass die herangezogenen Vergleichsbeispiele keinen Stärkegehalt von mindestens 34 Gew.% enthalten sondern 32,2 Gew.% und daher nicht unter den Schutzbereich des Anspruchs 13 fallen. Somit sei der Einwand, wonach das Material gemäß Anspruch 13 die beanspruchten Eigenschaften der Folien nicht erfüllen würden, prima facie unbegründet. Aus Sicht der Kammer scheint diese Argumentationslinie eine angemessene und vertretbare Beurteilung der Sachlage zu sein.
Zu dem Argument der Beschwerdeführerin, es sei unangemessen, die Vergleichsbeispiele als relevant für die erfinderische Tätigkeit, nicht aber für die Beurteilung der Ausführbarkeit zu betrachten, macht die Kammer folgende Ausführungen:
Das entscheidende Kriterium für die Zulässigkeit des neuen Einspruchgrunds ist die Prima-facie-Relevanz. Im vorliegenden Fall ist die Kammer der Ansicht, dass die Einspruchsabteilung dieses Kriterium in angemessener Weise angewandt hat und dass eine weitere Prüfung der Sachlage nicht erforderlich war. Der Vollständigkeit halber sei dennoch darauf hingewiesen, dass die Vergleichsbeispiele mit einem Stärkegehalt von 32,2 Gew.-% für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit von Anspruch 1 durchaus relevant bleiben, da Anspruch 1 nicht auf einen Stärkegehalt von mindestens 34 Gew.-% beschränkt ist. Es ist daher nicht widersprüchlich, dass die Vergleichsbeispiele für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des Anspruchs 1 relevant, für die Beurteilung der Ausführbarkeit des Anspruchs 13 aber prima facie irrelevant sind.
Aus diesen Gründen hat die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung, den Einspruchsgrund der mangelnden Ausführbarkeit (Artikel 100(b), 83 EPÜ) nicht zuzulassen, ihr Ermessen nicht in willkürlicher bzw. unangemessener Weise ausgeübt.
Es wird ferner angemerkt, dass die Beschwerdeführerin das neue Dokument D23 bei der Prüfung, ob die Einspruchsabteilung ihr Ermessen korrekt ausgeübt hat, herangezogen hat. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung stand aber D23 nicht zur Verfügung. Folglich kann dieses Dokument bei der Beurteilung der Ermessensausübung der Einspruchsabteilung nicht berücksichtigt werden.
Die Kammer findet deshalb keinen Grund, die Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung zu revidieren.
3.2 Beschwerdeverfahren
Im Beschwerdeverfahren dürfen neue Einspruchsgründe nur mit dem Einverständnis des Patentinhabers geprüft werden (siehe G 9/91 und G 10/91, ABl. EPA 1993, 420 und Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, Juli 2019, Abschnitt V.A.3.2.1 h)).
Da die Patentinhaberin der Einführung nicht zustimmt (siehe Beschwerdeerwiderung, Seite 30, letzter Absatz), hat die Kammer kein Ermessen, den neuen Einspruchsgrund ins Beschwerdeverfahren zuzulassen.
4. Da alle Einwände der Beschwerdeführerin nicht erfolgreich sind, ist die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.