T 2603/18 () of 20.2.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T260318.20200220
Datum der Entscheidung: 20 Februar 2020
Aktenzeichen: T 2603/18
Anmeldenummer: 13154654.1
IPC-Klasse: F01L 1/047
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verstellbare Nockenwelle
Name des Anmelders: MAHLE International GmbH
Name des Einsprechenden: ThyssenKrupp Presta TecCenter AG
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Antrag auf Nichtzulassung einer Entgegenhaltung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1652/08
T 2197/11
T 1568/12
T 0026/13
T 0572/14
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0099/16
T 0487/16
T 2607/16
T 0745/17
T 0612/18
T 1453/19
T 1654/19
T 1884/19
T 2351/19
T 3201/19
T 3234/19
T 0928/20

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung eingelegt, in der festgestellt wurde, dass das europäische Patent Nr. 2 634 385 in geänderter Fassung entsprechend dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten ersten Hilfsantrag den Erfordernissen des EPÜ genüge.

II. Mit ihrer Beschwerdeerwiderung begehrte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) die Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung (Hauptantrag), hilfsweise die Zurückweisung der Beschwerde (Hilfsantrag).

III. In einer Mitteilung der Kammer wurden die Parteien darauf hingewiesen, dass der Weiterverfolgung des Hauptantrags der Beschwerdegegnerin, die selbst nicht Beschwerde eingelegt hat, das Verschlechterungsverbot entgegenstehe.

IV. Die Parteien wurden zu einer mündlichen Verhandlung geladen. In einer Mitteilung zur Vorbereitung der Verhandlung wurden die Parteien über die vorläufige Meinung der Kammer zu den ihr wesentlich erscheinenden Fragen informiert.

V. Die mündliche Verhandlung fand am 20. Februar 2020 statt. In deren Verlauf nahm die Beschwerdegegnerin den Hauptantrag auf Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung zurück, sodass der Hilfsantrag der einzige Antrag wurde (von nun an "der Antrag" der Beschwerdegegnerin).

VI. Am Schluss der mündlichen Verhandlung lauteten die Anträge wie folgt:

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

VII. Folgende Dokumente sind für die vorliegende Entscheidung relevant:

D6 |EP 2 048 385 A1 |

D10|"Köhler/Rögnitz Maschinenteile 1", 10. Auflage 2007, B.G. Teubner Verlag |

D17|US 2011/0197839 A1 |

D23|Auszug aus "Dubbel Taschenbuch für den Maschinenbau", 16. korrigierte und ergänzte Auflage 1987, Springer Verlag, Seiten F28 - F30|

Anspruch 1 des Antrags der Beschwerdegegnerin lautet wie folgt (mit der auch in der angefochtenen Entscheidung verwendeten Merkmalsgliederung):

M1 |"Verstellbare Nockenwelle (1) mit einer Innenwelle (2) und einer diese koaxial umgebenden Außenwelle (3) |

M2 |und mit zumindest einem Nocken (4), der einen Nockenkörper (5) und einen axial vom Nockenkörper (5) abstehenden Ringbund (6) aufweist, |

M3 |der mit einem radialen Spalt (11) gleitend auf der Außenwelle (3) angeordnet ist |

M4 |und eine Aufnahme (7) zur Verstiftung des Nockens (4) mit der Innenwelle (2) mittels eines Stiftes (8) aufweist, dadurch gekennzeichnet, |

M5 |dass im Bereich des Ringbunds (6) zur Abdichtung des Spalts (11) eine Dichtung (15) vorgesehen ist, |

M6a|und dass eine axiale Dichtungslänge (16) des Ringbunds (6) und eine radiale Höhe (12) des Spalts (11) zur Ausbildung der Dichtung (15) |

M6b|ein Verhältnis von mindestens 50:1 aufweisen, |

M7 |und dass der Ringbund (6) auf ihrer [sic] der Außenwelle zugewandten Innenseite (13) eine nach innen offene Ringnut (14) aufweist, wobei sich die axiale Dichtungslänge (16) zwischen einem der Seitenfläche (17) des Ringbunds (6) zugewandten Seitenrand (18) der Ringnut (14) und der Seitenfläche (17) des Ringbunds (6) erstreckt,|

M8 |und dass die Dichtung (15) ein Dichtungselement (19, 22) aufweist, das radial zwischen dem Ringbund (6) und der Außenwelle (3) in der Ringnut (14) des Ringbunds (6) angeordnet ist." |

VIII. Die für diese Entscheidung wesentlichen Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Der Fachmann würde ausgehend von D17 einen Spalt ausbilden und zusätzlich ein Dichtungselement vorsehen. Der Anspruch definiere nicht, auf welcher Seite der Nocken abgedichtet werden solle. Ebenso definiere der Anspruch keine unterschiedlichen Höhen des Spalts von Nockenkörper und Ringbund und umfasse somit auch Ausführungen mit durchgängig gleich hohem Spalt. Der in D17 konstruktiv notwendige schmale Spalt zur Sicherstellung des Gleitens des Nockens auf der Außenwelle stelle ebenfalls eine Dichtung im Sinne des Anspruchs dar. Wie hoch der Spalt bei einer solchen Gleitlagerung sein muss und welche Toleranzen dabei einzuhalten sind, gehöre zum allgemeinen Fachwissen, welches durch D23 belegt sei. D23 befinde sich im Verfahren, die Einspruchsabteilung habe sie zugelassen. D23 sei deshalb auch im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen. Der Anspruch 1 sei sehr breit. Er sei nicht im Lichte der Beschreibung enger auszulegen. Um eine erfinderische Tätigkeit anerkennen zu können, müsse er die technische Aufgabe über die gesamte Anspruchsbreite lösen. Der Fachmann würde die Lehren von D6 und D10 berücksichtigen. Beide Dokumente zeigten dem Fachmann, dass ein Dichtungselement vorgesehen werden könne und dennoch eine Schmierung stattfinde. D10 halte den Fachmann nicht davon ab, zusätzlich ein Dichtungselement einzusetzen. Eine Spaltdichtung sei aufgrund des Gleitlagers zwangsläufig vorhanden.

IX. Die für diese Entscheidung wesentlichen Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden:

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit. Anspruch 1 sei auf Ausführungen mit einer Abdichtung der Ringbundseite zu lesen. Es sei die grundlegende Lehre des Patents, dass der Nocken auf der Seite des Ringbunds abgedichtet werden soll, auch wenn dies nicht im Anspruch explizit angeführt sei. D17 zeige keine Dichtung, enthalte keine Angaben zur Dimensionierung eines Spalts und befasse sich nicht mit Leckagen. Die Figur 2 in D17 sei lediglich eine schematische Darstellung, sodass daraus keine Verhältnismäßigkeiten abgeleitet werden könnten. In D17 sei keine Rede von einer Dichtung und auch nicht von einem derart ausgebildeten Spalt. Die nach innen offene Ringnut gemäß Merkmal M7 sei daher bei der Bewertung der erfinderischen Tätigkeit zu berücksichtigen. Es sei die objektive technische Aufgabe ringbundseitig Leckagen zu reduzieren. Der gesamte vorgehaltene Stand der Technik enthalte keine Anregung, an der beanspruchten Stelle ein Dichtungselement gemäß Merkmal M8 anzuordnen. Durch die Bezugnahme auf die Ringnut werde auch eine Reihenfolge von Dichtungselement und Dichtspalt definiert. Der Fachmann hätte keine Veranlassung ein Dichtungselement und erst dahinter einen Dichtspalt vorzusehen.

D23 sei nicht zu berücksichtigen, denn die Einspruchsabteilung hätte D23 nicht ins Verfahren zulassen dürfen. Darüber hinaus könne D23 nichts über gleitend auf der Außenwelle einer Nockenwelle angeordnete Nocken offenbaren und sei deshalb auch nicht relevant. In der Nockenwelle gemäß D17 werde der Nocken nur mit dem als "drain" bezeichneten Schmiermittelfluss beaufschlagt. Da dessen Druck niedriger als der an anderen Punkten anliegende Schmiermitteldruck sei, würde der Fachmann zuerst an diesen anderen Punkten versuchen, eine Leckage zu vermeiden. Der Fachmann habe überdies keine Veranlassung, ein Dichtungselement zusätzlich zu einem Dichtspalt vorzusehen. Selbst wenn der Fachmann in D17 ein Dichtungselement anordnen wollte, ergäbe sich in dem verbleibenden Bereich des Gleitspalts zwischen Dichtungselement und Ringbundaußenfläche nicht das beanspruchte Längen- zu Höhenverhältnis. Darüber hinaus halte D10 den Fachmann davon ab, sowohl ein Dichtungselement als auch eine Spaltdichtung vorzusehen. D6 würde er nicht berücksichtigen, da darin kein auf einer Außenwelle verdrehbarer Nocken beschrieben werde.

Entscheidungsgründe

1. Antrag auf Nichtzulassung der D23 in das Beschwerdeverfahren

1.1 Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung

Die Kammer hat in ihrer Mitteilung zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung (siehe Punkt 3, dritter Absatz) in Frage gestellt, inwieweit die Zulassung der D23 im Einspruchsverfahren von der Kammer überprüft werden kann.

D23 wurde erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung und damit nach der gemäß Regel 116 (1) EPÜ gesetzten Frist vorgelegt. Die Einspruchsabteilung hatte gemäß Regel 116 (1), dritter Satz EPÜ ein Ermessen, dieses verspätet vorgebrachte Beweismittel nicht zu berücksichtigen. D23 wurde jedoch in das Einspruchsverfahren zugelassen (siehe angefochtene Entscheidung, Randziffer 11). Im Abschnitt "Neuheit gegenüber D17" (Randziffer 13.1) nimmt die Entscheidung auf D23 Bezug. D23 war somit Gegenstand des Einspruchsverfahrens.

1.1.1 Da sich die Entscheidung auf D23 stützt, ist sie auch Teil der dieser Beschwerde zugrundeliegenden Entscheidung geworden. Sie ist daher schon allein deshalb im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen. Andernfalls wäre eine (vollständige) Überprüfung der angefochtenen Entscheidung nicht möglich (siehe auch T 26/13, Entscheidungsgründe 2; T 1568/12, Entscheidungsgründe 2.4). Eine Überprüfung der Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung kann daher im vorliegenden Fall nicht zum Ausschluss der D23 führen. D23 befindet sich deswegen im Verfahren.

1.1.2 Teile der Rechtsprechung prüfen gleichwohl, ob die Zulassungsentscheidung der Einspruchsabteilung ermessensfehlerhaft war, wenn dies von einer Partei gerügt wird (vgl. T 1652/08, Entscheidungsgründe 3.3 - 3.5; T 572/14, Entscheidungsgründe 2.2 - 2.5; T 2197/11, Entscheidungsgründe 3.2.2 -3.2.3).

Vorliegend bedarf es keiner Auseinandersetzung mit diesem Ansatz, da die Argumente der Beschwerdegegnerin zur Ausübung des Ermessens der Einspruchsabteilung an der obigen Feststellung ohnehin nichts ändern können. Die von der Beschwerdegegnerin unter Punkt I. der Beschwerdeerwiderung vom 8. April 2019 gemachten Einwände betreffen nämlich nicht die Frage, ob die Einspruchsabteilung ihr Ermessen nach Maßgabe der falschen Kriterien, unter Nichtbeachtung der richtigen Kriterien oder in willkürlicher bzw. unangemessener Weise ausgeübt hat, sondern beziehen sich lediglich auf die Frage, ob die Einspruchsabteilung bei Anwendung korrekter Kriterien zum falschen Schluss gelangt sei.

Nach ständiger Rechtsprechung der Kammern ist es bei einer angefochtenen Ermessensentscheidung der ersten Instanz jedoch nicht Aufgabe der Beschwerdekammer, die Sachlage nochmals wie ein erstinstanzliches Organ zu prüfen, um zu entscheiden, ob sie das Ermessen in derselben Weise ausgeübt hätte (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, 3.5.1 b)).

1.2 Eigenes Ermessen der Kammer

Gemäß Artikel 12(4) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern 2007 (VOBK 2007) hat die Kammer die Befugnis, Tatsachen, Beweismittel oder Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden sollen oder dort nicht zugelassen worden sind. Artikel 12(4) VOBK 2007 findet somit keine Anwendung auf Beweismittel, die im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht und zugelassen worden sind. Die VOBK bietet daher keine rechtliche Grundlage für eine Nichtzulassung der D23.

2. Erfinderische Tätigkeit - Artikel 56 EPÜ

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ. Er ergibt sich für den Fachmann in naheliegender Weise ausgehend von D17 in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen, nachgewiesen durch D23, und wahlweise der Lehre von D10 oder D6.

2.1 Unterscheidungsmerkmale

Es ist unbestritten, dass D17 die Merkmale M1 bis M4 zeigt. Die Merkmale M7 und M8 stellen unstrittig Unterscheidungsmerkmale dar. Die Beschwerdegegnerin bestreitet jedoch das Vorliegen der Merkmale M5, M6a und M6b.

2.1.1 Merkmal M3 lautet "der mit einem radialen Spalt (11) gleitend auf der Außenwelle angeordnet ist". Die Beschwerdegegnerin interpretiert dies als auf den in Merkmal M2 eingeführten Nocken bezogen, und nicht lediglich auf den Ringbund. Gemäß dieser Auslegung umfasst der in Merkmal M3 definierte Spalt auch Ausführungen mit über die gesamte Breite des Nockens durchgehend gleicher Spalthöhe. Dem wurde von der Beschwerdegegnerin zuletzt nicht widersprochen. Auch die Kammer sieht keinen Grund für eine engere Auslegung dieses Merkmals.

2.1.2 Die Merkmale M5, M6a und M6b definieren zusammen weitere Merkmale des Spalts zwischen dem Nocken und der Außenwelle. Die Kammer sieht diese in D17 ebenfalls verwirklicht.

Das Argument der Beschwerdegegnerin, dass in D17 keine Dichtung im Sinne des Merkmals M5 verwirklicht sei, überzeugt die Kammer nicht. Die Nocken in D17 sind gleitend auf der Außenwelle bewegbar, was in D17 auch explizit erwähnt wird ("the second intake cams 12 are rotatably supported on the outer camshaft 21", siehe Absatz [0022]). Dass dazu ein Spalt nötig ist, liest der Fachmann aufgrund seines Fachwissens mit. D23 ist ein Nachweis für dieses Fachwissen. Darin werden für gleitend gelagerte Bauteile ("Gleitsitze") in Tabelle 4 (siehe Seite F29, Spalte "Toleranzfeldlage und -größe für Nennmaß 60 in mym") Passungen genannt, die Spalten im Bereich von 10 bis 100mym (also 0,01 bis 0,1mm) entsprechen. Da auch das Streitpatent Spalten von im Verhältnis zu ihrer axialen Länge geringer Höhe als "Dichtung" ansieht (Merkmale M5, M6), stellt der in D17 notwendigerweise vorhandene, schmale und lange Spalt ebenfalls eine Dichtung im Sinne des Merkmals M5 dar. Weil ein Ringspalt immer eine radiale Höhe und eine axiale Länge aufweist, ist auch das Merkmal M6a verwirklicht.

2.1.3 Fraglich war, ob auch das in Merkmal M6b definierte Verhältnis in D17 zwangsläufig vorliegt. Das Argument der Beschwerdegegnerin, dass Figur 2 in D17 eine rein schematische Darstellung sei und somit keine Verhältnisse daraus abzuleiten seien, überzeugt die Kammer nicht. Zwar können aus der Figur 2 allein keine Größen und auch keine Verhältnisse entnommen werden. Der Offenbarungsgehalt der D17 ist jedoch nicht auf die schematische Darstellung in der Figur 2 beschränkt. Wie schon aus der Funktion als Gleitsitz implizit gewisse Grenzen der Spalthöhe entnehmbar sind, so sind durch die Anwendung in einer Brennkraftmaschine des in D17 gezeigten Typs Rückschlüsse auf die Größe der Nocken möglich. Gemäß D23 liegt die Obergrenze für Spalthöhen bei Gleitsitzen bei 100mym (also 0,1mm). Merkmal M6b verlangt ein Verhältnis der axialen Dichtungslänge zur radialen Höhe des Spalts von mindestens 50:1. Im Falle des höchsten noch als Gleitsitz aufzufassenden Spalts von 100mym ergibt sich somit eine axiale Dichtungslänge und damit eine Nockenbreite von mindestens 5mm. Es kann aus technischen Gründen ausgeschlossen werden, dass die Gesamtbreite des in D17 gezeigten Nockens dieses Mindestmaß nicht erreicht. Es soll angemerkt werden, dass sich gemäß Merkmal M6b bei geringeren Spalthöhen auch geringere Mindestlängen des Spalts ergeben. Das Maß von 5mm stellt also bereits das größtmögliche Mindestmaß für den Spalt in D17 gemäß Merkmal M6b dar.

Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass auch Merkmal M6b in D17 verwirklicht ist.

2.1.4 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich somit von der in D17 gezeigten Nockenwelle durch die Merkmale M7 und M8.

2.2 Hinsichtlich der Frage, inwieweit das Merkmal M7 zur erfinderischen Tätigkeit beiträgt, hat die Beschwerdegegnerin basierend auf Absatz [0008] des Streitpatents vorgetragen, dass die nach innen offene Ringnut die Bildung eines Grates beim Bohren der Aufnahme verhindern soll. Dies überzeugt die Kammer jedoch nicht. Da die axiale Position der Aufnahme im Anspruch 1 nicht definiert ist, kann diese an beliebiger Stelle des Nockens angeordnet sein. Insbesondere müssen sich Aufnahme und Ringnut nicht decken. Unabhängig davon, dass die Ringnut eine Gratbildung nicht verhindern kann, vermeidet sie auch die Auswirkungen des beim Bohren zwangsläufig entstehenden Grates nicht, solange die Aufnahme nicht in der Ringnut angeordnet ist. Das Vorsehen einer anspruchsgemäßen Ringnut, die an beliebiger Stelle angeordnet sein kann, ist daher mit keiner technischen Wirkung verbunden und löst keine Aufgabe. Es ist somit als willkürlich anzusehen und bleibt bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit unberücksichtigt.

2.3 Hinsichtlich Merkmal M8 hat die Beschwerdegegnerin argumentiert, dass es die zu lösende objektive Aufgabe sei, ringbundseitig eine Leckage zu reduzieren. Auch dies überzeugt die Kammer nicht. Zwar ist dies in der Beschreibung ebenfalls als allgemeiner Gedanke angegeben (siehe Seite 2, Zeile 34, "in diesem Bereich"), doch wird diese Aufgabe von einer Nockenwelle gemäß Anspruch 1 nicht über dessen gesamte Breite gelöst.

2.3.1 Anspruch 1 ist nämlich nicht auf die Abdichtung des Ringbunds eingeschränkt. Das diesbezügliche Argument der Beschwerdegegnerin, wonach das gesamte Patent darauf abziele, ist nicht überzeugend, da eine derartige Einschränkung im Anspruch 1 keinen Niederschlag gefunden hat und der Anspruch in dieser Hinsicht nicht vage oder unklar, sondern lediglich breit ist. Ein an sich klarer, jedoch breiter Anspruch bietet keinen Anlass, ihn im Lichte der Beschreibung enger auszulegen.

Da der Anspruch 1 somit ringbundseitig und nockenseitig keine unterschiedlichen Spalthöhen definiert, sind auch Ausführungen umfasst, welche einen durchgehend gleich hohen Spalt aufweisen. Damit ergeben sich auf Seite des Ringbundes und auf Seite des Nockens keine unterschiedlichen Dichtungsanforderungen.

2.3.2 Auch definiert der Anspruch nicht, wie die Ringnut und die Schmiermittelzuführung in axialer Richtung zueinander ausgerichtet sind. Hier sind viele verschiedene Ausführungen denkbar. Der Fachmann schließt zwar offensichtlich unsinnige Möglichkeiten aus und betrachtet diese als nicht vom Anspruch umfasst. Dies gilt jedoch nicht für vom Anspruchswortlaut abgedeckte Varianten, die durchaus technisch sinnvoll sind. Im Ausführungsbeispiel gemäß Figur 1 der Patentschrift wird das Schmiermittel über die Ringöffnung 10 zugeführt, sodass es, wenn es in axialer Richtung zum ringbundseitigen Ende des Nockens strömt, auf das Dichtungselement trifft. Der Anspruch ist allerdings nicht auf diese Ausführung eingeschränkt und umfasst demgemäß auch andere Möglichkeiten. So können die Positionen von Ringöffnung und Dichtungselement zueinander vertauscht sein. Es können aber auch zwei Dichtungselemente vorhanden sein, wobei von der Schmiermittelzufuhröffnung ausgehend in axialer Richtung jeweils ein Dichtungselement zum ringbundseitigen Ende hin und eines zum nockenseitigen Ende hin angeordnet ist. Da ein Dichtungselement keine hermetische Abdichtung herstellt, sondern lediglich den Schmiermitteldurchfluss verringert, wäre bei der beidseitigen Verwendung von Dichtungselementen noch immer für ausreichend Schmierung der Gleitlagerstelle gesorgt. Dies wurde von der Beschwerdegegnerin auch nicht in Abrede gestellt. Dass eine derartige beidseitige Abdichtung sogar durchaus erwünscht sein kann, zeigt auch die Lageranordnung für ein Nockenwellenlager gemäß D6 (siehe z.B. Figur 1 und Absatz [0017]), wo die als Drosselelemente bezeichneten Dichtungselemente 6 ebenfalls beidseitig der Schmiermittelzuführöffnung 11 angeordnet sind.

2.3.3 Der Fachmann schließt daher keine dieser vom Anspruch abgedeckten Anordnungen aus und versteht den Anspruch in seiner vollen Breite, umfassend alle möglichen Anordnungen eines oder mehrerer Dichtungselemente in einer oder mehreren Ringnuten. Die dem Merkmal M8 zugeordnete technische Wirkung muss daher über die gesamte Anspruchsbreite auftreten und die dazu korrespondierende Aufgabe über die gesamte Anspruchsbreite gelöst werden.

Als solche Wirkung des Merkmals M8 erkennt die Kammer lediglich, dass allgemein Leckagen an der Nockenwelle verringert werden. Die dazugehörige, objektive technische Aufgabe besteht daher darin, den Schmiermittelverlust an der Nockenwelle zu verringern.

2.3.4 Ausgehend von D17 wird der Fachmann versuchen, Leckagen aufzuspüren und den Schmiermittelverlust an diesen Stellen zu verringern. Solche Leckagen sind in D17 an den Wellenlagern 23b und 23d sowie an den Gleitsitzen der Nocken 12 auf der Außenwelle 21 zu erwarten.

2.3.5 Die Beschwerdegegnerin hat argumentiert, dass an diesen Stellen nur ein geringer Schmiermitteldruck anliege, da die gesamte Nockenwellenschmierung lediglich über die Ablauföffnung ("drain" 46) des Ölregelventils 32 verbunden sei. Der Fachmann würde daher nicht ein Dichtungselement an der beanspruchten Stelle anordnen, sondern andere Wege beschreiten, um den Schmiermittelverlust zu verringern.

Dies überzeugt die Kammer jedoch nicht. Unabhängig von der tatsächlichen Höhe des Schmiermitteldrucks ist davon auszugehen, dass auch der in D17 an der Ablauföffnung 46 ("drain") anliegende Druck ausreichend ist, um Schmiermittel in die Gleitsitze zu drücken. Es wird daher zu einer Leckage von Schmiermittel kommen, die der Fachmann erkennt, ohne dass diesbezüglich ein gesonderter Hinweis nötig wäre. Er wird daher versuchen, auch an diesen Stellen solchen Leckagen entgegenzuwirken. Eine naheliegende Möglichkeit ist es dabei, diese mittels eines Dichtungselements abzudichten.

2.3.6 Die Beschwerdegegnerin hat darüber hinaus argumentiert, dass der Fachmann bei Berücksichtigung der Lehre der D6 allenfalls die Lagerstellen 48 mit Dichtungselementen versehen würde.

Auch dies überzeugt die Kammer nicht. An den Lagerstellen 48 und an den Nocken 12 liegt derselbe Druck an, und zwar jener der Ablauföffnung 46 ("drain"). Bei den Lagerstellen 23b und 23d trifft dieser jedoch auf eine relativ gesehen kleinere Öffnung 48 (gegenüber der Ringöffnung 25), sodass dort mit einer geringeren Leckagemenge zu rechnen ist als an den Gleitsitzen der Nocken. Unabhängig davon würde der Fachmann versuchen, alle Leckagen abzudichten und dazu an den Stellen mit den größeren Leckagen beginnen. Ein Dichtungselement stellt dabei eine von vielen naheliegenden Möglichkeiten dar.

2.3.7 Die Beschwerdegegnerin hat auch argumentiert, dass der Fachmann keine Anregung gehabt hätte, das Dichtungselement zusätzlich zu einer Spaltdichtung vorzusehen.

Die Kammer überzeugt dies ebenfalls nicht. Eine Spaltdichtung im Sinne eines Gleitsitzes des Nockens 12b ist in D17 ohnehin bereits vorhanden. Es ist keine Anregung nötig, den Gleitsitz zu behalten und das Dichtungselement zusätzlich vorzusehen, da der Gleitsitz und damit die "Spaltdichtung" nicht weggelassen werden kann.

2.3.8 Die Beschwerdegegnerin hat zuletzt keine besondere, auf die Ringnut gemäß Merkmal M7 zurückzuführende technische Wirkung geltend gemacht. Sie hat jedoch argumentiert, dass die Dichtungslänge zwischen dem der Seitenfläche des Ringbunds zugewandten Seitenrand der Ringnut und der Seitenfläche des Ringbunds definiert sei. Weiterhin sei definiert, dass das Dichtungselement in der Ringnut angeordnet sei. Damit sei in Anspruch 1 bestimmt, dass das Verhältnis gemäß Merkmal M6b nicht über den gesamten Nocken, sondern in dem so definierten Bereich zwischen dem Dichtungselement und der Seitenfläche des Ringbunds vorliegen müsse. Selbst wenn der Fachmann an den Nocken in D17 ein Dichtungselement anordnete, würde er daher dieses Verhältnis nicht mehr erreichen.

Dieser Argumentation folgt die Kammer nicht. Um die auftretenden Leckagen abzudichten, muss der Fachmann eine geeignete Stelle zur Anordnung des Dichtungselements finden. Der Fachmann geht dabei von D17, z.B. Fig. 2 aus. Dort sind Aufnahme, Stift und Schmiermittelzufuhr im Ringbund angeordnet. Der Fachmann hat mehrere, gleichermaßen naheliegende Möglichkeiten. Er kann ein Dichtungselement links oder rechts - oder links und rechts - vom Stift 24 vorsehen.

2.3.9 Insbesondere kann er die Ausgestaltung wie in D10, die allgemeines Fachwissen wiedergibt, wählen und ein in einer nach innen offenen Ringnut angeordnetes Dichtungselement in Form eines Runddichtrings (wie dort auf Seite 434 in Figur 10.26 gezeigt) aufnehmen.

Das Argument der Beschwerdegegnerin, wonach die Aussage auf Seite 452 in D10 (siehe einleitender Absatz 10.4) den Fachmann davon abhalte, sowohl eine Spaltdichtung als auch ein Dichtungselement vorzusehen, überzeugt die Kammer nicht. Die Stelle in D10 regt zwar dazu an, dort berührungsfreie Dichtungen zu verwenden, wo andere Dichtungen - also auch Dichtungselemente im Sinne des Anspruchs 1 - nicht eingesetzt werden können. Dies bedeutet im Umkehrschluss jedoch nicht, dass bei Verwendung eines Dichtungselements kein Spalt vorgesehen sein soll. Doch selbst wenn man diese Stellte in D10 so verstünde, dass bei Verwendung eines Dichtungselements die Spaltdichtung nicht mehr benötigt würde, kann der Fachmann, da er von D17 als nächstliegendem Stand der Technik ausgeht, in der dort gezeigten Nockenwelle die Gleitlagerung und damit den Spalt nicht weglassen. Die Nocken müssen für deren Verstellbarkeit beweglich bleiben. Er wird daher das Dichtungselement zusätzlich zu dem ohnehin vorhandenen Spalt vorsehen. Tut er dies bezogen auf die Figur 2 der D17 links vom Stift 24, was vom Anspruchswortlaut abgedeckt ist, so bleibt dabei aufgrund der nötigen axialen Länge für die Aufnahme unweigerlich ein Verhältnis von Spaltlänge zu Spalthöhe in dem Bereich bis zum Ende des Ringbundes von 50:1 erhalten.

An dieser Stelle soll festgehalten werden, dass der Fachmann ausgehend von D17 nicht davon abgehalten wird, das Dichtelement links vom Stift 24 anzuordnen, auch wenn damit eine schlechtere Schmierung verbunden sein sollte. Auch das Streitpatent umfasst aufgrund der Breite des Anspruchs Konstruktionen mit diesem Nachteil (siehe auch 2.3.2, supra). Wie oben dargelegt (siehe 2.3.3, supra) besteht die Aufgabe lediglich darin, den Schmiermittelverlust an der Nockenwelle zu verringern. Die Unterscheidungsmerkmale zielen nicht zusätzlich auf eine gleiche oder verbesserte Schmierung, was die Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich anerkannt hat. Die Erfindung nimmt also über weite Bereiche der Anspruchsbreite eine verschlechterte Schmierung in Kauf. Dieser Nachteil würde den Fachmann daher nicht davon abhalten, unter Zugrundelegung dieser Aufgabe in D17 ein Dichtungselement links vom Stift vorzusehen.

2.3.10 Bei einer Anordnung jeweils eines Dichtungselements auf beiden Seiten der Aufnahme entsteht ebenfalls das beanspruchte Verhältnis von 50:1 von Spaltlänge zu Spalthöhe in dem Bereich bis zum Ende des Ringbundes, zumindest ausgehend von dem dann gemäß Figur 2 in D17 links von der Aufnahme angeordneten Dichtungselement. Der Fachmann würde im Falle einer solchen Anordnung der Anregung in D6 folgen, welche in Figur 1 zwei Dichtungselemente im Sinne des Patents zeigt (in Absatz [0017] als Drosselelemente bezeichnet). Auch bei einer Aufnahme einer derartigen Anordnung in der Nockenwelle in D17 bleibt das Verhältnis von Spaltlänge zu Spalthöhe von mindestens 50:1 in dem Bereich von dem in Figur 2 in D17 dann linken Dichtungselement bis zum Ringbundende erhalten.

Auch das Argument der Beschwerdegegnerin, dass der Fachmann D6 nicht berücksichtigen würde, weil dort kein auf einer Nockenwelle drehbar gelagerter Nocken gezeigt wird, sondern die Nockenwellenlager über solche Dichtungselemente verfügten, überzeugt die Kammer nicht. Der Fachmann versteht, dass die gezeigte Abdichtung bzw. Drosselung des Schmiermittels in dem Lagerspalt nicht nur für die Lagerung der Nockenwelle selbst, sondern auch für andere Gleitlagerungen vorteilhaft verwendet werden kann. Ein diesbezüglicher Hinweis findet sich beispielsweise in D6, Absatz [0002], wo allgemein auf Gleitlager Bezug genommen wird und in Absatz [0017], letzter Satz, wo explizit Nockenwellen, Ausgleichswellen, Schaltwellen oder Getriebewellen erwähnt werden.

2.4 Der Fachmann gelangt somit in beiden Fällen zum Gegenstand des Anspruchs 1 ohne dabei erfinderisch tätig werden zu müssen. Das Erfordernis des Artikels 56 EPÜ ist daher nicht erfüllt.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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