T 2554/18 () of 19.2.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T255418.20200219
Datum der Entscheidung: 19 Februar 2020
Aktenzeichen: T 2554/18
Anmeldenummer: 13005922.3
IPC-Klasse: A47B 88/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Vorrichtung zur lösbaren Kopplung einer Innenlade an einer Außenlade eines Möbels sowie Möbel
Name des Anmelders: Grass GmbH
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
Schlagwörter: Neuheit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung ein, die Patentanmeldung zurückzuweisen.

II. Die Prüfungsabteilung hat entschieden, dass der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 nicht neu sei gegenüber

D2: DE 88 02 343 U1.

III. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents, hilfsweise mündliche Verhandlung.

IV. Die Beschwerdekammer erließ einen verfahrensleitenden Bescheid, woraufhin die Beschwerdeführerin einen neuen Anspruchssatz, sowie eine neue Beschreibung einreichte und beantragte, ein Patent auf Basis des neuen Anspruchssatzes, der neu vorgelegten Beschreibung, sowie den ursprünglich eingereichten Zeichnungen zu erteilen.

V. Der einzige unabhängige Anspruch dieses Anspruchssatzes ist Anspruch 1, der wie folgt lautet:

"Vorrichtung zur lösbaren Kopplung einer Innenlade (4) an einer Außenlade (2) eines Möbels, wobei die Vorrichtung ein Betätigungselement (11) und ein bewegbares Eingreifelement (13) aufweist und Anbringmittel umfasst, wobei die Vorrichtung zur Anbringung an einer Innenseite einer Frontblende (7) der Außenlade (2) ausgebildet ist, und dass das Eingreifelement (13) mit einem Mitnahmevorsprung (16) zum Hintergreifen eines Frontelements (5) der Innenlade (4) ausgebildet ist, wobei der mitnehmende Vorsprung (16) des Eingreifelements (13) für ein Hintergreifen eines unvorbereiteten Abschnitts des Frontelements (5) der Innenlade (4) ausgebildet ist, dadurch gekennzeichnet, dass eine Position des Mitnahmevorsprungs (16) für ein Hintergreifen eines Abschnitts des Frontelements (5) der Innenlade (4) am Eingreifelement einstellbar und fixierbar ist."

Entscheidungsgründe

1. Anspruch 1 in der geltenden Fassung beruht auf einer Kombination der ursprünglich eingereichten Ansprüche 1 und 3, wonach eine Position des Mitnahmevorsprungs für ein Hintergreifen eines Abschnitts des Frontelements der Innenlade am Eingreifelement einstellbar und fixierbar ist.

1.1 Diese Formulierung findet sich zudem auch im allgemeinen Teil der Beschreibung auf Seite 3, dritter Absatz.

1.2 Anspruch 1 erfüllt daher die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ.

2. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist neu gegenüber dem Dokument D2.

2.1 Das Dokument D2 offenbart in Figur 3 eine Vorrichtung zur lösbaren Kopplung einer Innenlade (Schubkasten 1) an einer Außenlade eines Möbels, wobei die Vorrichtung ein Betätigungselement (Griff 11) und ein bewegbares Eingreifelement (im Gehäuse 9 geführter Abschnitt des Schiebers 12 mit der Klinke 6) aufweist und Anbringmittel (Gehäuse 9 mit Schrauben 10) umfasst. Die Vorrichtung ist zur Anbringung an einer Innenseite einer Frontblende (Frontwand 4) der Außenlade ausgebildet und das Eingreifelement ist mit einem Mitnahmevorsprung (Klinke 6) zum Hintergreifen eines Frontelements (Stirnwand 2) der Innenlade ausgebildet. Der mitnehmende Vorsprung des Eingreifelements ist für ein Hintergreifen eines unvorbereiteten Abschnitts des Frontelements der Innenlade ausgebildet.

2.2 Der mitnehmende Vorsprung des Eingreifelements ist dabei einstückig mit dem Rest des Eingreifelements und dem Betätigungselement ausgebildet und kann durch Betätigen des Betätigungselements in vertikaler Richtung im Gehäuse verschoben werden. Der mitnehmende Vorsprung (auch als Mitnahmevorsprung bezeichnet) ist aber gegenüber dem Eingreifelement weder einstellbar, noch fixierbar.

2.3 Anspruch 1 in der geltenden Fassung verlangt jedoch, dass "eine Position des Mitnahmevorsprungs ... am Eingreifelement einstellbar und fixierbar" ist.

2.4 Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher neu gegenüber D2.

3. Die Prüfungsabteilung hat in ihrer Entscheidung das Dokument D2 als neuheitsschädlich angesehen.

3.1 Dabei argumentiert sie in ihrer Entscheidung unter Punkt 2.1 der Entscheidungsgründe, dass die Formulierung "wobei eine Position des Mitnahmevorsprungs .... am Eingreifelement einstellbar und fixierbar ist" zu interpretieren sei als "wobei eine Position des Mitnahmevorsprungs des Eingreifelements einstellbar und fixierbar ist".

3.2 Zu dieser Interpretation kommt sie im Lichte der Beschreibung des in den Figuren 1 - 7 gezeigten Ausführungsbeispiels, bei dem das Bauteil mit Referenzzeichen 13 als "Eingreifelement" bezeichnet wird und mit dem Mitnahmevorsprung (Referenzzeichen 16) einstückig ausgebildet ist. Der Mitnahmevorsprung muss somit im Verständnis der Prüfungsabteilung zusammen mit dem Eingreifelement (Referenzzeichen 13) nur in einer nicht näher definierten Art und Weise einstellbar und fixierbar sein, was auf jedes an einer Oberfläche befestigtes Bauteil zutrifft.

3.3 Die Beschwerdekammer teilt dieses Verständnis jedoch nicht, da diese Interpretation der im allgemeinen Teil der Beschreibung auf Seite 3, dritter Absatz gegebenen Erklärung widerspricht, wie die Position des Mitnahmevorsprungs am Eingreifelement einstellbar und fixierbar ausgebildet sein kann:

"Zum Beispiel ist an einem Entriegelungsorgan ein Mitnahmeteil mit Mitnahmevorsprung verschiebbar, vorzugsweise über ein Langloch, fixierbar. Die Fixierung kann z. B. mit einer Schraube erfolgen. Damit kann nach einer Montage der Vorrichtung an der Innenseite einer Frontblende eine Anpassung der Position des Mitnahmevorsprungs auf eine Wanddicke des Frontelements der Innenlade leicht angepasst werden."

3.4 Die oben genannte Formulierung in Anspruch 1 kann daher nach Auffassung der Beschwerdekammer nur interpretiert werden als "wobei eine Position des Mitnahmevorsprungs gegenüber dem Eingreifelement einstellbar und fixierbar ist".

4. Dies führt zwar dann dazu, dass das einzige verbleibende Ausführungsbeispiel, das die Erfindung zeigt, eine nicht hierzu passende Terminologie bei der Beschreibung der Einstellbarkeit des Mitnahmevorsprungs der dort gezeigten Vorrichtung verwendet. Dieser Widerspruch ist aber aus den folgenden Gründen nicht maßgeblich:

4.1 Dem Fachmann ist beim Lesen der Beschreibung des Ausführungsbeispiels der Figuren 1 - 7 klar, dass das in der Beschreibung des Ausführungsbeispiels als "Eingreifelement" bezeichnete Bauteil mit Referenzzeichen 13 nicht dem Eingreifelement im Sinne des Anspruchs entsprechen kann, sondern höchstens der horizontale Abschnitt des winkelförmigen Bauteils mit den Schenkeln mit den Referenzzeichen 11 und 12.

4.2 Dem Fachmann erschließt sich dabei unmittelbar, dass die von Anspruch 1 verlangte Einstellbarkeit und Fixierbarkeit des Mitnahmevorsprungs durch das Langloch (14) und die Schraube (15) erzielt werden kann, wie es ja dann auch auf Seite 8, dritter Absatz der Beschreibung explizit erklärt wird:

"Zur Montage des Eingreifelements 13 besitzt der Schenkel 12 ein Langloch 14, durch das eine Schraube 15 greift, die in das Eingreifelement 13 eingeschraubt ist. Über das Langloch 14 lässt sich das Eingreifelement 13 am Schenkel 12 verschieben und auf eine Dicke d eines Frontelements 5, 7 oder 8 abstimmen. Dazu wird das Eingreifelement 13 am Schenkel 12 so positioniert, dass ein Vorsprung 16 des Eingreifelements 13 passgenau hinter eine innenliegenden Kante 17 des Frontelements 5, 7 oder 8 einhaken kann."

4.3 Da das Ausführungsbeispiel eine in diesem Punkt andere Terminologie im Vergleich zum Anspruch verwendet, liegt hier zwar ein geringfügiger Widerspruch zwischen Anspruch und Beschreibung vor, der aber nicht die allgemeine Definition auf Seite 3, dritter Absatz der Beschreibung außer Kraft setzen kann. Der Fachmann erkennt diesen Widerspruch zudem auch sofort und würde ihn dahingehend auflösen, dass er den Schenkel (12) als Referenz für die Einstellbarkeit und Fixierbarkeit des Mitnahmevorsprungs identifiziert, so dass zwangsläufig nur der Schenkel (12) als das Eingreifelement im Sinne des Anspruchs zu verstehen ist.

5. Die Prüfungsabteilung verwendet in einer weiteren Argumentationslinie eine Interpretation der Bauteile von D2, bei der das Gehäuse (9) als bewegbares Eingreifelement im Sinne des Anspruchs verstanden wird.

5.1 Diese Interpretation kann die Beschwerdekammer aber nicht teilen, da aus dem Kontext des Anspruchs, aber auch der vollständigen Anmeldung klar wird, dass das bewegbare Eingreifelement dazu dient, einen Eingriff mit der Innenlade herzustellen. Das Gehäuse der D2 kann diese Funktion aber eindeutig und zweifelsfrei nicht erfüllen, so dass die Interpretation der Prüfungsabteilung nicht haltbar ist.

5.2 Der Anspruch einer Anmeldung muss dabei immer mit dem Willen gelesen werden, ihn zu verstehen. Eine "Umdeutung" von Bezeichnungen und Funktionen von Bauteilen, die nur dazu dient, den zu prüfenden Anspruch auf den vorliegenden Stand der Technik zu lesen ist dabei kein adäquates Vorgehen, dass diesem Grundsatz entspricht.

6. Die Beschwerdekammer kommt daher zu der Schlussfolgerung, dass D2 nicht als neuheitsschädlich anzusehen ist, unabhängig davon, welche der beiden von der Prüfungsabteilung vertretenen Interpretationen des Wortlauts von Anspruch 1 man verwendet.

7. Auch kein weiteres Dokument des Standes der Technik gemäß Recherchenbericht zeigt eine einstellbare und fixierbare Position des Mitnahmevorsprungs am Eingreifelement, so dass die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gegenüber dem im Recherchenbericht genannten Stand der Technik gegeben ist (Artikel 54 EPÜ).

8. Nachdem der Stand der Technik überhaupt kein Eingreifelement mit justierbar daran angeordnetem Mitnahmevorsprung offenbart, kann das Kennzeichen des Anspruchs 1 auch nicht von einer Kombination von Dokumenten aus dem Recherchenbericht nahegelegt werden (Artikel 56 EPÜ).

9. Die vom Beschwerdeführer neu vorgelegte Beschreibung erfüllt auch alle formellen Anforderungen (insbesondere Regel 42 EPÜ).

10. Der oben aufgeworfene Widerspruch in der Terminologie der Bauteile zwischen Beschreibung und Ansprüchen kann akzeptiert werden, da der Fachmann - wie oben ausgeführt - den Widerspruch ohne Schwierigkeiten erkennen und lösen kann. Ein relevanter, die Patententierbarkeit verhindernder Mangel unter Artikel 84 liegt dabei nicht vor.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen mit der Anweisung, ein Patent auf Basis der folgenden Unterlagen zu erteilen:

Ansprüche |Nr. 1 - 15 eingereicht mit Schreiben vom 11. Februar 2020|

Beschreibung|Seiten 1 - 12 eingereicht mit Schreiben vom 11. Februar 2020|

Zeichnungen |Blätter 1/6-6/6 ursprüngliche Fassung |

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