European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2021:T213718.20210212 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 12 Februar 2021 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 2137/18 | ||||||||
Anmeldenummer: | 05817729.6 | ||||||||
IPC-Klasse: | D21H21/10 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
Download und weitere Informationen: |
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zur Herstellung von Papier, Pappe und Karton | ||||||||
Name des Anmelders: | BASF SE | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Kemira Oyj | ||||||||
Kammer: | 3.3.06 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit (Hauptantrag und Hilfsanträge 1 bis 4 ) : (nein) Erfinderische Tätigkeit - naheliegende Änderung eines bekannten Verfahrens (Hilfsantrag 6) : (ja) Erfinderische Tätigkeit - nicht naheliegende Änderung eines bekannten Verfahrens Zulässigkeit des Hilfsantrags 5 : (nein) - eingereicht nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung - räumt die Bedenken der Kammer nicht aus Zulässigkeit des Hilfsantrags 6 : (ja) - eingereicht nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung - prima facie gewährbar Unzulässige Änderung (Hilfsantrag 6) : (nein) Ausreichende Offenbarung (Hilfsantrag 6) : (ja) Änderung verursacht von Einspruchsgründen (Anspruch 3 des Hilfsantrags 6) : (ja) Zulässigkeit von Dokumenten eingereicht mit der Beschwerdebegründung : (ja) - eingereicht als Reaktion zur Entscheidung der Einspruchsabteilung und sehr relevant Zulässigkeit von einem von der Einspruchsabteilung nicht zugelassenen Dokument : (ja) - sehr relevant in Kombination mit den anderen neu eingereichten Dokumenten Zulässigkeit von Versuchen eingereicht mit der Beschwerdebegründung : (nein) - nicht vegleichbar mit den Versuchen des Streitpatents Neue Angriffslinie für die erfinderische Tätigkeit - nicht zugelassen : im Einspruchsverfahren nicht vorgebracht |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 1 831 459 zurückzuweisen.
II. Mit ihrer Beschwerdebegründung hat die Einsprechende (die Beschwerdeführerin) Einwände unter Artikel 100(a), (b) und (c) EPÜ vorgebracht und sich unter anderem auf folgende Entgegenhaltungen gestützt:
D1: US 6 103 065 A
D3: Papermaking Science and Technology: Book 4, Chapter 3, "Retention and Drainage", 1999, Seiten 42-63
D4: Papermaking Science and Technology: Book 8, Chapter 5, 2000, Seiten 128, 129, 155 und 156
D10: WO 99/43887
D12: WO 00/17450 A1
D16: R. Lai et al., "More effective retention system through new mixing technology and optimized residence time of the chemicals" Proc. 7th Int. Conf. on New Available Technologies, Juni 4-6, 2002, Seiten 201-205
D17: Data Blatt Eka PL 1510, 01.03.2000
D17T: Englische Übersetzung von D17
D20: Zhao et al. "Replacement of softwood kraft pulp with ECF-bleached bamboo kraft pulp in fine paper", BioResources 5(3), 1733-1744, 2010
D21: WO 98/01623 A1
D22: Declaration of A. de Beer (5. November 2018)
D23: Declaration of M. Hietaniemi (7. November 2018)
D24: Vergrößertes Foto der Figur 2 aus D16
D25: P. Lamminen et al., "Investigation of a new type of retention aid mixer", Paperi ja Puu, Januar 2005
D26: Eingaben der Patentinhaberin vom 9. August 2010 und 24. Oktober 2012
D27: Declaration of M. Hietaniemi (7. November 2018)
D28: Einspruchsbegründung gegen EP 1 529 133.
III. Die Beschwerdegegnerin (auch Patentinhaberin) hat mit ihrer Erwiderung das Patent in der erteilten Fassung verteidigt sowie vier Hilfsanträge eingereicht. Außerdem hat sie beantragt, die Entgegenhaltungen D17T und D20 bis D28 zum Verfahren nicht zuzulassen.
IV. In Erwiderung auf die Kammermitteilung hat die Beschwerdegegnerin mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2020 zwei weitere Hilfsanträge eingereicht.
V. In der mündlichen Verhandlung vom 12. Februar 2021 wurden insbesondere die erfinderische Tätigkeit ausgehend aus D16 und die Zulässigkeit der Entgegenhaltungen D17T, D20 bis D28 sowie der Hilfsanträge 5 und 6 diskutiert.
Die endgültigen Anträge der Parteien waren wie folgt:
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents. Ferner beantragte sie, die spät eingereichten Hilfsanträge 5 und 6 nicht zuzulassen.
Die Beschwerdegegnerin beantragte als Hauptantrag die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents im Umfang eines der Hilfsanträge 1 bis 4, eingereicht mit Schreiben vom 22. März 2019, oder der Hilfsanträge 5 oder 6, eingereicht mit Schreiben vom 11. Dezember 2020. Ferner beantragte sie, die D17T und D20 bis D28 zum Verfahren nicht zuzulassen.
VI. Anspruch 1 wie erteilt hat folgenden Wortlaut:
"1. Verfahren zur Herstellung von Papier, Pappe und Karton durch Zugabe eines Mikropartikelsystems bestehend aus mindestens einem kationischen polymeren Retentionsmittel mit einer Molmasse Mw von mindestens 2 Millionen und einer feinteiligen anorganischen Komponente zu einem Papierstoff mit einer Stoffdichte von höchstens 20 g/1 und Entwässern des Papierstoffs, wobei der Papierstoff vor oder nach der Zugabe des kationischen polymeren Retentionsmittels mindestens einer Scherstufe unterworfen wird, dadurch gekennzeichnet, dass man das kationische polymere Retentionsmittel an mindestens zwei Stellen in den Papierstoff und die feinteilige anorganische Komponente vor oder nach der Zugabe der Retentionsmittel dosiert, wobei man als feinteilige anorganische Komponente des Mikropartikelsystems mindestens einen Bentonit, kolloidale Kieselsäure, Silikate, Calciumcarbonat oder deren Mischungen einsetzt."
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 unterscheidet sich von dem erteilten Anspruch 1 durch die Änderung (hervorgehoben durch die Kammer): "...und die feinteilige anorganische Komponente [deleted: vor oder] nach der Zugabe der Retentionsmittel dosiert..."
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 unterscheidet sich von dem gemäß Hilfsantrag 1 dadurch, dass das kationische polymere Retentionsmittel eine Molmasse Mw von mindestens 3 Millionen aufweist.
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 unterscheidet sich vom Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 dadurch, dass das kationische polymere Retentionsmittel ein Polyacrylamid ist und eine Molmasse Mw von mindestens 5 Millionen und eine Ladungsdichte von 0,1 bis 3,5 meq./g. aufweist.
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 unterscheidet sich vom Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 dadurch, dass die Molmasse des Polyacrylamids als mittlere Molmasse gekennzeichnet ist.
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 unterscheidet sich vom erteilten Anspruch 1 durch die zusätzlichen Merkmale: "... wobei der Abstand zwischen dem Mittelpunkt der Dosierstellen der Retentionsmittel mindestens 50 cm und der Abstand zwischen dem Mittelpunkt einer Dosierstelle für Retentionsmittel und dem Mittelpunkt einer Dosierstelle für die feinteilige anorganische Komponente mindestens 50 cm beträgt."
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 6 lautet wie folgt:
"1. Verfahren zur Herstellung von Papier, Pappe und Karton durch Zugabe eines Mikropartikelsystems bestehend aus mindestens einem kationischen Polyacrylamid Retentionsmittel mit einer mittleren Molmasse Mw von mindestens 5 Millionen und einer Ladungsdichte von 0,1 bis 3,5 meq./g, und einer feinteiligen anorganischen Komponente zu einem Papierstoff mit einer Stoffdichte von höchstens 20 g/l und Entwässern des Papierstoffs, wobei der Papierstoff vor oder nach der Zugabe des kationischen polymeren Retentionsmittels mindestens einer Scherstufe unterworfen wird, dadurch gekennzeichnet, dass man das kationische polymere Retentionsmittel an mindestens zwei Stellen in den Papierstoff und die feinteilige anorganische Komponente nach der Zugabe der Retentionsmittel dosiert, wobei man als feinteilige anorganische Komponente des Mikropartikelsystems mindestens einen Bentonit, kolloidale Kieselsäure, Silikate, Calciumcarbonat oder deren Mischungen einsetzt,
wobei der Abstand zwischen dem Mittelpunkt der Dosierstellen der Retentionsmittel mindestens 50 cm und der Abstand zwischen dem Mittelpunkt einer Dosierstelle für Retentionsmittel und dem Mittelpunkt einer Dosierstelle für die feinteilige anorganische Komponente mindestens 50 cm beträgt."
Die abhängigen Ansprüche 2 bis 10 beziehen sich auf besondere Ausgestaltungen des beanspruchten Verfahrens.
Entscheidungsgründe
Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit
1. Das Streitpatent (Absatz [0001]) betrifft ein Verfahren zur Herstellung von Papier, Pappe und Karton durch Zugabe eines Mikropartikelsystems aus einem polymeren Retentionsmittel mit einer Molmasse Mw von mindestens 2 Millionen und einer feinteiligen anorganischen Komponente zu einem Papierstoff mit einer Stoffdichte von höchstens 20 g/l und Entwässern des Papierstoffs.
1.1 Aus der Beschreibung des Streitpatents (Absatz [0015]) ist zu entnehmen, dass bei den bekannten Herstellungs-verfahren verschiedene Nachteile auftreten. Zum Beispiel können die eingesetzten Mikropartikelsysteme den geforderten Ansprüchen an Formation und Füllstoff- bzw. Feinstoffretention nicht gerecht werden.
1.2 Daher setzt sich das Patent das Ziel (Absatz [0016]), ein weiteres Verfahren zur Herstellung von Papier, Pappe und Karton unter Verwendung eines Mikropartikelsystems zur Verfügung zu stellen, das im Vergleich zu den bekannten Verfahren eine bessere Retention und Papiere erhält, die eine verbesserte Formation aufweisen.
2. Nächstliegender Stand der Technik
2.1 Die Beschwerdeführerin hat D1, D12, D16 und D21 (D21 wurde von der Einspruchsabteilung nicht zugelassen) als möglichen nächstliegenden Stand der Technik vorgeschlagen.
2.2 D12 wurde weder im Einspruchsverfahren noch von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer als nächstliegender Stand der Technik genannt. Somit hat die Kammer keinen Grund von ihrer vorläufigen Meinung abzuweichen, dass die erstmals in der Beschwerde aus D12 vorgebrachte Angriffslinie nicht in das Verfahren zuzulassen ist (Artikel 12(4) VOBK 2007).
2.3 D1 (Spalte 3, Zeilen 28-32) verfolgt das Ziel, ein Verfahren zur Verfügung zu stellen, das - im Vergleich zu den konventionellen Bentonit einsetzenden Verfahren - weniger Polymer und eine Scherstufe weniger braucht und bei dem die Entwässerung verbessert wird.
D21 (Seite 1, Zeilen 38-40) setzt sich als Ziel die Entwässerungsgeschwindigkeit und damit die Produktionsgeschwindigkeit bei der Papierherstellung weiter zu erhöhen.
Somit verfolgen diese Entgegenhaltungen andere Ziele als das Streitpatent und sind als Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ungeeignet. Es ist daher nicht erforderlich, über die von der Beschwerdegegnerin beanstandete Zulässigkeit der D21 zu entscheiden.
2.4 Die Entgegenhaltung D16, die in der angefochtenen Entscheidung als möglicher nächstliegender Stand der Technik berücksichtigt wurde, betrifft (Seite 201, linke Spalte) die Bereitstellung eines verbesserten Verfahrens zur Herstellung von Papier, in dem Mischung, Verdünnung und Dosierung eines Mikropartikelsystems (polymeres Retentionsmittels und feinteiliger anorganischen Komponente) optimiert werden, um eine bessere Retention zu erhalten. Der Zusammenhang von Formation und Retention in Abhängigkeit der Dosierungsstelle und eine mögliche Verbesserung der Formation wird in D16 auch angesprochen (Seite 203 inklusiv Figur 4 und Seite 205, rechte Spalte, letzte zwei Zeilen).
Daher verfolgt die D16 das gleiche Ziel wie das Streitpatent und stellt somit einen geeigneten Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit dar. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer haben übrigens beide Parteien ausschließlich D16 als nächstliegenden Stand der Technik berücksichtigt.
3. Unterschiede zum nächstliegenden Stand der Technik
3.1 D16 offenbart (Seite 202, Figur 1) ein Verfahren zur Herstellung von Papier, in dem ein Mikropartikelsystem bestehend aus dem Retentionsmittel Eka PL 1510 (ein kationisches Polyacrylamid, abgekürzt C-PAM) und einer feinteiligen anorganischen Komponente (Kolloidales Silika Eka NP 320) zu einem Papierstoff vor dem Stoffauflauf dosiert wird. D16 (Seite 203, Figur 3 und rechte Spalte, Zeilen 8-12; Seite 204, Figur 6) offenbart außerdem, dass das C-PAM in dem bevorzugten Versuch 6 Sekunden vor dem Stoffauflauf bzw. die feinteilige anorganische Komponente 3 Sekunden vor dem Stoffauflauf dosiert werden. Die Dosierung des C-PAM zum Papierstoff erfolgt außerdem nach dem letzten Screen und durch den Einsatz eines RetaMix Mischers (D16: Seite 202, Figur 1 und rechte Spalte sowie Seite 203, Figur 3 und rechte Spalte).
3.2 Die Beschwerdegegnerin hat vorgebracht, dass das beanspruchte Verfahren sich durch folgende Merkmale unterscheidet:
(a) das Retentionsmittel weist eine Molmasse von mindestens 2 Millionen auf;
(b) das Mikropartikelsystem wird zu einem Papierstoff mit einer Stoffdichte von höchstens 20 g/l zugegeben; und
(c) die Zugabe des Retentionsmittels erfolgt an zwei verschiedenen Stellen des Papierstoffs.
3.3 Zum Merkmal (a)
3.3.1 Die Molmasse (im Folgenden Mw) des C-PAM Eka PL 1510 ist in D16 nicht ausdrücklich offenbart. Die Beschwerdeführerin hat sich auf D17, D20, D22, D23 und D28 gestützt um zu beweisen, dass die Mw dieses Polymers mindestens 2 MDa sei.
3.3.2 Die Beschwerdegegnerin hat die Zulässigkeit der Dokumenten D22, D23 und D28 sowie des bereits von der Einspruchsabteilung nicht zugelassenen D20 beanstandet.
Die Kammer stellt fest, dass in der angefochtene Entscheidung sowohl den spät vorgebrachten Einwand der mangelnden Neuheit aufgrund der D16 (die zugelassen wurde) als auch den der mangelnden erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D16 abgehandelt wurde. Das auf D17 und D20 gestützte Vorbringen der Einsprechenden wurde jedoch nicht akzeptiert und die Offenbarung der Mw von Eka PL 1510 in D20 auch nicht berücksichtigt. Gemäß Einspruchsabteilung stellte D20 keinen Stand der Technik dar, da sie erst im Jahr 2010 offenbart wurde, und somit wurde diese verspätet eingereichte Entgegenhaltung nicht zum Verfahren zugelassen.
Infolgedessen hat die Beschwerdeführerin mit der Beschwerdebegründung versucht, ihre von der Einspruchsabteilung als unzureichend bewertete Beweisführung durch die Einreichung der Erklärung D22, die sich auch auf D20 und D17 bezieht, der Erklärung D23 und der Eingaben D28 in einem anderen Einspruchsverfahren zu stützen.
Die Kammer stellt fest, dass diese Entgegenhaltungen eindeutig als Reaktion auf die angefochtene Entscheidung eingereicht wurden. Zudem wurde dadurch kein neues Argument vorgebracht, sondern das bereits vor der Einspruchsabteilung vorgebrachte Argument untermauert, dass Eka PL 1510 am Veröffentlichungsdatum der D16 (2002) eine Mw von mindestens 2 MDa aufwies.
Für die Kammer sind somit D22, D23 und D28 sehr relevant und die in der D20 enthaltende technische Information wird damit durch die D22 gestützt. D20 ist somit ebenfalls sehr relevant.
Daher hat die Kammer entschieden, die D20, D22, D23 und D28 unter Artikel 12(4) VOBK 2007 zum Verfahren zuzulassen.
Die eingereichte Übersetzung D17T ist jedoch nicht nötig, um den relevanten Inhalt von D17 zu verstehen. Somit ist ihre Zulässigkeit nicht entscheidend.
3.3.3 In der D22 (Punkte 8 und 15) wird von Herrn De Beer bestätigt, dass Eka PL 1510 eine C-PAM mit sehr hoher Mw ist, die außerdem seit dem Jahr 2000 der Öffentlichkeit zugänglich war (D17) und eine Mw höher als 5 MDa aufweist. Zudem ist aus der D22 (Punkte 3 und 4) zu entnehmen, dass dieses Polymer von SNF unter der Kennzeichnung FO 4190 PG1 an Eka Chemicals (jetzt Kemira Oyj) geliefert wurde. In diesem Zusammenhang ist aus der Anlage A (Jahr 2010) zu entnehmen, dass FO 4190 PG1 eine Mw von 6 bis 7,9 MDa und eine UL Viskosität von 3,6-4,1 aufweist. Aus der Anlage D (aus dem Jahr 2007) ist auch ersichtlich, dass FO 1490 PG1 eine Mw von 6 bis 8 MDa aufweist. Zudem wird festgestellt (Punkt 14 der D22), dass die in D20 (Jahr 2010) offenbarte Mw (5,5-5,7 MDa) ungefähr 6 MDa und daher im Einklang mit den Angaben in den anderen Anlagen sei.
In D23 wird zusätzlich von Herrn Hietaniemi bestätigt, dass Polymere wie Eka PL 1510 zwingend eine Mw von mindestens 4 MDa aufweisen (Punkt 3). In D23 wird auch die Mw des Polymers Eka PL 1510 aus seiner UL Viskosität (3,60-4,50) berechnet. Die berechnete Mw ist im Bereich von 6,6 bis 7,8 MDa.
D28 (Punkt 2.2.1) behauptet, dass die Mw von Eka PL 1510 in D16 ungefähr 5MDa sei und bestätigt, dass seine gemessene UL Viskosität im Bereich von 3,55 bis 3,92, und somit im Einklang mit den Angaben in D22 und D23 ist.
Zusammenfassend ist aus diesen Beweismitteln somit zumindest glaubhaft, dass ab dem Jahr 2007 das vermarktete Produkt Eka PL 1510 eine Mw von ungefähr 6 MDa aufwies.
3.3.4 Und auch wenn die Mw und die UL Viskosität des Polymers Eka PL 1510 im Laufe der Jahre nicht konstant geblieben sind, ist die Kammer aufgrund der eingereichten Beweismittel davon überzeugt, dass dieses durchgehend unter dem gleichen Name von der gleichen Firma vermarktete Polymer am Veröffentlichungsdatum der D16 (Jahr 2002) eine unter 2MDa - und somit von D20, D22, D23 und D28 eine extrem niedrige und abweichende Mw (und daher auch ganz andere Eigenschaften) - nicht aufweisen konnte. Das Merkmal (a) ist somit implizit aus der D16 zu entnehmen.
3.4 Zum Merkmal (b)
3.4.1 Aus der D16 ist eindeutig zu entnehmen, dass der Papierstoff, zu dem die Zugabe des Retentionsmittels erfolgt, kein Dickstoff ist, da aus der Figur 1 der D16 ersichtlich ist, dass der Dickstoff in dem Lobemix Mischer durch recyceltes Siebwasser (whitewater) verdünnt wird, während das dem Retamix zugefügte Siebwasser nur zur Verdünnung des Retentionsmittels und nicht des Papierstoffs dient. Zudem erfolgt die Zugabe des Retentionsmittels in den Retamix Mischer zwischen dem letztem Screen und dem Stoffauflauf. Daher konnte der Papierstoff zu diesem Zeitpunkt kein Dickstoff mehr sein. Jedoch wird in D16 nicht ausdrücklich offenbart, welche Dichte dieser besitzt, bzw. ob der Wert von 20g/l überschritten wird oder nicht.
3.4.2 Und auch wenn - wie von der Beschwerdeführerin behauptet und von der Beschwerdegegnerin im Laufe des Verfahrens zumindest angedeutet wurde - ein Dünnstoff normalerweise eine Dichte unter 20 g/l aufweist, ist aus der D16 (die eine Versuchsanlage darstellt) nicht eindeutig zu entnehmen, dass die Dichte des Papierstoffs zum Zeitpunkt der Zugabe des Retentionsmittels tatsächlich die eines gewöhnlichen Dünnstoffs in einem kommerziellen Verfahren zur Herstellung von Papier ist.
Die Beschwerdeführerin hat auch keinen Beweis vorgebracht, dass die Dichte des Papierstoffes in D16 zwingend im Bereich des Anspruchs 1 liegen muss.
Daher offenbart D16 nicht, dass die Zugabe des kationischen polymeren Retentionsmittels zu einem Papierstoff mit einer Dichte nicht höher als 20 g/l erfolgt. Das Merkmal (b) ist daher in D16 nicht offenbart.
3.5 Zum Merkmal (c)
3.5.1 Aus der D16 (Textstelle unter der Figur 2 auf Seite 203) ist eindeutig zu entnehmen, dass das Retentionsmittel aus mehreren Dosierungslöchern des RetaMix Mischers zugespeist wird. Die Figur 10 (Seite 205) offenbart außerdem, dass von der Hauptleitung, aus der das verdünnte Retentionsmittel zugespeist wird, mindestens zwei Nebenleitungen abzweigen, die das Retentionsmittel an verschiedenen Punkten des Mischers und daher des durch den Mischer strömenden Papierstoffs dosieren. Es ist zudem aus dem rechten Teil der Figur 10 zu entnehmen, dass sich das links abgebildete Dosierungsschema durch den gesamten Querschnitt des strömenden Papierstoffs wiederholt. Daher wird das Retentionsmittel zwingend an verschiedenen Stellen des Papierstoffes zugegeben. Der Anspruch 1 erfordert in dieser Hinsicht nicht, dass das Retentionsmittel unverdünnt zugegeben werden soll.
Die Kammer kann auch dem Argument nicht folgen, dass die Zugabe zum RetaMix als eine einzige Dosierungsstelle zu betrachten sei. In der Tat ist der Anspruch 1 nicht auf die Zugabe an zwei hintereinander liegenden Stellen beschränkt, er umfasst jedoch die Zugabe an zwei in einer Ebene senkrecht zum Papierstoffstrom liegenden Stellen (wie im geltenden abhängigen Anspruch 3 definiert). Somit ist eine Zugabe des Retentionsmittels wie in D16 eindeutig umfasst und das Merkmal (c) eindeutig offenbart.
3.6 Infolgedessen ist es nicht erforderlich, auf die Dokumente D24, D25 und D26 einzugehen und über ihre Zulässigkeit zu entscheiden.
3.7 Für die Kammer offenbart D16 daher ein Verfahren, das sich von Anspruch 1 dadurch unterscheidet, dass die Dichte des Papierstoffs, zu dem das Retentionsmittel dosiert wird, nicht zwangsläufig höchstens 20 g/l ist.
4. Die zugrundeliegende technische Aufgabe
4.1 Wie bereits oben dargestellt, ist aus der D16 (siehe Seite 203, linke Spalte und rechte Spalte Figur 4 sowie Seite 205, rechte Spalte, Punkt 4 und letzte zwei Zeilen) auch zu entnehmen, dass durch das offenbarte Verfahren sowohl die Retention wie auch die Formation verbessert werden können.
Das Streitpatent enthält jedoch keinen Vergleich mit dem Verfahren gemäß D16, noch macht es glaubhaft, dass die Einstellung der Dichte des Papierstoffs (Dünnstoffs) auf eine Dichte von höchstens 20 g/l zur Verbesserung der erwünschten Eigenschaften (Retention und Formation) beiträgt.
Die zugrundeliegende technische Aufgabe kann daher nur als die Bereitstellung eines weiteren Verfahrens zur Herstellung von Papier, Pappe und Karton unter Verwendung eines Mikropartikelsystems zum Erzielen einer guten Retention und Formation formuliert werden. Für die Kammer ist diese Aufgabe durch das beanspruchte Verfahren glaubhaft gelöst worden.
5. Die naheliegende Lösung
5.1 Wie bereits oben erläutert, erfolgt die Zugabe des Retentionsmittels in D16 zu einem verdünnten Dickstoff (und somit einem "Dünnstoff") zwischen dem letzten Screen und dem Stoffauflauf.
Zudem war es allgemeines Fachwissen, dass in einer Papiermaschine ein Screen verwendet wird, um einen Dünnstoff zu sieben bzw. dass die Zugabe eines Retentionsmittels nach dem letzten Screen und vor dem Stoffauflauf zu einem Dünnstoff erfolgt (siehe zum Beispiel D1, Spalte 1, Zeilen 46-53; D3, Seite 61, Figur 9; D4, Seiten 128-129, Figur 3 oder D12, Seite 8, Zeilen 10-31).
Es war daher für den Fachmann naheliegend, beim Einsatz der in D16 dargestellten Testanlage (Figur 1) unter praxisnahen Bedingungen die Dichte des Papierstoffs, zu dem das C-PAM Retentionsmittel nach dem Screen und vor dem Stoffauflauf zugegeben wird, auf die üblichen Werte eines Dünnstoffs in einer Papiermaschine einzustellen.
5.2 Aus dem zitierten Stand der Technik (D1, Spalte 1, Zeilen 47-49) ist diesbezüglich zu entnehmen, dass ein Dünnstoff normalerweise eine Dichte unter 20 g/l aufweist, wie auch von der Beschwerdeführerin erklärt.
Daher ist die Kammer davon überzeugt, dass es für den Fachmann naheliegend war, die Dichte des Dünnstoffs in D16 in diesem Bereich einzustellen und zum beanspruchten Verfahren zu gelangen.
5.3 Somit beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 wie erteilt nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Hilfsantrag 1 - erfinderische Tätigkeit
6. Anspruch 1 gemäß diesem Antrag unterscheidet sich von dem des Hauptantrags dadurch, dass die feinteilige anorganische Komponente nach der Zugabe des kationischen polymeren Retentionsmittels dosiert wird.
6.1 Da dieses zusätzliche Merkmal bereits aus der D16 (Seite 203, linke Spalte, Figur 3 und rechte Spalte, Zeilen 7-10) bekannt war, in dem das kolloidale Silika bei 3 Sekunden vor dem Stoffauflauf und nach dem C-PAM dosiert wird, entspricht der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 auch nicht den Erfordernissen des Artikels 56 EPÜ.
Hilfsantrag 2 - erfinderische Tätigkeit
7. Anspruch 1 gemäß diesem Antrag unterscheidet sich von dem des Hilfsantrags 1 dadurch, dass kationische polymere Retentionsmittel eine Mw von mindestens 3 MDa aufweisen.
7.1 Aus den gleichen Gründen wie der Hauptantrag (Punkte 3.3.3-3.3.4) ist die Kammer davon überzeugt, dass das C-PAM von D16 zweifelsfrei eine Mw von mindestens 3 Mda aufweist.
7.2 Da das zusätzliche Merkmal des Anspruchs 1 bereits aus der D16 implizit bekannt war, beruht der Anspruch 1 dieses Antrags somit auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Hilfsanträge 3 und 4 - erfinderische Tätigkeit
8. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 unterscheidet sich von dem des Hilfsantrags 2 dadurch, dass das kationische polymere Retentionsmittel ein Polyacrylamid mit einer Mw von mindestens 5 MDa und eine Ladungsdichte von 0,1 bis 3,5 meq/g ist.
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 unterscheidet sich zusätzlich dadurch, dass die Molmasse Mw als mittlere Molmasse gekennzeichnet wird.
8.1 Die Kammer stellt fest, dass die Ladungsdichte des C-PAM Eka PL 1510, wie in D23 berechnet oder in D28 getestet, zweifelsfrei im beanspruchten Bereich liegt. Demgegenüber zeigen die Dokumente D20, D22, D23 und D28 verschiedene Molmassen für das Eka PL 1510, wobei manche sogar in der Nähe von 5 MDa liegen können (siehe z.B. D22, Punkt 15 und D28). D23 (Punkt 3) bestätigt außerdem, dass solche Polymere üblicherweise mindestens 4 MDa aufweisen.
Aus diesen Beweismitteln ist somit nicht zweifelsfrei zu entnehmen, dass das in D16 (im Jahr 2002) eingesetzte C-PAM eine Mw von mindestens 5 MDa aufwies.
Somit ist die Mw von mindestens 5 MDa des verwendeten C-PAM als ein weiteres Unterscheidungsmerkmal des Anspruchs 1 zu bewerten.
8.2 Das Streitpatent zeigt jedoch weder einen Vorteil gegenüber D16, noch einen Vorteil gegenüber dem Einsatz eines Polymers mit einer Mw größer als 2 oder 3 MDa wie z.B. das Polymer Eka PL 1510 der D16.
8.3 Die zugrundeliegende technische Aufgabe ist daher weiter wie im Punkt 4.1 zu formulieren.
8.4 In dieser Hinsicht war aus dem Stand der Technik (vgl. D1, Beispiel 2, Polymer B) bereits ein Verfahren bekannt, in dem ein Mikropartikelsystem enthaltend ein hochmolekulares C-PAM mit einer Mw von ungefähr 5 MDa und einer Ladungsdichte von 1.8 meq./g. und kolloidales Silika zu einem Dünnstoff mit einer Dichte von 6 g/l (Spalte 7, Zeilen 27-36) zugegeben wird. Da die in D1 erwähnte Mw keinen numerischen Bereich darstellt, ist auch hier dieser Wert als mittlere Mw zu verstehen.
8.5 Somit ist die Kammer davon überzeugt, dass es für den Fachmann nahelag, ein wie in D1 offenbart ähnliches C-PAM, mit einer mittleren Mw von mindestens 5 MDa, in dem kolloidales Silika enthaltenden Mikropartikelsystem der D16 - statt des C-PAM Eka 1510 - auszuprobieren, um die gestellte technische Aufgabe zu lösen.
8.6 Daher beruht der Anspruch 1 der Hilfsanträge 3 und 4 auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Hilfsantrag 5 - Zulässigkeit
9. Der Anspruch 1 gemäß diesem Antrag ist eine Kombination der erteilten Ansprüche 1 und 9 und unterscheidet sich vom erteilten Anspruch 1 durch die weiteren Merkmalen: "...wobei der Abstand zwischen dem Mittelpunkt der Dosierstellen der Retentionsmittel mindestens 50 cm und der Abstand zwischen dem Mittelpunkt einer Dosierstelle für Retentionsmittel und dem Mittelpunkt einer Dosierstelle für die feinteilige anorganische Komponente mindestens 50 cm beträgt."
9.1 Der Hilfsantrag 5 wurde erst mit dem Schriftsatz vom 11. Dezember 2020 als Erwiderung auf die Kammermitteilung vom 9. Juli 2020 und nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 29. April 2020 eingereicht.
Diese Änderung des Beschwerdevorbringens nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung unterliegt den Vorschriften des Artikels 13(2) VOBK 2020, wonach solch eine Änderung grundsätzlich unberücksichtigt bleiben soll, es sei denn, dass der betreffende Beteiligte stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt hat, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.
9.2 Im vorliegendem Fall hat die Beschwerdegegnerin schriftlich und mündlich vorgebracht, dass der Antrag als Reaktion auf die vorläufige Meinung der Kammer eingereicht wurde, da die Kammer den erteilten Anspruch 1 anders als die Einspruchsabteilung ausgelegt, der Entscheidung der Einspruchsabteilung grundsätzlich nicht folgt und die von der Beschwerdeführerin erst mit der Beschwerdebegründung eingereichten Dokumente D17T und D20-D28 berücksichtigt hat.
9.2.1 Die Tatsache, dass die Kammer der angefochtenen Entscheidung nicht folgt, ist jedoch kein Grund, eine Änderung des Beschwerdevorbringens nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung - und somit zu einem extrem späten Zeitpunkt - einzureichen (siehe zum Beispiel T 2610/16, 3.3).
9.2.2 Jedoch hat die Kammer in ihrer vorläufigen Meinung den Wortlaut des Anspruchs 1 aufgrund des Wortlauts des erteilten abhängigen Anspruchs 12 so breit ausgelegt, dass das Mikropartikelsystem gemäß Anspruch 1 nicht nur das zitierte kationische polymere Retentionsmittel, sondern auch andere Klassen von anionischen oder nichtionischen polymeren Retentionsmitteln enthalten konnte. Daher war die Auslegung der Kammer breiter als die der Einspruchsabteilung, jedoch im Einklang mit den Ausführungen der Beschwerführerin in ihrer Beschwerdebegründung.
Zudem hat die Kammer in ihrer vorläufigen Meinung einige der von der Beschwerdeführerin mit der Beschwerdebegründung eingereichte Entgegenhaltungen (zum Beispiel D20, D22, D23, D28) berücksichtigt, welche der Offenbarung der D16 eine neue und entscheidende Relevanz verleihen.
Es ist in dieser Hinsicht zu bemerken, dass bis zur Zustellung der Kammermitteilung der Beschwerdegegnerin nicht bekannt war, ob für die Kammer die von der Beschwerdeführerin vorgeschlagene breitere Auslegung des Anspruchs 1 und/oder die neu eingereichten Dokumente relevant sein konnten.
9.2.3 Daher stimmt die Kammer der Beschwerdegegnerin zu, dass im vorliegenden Fall außergewöhnliche Umstände für die Einreichung weitere Anträge vorlagen.
Jedoch kann die Kammer bei der Ausübung ihres Ermessens auch die Eignung der Änderungen zur Lösung der von einem anderen Beteiligten im Beschwerdeverfahren in zulässiger Weise aufgeworfenen Fragen oder der von der Kammer selbst aufgeworfenen Fragen berücksichtigen, siehe Artikel 13(1) VOBK 2020 (siehe zum Beispiel T 709/16, 5.2-5.5)
9.3 Im Hilfsantrag 5 wurde der erteilte Anspruch 12 (jetzt Anspruch 9) abgeändert, in dem die nichtionischen und die anionischen PAM aus der Liste möglicher Retentionsmittel gestrichen wurden, welche Liste jedoch noch Poly(N-Vinylformamide) enthält, d.h. Polymere die sogar anionisch und amphoterisch sein können (Streitpatent: Seite 4, Zeilen 31-35).
Daher kann der Anspruch 1 nach Ansicht der Kammer nicht so ausgelegt werden, dass das Mikropartikelsystem nur die im Anspruch 1 erwähnten kationischen Retentionsmittel enthält, da noch weitere nicht kationische Retentionsmittel enthalten sein können. In dieser Hinsicht kann die Kammer dem Argument der Beschwerdegegnerin nicht folgen, dass der Fachmann beim Lesen des abhängigen Anspruchs 9 jegliche angebliche Unstimmigkeit mit dem Wortlaut des Anspruchs 1 ignorieren sollte und würde.
Es ist daher prima facie ersichtlich, dass die vorgebrachte Änderung die Bedenken der Kammer im Bezug auf die Auslegung des Anspruchs 1 nicht ausräumen kann.
9.3.1 Zudem enthält der geänderte Anspruch 1 auch keine Änderung in Bezug auf die Mw des verwendeten C-PAM und kann somit auch nicht als Reaktion zur Berücksichtigung der von der Beschwerdeführerin neu eingereichten Dokumente in Bezug auf die Mw des in D16 dargestellten C-PAM verstanden werden. Schließlich enthält der Anspruch 1 nicht die in den Hilfsanträgen 1 bis 4 vorgenommenen Änderungen und ist daher nicht konvergent.
9.4 Daher ist die Kammer zu dem Schluss gekommen, den Hilfsantrag 5 unter Artikel 13(2) VOBK 2020 zum Verfahren nicht zuzulassen.
Hilfsantrag 6 - Zulässigkeit
10. Der Hilfsantrag 6 wurde von der Beschwerdegegnerin zusammen mit dem Hilfsantrag 5 und aus den gleichen Gründen eingereicht.
10.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags 6 ist eine Kombination der Ansprüche 1 und 8 des Hilfsantrags 4 und enthält im Vergleich zum Hilfsantrag 4 die gleichen zusätzlichen Merkmale wie der Anspruch 1 des Hilfsantrags 5. Dieser Antrag ist daher enger als der Hilfsantrag 4 und daher auch konvergent.
10.2 Zudem ist der ursprüngliche erteilte Anspruch 12 in diesem Antrag auch nicht mehr vorhanden. Unter diesen Umständen besteht kein Grund für die Kammer, den Anspruch 1 breiter auszulegen, da der Wortlaut des Anspruchs 1 für sich erfordert, dass das Mikropartikelsystem nur aus der zitierten C-PAM Retentionsmittelklasse und der feinteiligen anorganischen Komponente besteht. Weitere Komponenten sind daher ausgeschlossen.
10.3 Zudem ist die Mw des C-PAM eingeschränkt, und somit kann dieser Antrag auch als Reaktion zur Berücksichtigung der neu eingereichten Dokumente verstanden werden, welche auch von der Kammer in ihrer vorläufigen Meinung berücksichtigt wurden und der D16 einer neuen Relevanz verliehen haben.
Es ist daher angemessen, diesen neuen Antrag der Beschwerdegegnerin zuzulassen, der auch prima facie allen Erfordernissen des EPÜ entspricht, wie im Folgenden dargestellt wird. Daher hat die Kammer entschieden, diesen Antrag zum Verfahren unter Artikel 13(2) VOBK zuzulassen.
Hilfsantrag 6 - Patentierbarkeit
11. Die Beschwerdeführerin hat gegenüber diesem Antrag ihre Einwände unter Artikel 123(2), 83 und 56 und Regel 80 EPÜ aufrechterhalten. In Bezug auf die Einwände unter Artikeln 123(2) und 83 EPÜ hat sie sich jedoch in der mündlichen Verhandlung ausschließlich auf ihr schriftliches Vorbringen gestützt.
12. Artikel 123(2) EPÜ - Anspruch 1
12.1 Die Kammer bemerkt, dass in der Beschwerdebegründung nur Einwände gegen den erteilten Anspruch 1 vorgebracht wurden. Diesbezüglich hatte die Kammer bereits in ihrer vorläufigen Meinung mitgeteilt, dass dieser Anspruch den Erfordernissen des Artikels 123(2) EPÜ entsprach.
12.2 Für die Kammer ist auch der geänderte Anspruch 1 dieses Antrags eindeutig von der ursprünglichen Beschreibung (Seite 3, Zeilen 19 bis 27; Seite 4, Zeilen 27-28; Seite 6, Zeilen 38 ff. und Seite 9, Zeilen 14-17) gestützt. Zudem stellt er keine willkürliche Auswahl aus verschiedenen Stellen der Beschreibung dar. Die beanspruchte Ausführungsform ist auch deutlich in den Beispielen dargestellt. Daher entspricht Anspruch 1 den Erfordernissen des Artikels 123(2) EPÜ.
13. Ausführbarkeit der Erfindung (Artikel 83 EPÜ)
13.1 Die Beschwerdeführerin hatte gegenüber dem Hauptantrag beanstandet, dass das Streitpatent und sein Anspruch 1 die Dimensionen des zur Papierherstellung eingesetzten Systems (Papiermaschine) nicht offenbaren bzw., wie in D27 gezeigt, dass ein Papier mit einem beliebigen System nicht immer herstellbar sei.
13.2 Zulässigkeit von D27
13.2.1 D27 ist ein experimenteller Bericht, der von der Beschwerdeführerin eingereicht wurde, um die Argumente bezüglich der Ausführbarkeit der Erfindung und der mangelnden erfinderischen Tätigkeit zu untermauern.
13.2.2 In D27 wurden Laborversuche durchgeführt, die die in einer Papiermaschine befindlichen Bedingungen simulieren sollten. Insbesondere wurden ein DDA (Dynamic Drainage Analyzer), ein DDJ (Dynamic Drainage Jar) und eine Laborblättermaschine eingesetzt.
Obwohl solche Laborversuche in der Papierindustrie standardmäßig sein können, wie von der Beschwerdeführerin behauptet, stellen sie jedoch nur eine Simulation eines in einer Papiermaschine ablaufenden Verfahrens dar und sind mit den im Streitpatent unter praxisnahen Bedingungen mit einer Versuchspapiermaschine mit GAP Form durchgeführten Versuchen nicht vergleichbar, sodass keine endgültige Aussage für oder gegen die im Streitpatent durchgeführten Versuche getroffen werden kann.
13.2.3 Wie in ihrer vorläufigen Meinung mitgeteilt, ist sich die Kammer daher mit der Beschwerdegegnerin einig, dass D27 prima facie weder die Ausführbarkeit des Streitpatents noch die Bedeutung der Ergebnisse der Versuche des Streitpatents in Bezug auf die Frage der erfinderischen Tätigkeit in Frage stellen können.
13.2.4 Daher hat die Kammer entschieden, diese nicht relevanten Versuche zum Verfahren nicht zuzulassen (Artikel 114(2) EPÜ und 12(4) VOBK 2007).
13.3 Obwohl Anspruch 1 keine spezifischen Dimensionen für die eingesetzte Papiermaschine vorschreibt, ist sowohl aus der Beschreibung des Streitpatents (Absätzen [0034] bis [0039] und [0047]), als auch aus seinen Beispielen zu entnehmen, dass das beanspruchte Verfahren mit einem gewöhnlichen System zur Papierherstellung durchgeführt werden kann.
13.3.1 Es ist daher irrelevant für die Frage der Ausführbarkeit, welche Dimensionen das eingesetzte System zur Papierherstellung aufweisen kann.
13.3.2 Die Kammer hat daher keinen Grund, von ihrer vorläufigen Meinung abzuweichen, dass angesichts der Offenbarung des Streitpatents der Fachmann in der Lage ist, die beanspruchte Erfindung auszuführen.
14. Regel 80 EPÜ - Anspruch 3
14.1 Anspruch 3 des Hilfsantrags 6 ist eine abgeänderte Version des erteilten Anspruchs 4, in dem der Wortlaut "in einer Ebene senkrecht zum Papierstoffstrom oder" gestrichen wurde.
Anspruch 3 lautet wie folgt (Änderungen hervorgehoben):
"3. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass man das Retentionsmittel vor der letzten Scherstufe an mindestens zwei Stellen zugibt, die [deleted: in einer Ebene senkrecht zum Papierstoffstrom oder] hintereinander angeordnet sind, und die feinteilige anorganische Komponente nach der letzten Scherstufe dosiert."
14.2 Die Beschwerdeführerin hat diese Änderung unter Regel 80 EPÜ beanstandet.
14.3 Die Kammer stellt fest, dass diese Änderung, wie im Schriftsatz der Beschwerdegegnerin vom 11. Dezember 2020 erklärt, durch die Abgrenzung des Anspruchs 1, dass der Abstand zwischen zwei Dosierungsstellen des Retentionsmittels mindestens 50 cm betragen muss, bedingt ist.
14.4 Zudem bringt diese Änderung den beanspruchten Gegenstand in Einklang mit den Ausführungsbeispielen, in denen die Zugabe des Retentionsmittels nur an zwei hintereinander liegenden Stellen erfolgt und kann somit als Abgrenzung gegenüber der gegen die erfinderische Tätigkeit zitierten D16 verstanden werden, in dem die Zugabe des Retentionsmittels in einer Ebene senkrecht zum Papierstoffstroms erfolgt. Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob solch eine Ausführungsform tatsächlich von Anspruch 1 nicht mehr umfasst ist.
14.5 Daher ist diese Änderung zweifelsfrei dem geänderten Wortlaut des Anspruchs 1 geschuldet und als Reaktion auf die vorgebrachten Einspruchsgründe zu verstehen.
14.6 Anspruch 3 entspricht daher den Erfordernissen der Regel 80 EPÜ.
Erfinderische Tätigkeit - Anspruch 1
15. Im Vergleich zum Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 unterscheidet sich der beanspruchte Gegenstand zusätzlich vom Verfahren der D16 dadurch, dass der Abstand zwischen dem Mittelpunkt der Dosierstellen der Retentionsmittel mindestens 50 cm und der Abstand zwischen dem Mittelpunkt einer Dosierstelle für Retentionsmittel und dem Mittelpunkt einer Dosierstelle für die feinteilige anorganische Komponente mindestens 50 cm beträgt.
16. Da das Streitpatent keinen Vorteil gegenüber D16 glaubhaft macht, ist die zugrundeliegende technische Aufgabe weiter so zu formulieren, wie unter Punkt 4.1 oben.
17. In den erfindungsgemäßen Beispielen 1 und 2 des Streitpatents, die dem Wortlaut des Anspruchs 1 entsprechen, wird gezeigt, dass bei Zugabe des Retentionsmittels auf zwei hintereinander mit dem beanspruchten Abstand liegenden Stellen eine Verbesserung in Bezug auf die Retention und Formation gegenüber einer einzigen Zugabe (Vergleichsbeispiele 1 und 2) erzielt wird.
17.1 Die Kammer kann in dieser Hinsicht dem Einwand der Beschwerdeführerin nicht folgen, dass in Abwesenheit klarer Angaben in Bezug auf die weiteren Abstände in der verwendeten Papiermaschine, z.B. zum Stoffauflauf oder zum Screen und entsprechenden fehlenden Angaben im Anspruch 1, der Effekt nicht über den gesamten Umfang des Anspruchs zu erzielen sei.
In der Tat hat die Beschwerdeführerin keine Versuche eingereicht, die das widerlegen können.
Zudem ist die in den Beispielen verwendete Versuchspapiermaschine eine übliche Maschine, die auch übliche Abstände zwischen Screen, Stoffauflauf usw. aufweisen muss.
17.2 Für die Kammer ist es daher glaubhaft, dass das beanspruchte Verfahren die obige Aufgabe, nämlich ein weiteres Verfahren zur Herstellung von Papier, Pappe und Karton unter Verwendung eines Mikropartikelsystems bereitzustellen, womit eine gute Retention und Formation erzielt werden, gelöst hat.
18. Die Entgegenhaltung D16 zusammen mit dem allgemeinen Fachwissen
18.1 D16 enthält keinen Hinweis, dass die Abstände der Dosierungsstellen (in einer Ebene senkrecht zum Papierstoffstrom) im Retamix 50 cm betragen können, noch hat die Beschwerdeführerin einen Beweis dafür gebracht. Im Gegenteil scheinen die Dosierungspunkten im RetaMix im Lichte der Figuren 2 und 10 der D16 sehr nah beieinander zu liegen (in der mündlichen Verhandlung wurden Werte von 4 bis 8 cm zitiert). Die Kammer kann zudem auch das Argument der Beschwerdeführerin nicht folgen, dass bei größeren Anlagen zwangsläufig einen Abstand von 50 cm oder mehr zustande kommen würde. In Abwesenheit von Beweisen ist dieses Argument somit als spekulativ und unbegründet zu bewerten.
18.2 Gemäß D16 wird die Retention und daher die Formation (Seite 203, linke Spalte und rechte Spalte Figur 4 sowie Seite 205, rechte Spalte letzte zwei Zeilen) stark von dem Abstand zum Stoffauflauf beeinflusst, und bei erhöhter Retention wird die Formation als schlechter bewertet. Jedoch wird bei der Zugabe des Retentionsmittels zum Retamix dieser Nachteil in D16 mindestens abgemildert, sodass sogar eine Verbesserung der Formation erreicht werden kann.
Obwohl es allgemeines Fachwissen war (D3, D4), Retentionsmittel an verschiedenen hintereinander liegenden Stellen zu dosieren, hätte der Fachmann, um die obige technische Aufgabe ausgehend aus der D16 zu lösen, sicherlich die Lehre dieses Dokuments nicht ignoriert und sich von dieser Lehre nicht abgewendet. Daher hätte er andere Dosierungsstellen außerhalb des RetaMix Mischers, zum Beispiel an den Stellen bezeichnet mit 13 s oder 9 s in Figur 3 der D16, nicht in Betracht gezogen, sondern wenn überhaupt andere nicht entscheidende Merkmale des Verfahrens abgeändert.
18.3 Die anderen von der Beschwerdeführerin zitierten Entgegenhaltungen
18.3.1 An obiger Feststellung in Bezug auf D16 können die anderen von der Beschwerdeführerin zitierten Dokumente nichts ändern. Jedoch werden diese Entgegenhaltungen aus Vollständigkeitsgründen im Folgenden dargestellt.
18.3.2 Zum Beispiel lehrt D1 (Anspruch 1) die Kombination von zwei Retentionsmitteln, wobei eins davon eine Mw nicht höher als 2 MDa aufweist, was jedoch vom Umfang des Anspruchs 1 ausgeschlossen ist. Eine Kombination von D16 mit D1 kann daher nicht zum beanspruchten Gegenstand führen, da im geltenden Anspruch 1 kein Retentionsmittel außerhalb der zitierten C-PAM Klasse mit einer mittleren Mw von mindestens 5 MDa und einer Ladungsdichte von 0,1 bis 3,5 meq./g. enthalten sein kann. Die Offenbarung der D1/Beispiel 4, in der die Retentionsmittel an verschiedenen Stellen nach dem letzten Scherpunkt dosiert werden und die anorganische Komponente als letzte mit deutlichem Abstand dosiert wird, hat daher keine Relevanz.
18.3.3 Wie bereits in der vorläufigen Meinung der Kammer erklärt, zeigt D21 eine ähnliche Offenbarung und ist nicht relevanter als die anderen im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen. Die Beschwerdeführerin hat auch in der mündlichen Verhandlung über D21 nichts weiteres vorgetragen. Daher braucht die Kammer diese Entgegenhaltung, die von der Einspruchsabteilung als verspätet und prima facie nicht relevant in das Verfahren nicht zugelassen wurde, nicht zu berücksichtigen und wie bereits erwähnt auch nicht über ihre Zulässigkeit zu entscheiden.
18.3.4 D12 (Seite 10, Zeile 18 bis Seite 11, Zeile 5) offenbart die mögliche Zugabe an eine oder mehrere Stellen eines polymeren Retentionsmittels, das ein Molekulargewicht über oder auch unter 5 MDa aufweisen kann. Jedoch offenbart D12 auch, dass zusätzlich ein weiteres niedrigmolekulares Polymer eingesetzt werden kann (Seite 9, Zeilen 1-21 und Figur 1), was jedoch vom Umfang des Anspruchs 1 ausgeschlossen ist. Zudem enthält D12 keine Information über mögliche Abstände der Dosierungsstellen. Daher würde die Kombination von D16 mit D12 nicht zwingend zum beanspruchten Gegenstand führen. Schließlich würde der Fachmann in der Lehre dieses Dokuments keine Motivation finden, das Verfahren der D16 entsprechend zu ändern und auf eine Dosierung in den RetaMix der D16 zu verzichten.
18.3.5 Schließlich enthält auch die einzige im schriftlichen Verfahren (Punkt 11.17 der Beschwerdebegründung) in Bezug auf den erteilten Anspruch 9 und daher im Bezug auf das zusätzliche Merkmal des Hilfsantrags 6 zitierte Entgegenhaltung, nämlich Dokument D10 (Seite 9, Zeile 12 bis Seite 10, Zeile 26), keine spezifische numerische Angaben in Bezug auf den Abstand von zwei benachbarten Dosierungsstellen.
18.4 Daher hätte der Fachmann im Lichte des Standes der Technik keine Motivation gehabt, das optimierte Verfahren der D16 zu verändern und das hochmolekulares C-PAM an zwei verschiedenen Stellen mit den im Anspruch 1 vorgeschriebenen Abständen zu dosieren, um in dieser Erwartung die gestellte technische Aufgabe zu lösen.
18.4.1 Die Kammer kommt daher zum Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 6 sowie der der abhängigen Ansprüche 2 bis 10 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Vorinstanz mit der Maßgabe zurückverwiesen, ein Patent auf der Grundlage von Hilfsantrag 6, eingereicht mit Schreiben vom 11. Dezember 2020 nebst einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.