T 2061/18 () of 18.1.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T206118.20220118
Datum der Entscheidung: 18 Januar 2022
Aktenzeichen: T 2061/18
Anmeldenummer: 11778915.6
IPC-Klasse: D21F 7/08
D21F 3/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: PRESSENPARTIE EINER MASCHINE ZUR HERSTELLUNG EINER FASERSTOFFBAHN UND VERFAHREN ZUR HERSTELLUNG EINER FASERSTOFFBAHN
Name des Anmelders: Voith Patent GmbH
Name des Einsprechenden: Heimbach GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 113(1)
European Patent Convention R 99(1)(c)
European Patent Convention R 103(4)(a)
European Patent Convention R 103(6)
European Patent Convention R 115(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 15(3)
Schlagwörter: -
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1704/06
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Einsprechende legte form- und fristgerecht Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit welcher das europäische Patent 2 678 472 unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen in geänderter Fassung gemäß dem damaligen Hilfsantrag 3 aufrechterhalten wurde. Mit ihrer Beschwerde begehrte die Einsprechende

die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und

den Widerruf des Patents.

II. Soweit auch die Patentinhaberin zunächst Beschwerde eingelegt hatte, nahm sie diese im Verlaufe des Beschwerdeverfahrens zurück.

III. Die angefochtene Entscheidung stützte sich u.a. auf folgenden schriftlichen Stand der Technik:

E6: EP 2160495 B1

E10: "Wochenblatt für Papierfabrikation 8/2007",

Seiten 388 bis 390.

Folgendes Dokument wurde mit der Erwiderung der Patentinhaberin zur Beschwerdebegründung der Einsprechenden eingereicht:

X1:: "Forward - Valmet's customer magazine 3/2007"

Seiten 54-57.

IV. Mit Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 29. Mai 2020 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, derzufolge die zum Zeitpunkt der Mitteilung noch anhängige Beschwerde der Patentinhaberin zurückzuweisen sein dürfte, wobei die Beschwerde der Einsprechende erfolgreich sein dürfte.

V. Mit Schriftsatz datiert auf den 10. Januar 2022 nahm die Patentinhaberin ihre Beschwerde zurück, beantragte eine anteilige Rückzahlung der Beschwerdegebühr und erklärte, dass sie an der für den 18. Januar 2022 geplante mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde, ohne dabei inhaltlich Stellung zur obigen vorläufigen Auffassung der Kammer zu nehmen.

VI. Am 18. Januar 2022 fand die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer in Abwesenheit der Patentinhaberin statt (Regel 115 (2) EPÜ, Artikel 15 (3) VOBK 2020). Die Einsprechende (einzige Beschwerdeführerin) bestätigte am Ende der mündlichen Verhandlung ihre ursprünglichen Beschwerdeanträge.

Wegen der Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen.

Der Tenor der Entscheidung wurde am Schluss der Verhandlung verkündet.

VII. Der unabhängige Anspruch 1 der aufrechterhaltene Fassung (Hilfsantrag 3 in Einspruchsverfahren) lautet:

"Pressenpartie (10) zur Entwässerung einer Faserstoffbahn (1), insbesondere einer Papier-, Karton- oder Tissuebahn, in einer Maschine zur Herstellung derselben, in der nur ein einziger Pressnip vorgesehen ist, wobei der Pressnip gebildet ist von einer Schuhpresswalze (2) und einer Gegenwalze (3), und die Schuhpresswalze (2) einen umlaufenden flexiblen Mantel (7) und ein Presselement (4) aufweist, welches von innen an den Mantel (7) anpressbar ist und damit den Mantel (7) gegen die Gegenwalze (3) drücken kann, und wobei die Faserstoffbahn (1) zusammen mit wenigstens einem ersten Filz (5, 5.1, 6) durch den Pressnip geführt werden kann,

dadurch gekennzeichnet, dass der erste Filz (5, 5.1, 6) eine Grundstruktur (12) umfasst, die wenigstens eine Lage (12.1, 12.2) aus ausschließlich gezwirnten Monofilament-Fäden (20, 20.1, 20.2, 20.3, 20.4) und wenigstens eine nicht-gewebte Lage (12.1, 12.2) bestehend aus einer Schar von Fäden (20, 20.1, 20.2, 20.3, 20.4) aufweist, wobei die Fäden der einen Lage im Wesentlichen in Bahnlaufrichtung ausgerichtet sind und wobei der erste Filz (5. 5.1. 6) eine Grobvliesschicht (13) aufweist, welche aus Fasern mit einer Faserfeinheit zwischen 67 dtex und 200 dtex besteht und eine Feinvliesschicht (16) aufweist,

welche an der der Faserstoffbahn zugewandten Filzoberfläche (11) vorgesehen ist und aus Fasern mit einer Faserfeinheit von höchstens 11 dtex besteht."

VIII. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Parteien wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.

Entscheidungsgründe

1. Revidierte Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) - Übergangsbestimmungen

Das vorliegende Verfahren unterliegt der revidierten Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern, die am 1. Januar 2020 in Kraft trat (Artikel 24 und 25 (1) VOBK 2020), mit Ausnahme von Artikel 12 (4) bis (6) VOBK 2020, anstelle dessen Artikel 12 (4) VOBK 2007 weiterhin anwendbar ist (Artikel 25 (2) VOBK 2020).

2. Auswirkungen der Beschwerderücknahme durch die Patentinhaberin

Durch Rücknahme der Beschwerde durch die Patentinhaberin ändert sich deren Verfahrensstellung. Sie verbleibt als Beschwerdegegnerin in der anhängigen Beschwerde der Einsprechenden, die nunmehr den Umfang des vorliegenden Verfahrens bestimmt (Regel 99 (1) c) EPÜ) und auf den vollständigen Widerruf des Patents gerichtet ist.

Dadurch entfallen zugleich sämtliche von der Patentinhaberin im Rahmen ihrer eigenen, zurückgenommenen Beschwerde gestellten Anträge, weil diese auf die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung nach gegenüber der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung höherrangigen Anspruchsätzen gerichtet waren.

Der Gegenstand des Beschwerdeverfahrens beschränkt sich im Ergebnis auf eine Überprüfung der angefochtenen Entscheidung und der begründeten Feststellungen der Einspruchsabteilung zur Patentfähigkeit der aufrecherhaltenen Fassung des Patents (Hilfsantrag 3 im Verfahren vor der Einspruchsabteilung).

Die Patentinhaberin stellte keinen ausdrücklichen Antrag in Erwiderung auf die Beschwerde der Einsprechenden. Da sich die Patentinhaberin mit ihrer Beschwerdeerwiderung aber gegen die Beschwerde der Einsprechenden wandte und die von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenden Fassung des Patents verteidigte, versteht die Kammer das Verfahrensbegehren der Patentinhaberin als Beschwerdegegnerin als Antrag auf

Zurückweisung der Beschwerde der Einsprechenden.

3. Rechtliches Gehör

Obwohl die Patentinhaberin nicht an der mündlichen Verhandlung teilnahm, wurde das Prinzip des rechtlichen Gehörs gemäß Artikel 113 (1) EPÜ nicht verletzt, da es ausreicht, dass sie die Gelegenheit dazu hatte, gehört zu werden.

Durch das Fernbleiben von der mündlichen Verhandlung verzichtete die fernbleibende Partei auf diese Möglichkeit (siehe die Erläuterung zu Artikel 15 (3) VOBK, zitiert in T 1704/06, Rechtsprechung der Beschwerdekammern [RBK], 9. Auflage 2019, Abschnitte III.B.2.7.3 und V.A.4.5.3).

Im Übrigen hat die Patentinhaberin sich im Rahmen ihrer Beschwerdeerwiderung zur Beschwerde der Einsprechenden geäußert (Schriftsatz datiert auf den 25. Februar 2019), und dieses Vorbringen ist in dieser Entscheidung berücksichtigt (Artikel 15 (3) VOBK).

4. Aufrechterhaltene Fassung (Hilfsantrag 3 der angefochtenen Entscheidung)

4.1 Die Einsprechende rügte, dass die erfinderische Tätigkeit des aufrechterhaltenen Patentanspruchs 1 (Hilfsantrag 3, der angefochtenen Entscheidung beigelegt) durch die Einspruchsabteilung nicht korrekt bewertet worden sei.

Es sei insbesondere nicht verständlich, warum die zur Diskussion des vorliegenden Hauptantrags verwendete Aufgabe nicht mehr angemessen sei, und eine neue Aufgabe, nämlich ein gleichbleibendes Entwässerungsverhältnis des Filzes während der Anlaufphase zu gewährleisten, formuliert werden müsse.

Das zusätzliche Unterscheidungsmerkmal, dass der erste Filz eine Feinvliesschicht aufweist, welche an der der Faserstoffbahn zugewandten Filzoberfläche vorgesehen ist und aus Fasern mit einer Faserfeinheit von höchstens 11 dtex besteht, leiste auch keinen Beitrag zur erfinderischen Tätigkeit.

Grund dafür sei, dass, wie bei der Diskussion des Hauptantrags geltend gemacht wurde, E6 auch eine solche Feinvliesschicht lehre.

4.2 Die Patentinhaberin erwiderte, dass die Einwände der Einsprechenden zu der als erfinderisch erachteten Fassung nicht überzeugend seien, weil die Einspruchsabteilung bei der Aufgabeformulierung die korrekte Wirkung (Start-Up Optimierung) berücksichtigt habe.

X1 diene als Beweis der Wirkung der Feinfliesschicht und zur Erläuterung und als Beleg der allgemein bekannten Zusammenhänge beim Filz Start-Up.

Das Vorsehen einer feinen, sehr dichten Vlieslage an der Papierseite des Filzes (siehe Absatz (0021]) reduziere die anfängliche Permeabilität des Filzes.

Weil aber diese Vlieslage nicht sehr stabil sei, werde diese bei Verwendung des Filzes in recht kurzer Zeit abgetragen.

In dieser Zeit werde der übrige Teil des Filzes jedoch, wie in der Figur der X1 gezeigt, so weit komprimiert, dass die Permeabilität des Filzes auch nach dem Abtragen der Feinvlieslage noch im gewünschten Betriebsfenster verbleibe.

Dieses Start-Up Optimierung geschehe, ohne den Vorteil der geringen Verschmutzungsneigung des Filzes·zu beeinträchtigen.

4.3 Die Kammer schließt sich der Argumentationslinie der Einsprechenden an.

4.3.1 Grund dafür ist, dass, selbst wenn die jetzt beanspruchte Feinvliesschicht tatsächlich eine Verbesserung beim Start-Up bewirken sollte, die bereits oben erwähnte Vorteile der optimierten Druckverteilung dank der Vliesschichten im Streitpatent explizit erwähnt sind.

Es ist somit zulässig, diese Wirkung als Grundlage für die Formulierung der technischen Aufgabe zu verwenden.

Wie bereits bemerkt, kann im Rahmen des Aufgabe-Lösung Ansatzes grundsätzlich jede Wirkung der Erfindung als Grundlage für eine Neuformulierung der technischen Aufgabe verwendet werden, sofern diese, wie vorliegend, vom Fachmann ableitbar ist (siehe RBK, supra, I.D.4.4.1).

4.3.2 Dabei merkt die Kammer an, dass X1 als Beweis einer Wirkung eingereicht wurde (Start-Up), die in der Diskussion der Einwänden der Einsprechenden zur erfinderischen Tätigkeit keine Rolle spielt, und dass sich aus diesem Grund eine Zulässigkeitsdiskussion im Bezug auf X1 erübrigt.

4.3.3 E6 lehrt, dass ein Filz gute Entwässerungseigenschaften hat, wenn eine außenliegende Feinvliesschicht mit einer Grobvliesschicht kombiniert wird (siehe Absatz [0010]).

Die Feinvliesschicht ermöglicht es, Druckmarkierungen auf dem Papier zu vermeiden, und die Grobvliesschicht verankert die Feinvliesschicht an der Grundstruktur.

Die Kammer teilt die Auffassung der Einsprechenden, dass der Fachmann sich ausgehend vom Filz gemäß der technischen Lehre der E10 zur Optimierung der Eigenschaften der dort erwähnten Vliese (Seite 388, linke Spalte) der vollständigen Lehre der E6 (d.h. der Kombination Grob-Feinvliesschicht) bediente, weil er deren Vorteile erkannte und ohne praktischen Schwierigkeiten auf die Pressepartie gemäß A10 anwenden konnte.

E6 lehrt, dass eine außenliegenden Feinvliesschicht mit 3,3 dtex (siehe Absatz [0030]) verwendet werden soll.

Diese Feinvliesschicht, die besonders effektiv ist, um Markierungen zu vermeiden (siehe Absatz [0031], "smooth paper"), soll gemäß der Lehre der E6 in Kombination mit einer Grobvliesschicht verwendet werden, die aus Fasern > 67 dtex besteht, um die Feinvliesschicht an der Grundstruktur zu verankern (siehe Absatz [0022]).

4.3.4 Bei Anwendung dieser Lehre gelangt der Fachmann somit ohne Ausübung einer erfinderischen Tätigkeit zum Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 3.

4.3.5 Die vorgenannten Erwägungen hatte die Kammer den Parteien in ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 mitgeteilt und ihnen rechtliches Gehör gewährt. Die Patentinhaberin hat indes dazu keine Stellung genommen, sondern auf die Mitteilung lediglich ihre eigene Beschwerde zurückgenommen und ihre Nichtteilnahme an der mündlichen Verhandlung angekündigt. Die in der Mitteilung dargelegte vorläufige Beurteilung entspricht nach erneuter Würdigung der gesamten Sach- und Rechtslage wie dargelegt auch der endgültigen Entscheidung der Kammer zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit des Anspruchsgegenstandes.

4.4 Im Ergebnis hat die Einsprechende die Kammer davon überzeugt, dass die Feststellungen der Einspruchsabteilung zur erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 gemäß der aufrechterhaltenen Fassung einer Überprüfung durch die Kammer nicht standhalten, so dass das Patent zu widerrufen ist.

5. Rückzahlung der Beschwerdegebühr

Infolge der Rücknahme der Beschwerde durch die Patentinhaberin durch Schriftsatz datiert auf den 10. Januar 2022 ist nach Regel 103 (4) a) und (6) EPÜ die von der Patentinhaberin gezahlte Beschwerdegebühr in Höhe von 25 % zurückzuzahlen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

3. Die von der Patentinhaberin gezahlte Beschwerdegebühr

wird

in Höhe von 25% zurückgezahlt.

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