T 1878/18 () of 8.7.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T187818.20220708
Datum der Entscheidung: 08 Juli 2022
Aktenzeichen: T 1878/18
Anmeldenummer: 06015494.5
IPC-Klasse: B31B 19/64
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Vorrichtung und Verfahren zur Herstellung von Kunststoff­beuteln
Name des Anmelders: PLÜMAT PLATE & LÜBECK GMBH & CO
Name des Einsprechenden: G.E.A.F. S.r.l.
KIEFEL GmbH
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 99(1)
European Patent Convention Art 100(c)
European Patent Convention Art 111(1)
European Patent Convention R 76(2)(c)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 011
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(2)
Vorschriften über das laufende Konto (ADA 2009) 6.2, 6(3)
Schlagwörter: Zulässigkeit des Einspruchs der Einsprechenden 2 (ja)
Unzulässige Erweiterung (Hauptantrag: ja; Hilfsantrag 0: nein)
Zulassung des Hilfsantrags 0 (ja)
Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0017/83
T 0289/91
T 1265/10
T 0198/16
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europä­ische Patent Nr. 1 780 000 (nachfolgend "das Patent") zu widerrufen.

II. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 c) EPÜ bzw. die Erfordernisse von Artikel 76 (1) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents entgegenstehe.

III. Die beiden Einsprechenden nahmen ihre Einsprüche mit Schreiben vom 7. April 2016 (Einsprechende 1) bzw. 22. Juni 2022 (Einsprechende 2) zurück.

IV. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 8. Juli 2022 statt. Zu diesem Zeitpunkt war die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) die einzige noch im Verfahren befindliche Partei.

V. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Verwerfung des Einspruchs der Einsprechenden 2 als unzulässig. Hilfsweise beantragte sie, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent wie erteilt oder in geänderter Fassung auf der Grundlage des Hilfs­an­trags 0, eingereicht in der mündlichen Verhandlung am 8. Juli 2022, aufrechtzuerhalten, weiter hilfsweise das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1 bis 5, sowie der Varianten a bis d zu jedem dieser Hilfsanträge, alle eingereicht mit der Beschwerde­begründung, oder eines der Hilfsanträge 6, oder 6a bis 6f, alle eingereicht mit Schreiben vom 9. Mai 2022, aufrechtzuerhalten.

VI. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 23 des Patents in seiner erteilten Fassung (Hauptantrag) lauten wie folgt (die von der Kammer verwendete Merkmalsgliederung ist in eckigen Klammern angegeben):

"1. [V1] Vorrichtung zur Herstellung von Kunststoffbeuteln (330) aus einer oder mehreren Lagen Kunststofffolie (120, 130), umfassend:

- [V2] ein kombiniertes Schweiß-/Trennwerkzeug (90) zum Trennen und Verbinden der einen oder mehreren Lagen Kunststofffolie (120, 130), wobei [V3] die Kunststofffolie (120, 130) vom kombinierten Schweiß-/Trennwerkzeug (90) in Abschnitte zertrennbar ist; und

- [V4] mindestens ein Transportsystem (155, 290) zum Ergreifen der einen oder mehreren Lagen Kunststofffolie (120, 130) und zum Hineinziehen der einen oder mehreren Lagen Kunststofffolie (120, 130) in das geöffnete Schweiß-/Trennwerkzeug, wobei [V5] das mindestens eine Transportsystem (155, 290) am geschlossenen kombinierten Schweiß-/Trennwerkzeug (90) vorbei geführt werden kann."

"23. [M1] Verfahren zur Herstellung von Kunststoffbeuteln (330), wobei

i.) [M2] in einem kombinierten Schweiß-/Trennwerkzeug (90)

a) [M3] eine oder mehrere Lagen Kunststofffolie (120, 130) in das kombinierte Schweiß-/Trennwerkzeug (90) mittels einem Transportsystem [sic] (155, 190) hineingezogen und [M4] entlang einer Kontur zusammengeschweißt werden; und

b) [M5] die eine oder mehreren Lagen Kunststofffolie (120, 130) geschnitten werden, wobei [M6] die eine oder mehreren Lagen Kunststofffolie (120, 130) in Abschnitte zertrennt wird;

ii.) wobei [M7] das mindestens eine Transportsystem (155, 190) am geschlossenen kombinierten Schweiß-/Trennwerkzeug (90) vorbeigeführt wird."

Anspruch 1 des Hilfsantrags 0 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass das Wort "Trennwerkzeug" durch das Wort "Schneidwerkzeug" ersetzt wurde (insgesamt vier Mal) und die Worte "mindestens ein Transportsystem" bzw. "das mindestens eine Transportsystem" durch "ein Transportsystem" bzw. "das Transportsystem" ersetzt wurden.

Anspruch 19 des Hilfsantrags 0 unterscheidet sich von Anspruch 23 des Hauptantrags dadurch, dass

- die Worte "aus einer oder mehreren Lagen Kunst­stoff­folie (120, 130)" nach "von Kunststoff­beuteln (330)" eingefügt wurden,

- das Wort "Trennwerkzeug" durch das Wort "Schneid­werkzeug" ersetzt wurde (insgesamt drei Mal),

- die Worte "zum Trennen und Verbinden der einen oder mehreren Lagen Kunststofffolie (120, 130)" am Ende der Einleitung von Schritt i) eingefügt wurden,

- die Worte "einem Transportsystem" durch "eines Transportsystems" ersetzt wurden,

- das Wort "die" am Anfang von Teilschritt a) eingefügt wurde, und

- die Worte "mindestens eine" in Schritt ii) gestrichen wurden.

VII. Der Vortrag der Beschwerdeführerin zu den verschiedenen verfahrensrelevanten Punkten lässt sich wie folgt zusammenfassen:

a) Zulässigkeit des Einspruchs der Einsprechenden 2

i) Zahlung der Einspruchsgebühr

Der Auffassung der Einspruchsabteilung zur Entrichtung der Einspruchsgebühr könne nicht gefolgt werden, da der Abbuchungsauftrag aufgrund der falschen/aufgeklebten Unterschrift einer nicht berechtigten Person ein offensichtliches Falsifikat und somit nicht gültig eingereicht worden sei. Die von der Einspruchsabteilung zitierte Rechtsprechung sei nicht einschlägig. Sowohl die Entscheidung T 17/83 als auch die Entscheidung T 1265/10 seien nicht relevant, da dort der Abbu­chungs­auftrag nicht ermittelt werden konnte, wohingegen in dem vorliegenden Einspruchsverfahren eine Kopie des nicht wirksamen Auftrages vorliege. Im Gegensatz zum Fall T 170/83 sei festzu­stel­len, dass es Zweifel am konkreten Willen des Konto­inhabers gebe, da der Kontoinhaber oder eine berech­tig­te Person nicht selbst unterschrieben hatte, sondern eine unberechtigte Person, und dies mit einer offen­sichtlich eingefügten Unterschrift. Frau Rauchbach sei weder auf dem Brief­papier der Vertreterin der Einspre­chenden 2 noch in der Liste der zugelassenen Vertreter zu finden. Somit sei die Einspruchsgebühr nicht rechts­wirksam gezahlt worden, sodass kein Einspruchsverfahren für die Einsprechende 2 anhängig geworden sein könne. Die Patentinhaberin habe bereits auf die Entscheidung

T 161/96 verwiesen, in der ein Einspruch als nicht eingelegt angesehen wurde, weil ein erheblicher Fehl­betrag zur vollen Einspruchs­gebühr bestand. Hier liege sogar ein hundertprozentiger Fehlbetrag vor. Die interne Beauftragung könne kein Beweis dafür sein, dass Frau Rauchbach rechtlich bevollmächtigt war, den Abbuchungsauftrag zu unterschreiben. Es sei jedenfalls unzu­reichend, Frau Rauchbach als inte­ressierte natürliche bevollmächtigte Person ansehen zu wollen. Eine Verfü­gung über ein Konto beim EPA durch eine dazu nicht ermächtigte Person sei unwirksam und dies könne, wenn es sich um eine fristgebundene Zahlung handle, nicht nach­träglich geheilt werden. Die frist­gerechte Zahlung der Einspruchsgebühr sei Voraussetzung für die Wirksamkeit eines Einspruchs - nicht der möglicherweise erkennbare konkrete Wille zur Zahlung. Auch könne eine fragwür­dige Zahlung, die zumindest einer weiteren Überprüfung bedurft hätte, in einem zweiseitigen Verfahren der Patent­inhaberin nicht zum Nachteil gereichen, da bereits die Grund­voraussetzung für einen wirksamen Einspruch nicht gege­ben sei. Dass sich das EPA, wie in der angefochtenen Ent­schei­dung ausgeführt, "als ermächtigt ansehen" durfte, könne bei der Beurteilung einer fristgerechten Zahlung ebenfalls der Patentinhaberin nicht zum Nach­teil gereichen. Eine nicht erfolgte (ermächtigte) Verfügung betreffend ein Amtskonto könne nicht auf eine offensichtlich zu Unrecht erteilte oder ohne gültige Unterschrift ver­sehene Abbuchungsbewilligung gestützt werden. Eine großzügige Handhabung der Vorschriften über ein beim Amt geführtes Konto möge in einseitigen Ver­fahren in Betracht kommen, sei jedoch in zweiseitigen Ver­fahren nicht möglich, da durch eine unzulässige Hand­habung seitens des Amts einem Verfahrens­beteiligten ein Nach­teil entstehe. Falls z.B. das Amt gänzlich ohne Ein­zugs­ermächtigung die Einspruchsgebühr eingezogen hätte, wäre der Einspruch zweifellos unzulässig gewe­sen. Zudem gebe es Zweifel am konkreten Willen des Kontoinhabers, da nicht er selbst oder eine berechtigte Person unter­schrieben hatte, sondern jemand Unberechtigter, und dies mit einer offensichtlich eingefügten Unterschrift. Ferner könne die Zulässigkeit vor jeder Instanz jederzeit in Frage gestellt werden. Auch die Kammer könne über die Zulässigkeit des Ein­spruchs entscheiden. Gerade da es sich um ein zweisei­tiges Verfahren handle, sei es durchaus möglich und erforderlich, hier hohe Anforderungen zu stellen. Der vorläufigen Auffassung der Kammer, dass die Namen und Unterschriften der verfügungsberechtigten Personen dem EPA bekannt seien und bei Eingang von Abbuchungs­aufträ­gen auch überprüft würden, und dass davon auszugehen sei, dass Frau Rauchbach im September 2011 für das laufende Konto der Patentanwaltskanzlei Liermann-Castell verfügungs­berechtigt war, könne nicht gefolgt werden. Beweis­belastet hierfür sei die Ein­sprechende, und es obliege nicht der Kammer, Beweise zu erbrin­gen oder Spekulationen vorzunehmen. Die Kammer sei gehal­ten, allein auf Basis der von den Parteien vorge­brachten Beweismittel zu entscheiden. Die Kammer ver­kenne die Beweislast in diesem Verfahren und führe entgegen den Grundsätzen der Unparteilichkeit eigene Vermutungen und Ermittlungen zur Begründung ihrer vorläufigen Einschätzung an. Die Frage, ob Frau Rauch­bach dem EPA als eine verfügungsberechtigte Person bekannt war oder nicht, könne nur von der Einspre­chen­den beantwortet werden, aber sie habe das nicht einmal versucht. Der Einsprechenden sei es nicht gelungen, zu beweisen, dass der Name und die Unterschrift von Frau Rauchbach dem EPA zuvor bekannt waren. Sie habe nur die interne Beauftragung der fristgerechten Zahlung der Einspruchsgebühr als Beweismittel dafür eingereicht, dass Frau Rauchbach angeblich rechtlich bevollmächtig war, den Abbuchungsauftrag zu unterschreiben. Dies sei nur ein Beweis dahingehend, dass Frau Rauchbach rein intern in der Kanzlei bevoll­mächtig gewesen sei. Es fehle der Beweis, dass dem EPA zuvor kommuniziert wurde, dass Frau Rauchbach eine verfügungsberechtigte Person sei. Die Kammer gehe zu weit, wenn sie die Tat­sache, dass das EPA im vorliegenden Fall keinen Einwand erhoben hat, als genügenden Beweis dafür ansehe, dass davon auszugehen sei, dass Frau Rauchbach im Septem­ber 2011 für das laufende Konto verfügungs­berech­tigt war. Die Beweiserhebung, die mit einer Abwägung der Wahr­schein­lichkeiten für das Vorliegen einer bestimmten Tatsache einhergeht, müsse anhand der von beiden Seiten vorgelegten Beweise erfolgen, und nicht aufgrund von Spekulationen der Kammer. Letztere genüge den Anforde­rungen an die Unparteilichkeit nicht mehr, wenn sie den im Beschwerde­verfahren geltenden Beibrin­gungs­grundsatz (vgl. T 2501/11) missachte und für die Einsprechende antworte bzw. Ermittlungen für sie an­stelle. Wenn die Einsprechende keine oder nur unzurei­chende Beweise vorgelegt habe, dann solle die Kammer auch nichts anderes tun, als die vorgelegten Beweise beider Seiten zu würdigen. Andernfalls verlasse sie ihre Position als Quasi-Gerichtsbarkeit. Daher sei die Schlussfolgerung nicht richtig, dass die Einwände, dass Frau Rauchbach nicht verfügungsberechtigt gewesen sei, bzw. dass ihre Unterschrift von einer unbekann­ten, nicht verfügungs­berechtigten Person eingefügt worden sei, ohne weitere Anhaltspunkte oder sonstige Beweise rein spekulativ seien und nicht überzeugen könnten. Es sei im Gegenteil rein spekulativ, dass Frau Rauchbach ver­fügungs­berech­tigt und dem EPA als solche bekannt gewe­sen sei. Die in der Entscheidung der Einspruchs­abtei­lung zitierten Entscheidungen T 17/83 und T 1265/10 seien, ebenso wie die Überlegungen der Kammer, im Lichte der jüngeren Recht­sprechung überholt. So sei in der Entscheidung

T 198/16 die Entscheidung T 1265/10 gänzlich negiert und deutlich gemacht worden, dass der Hinweis auf das Formular 1010 keinesfalls als klarer, eindeutiger und vorbehaltloser Abbuchungs­auf­trag verstanden werden könne, sondern nur als ein Hinweis auf ein beiliegendes Dokument. "Vorbehaltlos" bedeute in diesem Zusammenhang "unbedingt". Ein unbedingter Abbuchungsauftrag hätte einen Nachweis vorausgesetzt, dass Frau Rauchbach auch bevollmächtigt war. Es hätte ausgereicht, wenn Herr Koch als Vertreter erklärt hätte, dass er Frau Rauchbach entsprechend instruiert hatte. Die Einspre­chende 2 habe sich aber geweigert, einen solchen Beweis zu erbringen. Es sei lediglich eine E-Mail vorgelegt worden, in der eine andere Fachangestellte Frau Rauch­bach die Anweisung zur Bezahlung der Gebühr gegeben habe. Aber auch diese Person sei nicht berechtigt gewe­sen. Bei ihren Nach­forschungen habe die Beschwerdefüh­re­rin keine anderen, von Frau Rauchbach unterzeichneten Abbuchungs­aufträge gefunden; in der Regel unterzeichne Herr Koch diese Aufträge selbst. Ein Abbuchungsauftrag, der mit einer aufgeklebten oder eingescannten Unter­schrift von einer Person versehen wurde, zu der es keinerlei Anhalts­punkte im Verfahren gebe, dass sie amtsbekannt war, könne bei ordnungsgemäßer Würdigung aller vorliegenden Beweise nicht als den seinerzeit gültigen Vorschriften über das laufende Konto genügend angesehen werden, denn dies würden einerseits die Grundlage eines vom Konto­inhaber unterzeichneten Abbuchungsauftrags fordern (Punkt 6.2) und andererseits verlangen, dass der Abbuchungsauftrag klar, eindeutig und vorbehaltlos sei (Punkt 6.3). Die von beiden Parteien vorgelegten Beweismittel würden es nicht erlauben, zu der eindeu­tigen Schlussfolgerung zu gelangen, dass diese Voraus­setzungen innerhalb der Einspruchsfrist erfüllt gewesen seien. Es sei bereits fragwürdig, warum der Einspruch selbst am selben Datum vom zugelassenen Vertreter unterzeichnet wurde, jedoch nicht auch im selben Schritt die Abbuchung von ihm verfügt und der entspre­chende Abbuchungsauftrag unter­zeichnet wurde. Der Abbuchungsauftrag sei nicht persönlich unter­zeichnet, insbesondere nicht vom Kontoinhaber. Ein Abbuchungs­auftrag mit vollmachtsloser Unterschrift, selbst wenn es sich nicht um eine aufge­klebte oder digital einge­fügte handeln würde, wäre zumindest nach deutschem Recht bereits ein anfecht­barer, wenn nicht bis zur Bevollmächtigung unwirksamer Abbuchungs­auftrag. Der vollmachtslose Auftrag sei heil­bar, aber eine voll­machtslose Handlung sei nicht bedin­gungsfrei. Sie sei dahingehend bedingt, dass der Konto­inhaber jederzeit der Vollmacht hätte widerspre­chen können. Damit habe, selbst nach Abbuchung der Summe durch das EPA, die Möglichkeit bestanden, dass der Kontoinhaber dem Auftrag widerspreche und die Gebühr zurück­­fordere. Somit sei der Auftrag nicht bedingungs­los. Die Rechts­lage sei in Deutschland etwas anders als in anderen Mitglieds­staaten wie z.B. Frankreich. Nach deutschen Recht, das hier anzuwenden sei, da es sich um eine deutsche Kanzlei handle, konnte eine Fach­angestellte den Willen des Kontoinhabers nicht unbe­dingt ausdrü­cken. Deshalb sei der Auftrag nicht rechts­wirksam erfolgt. Die Patent­inhaberin konnte nicht darauf vertrauen, dass die Bezahlung der Einspruchs­gebühr wirksam bezahlt war. Auch bei der wirksamen Erhebung einer Feststellungs­klage im Sinne von Artikel 105 (1) b) EPÜ sei nach Auf­fassung der Großen Beschwerdekammer nationales Recht anzuwenden.

ii) Mangelnde Substantiierung

Die diesbezügliche Ansicht der Einspruchsabteilung sei

rechtsirrig. Es könne nicht sein, dass die mangelnde Substantiierung de facto eine Verlängerung der Ein­spruchsfrist darstelle und sogar Materialien zugelassen würden, die von einer ande­ren, nicht mehr verfahrens­beteiligten Partei einge­führt worden seien. Auch wenn der Einspruch der Einsprechenden 2 zulässig gewesen wäre, seien doch zumin­dest alle Beweismittel zur behaupteten Vorbenutzung verspätet gewesen. Somit könne bzw. dürfe der gesamte Vortrag zur Vorbenutzung nicht berücksichtigt werden. Wie in der Entscheidung T 2037/18 erwähnt, sei eine offenkundige Vorbenutzung ausreichend substantiiert, wenn Zeitpunkt (wann?), Gegenstand (was?) und Umstände der Benutzungshandlung (wie, einschließlich wo und durch wen?) und Beweis­mittel dazu angegeben seien. Ob die dargelegten Tat­sachen tatsächlich bewiesen seien bzw. noch bewiesen würden, sei eine Frage der Begründetheit. Der Nachweis, dass die angebliche Vorbenutzung tatsächlich öffentlich war, sei daher für die Zulässigkeit des Einspruchs unerheb­lich, könne jedoch unter Umständen für die Beurteilung der materiellrechtlichen Begründetheit des Einspruchs von Bedeutung sein. Die Vorbenutzung müsse von der Einsprechenden innerhalb der Einspruchsfrist bewiesen worden sein. Ansonsten sei eine Entscheidung über die Zulassung erst nach sorgfältiger prima facie Abwägung zu treffen. Mithin könnten derartige Unter­lagen, die jedenfalls nicht per se Teil des Verfahrens sind, nicht die anfänglich fehlende Substantiierung heilen.

b) Hauptantrag: Auslegung der Ansprüche

Im "Wahrig Deutsches Wörter­buch" des Jahres 1995 finde man folgende Definition des Begriffs "Abschnitt": "Stück vom ganzen, Teil, Teilstück (kugel~); abtrenn­barer Teil eines Formulars". Die Einspruchs­ab­teilung habe das Merkmal V3, dem zufolge "die Kunststofffolie in Abschnitte zertrennbar ist", falsch ausgelegt, nämlich so, dass dieses Merkmal auch solche Reststücke umfasst, die von anderen Teilen als dem neuen Zufüh­rungsende der noch unverschweißten Kunststoff­folien abgetrennt werden. Da die Folien nicht Teil der bean­spruchten Vorrichtung seien, sei das Merkmal im Hin­blick darauf auszulegen, welche Eigenschaften die Vor­richtung haben müsse, um die Funktion erfüllen zu können. Welche Abschnitte letztendlich erzeugt würden, sei völlig irrelevant. Dass die Folien "in Abschnitte zertrennbar" seien, bedeute, dass die Vorrichtung geeignet ist, die Folien abzutrennen. Der Begriff "abschneiden" bzw. "Abschnitt" sei nicht mit dem Begriff "Ausschnei­den" bzw. "Ausschnitt" zu verwech­seln. Mit dem Begriff "ausschneiden" könnte man ein Loch in der Mitte einer Folie bereitstellen, oder auch einen Rand bestehen lassen, der dann zum Transport genutzt werden könne. Die Ausschnitte wären dann z.B. Folienbeutel, die aus den Folien herausgeschnitten wären. Verbleiben würden in diesem Falle kontinuier­li­che Folien mit Loch. Im Gegen­satz hierzu sei erfin­dungs­gemäß vorgesehen, dass jeweils ein neues Ende bereitgestellt werde und eben kein kontinuier­liches "Gerippe" verbleibe.

c) Hauptantrag: unzulässige Erweiterung hinsichtlich der früheren Anmeldung

i) Zertrennbarkeit der Kunststofffolie in Abschnitte

Die Schluss­folgerung der Einspruchsabteilung, dass das Merkmal in der früheren Anmeldung (Stammanmeldung) nicht eindeutig offenbart sei, beruhe auf einer falschen Auslegung des Merkmals (siehe Punkt b) oben). Wie von der Einspruchsabteilung in ihrer vorläufigen Stellungnahme dargelegt worden sei, sei die offenbarte Vorrichtung geeignet, neue Zufüh­rungs­enden bereitzu­stellen. Die offenbarten Kunststoff­beutel und Rest­stücke seien eindeutig unter dem Begriff "Abschnit­te" subsumierbar, da sich die Offenbarung an einen Fachmann richte. Dieser verstehe insbesondere unter Hinzunahme der Beschreibung des Standes der Technik in dem die Seiten 2 und 3 der ursprünglichen Stammanmeldung über­brückenden Absatz, dass keine anderen Abschnitte als die Kunststoff­beutel und ggf. Rest­stücke gemeint sein könnten. Die abgetrennten Stücke würden Abschnitte ausbilden, und es entstehe ein neues Zuführungsende. Es sei zu beachten, dass nicht die Abschnitte selbst beansprucht seien, sondern nur verlangt werde, dass die Folien in Abschnitte zertrenn­bar seien. Dass die Abschnitte auch solche Reststücke umfassten, die von anderen Teilen als dem neuen Zufüh­rungs­ende der noch unverschweißten Kunst­stoff­­folien abgetrennt würden, sei unerheblich, denn die Folie sei somit in Abschnitte zertrenn­bar. Auch eine simultane oder nachfolgende Vereinzelung ändere nichts daran, dass insgesamt etwas abgeschnitten werde, um ein neues Zuführungsende zu bilden: Das, was abgeschnitten werde, seien Abschnitte. Daher seien die Folien in Abschnitte zertrennbar. Aus dem Vergleich zwischen der Beschrei­bung des Standes der Technik auf den Seiten 2 und 3 der ursprüng­lichen Stammanmeldung und der Beschrei­bung der Erfindung erkenne der Fachmann unmittelbar, dass die Verbesserung nicht in der Trennbarkeit in Abschnitte liege, sondern insbesondere im Vorbei­fahren am geschlossenen Werkzeug. Außerdem bleibe die Einspruchsabteilung eine Erklärung schuldig, warum die Offenbarungen auf der Seite 13 der Stamm­anmeldung (bzw. Absatz [0048] der veröffentli­chten Teilanmeld­ung), die von der Ein­spruchs­abteilung selbst in ihrer vorläufigen Meinung zitiert wurden, nicht als hin­rei­chende Offenbarung für die lediglich als Zweck­angabe dienende Begrifflichkeit gelten können. Die Offenbarung für das Merkmal "Abschnitt" sei in der Stammanmeldung auf Seite 3 im letzten Absatz, auf der Seite 13 sowie in Figur 2 oder in dem Absatz [0048], Spalte 10, Zeilen 6 bis 11 der ver­öffent­lich­ten Teilanmeldung zu finden. Es sei klar offenbart, dass mehrere Kunststoffbeutel im Werk­zeug gefertigt werden können. Diese Beutel seien Ab­schnit­te der Lagen an Kunststoff­folie, nachdem diese so abge­trennt worden sei, dass ein neues Zuführungsende gebil­det worden sei. Die Verwendung des Begriffes "Abschnitt" könne daher keine unzulässige Erweiterung darstellen. Auch wenn eine in der Stammanmeldung nicht wortiden­tisch offenbarte Diktion verwendet wurde, sollte die dortige Offenbarung aber nach technisch vernünftiger Auslegung durchaus als ausreichende, zumindest impli­zite Offenbarung angesehen werden (siehe die Prüfungsricht­linien, F.IV.4.10). Die obengenannten Absätze würden beschreiben, dass die Kunststoffbeutel ggf. mit Resten aus den Kunststoff­folien entnommen würden. Die offen­barten Kunststoff­beutel und Reststücke seien eindeutig unter dem Begriff "Abschnitte" subsumierbar. Im Übri­gen bilde alles, was von dem neuen Zuführungsende abge­trennt sei, einen oder mehrere Abschnitte. Somit könne auch keine unzulässige Erweiterung vorliegen.

ii) "kombiniertes Schweiß-/Trennwerkzeug"

Dieses Merkmal habe seine Grundlage hauptsächlich im Anspruch 34 der ursprünglichen Stammanmeldung. Dort sei ein "kombiniertes Schweiß-/Schneidwerkzeug zum Trennen" offenbart. Die Beschwerdeführerin folge der vorläufigen Auslegung des Anspruchs durch die Kammer, der zufolge "in Abschnitte zertrennbar" bedeute, dass geschnitten werde. Die ursprüngliche Stammanmeldung offenbare also ein "Schneidwerkzeug zum Trennen". In Anspruch 1 des Hauptantrags sei hingegen von einer Trennvorrichtung, die schneidet, die Rede. Die beiden Begriffe hätten aber dieselbe Bedeutung. Das funktionelle Merkmal "in Abschnitte zertrennbar" dürfe nämlich nicht außer Acht gelassen werden. Das beanspruchte Trennwerkzeug müsse schneiden, denn sonst ließen sich keine Abschnit­te erzeugen. Gerade deshalb sei der Begriff "Abschnitte" verwendet worden. Er definiere das Trennwerkzeug auf eine rekursive Art.

iii) "mindestens ein Transportsystem"

Das Merkmal "mindestens ein Transportsystem" sei im Einspruchs­verfahren in Zusammenhang mit dem Hauptantrag überhaupt nicht erörtert worden. Somit habe die Patentinhaberin vor Einreichen des ersten Hilfsantrags keinen Hinweis bezüglich dieses Merkmals erhalten. Der ursprüngliche Anspruch 1 umfasse "ein" Werkzeug. Der Ausdruck "mindestens ein Transportsystem" sei ein Pleonasmus. Ein Gegenstand, der eine Liste von Elemen­ten "umfasse", stelle keine abschließende Aufzählung von Elementen dar. Ob eine Vorrichtung "ein Transport­system" oder "mindestens ein Transportsystem" umfasse, habe keine Bedeutung, und zwar weder in Hinsicht auf den Schutz­bereich noch in Hinblick auf die Offenbarung. In beiden Fällen müsse ein Transportsystem vorliegen. Das Wort "mindestens" sei somit ein Nullum ohne konkrete Bedeutung. Auf die Frage der Kammer, warum das Wort "mindestens" dennoch eingefügt worden sei, erklär­te die Beschwerdeführerin, dass der Erfinder zum Aus­druck bringen wollte, dass das Greifersystem einen ersten und einen zweiten Greifer aufweisen könne, womit auch zwei Transportsysteme ursprünglich offenbart seien. In die­sem Zusammenhang verwies die Beschwerde­führerin auf Seite 25, Zeilen 20 bis 24, der ursprüng­lichen Stamm­anmeldung. Angesichts dieser Offenbarung erkenne der Fachmann, dass ein gewisser Spielraum bei der Gestal­tung als erstes und zweites Transportsystem bestehe.

d) Zulässigkeit des Hilfsantrags 0

Der neue Hilfsantrag beseitige alle Einwände der Kammer gegen den Hauptantrag. Da die Kammer in der mündlichen Verhandlung ihre Auffassung zum Begriff "Abschnitt" präzisiert habe, lägen auch außergewöhnliche Umstände im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK 2020 vor, die die Zulassung des Hilfsantrags rechtfertigten.

Entscheidungsgründe

1.1 Zulässigkeit des Einspruchs

Die Einspruchsabteilung kam in Punkt 1 der Gründe für

die angefochtene Entscheidung zum Schluss, dass der Einspruch der Einsprechenden 2 zulässig ist. Die Patentinhaberin (jetzt: Beschwerdeführerin) hatte zwei Einwände gegen die Zulässigkeit des Einspruchs erhoben, die in der Beschwerdebegründung erneut aufgegriffen wurden:

(i) die unwirksame Entrichtung des Einspruchsgebühr und (ii) die mangelnden Substantiierung des Einspruchs.

Die Frage der Zulässigkeit des Einspruchs als unverzichtbare prozessuale Voraussetzung für die sachliche Prüfung des Einspruchsvorbringens kann in jedem Verfahrensstadium, also auch im Einspruchsbeschwer­de­verfahren geprüft werden (vgl. T 289/91, Punkt 2.1 der Gründe).

1.2 Rechtswirksamkeit der Entrichtung der Einspruchsgebühr

1.2.1 Sachverhalt

Der Einspruch der Einsprechenden 2 wurde mit Schreiben

vom 29. September 2011 vom damaligen Vertreter der Einsprechenden 2 (Patentanwaltskanzlei Liermann-Castell) eingereicht. Der Einspruch, der vom zugelassenen Vertreter Klaus Castell unterzeichnet war, enthielt unter anderem folgende Aussage:

"Die Einspruchsgebühr wird mit beigefügtem Abbuchungsauftrag entrichtet." (Seite 1, vorletzter Absatz)

Der beigefügte Auftrag (Formblatt 1010), die Summe von 705 Euro vom Konto 2 800 169 3 der Patentanwalts-kanzlei Liermann-Castell abzubuchen, trug die Unterschrift von Frau Petra Rauchbach.

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Auszug aus dem Abbuchungsauftrag

Da der Abbuchungsauftrag im September 2011 erteilt wurde, sind im vorliegenden Fall gemäß Artikel 5 (2) GebO die Vorschriften über das laufende Konto in der Fassung aus dem Jahr 2009 (VLK 2009, siehe Beilage zum ABl. EPA 3/2009, Seite 5ff) anzuwenden.

1.2.2 Einwand der Patentinhaberin

Mit Schreiben vom 22. September 2017 hat die

Patentinhaberin erstmals bestritten, dass die Einspruchsgebühr rechtswirksam entrichtet wurde. Sie hat dies wie folgt begründet:

"Die Vorschriften zum laufenden Konto beim EPA sehen vor, dass der Kontoinhaber oder ein Berechtigter (also ein Anderer, der allerdings zumindest ein zugelassener Vertreter sein muss) Verfügungen über das Konto mit eigener Unterschrift tätigen kann. Vorliegend ist anhand des Formulars ersichtlich, dass bereits keine eigenhändige Unterschrift vorliegt und zum anderen jedenfalls eine Person (Petra Rauchbach) unterschrieben hat, die offensichtlich nicht zeichnungsberechtigt ist/war. Jedenfalls ist auf dem Briefkopf der Kanzlei, die den Einspruch eingereicht hat, kein Name unter den zugelassenen Vertretern zu finden, der der offensichtlich digitalisierten Unterzeichnung entspricht." (Seite 3, erster Absatz)

1.2.3 Auffassung der Einspruchsabteilung

In Punkt 1.1.1 der Gründe für die angefochtene Entscheidung hat die Einspruchsabteilung dargelegt, warum die Einspruchsgebühr rechtswirksam entrichtet wurde:

"Gemäß Artikel 99 (1) EPÜ gilt ein Einspruch erst dann als eingelegt, wenn die Einspruchsgebühr entrichtet worden ist (vgl. auch Richtlinien 2017, D-IV, 1.2.1 i)). Da im Fall eines Abbuchungsauftrags die Geldmittel bereits beim EPA vorhanden sind, bedarf es nur noch einer rechtzeitigen Ermächtigung des EPA, damit dieses darüber für einen ganz bestimmten Zahlungszweck verfügen kann (T 170/83; T 2364/12). Vorliegend wurde die Einspruchsgebühr mittels eines Abbuchungsauftrags von einem laufen­den Konto gezahlt. Der Abbuchungs­auftrag benennt klar und eindeutig das angefochtene Patent, Betrag und Zweck der Gebühr. Zusätzlich zu Form 1010 wurde im vom seinerzeitigen Vertreter unterzeichneten Einspruchsschriftsatz vom 29.09.2011 (S. 1) mitge­teilt: "Die Einspruchsgebühr wird mit beigefügtem Abbuchungsauftrag entrichtet." Nach der Rechtspre­chung der Beschwerdekammern könnte bereits eine solche Mitteilung für sich hilfsweise als Abbu­chungs­auftrag gewertet werden (T 17/83; vgl. auch T 1265/10 wo eine Absichtserklärung in Form 2300, die Einspruchsgebühr per Abbuchungsauftrag zu ent­richten, als ausreichend für die Zahlung der Gebühr angesehen wurde). Aus den gegebenen Umständen be­ste­hen im vorliegenden Fall jedenfalls keine Zweifel am konkreten Willen des Kontoinhabers, die fällige Einspruchsgebühr im Wege der Abbuchung zu zahlen und das EPA durfte sich als ermächtigt ansehen, die Abbuchung ohne weitere Rückfragen vorzunehmen (vgl. T 170/83). Dies ist im vorlie­genden Fall auch tatsächlich geschehen. Die Ein­spruchsgebühr wurde mithin rechtzeitig wirksam entrichtet und der Einspruch der Einsprechenden 2 gilt als eingelegt."

1.2.4 Einwand der Beschwerdeführerin

Die Beschwerdeführerin hat die Argumentation der Einspruchsabteilung kritisiert und unter anderem geltend gemacht:

- dass die zitierten Entscheidungen T 17/83 und T 1265/10 nicht einschlägig seien, da in den diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Fällen kein Abbuchungsauftrag ermittelt werden konnte,

- dass die Entscheidung T 198/16 die Entscheidung T 1265/10 negiert und deutlich gemacht habe, dass ein Hinweis auf das Formular 1010 keinesfalls als klarer, eindeutiger und vorbehaltloser Abbuchungs­auftrag verstanden werden könne,

- dass auch die Entscheidung T 170/83 nicht einschlä­gig sei, da es hier Zweifel am konkreten Willen des Kontoinhabers gebe,

- dass der Abbuchungsauftrag eine offensichtliche Fälschung sei, da die Unterschrift von Frau Rauch­bach falsch bzw. aufgeklebt oder eingefügt worden sei, und

- dass Frau Rauchbach nicht zeichnungsberechtigt bzw. laut dem für den Einspruch verwendeten Briefpapier keine Mitarbeiterin der Firma Liermann-Castell gewesen sei und auch in der Liste der zugelassenen Vertreter nicht aufscheine,

- dass die Frage der Zeichnungsberechtigung eines Abbuchungsauftrags nach dem anwendbaren nationalen Recht zu prüfen sei, wie im Falle der wirksamen Erhebung einer Feststellungsklage nach Artikel 105 (1) b) EPÜ,

- dass nach dem hier anwendbaren deutschen Recht ein vollmachtsloser Abbuchungsauftrag nicht bedingungs­los sei und somit den Anforderungen der Entschei­dung T 198/16 nicht genüge.

1.2.5 Beurteilung durch die Kammer

Die Kammer kann sich der Auffassung der Beschwerde­führerin aus den folgenden Gründen nicht anschließen.

Die Prüfung der Frage, ob die Einspruchsgebühr der Einsprechenden 2 rechtswirksam bezahlt wurde, ist auf der Grundlage der VLK 2009 vorzunehmen. Im Gegensatz zur Auffassung der Beschwerde­führerin ist diesbezüglich das deutsche Recht nicht anwendbar. Die Tatsache, dass das EPÜ für bestimmte Fragen, wie z.B. für die Erhebung einer Feststellungsklage vor einem nationa­len Gericht nach Artikel 105 (1) b) EPÜ oder der Einleitung eines Verfahrens vor einem nationa­len Gericht gemäß Artikel 61 (1) EPÜ in Verbindung mit Regel 14 (1) EPÜ, das nationale Recht eines Mitglieds­staates zur Anwendung bringt, hat keinen Einfluss auf den vorliegenden Fall.

Vielmehr sind die Erfordernisse für die Belastung eines laufenden Kontos vollständig und ausschließlich in den Punkten 6.1 bis 6.9 der VLK 2009 geregelt. Allein diese Vorschriften sind für die Frage, ob das EPA zur Abbuchung einer Gebühr von einem laufenden Konto ermächtigt ist, maßgebend.

Gemäß Punkt 6.2 VLK 2009 erfolgt die Belastung des laufenden Kontos grundsätzlich auf der Grundlage eines vom Kontoinhaber unterzeichneten Abbuchungsauftrags. Nach den damals anwendbaren Vorschriften konnte ein Abbuchungsauftrag inter alia auf Papier, bei einem Einzelabbuchungsauftrag vorzugsweise mit dem Formblatt 1010, eingereicht werden. Laut Punkt 6.3 VLK 2009 muss der Abbuchungsauftrag klar, eindeutig und vorbehaltlos sein. Er hat die notwendigen Angaben über den Zweck der Zahlung, einschließlich der Höhe der betreffenden Gebühren oder Auslagen, sowie die Nummer des zu belastenden Kontos zu enthalten.

Im vorliegenden Fall bestreitet die Beschwerdeführerin, dass der Abbuchungsauftrag nicht vorbehaltlos sei, weil der Kontoinhaber, der den Auftrag nicht unterschrieben habe, den Auftrag nach deutschem Recht hätte widerrufen können bzw. der Vollmacht hätte widersprechen können. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin habe die Einsprechende 2 keine Beweise geliefert, dass Frau Rauchbach kanzleiintern bevollmächtigt war, den Abbuchungsauftrag zu erteilen.

Die Kammer bemerkt, dass die VLK keine Bedingungen bezüglich der Person des Kontoinhabers (laufende Konten werden interessierten natürlichen oder juristischen Personen zur Verfügung gestellt, vgl. Punkt 1 VLK 2009) oder des Zeichnungs­berechtigten, wie z.B. dass es ein zugelassener Vertreter sein soll, enthalten. Wenn der Kontoinhaber eine juristische Person ist, werden Abbuchungsaufträge von verfügungsberechtigten natürlichen Personen unter­zeich­net. Die Bestimmung, wer zeichnungsberechtigt für ein laufendes Konto sein soll, wird rein intern im Verantwortungsbereich des Kontoinhabers entschieden. Sowohl bei einer juristischen als auch bei einer natürlichen Person ist das Handeln eines Vertreters (z.B. eines Bevollmächtigten) zulässig. Im Fall einer Kanzlei kann es sich daher z.B. um Fachangestell­te handeln, welche in der Regel nicht auf dem Brief­papier der Kanzlei genannt sind. Die Tatsache, dass Frau Rauchbach im vorliegenden Fall weder auf dem Brief­papier der Kanzlei genannt wurde, noch in der Liste der zugelassenen Vertreter aufschien, stellt ihre Berech­tigung zur Zahlung nicht in Frage.

In diesem Zusammenhang ist laut den VLK das EPA nicht verpflichtet, eine ex officio Untersuchung zur Feststellung der Unterschriftsberechtigung durchzuführen, denn diese Frage gehört ausschließlich zur Sphäre des Kontoinhabers. Sollte Frau Rauchbach dem Willen ihres Arbeitsgebers zuwider­gehandelt haben, wofür im Übrigen keinerlei Anzeichen bestehen, könnte dies ggf. eine Schadenersatzforderung oder disziplinarische Schritte zur Folge haben, würde aber die Gültigkeit der Zahlung am Fälligkeitstag nicht in Frage stellen. Die Beschwerdeführerin ist als Patentinhaberin daher nicht legitimiert, einen ent­sprechenden Einwand zu erheben, und die Kammer kann hier keine wie immer geartete Beweislast für die Einsprechende 2 erkennen.

Folglich kann die Tatsache allein, dass der Abbuchungsauftrag nicht vom Kontoinhaber unterschrieben wurde, sondern von Frau Rauchbach, keinen bedingten Auftrag implizieren.

Darüber hinaus ist die Tatsache, dass die Unterschrift von Frau Rauchbach - vermutlich auf elektronischem Wege - in das Form­blatt 1010 kopiert wurde, nicht zu beanstanden, zumal kein Grund zur Annahme besteht, dass dies ohne Wissen oder gegen den Willen von Frau Rauchbach geschehen ist. Der Einwand, dass das Abbuchungsformular eine Fälschung sei, scheint, in Abwesenheit weiterer Anhaltspunkte oder sonstiger Beweise, rein spekulativ und unbegründet.

Im Gegensatz zum Vortrag der Beschwerdeführerin enthält der Einspruchs­schrift­satz, der von einem zur Patent­anwaltskanzlei Liermann-Castell gehörigen Vertreter unterzeichnet wurde, die klare Aussage, dass die Einspruchsgebühr mit dem "beigefügten Abbuchungs­auf­trag" bezahlt wird. Diese Aussage im Einspruch­sschrift­satz zusammen mit dem vorliegenden Abbuchungsauftrag, der die notwen­digen Angaben gemäß Punkt 6.3 VLK 2009, d.h. den Zweck der Zahlung, die Höhe der betreffenden Gebühren sowie die Nummer des Kontos, enthält, ergibt eindeutig und unzweifelhaft, dass seitens der Einspre­chenden 2 die Absicht bestand, die Einspruchs­gebühr vom laufenden Konto abbuchen zu lassen. Schließlich ist auch anzumerken, dass die im Einspruchsverfahren zitierten Entscheidungen T 17/83 und T 1265/10, ebenso wie die Entscheidung T 198/16, Fälle betreffen, in denen kein Abbuchungs­auftrag ermittelt werden konnte. In diesen Fällen war daher zu entscheiden, ob den Umständen entsprechend ein klarer, eindeutiger und vorbehaltloser Auftrag bestand. Im vorliegenden Fall hingegen liegt ein solcher Auftrag vor und es bestehen keine Zweifel an der konkreten Zahlungsabsicht des Kontoinhabers. Die genannten Entscheidungen sind vorliegend daher nicht anwendbar.

Da aus dem Abbuchungsauftrag oder dem Einspruchsschriftsatz für die Kammer keine Bedingung für die Zahlung erkennbar ist, sondern eine klare, eindeutige und vorbehaltlose Absicht, die Einspruchsgebühr abbuchen zu lassen, war das EPA am Fälligkeitstag ermächtigt, das Konto dementsprechend zu belasten. Somit wurde die Einspruchsgebühr wirksam entrichtet und der Einspruch wurde wirksam eingelegt.

1.3 Einwand der mangelnden Substantiierung

1.3.1 Einwand der Patentinhaberin

In ihrem Schreiben vom 22. September 2017 hat die Patentinhaberin darüber hinaus geltend gemacht, dass die in der Einspruchsfrist vorgelegten Unterlagen nicht ausreichend seien, um die behauptete Vorbenutzung zu beweisen. Auch deshalb sei der Einspruch der Einsprechenden 2 nicht zulässig.

1.3.2 Auffassung der Einspruchsabteilung

In Punkt 1.1.2 der Gründe für die angefochtene

Entscheidung hat die Einspruchsabteilung diesen Einwand mit der folgenden Begründung verworfen:

"Nach Regel 76 (2) c) EPÜ muss die Einspruchs­schrift eine Erklärung darüber enthalten, in wel­chem Umfang gegen das europäische Patent Einspruch eingelegt und auf welche Einspruchsgründe der Ein­spruch gestützt wird, sowie die Angabe der zur Begründung vorgebrachten Tatsachen und Beweis­mittel. Deshalb muss der Einsprechende seine Ein­spruchsgründe untermauern, indem er zumindest zu einem dieser Gründe Tatsachen und Beweismittel anführt, die einen Tatbestand ergeben, der nach den Bestimmungen des EPÜ ein Patenthindernis sein kann. Die Begründung ist so abzufassen, dass der Patent­inha­ber und die Einspruchsabteilung die Art der Beanstandung und die dazu angeführten Tatsachen und Beweismittel eindeutig nachvollziehen können (Richt­linien 2017, D-IV, 1.2.2.1 v)). Im vorliegen-den Fall hat die Einsprechende 2 in ihrem Ein­spruchs­schriftsatz ... mehrere Einspruchsgründe vorgetragen, unter anderem im Hinblick auf mehrere unzulässige Erweiterungen sowie mangelnde Neuheit im Hinblick auf Dokument D1. Die Einspruchs­abtei­lung hält diese für ausreichend substantiiert um sie nachvollziehen zu können. Diese Einspruchs-gründe ergeben sich des Weiteren aus dem Ein­spruchs­­schriftsatz des Einsprechenden 2 selbst, so dass es für die Beurteilung der Zulässigkeit des Einspruchs der Einsprechenden 2 auch nicht auf die von der Patentinhaberin im Schreiben vom 22.09.2017 (S. 3) aufgeworfene Frage ankommt, ob eine Bezug­nahme auf den Vortrag der Einsprechenden 1 als wirksam anzusehen ist oder nicht."

1.3.3 Einwand der Beschwerdeführerin

Die Beschwerdeführerin hat dem entgegengehalten, dass die Ansicht der Einspruchsabteilung rechtsirrig sei. Gerade im vorliegenden Verfahren könne es nicht sein, dass die mangelnde Substantiierung de facto eine Verlängerung der Einspruchsfrist darstelle und sogar Materialen zugelassen würden, die von einer anderen - nicht mehr verfahrensbeteiligten - Partei eingeführt worden seien.

1.3.4 Beurteilung durch die Kammer

Die Kammer schließt sich der Auffassung der Einspruchs­abteilung an. Der Einspruch der Einspre­chen­den 2 enthält mehrere Angriffe auf der Grundlage von Artikel 100 c) EPÜ sowie zwei Angriffe auf der Grundlage von Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54 (1) EPÜ (mangelnde Neuheit gegenüber einer angeblichen Vorbenutzung sowie gegenüber der Druckschrift D1) und Artikel 56 EPÜ (mangelnde erfin­de­rische Tätigkeit gegenüber der Lehre der Druckschrift D1 in Kombination mit der angeblichen Vorbenutzung). Ein Einspruch ist insgesamt zulässig, sobald das Erfordernis der Substantiierung nach Regel 76 (2) c) EPÜ für mindestens einen Einspruchsgrund erfüllt ist (vgl. auch "Recht­sprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patent­amts", 9. Auflage, Juli 2019, IV.C.2.2.8). Selbst wenn die auf der angeblichen Vorbenutzung beruhenden Einwände nicht hinreichend substantiiert gewesen wären, hätte dies den Einspruch nicht unzulässig gemacht, da zumindest die anderen Angriffe, die nicht von der behaupteten Vorbenutzung abhängig sind (wie z.B. mangelnde Neuheit im Hinblick auf Dokument D1), hinreichend substantiiert wurden.

1.4 Schlussfolgerung bezüglich der Zulässigkeit des Einspruchs

Da keiner der Einwände der Beschwerdeführerin betreffend die Zulässigkeit des Einspruchs der Einsprechenden 2 begründet ist, gelangt die Kammer zum Schluss, dass die Einspruchsabteilung zu Recht entschieden hat, dass der wirksam eingelegte Einspruch der Einsprechenden 2 zulässig ist.

2. Anspruchsauslegung

2.1 Merkmal V3

Das Merkmal V3 verlangt, dass die Kunststofffolie vom

kombinierten Schweiß-/Trennwerkzeug in Abschnitte zertrennbar ist.

2.1.1 "Abschnitt"

Die Kammer teilt die Auffassung der Beschwerdegegnerin,

dass ein Patent sein eigenes Lexikon beinhalten kann. Allerdings ist festzustellen, dass der Begriff "Abschnitt" in der Beschreibung des Patents nicht definiert wird. Deshalb ist er gemäß seinem allgemeinen Wortsinn auszulegen. Der Begriff hat eine Mehrzahl von Bedeutungen. Der Duden schreibt ihm unter anderem die Bedeutungen "Teil", "Teilstück" oder "abgeschnittenes Stück" zu, die sämtlich im vorliegenden Fall technisch sinnvoll und daher zu berücksichtigen sind.

2.1.2 Bedeutung des Merkmals V3 im Gesamtkontext

Bei isolierter Betrachtung könnte das Merkmal V3 so verstanden werden, dass die Kunststofffolie und das Schweiß- bzw. Trennwerkzeug so gestaltet sind, dass die Folie in mehrere Abschnitte zertrennt werden kann, dass es sich also um ein Merkmal der Folie und/oder des Werkzeugs handelt. Da Anspruch 1 aber eine Vorrichtung zur Herstellung von Kunststoffbeuteln aus einer oder mehreren Lagen Kunststofffolie definiert, und somit die Folie selbst nicht Teil der Vorrichtung ist, würde der Fachmann das Merkmal als funktionelles Merkmal der Vorrichtung verstehen. Dementsprechend bedeutet das Merkmal V3, dass das Schweiß-/Trennwerkzeug so gestaltet sein muss, dass es die Folie in mehrere Stücke oder Abschnitte zertrennen kann.

3. Hauptantrag: Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 c) EPÜ

Das Patent wurde auf Grundlage einer Teilanmeldung

erteilt. Wie in Punkt 2 der Gründe für die angefochtene Entscheidung dargelegt wird, gelangte die Einspruchs­abteilung zum Schluss, dass der Gegenstand des erteil­ten Anspruchs 1 über den Inhalt der ursprüng­lichen Stammanmeldung hinausgeht. Die Einspruchsabteilung hat diese Schlussfolgerung insbesondere auf die Merkmale V3 (dem zufolge die Kunststofffolie vom kombinierten Schweiß-/Trennwerkzeug in Abschnitte zertrennbar ist) und V4 (dem zufolge mindestens ein Transportsystem zum Ergreifen der einen oder mehreren Lagen Kunststoff­folie und zum Hineinziehen der einen oder mehreren Lagen Kunststofffolie in das geöffnete Schweiß-/Trennwerkzeug vorhanden ist) gestützt.

3.1 Zertrennbarkeit in Abschnitte

In Punkt 2.1.1 der Gründe für die angefochtene

Entscheidung argumentierte die Einspruchsabteilung folgendermaßen:

"Die Definition wonach die Kunststofffolie in Abschnitte zertrennbar ist ... ist in der Stammanmeldung nicht wörtlich enthalten und ist nach Ansicht der Einspruchsabteilung nicht auf solche Gegenstände begrenzt, die tatsächlich und eindeutig in der Stammanmeldung offenbart sind, wie die hergestellten Kunststoffbeutel und von "dem neuen Zuführungsende" der noch unverschweißten Kunst­stofffolien abgetrennten Reststücke der ver­brauchten Kunststofffolien (vgl. S. 13, 2. Absatz). Die Definition umfasst nämlich auch solche Rest­stücke, die von anderen Teilen als dem neuen Zufüh­rungsende der noch unverschweißten Kunststofffolien abgetrennt werden."

Der Begriff "Definition" ist hier wohl in dem Sinne zu verstehen, dass es sich um ein Merkmal handelt, das einen Aspekt der erfindungsgemäßen Vorrichtung defi­niert. Die Kammer versteht die Argumentation der Ein­spruchsabteilung so, dass der Begriff "Abschnitt" all­gemein sei und über die Teile hinausgehe, die gemäß der Beschreibung vom Trennwerkzeug von der Folie abge­trennt werden, nämlich Beutel und Reststücke.

Die Einspruchsabteilung fuhr in Punkt 2.1.1.1 fort:

"Der Patentinhaber hat sinngemäß darauf hinge­wie­sen, dass die offenbarten Kunststoffbeutel und Reststücke eindeutig unter dem Begriff "Abschnitte" subsummierbar seien, da die Offenbarung (vgl. S. 13, 2. Absatz) an einem Fachmann gerichtet sei, der verstehe, insbesondere unter Hinzunahme der Beschreibung des Standes der Technik in dem die Seiten 2 und 3 überbrückenden Absatz, dass keine andere Abschnitte als eben die oben erwähnten Kunststoffbeutel und von dem neuen Zuführungsende der noch unverschweißten Kunststofffolien abge­trenn­ten Reststücke gemeint sein können. Dem kann sich die Einspruchsabteilung nicht anschließen, da die Angaben in dem die Seiten 2 und 3 überbrücken-den Absatz sich auf dem Stand der Technik bezeiht [sic] und die Anmeldung keinen eindeutigen Hinweis enthält, dass diese [sic] Teil der Beschreibung auch für den Erfindungsgegenstand zutrifft. Insbesondere gibt die "Kurzfassung der Erfindung" unmittelbar nach der Beschreibung vom Stand der Technik auf Seite 3 eher gegenteilig an, dass es die Aufgabe der Erfindung ist, eine verbesserte Herstellung von Kunststoff beuteln [sic] durch neue oder verbesserte Verfahrensschritte und neue oder verbesserte Vorrichtungen zu erreichen."

Diese Argumentation scheint der Kammer am Wesentlichen vorbeizugehen. Wie unter Punkt 2.1 dargelegt wurde, ist die Kammer der vorläufigen Auffassung, dass das Merkmal V3 vom Fachmann so verstanden würde, dass das Schweiß-/Trennwerkzeug so gestaltet sein muss, dass es die Folie in mehrere Stücke oder Abschnitte zertrennen kann. Dies scheint der Kammer in der ursprünglichen Stammanmeldung unzweifelhaft offenbart zu sein, da letztere voraus­setzt, dass z.B. die Reststücke mittels des Schneid­werkzeugs vom Beutel abgetrennt werden können.

3.2 "kombiniertes Schweiß-/Trennwerkzeug"

Der Begriff "kombiniertes Schweiß-/Trennwerkzeug" wird

in der ursprünglichen Stammanmeldung nicht verwendet. Dort findet sich in der Regel der Begriff "kombiniertes Schweiß/Schneidwerkzeug", der kein Synonym ist, da das Schneiden eine bestimmte Form des Trennens dar­stellt. Ein Schneid­werk­zeug ist daher ein Trenn­werk­zeug, aber nicht jedes Trennwerkzeug ist ein Schneid­werkzeug.

Es stellt sich also die Frage, ob der Begriff "kombi­nier­tes Schweiß-/Trennwerkzeug" eine Grundlage in der ursprünglichen Stammanmeldung hat.

Dazu ist festzustellen, dass die ursprüngliche Stammanmeldung auf Seite 6, Zeilen 20 und 21, explizit auf "Messer oder andere Arten von Trennvorrichtungen" abstellt und auf Seite 6, Zeilen 25 und 26, einen Vorteil der Erfindung darin sieht, dass "[n]ur noch ein Werkzeug ... notwendig [ist] für die Schritte des Verschweißens und des Trennens". Allerdings stellt die Kammer fest, dass beide Stellen eine besondere Ausführungsform des Schneidewerkzeugs (mit einer ebenen, unteren Werkzeugplatte und einer beweglichen, geformten, oberen Werkzeugplatte) betreffen und somit keine hinreichende Grundlage für das Merkmal V3 in seiner Allgemeinheit bilden.

Der Auffassung der Beschwerdeführerin, dass das Merkmal V3, dem zufolge die Kunststofffolie vom kombinierten Schweiß-/Trennwerkzeug "in Abschnitte zertrennbar" ist, das Schweiß-/Trennwerkzeug rekursiv auf ein Schweiß-/Schneidwerkzeug begrenzt, da ein Abschnitt als abge­schnit­tenes Stück zu verstehen ist, kann sich die Kammer nicht anschließen. Obwohl der Begriff "Abschnitt" in der Tat die Bedeutung "abgeschnittenes Stück" haben kann, ist sein Bedeutungsgehalt nicht auf diese Bedeutung begrenzt (siehe dazu Punkt 2.1.1). Der Fachmann, der den Anspruch 1 zu verstehen sucht, würde aus der Tatsache, dass die Kunststofffolie in Abschnit­te zertrennbar ist, nicht schließen, dass diese Trennung in Abschnitte notwendigerweise als Schneiden zu verstehen ist. Daher würde er auch nicht zum Schluss gelangen, dass das beanspruchte "Schweiß-/Trennwerk­zeug" nur ein "Schweiß-/Schneidwerkzeug" sein kann.

Da der Begriff "kombiniertes Schweiß-/Trennwerkzeug" breiter gefasst ist als der ursprünglich offenbarte Begriff "kombiniertes Schweiß/Schneidwerkzeug" und die ursprüngliche Stammanmeldung auch andernorts kein "kombiniertes Schweiß-/Trennwerkzeug" offenbart, ist die Kammer zum Schluss gelangt, dass das Merkmal V3 über den Inhalt der ursprünglichen Stammanmeldung hinausgeht.

3.3 "mindestens ein Transportsystem"

Dieser Einwand der Einspruchsabteilung findet sich in

Punkt 2.1.2 der Gründe für die angefochtene Entscheidung. Die Einspruchsabteilung schreibt dort:

"Die Definition von "mindestens ein Transport­system (155, 290) zum Ergreifen der einen oder mehreren Lagen Kunststofffolie (120,130) und zum Hineinziehen der einen oder mehreren Lagen Kunst­stofffolie (120, 130) in das geöffnete Schweiß-/Trennwerkzeug". Nach Ansicht der Einspruchs­abtei­lung ist zum Zweck eines Ergreifens der einen oder mehreren Lagen Kunststofffolie und eines Hinein­ziehens der einen oder mehreren Lagen Kunststoff­folie in das geöffnete Schweiß-/Trenn­werkzeug lediglich ein Transportsystem offenbart (vgl. insbesondere S.9, 3. und 4. Absatz)."

Die Kammer kann sich der Auffassung der Beschwerde­führerin, dass die Worte "mindestens ein Transport­system" gleichbedeutend mit "ein Transportsystem" sind, nicht anschließen. Grund dafür ist die Tatsache, dass Anspruch 1 nunmehr explizit die Möglichkeit offenbart, dass die Vorrichtung mehr als ein Transportsystem um­fasst. Dies ist aber in der ursprünglichen Stamm­an­meldung nicht offenbart. Auch die von der Beschwer­de­führerin angeführte Passage auf Seite 25, Zeilen 20 bis 24, der ursprünglichen Stammanmeldung, der zufolge die Vorrichtung einen ersten und einen zweiten Greifer umfasst, die "ähnlich ausgebildet" sein können, kann nicht als unmittelbare und eindeutige Offenbarung einer Mehrzahl von Transportsystemen, die "am geschlos­senen kombinierten Schweiß-/Trennwerk­zeug ... vorbei geführt werden kann", gelten, wie dies von Merkmal V5 verlangt wird. Die beiden Greifer 160 und 170 sind vielmehr Teil desselben Greifsystems (vgl. die Ansprüche 35 und 36 der ursprünglichen Stammanmeldung).

Die Kammer schließt sich daher der Auffassung der Einspruchs­abteilung an, dass die Aufnahme des Worts "mindestens" dazu führt, dass das Merkmal V5 keine Grundlage in der ursprünglichen Stammanmeldung hat.

3.4 Ergebnis bezüglich des Einspruchsgrundes gemäß Artikel 100 c) EPÜ

Der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 c) EPÜ steht somit der Aufrechterhaltung des Patents in seiner erteilten Fassung entgegen (siehe Punkt 3.3).

Daher kann das Patent nicht in seiner erteilten Fassung aufrechterhalten werden.

Dem Hauptantrag der Beschwerdeführerin kann somit nicht stattgegeben werden.

4. Zulassung des Hilfsantrags 0

Die Kammer sieht die Einreichung des Hilfsantrags 0 als gerechtfertigte Reaktion auf ihre Änderung der Auslegung des Begriffs "Abschnitte", die erst während der mündlichen Verhandlung deutlich wurde, an. Es liegen somit außergewöhnliche Umstände im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK 2020 vor, die eine Zulassung des Hilfsantrags 0 in das Beschwerdeverfahren rechtfertigen.

Die Kammer hat daher entschieden, den Hilfsantrag 0 in das Verfahren zuzulassen.

5. Hilfsantrag 0: unzulässige Erweiterung

Der Hilfsantrag 0 räumt alle im Zusammenhang mit Artikel 100 c) EPÜ gegen den Hauptantrag erhobenen Einwände aus. Die vorgenommenen Änderungen geben auch keinen Anlass zu neuen Einwänden gemäß Artikel 123 (2) und (3) bzw. Artikel 76 (1) EPÜ.

6. Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung

Da die Einspruchsabteilung zur Patentfähigkeit des Gegenstands des Patents noch nicht Stellung genommen hat, sprechen besondere Gründe im Sinne von Artikel 11 VOBK 2020 für eine Zurückverweisung an die erste Instanz. Folglich gibt die Kammer dem Antrag der einzigen im Verfahren befindlichen Partei statt, die Angelegenheit in Anwendung von Artikel 111 (1) EPÜ zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Der Einspruch der Einsprechenden 2 ist zulässig.

2. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

3. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

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