T 1770/18 (Lithiumsilikat Glaskeramik Restauration/Ivoclar) of 25.5.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T177018.20200525
Datum der Entscheidung: 25 Mai 2020
Aktenzeichen: T 1770/18
Anmeldenummer: 13179985.0
IPC-Klasse: C03C3/095
C03C10/12
A61K6/027
A61K6/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Lithiumsilikat-Glaskeramik und -Glas mit Gehalt an ZrO2
Name des Anmelders: Ivoclar Vivadent AG
Name des Einsprechenden: Vita Zahnfabrik H. Rauter GmbH & Co. KG
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 76(1) (2007)
European Patent Convention Art 123(2) (2007)
European Patent Convention Art 123(3) (2007)
European Patent Convention Art 83 (2007)
European Patent Convention Art 54 (2007)
European Patent Convention Art 56 (2007)
Schlagwörter: Teilanmeldung - unzulässige Erweiterung (nein)
Änderungen - zulässig (ja)
Änderungen - unzulässige Erweiterung (nein)
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0009/92
T 0464/94
T 0210/05
T 1676/08
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden der Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) und der damaligen Einsprechenden betreffen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, dass das europäische Patent EP-B1-2 662 343 in geändertem Umfang basierend auf dem Hilfsantrag den Erfordernissen des EPÜ genüge.

Die Einspruchsabteilung entschied, dass die Einspruchsgründe unter Artikel 100(b) EPÜ sowie Artikel 100(c) EPÜ nicht durchgriffen, dass jedoch Anspruch 12 wie erteilt nicht neu gegenüber D6 sei. Der damalige Hilfsantrag wurde als gewährbar angesehen.

II. Folgende in der angefochtenen Entscheidung zitierten Dokumente sind hier von Relevanz:

D5: Höland, W. et al.; Phil. Trans. R. Soc. Lond. A (2003) 361, 575-589

D6: DE 197 50 794 A1

D9: EP 0 690 031 A1

D13A: Nachschmelzen von Ivoclar-Patentbeispielen

D15: Apel, E.; Journal of the European Ceramic Society 27 (2007), 1571-1577

III. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin einen Hilfsantrag 1 ein, der jetzt alleiniger Antrag ist.

Der für die vorliegende Entscheidung relevante Anspruch 12 lautet wie folgt:

"12. Verwendung eines Lithiumsilikatglases mit Keimen, die zur Ausbildung von Lithiummetasilikatkristallen als Hauptkristallphase geeignet sind, wobei das Glas 8,0 bis 16,0 Gew.-% ZrO2 enthält, zur Herstellung dentaler Restaurationen, wobei das Glas durch Verpressen zur gewünschten dentalen Restauration verformt wird."

IV. Die Einsprechende nahm ihren Einspruch am 10. Dezember 2018 zurück.

V. Die mündliche Verhandlung fand am 25 Mai 2020 als Videokonferenz statt. Darin machte die Beschwerdeführerin den Hilfsantrag 1 zu ihrem einzigen Antrag.

VI. Die Beschwerdeführerin beantragt die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf Basis des einzigen Antrags, eingereicht als Hilfsantrag 1 mit der Beschwerdebegründung.

Entscheidungsgründe

1. Verschlechterungsverbot (reformatio in peius)

Die Einsprechende hat ihren Einspruch zurückgenommen; sie ist somit hinsichtlich der Sachfragen nicht mehr am Verfahren beteiligt (siehe T 1676/08, Gründe 9.1.2).

Gemäß G 9/92 darf die Beschwerdekammer die Fassung des Patents gemäß der Zwischenentscheidung nicht zulasten des Patentinhabers in Frage stellen, wenn dieser der alleinige Beschwerdeführer ist (Verschlechterungs-verbot).

Im vorliegenden Fall sind die Ansprüche 1 bis 11 wortgleich mit den Ansprüchen 1 bis 11 des Hilfsantrags, der von der Einspruchsabteilung als den Erfordernissen des EPÜ genügend angesehen wurde. Diese Ansprüche stehen deshalb nicht mehr zur Debatte (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, 2019, V.A.3.1.5, vorletzter Absatz).

2. Zu den Ansprüchen 15 und 16 wurde in der Entscheidung nicht explizit Stellung genommen und im Beschwerdeverfahren nichts vorgetragen, sodass nur Ansprüche 12 bis 14 zur Debatte stehen.

3. Artikel 76(1) EPÜ

Die Bedingungen des Artikels 76(1) EPÜ sind erfüllt. Anspruch 12 geht aus einer Kombination der Ansprüche 20, 19, 14 und 2 der Stammanmeldung (EP 11162840.0) hervor. Zudem ergibt sich aus der Beschreibung der Stammanmeldung (Seite 6, Zeilen 15 und 16 in Kombination mit Seite 8, Zeilen 14 bis 16), dass die Keime bevorzugt geeignet sein sollen, Lithiummetasilikatkristalle als Hauptkristallphase auszubilden. Anspruch 13 basiert auf Anspruch 16 der Stammanmeldung. Anspruch 20 geht aus Anspruch 14 sowie Seite 8, Zeilen 32 bis 34 der Stammanmeldung hervor.

4. Artikel 123(2) EPÜ

Die Bedingungen des Artikels 123(2) EPÜ sind aus folgenden Gründen erfüllt:

Anspruch 12 geht unmittelbar und eindeutig aus Anspruch 12 in Kombination mit der Offenbarung in der Beschreibung auf Seite 8, Zeilen 9 bis 14 und Seite 4, Zeilen 2 bis 5 hervor. Ansprüche 13 und 14 entsprechen Ansprüchen 13 und 14 der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung.

5. Artikel 123(3) EPÜ

Der Rückbezug in Anspruch 12 des erteilten Patents auf die Komponenten der in einem der Ansprüche 1 oder 4 bis 10 definierten Glaskeramik ist so auszulegen, dass dieser sich nur auf die Ausgangskomponenten des Ausgangsglases, also nur auf ZrO2 bezieht, nicht jedoch auf die Gewichtsangaben und auch nicht auf die Kristallphase. Der jetzige Anspruch 12 ist gegenüber Anspruch 12 des erteilten Patents dahingehend eingeschränkt, dass das zu verwendende Glas 8,0 bis 16,0 Gew.-% ZrO2 enthalten muss, was gemäß erteiltem Anspruch 12 durch die fehlende Gewichtsangabe nicht der Fall war.

Die Bedingungen des Artikels 123(3) EPÜ sind somit erfüllt.

6. Artikel 83 EPÜ

Die Kammer stimmt mit der Einspruchsabteilung überein, dass die Ausführbarkeit, angesichts der zahlreichen Beispiele im Patent und des Fehlens von Gegenbeispielen gemäß Patent seitens der ehemaligen Einsprechenden, nicht in Frage gestellt werden kann. Die Unschärfe in der Quantifizierung der Kristallphasen ist ein Problem der Klarheit, das im vorliegenden Fall nicht die Ausführbarkeit betrifft.

7. Artikel 54 EPÜ

Die Bedingungen des Artikels 54 EPÜ sind aus folgenden Gründen erfüllt:

7.1 D5 offenbart zwei Ausführungsformen (i) und (ii) (Seite 579).

Die erste (i) offenbart kein Lithiummetasilikat, sodass auch nicht unmittelbar und eindeutig hervorgeht, dass ein Glas vorliegt, das Keime enthält, die zur Bildung einer Lithiummetasilikatkristallphase geeignet sind. Die Bildung solcher Keime erfordert eine spezifische kontrollierte Wärmebehandlung des Ausgangsglases, sodass in diesem Glas mit Keimen anschließend durch eine weitere spezifische Wärmebehandlung die gewünschten Lithiummetasilikatkristalle gebildet werden können. Es gibt keinen Hinweis, dass das Vorhandensein beliebiger Keime zur Bildung von Lithiummetasilikat als Hauptkristallphase geeignet ist.

Die zweite Ausführungsform (ii) offenbart kein Zirkonium.

7.2 D6 offenbart in Beispiel 22 die Herstellung eines Dentalproduktes durch computergesteuerte Frästechnik. Das Ausgangsglas hat die für Beispiel 7 (Tabelle I) angegebene Zusammensetzung und enthält somit kein Zirkonium. Die in D13A gezeigten Versuche betreffend Beispiel 17 und Beispiel 17 mit 8 Gew.-% ZrO2, die auf Verfahrensangaben aus Beispiel 22 beruhen sollen, sind in der D6 nicht vorhanden und können somit nicht als Nacharbeitung eines Versuches des Standes der Technik angesehen werden. Zudem stellt ein Ausführungsbeispiel eine jeweils in sich abgeschlossene, spezielle Ausführungsform dar (T 210/05, Gründe 2.3), die nicht mit anderen Angaben aus der Beschreibung kombiniert werden kann. Die Kammer stimmt somit nicht mit der Einspruchsabteilung überein, da die Relevanz eines Dokumentes für die Frage der Neuheit nicht aufgrund von Wahrscheinlichkeiten bestimmt wird (T 464/94, Gründe 16). Ein Glas mit Keimen, die zur Ausbildung von Lithiummetasilikatkristallen als Hauptkristallphase geeignet sind, wobei das Glas 8,0 bis 16,0 Gew.-% ZrO2 enthält, geht somit nicht unmittelbar und eindeutig aus D6 hervor.

8. Artikel 56 EPÜ

8.1 Die Erfindung betrifft die Verwendung von Lithiumsilikatglas enthaltend ZrO2 zur Herstellung dentaler Restaurationen (Absatz [0001]).

8.2 Von den im Beschwerdeverfahren erwähnten Dokumenten ist D15 nächstliegender Stand der Technik. Es offenbart in Tabelle 1 ein Ausgangsglas 4 enthaltend 4,05 Gew.-% ZrO2. Nach dem ersten Kristallisationsschritt ist Lithiummetasilikat die Hauptkristallphase (Seite 1573, rechte Spalte, letzter Satz). Die Glaskeramiken werden zur Herstellung dentaler Restaurationen verwendet (Einleitung, dritter Satz).

8.3 Die zu lösende Aufgabe besteht darin ein Glas zu verwenden, das es erlaubt eine Glaskeramik zur Verfügung zu stellen, die durch Aufpressen im viskosen Zustand auf eine Zirkonoxidkeramik geschichtet werden kann und dabei eine im wesentlichen von Rissen und Sprüngen freie Beschichtung bildet (Absatz [0010]).

8.4 Die Aufgabe wird durch die Verwendung eines Glases gemäß Anspruch 12 gelöst dadurch gekennzeichnet, dass das Glas 8,0 bis 16,0 Gew.-% ZrO2 enthält.

8.5 Die Aufgabe wird als erfolgreich gelöst angesehen. Obwohl die Daten aus der Tabelle 3 der D15 bereits auf eine hohe Festigkeit hindeuten, gibt es keine Hinweise wie sich das Verhalten dieser Glaskeramik beim Aufpressen darstellt. Es gibt auch keine Hinweise in Form von Versuchen, die die erfolgreiche Lösung der Aufgabe in Frage stellen würden.

8.6 Die Lösung ist aus folgenden Gründen nicht nahegelegt:

D15 offenbart nicht die Eigenschaften beim Aufpressen auf eine Keramik und gibt keinen Hinweis, ZrO2 im Bereich von 8,0 bis 16,0 Gew.-% zu wählen.

D6 betrifft keine Gläser, die Keime enthalten zur Ausbildung einer Lithiummetasilikatkristallphase. Zudem enthalten die beispielhaft gezeigten Ausgangsgläser in Tabelle 1 maximal 6.1 Gew.% ZrO2.

Auch D9 betrifft keine Glaskeramiken mit Lithiummetasilikat als Hauptkristallphase, sodass demzufolge auch kein Glas mit Keimen, die zur Ausbildung einer solchen geeignet sind, gelehrt wird. Eine eindeutige Lehre, ZrO2 im Bereich von 8,0 bis 16,0 Gew.-% zu wählen, ist auch nicht vorhanden, da der bevorzugte Bereich 16 bis 25 Gew.-% ist (Anspruch 2).

8.7 Der Gegenstand des Anspruchs 12 beruht somit auf einer erfinderischen Tätigkeit. Dies gilt demzufolge auch für die abhängigen Ansprüche 13 und 14.

8.8 Die Bedingungen des Artikel 56 EPÜ sind somit erfüllt.

9. Anpassung der Beschreibung

Die einzige Änderung gegenüber dem erteilten Patent fand in Anspruch 12 statt. Diese Änderung erfordert keine Anpassung der Beschreibung, da sie bereits in Absatz [0037] reflektiert ist.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in geändertem Umfang auf Basis des einzigen Antrags (eingereicht mit der Beschwerdebegründung als Hilfsantrag 1) und der Beschreibung und Figuren des Patents wie erteilt aufrecht zu erhalten.

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