European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2021:T134518.20210618 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 18 Juni 2021 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1345/18 | ||||||||
Anmeldenummer: | 06829216.8 | ||||||||
IPC-Klasse: | A61C 5/04 A61C 5/02 A61K 6/00 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | VERWENDUNG VON KNOCHENKLEBSTOFF ZUR ABDICHTUNG EINES APIKALEN FORAMENS | ||||||||
Name des Anmelders: | Lietzau, Markus | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.2.08 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Neuheit - Neuheit der Verwendung Neuheit - zweite (bzw. weitere) medizinische Verwendung Ausnahmen von der Patentierbarkeit - Verfahren zur chirurgischen Behandlung |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Der Anmelder legte Beschwerde ein gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 11.12.2017, die Europäische Patentanmeldung Nr. 06 829 216.8 zurückzuweisen.
II. Die Prüfungsabteilung hatte entschieden, dass der damals geltende Hauptantrag den Anforderungen des Artikels 123(2) EPÜ widerspricht, und dass der damals geltende Hilfsantrag 1 gemäß Artikel 53 c) EPÜ von der Patentierung ausgeschlossen ist.
III. Der Beschwerdeführer (Anmelder) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf Grundlage des Hauptantrags oder des Hilfsantrags 1, beide eingereicht mit der Beschwerdebegründung.
Ferner beantragte er die Rückerstattung der Beschwerdegebühr.
IV. Mit einem Bescheid vom 2. Juni 2020 teilte die Kammer dem Beschwerdeführer ihre vorläufige Auffassung mit, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags nicht neu sei (Artikel 54 (5) EPÜ) und dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sei (Artikel 53 c) EPÜ).
Ferner teilte die Kammer mit, das der Antrag auf Erstattung der Beschwerdegebühr nicht begründet war und somit voraussichtlich zurückzuweisen sei.
V. Mit Schreiben vom 16. Juni 2021 sagte der Beschwerdeführer seine Teilnahme an der anberaumten mündlichen Verhandlung ab und beantragte eine Entscheidung nach Aktenlage.
VI. In dieser Entscheidung werden die folgenden Dokumente genannt:
- D3: EP 0 555 807A;
- Produktinformation "Tricos", Hersteller Baxter Deutschland GmbH BioSurgery;
VII. Die unabhängigen Ansprüche haben folgenden Wortlaut:
a) Hauptantrag:
"Knochenkleber umfassend Kalziumphosphatzemente und deren Granula zur Verwendung in einem Verfahren bei der Behandlung von Knochenläsionen und zur Verblockung eines Wurzelkanals im apikalen Bereich, wobei der apikale Bereich des Wurzelkanals in Vorbereitung einer sicheren Wurzelkanalfüllung mit einem den Knochenkleber aufweisenden separaten apikalen Verschlussstopfen verblockt wird, wobei der Knochenkleber durch Überstopfen aus dem apikalen Bereich in das umgebende Gewebe eindringt und der Knochenkleber nicht mehr als 1/10 der Gesamtkanalwurzellänge in den Wurzelkanal hineinreicht."
b) Hilfsantrag 1:
"Nicht-therapeutische Verwendung von Knochenkleber ausgewählt aus der Gruppe umfassend Kalziumphosphatzemente oder deren Granula zur Verblockung des apikalen Bereichs eines Wurzelkanals, wobei der Knochenkleber in Vorbereitung einer Wurzelkanalfüllung verwendet wird."
VIII. Der Beschwerdeführer argumentierte im Wesentlichen wie folgt:
Hauptantrag
Der Knochenkleber sei eine chemische Substanz, die in dem beanspruchten Verfahren eine unmittelbare und eine mittelbare medizinische Wirkung entfalte. Die Voraussetzungen gemäß Artikel 54(5) EPÜ seien daher erfüllt.
Zunächst fixiere der Knochenzement mögliche Knochenläsionen. Des Weiteren habe er eine prophylaktische Wirkung, indem er während der Behandlung das Eindringen von Bakterien in den Wurzelkanal verhindere. Auch nach der Resorption des Knochenklebers werde das Eindringen von Bakterien verhindert, indem der Wurzelkanal nur zu 1/10 seiner Länge befüllt werde. Dadurch könnten alle Dentintubuli entlang des Wurzelkanals durch eine herkömmliche Wurzelkanalfüllung dauerhaft verschlossen werden. Es handele sich daher um eine zweite medizinische Indikation des Knochenklebers im Sinne der G 2/08 und der G 6/88.
Hilfsantrag 1
Anspruch 1 des Hilfsantrag sei eingeschränkt auf nicht-therapeutische Verwendungen des Knochenklebers. Beispiele hierfür seien die Behandlung abgestorbener Zähne aus rein kosmetischen Gründen oder das Befüllen eines extrahierten Zahns in der Zahntechnik.
Der Gegenstand des Anspruchs falle daher nicht unter die Ausschlusskriterien des Artikels 53(c) EPÜ.
Entscheidungsgründe
1. Hauptantrag - Artikel 54(5) EPÜ
1.1 Die Formulierung des Hauptantrags zielt ab auf die Zuerkennung der Neuheit auf Grund einer spezifischen weiteren medizinischen Verwendung eines bekannten Stoffes oder Stoffgemisches gemäß Artikel 54(5) EPC.
1.2 Knochenkleber umfassend Kalziumphosphatzemente und deren Granula waren zum Zeitpunkt der Anmeldung der Patentanmeldung unstreitig bereits allgemein bekannt. Beispiele hierfür liefern das Dokument D3, Seite 4, Zeile 19 - Seite 6, Zeile 31 (second embodiment), und die vom Beschwerdeführer eingereichte Produktinformation "Tricos".
1.3 Neuheit könnte somit allenfalls im Sinne einer zweiten medizinischen Verwendung zuerkannt werden, falls die Voraussetzungen für die Anwendung des Artikels 54(5) EPÜ erfüllt sind.
1.4 Artikel 54(5) EPÜ verlangt zum einen, dass der Anspruch auf einen Stoff oder ein Stoffgemisch gerichtet ist, zum anderen, dass es sich um eine spezifische Anwendung des Stoffes oder Stoffgemisches in einem in Artikel 53 c) EPÜ genannten Verfahren handelt, wobei diese Anwendung nicht zum Stand der Technik gehören darf.
1.5 Bei der "Verblockung eines Wurzelkanals im apikalen Bereich" durch einen einen Knochenkleber aufweisenden separaten apikalen Verschlusstopfen, bei dem der "Knochenkleber durch Überstopfen aus dem apikalen Bereich in das umgebende Gewebe eindringt", handelt es sich um ein Verfahren im Sinne von Artikel 53 c) EPÜ. Insoweit ist dem Beschwerdeführer zuzustimmen.
Das explizit genannte "Überstopfen", also das Eindringen des Knochenklebers aus dem apikalen Bereich in das umgebende Gewebe, verdrängt dort befindliches körpereigenes Gewebe und kann neben den üblichen Risiken einer Injektion (Infektion, Blutung) durch die damit verbundene Raumforderung zur Schädigung von Nerven, Blutgefäßen und anderen dort befindlichen Strukturen führen. Das Verfahren stellt damit einen erheblichen physischen Eingriff am Körper dar, dessen Durchführung medizinische Fachkenntnisse erfordert und der, selbst wenn er mit der erforderlichen professionellen Sorgfalt und Kompetenz ausgeführt wird, mit einem wesentlichen Gesundheitsrisiko verbunden ist. Es handelt sich somit um ein chirurgisches Verfahren.
Der Beschwerdeführer weist zudem zurecht darauf hin, dass es sich bei dem beanspruchten Verfahren um eine "prophylaktische Heilbehandlung" handelt (Beschwerdeschrift, Seite 4, 3. Absatz).
1.6 Die zweite Voraussetzung für die Anwendung des Artikels 54(5) EPÜ besteht darin, dass es sich bei dem beanspruchten "Knochenkleber umfassend Kalziumphosphatzemente und deren Granula" um einen Stoff oder ein Stoffgemisch im Sinne dieses Artikels handeln muss.
1.7 Die Frage, was unter die Begriffe Stoff oder Stoffgemisch im Sinne von Artikel 54(5) EPÜ fällt, war Gegenstand mehrerer Entscheidungen der Beschwerdekammern (vgl. insbesondere T 1758/15, Entscheidungsgründe 5.2; T 2136/15, Entscheidungsgründe 1; T 2003/08, Entscheidungsgründe 17, 18). Zusammenfassend kamen die Kammern zu der Auslegung, dass es sich dabei um einen Stoff oder ein Stoffgemisch handeln muss, das in dem beanspruchten, als solches neuen Verfahren eine Wirkung entfaltet. Dabei muss die Wirkung durch den Stoff bzw. das Stoffgemisch selbst bewirkt werden, nicht durch eine aus dem Stoff bzw. dem Stoffgemisch entstandene Makrostruktur.
1.8 Der Beschwerdeführer brachte vor, dass der beanspruchte Knochenkleber ein unmittelbare und eine mittelbare medizinische Wirkung auf den Zahnhalteapparat entfalte.
1.8.1 Die unmittelbare medizinische Wirkung des Knochenklebers sei darin zu sehen, dass er Knochenläsionen fixiere.
Diese Wirkung entspricht jedoch der wohlbekannten Wirkung eines jeden derartigen Knochenklebers. Diese Wirkung kann somit bereits aus diesem Grund keine Neuheit im Sinne einer zweiten medizinischen Verwendung herstellen.
1.8.2 Die mittelbare Wirkung beruhe auf der Ausbildung einer Verblockung im Sinne eines Verschlusstopfens. Die Positionierung des Verschlussstopfens im apikalen Bereich verhindere, dass das nachträglich eingebrachte Wurzelfüllmaterial aus dem Wurzelkanal in apikaler Richtung austreten könne. Dadurch würden Reizungen und Infektionen prophylaktisch verhindert.
Der Verschlussstopfen besteht zwar aus einem Stoff- bzw. Stoffgemisch, so wie das auch bei jedem anderen Erzeugnis der Fall sein kann. Es ist jedoch nicht der Stoff bzw. das Stoffgemisch, welches die Wirkung aufweist, sondern die aus diesem Stoff bzw. Stoffgemisch gebildete Makrostruktur (vgl. dazu: T 2136/15, Entscheidungsgründe 1.1 ff und insbesondere 1.6 sowie T 2003/08, Entscheidungsgründe 17, 18).
Insbesondere liegt die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Neuheit speziell in der Länge des Verschlussstopfens von maximal 1/10 der Wurzelkanallänge. Dies stellt ebenfalls keine stoffliche Eigenschaft des Knochenklebers dar.
Die mittelbare Wirkung der Verblockung ist daher im Sinne der oben wiedergegebenen Auslegung keine Wirkung des Stoffs bzw. des Stoffgemisches und kann nicht als Basis dafür dienen, dem beanspruchten Knochenkleber umfassend Kalziumphosphatzemente und deren Granula Neuheit gemäß Artikel 54(5) EPÜ zuzuerkennen.
1.9 Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag ist daher nicht neu.
2. Hilfsantrag 1 - Artikel 53 c) EPÜ
2.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags definiert eine Verwendung von Knochenkleber zur Verblockung des apikalen Bereichs eines Wurzelkanals und wurde auf nicht-therapeutische Verfahren eingeschränkt.
Das beanspruchte Verfahren schließt jedoch, auch wenn es nur für kosmetische Zwecke angewendet wird, das in der Beschreibung erwähnte Überstopfen des apikalen Bereichs ein (Anmeldung, Seite 7, vorletzter Absatz). Wie oben ausgeführt stellt dies ein chirurgisches Verfahren dar.
2.2 Es stimmt zwar, dass - wie vom Beschwerdeführer erwähnt - unter den Anspruchswortlaut auch eine rein zahntechnische Behandlung extrahierter oder in Folge eines Unfalls versehentlich gelöster Zähne fällt. Für den Ausschluss von der Patentierbarkeit nach Artikel 53 c) EPÜ ist es jedoch hinreichend, wenn der Anspruch eine chirurgische Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers umfasst.
Da dies im vorliegenden Anspruch der Fall ist, steht Artikel 53 c) EPÜ der Erteilung eines Patents mit diesem Anspruch entgegen.
3. Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr
Der Beschwerdeführer hat Rückzahlung der Beschwerdegebühr beantragt, ohne jedoch anzugeben, welche der in Regel 103 EPÜ genannten Voraussetzungen für eine Rückzahlung vorlägen. Der Antrag ist daher nicht begründet und somit zurückzuweisen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.