T 1227/18 () of 18.3.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T122718.20220318
Datum der Entscheidung: 18 März 2022
Aktenzeichen: T 1227/18
Anmeldenummer: 11718006.7
IPC-Klasse: F16F 15/131
F16F 15/134
F16H 45/02
F16F 7/10
F16F 15/14
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 416 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: DREHMOMENTÜBERTRAGUNGSANORDNUNG FÜR DEN ANTRIEBSSTRANG EINES FAHRZEUGS
Name des Anmelders: ZF Friedrichshafen AG
Name des Einsprechenden: Valeo Embrayages
Kammer: 3.2.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 52(1)
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(2)
Schlagwörter: Hauptantrag - Neuheit - (nein)
Hilfsantrag 1 - Änderung nach Ladung (ja) - außergewöhnliche Umstände (nein)
Hilfsantrag 2 - Änderung nach Ladung (nein) - Ausreichende Offenbarung (ja) - Erfinderische Tätigkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 2758/17

Sachverhalt und Anträge

I. Die Einsprechende legte Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit der das Patent in der Fassung des damaligen Hilfsantrags 3 aufrechterhalten wurde.

II. Am 18. März 2022 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer in Form einer Videokonferenz statt.

III. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents, und dass die mit Schreiben vom 28. Dezember 2021 eingereichten Hilfsanträge 1 bis 3 nicht in das Beschwerdeverfahren zugelassen werden.

IV. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, sowie hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1 bis 3, eingereicht mit Schreiben vom 28. Dezember 2021.

V. Die folgenden Dokumente werden in der vorliegenden Entscheidung verwendet:

D8: DE 102 36 752 A1

D10: JP 2009-115112 A

D10a: Maschinelle Übersetzung der D10

D15: JP 2009-41662 A

D15a: Maschinelle Übersetzung der D15

1.1 Anspruch 1 des Hauptantrags lautet (mit hinzugefügter Merkmalsgliederung):

"(A) Drehmomentübertragungsanordnung für den Antriebsstrang eines Fahrzeugs, umfassend

(B) einen mit einem Antriebsorgan, insbesondere Antriebswelle, zur Drehung um eine Drehachse (A) zu koppelnden Antriebsbereich (12),

(C) der eine mit Fluid gefüllte oder füllbare Gehäuseanordnung (44) umfasst,

(D) einen über eine Dämpferelementenanordnung (24) mit dem Antriebsbereich (12) gekoppelten und im Kopplungszustand gegen die Rückstellwirkung der Dämpferelementenanordnung (24) um die Drehachse (A) bezüglich des Antriebsbereichs (12) drehbaren Abtriebsbereich (16),

(E) wobei im Drehmomentenfluss zwischen der Gehäuseanordnung (44) und dem Abtriebsbereich (16) eine Torsionsschwingungsdämpferanordnung (14) mit einem Eingangsbereich (76), einem Ausgangsbereich (82) und der dazwischen wirkenden Dämpferelementenanordnung (24) vorgesehen ist,

(F) sowie eine Feder-Masse-Pendeleinheit (32, 34) mit einer Federanordnung (36, 38) und einer gegen die Rückstellwirkung der Federanordnung (36, 38) auslenkbaren Masseanordnung (40, 42),

(G) wobei die Dämpferelementenanordnung (24) einen ersten Dämpferelementenbereich (26), einen zweiten Dämpferelementenbereich (28) und dazwischen eine Zwischenmassenanordnung (30) umfasst,

(H) wobei die Torsionsschwingungsdämpferanordnung (14)

(H1) einen ersten Torsionsschwingungsdämpfer (68) mit einer den Eingangsbereich (76) bereitstellenden ersten Primärseite (72) und einer gegen die Wirkung des ersten Dämpferelementenbereichs (26) bezüglich der ersten Primärseite (72) drehbaren ersten Sekundärseite (74) sowie

(H2) einen zweiten Torsionsschwingungsdämpfer (70) mit einer zweiten Primärseite (78) und einer gegen die Wirkung des zweiten Dämpferelementenbereichs (28) bezüglich der zweiten Primärseite (78) drehbaren und den Ausgangsbereich (82) bereitstellenden zweiten Sekundärseite (80) umfasst,

(I) wobei die erste Sekundärseite (74) und die zweite Primärseite (78) wenigstens einen Teil der Zwischenmassenanordnung (30) bereitstellen,

dadurch gekennzeichnet, dass

(J) wenigstens zwei Feder-Masse-Pendeleinheiten (32, 34) jeweils mit einer Federanordnung (36, 38) und einer gegen die Rückstellwirkung der Federanordnung (36, 38) auslenkbaren Masseanordnung (40, 42) vorgesehen sind, und dass

(K1) mehrere Feder-Masse-Pendeleinheiten (32, 34) an den Abtriebsbereich (16) angekoppelt sind oder

(K2) mehrere Feder-Masse-Pendeleinheiten (32, 34) an die Zwischenmassenanordnung (30) angekoppelt sind."

Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass die Drehmomentübertragungseinrichtung in Merkmal A "ausgebildet ist als hydrodynamischer Drehmomentwandler".

Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags durch

- Streichen der Alternative K1 und

- Verschieben von Merkmal J in die Präambel des Anspruchs.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 durch Streichen der Alternative K1.

VI. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen.

Hauptantrag

Der Gegenstand von Anspruch 1 sei nicht neu gegenüber Figur 8 der D8, die zwei Feder-Masse-Pendeleinheiten offenbare, die beide an den "Abtriebsbereich" einer Drehmomentübertragungsanordnung angekoppelt seien.

Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 3

Der Hilfsanträge 1 bis 3 sollten nicht in das Verfahren zugelassen werden, da sie nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung eingereicht worden seien und keine außergewöhnlichen Umstände vorlägen, die ihre Zulassung unter Artikel 13 (2) VOBK begründeten.

Hilfsantrag 2

Der Gegenstand von Anspruch 1 sei nicht ausführbar, da das Patent weder offenbare, wie die Primärseite (72) des ersten Torsionsschwingungsdämpfers mit der Gehäuseanordnung (44) des Antriebsbereichs (12) verbunden werde könne, noch wie beide Feder-Masse-Pendeleinheiten an die Zwischenmassenanordnung angekoppelt werden könnten. Es gebe keine einzige Detailzeichnung, die eine Anordnung gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 darstelle.

Der Gegenstand von Anspruch 1 beruhe ausgehend von D10 oder D15 in Verbindung mit D8 und ausgehend von Figur 7 der D8 in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

VII. Die Beschwerdegegnerin argumentierte im Wesentlichen wie folgt.

Hauptantrag

Die beiden Feder-Masse-Pendeleinheiten in Figur 8 der D8 gehörten zu verschiedenen Baugruppen (Drehmomentwandler und Automatikgetriebe), die getrennt voneinander zu betrachten seien. Der Drehmomentwandler 80 mit den Merkmalen A bis I, der der Drehmomentübertragungsanordnung von Anspruch 1 entspreche, umfasse nur eine, nicht zwei, Feder-Masse-Pendeleinheiten (Merkmal J). Die beiden in Figur 8 gezeigten Feder-Masse-Pendeleinheiten seien zudem nicht beide an den Abtriebsbereich des Drehmomentwandlers (Merkmal K1) angekoppelt. Daher sei der Gegenstand von Anspruch 1 neu.

Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 3

Es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die die Zulassung der Hilfsanträge 1 und 3 in das Verfahren begründeten.

Die vorläufige Meinung der Kammer sei den Parteien nämlich erst nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung zugestellt worden. Dort sei der Patentinhaberin zum ersten Mal die von der Einspruchsabteilung abweichende Meinung der Kammer bekannt geworden. Deswegen sei es der Patentinhaberin erst nach der Ladung möglich gewesen, darauf zu reagieren, was sie auch binnen kürzester Zeit gemacht habe.

Es sei einer Partei nicht zuzumuten, in Vorausahnung jeder möglichen Meinung der Kammer eine Vielzahl von Anträgen zu stellen, die dieser Rechnung tragen könnten.

Das hinzugefügte Merkmal sei aus einem Unteranspruch entnommen worden, der schon mit der Einspruchsschrift angegriffen worden sei, so dass sich diese Änderung im Bereich dessen befinde, was im Einspruchs- und Beschwerdeverfahren schon diskutiert worden sei.

Schließlich sei die Änderung einfach und durch die vorläufige Meinung der Beschwerdekammer veranlasst.

Der Hilfsantrag 2 solle in das Verfahren zugelassen werden, da die vorgenommene Streichung einer Alternative im unabhängigen Anspruch 1 keine Änderung des Beschwerdevorbringens darstelle.

Hilfsantrag 2

Der Gegenstand von Anspruch 1 sei im Patent ausreichend offenbart. Figur 2 zeige ein detailliertes Ausführungsbeispiel, bei dem zwar beide Feder-Masse-Pendeleinheiten an den Abtriebsbereich angekoppelt seien. Aus der Beschreibung, insbesondere Absatz [0047], gehe jedoch klar hervor, wie stattdessen eine Ankopplung der Feder-Masse-Pendeleinheiten an die Zwischenmasseneinheit erreicht werden könne. Ebenso sei es fachbekannt, wie sich eine Verbindung einer Zentralscheibe (72) mit der Gehäuseanordnung (44) bzw. der Überbrückungskupplung (64) durch ein Deckscheibenelement (78) hindurch realisieren lasse.

Der Gegenstand von Anspruch 1 beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit. D8 enthalte keine Anregung, zwei Feder-Masse-Pendeleinheiten beide an der Zwischenmassenanordnung anzukoppeln. Daher wäre der Fachmann ausgehend von D10, D15 oder Figur 7 der D8 nicht auf naheliegende Weise zum Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 gelangt.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag - Neuheit, D8 (Figur 8)

1.1 Das Ausführungsbeispiel von Figur 8 der D8 offenbart unstreitig die Merkmale A bis I von Anspruch 1.

1.2 Figur 8 zeigt einen Drehmomentwandler 80 mit einem nachgeordneten Automatikgetriebe 81.

Der Drehmomentwandler weist zwei Torsionsschwingungsdämpfer mit einer dazwischen liegenden Zwischenmassenanordnung auf.

Im Innenraum des Drehmomentwandlers befindet sich zudem eine erste Feder-Masse-Pendeleinheit 22 (in der Figur links), die nach Absatz [0051] "drehfest mit [...] dem Stützring 45 verbunden" sein kann. Der Stützring ist drehfest mit der Buchse 32 verbunden und bildet mit dieser die "Ausgangsseite" des Drehmomentwandlers (Absatz [0044]). Diese Feder-Masse-Pendeleinheit ist folglich an den Abtriebsbereich des Drehmomentwandlers angekoppelt (vgl. Merkmal K1).

1.3 Die Figur 8 offenbart darüber hinaus eine zweite Feder-Masse-Pendeleinheit 22 (in der Figur rechts), die zwar räumlich in dem Automatikgetriebe 81 angeordnet ist, aber drehfest an die Getriebeeingangswelle 83 des Automatikgetriebes angekoppelt ist, die wiederum an den Abtriebsbereich des Drehmomentwandlers angekoppelt ist (Absätze [0042] und [0052]).

Folglich offenbart D8 im Ausführungsbeispiel der Figur 8 zwei Feder-Masse-Pendeleinheiten, die beide

an den Abtriebsbereich des Drehmomentwandlers angekoppelt sind, wie von den Merkmalen J und K1 verlangt.

1.4 Die Beschwerdegegnerin trug vor, ein Antriebsstrang umfasse verschiedene Systembereiche, die als separate Baugruppen aufgebaut und für sich allein betrachtet würden. Im Lichte der Beschreibung (Absätze [0001] und [0002]) betreffe die "Drehmomentübertragungsanordnung" von Anspruch 1 ein "Anfahrelement", beispielsweise einen hydrodynamischen Drehmomentwandler. Anspruch 1 sei daher auf eine solche in sich geschlossene Baugruppe gerichtet.

Der Drehmomentwandler und das Automatikgetriebe von Figur 8 der D8 stellten zwei voneinander getrennte Systembereiche dar. Der Drehmomentwandler entspreche der Drehmomentübertragungsanordnung von Anspruch 1. Die zweite Feder-Masse-Pendeleinheit befinde sich jedoch im Inneren des Automatikgetriebes. Sie sei daher kein Bestandteil des Drehmomentwandlers und könne folglich auch nicht (unmittelbar)an dessen Abtriebsbereich angekoppelt sein, so dass weder Merkmal J noch Merkmal K1 von Anspruch 1 erfüllt seien.

1.5 Es ist zwar richtig, dass der Fachmann die einzelnen Systembereiche eines Antriebsstrangs als voneinander abgegrenzte, in sich geschlossene Baugruppen betrachtet.

Anspruch 1 ist jedoch nicht auf ein "Anfahrelement" oder einen Drehmomentwandler beschränkt und darf auch nicht lediglich aufgrund von Merkmalen der Beschreibung in dieser Weise einschränkend ausgelegt werden. Er bezieht sich nicht auf einen für den Fachmann klar abgegrenzten Systembereich bzw. eine Baugruppe, sondern ist auf eine allgemeine Anordnung zur Übertragung eines Drehmoments ("Drehmomentübertragungsanordnung") gerichtet, die auch aus verschiedenen Baugruppen eines Antriebsstrangs oder deren Bestandteilen zusammengesetzt sein kann. Der Gegenstand von Anspruch 1 ist daher nicht auf eine in sich geschlossene Baugruppe eingeschränkt.

Daher können die Getriebeeingangswelle 83 und die zweite Feder-Masse-Pendeleinheit 22 über die Grenze des Drehmomentwandlers hinweg mit zur beanspruchten "Drehmomentübertragungsanordnung" gezählt werden, so dass in Figur 8 "wenigstens zwei Feder-Masse-Pendeleinheiten" gemäß Merkmal J offenbart sind.

Die "Getriebeeingangswelle" 83 überträgt das ausgangsseitige Drehmoment dieser "Drehmomentübertragungsanordnung" und gehört daher zusammen mit der Buchse 32 und dem Stützring 45 zum Abtriebsbereich der Drehmomentübertragungsanordnung.

Die zweite Feder-Masse-Pendeleinheit ist gemäß Absatz [0052] der D8 "drehfest an die Getriebeeingangswelle 83unmittelbarangekoppelt" und folglich - wie die erste Feder-Masse-Pendeleinheit - an den Abtriebsbereich der Drehmomentübertragungsanordnung angekoppelt.

Daher erfüllen die erste und die zweite Feder-Masse-Pendeleinheit von Figur 8 gemeinsam auch das Merkmal K1.

1.6 Somit offenbart die D8 im Ausführungsbeispiel der Figur 8 alle Merkmale von Anspruch 1 des Hauptantrags. Dessen Gegenstand ist daher nicht neu im Sinne der Artikel 52 (1) und 54 EPÜ.

2. Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 3

2.1 Die Hilfsanträge 1 bis 3 wurden am 28. Dezember 2021, nach Zugang der Ladung zur mündlichen Verhandlung und des Bescheids nach Artikel 15 (1) VOBK eingereicht. Somit sind sie verspätet vorgebracht worden und ihre Zulassung ist nach Artikel 13 (2) VOBK zu beurteilen.

2.2 Hilfsanträge 1 und 3

2.2.1 Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 und 3 enthält die zusätzliche Einschränkung, dass die Drehmomentübertragungseinrichtung "als hydrodynamischer Drehmomentwandler" ausgebildet ist. Die Hilfsanträge 1 und 3 stellen daher unstreitig eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdegegnerin dar.

2.2.2 Die Beschwerdegegnerin trug vor, dass außergewöhnliche Gründe vorlägen, die die Zulassung der Hilfsanträge 1 und 3 begründeten.

Die vorläufige Meinung der Kammer sei den Parteien nämlich erst nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung zugestellt worden. Dort sei der Patentinhaberin zum ersten Mal die von der Einspruchsabteilung abweichende Meinung der Kammer bekannt geworden. Deswegen sei es der Patentinhaberin erst nach der Ladung möglich gewesen, darauf zu reagieren, was sie auch binnen kürzester Zeit gemacht habe.

2.2.3 Es liegt in der Sache eines Beschwerdeverfahrens, dass die Beschwerdekammer in einem oder mehreren Punkten einer anderen Auffassung sein kann als die Einspruchsabteilung. Im Bescheid nach Artikel 15 (1) VOBK hat die Beschwerdekammer ihre vorläufige Meinung geäußert, dass der Gegenstand es Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag nicht neu gegenüber D8 sei. Dabei hat sie ihre Meinung auf die schon mit der Beschwerdebegründung vorgebrachten Argumente der Einsprechenden gegründet. Deswegen kann die Patentinhaberin von der vorläufigen - ihr gegenüber negativen - Meinung der Kammer nicht überrascht gewesen sein, und diese kann keinen außergewöhnlichen Umstand für die Zulassung des Hilfsantrags 1 darstellen.

2.2.4 Deswegen werden die Hilfsanträge 1 und 3 nicht in das Verfahren zugelassen.

2.3 Hilfsantrag 2

In Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 wurde im Vergleich zu Anspruch 1 des Hauptantrags lediglich eine von zwei alternativen Ausführungsformen im kennzeichnenden Teil gestrichen. Mehrere Feder-Masse-Pendeleinheiten müssen nun ausschließlich an die Zwischenmassenanordnung angekoppelt sein und nicht mehr alternativ an den Abtriebsbereich.

Das Streichen einer Alternative im kennzeichnenden Teil entspricht im vorliegenden Fall der Streichung eines unabhängigen Anspruchs, wodurch sich keine geänderte Sachlage ergibt. Folglich stellt die Streichung keine Änderung des Beschwerdevorbringens dar (siehe T2201/19 Punkt 5.5 der Gründe).

Da der Hilfsantrag 2 also keine Änderung des Beschwerdevorbringens im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK darstellt, ist er in das Verfahren zuzulassen.

3. Hilfsantrag 2

3.1 Ausführbarkeit

3.1.1 Verbindung zwischen den Elementen 72 und 44 bzw. 64

Die Beschwerdeführerin bemängelte, die Erfindung sei nicht ausführbar, da das Zentralscheibenelement 72 in Figur 2 von den Deckscheibenelementen 74, 78 der Zwischenmassenanordnung 30 verdeckt sei. Dadurch sei das Zentralscheibenelement 72 von der Überbrückungskupplung 64 bzw. der Gehäuseanordnung 44 getrennt. Es sei weder in Figur 2 noch in der Beschreibung offenbart, wie die Zentralscheibe 72 dennoch mit der Überbrückungskupplung 64 verbunden werden könne.

Anspruch 1 verlangt, dass im Drehmomentenfluss zwischen dem Antriebsbereich (12) mit der Gehäuseanordnung (44) (Merkmale B und C) und dem Abtriebsbereich (16) der Drehmomentübertragungsanordnung eine Torsionsschwingungsdämpferanordnung (14) vorgesehen ist (Merkmal E). Die erste Primärseite (72) des ersten Torsionsschwingungsdämpfers (68) (Merkmal H1) muss folglich drehfest mit dem Antriebsbereich (12) bzw. der Gehäuseanordnung (44) verbunden sein.

Wie dies realisiert werden kann, ist in den Absätzen [0036] und [0037] und in Figur 2 offenbart. Demnach ist die erste Primärseite 72 als Zentralscheibenelement ausgebildet und über eine Überbrückungskupplung 64 mit der Gehäuseanordnung 44 verbunden.

In der Tat befindet sich in der Schnittzeichnung der Figur 2 ein Deckscheibenelement 78 zwischen den Elementen 72 und 64. Dem Fachmann ist jedoch bekannt, dass die in Figur 2 nicht dargestellte Verbindung in einer anderen Schnittebene bestehen kann. Bei Torsionsschwingungsdämpfern sind durch benachbarte Scheiben hindurchgreifende Verbindungstechniken fachbekannt, beispielsweise in Form von Nietbolzen, die durch kreisbogenförmige Langlöcher in der Deckscheibe hindurchgreifen und so einer relativen Verdrehung der Scheiben gegeneinander nicht im Wege stehen. Daher ist die nicht dargestellte Verbindung für einen Fachmann ohne Weiteres ausführbar.

3.1.2 Ankopplung der Feder-Masse-Pendeleinheiten an die Zwischenmassenanordnung

Figur 2 offenbart eine konstruktive Ausgestaltung, bei der beide Feder-Masse-Pendeleinheiten an den Abtriebsbereich der Drehmomentübertragungsanordnung angekoppelt sind.

Die Beschwerdeführerin trug vor, es gebe jedoch keine Offenbarung und insbesondere keine detaillierte Zeichnung, wie die Feder-Masse-Pendeleinheiten stattdessen an die Zwischenmassenanordnung angekoppelt sein könnten, wie dies in Merkmal K2 von Anspruch 1 definiert sei. Daher sei der Gegenstand des Hilfsantrags 2 für den Fachmann nicht ausführbar.

Es stimmt zwar, dass die Anordnung gemäß Merkmal K2 nicht in den Figuren gezeigt ist. Absatz [0047] beschreibt jedoch, wie sich ausgehend von Figur 2 eine Ankopplung an die Zwischenmassenanordnung statt an den Abtriebsbereich erreichen lässt. Dies kann dadurch erreicht werden, dass die beiden nebeneinander liegenden Feder-Masse-Pendeleinheiten, wie in Figur 2 dargestellt, (weiterhin) "im Bereich ihrer Zentralscheibenelemente 84, 96 miteinander fest verbunden" sind und "an die die beiden Deckscheibenelemente [74, 78] umfassende Zwischenmassenanordnung 30 angebunden" werden. Absatz [0047] offenbart ferner, dass dabei die Turbinenradschale 88 (weiterhin) "über ein entsprechendes Kopplungselement an die Abtriebsnabe 66 angekoppelt" sein muss. Es versteht sich von selbst, dass die Zentralscheiben der Feder-Masse-Pendeleinheiten hingegen nicht mehr direkt mit der Abtriebsnabe gekoppelt sein dürfen.

Die Beschwerdeführerin konnte nicht darlegen, weswegen der Fachmann nicht in der Lage gewesen sein soll, dies technisch umzusetzen. Die Tatsache, dass es keine Zeichnung gibt, die dieses Ausführungsbeispiel detailliert darstellt, genügt hierfür jedenfalls nicht.

Deswegen ist die in Anspruch 1 definierte Erfindung so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.

3.1.3 Die in Anspruch 1 beanspruchte Erfindung erfüllt daher die Erfordernisse von Artikel 83 EPÜ.

3.2 Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D10

3.2.1 D10 (Figuren 5 und 6) offenbart unstreitig einen Drehmomentwandler mit den Merkmalen A bis E und G bis I und mit einer an der Zwischenmassenanordnung angekoppelten Feder-Masse-Pendeleinheit (Merkmal F).

Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich hiervon durch eine zweite Feder-Masse-Pendeleinheit (Merkmal J), die ebenfalls an der Zwischenmassenanordnung angekoppelt ist (Merkmal K2).

3.2.2 Die Unterscheidungsmerkmale lösen nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin mit Verweis auf Absatz [0033] des Streitpatents die objektive technische Aufgabe der verbesserten Schwingungsdämpfung.

3.2.3 D8 erwähnt in Absatz [0053], dass eine Kombination der offenbarten Ausführungsformen, beispielsweise der Einsatz mehrerer Feder-Masse-Pendeleinheiten, möglich sei. Selbst wenn es für den Fachmann deshalb naheliegend gewesen wäre, zur Lösung der gestellten Aufgabe eine zweite Feder-Masse-Pendeleinheit in Betracht zu ziehen, legt D8 nicht nahe, diese gerade an der Zwischenmassenanordnung anzukoppeln. Insbesondere, weil D8 nicht anregt, zwei Feder-Masse-Pendeleinheiten an demselben Ort innerhalb des Drehmomentwandlers anzukoppeln.

Die Beschwerdeführerin argumentierte, der Fachmann hätte die zweite Feder-Masse-Pendeleinheit ausgehend von D10 deswegen ebenfalls an der Zwischenmassenanordnung angekoppelt, weil die D10 diesen Ankopplungsort in Absatz [0062] als vorteilhaft darstelle.

In der Tat offenbart D10 (vgl. Absatz [0062] in D10a), dass die Feder-Masse-Pendeleinheit bei der Resonanzfrequenz des ersten Torsionsschwingungsdämpfers gegenphasig zur Zwischenmassenanordnung schwinge und so die Schwingungsübertragung dämpfe. Dieser Vorteil wird jedoch bereits durch die Feder-Masse-Pendeleinheit von Figur 5 der D10 ausgenutzt. Absatz [0062] beinhaltet hingegen keine Motivation dafür, eine zweite Feder-Masse-Pendeleinheit an demselben Ort anzukoppeln.

Daher wäre es nicht naheliegend gewesen, beide Feder-Masse-Pendeleinheiten an der Zwischenmassenanordnung anzukoppeln (Merkmal K2). Der Fachmann wäre somit nicht auf naheliegende Weise zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangt.

3.2.4 Daher beruht der Gegenstand von Anspruch 1 von Hilfsantrag 2 ausgehend von D10 auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne der Artikel 52 (1) und 56 EPÜ.

3.3 Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D15

3.3.1 D15 (Figuren 4 und 5) offenbart, wie die D10 (Figuren 5 und 6), ebenfalls unstreitig einen Drehmomentwandler mit den Merkmalen A bis E und G bis I und mit einer an der Zwischenmassenanordnung angekoppelten Feder-Masse-Pendeleinheit (Merkmal F).

Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich hiervon durch eine zweite Feder-Masse-Pendeleinheit (Merkmal J), die ebenfalls an der Zwischenmassenanordnung angekoppelt ist (Merkmal K2).

3.3.2 Die Unterscheidungsmerkmale lösen nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin mit Verweis auf Absatz [0033] des Streitpatents die objektive technische Aufgabe der verbesserten Schwingungsdämpfung.

3.3.3 Die Beschwerdeführerin trug vor, im Ausführungsbeispiel von Figur 4 der D15 sei es durch die Feder-Masse-Pendeleinheit gelungen, die Resonanzspitze a2 im Diagramm der Figur 6 zu unterdrücken. Dabei trete allerdings bei etwas niedrigeren Frequenzen eine neue Spitze auf. Um diese Resonanz ebenfalls zu dämpfen hätte der Fachmann, angeregt durch Absatz [0053] der D8, eine zweite Feder-Masse-Pendeleinheit vorgesehen und diese, nach dem Vorbild der D15, ebenfalls an der Zwischenmassenanordnung angekoppelt.

3.3.4 Zwar mag es für den Fachmann naheliegend gewesen sein, zur verbesserten Schwingungsdämpfung bzw. Unterdrückung der neu entstandenen Resonanzspitze eine zweite Feder-Masse-Pendeleinheit in Betracht zu ziehen.

Aus denselben Gründen wie oben ausgehend von D10 dargelegt (siehe Punkt 3.2.3), legen jedoch weder die D8 noch die D15 (die in Absatz [0046] denselben Vorteil wie in Absatz [0062] der D10 offenbart; vgl. D15a) nahe, eine zweite Feder-Masse-Pendeleinheit ebenfalls an der Zwischenmassenanordnung anzukoppeln.

3.3.5 Daher beruht der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 auch ausgehend von D15 auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne der Artikel 52 (1) und 56 EPÜ.

3.4 Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D8 (Figur 7)

3.4.1 Figur 7 der D8 offenbart einen Drehmomentwandler mit den Torsionsschwingungsdämpfern 40 und 43 (Absatz [0044]) und mit zwei Feder-Masse-Pendeleinheiten (22) gemäß den Merkmalen A bis J.

Die erste Feder-Masse-Pendeleinheit (unten mittig in Figur 7 mit den Referenzzeichen 60 und 61, Absatz [0048]) ist im Bereich der Eingangsseite des ersten Torsionsschwingungsdämpfers (40) angekoppelt. Die zweite Feder-Masse-Pendeleinheit (links oben in Figur 7 mit den Referenzzeichen 70, 71, 72, Absatz [0049]) ist am Ausgang des zweiten Torsionsschwingungsdämpfers (43) und damit an den Abtriebsbereich des Drehmomentwandlers angekoppelt. Folglich ist keine der beiden Feder-Masse-Pendeleinheiten an die Zwischenmassenanordnung (Übertragungselement 42) angekoppelt.

Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich daher von der Drehmomentübertragungsanordnung von Figur 7 der D8 dadurch, dass beide Feder-Masse-Pendeleinheiten an der Zwischenmassenanordnung angekoppelt sind (Merkmal K2).

3.4.2 Die Beschwerdeführerin trug vor, das Streitpatent offenbare keine Vorteile für die Ankopplung einer oder mehrerer Feder-Masse-Pendeleinheiten an der Zwischenmassenanordnung. Diese Anordnung habe daher keine besondere technische Wirkung. Die objektive technische Aufgabe des Unterscheidungsmerkmals sei folglich im Bereitstellen einer alternativen Anordnung der Feder-Masse-Pendeleinheiten zu sehen.

3.4.3 Nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin offenbare Absatz [0053] der D8, dass die verschiedenen Ausführungsbeispiele der D8 beliebig miteinander kombiniert werden könnten, und insbesondere der Einsatz mehrerer Feder-Masse-Pendeleinheiten möglich sei.

Dabei gebe es jedoch nur eine begrenzte Anzahl von Möglichkeiten, wo eine Feder-Masse-Pendeleinheit angekoppelt werden könnte. Gemäß D8 sei dies am Eingang, an der Zwischenmassenanordnung oder am Ausgang der Torsionsschwingungsdämpferanordnung möglich. Daher sei jede mögliche Kombination für den Fachmann gleich naheliegend gewesen. Aufgrund der Aufgabenstellung wäre er daher auf naheliegende Weise zum Anspruchsgegenstand gelangt.

3.4.4 Es stimmt zwar, dass D8 in Absatz [0053] die Möglichkeit der beliebigen Kombination der Ausführungsbeispiele behauptet und als Beispiel den Einsatz mehrerer Feder-Masse-Pendeleinheiten nennt. Diese Möglichkeit an sich stellt jedoch noch keine Motivation für eine anlasslose Veränderung der offenbarten Ausführungsbeispiele dar.

Selbst wenn der Fachmann durch die vorgetragene Aufgabenstellung und durch Absatz [0053] der D8 angeregt worden wäre, die Anordnung der Feder-Masse-Pendeleinheiten des Ausführungsbeispiels der Figur 7 zu verändern oder ggf. durch Hinzunahme einer weiteren Feder-Masse-Pendeleinheit weiterzubilden, bedeutet dies nicht, dass er dabei auf naheliegende Weise zum Anspruchsgegenstand gelangt wäre. Denn obwohl D8 tatsächlich keine spezifischen Vorteile für die drei möglichen Positionen nennt (Absätze [0041], [0051]), sind diese und ihre möglichen Kombinationen nicht unbedingt gleichwertig.

So ist es fachbekannt, dass eine kompakte Bauweise und daher die Ausnutzung des verfügbaren Bauraums eines Antriebsstrangs von erheblicher Bedeutung sind. Diese Überlegungen finden sich auch in D8 wieder, wo betont wird, dass die Feder-Masse-Systeme in zwischen den übrigen Komponenten "gebildeten Zwischenräumen" (73, 74, 82) angeordnet werden (Absätze [0050] bis [0052]). So offenbart D8 nirgends, zwei Feder-Masse-Pendeleinheiten am selben Ort innerhalb des Drehmomentwandlers anzukoppeln, was angesichts der engen räumlichen Verhältnisse auch nicht naheliegend war.

Daher war es nicht naheliegend, die Anordnung der beiden Feder-Masse-Pendeleinheiten der Figur 7 so zu verändern, dass beide gemeinsam an der Zwischenmassenanordnung angekoppelt sind.

3.4.5 Somit beruht der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 auch ausgehend von D8 auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne der Artikel 52 (1) und 56 EPÜ.

3.5 Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 erfüllt daher die Erfordernisse von Artikel 83 und von Artikel 52 (1) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgenden Unterlagen und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten:

- Ansprüche 1 bis 9 des Hilfsantrags 2, eingereicht mit Schreiben vom 28. Dezember 2021,

- Figuren 1 bis 10 der Patentschrift.

Quick Navigation