T 2758/17 () of 15.7.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T275817.20220715
Datum der Entscheidung: 15 Juli 2022
Aktenzeichen: T 2758/17
Anmeldenummer: 12718564.3
IPC-Klasse: F15B 7/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Hydraulische Einrichtung zur Betätigung einer Kupplung
Name des Anmelders: Schaeffler Technologies AG & Co. KG
Name des Einsprechenden: Valeo Embrayages
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
European Patent Convention Art 84
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(2)
European Patent Convention Art 104(1)
European Patent Convention R 124(1)
Schlagwörter: Vertretung - mündliche Ausführungen einer Begleitperson (abgelehnt)
Spät eingereichter Einwand - zugelassen (ja)
Patentansprüche - Klarheit
Patentansprüche - Hauptantrag, Hilfsanträge 1 bis 4 (nein)
Spät eingereichte Hilfsanträge - zugelassen ("Hauptantrag B", "Hauptantrag C": nein; Hilfsanträge 1 bis 4: ja)
Aufhebung der Entscheidung über anderweitige Kostenverteilung (nein)
Berichtigung der Niederschrift (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0004/95
G 0003/14
T 0117/86
T 0416/87
T 0966/99
T 0419/12
T 1227/18
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Einsprechende legte Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung ein, wonach das europäische Patent Nr. 2 678 570 in der geänderten Fassung gemäß dem in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten Hilfsantrag 2 die Erfordernisse des EPÜ erfüllt und eine anderweitige Kostenverteilung gemäß Artikel 104 (1) EPÜ zugunsten der Patentinhaberin angeordnet wird.

II. Der Einspruch wurde gegen das Patent in vollem Umfang eingelegt und auf die Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) EPÜ i.V.m. Artikel 56 EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit) und nach Artikel 100 b) EPÜ gestützt. Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ i.V.m. Artikel 54 EPÜ (fehlende Neuheit) wurde im Laufe des Einspruchsverfahrens geltend gemacht und von der Einspruchsabteilung in der mündlichen Verhandlung ins Verfahren zugelassen.

III. Die Beschwerdebegründung wurde am 8. März 2018 eingereicht. Mit ihrer Erwiderung auf die Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) geänderte Ansprüche gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 4 ein.

IV. Die Beteiligten wurden mit einer Ladung vom 15. April 2021 zu einer mündlichen Verhandlung geladen.

V. In der am 3. Mai 2022 erlassenen Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern in der seit dem 1. Januar 2020 geltenden Fassung (VOBK 2020, ABl. EPA 2021, A35) brachte die Kammer ihre vorläufige Auffassung zum Ausdruck, dass sie beabsichtige, die mit der Beschwerdebegründung vorgebrachten Klarheitseinwände gegen die Ansprüche des der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsantrags 2 im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen, dass in Bezug auf Anspruch 1 ein Verstoß gegen die Erfordernisse von Artikel 84 EPÜ vorzuliegen scheine, der nicht durch die Änderungen in den mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträgen 1 bis 4 behoben worden sei, und dass die Entscheidung der anderweitigen Kostenverteilung zumindest bezüglich der der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) entstandenen Reisekosten für die am 29. Juni 2017 geplante mündliche Verhandlung zu bestätigen wäre.

VI. Mit Schreiben vom 30. Mai 2022 reichte die Beschwerdegegnerin geänderte Ansprüche gemäß den folgenden Anträgen ein: Hauptantrag A, Hauptantrag B, Hauptantrag C, Hilfsanträge 1A bis 1C, Hilfsanträge 2A bis 2C, Hilfsanträge 3A bis 3C und Hilfsanträge 4A bis 4C.

VII. Am 15. Juli 2022 hat eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer stattgefunden.

Während der mündlichen Verhandlung reichte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) geänderte Ansprüche gemäß den Hilfsanträgen "Hauptantrag B" und "Hauptantrag C" ein, und nahm sämtliche mit Schreiben vom 30. Mai 2022 eingereichten Anträge zurück.

Im Zuge der Diskussion über die Klarheit des Anspruchs 1 des der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Hilfsantrags 2 beantragte die Beschwerdeführerin, dass ihre Begleitperson unter der Aufsicht des zugelassenen Vertreters vortragen dürfe.

VIII. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents. Außerdem focht sie die Entscheidung zur anderweitigen Kostenverteilung an.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag) oder, hilfsweise, die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage der Ansprüche eines der in der mündlichen Verhandlung vom 15. Juli 2022 eingereichten Hilfsanträge "Hauptantrag B" oder "Hauptantrag C" oder auf der Grundlage der Ansprüche eines der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 4.

IX. Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag entspricht Anspruch 1 des der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsantrags 2. Er hat folgenden Wortlaut (die von der Einspruchsabteilung verwendete Merkmalsgliederung ist in eckigen Klammern eingefügt):

"1. [M1.1-2] Kupplung und hydraulische Einrichtung zur Betätigung der Kupplung, [M1.2] mit einem nahe der Kupplung angeordneten hydraulischen Arbeitszylinder (10), [M1.3] wobei der Arbeitszylinder (10) über eine hydraulische Leitung (8, 9) mit einer Volumenstromquelle verbunden ist und [M1.4] wobei der Volumenstrom der Volumenstromquelle durch eine Steuereinheit (6) in Abhängigkeit von Signalen der der hydraulischen Einrichtung (2) zugeordneten Sensoren steuerbar ist, [M1.5] wobei die Volumenstromquelle durch eine in einem gemeinsamen Gehäuse (1) angeordnete Kombination aus einem Elektromotor (3) und einer hydraulischen Pumpe (4) gebildet ist, dadurch gekennzeichnet, dass [M1.6] in dem gemeinsamen Gehäuse (1) die Steuereinheit (6) angeordnet ist."

X. Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag "Hauptantrag B" unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag durch folgendermaßen umformulierte Merkmale M1.1-2 und M1.2:

"Anordnung aus einer Kupplung und einer hydraulischen Einrichtung, wobei die hydraulische Einrichtung zur Betätigung der Kupplung[deleted: , mit] einen[deleted: m] nahe der Kupplung angeordneten hydraulischen Arbeitszylinder (10) aufweist,".

XI. Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag "Hauptantrag C" unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag "Hauptantrag B" durch die Aufnahme folgenden Merkmals zwischen den Merkmalen M1.4 und M1.5:

"wobei der Arbeitszylinder (10) als Nehmerzylinder ausgebildet ist und eine Kolbenstange aufweist, die zur Betätigung der Kupplung ausfahrbar ist,".

XII. Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag durch die folgende Änderung der zweiteiligen Form:

"[M1.5] wobei die Volumenstromquelle durch eine in einem gemeinsamen Gehäuse (1) angeordnete Kombination aus einem Elektromotor (3) und einer hydraulischen Pumpe (4) gebildet ist, [deleted: dadurch gekennzeichnet, dass] [M1.6] wobei in dem gemeinsamen Gehäuse (1) die Steuereinheit (6) angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, dass[deleted: .]"

und durch die Aufnahme folgender kennzeichnender Merkmale:

"die Kombination aus dem Elektromotor (3) und der Pumpe (4) in zwei Drehrichtungen betreibbar ist, wobei der Arbeitszylinder (10) ein einfach wirkender Arbeitszylinder mit einer Federanordnung (20) zur Rückstellung ist".

XIII. In Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag 2 wurden im Vergleich zu Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag 1 folgende zusätzliche Merkmale in den kennzeichnenden Teil aufgenommen:

"wobei die Steuereinheit (6) Komponenten umfasst, die Messsignale von Sensoren verarbeiten kann, die innerhalb der hydraulischen Einrichtung (2) oder außerhalb derselben angeordnet sind, wobei die Messsignale Druckmesswerte und/oder Wegmesswerte des Arbeitszylinders (10) umfassen".

XIV. Anspruch 1 gemäß jedem der Hilfsanträge 3 und 4 hat denselben Wortlaut wie Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag 2.

XV. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Hauptantrag

a) Zulassung des Klarheitseinwands

Der der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegende Hilfsantrag 2 sei erst in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereicht worden. Durch Aufnahme der Kupplung in den erteilten Anspruch 1 sei das vorher nicht als Teil des beanspruchten Gegenstands gedachte Merkmal "nahe der Kupplung angeordnet" nun auf Klarheit zu prüfen. Da die Sichtweise der Einspruchsabteilung zur Aufnahme der Kupplung in den Anspruch 1 zum ersten Mal in der angefochtenen Entscheidung dargelegt worden sei, habe die Beschwerdeführerin den durch diese Änderung hervorgerufenen Klarheitsmangel erst mit der Beschwerdebegründung beanstanden können. Außerdem sei der Klarheitseinwand im Hinblick auf das Wort "nahe" prima facie hochrelevant. Der Einwand der mangelnden Klarheit sei daher in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

b) Befugnis zur Prüfung der Klarheit

Weder die Kupplung noch der Arbeitszylinder seien Teil des Gegenstands des erteilten Anspruchs 1 gewesen. Wie auch Absatz [0045] des Patents angebe, sei der Anwendungsbereich der erteilten hydraulischen Einrichtung nicht nur auf die Betätigung von Kupplungen beschränkt gewesen. Die Kupplung und ihre Wechselwirkung mit der hydraulischen Einrichtung seien daher lediglich fakultative Merkmale gewesen. Das habe auch die Einspruchsabteilung in den Punkten II.b.iii.1.3 und II.c.ii.2 der Gründe für die angefochtene Entscheidung so gesehen. Erst durch die Aufnahme der Kupplung in den Anspruch 1 gemäß dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsantrag 2 sei der Arbeitszylinder und dessen Anordnung nahe der Kupplung zu zwingenden Merkmalen des beanspruchten Gegenstands geworden. Der Klarheitsmangel gehe auf diese Änderung zurück und könne daher gemäß der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 3/14 auf die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ geprüft werden.

c) Einwand der mangelnden Klarheit

Der Begriff "nahe" im Merkmal M1.2 sei äußerst vage. Es sei unklar, welcher Abstand zur Kupplung gemeint sei. In der Beschreibung der Patentschrift werde die Bedeutung des Begriffs nicht erklärt. Der Verweis auf die kompakte Einheit in der Beschreibung beziehe sich auf das Gehäuse der hydraulischen Einrichtung, nicht auf die Anordnung des Arbeitszylinders. Auch aus den schematischen Figuren 1 bis 4 der Patentschrift könne der Fachmann nicht ableiten, welcher Abstand zur Kupplung unter den Begriff "nahe" falle. Die Unbestimmtheit des Begriffs "nahe" sei umso problematischer als das Merkmal eine wichtige Rolle bei der Prüfung der Patentfähigkeit spiele und von der Einspruchsabteilung für die Definition der objektiven technischen Aufgabe verwendet worden sei. Beispielsweise sei nicht deutlich, ob ein Hydraulikzylinder, der die Schaltgabel eines herkömmlichen Schaltgetriebes betätigt, auch dann als nahe der Kupplung angeordnet zu betrachten sei, wenn sich dieser außerhalb des Gehäuses des Schaltgetriebes befinde. Die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ seien daher nicht erfüllt.

Hilfsanträge "Hauptantrag B" und "Hauptantrag C" - Zulassung

Diese Hilfsanträge seien verspätet und deshalb seien sie nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen. Der Klarheitseinwand sei bereits mit der Beschwerdebegründung erhoben worden. Die Beschwerdegegnerin habe daher sowohl vor als nach der Einführung der VOBK 2020 ausreichend Zeit gehabt, um darauf zu reagieren. Jedoch habe sie erst nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung die Hilfsanträge "Hauptantrag B" und "Hauptantrag C" eingereicht. Außergewöhnliche Umstände lägen nicht vor. Auf die Entscheidung T 1227/18 (Punkt 2.2 der Entscheidungsgründe) werde verwiesen.

Hilfsanträge 1 bis 4

d) Zulassung

Die Hilfsanträge 1 bis 4 seien erstmals im Beschwerdeverfahren eingereicht worden. Eine Begründung für ihr verspätetes Einreichen habe die Beschwerdegegnerin nicht genannt. Außerdem habe im erstinstanzlichen Verfahren noch ein nachrangiger Hilfsantrag 3 vorgelegen, der im Beschwerdeverfahren nicht weiterverfolgt worden sei. Den Hilfsanträgen 1 bis 4 sei prima facie nicht stattzugeben, da der Klarheitseinwand im Hinblick auf den Begriff "nahe" nicht durch die Änderungen in den Hilfsanträgen 1 bis 4 behoben worden sei. Daher seien die Hilfsanträge 1 bis 4 nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

e) Klarheit

Der Klarheitsmangel betreffe auch die Hilfsanträge 1 bis 4. Es sei immer noch unklar, was mit dem Begriff "nahe" gemeint sei. Auch die in Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag 1 eingeführte Federanordnung ändere nichts an der Unbestimmtheit der Anordnung des Arbeitszylinders "nahe" der Kupplung, zumal die Position der Federanordnung im Anspruch nicht dargelegt worden sei. Die Bezeichnung "einfach wirkend" bedeute nur, dass die Kolbenstange des Arbeitszylinders durch eine Feder zurückgebracht werde. Dies gelte ebenfalls für Anspruch 1 gemäß jedem der Hilfsanträge 2, 3 und 4. Daher seien die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ nicht erfüllt.

Anderweitige Kostenverteilung

Die Entscheidung der Einspruchsabteilung über eine anderweitige Kostenverteilung solle aufgehoben werden. Die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung sei auf Antrag der Beschwerdegegnerin verlegt worden. Diese hätte den Antrag aber bereits am 23. Juni 2017 abends oder spätestens am 26. Juni 2017 morgens stellen und so zumindest die Kosten für die zwei in unmittelbarer Verbindung mit der Verlegung der mündlichen Verhandlung stehenden Arbeitsstunden vermeiden können. Außerdem fänden die von der Einspruchsabteilung genannten Entscheidungen T 117/86 und T 416/87 im vorliegenden Fall keine Anwendung.

XVI. Der Vortrag der Beschwerdegegnerin lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:

Mündliche Ausführungen einer Begleitperson in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer

Der Gegenstand der mündlichen Ausführungen der Begleitperson sei nicht vorher von der Beschwerdeführerin angekündigt worden. Unter diesen Umständen lehne es die Beschwerdegegnerin ab, dass die Begleitperson der Gegenseite in der mündlichen Verhandlung Ausführungen machen dürfe.

Hauptantrag

a) Zulassung des Klarheitseinwands

Der erstmals mit der Beschwerdebegründung vorgebrachte Klarheitseinwand bezüglich Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag sei verspätet und solle nicht zugelassen werden. Nicht nur dass der Einwand keine Aussicht auf Erfolg habe, die Formulierung, dass der hydraulische Arbeitszylinder nahe der Kupplung angeordnet sei, sei bereits im erteilten Anspruch 1 verwendet worden und könne daher nach der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 3/14 nicht auf Klarheit geprüft werden.

b) Befugnis zur Prüfung der Klarheit

Nach der Entscheidung G 3/14 könne für die Zwecke des Artikels 101 (3) EPÜ nur die Änderung eines erteilten Anspruchs und nicht die bereits im erteilten Anspruch verwendete Terminologie auf die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ geprüft werden. Die Sichtweise, dass durch eine Änderung nun der ganze Anspruch auf Klarheit geprüft werden müsse, sei nicht gerechtfertigt. Im vorliegenden Fall habe der erteilte Anspruch 1 bereits die Begrifflichkeit "nahe der Kupplung" aufgewiesen. Der Anspruch sei lediglich dahingehend geändert worden, dass nun anstelle der hydraulischen Einrichtung eine Anordnung von hydraulischer Einrichtung und Kupplung, d.h. die Konkretisierung der Kupplung als Teil des beanspruchten Gegenstands, definiert sei. Diese Änderung sei an sich klar. Die Streichung von "insbesondere" habe nur zur weiteren Einschränkung des bereits vom erteilten Anspruch definierten Gegenstands geführt. Jedes der weiteren Merkmale des Anspruchs 1 betreffe die hydraulische Einrichtung. Diese seien deshalb unverändert geblieben und daher nicht auf Klarheit zu prüfen. Eines dieser Merkmale sei der hydraulische Arbeitszylinder, der schon in der erteilten Fassung als Teil der hydraulischen Einrichtung beansprucht worden sei. Die Anordnung des Arbeitszylinders nahe der Kupplung sei insoweit bereits Teil des erteilten Gegenstands gewesen, als sie als eine zusätzliche Bedingung mit der Kupplung verknüpft gewesen sei. Insofern die hydraulische Einrichtung des erteilten Anspruchs 1 zur Betätigung einer Kupplung gedacht gewesen sei, habe der Anspruch auch die Anordnung des Arbeitszylinders nahe der Kupplung verlangt. Somit dürften im Lichte der Entscheidung G 3/14 die Voraussetzungen von Artikel 84 EPÜ im Hinblick auf die Begrifflichkeit "nahe der Kupplung" nicht geprüft werden.

c) Einwand der mangelnden Klarheit

Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag entspreche den Erfordernissen des Artikels 84 EPÜ. Herkömmliche Kupplungsgeber- und Kupplungsnehmerzylinder könnten verschiedene Positionen einnehmen. Sie seien entweder nahe oder beabstandet zur Kupplung angeordnet. Ausschlaggebend sei, was der zuständige Fachmann, ein Maschinenbau-Ingenieur mit Erfahrung im Bau von Kupplungen und den dazugehörigen Systemen für deren Betätigung, dem Merkmal M1.2 entnehme. Gemäß den Absätzen [0005] und [0046] der Patentschrift bestehe die Aufgabe der Erfindung darin, eine kompakte Einheit auszugestalten, d.h. Bauraum zu ersparen. Für den Fachmann wäre daher der Arbeitszylinder als Kupplungsnehmerzylinder auszubilden und derart örtlich bei der Kupplung anzuordnen, dass die Kupplung sicher betätigt werden könne. Dementsprechend müsse der Arbeitszylinder derart gewählt und/oder ausgelegt sein, dass dieser durch Ein- und Ausfahren des Kolbens bzw. der Kolbenstange die zu betätigende Kupplung erreiche. Die örtliche Nähe des Arbeitszylinders hänge also von dem jeweiligen Arbeitszylinder und dessen spezifischen technischen Charakteristika, wie zum Beispiel dem Weg und der Länge der Kolbenstange, die in dem Arbeitszylinder geführt werde, ab.

Hilfsanträge "Hauptantrag B" und "Hauptantrag C" - Zulassung

Bis auf einige redaktionelle Änderungen entsprächen diese Hilfsanträge den mit Schreiben vom 30. Mai 2022 eingereichten früheren Hilfsanträgen "Hauptantrag B" bzw. "Hauptantrag C". Mit den geänderten Ansprüchen dieser Hilfsanträge sei der von der Beschwerdeführerin erhobene Klarheitseinwand gegen den Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag ausgeräumt worden. In Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag "Hauptantrag B" sei deutlich gemacht worden, dass das Element der Kupplung separat eingeführt worden und unabhängig vom erteilten Anspruchswortlaut zu betrachten sei. Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag "Hauptantrag C" weise ein weiteres Merkmal auf, das den Arbeitszylinder in der beanspruchten Anordnung weiter spezifiziere und so das Merkmal M1.2 deutlicher klarstelle. Erst durch die Mitteilung der Kammer sei erkannt worden, dass bestimmte, von der Beschwerdegegnerin vorgebrachte Argumente zur Klarheit nicht griffen und Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag auch anders gelesen werden könne. Außerdem sei vorher nicht ersichtlich gewesen, ob die Kammer es ernsthaft in Erwägung ziehe, den Klarheitseinwand zuzulassen. Die Mitteilung der Kammer sei nicht auf den Aspekt eingegangen, ob das besagte Merkmal im Lichte der Entscheidung G 3/14 auf Klarheit überprüft werden könne. Auch in der Beschwerdebegründung sei dieser Aspekt nicht ausreichend deutlich diskutiert worden. Die Beschwerdegegnerin sei deshalb davon ausgegangen, dass die Kammer von sich aus diese rechtliche Frage überprüfen würde. In der Beschwerdeerwiderung sei rein vorsorglich auf die Frage der Klarheit eingegangen worden. Die Hilfsanträge "Hauptantrag B" und "Hauptantrag C" seien somit in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

Hilfsanträge 1 bis 4

d) Zulassung

Die Hilfsanträge 1 bis 4 seien in das Beschwerdeverfahren zuzulassen. Angesichts der Tatsache, dass die Einspruchsabteilung das Patent auf der Grundlage des Hilfsantrags 2 in geänderter Fassung aufrechterhalten habe, habe es für die Beschwerdegegnerin keine Veranlassung gegeben, weitere Hilfsanträge im erstinstanzlichen Verfahren einzureichen. Erst aufgrund der Beschwerdebegründung sah sich die Beschwerdegegnerin veranlasst, die Hilfsanträge 1 bis 4 einzureichen.

e) Klarheit

In Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag 1 sei ein neues Merkmal hinzugefügt worden, dass den Arbeitszylinder weiter konkretisiere und so den gegen Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag erhobenen Klarheitseinwand ausräume. Als einfach wirkender Arbeitszylinder sei nämlich ein Arbeitszylinder zu verstehen, der direkt an der Kupplung angreife. Für den Fachmann wäre es deutlich, wie ein solcher Arbeitszylinder anzuordnen sei. Anspruch 1 gemäß jedem der Hilfsanträge 2, 3 und 4 enthalte weitere einschränkende Merkmale. Die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ seien somit erfüllt.

Anderweitige Kostenverteilung

Auf die Ausführungen der Einspruchsabteilung in Punkt II.e der angefochtenen Entscheidung werde verwiesen. Die Erstattung der zwei Arbeitsstunden gemäß der Kostenentscheidung gegen die Beschwerdeführerin sei aus folgenden Gründen gerechtfertigt. Das Schreiben vom Freitag, dem 23. Juni 2017, und die beigefügten Beweismittel seien dem zuständigen Bearbeiter der Beschwerdegegnerin am Montag, dem 26. Juni 2017, also einen Tag vor Abreise zur mündlichen Verhandlung vorgelegt worden. Als am Dienstag, dem 27. Juni 2017 abzusehen gewesen sei, dass die Bearbeitungszeit für die nicht in der Verfahrenssprache zugestellten Unterlagen unzureichend sei, habe die Beschwerdegegnerin gegen 13.56 Uhr ein Telefax an das EPA gesendet mit den Anträgen, die Unterlagen als verspätet zurückzuweisen bzw. hilfsweise die mündliche Verhandlung zu verlegen. Da keine permanente Überwachung des Fax- und Posteingangs stattfinde, habe die Entscheidung des EPA, die Ladung zu der für den 29. Juni 2017 anberaumten mündlichen Verhandlung aufzuheben, den zuständigen Bearbeiter erst am Vormittag des 28. Juni 2017 erreicht. Zu diesem Zeitpunkt habe er sich aber bereits auf der Anreise zum Flughafen befunden.

XVII. Mit Schreiben vom 1. August 2022 beantragte die Beschwerdegegnerin, in der Niederschrift über die am 15. Juli 2022 abgehaltene mündliche Verhandlung bezüglich des Gangs der mündlichen Verhandlung eine Ergänzung vorzunehmen, und zwar durch die Einfügung des folgenden Absatzes zwischen dem ersten und zweiten Absatz auf Seite 4 der Niederschrift:

"Die Beschwerdegegnerin argumentierte, dass in dem erteilten Anspruch 1 bereits das Merkmal enthalten war, dass der Arbeitszylinder nahe der Kupplung angeordnet ist. Die weitere Einschränkung des erteilten Anspruchs 1 durch den vorgelegten Hauptantrag (Hilfsantrag 2 aus dem Einspruchsverfahren) ist ein Minus gegenüber dem erteilten Anspruch und damit war der Gegenstand des jetzt vorgelegten Hauptanspruchs bereits immer auch schon im erteilten Anspruch 1 enthalten. Diese Beschränkung des Anspruchs durch Streichung des 'insbesondere' und Aufnahme der Kupplung führt damit nicht zu einer Änderung des Anspruchs sondern beschränkt den Anspruch auf einen bereits im erteilten Anspruch umfassten Gegenstand."

XVIII. In der am 22. September 2022 erlassenen Mitteilung informierte die Kammer die Beteiligten, dass sie es nicht für erforderlich halte, die Niederschrift über die am 15. Juli 2022 abgehaltene mündliche Verhandlung mit weiteren Argumenten, wie von der Beschwerdegegnerin beantragt, zu ergänzen, und dass der Berichtigungsantrag der Beschwerdegegnerin daher abzulehnen sein werde.

Entscheidungsgründe

Mündliche Ausführungen einer Begleitperson in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer

1. Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer beantragte die Beschwerdeführerin erstmals, dass die Begleitperson des Vertreters der Beschwerdeführerin mündliche Ausführungen zum Einwand der mangelnden Klarheit gegen den Anspruch 1 gemäß dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsantrag 2 machen dürfe. Die Beschwerdegegnerin erklärte, dass sie damit nicht einverstanden sei.

2. Wie sich aus der einschlägigen Entschei­dung der Großen Beschwerdekammer G 4/95 (ABl. EPA 1996, 412) ergibt, besteht im Rahmen eines Einspruchs­­­beschwerdeverfahrens kein Rechtsanspruch auf mündliche Ausführungen durch eine Begleitperson in einer mündlichen Verhandlung. Vielmehr dürfen solche mündlichen Ausführungen nur mit Zustimmung der Kammer und nach ihrem Ermessen gemacht werden (vgl. Punkt 9 der Entscheidungsgründe und Punkt 3 a der Entscheidungsformel). Dabei ist der Antrag, dass mündlichen Ausführungen durch eine Begleitperson gemacht werden dürfen, so rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung zu stellen, dass sich alle Beteiligten auf die beabsichtigten mündlichen Ausführungen angemessen vorbereiten können (vgl. Punkt 10 der Entscheidungsgründe und Punkt 3 b ii) der Entscheidungsformel). Ein Antrag, der erst kurz vor oder während der mündlichen Verhandlung gestellt wird, ist zurückzuweisen, sofern nicht außergewöhnliche Umstände vorliegen, es sei denn, alle Gegenparteien sind damit einverstanden, dass die beantragten mündlichen Ausführungen gemacht werden (vgl. Punkt 10 der Entscheidungsgründe und Punkt 3 b iii) der Entscheidungsformel).

3. Die Kammer stellt fest, dass die Beschwerdeführerin vor der mündlichen Verhandlung keinen Antrag gestellt hat, dass eine Begleitperson des zugelassenen Vertreters in der mündlichen Verhandlung mündliche Ausführungen machen darf. Erst während der mündlichen Verhandlung hat sie beantragt, dass die - unangekündigte - Begleitperson des zugelassenen Vertreters weitere Argumente zur mangelnden Klarheit vortragen darf. Diese Vorgehensweise entspricht nicht dem Erfordernis einer rechtzeitigen Antragsstellung, wie sie in der Entscheidung G 4/95 (vgl. Punkt 10 der Entscheidungsgründe und Punkt 3 b ii) der Entscheidungsformel) verlangt wird.

4. Es lagen ferner keine außergewöhnlichen Umstände vor, die die unangekündigten Ausführungen durch die Begleitperson und den dazu erst in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag hätten rechtfertigen können. Im Gegenteil, bereits aus dem schriftlichen Sachvortrag der Beteiligten sowie aus der Mitteilung der Kammer in Vorbereitung der mündlichen Verhandlung war ersichtlich, dass der Klarheitseinwand gegen den Anspruch 1 gemäß dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsantrag 2 als entscheidungsrelevant angesehen wurde. Zudem hat die Beschwerdegegnerin nicht ihre Zustimmung gegeben, dass die Begleitperson des zugelassenen Vertreters der Beschwerdeführerin Ausführungen machen darf. Daher sind auch die in Punkt 10 der Entscheidungsgründe und in Punkt 3 b iii) der Entscheidungsformel von G 4/95 genannten Voraussetzungen nicht erfüllt.

5. Unter diesen Umständen hat die Kammer den Antrag der Beschwerdeführerin, dass die Begleitperson des zugelassenen Vertreters mündliche Ausführungen in der mündlichen Verhandlung machen darf, zurückgewiesen.

Hauptantrag

a) Zulassung des Klarheitseinwands

6. Mit ihrer Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin zum ersten Mal einen Klarheitseinwand hinsichtlich des Merkmals M1.2 von Anspruch 1 gemäß dem der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Hilfsantrag 2 erhoben. Die Beschwerdegegnerin hat beantragt, diesen Einwand nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

7. Nach Artikel 12 (4) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern in der Fassung aus dem Jahr 2007 (VOBK 2007), der gemäß Artikel 25 (2) VOBK 2020 vorliegend anzuwenden ist, berücksichtigt die Kammer grundsätzlich das gesamte Vorbringen der Beteiligten nach Artikel 12 (1) VOBK 2007, wenn und soweit es sich auf die Beschwerdesache bezieht und die Erfordernisse des Artikels 12 (2) VOBK 2007 erfüllt. Artikel 12 (4) VOBK 2007 nennt jedoch auch die Befugnis der Kammer, Tatsachen, Beweismittel und Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können oder dort nicht zugelassen worden sind.

8. Laut Punkt 7 der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung hat die Beschwerdegegnerin die Ansprüche gemäß dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsantrag 2 nach einer Unterbrechung der mündlichen Verhandlung von 11.45 Uhr bis 12.00 Uhr eingereicht. Gegen diese Ansprüche hat die Beschwerdeführerin anschließend Einwände nach Artikel 83, 123 (2) und 56 EPÜ vorgebracht, die die Einspruchsabteilung allerdings nicht überzeugen konnten. Die mündliche Verhandlung wurde um 15.55 Uhr beendet. Daraus schließt die Kammer, dass die Beschwerdeführerin den Einwand der mangelnden Klarheit bezüglich Anspruch 1 gemäß dem der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Hilfsantrag 2 bereits in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung hätte vorbringen können. Infolgedessen liegt die Nichtzulassung des erst mit der Beschwerdebegründung vorgebrachten Klarheitseinwands gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 im Ermessen der Kammer.

9. Es ist gängige Rechtsprechung, dass die Änderung eines Anspruchssatzes in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, wie hier durch das Einreichen des der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsantrags 2, je nach Sachlage das Vorbringen eines neuen Einwands mit der Beschwerdebegründung rechtfertigen kann (s. "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", 10. Auflage, Juli 2022, nachfolgend "Rechtsprechung", V.A.5.13.1).

10. Im vorliegenden Fall hat die Einspruchsabteilung im Punkt II.d.i.3 der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass "[d]urch die Aufnahme der Kupplung in den Schutzumfang [...] die hydraulische Einrichtung nicht nur geeignet zur Betätigung einer Kupplung [ist], sondern [sie] betätigt tatsächlich eine Kupplung". Im Lichte dieser Ausführungen erachtet die Kammer das Argument der Beschwerdeführerin, wonach die erstmals in der angefochtenen Entscheidung dargelegte Sichtweise der Einspruchsabteilung zur Aufnahme der Kupplung in den erteilten Anspruch 1 eine Rechtfertigung dafür sei, dass der nach ihrer Auffassung durch diese Änderung hervorgerufene Klarheitsmangel im Merkmal M1.2 erst mit der Beschwerdebegründung beanstandet worden ist, für stichhaltig.

11. Dem Argument der Beschwerdegegnerin, wonach der Klarheitseinwand gegenüber dem Merkmal M1.2 alleine schon deshalb nicht zuzulassen sei, weil das Merkmal bereits im erteilten Anspruch 1 beansprucht worden sei und daher nicht auf Klarheit geprüft werden könne, kann die Kammer hingegen nicht folgen. Die Beschwerdeführerin hat auf den Seiten 3 und 4 der Beschwerdebegründung ausführlich ihre Auffassung dargelegt, dass die Aufnahme der Kupplung in den erteilten Anspruch 1 dazu geführt habe, dass das nach ihrer Ansicht in der erteilten Fassung nicht unter Schutz gestellte Merkmal nun eindeutig als Teil des geänderten Anspruchsgegenstands anzusehen sei und daher im Einklang mit der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 3/14 auf Klarheit geprüft werden könne. Sie hat somit stichhaltige Gründe dafür angegeben, weshalb sie veranlasst war, die Klarheit von Anspruch 1 gemäß dem in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten Hilfsantrag 2 zu bemängeln. Ob die beanstandete Unklarheit des Merkmals tatsächlich durch die Aufnahme der Kupplung herbeigeführt worden ist und eine diesbezügliche Prüfung der Klarheit nach den Bestimmungen von G 3/14 vorliegend möglich ist, kann für die Frage der Zulassung des Klarheitseinwands dahingestellt bleiben.

12. Aufgrund der vorstehend genannten Erwägungen hat die Kammer nicht von ihrer Befugnis der Nichtzulassung nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 Gebrauch gemacht. Der Klarheitseinwand gegen das Merkmal M1.2 von Anspruch 1 gemäß dem der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Hilfsantrag 2 wird demnach im Beschwerdeverfahren berücksichtigt.

b) Befugnis zur Prüfung der Klarheit

13. Nach der Entscheidung G 3/14 (ABl. EPA 2015, 102) können bei der Prüfung nach Artikel 101 (3) EPÜ, ob das Patent in der geänderten Fassung den Erfordernissen des EPÜ genügt, die Ansprüche des Patents nur auf die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ geprüft werden, sofern - und dann auch nur soweit - diese Änderung einen Verstoß gegen Artikel 84 EPÜ herbeiführt.

14. Anspruch 1 gemäß dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsantrag 2 wurde gegenüber dem erteilten Anspruch 1 folgendermaßen geändert:

"Kupplung und hydraulische [deleted: Hydraulische] Einrichtung[deleted: , insbesondere] zur Betätigung der [deleted: einer] Kupplung, mit einem nahe der Kupplung angeordneten hydraulischen Arbeitszylinder (10), [...]"

15. Während der erteilte Anspruch 1 also auf eine hydraulische Einrichtung gerichtet war, die optional zur Betätigung einer (nicht beanspruchten) Kupplung geeignet war, mit einem hydraulischen Arbeitszylinder "nahe" der (nicht beanspruchten) Kupplung, ist der geänderte Anspruch 1 gemäß dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsantrag 2 auf eine Kombination von Kupplung und hydraulischer Einrichtung gerichtet, wobei die Kombination unter anderem dadurch definiert ist, dass die hydraulische Einrichtung zur Betätigung der Kupplung geeignet ist und dass der hydraulische Arbeitszylinder "nahe" der Kupplung angeordnet ist. Die vorgenommene Änderung besteht also nicht nur in der zwingenden Aufnahme eines vorher fakultativen Merkmals in den Anspruch, sondern auch in der Anordnung des hydraulischen Arbeitszylinders relativ zu der nun mitbeanspruchten Kupplung. Die Anordnung des hydraulischen Arbeitszylinders "nahe" der Kupplung war zwar bereits im Wortlaut des erteilten Anspruchs 1 enthalten, hat dort aber aufgrund der fakultativen Formulierung "insbesondere zur Betätigung einer Kupplung" und der Tatsache, dass die (undefinierte) Kupplung auch kein zumindest fakultatives strukturelles Merkmal des beanspruchten Gegenstands war, weder für die Definition des Anspruchsgegenstands noch für seine fakultative Ausgestaltung eine Rolle gespielt. Denn die vom erteilten Anspruch 1 unter Schutz gestellte hydraulische Einrichtung wurde nicht durch die Anordnung des Arbeitszylinders relativ zu einem undefinierten, nicht mitbeanspruchten weiteren Gegenstand berührt. Erst durch die Aufnahme der Kupplung und die Streichung von "insbesondere" in Anspruch 1 hat der hydraulische Arbeitszylinder zwingend eine Position nahe der nun mitbeanspruchten Kupplung einzunehmen.

16. Anspruch 1 gemäß dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsantrag 2 wurde somit gegenüber dem erteilten Anspruch 1 durch die Aufnahme der Kupplung und der Bedingung, dass der hydraulische Arbeitszylinder nahe der Kupplung angeordnet ist, geändert. Der so geänderte Anspruch war weder als zwingende noch als fakultative Merkmalskombination in den erteilten Ansprüchen enthalten. Deswegen kann nach Auffassung der Kammer das Merkmal M1.2 im Lichte der Entscheidung G 3/14 auf die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ geprüft werden.

17. Dem Argument der Beschwerdegegnerin, dass die Streichung des "insbesondere" und die Aufnahme der Kupplung den Anspruch lediglich auf einen bereits vom erteilten Anspruch umfassten Gegenstand beschränke und deshalb gemäß der Entscheidung G 3/14 die Formulierung "nahe der Kupplung" nicht auf Klarheit geprüft werden könne, kann die Kammer nicht zustimmen.

Schon aufgrund der Erfordernisse von Artikel 123 (3) EPÜ führen Änderungen im Einspruchsverfahren in aller Regel zu einer Einschränkung des erteilten Anspruchsgegenstands, sodass der Gegenstand des geänderten Anspruchs bereits vom erteilten Anspruch erfasst war. Die Sichtweise der Beschwerdegegnerin, dass derartig eingeschränkte Ansprüche im Einspruchs­(beschwerde)­verfahren grundsätzlich nicht auf Klarheit geprüft werden können, findet in der Entscheidung G 3/14 jedoch keine Stütze. Vielmehr hat die Große Beschwerdekammer dort entschieden, dass geänderte Ansprüche eines Patents auf die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ geprüft werden können, sofern - und dann auch nur soweit - diese Änderung einen Verstoß gegen Artikel 84 EPÜ herbeiführt. Da der vorliegend von der Beschwerdeführerin behauptete Klarheitsmangel des nun beanspruchten Gegenstands, wie oben dargelegt, durch eine Anspruchsänderung herbeigeführt wurde, steht die Entscheidung G 3/14 seiner Prüfung durch die Kammer nicht entgegen.

c) Einwand der mangelnden Klarheit

18. Anspruch 1 gemäß dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsantrag 2 bezieht sich auf eine Kupplung und eine hydraulische Einrichtung zur Betätigung der Kupplung (Merkmal M1.1-2). Entsprechend dem Merkmal M1.2 weist die hydraulische Einrichtung einen hydraulischen Arbeitszylinder auf, welcher nahe der Kupplung angeordnet ist, sowie eine als eine Kombination aus einem Elektromotor und einer hydraulischen Pumpe gebildete Volumenstromquelle (Merkmal M1.5), die über eine hydraulische Leitung mit dem Arbeitszylinder verbunden ist (Merkmal M1.3). Daraus schließt die Kammer, dass der Arbeitszylinder für die Betätigung der Kupplung zuständig ist.

19. Eine direkte Verbindung zwischen dem Arbeitszylinder und der Kupplung lässt sich aus dem Anspruchswortlaut jedoch nicht ableiten. In Anspruch 1 ist die örtliche Nähe des Arbeitszylinders zur Kupplung davon unabhängig, ob eine Kolbenstange oder eine sonstige Komponente des Arbeitszylinders die zu betätigende Kupplung erreicht. Der Wortlaut des Anspruchs schließt nicht aus, dass der Arbeitszylinder, wie es bei herkömmlichen Fahrzeugkupplungen typischerweise der Fall ist, über ein Hebelwerk und einen Zentralausrücker indirekt mit der Kupplung verbunden ist. Einen Hinweis darauf, dass eine indirekte Betätigung der Kupplung auch tatsächlich beabsichtigt ist, ist bereits in Absatz [0011] der Patentschrift enthalten, wo der Betätigungszustand eines "Kupplungsausrückers" erwähnt ist. Daher ist die Kammer nicht von der Argumentation der Beschwerde­gegnerin überzeugt, dass sich die örtliche Nähe des Arbeitszylinders zur Kupplung für den Fachmann unmittelbar aus den spezifischen technischen Charakteristika des Arbeitszylinders, wie zum Beispiel dem Weg und der Länge der Kolbenstange, zur "sicheren" Betätigung der Kupplung ergebe.

20. Weitere Anhaltspunkte dafür, was mit dem Begriff "nahe" gemeint ist, erschließen sich nicht aus Anspruch 1. Auch den übrigen Ansprüchen, der Beschreibung oder den Zeichnungen kann die Kammer nicht entnehmen, welche die maximale Entfernung ist, bis zu der ein Arbeitszylinder noch als nahe einer Kupplung betrachtet werden kann. Im betreffenden Fachgebiet hat der Begriff "nahe" keine allgemein anerkannte Bedeutung, sondern scheint ausschließlich auf einer subjektiven Einschätzung zu beruhen. Die konkreten Einschränkungen des beanspruchten Gegenstands folgen daher nicht eindeutig aus dem Merkmal M1.2.

21. Aus dem Obigen geht hervor, dass Anspruch 1 gemäß dem der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Hilfsantrag 2 nicht die Voraussetzungen des Artikels 84 EPÜ erfüllt. Der Hauptantrag der Beschwerdegegnerin ist somit nicht gewährbar.

Hilfsanträge "Hauptantrag B" und "Hauptantrag C" - Zulassung

22. Die Beschwerdegegnerin hat in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer die beiden Hilfsanträge "Hauptantrag B" und "Hauptantrag C" eingereicht. Sie entsprechen bis auf einige redaktionelle Änderungen den mit Schreiben vom 30. Mai 2022 in Reaktion auf die Mitteilung der Kammer eingereichten früheren Hilfsanträgen "Hauptantrag B" bzw. "Hauptantrag C".

23. Die in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträge "Hauptantrag B" und "Hauptantrag C" stellen daher Änderungen des Beschwerdevorbringens nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung dar, die den Bestimmungen des Artikels 13 (2) VOBK 2020, der gemäß Artikel 25 (1) und (3) VOBK 2020 vorliegend anzuwenden ist, unterliegen. Dementsprechend bleiben sie grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

24. Die Beschwerdegegnerin hat außergewöhnliche Umstände darin gesehen, dass die Kammer in ihrer Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 erstmalig zum Ausdruck gebracht habe, dass bestimmte, von der Beschwerdegegnerin vorgebrachte Argumente zur Klarheit nicht griffen und Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag auch anders gelesen werden könne.

25. Die Kammer kann sich dieser Argumentation aus folgenden Gründen nicht anschließen. Auf Seite 4 der Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin bemängelt, dass der Begriff "nahe" unklar sei und erhebliche Zweifel bezüglich der Anordnung des hydraulischen Arbeitszylinders relativ zur Kupplung hervorrufe. Dagegen hat sich die Beschwerdegegnerin auf den Seiten 4 und 5 ihrer Erwiderung mit den Argumenten gewehrt, dass der Arbeitszylinder durch Ein- und Ausfahren des Kolbens bzw. der Kolbenstange die zu betätigende Kupplung erreiche, sodass die örtliche Nähe des Arbeitszylinders von dem jeweiligen Arbeitszylinder und dessen spezifischen technischen Charakteristika, wie zum Beispiel dem Weg und der Länge der Kolbenstange, die in dem Arbeitszylinder geführt wird, abhänge. In Punkt 24 der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 hat die Kammer dann mit Verweis auf das Vorbringen beider Beteiligten ihre vorläufige Auffassung zum Klarheitseinwand dargelegt. Zum einen hat die Kammer der Beschwerdegegnerin nicht darin zugestimmt, dass eine direkte Verbindung zwischen dem Arbeitszylinder und der Kupplung zwingend vorhanden sei und die örtliche Nähe des Arbeitszylinders zur Kupplung von den Charakteristika des jeweiligen Arbeitszylinders abhängen müsse. Zum anderen hat sich die Kammer der Sichtweise der Beschwerdeführerin angeschlossen, dass der Begriff "nahe" vage sei. Insofern enthielt die Mitteilung der Kammer bezüglich der Klarheitsdiskussion nichts, was über den Inhalt der Beschwerdebegründung und der Erwiderung hinausging und möglicherweise rechtfertigen könnte, dass die Umstände, die zu den Änderungen gemäß den Hilfsanträgen "Hauptantrag B" und "Hauptantrag C" geführt haben, tatsächlich außergewöhnlich waren (s. auch "Rechtsprechung", V.A.4.5.6.c)).

26. Die Beschwerdegegnerin hat außerdem geltend gemacht, dass der Aspekt, ob das Merkmal M1.2 im Lichte der Entscheidung G 3/14 auf Klarheit geprüft werden könne, zum einen nicht ausreichend klar in der Beschwerdebegründung diskutiert worden sei und zum anderen in der Mitteilung der Kammer nicht angesprochen worden sei.

27. Anders als von der Beschwerdegegnerin vorgetragen, hat die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung ausführlich und klar dargelegt, weshalb sie der Auffassung war, dass das Merkmal M1.2 eine Änderung darstelle, die entsprechend der Entscheidung G 3/14 auf die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ zu prüfen sei (s. Seiten 3 und 4 der Beschwerdebegründung). Die Beschwerdegegnerin hatte daher bereits vor Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung ausreichend Gelegenheit und Veranlassung, im Hinblick auf diese Diskussion im Lichte der Entscheidung G 3/14 vorsorglich die Hilfsanträge "Hauptantrag B" und "Hauptantrag C" einzureichen. In der Erwiderung ist sie jedoch nicht auf diese Frage eingegangen, sondern sie hat Argumente zur Begründetheit der Klarheitseinwands vorgebracht, ohne die Befugnis der Kammer zur Prüfung des Merkmals M1.2 auf seine Vereinbarkeit mit Artikel 84 EPÜ zu beanstanden. Erst nach Erlass der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 mit einer für sie negativen vorläufigen Einschätzung der Kammer zum Hauptantrag, insbesondere dem Hinweis, dass in Bezug auf Anspruch 1 ein Verstoß gegen Artikel 84 EPÜ vorliegen könnte (s. Punkt 25 der Mitteilung), hat die Beschwerdegegnerin mit Schreiben vom 30. Mai 2022 die früheren Hilfsanträge "Hauptantrag B" und "Hauptantrag C" eingereicht. Dabei steht das Zurückhalten von Änderungen in Reaktion auf einen mit der Beschwerdebegründung vorgebrachten Einwand bis zu einem späten Zeitpunkt im Beschwerdeverfahren im Widerspruch zu den Erfordernissen des Artikels 12 (3) VOBK 2020 (der inhaltlich Artikel 12 (2) VOBK 2007 entspricht), wonach sowohl die Beschwerde­begründung und die Erwiderung das vollständige Beschwerdevorbringen eines Beteiligten enthalten müssen. Als Begründung für das verspätete Einreichen dieser Hilfsanträge hat die Beschwerdegegnerin angegeben, dass sie "allesamt veranlasst durch den erstmals erhobenen Klarheitseinwand in der vorläufigen Meinung" seien (s. Punkt 4 auf Seite 3 des Schreibens vom 30. Mai 2022). Die Beschwerdeführerin hatte jedoch bereits auf den Seiten 4 und 5 der Beschwerdebegründung auch inhaltlich zur Klarheit ausführlich vorgetragen. Es ist für die Kammer daher nicht erkennbar, weshalb hier außergewöhnliche Umstände vorlagen, die das verspätete Vorbringen gerechtfertigt hätten, zumal die vorliegenden Hilfsanträge "Hauptantrag B" bzw. "Hauptantrag C" erst in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nach weiteren redaktionellen Änderungen der mit Schreiben vom 30. Mai 2022 eingereichten, früheren Hilfsanträge "Hauptantrag B" und "Hauptantrag C" eingereicht worden sind.

28. Auch die Umstände, dass die Kammer in ihrer Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 davon abgesehen hat, zur Möglichkeit der Prüfung der Klarheit im Hinblick auf die Entscheidung G 3/14 Stellung zu nehmen, gelten schon deshalb nicht als außergewöhnlich, da die Beschwerdegegnerin der Beschwerdeführerin in diesem Punkt bis dahin nicht widersprochen hatte und die Kammer daher keine Veranlassung hatte, in ihrer Mitteilung auf diese Frage einzugehen.

29. Aus den oben genannten Gründen hat die Kammer ihr Ermessen gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 dahingehend ausgeübt, die in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträge "Hauptantrag B" und "Hauptantrag C" nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

Hilfsanträge 1 bis 4 - Zulassung

30. Die Beschwerdegegnerin hat mit ihrer Erwiderung auf die Beschwerdebegründung erstmals die Hilfsanträge 1 bis 4 eingereicht, gegen deren Zulassung sich die Beschwerdeführerin ausgesprochen hat.

31. Werden neue Anträge am Anfang des Beschwerdeverfahrens eingereicht, so ist nach ständiger Rechtsprechung die für das Vorliegen der in Artikel 12 (4) VOBK 2007 genannten Befugnis (s. Punkt 7. oben) entscheidende Frage, ob diese Anträge bereits im erstinstanzlichen Verfahren nicht nur hätten gestellt werden können, sondern hätten gestellt werden sollen (s. "Rechtsprechung", V.A.5.11.1). Nur wenn die jeweiligen Anträge aufgrund einer konkreten Veranlassung bereits in erster Instanz hätten gestellt werden sollen, hat die Kammer die Befugnis, diese Anträge nicht zuzulassen (s. T 419/12, Punkt 2.1.2 der Entscheidungsgründe).

32. Im vorliegenden Fall war die Einspruchsabteilung in der mündlichen Verhandlung zur Auffassung gelangt, dass weder dem Antrag auf Zurückweisung des Einspruchs noch dem in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag 1 stattzugeben war. Daraufhin reichte die Beschwerdegegnerin den Hilfsantrag 2 ein, aufgrund dessen die Einspruchsabteilung dann entschieden hat, dass das Patent in geänderter Fassung aufrechterhalten werden kann. Es hat daher für die Beschwerdegegnerin keine Veranlassung gegeben, weitere Hilfsanträge im erstinstanzlichen Verfahren einzureichen. Erst als die Beschwerdeführerin erstmals im Beschwerdeverfahren den Klarheitseinwand gegen das Merkmal M1.2 von Anspruch 1 gemäß dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsantrag 2 vorgebracht hat, bestand für die Beschwerdegegnerin ein Anlass, mit der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung Hilfsanträge einzureichen, um auf die entsprechenden Argumente der Beschwerdeführerin zu reagieren und den Klarheitseinwand auszuräumen.

33. Folglich hatte die Kammer keine Befugnis nach Artikel 12 (4) VOBK 2007, die Hilfsanträge 1 bis 4 nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen. Die Hilfsanträge 1 bis 4 sind somit im Beschwerdeverfahren berücksichtigt worden.

Hilfsanträge 1 bis 4 - Klarheit

34. In Anspruch 1 gemäß dem mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsantrag 1 sind im Vergleich zu dem der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Hilfsantrag 2 zusätzliche Merkmale aufgenommen worden, die sich einerseits auf die Kombination aus dem Elektromotor und der Pumpe und andererseits auf die besondere Gestaltung des Arbeitszylinders beziehen. Das oben diskutierte Merkmal M1.2 ist dabei unverändert geblieben.

35. Für die Kammer ist nicht erkennbar, inwiefern diese zusätzlichen Merkmale den Begriff "nahe" im Merkmal M1.2 klarstellen und den bereits bezüglich des der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Hilfsantrags 2 oben festgestellten Klarheitsmangel in Bezug auf die Anordnung des Arbeitszylinders relativ zur Kupplung beheben.

36. Die Beschwerdegegnerin hat diesbezüglich auf den Wortlaut "einfach wirkender Arbeitszylinder" verwiesen. Sie argumentierte, dass ein dementsprechend gebildeter Arbeitszylinder direkt an der Kupplung angreife.

37. Die Kammer folgt diesem Verständnis der Beschwerdegegnerin nicht. Mit einem einfachwirkenden Zylinder ist in der Hydraulik generell ein Aktuator gemeint, der zum Ausfahren des Kolbens bzw. der Kolbenstange über nur eine Kolbenseite mit Hydraulikflüssigkeit beaufschlagt wird (vgl. das hydraulische Schema der Figur 1 des Patents). Die Rückbewegung erfolgt typischerweise aufgrund einer Federkraft. Dementsprechend ist auch das weitere Merkmal der "Federanordnung zur Rückstellung" in Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag 1 zu verstehen. Ein konkreter Hinweis auf die Anordnung eines hydraulischen Zylinders in Bezug auf die von ihm zu betätigende Vorrichtung lässt sich jedoch nicht aus dem einfachwirkenden Funktionsprinzip ableiten.

38. Da weiterhin Unklarheiten bestehen über die Bedeutung des Begriffs "nahe", gelten die von der Kammer geäußerten Bedenken hinsichtlich der Klarheit von Anspruch 1 gemäß dem der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Hilfsantrag 2 auch für Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag 1. Folglich erfüllt Anspruch 1 gemäß dem mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsantrag 1 nicht die Voraussetzungen des Artikels 84 EPÜ.

39. Die zusätzlichen Merkmale von Anspruch 1 gemäß dem mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsantrag 2 beziehen sich auf Komponenten der Steuereinheit und auf Messsignale des Arbeitszylinders. Auch sie können den Klarheitsmangel im Hinblick auf die Anordnung des Arbeitszylinders "nahe" der Kupplung nicht ausräumen. Folglich erfüllt Anspruch 1 gemäß dem mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsantrag 2 nicht die Voraussetzungen des Artikels 84 EPÜ.

40. Anspruch 1 gemäß jedem der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 3 und 4 hat denselben Wortlaut wie Anspruch 1 gemäß dem mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsantrag 2. Daher sind auch bezüglich Anspruch 1 gemäß den mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträgen 3 und 4 die Voraussetzungen des Artikels 84 EPÜ nicht erfüllt.

Ergebnis

41. Da keinem der vorliegenden Anträge (Hauptantrag, Hilfsanträge 1 bis 4) der Beschwerdegegnerin stattzugeben ist, ist die angefochtene Entscheidung hinsichtlich der Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung aufzuheben und das Patent zu widerrufen (Artikel 101 (3) b) EPÜ).

Anderweitige Kostenverteilung

42. In der angefochtenen Entscheidung hat die Einspruchsabteilung eine anderweitige Kostenverteilung zugunsten der Beschwerdegegnerin angeordnet, nachdem die Beschwerdeführerin kurz vor der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung neue Beweismittel eingereicht sowie einen neuen Einspruchsgrund geltend gemacht hatte und die mündliche Verhandlung auf Antrag der Beschwerdegegnerin daraufhin verlegt worden war. Der Beschwerdeführerin wurden die Reisekosten, die der Beschwerdegegnerin durch die Verlegung der mündlichen Verhandlung entstanden waren, sowie die Kosten für zwei in unmittelbarer Verbindung mit der Verlegung der mündlichen Verhandlung stehende Arbeitsstunden des Vertreters der Beschwerdegegnerin auferlegt. Die Beschwerdeführerin hat diese Entscheidung der Einspruchsabteilung angefochten.

43. Gemäß Artikel 104 (1) EPÜ trägt jeder Beteiligte im Einspruchsverfahren die ihm erwachsenen Kosten grundsätzlich selbst. Indessen ist stets dann eine andere Verteilung der Kosten anzuordnen, wenn und soweit dies der Billigkeit entspricht. Das ist nach ständiger Rechtsprechung normalerweise der Fall, wenn diese Kosten ganz oder teilweise durch ein Verhalten eines Beteiligten verursacht werden, das mit der bei der Wahrnehmung von Rechten zu fordernden Sorgfalt nicht in Einklang steht, sondern im Gegenteil das Ergebnis eines leichtfertigen oder gar böswilligen schuldhaften Handelns darstellt (s. "Rechtsprechung", III.R.2).

44. In der Entscheidung T 117/86, auf die in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen wird, entschied die Kammer, dass verspätet vorgelegte Tatsachen oder Beweismittel eine (anderweitige) Kostenverteilung rechtfertigen können, weil sie anderen Beteiligten zweifellos Mehrkosten verursachen können, die bei fristgerechter Einreichung nicht entstanden wären. Dieser in der Rechtsprechung mehrfach bestätigte Grundsatz (s. z.B. die ebenfalls in der angefochtenen Entscheidung genannte Entscheidung T 416/87, Punkt 10 der Entscheidungsgründe) findet auch im vorliegenden Fall Anwendung, selbst wenn die betreffenden Beweismittel in den Fällen T 117/86 und T 416/87 erst im Beschwerdeverfahren ohne darauffolgende Verlegung der mündlichen Verhandlung eingereicht worden waren.

45. Maßgeblich ist, dass die Beschwerdeführerin keine Gründe genannt hat, weshalb sie die verspätet eingereichten Beweismittel in Verbindung mit dem neuen Einspruchsgrund der fehlenden Neuheit am 23. Juni 2017, d.h. nur sechs Tage vor dem Termin der anberaumten mündlichen Verhandlung am 29. Juni 2017 vorgelegt hatte. Eine frühere Einreichung hätte sowohl der Beschwerdegegnerin als auch der Einspruchsabteilung mehr Zeit gegeben, sich angemessen auf die neuen Einwände vorzubereiten, ohne dafür die mündliche Verhandlung auf einen neuen Termin verlegen zu müssen. In dem Sinne besteht nach Ansicht der Kammer ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Verhalten der Beschwerdeführerin und den mit der Entscheidung zur Verlegung der mündlichen Verhandlung verbundenen Mehrkosten der Beschwerdegegnerin.

46. Das Argument der Beschwerdeführerin, dass die Beschwerdegegnerin ihren Antrag auf Verlegung der mündlichen Verhandlung früher hätte stellen müssen, kann die Kammer nicht nachvollziehen. Auslöser für den Antrag war das Schreiben vom Freitag, dem 23. Juni 2017, das vom EPA am gleichen Tag um 19.20 Uhr per Telefax an die Beschwerdegegnerin geschickt und nach Angabe der Beschwerdegegnerin dem zuständigen Bearbeiter der Beschwerdegegnerin am Montag, dem 26 Juni 2017 vorgelegt worden ist. Es kann aus Sicht der Kammer nicht gegen die Beschwerdegegnerin verwendet werden, dass sie nicht sofort am selben Tag, sondern erst am nachfolgenden Tag auf das Schreiben der Beschwerdeführerin reagiert und einen Verlegungsantrag gestellt hat.

47. Die Kammer kann daher keinen Fehler in der Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung erkennen, der Beschwerdeführerin die der Beschwerdegegnerin entstandenen Reisekosten für die am 29. Juni 2017 geplante mündliche Verhandlung aufzuerlegen.

48. Hinsichtlich der Auferlegung der Kosten für zwei in unmittelbarer Verbindung mit der Verschiebung der mündlichen Verhandlung stehenden Arbeitsstunden ist weder der angefochtenen Entscheidung noch der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eine Begründung zu entnehmen. Die Beschwerdegegnerin hat jedoch überzeugend dargelegt, dass die am 27. Juni 2017 per Telefax gesendete Entscheidung des EPA, die Ladung zu der für den 29. Juni 2017 anberaumten mündlichen Verhandlung aufzuheben, mangels einer permanenten Überwachung des Fax- und Posteingangs den zuständigen Bearbeiter erst am Vormittag des 28. Juni 2017 erreicht habe, als er sich bereits auf der Anreise zum Flughafen befunden habe. Dies stimmt auch mit den Angaben der Beschwerdeführerin auf Seite 43 unten und Seite 44 oben der Beschwerdebegründung überein. Für die Kammer besteht daher keinen Grund, die Richtigkeit dieser Angaben anzuzweifeln.

49. Aus den oben genannten Gründen hat die Beschwerdeführerin nicht stichhaltig dargelegt, weshalb die Entscheidung der Einspruchsabteilung über eine anderweitige Kostenverteilung zugunsten der Beschwerdegegnerin aufzuheben ist. Der Antrag der Beschwerdeführerin ist daher zurückzuweisen.

Antrag zur Berichtigung der Niederschrift

50. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Ergänzung der Niederschrift über die am 15. Juli 2022 abgehaltene mündliche Verhandlung mit weiteren, von ihr in der Diskussion über die Befugnis der Kammer zur Prüfung der Klarheit nach der Entscheidung G 3/14 vorgebrachten Argumenten hinsichtlich der Frage, ob und inwieweit sich die im Anspruch 1 gemäß dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsantrag 2 vorgenommene Änderung auf die übrigen Merkmale des erteilten Anspruchs 1 auswirkt bzw. ob die in der Beschwerdebegründung behauptete mangelnde Klarheit des Merkmals im Anspruch 1, dass der hydraulische Arbeitszylinder nahe der Kupplung angeordnet sei, durch die Änderung im Anspruch 1 gemäß dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsantrag 2 herbeigeführt worden ist oder nicht bereits in dem erteilten Anspruch vorgelegen hat.

51. Nach Regel 124 (1) EPÜ wird über eine mündliche Verhandlung eine Niederschrift aufgenommen, die den wesentlichen Gang der mündlichen Verhandlung und die rechtserheblichen Erklärungen der Beteiligten enthalten soll. Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern (s. "Rechtsprechung", III.C.7.10.1) muss die Niederschrift jedoch nicht die vollständigen Argumente der Beteiligten widerspiegeln. Es liegt in der Verantwortung der Kammer zu entscheiden, was in die Niederschrift aufgenommen werden muss, d.h. was als "wesentlich" oder "rechtserheblich" angesehen wird. Was "den wesentlichen Gang der mündlichen Verhandlung" oder "die rechtserheblichen Erklärungen der Beteiligten" ausmacht, ist unter Berücksichtigung dessen, was die Kammer zu entscheiden hat, zu bestimmen (siehe dazu T 966/99, Punkt 7.2.2 der Entscheidungsgründe). Während die Niederschrift die Anträge oder ähnlich wichtige verfahrensrechtliche Erklärungen enthalten muss, gehen die meisten Argumente der Beteiligten zur Patentierbarkeit aus den früheren Schriftsätzen der Beteiligten oder aus dem Sachverhalt und den Anträgen in der schriftlichen Entscheidung der Kammer hervor, weshalb sie in der Niederschrift nicht enthalten sein müssen. Diese Sachverhalte sind zwar für die Entscheidung relevant, müssen aber in der Niederschrift nicht wiederholt werden. Deshalb werden die Argumente der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung im Allgemeinen nicht in die Niederschrift aufgenommen, auch wenn sie durchaus in die schriftliche Entscheidung der Kammer eingehen können (siehe dazu auch CA/3/19, Abschnitt VI, Erläuterungen zu Artikel 6 (4) VOBK 2020, s. Zusatzpublikation 2 zum Amtsblatt EPA 2020). Dies ist im vorliegenden Fall auch geschehen (siehe die Abschnitte XV und XVI oben).

52. Aus den oben genannten Gründen hält es die Kammer nicht für erforderlich, die Niederschrift über die am 15. Juli 2022 abgehaltene mündliche Verhandlung mit weiteren Argumenten, wie von der Beschwerdegegnerin beantragt, zu ergänzen. In der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Argumente der Beteiligten, auch wenn sie in der Niederschrift nicht erwähnt werden, sind in die vorliegende schriftliche Entscheidung der Kammer eingegangen, sofern sie für die Entscheidung relevant waren. Daher wird der Berichtigungsantrag der Beschwerdegegnerin abgelehnt.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung über eine anderweitige Kostenverteilung wird zurückgewiesen.

2. Die angefochtene Entscheidung hinsichtlich der Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung wird aufgehoben.

3. Das Patent wird widerrufen.

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