T 0231/18 () of 27.10.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T023118.20201027
Datum der Entscheidung: 27 October 2020
Aktenzeichen: T 0231/18
Anmeldenummer: 09741997.2
IPC-Klasse: B62D29/00
B32B15/01
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERWENDUNG EINES METALLISCHEN VERBUNDWERKSTOFFS IN EINER FAHRZEUGSTRUKTUR
Name des Anmelders: ThyssenKrupp Steel Europe AG
Name des Einsprechenden: Voestalpine Stahl GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56 (2007)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 2201/10
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das Patent Nr. 2 271 541 in geändertem Umfang aufrechterhalten worden ist, haben die Einsprechende (Beschwerdeführerin) und zunächst auch die Patentinhaberin Beschwerde eingelegt; letztere nahm ihre Beschwerde indes während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer zurück und wird somit im Folgenden mit "Beschwerdegegnerin" bezeichnet.

II. In der angefochtenen Entscheidung wird unter anderem von folgenden Entgegenhaltungen ausgegangen, die auch der vorliegenden Entscheidung zugrunde liegen:

D1: US 2,874,082;

D2: WO 2008/013233 A1 / D3: US 2010/0003540 A1;

D5: ThyssenKrupp techforum Heft 1, 2006, Seiten 19-23.

III. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht neu sei gegenüber D1 oder D5, dass aber der in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichte Hilfsantrag 6 die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ erfülle und der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 6 erfinderisch sei gegenüber der D5.

IV. Am 27. Oktober 2020 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und nahm die mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 7 - 9 zurück. Weiterhin nahm sie ihre Beschwerde zurück und beantragte die Teilrückerstattung der Beschwerdegebühr.

V. Anspruch 1 gemäß dem im Einspruchsverfahren aufrechterhaltenen Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 6 lautet wie folgt (Merkmalsgliederung umgestellt in Anlehnung an die angefochtene Entscheidung; gegenüber der erteilten Fassung hinzugefügte Merkmale sind durch Unterstreichen gekennzeichnet):

a |Verwendung eines metallischen Verbundwerkstoffs |

a1 |der mehrlagig, |

a2 |mittels Walzplattieren hergestellt und |

a3 |haspelbar ist, |

b |in einer Fahrzeugstruktur, insbesondere Karosseriestruktur,dadurch gekennzeichnet, dass |

c |der Verbundwerkstoff ein Leichtbauwerkstoff ist und |

d |drei Lagen aus einer Stahllegierung aufweist, |

e |wobei wenigstens eine der Lagen aus einer höherfesten oder höchstfesten Stahllegierung gefertigt ist,|

f |welche eine Streckgrenze von mehr als 300 MPa und eine Bruchdehnung A80 von weniger als 35% aufweist und|

g-6|der Verbundwerkstoff warmumgeformt ist, so dass sich auf diese Weise der Verbundwerkstoff zu Bauteilen formen lässt, wie sie in einer Fahrzeugstruktur verwendet werden, und die Verwendung für eine B-Säule, Strukturbauteile im Kraftfluss, Knotenbleche, Crashboxen oder Längsträger erfolgt,wobei der Verbundwerkstoff einseitig oder beidseitig eine metallische und/oder organische Beschichtung aufweist.|

VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Merkmal b sei aus D5 (Seite 22, 1. Absatz) bekannt, da die Verwendung "in einer Fahrzeugstruktur" nicht einengend dahingehend auszulegen sei, dass lediglich eine Verwendung des Werkstoffs "als Teil als solches" für eine Fahrzeugstruktur umfasst sei. Der Anspruch 11 zähle auch Teile auf, die nicht unmittelbar Teile für eine oder einer Fahrzeugstruktur im engeren Sinn seien (vgl. z.B. Absatz [0028] des Streitpatents). Die Verwendung in einer Fahrzeugstruktur werde in D5 offenbart, indem die Verwendung im Automobilbau und die Realisierung von Befestigungs- und Kraftübertragungs­komponenten angesprochen sei.

Hinsichtlich der Offenbarung des Merkmals f in D5 werde der Einspruchsabteilung gefolgt. Aus einer Vickers-Härte von ca. 700 HV für die hochfeste Lage ergebe sich zwangsläufig eine Zugfestigkeit größer als 2000 MPa, womit auch eine Streckgrenze von mehr als 300 MPa vorliegen müsse. Sollte Merkmal f als nicht in D5 offenbart angesehen werden, kenne der Fachmann die für Stähle geltenden Gesetzmäßigkeiten zwischen Festigkeit und Bruchdehnung (siehe diesbezüglich D3, Figur 1: hochfeste Stähle zeigten eine abgesenkte Bruchdehnung).

Merkmal g-6 verlange nur, dass "der Verbundwerkstoff warmumgeformt ist" (nicht: "wird"), entsprechend dem in D5 (Seite 20) offenbarten "Warmwalzen" bzw. "Aufwärm- und Umformprozess". Für die anspruchsgemäße Verwendung spiele es keine Rolle, wie die Bauteile aus dem Verbund­werkstoff hergestellt würden. Auch werde in Anspruch 1 mit "so dass sich auf diese Weise der Verbundwerkstoff zu Bauteilen umformen lässt" lediglich die Eignung des Verbundwerkstoffs ausgedrückt, zu Bauteilen umgeformt zu werden.

Die beanspruchte Verwendung "für eine B-Säule etc." werde durch die in D5 angesprochene Verwendung im Automobilbau angeregt. Der Verbundwerkstoff Tribond**(®)

aus D5 sei nicht preisgünstig und werde somit nur dort eingesetzt, wo sein Potential ausgeschöpft werde. Es sei also naheliegend, ihn für die beanspruchten typischen Automobilteile einzusetzen. Zudem sei die beanspruchte Verwendung für Strukturbauteile im Kraftfluss durch die in D5 genannten Befestigungs- und Kraftübertragungs­komponenten zumindest nahegelegt.

Im Automobilbau sei auch eine Beschichtung von Bauteiloberflächen oder einer Fahrzeugstruktur üblich. Eine Vollverzinkung und damit eine metallische Beschichtung in allen korrosionsgefährdeten Bereichen sei ebenso bekannt wie Phosphatieren oder Ölen von Oberflächen. Es müsse nicht von der Schichtreihenfolge "hart - weich - hart" in D5 (wie in der angefochtenen Entscheidung) ausgegangen werden. Anspruch 1 lege nicht fest, welche Schicht aus höherfestem Werkstoff bestehe, und umfasse auch nur eine hochfest ausgebildete Lage, wie in D5 bereits angedacht (siehe Seite 23), oder nur eine organisch beschichtete Seite.

VII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin kann wie folgt zusammengefasst werden:

Die Merkmale b, f und g-6 (einschließlich des bereits im erteilten Anspruch 1 enthaltenen Teilmerkmals) seien nicht in D5 offenbart (unter Berücksichtigung des in der Rechtsprechung entwickelten fotografischen Neuheitsbegriffs, vgl. T 2201/10, Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 8. Auflage, Seite 115, letzter Absatz bis 1. Absatz, Seite 116).

Der in D5 als Anwendung für den Verbundwerkstoff allgemein genannte "Automobilbereich" umfasse alle Verwendungen im Bereich von Kraftfahrzeugen, könne aber den speziellen beanspruchten Verwendungszweck "Fahrzeugstruktur" gemäß Merkmal b nicht vorwegnehmen. Auch der in D5 in Zusammenhang mit den Anwendungs­möglichkeiten sowohl im Maschinenbau als auch im Automobilbereich genannte Begriff "Kraftübertragungs­komponenten" sei (selbst im Zusammenhang mit dem Begriff "Automobilbereich") zu allgemein und betreffe (wie z.B. im Falle von Lagerschalen) keine spezifische Ausführungsform einer Fahrzeugstruktur, könne also die Verwendung für eine Fahrzeugstruktur sicherlich nicht fotografisch vorwegnehmen. Das in der D5 offenbarte tiefgezogene Bauteil aus Verbundwerkstoff zeige einen überall im Maschinenbau eingesetzten Kugellagerkäfig.

Merkmal f sei (wie von der Einspruchsabteilung festgestellt) nicht explizit in D5 offenbart, jedoch (abweichend dazu) auch nicht implizit aufgrund des Zusammenhangs zwischen Vickers-Härte (in D5 genannt) und Zugfestigkeit, da in Anspruch 1 die Streckgrenze des Materials näher spezifiziert werde. Die Aussage der Einspruchsabteilung, sie kenne keinen Stahl mit einem Kohlenstoffgehalt von 0,7 % (in D5 genannt) und einer kleineren Streckgrenze bzw. größeren Bruchdehnung bleibe eine Behauptung ohne Nachweis.

Schließlich sei bereits das erste Teilmerkmal von Merkmal g-6 nicht in D5 offenbart, denn in D5 werde nichts zur Weiterverarbeitung des Verbundwerkstoffs gesagt. Es werde in D5 nur von einem "umgeformten Bauteil" (Seite 20) oder "Ziehumformteil" (Seite 23) gesprochen. Gegenstand des Anspruchs 1 sei nicht die Herstellung des Verbundwerkstoffs, sondern die Verwendung des bereits hergestellten haspelbaren Verbundwerkstoffs, so dass das Warmumformen sich nur auf die Verwendung in der Fahrzeugstruktur beziehen könne. Der Wortlaut von Merkmal g-6 fordere, dass "der Verbundwerkstoff warm umgeformt ist, so dass sich auf diese Weise der Verbundwerkstoff zu Bauteilen formen lässt, wie sie in einer Fahrzeugstruktur verwendet werden", d. h. dass der Verbundwerkstoff auf diese Weise, also durch Warmumformung in Bauteile, geformt werde. Der bandförmige Werkstoff müsse zwangsweise zur Verwendung in einer Fahrzeugstruktur umgeformt werden. Aus dem Inhalt des Streitpatents (siehe Absatz [0014] und [0025]) könne nur gefolgert werden, den Verbund-werkstoff in einem warmumgeformten Fahrzeugstruktur­teil zu verwenden. Dokument D5 offenbare keine Warmumformung auf Seite 20, rechte Spalte, 2. Absatz, und leite den Fachmann auch nicht an, ein Warmumformen zum fertigen Bauteil vorzusehen, sondern der Fachmann solle durch Kaltwalzen und Glühen zum fertigen Endprodukt gelangen. Ein Walzplattieren könne dieses Teilmerkmal auch nicht vorwegnehmen, da Anspruch 1 sich gerade mit der Verwendung des Werkstoffs in einer Fahrzeugstruktur beschäftige, bei welcher dieser warmumgeformt sei.

Auch die konkreten Anwendungen (B-Säule etc.) gemäß dem zweiten Teilmerkmal von Merkmal g-6 seien nicht in D5 dadurch offenbart, dass die D5 den Automobilbereich als Anwendungsgebiet des Verbundwerkstoffs sehe und Befestigungs- und Kraftübertragungskomponenten als realisierbar nenne. Die allgemeine Offenbarung von Befestigungs- und Kraftübertragungskomponenten könne eine spezifische Komponente, wie z. B. eine B-Säule, nicht vorwegnehmen. Die konkreten Verwendungen des Anspruchs 1 seien bereits nicht unmittelbar und eindeutig in D5 offenbart. Zudem handele es sich bei der erfindungsgemäßen Verwendung um warmumgeformte Bauteile, und D5 zeige keine Warmumformung zum Bauteil. Die Verwendung des 3-lagigen Verbundwerkstoffs unter Anwendung des Warmumformens zur Bereitstellung der Bauteile ermögliche die Herstellung komplexer Bauteile und kombiniere die bevorzugten Eigenschaften von duktilen und harten Werkstoffen. Der Werkstoff sei insbesondere für Leichtbaukonzepte geeignet.

D5 offenbare auch nicht das dritten Teilmerkmal von Merkmal g-6, dass entsprechende Bauteile mit organischer/metallischer Beschichtung versehen würden.

Ausgehend von D5 sei die Aufgabe darin zu sehen, für den bekannten Verbundwerkstoff optimierte Verwendungen vorzuschlagen. Der Fachmann benötige einen klaren Anhaltspunkt auf die Parameter gemäß Merkmal f, was die D3 nicht belegen könne, da sie auch Bereiche zeige, die nicht zu den beanspruchten Parametern führten. Aus der D5 erhalte der Fachmann auch keine Hinweise auf die beanspruchten spezifischen Verwendungen, insbesondere keine Hinweise auf das bevorzugt angewendete Verfahren zur Herstellung der Bauteile durch Warmumformung. Auch umfasse D5 keine Hinweise, dass die Verbundwerkstoffe für die Bereitstellung von metallischen und/oder organischen Beschichtungen geeignet seien. D5 führe von der erfindungsgemäßen Verwendung von warmumgeformten Bauteilen weg, da sie ein anderes Herstellverfahren und damit keine Warmumformung für die Bauteile lehre. Es sei nicht naheliegend, ein Warmumformverfahren auf entsprechende Verbundwerkstoffe anzuwenden, da durch Diffusionsprozesse die Umformeigenschaften negativ beeinflusst werden könnten. Die D5 gehe aus von einem Verbundwerkstoff mit harter Außenseite (siehe Bild 3), die verschleißfrei ausgebildet sei. Davon ausgehend gelange man nicht zu den beanspruchten Verwendungen, da es keinen Anlass gebe, den teuren Werkstoff dafür zu verwenden. Die verschleißfeste Außenseite (z. B. einer Lagerschale) widerspreche sogar einer Beschichtung und schließe diese, wie von der Einspruchsabteilung festgestellt, geradezu aus. Eine Schichtreihenfolge "weich - hart - weich" führe zudem nicht zu Merkmal f, da dieses allenfalls aus Bild 3 in D5 abzuleiten sei.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

2.1 Der Gegenstand von Anspruch 1 in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung gemäß Hilfsantrag 6 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

2.2 Die Kammer sieht ebenso wie die Beschwerdeführerin Dokument D5 als nächstliegenden Stand der Technik an.

D5 zeigt unstrittig (siehe Seite 20 mit Bild 1) die Verwendung eines mehrlagigen, mittels Walzplattieren hergestellten, haspelbaren, metallischen Verbund­werkstoffs gemäß den Merkmalen a, a1, a2 und a3. Die Beschwerdegegnerin hat auch zugestanden, dass der in D5 gezeigte Verbundwerkstoff ein Leichtbauwerkstoff ist und (siehe Bild 1) drei Lagen aus einer Stahllegierung aufweist, wobei wenigstens eine der Lagen aus einer höherfesten oder höchstfesten Stahllegierung gefertigt ist, wie mit den Merkmalen c, d und e spezifiziert.

2.3 Die Beschwerdegegnerin sah allerdings die Merkmale b, f und g-6 (einschließlich des im erteilten Anspruch 1 enthaltenen Teilmerkmals) nicht in D5 offenbart und verwies diesbezüglich auf den in der Rechtsprechung entwickelten fotografischen Neuheitsbegriff.

2.3.1 Die Kammer schließt sich zwar der in der angefochtenen Entscheidung (siehe dort Punkt II.c.i.2.2) gegebenen Begründung an, dass die Verwendung des aus D5 bekannten Verbundwerkstoffs "in einer Fahrzeugstruktur" gemäß Merkmal b aus D5 für den erteilten Anspruch 1 bekannt ist, und zwar angesichts des erteilten Anspruchs 11 und der in D5 explizit angesprochenen Realisierung von Kraftübertragungskomponenten.

Merkmal b des im Einspruchsverfahren aufrechterhaltenen Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 6 wird allerdings im kennzeichnenden Teil durch in Merkmal g-6 aufgeführte konkrete Anwendungen ("B-Säule, Struktur­bauteile im Kraftfluss, Knotenbleche, Crashboxen oder Längsträger") weiter eingeschränkt, also durch eine Auswahl der im erteilten (nun gestrichenen) Anspruch 11 aufgeführten Verwendungen. Die beanspruchte Verwendung wird damit auf spezifische Fahrzeugstrukturen bzw. Komponenten eingeschränkt. D5 nennt Anwendungsmöglichkeiten für den 3-lagigen Verbundwerkstoff im "Automobilbereich", also für Fahrzeuge, und spricht an, dass "komplex umzuformende Befestigungs- und Kraftübertragungs­komponenten realisierbar" sind (siehe Seite 22, linke Spalte). Diese allgemeine Offenbarung von Komponenten zur Befestigung oder Kraftübertragung kann - bereits unabhängig von der Frage, ob es sich um warmumgeformte Bauteile handelt - die in Merkmal g-6 spezifisch beanspruchten Komponenten bzw. konkreten Verwendungen nicht neuheitsschädlich vorwegnehmen.

2.3.2 Mit Merkmal f wird die höherfeste oder höchstfeste Stahllegierung aus Merkmal e näher hinsichtlich ihrer Streckgrenze und Bruchdehnung A80 spezifiziert. Auch wenn für die meisten bekannten höherfesten oder höchstfesten Stahllegierungen eine Streckgrenze von mehr als 300 MPa und eine Bruchdehnung A80 von weniger als 35% bekannt sein mag, so war die Kammer nicht davon überzeugt, dass beide Parameter direkt und unmittelbar aus den in D5 offenbarten Kennwerten der harten Auflage (siehe Seite 20, rechte Spalte, vorletzte Zeile: Kohlenstoffgehalt 0,70 % C; Seite 23, linke Spalte, Zeile 8, auch Bild 6: Vickers-Härte von 650 HV) abzuleiten sind. Die Beschwerdeführerin hat versäumt, einen Beleg für diese von ihr aufgestellte Behauptung vorzulegen. Selbst wenn man der Beschwerdeführerin folgt, dass aus der in D5 offenbarten Vickers-Härte eine Streckgrenze von mehr als 300 MPa folgt, so zeigt die als Beleg für das Fachwissen angeführte D3 (als Familiendokument der vorveröffentlichten D2) in Fig. 1 Bereiche der "total elongation" und "tensile strength" von hoch- und höchstfesten Stahlsorten, die auch Bruchdehnungen größer als 35% umfassen. Zudem war die Kammer nicht überzeugt, dass die Übersicht in D3 gemäß Fig. 1 abschließend alle vor dem Anmeldetag des Streitpatents bekannten hochfesten Stahlsorten zeigt.

2.3.3 Merkmal g-6 umfasst drei Teilmerkmale, die wie folgt lauten:

a) der Verbundwerkstoff warmumgeformt ist, so dass sich auf diese Weise der Verbundwerkstoff zu Bauteilen formen lässt, wie sie in einer Fahrzeugstruktur verwendet werden, und

b) die Verwendung für eine B-Säule, Strukturbauteile im Kraftfluss, Knotenbleche, Crashboxen oder Längsträger erfolgt,

c) wobei der Verbundwerkstoff einseitig oder beidseitig eine metallische und/oder organische Beschichtung aufweist.

Zu Teilmerkmal g-6b) wurde bereits weiter oben in Zusammenhang mit Merkmal b Stellung genommen.

Hinsichtlich Teilmerkmal g-6a) folgt die Kammer der Beschwerdeführerin darin, dass der Ausdruck "der Verbundwerkstoff warmumgeformt ist" nicht einschränkend auf das Warmumformen zu einem Bauteil und damit die Herstellung des Bauteils zu lesen ist, sondern auch den Herstellungsprozess des Verbundwerkstoffs umfasst. Es ist somit unbeachtlich, dass D5 zur Weiterverarbeitung des Verbundwerkstoffs nichts sagt und allenfalls ein Kaltwalzen und Glühen bis zum fertigen Endprodukt, dem umgeformten Bauteil, offenbart (siehe Seite 20, rechte Spalte, 2. Absatz). D5 offenbart nicht lediglich ein Walzplattieren, sondern dass ein Verbundwerkstoff durch Warmumformen hergestellt wird, nämlich dass die auf das Verschweißen der Einzellagen folgenden Aufwärm- und Umformprozesse zumindest ein Warmwalzen zu Verbundwarmbändern im Dickenbereich von 1,5 bis 8 mm umfassen (Seite 20, linke Spalte, letzter Absatz, und rechte Spalte, 2. Absatz). Dieser in D5 beschriebene "innovative Ansatz des Warmwalzplattierens" offenbart somit einen Verbundwerkstoff, der warmumgeformt ist.

Teilmerkmal g-6a) spezifiziert weiters ("so dass sich auf diese Weise der Verbundwerkstoff zu Bauteilen formen lässt, wie sie in einer Fahrzeug­struktur verwendet werden") die Verwendung des Verbundwerkstoffs zur Formung von Bauteilen einer Fahrzeugstruktur, präzisiert also lediglich nochmals Merkmal b. Dies kann nach Auffassung der Kammer aber keine Abgrenzung gegenüber D5 bewirken, da wie weiter oben ausgeführt gemäß D5 "komplex umzuformende Befestigungs- und Kraftübertragungs­komponenten realisierbar" sind. Insbesondere kann die Kammer nicht erkennen, dass der Begriff "auf diese Weise" eindeutig darauf schließen lässt, dass der Verbundwerkstoff durch Warmumformung in Bauteile geformt wird, oder dass es sich bei der erfindungsgemäßen Verwendung - wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen - um warmumgeformte Bauteile handele und Warmumformen sich nur auf die Verwendung in der Fahrzeugstruktur beziehe. Nichts anderes lässt sich aus der zu Merkmal g-6a) in etwa gleichlautenden Textstelle in Absatz [0014] des Streitpatents ableiten. Absatz [0025] des Streitpatents betrifft speziell das Ausführungsbeispiel einer B-Säule und erwähnt in diesem Zusammenhang "Vorzugsweise wird ein derartiger Verbundwerkstoff warm umgeformt". Die Verwendung des Hilfsverbs "wird" (anstelle von "ist") mag zwar die Verwendung des Verbundwerkstoffs in einem weiteren Prozessschritt des Warmumformens ausdrücken, kann jedoch nicht zur einschränkenden Auslegung des anders lautenden Wortlauts von Anspruch 1 (Hilfsverb "ist") herangezogen werden.

Die Kammer stimmt allerdings der Beschwerdegegnerin zu, dass D5 keine Aussage zur Beschichtung des Verbund­werkstoffs macht, wie mit Teilmerkmal g-6c) gefordert.

2.3.4 Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich von der aus D5 bekannten Verwendung eines Verbundwerkstoffs also darin, dass D5 weder

- die mit Merkmal f definierten Kennwerte der höher- oder höchstfesten Stahllegierung aus Merkmal e,

- noch die spezifische Verwendung in den mit Teilmerkmal g-6b) definierten Bauteilen einer Fahrzeugstruktur aus Merkmal b,

- noch die Beschichtung des Verbundwerkstoffs gemäß Teilmerkmal g-6c) offenbart.

2.3.5 Merkmal f fordert eine gewisse Festigkeit zumindest einer Lage des Verbundwerkstoffs, während das Teilmerkmal g-6b) die Weiterverarbeitung zu Bauteilen einer Fahrzeugstruktur betrifft, die für das Crashverhalten relevant sind und damit auch eine gewisse Festigkeit aufweisen müssen. Beide Merkmale tragen also dazu bei, eine gewisse Festigkeit für das betreffende Bauteil einer Fahrzeugstruktur bereitzustellen. Ein typischerweise bei Verwendung in Fahrzeugstrukturen erforderlicher Korrosionsschutz wird mit der Beschichtung gemäß Teilmerkmal g-6c) erreicht.

Die Unterschiedsmerkmale sind funktionell miteinander verbunden, da sie die Verwendung des aus D5 bekannten Verbundwerkstoffs für eine festigkeitsrelevante Anwendung in einer Fahrzeugstruktur betreffen.

Ausgehend von D5 stellt sich dem Fachmann somit die Aufgabe, für den bekannten Verbundwerkstoff optimierte Verwendungen vorzuschlagen.

2.3.6 Die Verwendung des aus D5 bekannten Verbundwerkstoffs im Automobilbau wird in D5 bereits angesprochen ebenso wie die Realisierbarkeit von komplex umzuformenden Kraftübertragungskomponenten, d. h. die Lehre der D5 richtet sich insbesondere auch an den Fachmann im Bereich des Automobilbaus. Dieser ist immer bestrebt, das Gewicht von Fahrzeugen zu reduzieren, um die immer strenger werdenden Verbrauchs- und Abgasvorschriften einhalten zu können. Er wird daher für Komponenten der Fahrzeugstruktur den Einsatz gewichtsreduzierter Werkstoffe prüfen, also auch des in D5 offenbarten Verbundwerkstoffs, der als Leichtbau­verbundwerkstoff anzusehen ist.

Da in D5 bereits explizit die Verwendung für Kraftübertragungskomponenten angesprochen wird, kann die Kammer nicht erkennen, dass der Fachmann dadurch nicht angeregt sein soll, Strukturelemente im Kraftfluss wie z. B. Knotenbleche mittels des aus D5 bekannten Verbundwerkstoffs auszubilden. Er benötigt dazu keine Hinweise auf die Herstellung der Bauteile durch Warmumformung, da der Gegenstand von Anspruch 1 wie bereits ausgeführt nicht darauf eingeschränkt ist. Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass das Streitpatent im Zusammenhang mit Strukturelementen im Kraftfluss oder Knotenblechen eine "Verarbeitung in der Kaltumformung" (Absatz [0027]) vorschlägt, wie auch in D5 offenbart (Seite 20, rechte Spalte, 2. Absatz: "Kaltwalzen und Glühen bis zum Endprodukt, dem umgeformten Bauteil"), also nicht notwendigerweise warmumgeformte Bauteile verlangt. Selbst wenn man der Beschwerdeführerin folgt, dass der Verbundwerkstoff aus D5 teuer sein mag, so sieht die Kammer darin keinen Grund, auf den Vorteil der möglichen Gewichtsersparnis dieses Leichtbauverbundwerkstoffs zu verzichten.

Die harte Außenlage des in Dokument D5 gezeigten Verbundwerkstoffs wird hinsichtlich der Parameter Streckgrenze und Bruchdehnung A80 nicht spezifiziert. Es wird allerdings von einem hohem Kohlenstoffgehalt von 0,70 % und einer Vickers-Härte von ca. 650 HV sowie einer verschleißfesten Oberfläche gesprochen, was für den Fachmann eine Stahllegierung mit deutlichem Abstand zu niedrigfesten Legierungen nahelegt. Wie durch Dokument D2/D3 belegt (siehe Fig. 1: LOW STRENGTH STEELS < 270 MPA), wird der Fachmann dabei Legierungen im Grenzbereich zwischen niedrigfesten und hochfesten Stählen vermeiden und so zu Stahllegierungen mit einer Streckgrenze von deutlich mehr als 300 MPa gelangen und in naheliegender Weise auf bekannte Stahllegierungen stoßen, die eine Bruchdehnung A80 von weniger als 35% aufweisen. Selbst wenn D2/D3 nicht alle bekannten hoch- und höchstfesten Legierungen zeigen mag und z. B. auch höchstfeste Stahllegierungen mit Bruchdehnungen von mehr als 35 % existieren sollten, so wird der Fachmann Knotenbleche in naheliegender Weise auf geringe Verformbarkeit und damit geringe Bruchdehnung auslegen. Der Einwand der Beschwerdeführerin, es fehle an einem klaren Anhaltspunkt auf die Parameter gemäß Merkmal f, kann nicht überzeugen, da die in D5 genannten Angaben wie dargelegt einen solchen Hinweis geben.

Die Kammer kann auch nicht erkennen, dass das verbleibende Teilmerkmal einer ein- oder beidseitigen metallischen oder organischen Beschichtung einen erfinderischen Beitrag liefern kann, zumal Anspruch 1 offen lässt, ob es sich um eine Beschichtung des Verbundwerkstoffs oder des umgeformten Bauteils der Fahrzeugstruktur handelt. Fahrzeugstrukturen werden in allen korrosionsgefährdeten Bereichen gegen Korrosion geschützt und üblicherweise beschichtet, z. B. mittels metallischem Verzinken, was auch für Knotenbleche oder kraftübertragende Strukturbauteile gilt. Das in D5 gezeigte Ausführungsbeispiel geht zwar von einer Schichtreihenfolge "hart - weich - hart" und einer verschleißfesten Außenseite aus, was gegen eine zusätzliche Beschichtung sprechen mag, wie von der Einspruchsabteilung festgestellt. Allerdings spricht D5 bereits (siehe Seite 23, rechte Spalte) eine Variation der Schichtreihenfolge ("weich - hart - weich") oder auch der Schichtfunktionalität an ("niedriglegiert" anstelle von "verschleißfest"). Damit ist nach Auffassung der Kammer - auch ohne Abweichung von der in Bild 3 in D5 gezeigten Schichtreihenfolge (die wie bereits ausgeführt zu Merkmal f führt) - eine Beschichtung im Sinne von Anspruch 1 nahegelegt (wie auch von der Einspruchsabteilung in Bezug auf den 5. Hilfsantrag festgestellt), und zwar insbesondere bei einer Verwendung als Knotenblech oder Strukturbauteil im Kraftfluss der Fahrzeugstruktur.

2.3.7 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass der Fachmann ausgehend von D5 bei der gestellten Aufgabe in naheliegender Weise die Unterschiedsmerkmale f, g-6b) und g-6c) realisieren würde.

2.4 Weitere Einwände hinsichtlich mangelnder erfinderischer Tätigkeit wurden nicht vorgetragen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem im Einspruchsverfahren aufrechterhaltenen Hilfsantrag 6 ist somit aufgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit nicht gewährbar.

3. Nachdem kein gewährbarer Antrag vorliegt, ist das europäische Patent zu widerrufen.

4. Da die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) ihre Beschwerde, seinerzeit als Beschwerdeführerin 2 eingelegt, in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer zurückgenommen hat, ist die Beschwerdegebühr in Höhe von 25 % zurückzuzahlen, Regel 103 (4) a) EPÜ.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

3. Die Beschwerdegebühr der Beschwerdeführerin 2 (Beschwerdegegnerin) wird in Höhe von 25 % zurückerstattet (Regel 103(4)a) EPÜ).

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