T 2659/17 () of 4.3.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T265917.20200304
Datum der Entscheidung: 04 März 2020
Aktenzeichen: T 2659/17
Anmeldenummer: 09000326.0
IPC-Klasse: B23D 47/04
B25B 5/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Plattenaufteilanlage
Name des Anmelders: HOMAG Plattenaufteiltechnik GmbH
Name des Einsprechenden: Schelling Anlagenbau GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 113(1)
European Patent Convention Art 117(1)(d)
Schlagwörter: Zulässigkeit des Einspruchs - Substantiierung des Einspruchs (ja)
Zulässigkeit der Beschwerde - Beschwerde hinreichend begründet (ja)
Beweismittel - offenkundige Vorbenutzung
Beweismittel - Zeugenvernehmung
Beweismittel - schriftliche Erklärung an Eides statt
Beweismittel - Maßstab bei der Beweiswürdigung
Wesentlicher Verfahrensmangel - Verletzung des rechtlichen Gehörs (ja)
Neuheit - offenkundige Vorbenutzung (nein)
Neuheit - nicht ausreichend bewiesen
Neuheit - offenkundige Vorbenutzung
Neuheit - stillschweigende Geheimhaltungsverpflichtung
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0789/89
T 0474/04
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 2912/18

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) legte Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung ein, wonach das Streitpatent sowohl in der erteilten Fassung, als auch in geänderter Fassung gemäß Hilfsantrag 1 und 2 nicht patentfähig war, jedoch das Streitpatent auf Basis des Hilfsantrags 4 in geänderter Fassung aufrechterhalten wurde.

a) Insbesondere hatte die Einspruchsabteilung zwei geltend gemachte offenkundige Vorbenutzungen als bewiesen angesehen und entschieden, dass der Gegenstand des Hauptantrags nicht neu gegenüber diesen Vorbenutzungen sei.

b) Zum Beweis der offenkundigen Vorbenutzungen reichte die Einsprechende im Rahmen des Einspruchsverfahrens eine Reihe schriftlicher Dokumente ein und bot die Vernehmung von mehreren Zeugen an. Zudem wurden eidesstattliche Versicherungen der angebotenen Zeugen eingereicht.

II. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Streitpatents in erteilter Fassung.

a) Hilfsweise beantragt die Beschwerdeführerin, das Streitpatent in geänderter Fassung aufrechtzuerhalten auf Basis der Hilfsanträge 1b (eingereicht mit der Beschwerdebegründung), 1, 1a und 2 (eingereicht im Einspruchsverfahren).

b) Zudem fordert sie eine Vernehmung der Zeugen Schmid und Zimmermann. Die Beschwerdeführerin stellt des Weiteren die Zulässigkeit des Einspruchs in Frage und beantragt die Zulassung der Dokumente A1 ? A3 zum Verfahren, die die Einspruchsabteilung nicht zum Einspruchsverfahren zugelassen hatte. Schließlich wurde eine Korrektur des Protokolls der mündlichen Verhandlung im Einspruchsverfahren beantragt.

III. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) hat mit Schreiben vom 4. Juni 2019 ihren Einspruch zurückgenommen. Als sie noch Beschwerdegegnerin war, beantragte sie, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise die Beschwerde zurückzuweisen.

IV. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:

E1 EP 0 208 079 A

E2 EP 0 571 339 A

E3 EP 1 068 932 A

A1 Konvolut mit Titel "Deutsche Gesetze betreffend Betriebsgeheimnisse"

A2 Konvolut mit Titel "Österreichische Gesetze betreffend Betriebsgeheimnisse"

A3 Allgemeine Lieferbedingungen des Fachverbandes der Maschinen- und Stahlbauindustrie Österreichs

OA1 Auftragsbestätigung Firma Faigle

OA2 Produktblatt Präzisionsplattensäge fk6

OA3 technische Zeichnung 446.383.0001

OA4 technische Zeichnung 223.001.0412

OA5 technische Zeichnung 446.710.1002

OA6 technische Zeichnung 446.723.1001

OA7 technische Zeichnung 446.721.1002

OA8 Abnahmeprotokoll bei Firma Faigle

OA9 Versicherung an Eides Statt des Herrn Stefan Zoier

OA10 Versicherung an Eides Statt des Herrn Manuel Fussenegger

OA11 Versicherung an Eides Statt des Herrn Oliver Schmid

OA12 Versicherung an Eides Statt des Herrn Christian Bischofberger

OB1 Vertrag Nr. HIB 02/2005 mit Firma Hauri

OB2 Auftragsbestätigung Firma Hauri

OB3 technische Zeichnung 165.335.0001

OB4 technische Zeichnung 165.152.0035

OB5 Teileliste

OB6 technische Zeichnung 165.335.1402

OB7 Montagebericht Nr. 17806

OB8 mail von Christian Bischofberger

OB9 Versicherung an Eides Statt des Herrn Stefan Zoier

OB10 Versicherung an Eides Statt des Herrn Christian Bischofberger

OB11 Versicherung an Eides Statt des Herrn Wolfgang Sutterlüty

OB12 Versicherung an Eides Statt des Herrn Bruno Zimmermann

V. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hauptantrag hat den folgenden Wortlaut:

"Plattenaufteilanlage (10), insbesondere Plattenaufteilsäge, mit mindestens einer Klemmeinrichtung (20; 36) mit einem ersten und einem zweiten Klemmabschnitt (12, 18; 28, 30), wobei mindestens einer der Klemmabschnitte (18; 28) auf den jeweils anderen derart zubewegt werden kann, dass ein Abschnitt eines Werkstücks (14) zwischen den Klemmabschnitten (12, 18; 28, 30) verklemmbar ist, wobei mindestens einer der Klemmabschnitte (18; 28) mit mindestens einem doppelt wirkenden Pneumatikzylinder (42) gekoppelt ist, der eine erste, in eine Klemmrichtung wirkende Druckkammer (50) und eine zweite, in eine Öffnungsrichtung wirkende Druckkammer (52) aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass die beiden Druckkammern (50, 52) wenigstens zeitweise gleichzeitig mit einer Druckquelle verbindbar sind."

VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

a) Die Beschwerdeführerin legt erneut die Dokumente A1 ? A3 vor und argumentiert, dass die geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzungen nicht in allen Details von der Einsprechenden vorgetragen worden wären; insbesondere hätte A3 als wesentlicher Vertragsbestandteil der Auftragsbestätigung OA1 von der Einsprechenden eingereicht werden müssen. Nachdem A3 aber nicht von der Einsprechenden vorgelegt wurde, fehle hier dem Einspruch die ausreichende Substantiierung, so dass der Einspruch als unzulässig zu verwerfen sei bzw. die Vorbenutzungen nicht im Verfahren berücksichtigt werden dürfen.

b) Entsprechend sei auch die Entscheidung der Einspruchsabteilung, die Dokumente A1 ? A3 nicht zum Verfahren zuzulassen falsch gewesen, da insbesondere A3 hoch relevant sei. Hilfsweise sollen die Dokumente zumindest zum Beschwerdeverfahren zugelassen werden.

c) Die von der Einsprechenden geltend gemachten Vorbenutzungen sieht die Beschwerdeführerin als nicht offenkundig an, da die Öffentlichkeit keinen Zugang zu der verkauften Maschine hatte. Der Verkauf an die Firmen Faigle und Hauri erfolgte unter Geheimhaltung, so dass die Firmenmitarbeiter nicht als Öffentlichkeit zu werten sind. Externe Besucher wiederum hatten keinen Zutritt zu den Räumlichkeiten und konnten daher die Maschine nicht näher untersuchen.

d) Die Ausstellung der Maschine (die später an die Firma Faigle verkauft wurde) auf der Messe hätte es den Messebesuchern wiederum nicht erlaubt, wesentliche Merkmale der Maschine zu erkennen, da die Maschine auf der Messe weder zerlegt, noch generell näher untersucht werden konnte.

e) Die Beschwerdeführerin sieht die von den diversen angebotenen Zeugen abgegebenen Versicherungen an Eides statt und die vorgelegten Unterlagen als nicht ausreichend an, um die geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzungen ausreichend zu beweisen und beantragt daher zudem eine Einvernahme der angebotenen Zeugen, sowie eine Inaugenscheinnahme der Maschinen bei der Firma Faigle.

f) Der druckschriftliche Stand der Technik E1 ? E3 stehe dem beanspruchten Gegenstand zudem weder neuheitsschädlich entgegen, noch würde er ihn nahelegen.

VII. Das Vorbringen der Einsprechenden als sie noch Beschwerdegegnerin war, lässt sich wie folgt zusammenfassen:

a) Die Beschwerde sei nicht ausreichend substantiiert, da die Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung weder zur Neuheit, noch zur erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Gegenstandes argumentieren würde.

b) Im Gegensatz dazu sei der Einspruch ausreichend substantiiert vorgetragen worden, da in der Einspruchsschrift unter anderem auch die erfinderische Tätigkeit auf Basis des druckschriftlichen Standes der Technik E1 ? E3 in Frage gestellt worden sei.

c) Die Dokumente A1 ? A3 sowie der Hilfsantrag 1a seien verspätet vorgebracht worden und sollten daher der Entscheidung der Einspruchsabteilung folgend nicht zum Verfahren, insbesondere auch nicht zum Beschwerdeverfahren zugelassen werden.

d) Die Vorbenutzungen seien ausreichend bewiesen worden, wobei der Verkauf der Maschinen ohne Geheimhaltungsvereinbarung erfolgt sei, was ausreichend durch die vorgelegten Versicherungen an Eides statt bewiesen sei. Beide Vorbenutzungen ständen insbesondere dem beanspruchten Gegenstand des Hauptantrags neuheitsschädlich entgegen.

Entscheidungsgründe

1. Die Einsprechende hat ihren Einspruch zurückgenommen.

1.1 Da die Beschwerde von der Patentinhaberin gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung eingelegt worden ist, hat diese Rücknahme keinen Einfluss auf die Anhängigkeit dieses Beschwerdeverfahrens. Die Kammer muss daher die Entscheidung der Einspruchsabteilung inhaltlich prüfen.

1.2 Allerdings hat die Rücknahme des Einspruchs durch die Beschwerdegegnerin zur Folge, dass die Einsprechende hinsichtlich der Sachfragen nicht mehr am Beschwerdeverfahren beteiligt ist. Da kein Antrag auf Kostenverteilung vorliegt, hat die Einsprechende ferner auch keinen Parteistatus mehr (T 789/89, ABl. EPA 1994, 482).

Zulässigkeit der Beschwerde

2. Die Zulässigkeit einer Beschwerde ist dann gegeben, wenn die Beschwerde und die Beschwerdebegründung den Erfordernissen der Artikel 106 - 108 EPÜ, sowie der Regel 99 EPÜ entspricht.

2.1 Die Einspruchsabteilung hatte den Hauptantrag zurückgewiesen, da der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neu gegenüber den beiden geltend gemachten Vorbenutzungen war.

2.2 Die Beschwerdeführerin hat in der Beschwerdebegründung die öffentliche Zugänglichkeit der beiden geltend gemachten Vorbenutzungen in Frage gestellt. Entsprechend wären die beiden Vorbenutzungen kein Stand der Technik gemäß Artikel 54(2) EPÜ und könnten daher im Gegensatz zur Entscheidung der Einspruchsabteilung auch nicht neuheitsschädlich sein, bzw. die erfinderische Tätigkeit in Frage stellen.

2.3 Die Beschwerdebegründung enthält somit zumindest eine vollständige Argumentationslinie, warum die Entscheidung zum Hauptantrag aus Sicht der Beschwerdeführerin aufzuheben ist und erfüllt somit die Erfordernisse der Regel 99(2) EPÜ.

2.4 Die Beschwerde ist daher zulässig.

Zulässigkeit des Einspruchs

3. Die Zulässigkeit eines Einspruchs ist dann gegeben, wenn die Einspruchsschrift den Erfordernissen der Artikel 99 und 100 EPÜ, sowie der Regel 76 EPÜ entspricht.

4. Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass die Einsprechende der Einspruchsabteilung das Dokument A3 vorenthalten hätte, als sie die offenkundige Vorbenutzung ,,fk6" vorbrachte.

4.1 In der Auftragsbestätigung zur Vorbenutzung wird Bezug genommen auf A3, so dass dies ein maßgebliches Dokument sei. Entsprechend hätte die Einsprechende durch Unterlassen der Offenlegung von A3 nicht alle maßgeblichen Umstände für die Vorbenutzung ausgeführt, so dass der Einspruch daher nicht vollständig substantiiert sei.

4.2 Als Konsequenz daraus bestreitet die Beschwerdeführerin die Zulässigkeit des Einspruchs bzw. die teilweise Zulässigkeit des Einspruchs in Bezug auf die offenkundigen Vorbenutzungen, so dass die Vorbenutzungen nicht zum Verfahren zugelassen werden und nur der druckschriftliche Stand der Technik bei der materiell-rechtlichen Prüfung berücksichtigt wird.

5. Das EPÜ bietet keine Grundlage für eine Teilzulässigkeit des Einspruchs. Allenfalls wäre der Einspruch gemäß Regel 77 EPÜ in seiner Gesamtheit zu verwerfen.

6. Die Kammer ist aber aus folgenden Gründen der Auffassung, dass der Einspruch zulässig ist:

6.1 In den Abschnitten 2.4 und 2.5 der Einspruchsschrift argumentiert die Einsprechende zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit unter Verweis auf den patentschriftlichen Stand der Technik E1 ? E3. Diese Argumentationslinie ist vollständig (Feststellung des nächstkommenden Standes der Technik, unterscheidende Merkmale, deren Aufgabe und die Lösung der Aufgabe aus dem weiteren Stand der Technik).

6.2 Die Einspruchsschrift verweist somit wenigstens zu einem geltend gemachten Einspruchsgrund (Artikel 56 EPÜ) auf Tatsachen und Beweismittel (E1 - E3), die einen die Patentfähigkeit verhindernden Tatbestand (fehlende erfinderische Tätigkeit) ergeben. In besagter Passage argumentiert die Einsprechende zur fehlenden erfinderischen Tätigkeit gemäß Artikel 56 EPÜ unter Verwendung einer ersten Argumentationslinie ausgehend von E1, sowie in einer zweiten Argumentationslinie ausgehend von E2. Das jeweils unterscheidende Merkmal (Kennzeichen des Anspruchs 1) wird identifiziert, die damit verbundene Aufgabe genannt und dargelegt, dass jeweils E3 die Lösung dieser Aufgabe nahelegt.

6.3 Diese in der Einspruchsschrift geltend gemachte Argumentation reicht daher aus, dass wenigstens ein Tatbestand, der dem Streitpatent in erteilter Fassung entgegensteht, ausreichend substantiiert wurde.

6.4 Der Einspruch ist daher zulässig.

offenkundige Vorbenutzungen ,,fk6" und ,,FTM"

7. Die Einsprechende hatte zwei offenkundige Vorbenutzungen ,,fk6" und ,,FTM" geltend gemacht.

7.1 Eine erste Maschine der Serie fk6 mit Maschinennummer 223.001 wurde von der Einsprechenden auf der Messe K in Düsseldorf vom 24.-31.10.2007 ausgestellt und später an die Firma Faigle Industrieplast GmbH in Hard, Österreich verkauft. Die offenkundige Vorbenutzung fk6 umfasst somit zwei Handlungen: zum einen wurde die Maschine auf der Messe ausgestellt (,,Messe K"), zum anderen an ein drittes Unternehmen verkauft (,,Verkauf Faigle").

7.2 Die Einsprechende hatte eine weitere offenkundige Vorbenutzung geltend gemacht, die auf einem Verkauf der Maschine mit Maschinennummer 165.335 an die Firma Hauri Industriebedarf beruht (,,Verkauf Hauri").

8. Die Einspruchsabteilung berücksichtigt in ihrer angegriffenen Entscheidung nur den Verkauf Faible und den Verkauf Hauri. Die Messe K wird in der Entscheidung der Einspruchsabteilung nicht erwähnt.

9. Bei beiden Verkäufen ist die Einsprechende Verkäuferin der Maschine. Entsprechend sollte die Einsprechende in Besitz aller relevanten Unterlagen sein, die den Verkauf hinreichend detailliert und lückenlos beweisen können. Damit ist als Maßstab für den Beweis der Vorbenutzungen ein höheres Beweismaß anzusetzen, als die bloße Abwägung von Wahrscheinlichkeiten. Die Vorbenutzungen müssen daher von der Einsprechenden lückenlos und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden (siehe hierzu auch ,,Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", 9. Auflage, Kapitel III.G.4.3.2).

10. Im vorliegenden Fall ist strittig, ob die Käuferin als Öffentlichkeit im Sinne des Artikels 54(2) EPÜ zu verstehen ist, so dass mit dem Verkauf der Maschinen die Öffentlichkeit vom Aufbau und der Funktionsweise der Maschinen Kenntnis erlangte.

10.1 Die Beschwerdeführerin macht hierzu geltend, dass beim Verkauf Faigle in der Auftragsbestätigung OA1 im Kapitel ,,Kaufmännischer Abschnitt" auf Seite 9 unter den Überschriften ,,Lieferbedingungen" und ,,Gewährleistung" jeweils auf die ,,Allgemeinen Lieferbedingungen des Fachverbandes der österreichischen Maschinen- und Stahlbauindustrie (FMS)" Bezug genommen wird. Diese Lieferbedingungen sind dem Dokument A3 zu entnehmen und würden verlangen, dass die Parteien sich zur absoluten Geheimhaltung des ihnen aus den Geschäftsbeziehungen zugegangenen Wissens gegenüber Dritten verpflichten.

10.2 Dieser Sicht kann sich die Kammer aber nicht anschließen, da der von der Beschwerdeführerin zitierte Passus sich im Abschnitt ,,Datenschutz" befindet. Hier wird unter Punkt 15.1 vereinbart, dass der Verkäufer personenbezogene Daten des Käufers speichern, übermitteln, überarbeiten und löschen darf. Im daran anschließenden Punkt 15.2 wird hierbei vereinbart, dass die Parteien (also Käufer und Verkäufer) sich zur absoluten Geheimhaltung des ihnen aus den Geschäftsbeziehungen zugegangenen Wissens gegenüber Dritten verpflichten. Für die Kammer handelt es sich hier nicht um eine allumfänglich wirkende Geheimhaltungsvereinbarung, sondern um eine auf die Verarbeitung der personenbezogenen Daten der Parteien gerichtete Klausel.

10.3 Zudem verweist die Beschwerdeführerin aber auch darauf, dass die Baupläne OA3 ? OA7 seitlich mit einem Vermerk versehen sind, wonach sie der Geheimhaltung unterliegen. Hieraus schlussfolgert die Beschwerdeführerin die Existenz einer zumindest impliziten Geheimhaltungsvereinbarung zwischen der Firma Faigle und der Einsprechenden. Analog verweist sie beim Verkauf an die Firma Hauri auf die identische Formulierung auf dem Bauplan OB6.

11. In der angefochtenen Entscheidung ist die Einspruchsabteilung der Argumentation der Einsprechenden gefolgt, wonach aus den Versicherungen an Eides statt OA9 - OA12 der am Verkauf beteiligten Personen hervorginge, dass keine explizite oder implizite Geheimhaltungsvereinbarung zwischen Verkäuferin und Käuferin beim Verkauf Faigle bestand. Mit der Übergabe der Maschine an die Firma Faigle am 12.12.2007 war die Maschine daher öffentlich zugänglich. Analog würden die Versicherungen an Eides statt OB9 ? OB12 zeigen, dass auch beim Verkauf Hauri keine Geheimhaltungsvereinbarung bestand.

12. Zusätzlich zu den Versicherungen an Eides statt hatte die Einsprechende die Vernehmung der Personen angeboten, die diese Versicherungen abgegeben hatten. Des Weiteren hatte sie auch eine Inaugenscheinnahme der bei der Firma Faigle stehenden Maschine angeboten.

12.1 Wie in der Entscheidung T 474/04 bereits von der Beschwerdekammer festgestellt wurde, hat eine Versicherung an Eides statt eine geringere Beweiskraft als eine Zeugenaussage (siehe Punkt 6 der Entscheidungsgründe). Daher soll eine Entscheidung nicht auf der Versicherung an Eides statt allein beruhen, sondern ist die Person, die die Erklärung abgegeben hat, als Zeuge zu vernehmen, sofern dies der Beteiligte anbietet (vgl. ,,Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt" in Kapitel E-IV.1.2).

12.2 Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, da der Inhalt der Versicherungen an Eides statt von der Inhaberin in Frage gestellt wurde und eine Zeugeneinvernahme der angebotenen Zeugen eingefordert wurde.

12.3 Daher hätte die Einspruchsabteilung die Zeugen laden und vernehmen müssen - nicht zuletzt um der Inhaberin die Möglichkeit zu gewähren, den Inhalt der Erklärungen an Eides statt überprüfen und eventuell widerlegen zu können.

12.4 Durch die Verwehrung der Zeugenbefragung wurde die Inhaberin darin behindert, das letztlich entscheidende Beweismittel zu entkräften. Dies ist umso gravierender, da die Vorbenutzungen durch die Einsprechende erfolgte und somit die Beweismittel dafür somit weitgehend der Verfügungsmacht und dem Wissen der Einsprechenden unterlagen.

12.5 Die Einspruchsabteilung hat durch die nicht erfolgte Befragung der angebotenen Zeugen daher den Anspruch der Inhaberin auf rechtliches Gehör (Artikel 113(1) EPÜ) verletzt.

13. Dies stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, der eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz rechtfertigen würde. Im vorliegenden Fall liegen jedoch besondere Gründe vor, die gegen eine Zurückverweisung sprechen (Artikel 10 VOBK):

Da die Einsprechende ihren Einspruch zurückgenommen hat, kommt eine Befragung der von ihr angebotenen Zeugen durch die 1. Instanz nicht mehr in Frage. Eine Beweisaufnahme im vorliegenden Fall wäre nur unter Mitwirkung der Einsprechenden zweckmäßig.

14. Bei der Frage, ob die beiden Verkäufe der Maschinen an dritte Unternehmen tatsächlich zu einer öffentlichen Zugänglichkeit der Maschinen führten, ist unabhängig von vorstehenden Ausführungen auch in Betracht zu ziehen, dass eine stillschweigende Geheimhaltungsvereinbarung zwischen den Vertragsparteien aufgrund der besonderen Umstände des Verkaufs hätte bestanden haben können.

14.1 Die vorliegenden Maschinen werden üblicherweise individuell für den Kunden angefertigt und können sich daher nicht nur in ihrem Aussehen, sondern auch hinsichtlich ihres technischen Aufbaus stark unterscheiden. Dies lässt sich insbesondere an der Auftragsspezifikation OA1 und der Teileliste OB5 erkennen, die beide eine Vielzahl an Details der gewünschten Konfiguration aufzeigen. Derartige individuell für einzelne Kunden angefertigte Maschinen können im Einzelfall der impliziten Geheimhaltung unterliegen, da ein spezielles Vertrauensverhältnis zwischen Käufer und Verkäufer bei der individuellen Planung und maßgeschneiderten Fertigung der Maschine besteht.

14.2 Hierfür spräche auch der auf den Bauplänen OA3 - OA7 seitlich angebrachte Vermerk, wonach die Pläne der Geheimhaltung unterliegen sollen.

14.3 Es ist somit nicht eindeutig und zweifelsfrei durch die Einsprechende nachgewiesen worden, dass die Lieferung der Maschinen an die Firmen Faigle und Hauri nicht unter einer Geheimhaltungsvereinbarung erfolgte. Die beiden Käufer der Maschinen können daher nicht ohne Zweifel als Öffentlichkeit angesehen werden, so dass die Vorbenutzungen nicht zwingend öffentlich erfolgten.

14.4 So lange hier jedoch noch ein Zweifel besteht, ist angesichts des anzusetzenden Beweismaßstabes davon auszugehen, dass die Firmen Faigle und Hauri mit ihren Mitarbeitern nicht als Öffentlichkeit gelten können, so dass der Verkauf Faigle und der Verkauf Hauri keinen Stand der Technik nach Artikel 54(2) EPÜ darstellen.

Neuheit ? Hauptantrag (wie erteilt)

15. Die Einsprechende hatte jedoch außer den Verkäufen und der Lieferung der Maschinen an die Firmen Faigle und Hauri noch geltend gemacht, dass die später an die Firma Faigle gelieferte Maschine vorher auf der Messe K ausgestellt wurde.

15.1 Ungeachtet dessen, ob die auf der Messe K ausgestellte Maschine tatsächlich der später an Faigle gelieferten Maschine gemäß den Unterlagen OA1 ? OA8 entsprach, stellt sich die Frage, ob dem Besucher der Messe alle in Anspruch 1 genannten Merkmale offenkundig waren.

15.2 Die auf der Messe ausgestellte Maschine konnte nicht von den Besuchern der Messe zerlegt und im Detail untersucht werden, so dass die Öffentlichkeit von der Beschaltung und Funktionsweise des Hydraulikzylinders auf der Messe K nicht Kenntnis erlangen konnte.

15.3 Daran ändert sich auch nichts, dass Herr Bischofberger auf der Messe den Interessenten ,,die Vorzüge und Funktionen der Sägemaschine" erklärte. Maßgeblich wäre allenfalls gewesen, wenn Herr Bischofberger den Hydraulikzylinder erklärt hätte, was aber weder von der Einsprechenden geltend gemacht wird, noch seiner eidesstattlichen Versicherung zu entnehmen ist.

15.4 Die Kammer hat daher starke Zweifel, dass ein Messebesucher eine Möglichkeit hatte, die Druckverhältnisse in den beiden Druckkammern des Pneumatikzylinders zu erkennen. Er konnte sicher sehen, dass eine Hydraulikleitung zu den Enden des Pneumatikzylinders führt, ob aber beide Druckkammern gleichzeitig druckbeaufschlagt waren, wäre dabei aber nicht zu erkennen gewesen.

15.5 Entsprechend war es dem Besucher der Messe nicht eindeutig und zweifelsfrei möglich, zu erkennen, ob die beiden Druckkammern wenigstens zeitweise gleichzeitig mit einer Druckquelle verbindbar waren, so dass die Klemmkraft der Klemmeinrichtung durch die Änderung der Differenz des Druckes in den Druckkammern des doppelt wirkenden Pneumatikzylinders gesteuert variabel ist, wie es aber Anspruch 1 des Streitpatents in allen Anträgen verlangt.

15.6 Somit ist auch die öffentliche Ausstellung der Maschine auf der Messe K nicht neuheitsschädlich für den Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag. Es kann daher offen bleiben, ob die Ausstellung der Maschine tatsächlich wie behauptet erfolgte und ob die Maschine die weiteren in Anspruch 1 genannten Merkmale aufwies.

16. Weitere Angriffe zur Neuheit wurden von der Einsprechenden nicht vorgebracht.

17. Der Gegenstand des Hauptantrags ist daher neu im Sinne von Artikel 54 EPÜ.

erfinderische Tätigkeit ? Hauptantrag (wie erteilt)

18. In Hinblick auf die Frage der erfinderischen Tätigkeit machte die Einsprechende im Einspruchsverfahren lediglich geltend, dass Anspruch 1 nicht erfinderisch sei gegenüber einer Kombination von E1 bzw. E2 mit jeweils E3.

18.1 E1 zeigt in Figur 2 einen Pneumatikzylinder 8, mit dem das Werkstück gegen eine Unterlage A gedrückt und dann mit der Säge S geschnitten wird. Der Pneumatikzylinder wird auf Seite 3, Zeile 16 als ,,double acting cylinder" beschrieben und weist entsprechend zwei Druckkammern für die beiden Bewegungsrichtungen auf.

18.2 E2 zeigt eine weitere Klemmeinrichtung mit einem festen Abschnitt 13a und einem mobilen Abschnitt 12a, zwischen denen das Werkstück (Stapel an Platten 11) gehalten werden kann. Dazu wird mit einem Pneumatikzylinder 15 der mobile Abschnitt 12a auf den festen Abschnitt 13a zubewegt. Der Pneumatikzylinder 15 weist gemäß Spalte 3, Zeile 4 ? 6 einen ,,double acting cylinder 16 and a stem 17" auf, hat also erneut zwei Druckkammern für die beiden Bewegungsrichtungen auf unterschiedlichen Seiten des Kolben.

18.3 Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag unterscheidet sich von den aus E1 bzw. E2 bekannten Klemmeinrichtungen dahingehend, dass die Druckkammern des Zylinders zumindest zeitweise gleichzeitig mit der Druckquelle verbunden sind, wobei die Klemmkraft der Klemmeinrichtung durch die Änderung der Differenz des Druckes in den Druckkammern variabel ist und gesteuert werden kann.

18.4 Die Einsprechende argumentierte hierzu, dass E3 es nahelegen würde, beide Kammern gleichzeitig unter Druck zu setzen, um so die mit dem Zylinder aufgebrachte Kraft besser dosieren zu können.

18.5 In E3 wird jedoch nicht die mit dem Stellglied ausgeübte Kraft gesteuert, sondern die Geschwindigkeit des Zylinders, mit der er sich im Kolben bewegt. Zudem bewegt sich der Zylinder in E3 nur zwischen den Endpositionen (siehe beispielsweise rechte Spalte der Zusammenfassung oder Absatz [0008]).

18.6 Der Fachmann hat daher keine Veranlassung, den aus E3 bekannten Zylinder auch in E1 oder E2 zu verwenden, da hier die Geschwindigkeit der Bewegung beim Schließen der Klemmverbindung keine Rolle spielt. Zudem hängt die Position der Klemmabschnitte maßgeblich von der Dicke des Werkstücks ab, so dass das bewegliche Klemmstück nicht nur zwischen diskreten Positionen bewegt wird, sondern auch Zwischenpositionen einnehmen können muss. Der Fachmann würde daher das Steuerprinzip der E3 keinesfalls auf E1 oder E2 anwenden, da er hierfür keinen Grund hat.

18.7 Zudem wird in E3 auch Luft als Medium verwendet, während in E1 und E2 mit hoher Wahrscheinlichkeit Hydrauliköl verwendet wird, auch wenn das nicht explizit genannt wird. Entsprechend kann aber die Beschaltung des Zylinders der E3, die unter anderem Entlüftungsventile zur Atmosphäre aufweist, nicht auf E1 bzw. E2 übertragen werden. Es ist daher bereits fraglich, ob der Fachmann E3 überhaupt beachten würde, wenn er die aus E1 bzw. E2 bekannten Systeme weiterentwickeln will.

19. Daher erfüllt der Gegenstand des Anspruchs 1 auch die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ.

20. Weitere Argumentationslinien werden von der Einsprechenden nicht vorgebracht.

21. Somit steht dem Streitpatent in erteilter Fassung kein geltend gemachter Einspruchsgrund entgegen, so dass das Patent in erteilter Fassung aufrechterhalten werden kann.

Antrag auf Berichtigung des Protokolls der Verhandlung im Einspruchsverfahren

22. In der Beschwerdebegründung beantragt die Beschwerdeführerin, das Protokoll der Verhandlung im Einspruchsverfahren zu berichtigen.

22.1 Die Einspruchsabteilung schreibt im Protokoll, dass die Parteien beide zustimmen, dass die offenkundige Vorbenutzung ,,FTM" neuheitsschädlich für Anspruch 1 ist. Dem widerspricht die Beschwerdeführerin und verlangt eine Berichtigung des Protokolls in diesem Punkt.

22.2 Eine Berichtigung des Protokolls durch die dafür zuständige Instanz, d.h. durch die Einspruchsabteilung, ist jedoch hinfällig, da die Entscheidung der Einspruchsabteilung von der Kammer revidiert wurde und rechtskräftig festgestellt wurde, dass die Offenkundigkeit der geltend gemachten Vorbenutzungen durch den Verkauf der Maschinen an die Firmen Faigle und Hauri nicht ausreichend bewiesen wurde. Es kann somit offen bleiben, ob die Patentinhaberin anerkannt hat, dass der Verkauf Hauri neuheitsschädlich für den Gegenstand des Anspruchs 1 des erteilten Patents war.

Rückzahlung der Beschwerdegebühr

23. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 103(1)a) EPÜ entspricht der Billigkeit aufgrund der vorstehend dargelegten Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Artikel 113(1) EPÜ, die ursächlich für die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung ist.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird wie erteilt aufrechterhalten.

3. Die Beschwerdegebühr wird zurückgezahlt.

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