T 2524/17 () of 15.10.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T252417.20201015
Datum der Entscheidung: 15 October 2020
Aktenzeichen: T 2524/17
Anmeldenummer: 10779470.3
IPC-Klasse: B62D1/184
B62D1/19
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: LENKSÄULE FÜR EIN KRAFTFAHRZEUG
Name des Anmelders: thyssenkrupp Presta Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: Robert Bosch Automotive Steering GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2) (2007)
Schlagwörter: Änderungen - Hilfsantrag 1
Änderungen - unzulässige Erweiterung (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/89
G 0011/91
G 0002/10
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Europäische Patent 2504219 in geändertem Umfang gemäß dem in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag 3 aufrechtzuerhalten, haben sowohl die Patentinhaberin als auch die Einsprechende Beschwerde eingelegt.

II. Die Einspruchsabteilung hat unter anderem entschieden, dass die mit dem Hilfsantrag 1 eingereichten Änderungen, insbesondere in Anspruch 1, Sachverhalte einbrächten, die eine unzulässige Erweiterung darstellten (Artikel 123(2) EPÜ).

III. Am 15. Oktober 2020 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.

Die Einsprechende nahm in der mündlichen Verhandlung ihre Beschwerde zurück.

Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Grundlage der Ansprüche des als Hilfsantrag 1 während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer eingereichten Anspruchssatzes (im Folgenden Hauptantrag genannt), hilfsweise auf Grundlage der Ansprüche wie von der Einspruchsabteilung aufrechterhalten sowie einer angepassten Beschreibung wie in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer eingereicht (im Folgenden Hilfsantrag genannt).

Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

IV. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag entspricht dem Anspruch 1 des der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsantrags 1 und lautet wie folgt (Merkmalsgliederung wie in der angefochtenen Entscheidung und Änderungen gegenüber dem erteilten Anspruch 1 hervorgehoben):

Lenksäule für ein Kraftfahrzeug

a) mit einer Manteleinheit (1), in der eine

Lenkspindel (2) um deren Lenkspindellängsachse (3) drehbar gelagert ist, und

b) einer, an dem Kraftfahrzeug fixierten oder

fixierbaren Konsoleneinheit (4), wobei die Manteleinheit (1) in oder an der Konsoleneinheit (4) in zumindest einer Richtung (5, 6) parallel und/oder quer zur Lenkspindellängsachse (3) verstellbar gehalten und von einem Feststellmechanismus in voneinander verschiedenen Positionen feststellbar ist und

c) der Feststellmechanismus zumindest ein bewegbar,

vorzugsweise verdrehbar, gelagertes Feststellelement (7) aufweist,

c1') wobei ein durchgehender Spannbolzen (21)

vorgesehen ist, der oberhalb oder unterhalb der Manteleinheit (1) durch Ausnehmungen in zwei Seitenwangen (30) der Konsoleneinheit (4) hindurchgeführt ist und an dessen einem Ende das Feststellelement (7) angeordnet ist,

d) wobei die Manteleinheit (1) in zumindest einer

Verriegelungsstellung des Feststellelementes (7) in ihrer Position in oder an der Konsoleneinheit (4) festgestellt ist und in zumindest einer Freigabestellung des Feststellelementes (7) die Manteleinheit (1) relativ zur Konsoleneinheit (4) in zumindest einer der Richtungen parallel und/oder quer zur Lenkspindellängsachse (3) verstellbar ist,

e) wobei die Lenksäule zusätzlich zum Spannbolzen (21)

zumindest einen bewegbar gelagerten und mit dem Feststellelement (7) direkt oder indirekt zusammenwirkenden Anschlagkörper (8) aufweist,

f) welcher in der Freigabestellung des

Feststellelementes (7) in einer ersten Stellung angeordnet ist, in der er die Verstellbarkeit der Manteleinheit (1) relativ zur Konsoleneinheit (4) in zumindest einer der Richtungen (5, 6) parallel und/oder quer zur Lenkspindellängsachse (3) begrenzt, und in der Verriegelungsstellung des Feststellelementes (7) in zumindest einer zweiten Stellung angeordnet ist, in der er außer Eingriff mit der Manteleinheit (1) steht,

f1) wobei der Anschlagkörper (8) zum Zusammenwirken

mit dem Feststellelement (7) in zumindest einer seiner Bewegungsrichtungen über zumindest eine Steuerfläche (17, 18) geführt ist,

f2') dadurch gekennzeichnet, dass die Steuerfläche (17,

18) gemeinsam mit dem Feststellelement (7) um eine Feststellelementschwenkachse (14) schwenkbar ist und zum Festellen mittels Reibschluss bzw. zum klemmenden Feststellen der Manteleinheit (1) zwischen den Seitenwangen (30) der Konsoleneinheit (4) auf dem Spannbolzen (21) eine Nockeneinheit (24) sitzt, welche im fertig montierten Zustand beim Verschwenken des Feststellelementes (7) auf einer Nockenfolgerkontur (22) verdreht wird, wobei vorzugsweise vorgesehen ist, dass eine Achse des Spannbolzens (21) mit der Feststellelementschwenkachse (14) zusammenfällt.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag - Unzulässige Erweiterung

1.1 Betreffend die ursprüngliche Offenbarung wird auf die Veröffentlichung der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung gemäß WO 2011/063891 Bezug genommen.

1.2 Gemäß Artikel 123(2) EPÜ darf das europäische Patent nicht in der Weise geändert werden, dass sein Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Nach etablierter Rechtsprechung der Beschwerdekammer besteht das Grundprinzip des Artikels 123(2) EPÜ darin, dass jede Änderung an den die Offenbarung betreffenden Teilen eines europäischen Patents (der Beschreibung, der Patentansprüche und der Zeichnungen) nur im Rahmen dessen erfolgen darf, was der Fachmann der Gesamtheit dieser Unterlagen in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens - objektiv und bezogen auf den Anmeldetag - unmittelbar und eindeutig entnehmen kann (G 2/10, Punkt 4.3, mit Verweis auf G 3/89 and G 11/91). Zu prüfen ist also, ob der Fachmann unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens den beanspruchten Gegenstand als - explizit oder implizit - unmittelbar und eindeutig in der ursprünglichen Fassung der Anmeldung offenbart ansehen würde.

1.3 Im vorliegenden Fall unterscheidet sich der Anspruch 1 von dem erteilten Anspruch 1, der dem ursprünglich eingereichten Anspruch 1 entspricht, durch die folgenden durch Unterstreichen kenntlich gemachten zusätzlichen Merkmale:

c1') wobei ein durchgehender Spannbolzen (21)

vorgesehen ist, der oberhalb oder unterhalb der Manteleinheit (1) durch Ausnehmungen in zwei Seitenwangen (30) der Konsoleneinheit (4) hindurchgeführt ist und an dessen einem Ende das Feststellelement (7) angeordnet ist,

e) wobei die Lenksäule zusätzlich zum Spannbolzen (21)

zumindest einen bewegbar gelagerten und mit dem Feststellelement (7) direkt oder indirekt zusammenwirkenden Anschlagkörper (8) aufweist,

f1) wobei der Anschlagkörper (8) zum Zusammenwirken

mit dem Feststellelement (7) in zumindest einer seiner Bewegungsrichtungen über zumindest eine Steuerfläche (17, 18) geführt ist,

f2') dadurch gekennzeichnet, dass die Steuerfläche (17,

18) gemeinsam mit dem Feststellelement (7) um eine Feststellelementschwenkachse (14) schwenkbar ist und zum Festellen mittels Reibschluss bzw. zum klemmenden Feststellen der Manteleinheit (1) zwischen den Seitenwangen (30) der Konsoleneinheit (4) auf dem Spannbolzen (21) eine Nockeneinheit (24) sitzt, welche im fertig montierten Zustand beim Verschwenken des Feststellelementes (7) auf einer Nockenfolgerkontur (22) verdreht wird, wobei vorzugsweise vorgesehen ist, dass eine Achse des Spannbolzens (21) mit der Feststellelementschwenkachse (14) zusammenfällt.

1.4 Die Beschwerdeführerin trägt vor, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht über den Inhalt der Anmeldung wie ursprünglich eingereicht hinausgehe, und die Anspruchsänderung insbesondere nicht zu einer unzulässigen Zwischenverallgemeinerung führe. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei an den ersten und zweiten offenbarten Ausführungsvarianten der Erfindung ausgerichtet, jedoch gebe es mehrere Stellen in der Offenbarung des allgemeinen Teils der Beschreibung der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung (vgl. Seiten 3 bis 6), sowie in der Offenbarung des sich auf die Figuren stützenden Beschreibungsteils, die als Basis für den Gegenstand des Anspruchs 1 dienten.

Insbesondere sei aus dem allgemeinen Teil der Beschreibung (vgl. Seite 4, Zeile 32 bis Seite 5, Zeile 5) sowie aus der Beschreibung des ersten Ausführungsbeispiels (vgl. Seite 11, Zeilen 21-24) unmittelbar und eindeutig zu entnehmen, dass es eine erfindungsgemäße Alternative sei, dass die Achse des Feststellelements mit der Achse des Spannbolzens des Feststellmechanismus zusammenfalle. Somit sei dieses Merkmal lediglich fakultativ genauso wie im Anspruch 1 formuliert (Merkmal f2'). Zudem bedürfe der Anschlagkörper keiner spezifischen Form (vgl. Seite 3, Zeilen 4-11; Seite 5, Zeilen 7-15) und keiner spezifischen Bewegungsweise zwischen der ersten und der zweiten Stellung (vgl. Seite 6, Zeilen 1-8). Letztlich sei gemäß ursprünglich eingereichtem Anspruch 9 sowie gemäß Beschreibung (vgl. Seite 6, Zeilen 15-22) allgemein offenbart, dass der Anschlagkörper zum Zusammenwirken mit dem Feststellelement in zumindest einer seiner Bewegungsrichtungen über zumindest eine Steuerfläche geführt sei.

1.5 Die Kammer teilt diese Ansicht nicht. Durch die hinzugefügten Merkmale wird der Gegenstand des Anspruchs 1 begrenzt auf eine Lenksäule mit:

- einem durchgehenden Spannbolzen, der oberhalb oder unterhalb der Manteleinheit durch Ausnehmungen in zwei Seitenwangen der Konsoleneinheit hindurchgeführt ist, auf dem ferner zum Festellen der Manteleinheit zwischen den Seitenwangen eine Nockeneinheit sitzt, und an dessen einem Ende das Feststellelement angeordnet ist, und

- einer Steuerfläche, die gemeinsam mit dem Feststellelement um eine Feststellelementschwenkachse schwenkbar ist und die den Anschlagkörper zum Zusammenwirken mit dem Feststellelement in zumindest einer seiner Bewegungsrichtungen führt.

Ein durch diese Merkmalskombination definierter Gegenstand wird in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nur in den ersten und zweiten spezifischen Ausführungsbeispielen offenbart und nicht in dem allgemeinen Teil der Beschreibung oder in den ursprünglich eingereichten Ansprüchen dargelegt.

Die Ansicht der Einsprechenden wird daher geteilt. Der infolge der hinzugefügten Merkmale (c1', f1 und f2') resultierende Gegenstand stellt eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung der Offenbarung dieser beiden Ausführungsbeispiele dar, da die darin offenbarten spezifischen Feststell- und Bewegungsmechanismen in strukturellem und funktionellem Zusammenhang zueinanderstehen, aber nicht in den Wortlaut des Anspruchs aufgenommen wurden. Der Beschreibung dieser beiden Ausführungsbeispiele entnimmt der Fachmann nicht, dass die verschiedenen im allgemeinen Teil der Beschreibung offenbarten Alternativen in ihrer Allgemeinheit auch diese Ausführungsbeispiele betreffen. Vielmehr stellen die Ausführungsbeispiele ganz spezifische Konkretisierungen dieser allgemeinen Alternativen dar, sodass die Beschwerdeführerin, indem sie nicht allein die Merkmale der Alternativen aus dem allgemeinen Teil, sondern auch einzelne, aber nicht alle funktional und strukturell zusammenwirkenden konkreten Merkmale aus den Ausführungsbeispielen in den Anspruch 1 aufgenommen hat, letztere unzulässigverallgemeinert hat, wie nachfolgend im einzelnen dargelegt wird. Auch die ursprünglich eingereichten Ansprüche können nicht als Basis dienen, da sie der Offenbarung des allgemeinen Teils der Beschreibung entsprechen und nicht die spezifische beanspruchte Merkmalskombination enthalten.

Nach der ersten bevorzugten Ausgestaltungsform der Erfindung ist unter anderen der Anschlagkörper über zwei Steuerflächen in zwei einander entgegengesetzten Bewegungsrichtungen geführt, und zwar zur Ermöglichung einer Verschiebebewegung, die parallel zur Feststellelementschwenkachse hin und her verläuft. Die erste Steuerfläche ist ausgebildet, den Anschlagkörper außer Eingriff mit der Manteleinheit zu ziehen. Die zweite Steuerfläche ist geeignet, ihn in Eingriff damit zu bringen.

Im Unterschied zum ersten Ausführungsbeispiel existiert die zweite Steuerfläche beim zweiten Ausführungsbeispiel nicht. Für die Verschiebung des Anschlagkörpers außer Eingriff mit der Manteleinheit heraus in Richtung hin zum Feststellelement ist in dem zweiten Ausführungsbeispiel ein federndes Element vorgesehen.

Zudem ist der gemäß den beiden Ausführungsbeispielen vorgesehene Anschlagkörper 8 zumindest bereichsweise als ein veschiebbarer Stift mit einem Eingreifhaken ausgebildet und die Achse des Spannbolzens fällt mit der Feststellelementschwenkachse zusammen.

Diese Merkmale stehen in einem funktionellen und strukturellen technischen Zusammenhang, sodass aus ihrem Weggelassen ein Gegenstand resultiert, der eine Zwischenverallgemeinerung der Offenbarung dieser Ausführungsbeispiele darstellt.

In einer Argumentationslinie trägt die Beschwerdeführerin vor, dass die Achse des Spannbolzens mit der Feststellelementschwenkachse nicht unbedingt zusammenfallen müsste, da in der Beschreibung des ersten Ausführungsbeispiel offenbart werde, dass das Feststellelement ein von Hand betätigbarer Hebel oder ein elektrisch angetriebenes Rotationselement sei. Bei genauer Betrachtung überzeugt dies nicht: Laut dieser Passage wird das Feststellelement nicht anders konstruiert, sondern lediglich unterschiedlich angetrieben und zwar manuell oder elektrisch.

1.6 Infolgedessen stellt der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung des ersten und des zweiten Ausführungsbeispiels der Anmeldung wie ursprünglich eingereicht dar und verstößt somit gegen die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ.

2. Hilfsantrag

2.1 Der Hilfsantrag unterscheidet sich von der seitens der Einspruchsabteilung in ihrer Zwischenentscheidung aufrechterhaltenen Fassung des Patents lediglich durch eine angepasste Beschreibung.

2.2 Die Beschwerdegegnerin erhob keine Einwände gegen diese angepasste Beschreibung und die Kammer hat diesbezüglich ebenfalls keine Bedenken.

2.3 Das Patent wird daher mit dieser angepassten Beschreibung aufrechterhalten.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent auf der Grundlage folgender Unterlagen aufrecht zu erhalten:

- Ansprüche 1 bis 11 wie aufrechterhalten von der Einspruchsabteilung;

- Beschreibung Seiten 1 bis 15 wie in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer eingereicht;

- Figuren 1 bis 16 wie erteilt.

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