T 2339/17 () of 15.3.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T233917.20220315
Datum der Entscheidung: 15 März 2022
Aktenzeichen: T 2339/17
Anmeldenummer: 10010472.8
IPC-Klasse: F16P 3/14
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Sicherheitssensor
Name des Anmelders: Leuze electronic GmbH + Co. KG
Name des Einsprechenden: SICK AG
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 123(3)
European Patent Convention Art 54(1)
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(2)
Schlagwörter: Zulassung der Hilfsanträge 3 bis 5 (ja)
Zulassung der Druckschriften D6, D11 und D12 bzw. der darauf beruhenden Angriffe (ja)
Unzulässige Erweiterung (nein)
Neuheit und erfinderische Tätigkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0106/97
T 1076/00
T 1464/14
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Einsprechende und die Patentinhaberin (Beschwerdeführerinnen I und II) haben gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 2 306 063 ("das Patent") in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten, Beschwerde eingelegt.

II. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags nicht neu sei, dass aber der Gegenstand des Hilfsantrags 1 den Erfordernissen des EPÜ genüge.

III. Von den von der Einspruchsabteilung berücksichtigten Druckschriften waren die folgenden für das Beschwerdeverfahren relevant:

D1: DE 201 03 828 U1

D2: "Smartscan Ltd 5000 Series Light Curtains User

Manual" Issue 10.0 (14. November 1996)

D3: DE 10 2007 033 766 A1

D4: EP 1 876 383 A2

D6: EP 1 329 662 A2

Die Druckschrift D11 (EP 1 089 030 B1) wurde von der Einspruchsabteilung nicht in das Verfahren zugelassen. Die Beschwerdeführerin I beantragte ihre Zulassung.

Mit ihrem Schreiben vom 21. Juli 2020 hat die Beschwerdeführerin I die Vornorm DIN CLC/TS 62046 eingereicht; sie wird als Druckschrift D12 bezeichnet.

IV. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 15. März 2022 als Videokonferenz statt.

V. Die Beschwerdeführerin I (Einsprechende) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdeführerin II (Patentinhaberin) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geändertem Umfang auf der Grundlage der Ansprüche eines der am 15. Februar 2022 eingereichten Hilfsanträge 3 bis 5 aufrechtzuerhalten.

Den ursprünglichen Hauptantrag (Zurückweisung des Einspruchs) und die Hilfsanträge 1 und 2 zog die Beschwerdeführerin II während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer zurück.

VI. Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 lautet wie folgt (die von der Kammer verwendeten Bezeichnungen für die Merkmale wurden in eckigen Klammern eingefügt):

"1. [1] Verfahren zur Gefahrenbereichsüberwachung einer Maschine oder Anlage mittels eines Sicherheitssensors, [2] umfassend eine Sensoreinheit [3] mit wenigstens einem Lichtstrahlen emittierenden Sender und [4] einem Lichtstrahlen empfangenden Empfänger [5] zur Überwachung eines Schutzfelds sowie [6] eine Auswerteeinheit, in welcher bei Erfassung eines Objekts im Schutzfeld als Sicherheitsfunktion ein Abschaltbefehl für die Maschine oder Anlage generiert wird, wobei [7a] eine externe oder interne Überbrückungseinheit (8) vorgesehen ist, mittels derer die Sicherheitsfunktion des Sicherheitssensors überbrückt wird, [7b] wenn innerhalb eines Zeitintervalls von zwei unabhängigen Signalquellen jeweils ein Objektvorhandensignal registriert wird, wobei [8] eine der Signalquellen im Sicherheitssensor selbst integriert ist, und dadurch gekennzeichnet, dass [9] der Sicherheitssensor durch die Überbrückungseinheit (8) in einen sicheren Verriegelungszustand, der zu einem Abschalten der Maschine oder Anlage führt, überführt ist, [10] wenn in der Überbrückungseinheit (8) nach Registrieren des ersten Objektvorhandensignals innerhalb des Zeitintervalls das zweite Objektvorhandensignal nicht registriert wird."

VII. Der Vortrag der Parteien zu den entscheidungsrelevanten Fragen lässt sich wie folgt zusammenfassen:

a) Zulassung der Hilfsanträge 3 bis 5

i) Beschwerdeführerin I (Einsprechende)

Die Hilfsanträge 3 bis 5 seien als verspätet anzusehen und nicht zuzulassen. Die Beschwerdeführerin II habe genügend Zeit gehabt, sie früher einzureichen.

ii) Beschwerdeführerin II (Patentinhaberin)

Mit den geänderten Fassungen der Ansprüche in Form von Verfahrensansprüchen würden die Einwände der Kammer bezüglich der Verfahrensmerkmale in Produktansprüchen vollständig ausgeräumt. Da die Verfahrensansprüche gemäß den Hilfsanträgen 3 bis 5 inhaltlich den Ansprüchen gemäß Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 und 2 entsprächen, würden keine neuen Inhalte in das Beschwerdeverfahren eingebracht, die zu einer unbotmäßigen Verfahrensverzögerung führen. Damit seien die wesentlichen Voraussetzungen gemäß Artikel 13 VOBK 2020 für die Zulässigkeit der vorgelegten Hilfsanträge erfüllt. Die genannten Einwände der Kammer seien erstmals in der Mitteilung vom 17. Dezember 2021 erhoben worden. Es sei daher gerechtfertigt, die Hilfsanträge 3 bis 5 in das Verfahren zuzulassen.

b) Konformität mit Artikel 123 EPÜ

i) Beschwerdeführerin I (Einsprechende)

Das Patent offenbare an keiner Stelle ein Verfahren, auch nicht in den Absätzen [0012] und [0016]. Deshalb liege eine unzulässige Erweiterung im Sinne von Artikel 123 (2) EPÜ vor. Darüber hinaus habe die Änderung zu einer Erweiterung des Schutzbereichs im Sinne von Artikel 123 (3) EPÜ geführt, da ein Verfahren viel weiter gefasst sei als eine Vorrichtung.

ii) Beschwerdeführerin II (Patentinhaberin)

Es liege keine unzulässige Erweiterung des

Schutzbereichs im Sinne von Artikel 123 (3) EPÜ vor. Der Schutzbereich sei vielmehr eingeschränkt worden, weil der Sicherheitssensor nicht mehr als solcher beansprucht werde, sondern nur mehr im Zusammenhang mit einer speziellen Wirkungsweise.

Die Kammer habe in ihrer Mitteilung erklärt, dass mehrere Merkmale des Hauptantrags und der Hilfs­anträge 1 und 2 Verfahrensmerkmale seien. Deshalb habe schon ein Verfahren vorgelegen. In Absatz [0009] der A2-Schrift werde der Grundgedanke des Verfahrens beschrieben. Dort würden klar Verfahrensschritte beschrieben. In Absatz [0013] der A2-Schrift sei von einem Sicherheitskonzept die Rede, was ebenfalls den Verfahrensaspekt der Erfindung herausstelle. Es liege somit auch kein Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ vor.

c) Hilfsantrag 3: Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gegenüber der Druckschrift D2

i) Beschwerdeführerin I (Einsprechende)

Es sei nicht zutreffend, dass die Druckschrift D2 die Merkmale 9 und 10 nicht offenbare. Section 2.2 der Druckschrift D2 offenbare, dass alle Ausführungs­beispiele eine Muting-Funktion vorsehen (vgl. auch Section 4.2 mit den Figuren 2 und 3). Die Druckschrift D2 offenbare einen Sicherheitssensor zur Gefahren­bereichsüberwachung einer Maschine oder Anlage (vgl. Section 2.3, Fig. 1). Dieser umfasse eine Sensoreinheit mit wenigstens einem Lichtstrahlen emittierenden Sender und einem Empfänger. Die Sensoreinheit diene der Überwachung eines Schutzfeldes und weise eine Auswerteeinheit (control/monitoring unit) auf, in welcher bei Erfassung eines Objektes im Schutzfeld als Sicherheitsfunktion ein Abschaltbefehl (Section 2.3, erster Absatz und zweiter Absatz, output signal switching devices to an OFF-state) für die Maschine oder Anlage generiert werde. Darüber hinaus offenbare die Druckschrift D2 in den Figuren 26 und 28 (Section 10.18 bzw. 10.20) eine interne Überbrückungs­einheit (Control Monitoring Function), mittels derer die Sicherheits­funktion des Sicherheitssensors über­brückt werde, wenn innerhalb eines Zeitintervalls von zwei unabhängigen Signalquellen (vgl. Section 10.18 und 10.23 bis 10.26, zweitletzter Absatz, mute initiating sensors) ein Objektvorhandensignal registriert werde. In Fig. 1 der Section 2.3 seien die Signalquellen (gekreuzte Strahlen) im Sicherheitssensor selbst integriert. Gemäß Section 10.26, erster Absatz, werde der Sicherheits­sensor durch die Überbrückungs­einheit in einen sicheren Verriegelungszustand über­führt, der zu einem Abschalten der Maschine oder Anlage führe (vgl. Section 10.26: the machinery will STOP immediately). Gemäß Section 10.26, erster Absatz, erster und zweiter Satz, müssten die zwei Muting­sensoren simultan betätigt werden ("sensors are obscured within a pre-set timed period") bevor die Palette das Lichtgitter erreiche, ansonsten werde das Lichtgitter nicht desaktiviert und die Maschine werde abgeschaltet. Die Gleich­zeitigkeitsüberwachung sei z.B. im ersten Absatz von Section 10.26 offenbart. Wenn die Last nicht nachge­wiesen werde, stoppe die Maschine den Licht­vorhang mit sofortiger Wirkung (vorletzter Satz des Absatzes). Somit seien alle Merkmale von Anspruch 1 aus der Druckschrift D2 vorbekannt, weshalb Anspruch 1 nicht mehr neu sei gegenüber der Druckschrift D2. Auf die Frage der Kammer, wie genau der vorletzte Satz des ersten Absatzes von Section 10.26 zu verstehen sei, erklärte die Beschwerdeführerin I, dass zu beachten sei, dass das Wort "STOP" in Großbuchstaben geschrieben sei. Im Bereich der Sicherheitstechnik wolle man grund­sätzlich so schnell wie möglich abschalten. Der Fach­mann würde den Absatz so deuten, dass sofort abzuschal­ten sei, wenn die Signal­folge nicht überein­stimme. Er würde nicht darauf warten, dass das Licht­gitter unter­brochen wird. Der Lichtvorhang könne dann noch unter­brochen werden, aber das stehe nicht im Vordergrund.

ii) Beschwerdeführerin II (Patentinhaberin)

Die Merkmale 9 und 10 seien in der Druckschrift D2 nicht offenbart. In der Druckschrift D2 sei zwar von einer Gleichzeitigkeitsüberwachung die Rede, aber es handle sich nur um im Sicherheitssensor integrierte Sensoren. Die Muting-Sensoren der Section 10.23 würden keine Gleichzeitigkeitsüberwachung durchführen. Somit sei die Kombination der Merkmale 7 und 8 nicht offen­bart. Bezüglich der Merkmale 9 und 10 sei die Vor­gehens­weise dieselbe wie in der Druck­schrift D3. Wie im ersten Absatz von Section 10.26 ausgeführt sei, werde der Sicherheits­sensor nur dann stumm geschalten, wenn die Muting-Sensoren gleich­zeitig ansprechen. Es werde jedoch kein sicherer Verriegelungszustand hergestellt, der zum Abschalten der Maschine führt. Dies erfolge erst dann, wenn nach aufgehobenem Muting der nun wieder aktivierte Lichtvorhang ein Objekt nachweise. Es handle sich also um dieselbe Vorgehensweise wie in der Druck­schrift D3. Auch aus der verkürzten und grammati­kalisch problematischen Formulierung in Section 10.26 gehe klar hervor, dass es dem Lichtvorhang überlassen werde, die Maschine abzuschalten (vgl. auch Section 8.1). Aus Kapitel 8.4 (Section 10.22) gehe hervor, was das Muting mache. Das drittletzte Element der Auflistung mache klar, dass bei einer ungültigen Kombination der Muting-Signale das Muting nicht erlaubt werde. Dann trete der Lichtvorhang in Aktion und bewirke das Abschaltsignal.

d) Hilfsantrag 3: Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gegenüber der Druckschrift D3

i) Beschwerdeführerin I (Einsprechende)

Gemäß Anspruch 1 sei es nicht erforderlich, dass eine Signalquelle außerhalb des Sicherheitssensors angeordnet sei. Somit stelle das Merkmal 8 kein Unterscheidungsmerkmal dar. In den Absätzen [0043] und [0044] der Druckschrift D3 sei offenbart, dass das Muting-Signal aufgehoben werde und zur Stilllegung der Anlage führe, wie in den Merkmalen 9 und 10 verlangt. Wenn in der Anlage der Druckschrift D3 eine erste Lichtschranke durch das Objekt unterbrochen werde, die zweite jedoch nicht, liege ein Fehlerzustand vor und das Muting werde abgeschaltet. Daraufhin müsse zwangsläufig die Maschine abgeschaltet werden.

ii) Beschwerdeführerin II (Patentinhaberin)

Der Gegenstand von Anspruch 1 sei neu gegenüber der Offenbarung der Druckschrift D3. Merkmal 8 sei so zu verstehen, dass nur eine Signalquelle im Sicherheits­sensor integriert sei und die andere außerhalb vorge­sehen sei. Dies sei in der Vorrichtung gemäß der Druck­schrift D3 nicht der Fall, da dort alles mit dem Licht­vorhang selbst gemacht werde. Absatz [0009] der Druck­schrift D3 stelle dies als einen wesentlicher Vorteil der Erfindung dar. Auch das Merkmal 7b sei nicht aus der Druckschrift D3 bekannt. In Absatz [0019] des Patents sei offenbart, dass mit jedem Objektvorhanden­signal (OVS) ein Objekt erkannt werde. Das geschehe im Lichtvorhang der Druckschrift D3 gerade nicht, wie z.B. aus den Figuren 2 bis 5 und den Absätzen [0028] und [0029] hervorgehe. Dort werde geprüft, ob ein nicht sicherheit­skritisches Objekt vorhanden sei. Die Strahl­achsen des Lichtgitters würden zusammenwirken, um ein Objekt (und nicht mehrere verschiedene) zu registrie­ren (vgl. Absatz [0032]). Die Merkmale 9 und 10 seien im Zusammenhang zu betrachten. Ein Kernaspekt der Erfindung bestehe darin, dass das Abschalten der Maschine sofort eingeleitet werde, wenn nicht zwei OVS innerhalb des Zeitintervalls nachgewiesen würden. Im Absatz [0028] der Druck­schrift D3 hingegen sei davon die Rede, dass die Muting-Funktion aufgehoben werde, wenn das nicht sicherheits­kritische Objekt nicht erkannt werde. Das entspreche nicht einem Abschalten der Maschine. Erst wenn der Lichtvorhang ein Objekt erkenne, würde die Maschine abgeschalten (vgl. auch Absatz [0040]). Die Absätze [0043] und [0044] würden dies besonders deutlich zeigen. Gemäß Absatz [0043] werde durch das Aufheben des Muting-Signals das Lichtgitter aktiviert. Erst wenn das Lichtgitter eine Objektmeldung generiere, erfolge die Abschaltung. Genau dies würde bei der Erfindung vermieden: es komme nicht darauf an, was der Lichtvorhang mache. Es sei vielmehr die Überbrückungs­einheit, die die Verriegelung auslöse.

e) Hilfsantrag 3: Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gegenüber der Druckschrift D6

i) Beschwerdeführerin I (Einsprechende)

Der auf der Druckschrift D6 beruhende Neuheitseinwand solle berücksichtigt werden. Die Einspruchs­abteilung habe in ihrer vorläufigen Meinung bereits festgestellt, dass die Druckschrift D6 neuheits­schädlich für den Gegenstand des Hauptantrags sei. Somit sei die Druck­schrift D6 prima facie relevant. Angesichts der Zulas­sung des neuen Hilfsantrags 3 müsse die Einsprechende die Möglichkeit haben, sich zu verteidigen. Der Einwand sei als Reaktion auf die neuen Hilfs­anträge 3 bis 5 zu sehen. Die Druckschrift D6 zeige in der Fig. 1 inte­grierte Sensoren im Quergehäuse. In Fig. 2 seien auch explizit die Sensoren S1 und S2 gezeigt. Im Timing T sei die Zeit Ttoll dargestellt. Damit sei die Gleich­zeitig­keits­überwachung offenbart, die darüber hinaus in den Absätzen [0013] und [0014] beschrieben werde. Wenn die Zeit von 4 Sekunden nicht eingehalten werde, werde das Muting beendet und die Maschine werde unmittelbar abgeschaltet (letzter Satz von Absatz [0014]).

ii) Beschwerdeführerin II (Patentinhaberin)

Die Offenbarung der Druckschrift D6 gehe nicht über jene des bereits im Verfahren befindlichen Standes der Technik hinaus. Die Vorrichtung von Fig. 1 weise einen Sicherheitssensor 16, 12 auf. Davon abgesetzt befänden sich in separaten Gehäusen die Muting-Sensoren 28 und 29. Die Kombination der Merkmale 7 und 8 sei somit nicht offenbart, da es nur eine Signalquelle gebe, die im Sicherheitssensor integriert sei. Wenn man die Gehäuse 28 und 29 zum Sicherheitssensor zähle, wie es die Einspruchsabteilung getan habe, liege auch keine Kombination der Merkmale 7 und 8 vor, da dann beide Signalquellen im Sicherheitssensor vorgesehen seien. Das Funktionsprinzip des Sensors gehe nicht über jenes der Druckschrift D3 hinaus. Das gehe deutlich aus den Absätzen [0013] und [0014] hervor (siehe insbesondere den letzten Satz von Absatz [0014]). Zum Abschalten komme es nur, weil der Lichtvorhang wieder arbeite. Auch die Merkmale 9 und 10 seien somit aus der Druckschrift D6 nicht bekannt.

f) Hilfsantrag 3: Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gegenüber der Druckschrift D11

i) Beschwerdeführerin I (Einsprechende)

Die Druckschrift D11 sei zuzulassen, da die Kammer

einen ganz neuen Hilfsantrag mit einer neuen Anspruchs­kategorie zugelassen habe. Im Übrigen hätte bereits die Einspruchsabteilung die Druckschrift D11 zulassen müssen, da sie explizit den externen Hilfs­sensor offen­bare und genauso relevant sei wie die Druckschriften D3 und D2. Der Gegen­stand von Anspruch 1 sei nicht neu gegenüber der Offenbarung der Druck­schrift D11. Sie offen­bare ein Lichtgitter zur Über­wachung eines Schutz­bereiches und zum Stillsetzen einer Maschine (vgl. Absätze [0002] und [0004], Figuren 3 und 4, Anspruch 16). Gemäß Fig. 3 und Fig. 4 sei eine Sensor­einheit 2 vorgesehen, die wenigstens zwei Sender 5 und zwei Empfänger 6 aufweise. Eine Auswerteeinheit sei vorge­sehen, die ggf. die Maschine stillsetze (vgl. Absatz [0004] und Anspruch 16). Das Objekt werde aufgrund der Lichtlaufzeit der Licht­signale 7 über­prüft, z.B. wenn diese von einer Maximal­laufzeit oder einer eingelernten Lichtlaufzeit abweiche. Aufgrund der Lichtsignale könne zwischen zulässigen und nicht zulässigen Objekten unterschieden werden (vgl. Absatz [0045]). Die Ausführungsform gemäß Fig. 3 und 4 sei sinnvoll, wenn z.B. aufgrund der Kontur des Objekts 13 das Umschalten innerhalb einer maximal zulässigen Ansprechzeit nicht möglich sei (vgl. Absatz [0056]). Das Umschalten werde dann nicht durch das Eindringen des Objekts 13 in den Schutz­bereich 1, sondern durch ein vom Hilfs­sensor 17 abge­gebenes Startsignal ausge­löst. Aufgrund dieses Start­signals werde beim nächsten Abtastvorgang anstelle der Maximal-Lichtlaufzeit die weitere zulässige Lichtlauf­zeit für den Vergleich mit der ermittelten Lichtlauf­zeit verwendet (vgl. Absatz [0057]). Wenn ein Objekt in den Schutzbereich ein­dringe, so dass einer der ausge­sandten Lichtstrahlen unter­brochen wird, ändere sich die ermittelte Licht­laufzeit des entsprechenden Licht­signals, sodass ein Unterbrechungs­signal erzeugt werde, das je nach Anwendung eine gewünschte Folgeaktion, z.B. das Still­setzen der Maschine (vgl. Absatz [0004], Anspruch 16), auslöse. Falls nach Eintritt in den Sensor 17 kein zulässiges Signal vom Sensor/Empfänger 6 erzeugt werde, liege ein unzulässiges Objekt vor und die Maschine werde stillgesetzt. In der Druckschrift D11 würden Konturen überwacht. Wenn man Gegenstände mit unter­schiedlicher Geschwindigkeit durch das Lichtgitter D11 transportiere, hätte man automatisch auch andere Konturen. Wenn man wie in der Fig. 5 der Druckschrift D11 eine Autokarosserie befördere, dann würden unter­schiedliche Geschwindigkeiten zu einer Verzerrung führen. Somit sei auch in der Druckschrift D11 die Zeit entscheidend, mit der die Sensoren ange­sprochen werden.

ii) Beschwerdeführerin II (Patentinhaberin)

Die verspätet eingereichte Druckschrift D11 solle nicht zugelassen werden. In ihr werde eine Distanzmessung von einer lichtgitterähnlichen Anordnung durchgeführt. Objekte würden durch Vergleich mit der zulässigen Maximallaufzeit erkannt (vgl. Absatz [0045]). Mittels der zwei Signalquellen (Hilfssensoren 17 und 18 bzw. Sensoreinheit 2) werde das Muting ausgelöst, indem der Sensor überbrückt werde, wenn der Sensor 6 die zulässigen Lichtlaufzeiten erkenne. Es gebe keine Gleichzeitigkeitsüberwachung mittels der Hilfs­sensoren 17 und 18 einerseits und der Sensoreinheit 2 andererseits. Die Hilfssensoren 17 und 18 würden den Betrieb umschalten (Absatz [0054] und die Figuren 3 und 4) und ein Startsignal liefern (Absatz [0057]), damit die Sensoreinheit versuchen könne, die zulässigen Laufzeiten zu erkennen und das Muting durchzuführen. Eine Zeitüberwachung sei nicht offen­bart. Nach dem Umschalten werde es der Sensor­einheit überlassen, das Muting durchzuführen. Gemäß Anspruch 1 der Druckschrift D11 sei nur die ermittelte Lichtlaufzeit dafür verantwortlich, ob das Muting-Signal erzeugt wird oder nicht. Allein das sei schon ein grundlegender Unterschied zum Verfahren des Patents. Darüber hinaus gebe es keine Gleichzeitigkeitsüberwachung zweier Signalquellen derart, dass OVS innerhalb einer bestimmten Zeit vorliegen müssen, um ein Muting auszulösen. Es werde in der Druckschrift D11 überhaupt kein Zeitintervall überwacht. Die Hilfssensoren würden ein Startsignal generieren, und dann komme es nur noch auf den Sensor selbst an. Das Muting werde nur in Abhängigkeit der Lichtlaufzeiten generiert. Somit seien die Merkmale 9 und 10 weder offenbart noch nahegelegt.

g) Hilfsantrag 3: Erfinderische Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1, ausgehend von der Druckschrift D2

i) Beschwerdeführerin I (Einsprechende)

Im ersten Absatz von Section 10.26 der Druckschrift D2 sei offenbart, dass beide Sensoren gleichzeitig verdunkelt werden müssen, bevor die Ladung in den Überwachungsbereich eintritt. Sei dies nicht der Fall, so finde eine Reaktion statt. Im vorletzten Satz des ersten Absatzes fehle gar kein Wort; zwischen den Worten "immediately" und "the light curtain" sei nur eine Gedankenpause oder ein Komma einzufügen. Der Absatz offenbare zwei Reaktionen: zum einen werde die Maschine unmittelbar gestoppt, dann werde möglicherweise noch das Muting aufgehoben, womit das Transportgut den Lichtvorhang unterbreche. Ausgehend von der Druckschrift D2 seien die Merkmale 9 und 10 für den Fachmann offenbart, weil ihm eindeutig mitgeteilt werde, dass die Maschine gestoppt werden muss, wenn die Sequenz der Sensoren nicht festgestellt werde.

ii) Beschwerdeführerin II (Patentinhaberin)

Die Beschwerdeführerin I habe den ersten Absatz der Section 10.26 sinnwidrig ausgelegt. Es sei dort klar offenbart, dass der Lichtvorhang unterbrochen werde und dass deshalb die Maschine angehalten werde. Dies sei auch in Einklang mit der allgemeinen Funktionen der Komponenten der Vorrichtung der Druckschrift D2, wie sie aus Section 8.1, Kapitel 8.1, erster Absatz, und aus Section 10.22, drittletzter Spiegelstrich, hervorgehen. Diese Ausführungen würden auch durch den ersten Absatz der Section 10.26 bestätigt. Darüber hinaus seien auch die Merkmale 7 und 8 in der Druckschrift D2 nicht offenbart.

h) Hilfsantrag 3: Erfinderische Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 ausgehend von der Druckschrift D12

i) Beschwerdeführerin I (Einsprechende)

Die Vornorm D12 sei Teil des Fachwissens, da der Fachmann bei der Konstruktion und Auslegung des Sicherheitssensors die vorgeschriebenen Normen bzw. Vornormen kennen und berücksichtigen müsse. Die Druckschrift D12 offenbare im Anhang F (ab Seite 80) in den Abbildungen F.1 bis F.4 jeweils einen Sicherheits­sensor zur Gefahrenbereichsüberwachung einer Maschine oder Anlage, einen Empfänger und damit eine Sensoreinheit, einen Lichtstrahlen emittierenden Sender, sowie einen Lichtstrahlen empfangenden Empfänger. Zwischen dem Sender und dem Empfänger werde ein Schutzfeld gebildet (Seiten 80 bis 82). Die Abbildungen F.33 bis F.35 auf den Seiten 100 bis 102 der Druckschrift D12 würden einen Sicherheitssensor mit einer Auswerteeinheit (BWS mit integrierter Über­brückung) zeigen, die OSSD-Ausgänge zur Abschaltung der Schütze KS1 und KS2 aufweisen, welche wiederum den Motor M der Maschine abschalten. Die Abbildungen würden jeweils einen Sicherheitssensor mit integrierter Überbrückung zeigen. Gemäß Kapitel F.2.2 auf Seite 84 und Kapitel F.3.2 auf Seite 92 basiere die Überwachung der Überbrückungs­funktion auf der zeit­lichen Begrenzung zwischen der Auslösung der Sensoren S1 und S2 und zwischen der Betätigung der Sensoren S3 und S4. Es werde eine maximale Zeitbegrenzung von 4 s empfohlen. Der Ver­riegelungs­zustand sei in Kapitel 3.1.19 (Seite 14), definiert als "Zustand, ausgelöst durch einen Fehler, der den normalen Betrieb der Schutzeinrichtung verhindert und der automatisch erreicht wird, wenn alle Ausgangsschaltelemente (OSSDs) ... veranlasst werden, in den AUS-Zustand überzugehen". Gemäß Kapitel 5.5.4, dritter Absatz auf Seite 37, dürfe die Überbrückungs­funktion nur frei­gegeben werden, wenn sich der Ausgang der BWS im AUS-Zustand befinde und/oder mindestens ein Über­brückungs­sensor ausgelöst sei. Aus einem Verriegelungszustand heraus dürfe die Betätigung der Überbrückungsfunktion nicht möglich sein. Die Muting-abhängige Überbrückungs­funktion dürfe nur aktiviert werden, wenn wieder mindestens einer der Muting-Sensoren aktiviert sei. Demnach werde der Sicherheitssensor durch die Über­brückungseinheit in einen sicheren Ver­riege­lungs­zustand überführt. Sobald die BWS desaktiviert (frei) sei, jedoch innerhalb von 4 Sekunden von dem Zeitpunkt, an dem einer der beiden Strahlen der Muting-Sensoren nicht mehr aktiviert sei, müsse die Beendigung der Überbrückungsfunktion erfolgen, je nachdem, was zuerst eintrete (siehe Seite 92, erster Absatz, und Seite 96, zweitletzter Absatz). Andernfalls liege ein Fehler vor. Der Sicherheitssensor werde in einen Verriegelungs­­zustand überführt, wenn in der Überbrückungs­einheit nach Registrieren des ersten OVS kein zweites OVS innerhalb des Zeitintervalls registriert werde. Die vermeintliche Erfindung unterscheide sich nur durch Merkmal 8 von der Lehre der Druckschrift D12. Das mache die Anordnung einfacher montierbar, da die Signalquelle bereits integriert sei. Dadurch werde die Aufgabe gelöst, einen verbesserten Sicherheitssensor bereitzustellen. Die Druckschrift D12 selbst gebe bereits den Hinweis, die Überbrückungssensoren in ausreichender Nähe zum Sicherheitssensor anzuordnen (vgl. Seite 36, Kapitel 5.5.3, vierter Spiegelstrich).

Kombination mit der Druckschrift D1

Die Druckschrift D1 offenbare eine Sicherheits­ein­rich­tung mit einer Lichtschrankenanordnung 16 zur Über­wachung eines Durchgangs zu einem Gefahrenbereich 11, (vgl. Zusammenfassung und Seite 6, letzter Absatz). Gemäß der Figuren 4 und 5 seien Lichtempfänger 27, 28 der zweiten Lichtschranken­anordnung 19 über ein ODER-Glied 29 miteinander ver­knüpft, dessen Ausgang über die Zeitschalteinrich­tung 22 mit einem Desaktivierungs­eingang 30 der Steuer­elektronik verbunden sei. Falls beide Empfänger 27, 28 infolge des Passierens des Gegenstandes 14 kein Licht­signal mehr empfangen, desaktiviere das dann erzeugte Null-Signal eine die Steuerelektronik 26 (vgl. Seite 9, erster Absatz). Gemäß Fig. 4 seien die Lichtempfänger 27 und 28 im Sicherheitssensor (Halte­leiste 31 mit Lichtschranken 16) selbst integriert (vgl. Seite 10, zweiter Absatz "integrierte Ausführung"). Somit seien alle Merkmale von Anspruch 1 durch die Druckschrift D12 in Kombination mit der Druckschrift D1 nahegelegt.

Kombination mit der Druckschrift D2

Die Druckschrift D2 offenbare einen Sicherheitssensor (vgl. Section 2.3, Fig. 1, rechte Abbildung) zur Gefahrenbereichsüberwachung (vgl. Fig. 1, area of protection) einer Maschine (Section 2.3, zweitletzter Absatz). Gemäß Fig. 1 seien die Signalquellen im Sicherheitssensor selbst integriert. Somit seien alle Merkmale von Anspruch 1 durch die Druckschrift D12 in Kombination mit der Druckschrift D2 nahegelegt.

Kombination mit der Druckschrift D4

Die Druckschrift D4 offenbare einen Sicherheitssensor

(vgl. Absatz [0019] und Fig. 1, safety barrier 1) zur Gefahrenbereichsüberwachung (vgl. Absatz [0019] und Fig. 1, hazard zone 2) einer Maschine (vgl. Absatz [0019] und Fig. 1, machine tools). Darüber hinaus sei eine interne Überbrückungseinheit (vgl. Absatz [0040], computing unit) vorgesehen, mittels derer die Sicherheitsfunktion des Sicherheits­sensors überbrückt werde, wenn innerhalb eines Zeit­intervalls von zwei unabhängigen Signalquellen jeweils ein OVS registriert werde (vgl. Absatz [0040] und Fig. 1, light emitters 10 interrupted in sequence). Gemäß Fig. 1 seien die Signalquellen im Sicherheits­sensor integriert. Somit seien alle Merkmale von Anspruch 1 durch die Kombination der Druck­schriften D12 und D4 nahegelegt.

Kombination mit der Druckschrift D6

Die Druckschrift D6 offenbare ebenfalls einen Sicherheitssensor (vgl. Absatz [0001], photoelectric barrier) zur Gefahrenbereichsüberwachung (Absatz [0001], dangerous work areas) einer Maschine (Absatz [0002], dangerous tool machines). Gemäß der Absätze [0011], [0013] und [0014] sei eine externe Überbrückungseinheit (photoelectric barrier 10 with a muting function and a processing unit UE) vorgesehen, mittels derer die Sicherheitsfunktion des Sicherheits­sensors überbrückt werde (muting function), wenn innerhalb eines Zeitintervalls (vgl. Fig. 2, Zeit TP1) von zwei unab­hängigen Signalquellen (vgl. Fig. 1, Lichtstrahlen 22 und 24 und Fig. 2, S1 und S2) jeweils ein OVS regis­triert werde. Der Sicherheitssensor gemäß Fig. 1 weise zwei L-förmige Gehäuse auf (vgl. Absatz [0011], Bezugs­zeichen 12, 16, 28 und 29), wobei eine der Signal­quellen (vgl. Absatz [0011], sensors with X-oriented beams 22, 24) im Sicherheitssensor selbst integriert sei. Somit seien alle Merkmale von Anspruch 1 durch die Kombination der Druckschriften D12 und D6 nahegelegt.

ii) Beschwerdeführerin II (Patentinhaberin)

Die Beschwerdeführerin habe die Druckschrift D12 als Teil des Fachwissens genannt, sie aber als Haupt­entgegenhaltung, die angeblich alle Merkmale bis auf das Merkmal 8 offenbare, dargestellt. Diese Vorgehens­weise sei unzulässig. Deshalb solle die Druckschrift D12 nicht in das Verfahren zugelassen werden. Darüber hinaus gehe die Druckschrift D12 nicht über den bereits im Verfahren befindlichen Stand der Technik hinaus. Sie offenbare die Kombination der Merkmale 7 und 8 nicht, denn in der Druckschrift D12 würde die Gleichzeitig­keits­­über­wachung immer von externen Signalquellen (Muting-Sensoren) vorgenommen. Auch die Merkmale 9 und 10 würden von der Druckschrift D12 nicht offenbart. Auf Seite 14 sei ein Verriegelungszustand definiert, der den Übergang in einen sicheren Zustand erlaube: die berührungslos wirkende Schutzeinrichtung (BWS) schalte in den AUS-Zustand. Zum Muting sei nur ausgeführt, dass man im Verriegelungszustand nicht stumm schalten dürfe (siehe Seite 37, Kapitel 5.5.4). Dies habe nichts mit der Erfindung zu tun. Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 beschäftige sich damit, wie der Sensor arbeite, und nicht mit dem Zustand, in dem alles abgeschalten sei. Bezüglich der Frage, wie damit umzugehen sei, wenn das Muting nicht korrekt vonstatten gehe, gehe die Druckschrift D12 genau so vor wie die Druckschrift D3. Im drittletzten Spiegelstrich auf Seite 35 (Kapitel 5.5.1) werde ausgeführt, dass die Überbrückungs­funktion beendet werde, wenn einer der Überbrückungs­sensoren desaktiviert werde. Von einem Übergang in einen Verriegelungszustand sei nicht die Rede. Dies werde durch die Beispiele der Druckschrift D12 bestätigt. Auf Seite 84, vorletzter Absatz, werde festgestellt, dass bei Umkehrung der Bewegung des Fördersystems "die Überbrückungsfunktion unwirksam gemacht" werde (vgl. auch die Tabelle F.1 auf Seite 85, wo der BWS-Status immer entweder "aktiv" oder "über­brückt" sei). Auf Seite 92, zweiter Absatz werde fest­gestellt, dass die Überbrückungsfunktion beendet werden müsse, sobald einer der Strahlen der Überbrückungs­sensoren nicht länger aktiviert werde. Das sei auch im Bild F.20 klar erkennbar: nach der Beendigung der Überbrückung sei der BWS nach wie vor im Freizustand. Die Vornorm D12 definiere also genau das, was in der Druckschrift D3 umgesetzt werde. Das Lahmlegen der Überwachungsfunktion durch Muting führe die Vorrichtung in einen potentiell gefährlichen Zustand über. Die Beendigung des Mutings stelle also eine Rückkehr in einen sichereren Zustand dar, und genau das sei das Anliegen der Druckschrift D12 (siehe auch Bild F.20 der Seite 92). Die BWS werde nicht abgeschalten, sondern sie arbeite weiter. Das Verfahren nach Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 wende sich von diesem Konzept ab.

Entscheidungsgründe

1. Zulassung der Hilfsanträge 3 bis 5

In ihrem Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 17. Dezember 2021 hat die Kammer erstmals thematisiert, dass mehrere der Merkmale von Anspruch 1 aller ihr vorgelegten Anträge Verfahrens­merkmale seien, die den beanspruchten Sicherheitssensor nicht oder kaum strukturell definieren. Diese Auslegung der Ansprüche war weder im Einspruchsverfahren noch im vorangehenden schriftlichen Beschwerdeverfahren geltend gemacht worden.

Die mit Schreiben vom 14. Februar 2022 vorgelegten Hilfsanträge 3 bis 5 entsprechen den erteilten Ansprüchen (Hauptantrag) bzw. den bereits im Einspruchsverfahren eingereichten Hilfsanträgen 1 und 2, mit dem einzigen Unterschied, dass nunmehr kein "Sicherheitssensor zur Gefahrenbereichsüberwachung einer Maschine oder Anlage" beansprucht wird, sondern ein "Verfahren zur Gefahrenbereichsüberwachung einer Maschine oder Anlage mittels eines Sicherheitssensors". Diese Änderung der Anspruchskategorie stellt unzweifelhaft eine Reaktion auf die erstmals in der Mitteilung der Kammer dargelegte Auslegung der Ansprüche des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 und 2 dar. Es handelt sich somit um "außergewöhnliche Umstände" im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK 2020, die eine Zulassung der Hilfsanträge rechtfertigen. Daher hat die Kammer beschlossen, die Hilfsanträge 3 bis 5 in das Verfahren zuzulassen.

2. Hilfsantrag 3: Konformität mit den Erfordernissen von Artikel 123 EPÜ

Die Kammer kann keine Verletzung von Artikel 123 EPÜ erkennen.

Es ist richtig, dass die ursprüngliche Anmeldung keine auf ein Verfahren gerichtete Ansprüche aufweist, und dass auch die Beschreibung das Wort "Verfahren" nicht enthält. Dennoch sind bereits im ursprünglichen Anspruch 1 Merkmale enthalten, die sich nur als Verfahrensmerkmale deuten lassen. Als Beispiel sei angeführt, dass im ursprünglichen Anspruch 1 die Sicherheitsfunktion des Sicherheitssensors überbrückt wird "wenn innerhalb eines Zeitintervalls von zwei unabhängigen Signalquellen jeweils ein Objekt­vorhanden­signal registriert wird". Es ist für den Fachmann klar, dass hier sowohl ein Sicherheitssensor zur Gefahren­bereichs­überwachung als auch - wenngleich implizit - ein Verfahren zu seiner Verwendung beschrieben werden. Daher führt die Änderung des Anspruchsgegenstands von einem "Sicherheitssensor zur Gefahren­bereichs­über­wachung einer Maschine" zu einem "Verfahren zur Gefahren­bereichs­überwachung einer Maschine mittels eines Sicherheitssensors" hier nicht zu einer Situation, in der der Fachmann mit neuer technischer Information konfrontiert würde. Somit geht der Gegenstand des geänderten Anspruchs 1 nicht über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus. Die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ sind gewahrt.

Auch eine Verletzung von Artikel 123 (3) EPÜ liegt nicht vor. Gemäß der gefestigten Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist die Änderung der Anspruchs­kategorie von einem Erzeugnisanspruch zum Anspruch auf die Verwendung des Erzeugnisses unter Artikel 123 (3) EPÜ nicht zu beanstanden. Die Kammer verweist in diesem Zusammenhang auf die Veröffentlichung "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", 9. Auflage, 2019, II.E.2.6.1.

3. Zulassung der Druckschriften D11 und D12 sowie des Neuheitseinwands auf Grundlage der Druckschrift D6

Da die in Vorbereitung der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträge 3 bis 5 der Beschwerde­führerin II zugelassen wurden, entspricht es der Billigkeit, der Beschwerdeführerin I die Möglichkeit zu geben, darauf entsprechend zu reagieren. Darüber hinaus ist festzu­stellen, dass die Druckschrift D12 eine Norm auf dem Gebiet der Erfindung darstellt und somit als Teil des allgemeinen Fachwissens des zuständigen Fachmanns verstanden werden muss. Belege für das Fachwissen sind nach Auffassung der Kammer in der Regel auch zu einem späten Verfahrens­zeitpunkt zuzu­lassen (T 106/97, Punkt 3.5 der Entscheidungs­gründe, T 1076/00, Punkt 1 der Entscheidungsgründe, T 1464/14, Punkt 3 der Entscheidungsgründe). In Anbe­tracht all dieser Faktoren hat die Kammer beschlossen, die Druckschriften D11 und D12 sowie den Neuheits­angriff auf Grundlage der Druckschrift D6 in das Verfahren zuzulassen (Artikel 12 (4) VOBK 2007, Artikel 13 (1) und (2) VOBK 2020).

4. Hilfsantrag 3

4.1 Auslegung von Anspruch 1

Gemäß dem Merkmal 9 wird der Sicherheitssensor durch

die Überbrückungseinheit in einen sicheren Verriegelungs­zustand überführt, der zu einem Abschalten der Maschine oder Anlage führt. Das Merkmal 10 legt fest, unter welchen Bedingungen dies geschieht. Es ist also unzweifelhaft, dass die Überbrückungseinheit selbst den Sicherheitssensor direkt in einen Verriegelungszustand überführt. Ein Verfahren, in dem die Überbrückungseinheit nur die Stummschaltung des Sicherheitssensors aufhebt, wodurch der Sicherheits­sensor aktiviert und somit ermächtigt wird, die Maschine ggf. abzuschalten, wird den Erfordernissen der Merkmale 9 und 10 nicht gerecht.

4.2 Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist neu gegenüber den

von der Beschwerdeführerin I im Zusammenhang mit der Neuheit angeführten Entgegenhaltungen D2, D3, D6 und D11, da keine von ihnen die Kombination der Merkmale 9 und 10 offenbart. Dies wird im Folgenden für jede der genannten Druckschriften dargelegt.

4.2.1 Neuheit gegenüber der Offenbarung der Druckschrift D2

Die Druckschrift D2 ist ein Bedienungshandbuch für

Lichtvorhänge der Serie 5000 der Firma Smartscan. Die darin beschriebenen Systeme weisen alle eine Muting-Funktion auf (siehe Section 2.2, erster Absatz). Unter "Muting" ist dabei zu verstehen, dass die Sicherheits­funktion des Lichtvorhangs desaktiviert, der Licht­vorhang also stummgeschalten wird (Section 10.22, Punkt 8.4: "Muting is a way of inhibiting the safety function of a light curtain.") Das Muting kann insbesondere von zusätzlichen Lichtsensoren ausgelöst werden (Section 10.23, dritter Absatz: "Mute initiating signals are often obtained from additional photo-electric sensors ..."). Solche Sensoren sind auch z.B. auf der rechten Hälfte der Fig. 1 (siehe Section 2.3) oder in der Fig. 31 (Section 10.26) erkennbar:

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Eine wichtige Offenbarungsquelle stellt auch der erste Absatz der Section 10.26 dar:

"Applying equally to the Smartscan entry/exit systems described, both mute initiating sensors must be obscured simultaneously by the palletised load before it enters the detection field of the light-curtain. If both sensors are obscured within a pre-set limed period then a mute condition will be established and the palletised load will pass freely through the light curtain without interruption to the machinery operating cycle. However, should either sensor fail to detect the presence of the palletised load then the machinery will STOP immediately the light-curtain is interrupted by the palletised load. All (L and T) models feature a guard override facility which is fully described in Section 8 - Operation."

Dementsprechend müssen beide Sensoren, die die Stummschaltung auslösen, gleichzeitig vom Transportgut verdeckt werden, bevor diese in das Erfassungsfeld des Lichtvorhangs eintritt. Wenn beide Sensoren innerhalb einer vorgegebenen Zeitspanne verdeckt werden, wird ein Stummschaltzustand hergestellt und das Transportgut kann den Lichtvorhang ohne Unterbrechung des Betriebs­zyklus der Maschine passieren. Der Satz

"However, should either sensor fail to detect the presence of the palletised load then the machinery will STOP immediately the light-curtain is interrupted by the palletised load."

ist von seiner Syntax her problematisch, aber der Fachmann hätte ihn so verstanden, dass im Falle, dass einer der beiden Sensoren das Vorhandensein des Transportguts nicht erkennt, die Maschine sofort anhält, sobald der Lichtvorhang durch das Transportgut unterbrochen wird. Das bedeutet aber, dass das Abschalten der Maschine vom Lichtvorhang ausgelöst wird und nicht von der Über­brückungseinheit, wie dies von den Merkmalen 9 und 10 von Anspruch 1 verlangt wird. Die Überbrückungs­einheit beendet nur die Stummschaltung des Licht­vorhangs, führt den Sicherheitssensor aber nicht in einen sicheren Verriegelungszustand über. Dies wird dem Lichtvorhang überlassen. Aus diesem Grunde steht die Druckschrift D2 dem Gegenstand von Anspruch 1 nicht neuheitsschädlich entgegen.

4.2.2 Neuheit gegenüber der Offenbarung der Druckschrift D3

Die Druckschrift D3 offenbart ein Lichtgitter zur

Erfassung von Objekten in einem Überwachungsbereich. Das in der Druckschrift D3 beschriebene Lichtgitter kann als Zusatzfunktion ein Muting durchführen. Somit ist es möglich, ohne zusätzliche Muting-Sensoren nichtsicher­heitskritische Objekte (NKO) zu identifi­zieren, deren Eindringen in den Überwachungsbereich unkritisch ist. Wird ein solches Objekt erkannt, erzeugt das Lichtgitter ein Muting-Signal, sodass das Licht­gitter stummgeschaltet wird (siehe Absatz [0009]). Die Muting-Funktion wird dann aufgehoben, wenn kein NKO erkannt wird (Absatz [0028], letzter Satz). Eine entsprechende Anordnung mit einem Lichtgitter 1 und einer Förderstrecke 9 ist in den Figuren 2 bis 5 dargestellt.

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

In den Absätzen [0043] und [0044] wird beschrieben, dass bei einem durch das Eintreten eines NKO in den Überwachungsbereich ausgelösten Muting-Signal dann ein Fehlersignal erzeugt wird, wenn in der Auswerteeinheit durch Auswertung der unterbrochenen Strahlachsen während des Passierens des NKO eine Abweichung von gespeicherten Objektmerkmalen registriert wird. Durch das Fehlersignal wird das Muting-Signal aufgehoben, und somit das Lichtgitter 1 aktiviert. Da das Lichtgitter 1 eine Objektmeldung generiert, wenn das NKO noch im Überwachungsbereich ist, wird die Anlage mit der Förderstrecke 9 stillgesetzt.

Dies bedeutet, dass auch hier, wie schon im Falle der Druckschrift D2, die Stillsetzung der Anlage nicht von der Überbrückungseinheit, sondern vom Lichtgitter verursacht wird. Die Überbrückungseinheit beschränkt sich darauf, unter gewissen Umständen die Stumm­schaltung des Lichtgitters zu beenden. Daraus folgt aber, dass die Druckschrift D2 die Kombination der Merkmale 9 und 10 von Anspruch 1 nicht vorwegnimmt. Der Gegenstand von Anspruch 1 ist somit neu gegenüber der Offenbarung der Druckschrift D3.

4.2.3 Neuheit gegenüber der Offenbarung der Druckschrift D6

Die Druckschrift D6 offenbart ein photoelektrisches Sicherheitsgitter mit mehreren LEDs, die in einer sich auf einer Seite einer Passage 13 befindenden dioden­tragenden Säule 12. Das von den LEDs erzeugte Licht wird durch Photodioden in einer gegenüber­liegen­den Säule 16 angeordnet sind, nachgewiesen. Die Analyse der Signale erfolgt in einer Verarbeitungseinheit UE. Darüber hinaus umfasst die Anordnung LEDs entlang des Weges eines durch die Passage 13 hindurchtretenden Gegenstands angeordnet sind und Strahlen 22, 24 erzeugen, die durch Lichtempfänger nachgewiesen werden.

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Man misst ein Eingangszeit­inter­vall (EZI) zwischen der Unterbrechung des ersten Strahls 22 durch den Transit des Gegenstands und der Unterbrechung des zweiten Strahls 24 und vergleicht es mit einer Toleranzzeit (Ttoll). Ist das EZI kürzer als die Toleranzzeit, wird das Sicherheitsgitter stummge­schalten. Darüber hinaus wird ein Ausgangszeit­intervall (AZI) zwischen der Wiederherstellung des ersten Strahls 22 bis zum Ver­lassen der Passage 13 bestimmt und mit einer Toleranz­zeit (TS) verglichen. Ist das AZI länger als diese Toleranzzeit, wird der Befehl zur Beendigung der Stummschaltung des Lichtgitters gegeben. Dazu ist im Absatz [0014] ausgeführt, dass, wenn der Durchgang am Ende dieses Zeitintervalls TS aufgrund von Anomalien immer noch besetzt ist, die Muting-Funktion von der Verarbeitungseinheit UE desaktiviert, die Schutz­funktion der Schranke wiederhergestellt und die Maschine angehalten wird. Auch hier wird die Maschine also nicht direkt von der Überbrückungseinheit selbst angehalten. Die Überbrückungseinheit beendigt vielmehr die Stummschaltung, sodass das Lichtgitter ggf. die Maschine anhält. Man findet also in der Druckschrift D6 dasselbe Arbeitsprinzip wie in den Druckschriften D2 und D3. Die Kombination der Merkmale 9 und 10 ist somit nicht offenbart. Der Gegenstand von Anspruch 1 ist also neu gegenüber der Offenbarung der Druckschrift D6.

4.2.4 Neuheit gegenüber der Offenbarung der Druckschrift D11

Die Druckschrift D11 beschreibt ein Verfahren zum Überwachen eines Schutzbereichs, bei dem ein Lichtsignal durch den Schutzbereich hindurch in Richtung eines den Schutzbereich begrenzenden Elements ausgesandt und vom Element zu einem Lichtempfänger reflektiert oder remittiert wird. Man misst die Lichtlaufzeit vom Aussenden bis zum Empfangen des Lichtsignals ermittelt wird. Ein Unterbrechungssignal wird erzeugt, wenn die ermittelte Lichtlaufzeit von einer vorbestimmten Maximal-Lichtlaufzeit zumindest um einen vorgegebenen Schwellenwert abweicht. Darüber hinaus wird die ermittelte Lichtlaufzeit mit einer weiteren zulässigen Lichtlaufzeit verglichen. Es wird kein Unterbrechungssignal erzeugt, wenn die ermittelte Lichtlaufzeit innerhalb eines vorgegebenen Toleranz­bereichs um diese zulässige Lichtlaufzeit liegt (siehe Anspruch 1). Im Zusammenhang mit der Ausführungsform der Figuren 3 und 4 beschreibt die Druckschrift D11 den Fall, dass das Umschalten von der Maximal-Lichtlaufzeit auf die weitere zulässige Lichtlaufzeit nicht innerhalb einer maximal zulässigen Ansprechzeit möglich ist. In diesem Falle wird das Umschalten nicht durch das Eindringen des Objekts 13 in den Schutz­bereich 1, sondern durch ein von einem Hilfssensor 17 abgegebenes Startsignal initiiert.

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Aufgrund dieses Startsignals wird beim nächsten Abtastvorgang anstelle der Maximal-Lichtlaufzeit die weitere zulässige Lichtlaufzeit für den Vergleich mit der ermittelten Lichtlaufzeit verwendet.

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Es ist also auch hier nicht der Hilfssensor, der die Maschine zum Stillstand bringt. Er dient nur dazu, das Startsignal zu geben, auf dessen Grundlage das Umschalten von der Maximal-Lichtlaufzeit auf die weitere zulässige Lichtlaufzeit veranlasst wird (siehe die Absätze [0056] und [0057]). Damit offenbart auch die Druckschrift D11 nicht die Kombination der Merk­male 9 und 10. Der Gegenstand von Anspruch 1 ist somit neu gegenüber der Offenbarung der Druckschrift D11.

4.2.5 Ergebnis bezüglich der Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1

Der Gegenstand von Anspruch 1 ist neu gegenüber allen gegen ihn angeführten Entgegenhaltungen (Artikel 54 (1) EPÜ).

4.3 Erfinderische Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1

Die Beschwerdeführerin I erklärte in der mündlichen Verhandlung, dass sie folgende der im schriftlichen Verfahren vorgebrachten Einwände aufrechterhalte: Der Gegenstand von Anspruch 1 sei nicht erfinderisch im Hinblick auf die Kombinationen der Druckschriften D2+D3, D12+D6, D12+D4, D12+D1 und D12+D2. Auch ein Mangel an erfinderischer Tätigkeit ausgehend von der Druckschrift D2 allein oder im Hinblick auf das allgemeine Fachwissen wurde geltend gemacht.

4.3.1 Erfinderische Tätigkeit, ausgehend von der Druckschrift D2

Der diesbezügliche Vortrag der Beschwerdeführerin I

beruht auf der Annahme, dass die Druckschrift D2 die Kombination der Merkmale 9 und 10 offenbare. Wie in den Punkten 4.2.1 und 4.2.2 dargelegt wurde, ist die Kammer aber zum Schluss gelangt, dass weder die Druckschrift D2 noch die Druckschrift D3 diese Merkmals­kombination offenbaren. Daher kann der Vortrag der Beschwerde­führerin, dass eine Kombination der Druckschriften D2 und D3 den Fachmann zum Gegenstand von Anspruch 1 geführt hätte, nicht überzeugen. Dasselbe gilt auch für eine Kombination der Druckschriften D2 und D6 oder der Druckschrift D2 mit dem allgemeinen Fachwissen.

Der Einwand der Beschwerdeführerin I, dass der Fach­mann, der von der Lehre der Druckschrift D2 ausging, in naheliegender Weise zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangt wäre, ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

4.3.2 Erfinderische Tätigkeit, ausgehend von der Druckschrift D12

a) Offenbarung der Druckschrift D12

Die Druckschrift D12 ist eine Vornorm betreffend die Sicherheit von Maschinen und die Anwendung von Schutzausrüstungen zur Anwesenheitserkennung von Personen. Sie beschreibt unter anderem Konfigurationen von photoelektrischen Überbrückungssensoren, die jener der Druckschrift D2 stark ähneln (siehe z.B. Bild F.1).

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Strittig war insbesondere, ob die Druckschrift D12 die Kombination der Merkmale 9 und 10 offenbart. In diesem Zusammenhang ist allerdings festzustellen, dass in der Druckschrift D12 eine von der Überbrückungseinheit festgestellte Anomalie nicht dazu führt, dass die Maschine direkt abgeschaltet wird, sondern dazu, dass die Stummschaltung der Lichtschranken beendet wird. Die von den Beschwerdeführerinnen angeführten Passagen geben hier ein konsistentes Bild:

- Auf Seite 35 wird als Bedingung für die Beendigung der Überbrückungsfunktion genannt, dass einer der Überbrückungssensoren deaktiviert wird.

- Im vorletzten Absatz der Seite 84 ist zu lesen: "Wenn bei wirksamer Überbrückung-Funktion [sic] die Bewegung des Fördersystems umgekehrt wird, wird die Überbrückung-Funktion [re-sic] unwirksam gemacht, sobald einer der Sensoren S1 oder S2 deaktiviert wird." (Unterstreichung durch die Kammer)

- Die Tabelle F.1 auf Seite 85 zeigt, dass der Status der berührungslos wirkenden Schutzeinrichtung (BWS) entweder "aktiv" oder "überbrückt" ist.

- Auf Seite 92, zweiter Absatz, wird festgestellt, dass "[d]ie Überbrückung-Funktion... beendet werden [muss], sobald einer der beiden Strahlen der Überbrückung-Sensoren nicht länger aktiviert wird" (Unterstreichung durch die Kammer), und das nachfolgende Bild F.20 zeigt, dass die BWS nach Ende der Überbrückung nicht abgeschalten, sondern vielmehr frei ist:

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

- Im vorletzten Absatz der Seite 96 ist ebenfalls von einer "Beendigung der Überbrückung-Funktion" die Rede.

Das von der Druckschrift D12 vermittelte Gesamtbild entspricht also genau jenem Vorgehen, das auch aus der Druckschrift D2 bekannt ist, nämlich dass nach Beendigung der Überbrückung die Lichtschranken wieder akti­viert werden. Ein Überführen der Maschine in einen sicheren Verriegelungszustand, der zu einem Abschalten der Maschine führt, wie dies von Merkmal 9 gefordert wird, ist nicht offenbart. Die Tatsachen dass auf Seite 14 der Druckschrift D12 (Punkt 3.1.19) ein Verriegelungszustand definiert wird, tut dem keinen Abbruch, da kein Zusammenhang hergestellt wird mit dem Ende des Überbrückungszustands infolge einer Anomalie der Muting-Sensoren. Die Feststellungen im dritten Absatz auf Seite 37, dass die Überbrückungsfunktion nur freigegeben werden darf, wenn sich der Ausgang der BWS im AUS-Zustand befinde, bzw. dass aus einem Verriege­lungs­zustand heraus (wenn ein gefährlicher Fehler erkannt wird) die Betätigung der Überbrückungsfunktion nicht möglich sein darf, sind diesbezüglich nicht relevant.

Die Kammer ist daher zum Schluss gelangt, dass die Druckschrift D12 die Kombination der Merkmale 9 und 10 nicht offenbart.

b) Naheliegen des Gegenstand von Anspruch 1

Der diesbezügliche Vortrag der Beschwerdeführerin I

beruht wiederum auf der Annahme, dass die Druckschrift D12 die Kombination der Merkmale 9 und 10 offenbare und dass das Merkmal 8 das einzige Unterscheidungsmerkmal darstelle. Da die Kammer zu einer anderen Schlussfolgerung gelangt ist (siehe Punkt 4.3.2 a)), kann der Vortrag der Beschwerde­führerin I zum Fehlen der erfinderischen Tätigkeit nicht überzeugen.

Die Beschwerdeführerin I hat geltend gemacht, dass der Fachmann durch die Kombination der Druckschrift D12 mit einer der Druckschriften D1, D2, D4 oder D6 in naheliegender Weise zum Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 geführt worden wäre. Die Kammer hat bereits festgestellt, dass weder die Druckschrift D2 noch die Druckschrift D6 die Merkmale 9 und 10 offenbaren (siehe die Punkte 4.2.1 und 4.2.3). Daher konnte eine Kombination der Druckschrift D12 mit der Druckschrift D2 oder der Druckschrift D6 den Fachmann grundsätzlich nicht zum Gegenstand von Anspruch 1 führen.

Die Beschwerdeführerin I hat nicht geltend gemacht, dass die Druckschrift D1 die Kombination der Merkmale 9 und 10 offenbart, und dies ist für die Kammer auch nicht erkennbar. Dasselbe gilt auch für die Druck­schrift D4, die lediglich eine Stummschaltung der Sicherheitssensor unter gewissen Umständen lehrt (siehe z.B. die Absätze [0040] und [0043]). Es erschließt sich der Kammer daher nicht, wie eine Kombination der Druckschrift D12 mit einer der Druckschriften D1 oder D4 den Fachmann zum Gegenstand von Anspruch 1 hätte führen können.

Daher kann der Vortrag der Beschwerde­führerin I, dass eine Kombination der Druckschrift D12 mit einer der Druckschriften D1, D2, D4 oder D6 den Fachmann in naheliegender Weise zum Gegenstand von Anspruch 1 geführt hätte, nicht überzeugen.

Der Einwand der Beschwerdeführerin I, dass der Fachmann, der von der Lehre der Druckschrift D12 ausging, in naheliegender Weise zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangt wäre, ist daher unbegründet.

4.3.3 Ergebnis bezüglich der erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1

Der Gegenstand von Anspruch 1 wird weder von der Druckschrift D2 in Kombination mit der Druckschrift D3 oder dem allgemeinen Fachwissen noch von der Druck­schrift D12 in Kombination mit einer der Druckschriften D1, D2, D4 oder D6 nahegelegt. Er beruht daher auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ). Die diesbezüglichen Einwände der Beschwerdeführerin I sind unbegründet.

5. Ergebnis

Da keiner der Einwände gegen den Hilfsantrag 3 begründet ist, kann das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage des Hilfsantrags 3 aufrecht erhalten werden.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in geändertem Umfang auf der Grundlage der folgenden Unterlagen aufrecht zu erhalten:

- Patentansprüche 1 bis 14, eingereicht als Hilfsantrag 3 am 15. Februar 2022,

- Beschreibung: Seiten 2 und 3, eingereicht als Hilfsantrag 3 am 15. Februar 2022, und Seiten 4 bis 6 gemäß Patentschrift,

- Zeichnungen: Figuren 1 bis 3 gemäß Patentschrift.

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