T 1482/17 (Henkel/Pulverkomponente) of 18.9.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T148217.20200918
Datum der Entscheidung: 18 September 2020
Aktenzeichen: T 1482/17
Anmeldenummer: 05776193.4
IPC-Klasse: C11D17/04
B65B9/04
B65D65/46
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUR HERSTELLUNG PORTIONIERTER WASCH- ODER REINIGUNGSMITTEL
Name des Anmelders: Henkel AG & Co. KGaA
Name des Einsprechenden: Colgate-Palmolive Company
Reckitt Benckiser (Brands) Limited
Kammer: 3.3.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56 (2007)
European Patent Convention Art 123(2) (2007)
RPBA2020 Art 013(2) (2020)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - Could-would approach
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Änderungen - zulässig (ja)
Zulassung von Hilfsanträgen eingereicht in der mündlichen Verhandlung - Ausnahmsweise zugelassen
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1621/16
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 2344/16
T 2632/18
T 2645/18

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden 2 richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, die Einsprüche gegen das europäische Patent Nr. 1 776 448 zurückzuweisen.

II. In ihrer Beschwerdebegründung beantragte die Beschwerdeführerin, das Streitpatent wegen mangelnder Neuheit bzw. erfinderischer Tätigkeit vollständig zu widerrufen.

III. Mit ihrer Beschwerdeerwiderung beantragte die Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin, die Beschwerde zurückzuweisen oder, hilfsweise, das Patent auf Basis der Hilfsanträge 1-9 eingereicht mit dieser Erwiderung aufrechtzuerhalten.

IV. Die Beschwerdeführerin beantragte die Hilfsanträge 3 und 5 bis 9 als verspätet ins Verfahren nicht zuzulassen.

V. Die mündliche Verhandlung fand am 18. September 2020 statt. In Anbetracht der Meinung der Kammer, dass keiner der vorliegenden Anträge den Erfordernissen des Artikels 56 EPÜ entsprach, reichte die Beschwerdegegnerin neue Hilfsanträge 10-12 ein. Nachdem die Kammer bekannt gegeben hatte, dass Hilfsantrag 10 den Erfordernissen des EPÜ zu entsprechen schien, beantragte die Beschwerdegegnerin, diesen Antrag zum Hilfsantrag 1 zu machen.

VI. Anspruch 1 wie erteilt (Hauptantrag) lautet:

"Verfahren zur Herstellung portionierter Wasch- oder Reinigungsmittel, mit folgenden Schritten:

a) Verformen eines wasserlöslichen Materials unter Ausbildung eines Behälters mit mindestens einer Öffnung, einer diese Öffnung umgebenden Kante und mindestens einer weiteren Ecke und/oder Kante;

b) Einfüllen einer wasch- oder reinigungsaktiven Schmelze und Erstarren der Schmelze;

c) Befüllen des Behälters mit mindestens einem weiteren Wasch- oder Reinigungsmittel; und

d) Konfektionieren des befüllten Behälters.

dadurch gekennzeichnet, dass der in Schritt a) ausgebildete Behälter in Schritt b) derart mit der Schmelze befüllt wird, dass zumindest die weitere(n) Ecke(n) und/oder Kante(n) des Behälters wenigstens anteilsweise durch die erstarrte Schmelze ausgefüllt wird/werden."

Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 (eingereicht als Hilfsantrag 10 in der mündlichen Verhandlung) entspricht dem des Hauptantrags, wobei die folgenden Merkmale in Schritt d) hinzugefügt wurden:

"... dass in Schritt a) ein quaderförmiger Behälter ausgebildet wird und in Schritt b) neben der/den weiteren Ecke(n) und/oder Kante(n) weiterhin mindestens eine Seitenwand des quaderförmigen Behälters vollständig durch die erstarrte Schmelze ausgefüllt wird sowie dass in Schritt c) ein pulverförmiger weiterer Wasch und/oder Reinigungsmittelbestandteil eingefüllt wird."

Anspruch 6 des Hilfsantrags 1 lautet:

"Portioniertes Wasch- oder Reinigungsmittel mit folgenden Merkmalen:

a) einem Behälter aus wasserlöslichem Material mit mindestens einer von einer Kante umgebenen Öffnung und mindestens einer weiteren Ecke und/oder Kante;

b) einer in dem Behälter befindlichen wasch- oder reinigungsaktiven erstarrten Schmelze, wobei die erstarrte Schmelze zumindest die weitere(n) Ecke(n) und/oder Kante(n) des Behälters zumindest anteilsweise ausfüllt;

c) mindestens einem weiteren Wasch- oder Reinigungsmittel in dem verbleibenden Hohlraum des Behälters mit erstarrter Schmelze; und

d) mindestens einem Verschlubeta, welcher den Behälter an der/den von einer Kante umgebenen Öffnung(en) abschließt,

dadurch gekennzeichnet, dass als weiteres Wasch- und/oder Reinigungsmittel zumindest ein pulverförmiges Wasch- oder Reinigungsmittel, und wahlweise ein oder mehrere weitere Wasch- oder Reinigungsmittel enthalten sind und dass der Behälter ein quaderförmiger Behälter ist, wobei in dem quaderförmigen Behälter neben der/den weiteren Ecke(n) und/oder Kante(n) weiterhin mindestens eine Seitenwand vollständig durch die erstarrte Schmelze bedeckt sind."

VII. Die vorliegende Entscheidung stützt sich auf die folgenden Dokumente:

D1: EP 1319707 A1

D2: US 2002/169092 A1

D3: US 2004/029764 A1

D4: US 4 913 832 A

D5: US 4 828 745 A

D6: US 4 569 780 A

D7: EP O 321 179 A1

D8: GB 2 361 010 A

D9: US 6 124 250 A

D11: GB 2 370 553 A

VIII. Bevor die Debatte geschlossen wurde, lauteten die Anträge wie folgt:

- Die Beschwerdeführerin beantragte, das Streitpatent vollständig zu widerrufen.

- Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen, oder, hilfsweise, das Patent auf Basis einer der folgenden Hilfsanträge aufrechtzuerhalten:

Hilfsantrag 1 (eingereicht als Hilfsantrag 10 in der mündlichen Verhandlung);

Hilfsanträge 2-10 (eingereicht als Hilfsanträge 6-9 (jetzt Hilfsanträge 2-5) und 1-5 (jetzt Hilfsanträge 6-10) mit der Beschwerdeerwiderung);

Hilfsanträge 11-12 (eingereicht in der mündlichen Verhandlung).

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag - Artikel 100(a)/56 EPÜ

Die Kammer ist zum Schluss gekommen, dass der Einspruchsgrund unter Artikel 100(a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ der Aufrechterhaltung des Streitpatents in der erteilten Fassung entgegensteht.

1.1 Nächstliegender Stand der Technik

1.1.1 Dokument D1 (Absätze 1, 8, 31, 35, 38, 40, 41; Abbildungen 1-2) offenbart ein Verfahren zur Herstellung von Waschmittelbeuteln, umfassend einen Schritt, bei dem eine aktive Substanz dem Beutel als eine Flüssigkeit zugegeben und anschließend im Beutel verfestigt wird, um seine Basis zu bilden, wobei mindestens eine weitere Phase auf die verfestigte Basis aufgetragen wird.

Dokument D11 offenbart (Seite 19, Zeilen 24-29) Reinigungsmittelbeutel und ein Verfahren zu deren Herstellung, wobei eine der Komponenten aus einer aushärtbaren ("settable") Substanz, wie z.B. Gel, besteht.

1.1.2 Im schriftlichen Verfahren vertrat die Beschwerdeführerin die Auffassung, dass sowohl D1 als auch D11 als der nächstliegende Stand der Technik angesehen werden könnten. In der mündlichen Verhandlung waren sich jedoch alle Parteien einig, dass D1 als nächstliegender Stand der Technik anzusehen sei.

1.1.3 Die Kammer stimmt dem zu, da die gelöste Aufgabe bzw. vorgeschlagene Lösung der D1 denen der zugrunde liegenden Erfindung sehr ähnlich ist. Insbesondere soll in D1 die Einführung einer flüssigen Phase in den Waschmittelbeutel und ihre anschließende Verfestigung sicherstellen, sodass der Beutel ohne weitere Unterstützung aufrecht steht (Absatz 12).

1.1.4 Die Kammer stellt fest, dass der Ausdruck "... Erstarren der Schmelze" im Schritt b) des Anspruchs 1 eine Änderung des physikalischen Aggregatzustandes von einer flüssigen zu einer festen Form impliziert, wobei die chemische Zusammensetzung der Substanz unverändert bleibt. Im Gegensatz dazu wird der Schritt der Verfestigung einer Flüssigkeit in D1 entweder breit definiert (es wird nämlich nicht spezifiziert, wie die Verfestigung stattfindet (siehe z.B. Absatz 41)) oder wird er als chemische Veränderung des Stoffes definiert (vgl. z.B. Absatz 46).

1.1.5 Somit unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von D1 nur dadurch, dass die Verfestigung der Flüssigkeit im Schritt b) als eine physikalische Erstarrung einer Schmelze erfolgt.

1.2 Aufgabe der Erfindung

1.2.1 Die Beschwerdegegnerin argumentierte, dass die physikalische Erstarrung einer Schmelze mehrere Vorteile gegenüber einer chemischen Erstarrung biete, insbesondere weil sie schneller sei (zumindest in Bezug auf die Paragraphen 40 und 90 von D1, die Zeiten von 30 Minuten bis 10 Tagen angeben) und weil sie reversibel sei, was die Prozessierbarkeit erleichtere. Somit löse die Erfindung die Aufgabe, ein zuverlässiges Verfahren zur Herstellung portionierter Wasch- oder Reinigungsmittel bereitzustellen.

1.2.2 Die Kammer kann der Argumentation der Beschwerdegegnerin aus den folgenden Gründen nicht folgen:

- Es wurde kein Beweis dafür erbracht, dass die physikalische Erstarrung gemäß dem Streitpatent schneller ist als die chemischen Verfestigung in D1. Die in D1 angegebenen Zeiten schränken den allgemeinen Erstarrungsprozess in diesem Dokument nicht ein, und in jedem Fall ist die Erfindung in Anspruch 1 weder auf eine bestimmte Prozesszeit noch auf eine zu verfestigende Substanz beschränkt. Folglich ist dieser Effekt weder bewiesen noch plausibel.

- Während die thermische Reversibilität eines physikalischen Verfestigungsschrittes plausibel ist, ist diese für den Fachmann gut bekannt und kann auch mit Nachteilen verbunden sein, wie z.B. den Kosten für die Kühlung oder Erwärmung oder der Tatsache, dass die verfestigten Substanzen unter bestimmten Temperaturen unerwünscht schmelzen könnten.

Die Kammer ist daher der Auffassung, dass die Verwendung eines physikalischen Verfestigungsschrittes über die bekannten und vorhersehbaren Vor- und Nachteile hinaus keine besondere Wirkung hat.

1.2.3 Die Kammer ist somit zum Schluss gekommen, dass die durch die Erfindung gelöste Aufgabe darin besteht, eine alternative Methode zur Herstellung stabiler portionierter Wasch- oder Reinigungsmittel bereitzustellen.

1.3 Naheliegen

1.3.1 Gemäß D1 (Absatz 41) "kann jeder Inhaltsstoff für die feste Phase verwendet werden, solange er zunächst als Flüssigkeit oder Schlamm abgefüllt und anschließend verfestigt werden kann". Von diesem Ausgangspunkt aus ist klar, dass der Fachmann bei der Suche nach Alternativen verschiedene Inhaltsstoffe in Betracht ziehen würde, die in flüssiger Form abgefüllt und anschließend verfestigt werden können.

1.3.2 Diesbezüglich hat die Einspruchsabteilung darauf abgestellt (Seiten 11-12 der Entscheidung), dass es im Stand der Technik keine Lehre oder Anreiz gäbe, die den Fachmann zu der vorgeschlagenen Lösung führen würde. Insbesondere stelle die Nutzung einer Schmelze "kein allgemeines Fachwissen" dar. Weiterhin bestehe "ausgehend von D1 keine Motivation, die Dokumente D3-D7 zu konsultieren", weil D3 bereits formstabile Behälter offenbare, das Endprodukt in D4-D6 keinen Behälter aus einer Folie enthalte und D7 keinen Gewinn an Formstabilität durch die eingefüllte Schmelze erwähne.

1.3.3 Die Kammer stimmt dieser Ansicht aus den folgenden Gründen nicht zu:

- Die durch die Erfindung gelöste Aufgabe besteht nicht darin, die Stabilität des Waschbeutels zu verbessern oder zu gewährleisten, sondern lediglich darin, eine alternative Methode zur Herstellung stabiler Beutel bereitzustellen. Um die Erfindung offensichtlich zu machen, braucht der Fachmann also keine Offenbarung zu finden, die ausdrücklich auf die Rolle einer erstarrten Schmelze bei der Stabilisierung hinweist. Stattdessen reicht es aus, festzustellen, dass die Einfüllung von Schmelzen und ihre anschließende Erstarrung ein bekanntes Verfahren zur Herstellung von Beuteln auf dem zugrundeliegenden technischen Gebiet ist.

- Die Verwendung von Schmelzen zur Herstellung von Waschmittelbeuteln ist im Fachgebiet üblich (siehe z.B. D3-D7). Somit ist offensichtlich, dass die in Anspruch 1 definierte Lösung sowohl im Hinblick auf das allgemeine Fachwissen als auch auf den Inhalt der Dokumente D3-D7 eine bekannte Alternative darstellt, um die in D1 offenbarten Beutel herzustellen.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher gegenüber D1 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen oder dem Inhalt der Dokumenten D3 bis D7 nicht erfinderisch.

2. Hilfsanträge 1 und 11-12 - Zulassung

2.1 Die Kammer ist zu dem Schluss gekommen, dass die im Laufe der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträge 1 (eingereicht als Hilfsantrag 10), 11 und 12 gemäß Artikel 13(2) VOBK 2020 in das Verfahren zugelassen werden.

2.2 Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass diese Hilfsanträge auf mehrfachen Kombinationen von mehr oder weniger bevorzugten Alternativen in den abhängigen Ansprüchen wie erteilt beruhten. Es konnte nicht erwartet werden, dass die Einsprechende auf alle möglichen Kombinationen von Alternativen, die in den erteilten Ansprüchen enthalten sind, vorbereitet sein würde. Die vorliegenden Hilfsanträge hätten daher früher im Verfahren eingereicht werden müssen. Darüber hinaus werfen die neuen Hilfsanträge weitere Fragen nach Artikel 123(2) und 84 EPÜ auf und reichen nicht aus, um die Einwände der Patentierbarkeit zu überwinden. Die Anträge sollten daher nicht ins Verfahren zugelassen werden.

2.3 Die Kammer stimmt dieser Argumentation aus den folgenden Gründen nicht zu:

- Die unabhängigen Ansprüche der Hilfsanträge 1 und 11-12 entsprechen jeweils den mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträgen 7-9. Diese Anträge wurden abgeändert, um zu präzisieren, dass mindestens eine oder alle vier Seitenwände "vollständig" von der verfestigten Phase bedeckt sind (dieses Merkmal war außerdem als bevorzugte Alternative in den erteilten Ansprüchen 7 (Prozess) und 14 (Produkt) definiert). Demgegenüber definieren die mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten unabhängigen Ansprüche der Hilfsanträge 7-9, dass die Wand/Wände "zumindest teilweise" bedeckt ist/sind.

- Diese Änderungen stellen somit eine Weiterentwicklung des Kerngedankens der Erfindung dar, nämlich die Bereitstellung einer verfestigten Phase, um die Stabilität des Behälters zu erhöhen. Sowohl die Änderungen als auch der sich daraus ergebende Gegenstand sind technisch unkompliziert und führen nicht zu unerwarteten Kombinationen. Als solche können sie daher nicht als überraschend angesehen werden.

- Weiterhin ist die Beschwerdeführerin durch die neuen Hilfsanträge nicht benachteiligt worden, da, wie aus den in der vorläufigen Stellungnahme der Kammer und in der vorliegenden Entscheidung dargelegten Argumenten hervorgeht, sowohl der nächstliegende Stand der Technik als auch der erfinderische Beitrag der Erfindung im Wesentlichen unverändert geblieben sind.

- Während gemäß Artikel 13(2) VOBK eine Änderung des Falles in diesem Verfahrensstadium nur durch "außergewöhnliche Umstände" gerechtfertigt werden kann, stellt die Kammer fest, dass die Hinzufügung des Merkmals "vollständig" (um zu präzisieren, dass die gesamte Seitenwand von der verfestigten Phase bedeckt ist) eine direkte Reaktion auf ein Argument, das von der Kammer zum ersten Mal von Amts wegen während der mündlichen Verhandlung vorgebracht wurde, war.

Insbesondere war die Kammer der Meinung, es sei nicht plausibel, dass ein Behälter, in dem eine erstarrte Phase eine Ecke, Kante oder Wand nur teilweise bedeckt, notwendigerweise eine erhöhte Stabilität aufweisen würde. Insbesondere impliziere der Begriff "teilweise", dass die Hilfsanträge Ausführungsformen umfassen, in denen die erstarrte Phase so klein und/oder so positioniert sei, dass sie praktisch keinen Einfluss auf die Stabilität bzw. die Verformung des Behälters habe.

- Angesichts dieser neuen Argumentation wich die Kammer von ihrer vorläufigen Meinung ab, wonach der frühere Hilfsantrag 1 gewährbar war. Darüber hinaus implizierte diese neue Position der Kammer, dass die anderen Hilfsanträge kaum Aussichten hatten, aufrechterhalten zu werden.

- In Anbetracht dieser Ausnahmesituation ist die Kammer der Ansicht, dass die Patentinhaberin selbst in diesem späten Stadium des Verfahrens Anspruch auf eine Gelegenheit hatte, die neu aufgeworfenen Einwände zu überwinden.

2.4 Die Hilfsanträge 1, 11 und 12 werden daher als eine legitime und angemessene Reaktion der Beschwerdegegnerin auf die Änderungen im Verfahren angesehen und ausnahmsweise unter Artikel 13(2) VOBK 2020 ins Verfahren zugelassen.

3. Hilfsantrag 1 - Artikel 123(2) EPÜ

3.1 Die Kammer ist zum Schluss gekommen, dass dieser Antrag die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ erfüllt.

3.2 Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass die unabhängigen Ansprüche 1 und 6 auf einer Kombination von Merkmalen beruhten, die aus verschiedenen Listen von mehr und weniger bevorzugten Alternativen stammten. Insbesondere wurde in den Ansprüchen 1 und 6 definiert, dass mindestens eine Wand (eine weniger bevorzugte Alternative in Ansprüchen 7 und 15 in der ursprünglich eingereichten Fassung) vollständig von der verfestigten Phase bedeckt sei (eine bevorzugte Alternative der Ansprüchen 7 und 15 in der ursprünglich eingereichten Fassung). Da es in der eingereichten Fassung der Anmeldung keine Grundlage für solche willkürlichen Kombinationen von mehr und weniger bevorzugten Optionen gebe, ging der neu definierte Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus.

3.3 Die Kammer folgt dieser Argumentation aus den folgenden Gründen nicht:

- Der unabhängige Anspruch 6 basiert auf einer Kombination der Ansprüche 10, 11, 14 und 15 der ursprünglich eingereichten Anmeldung.

- Im Einzelnen definiert Anspruch 6 außerdem die am meisten bevorzugte/eingeschränkte Form des ursprünglichen Anspruchs 14 ("quaderförmiger Behälter"), eine breitere, weniger bevorzugte Option ("mindestens eine Seitenwand") und eine bevorzugte Option des Anspruchs 15 ("vollständig ... bedeckt").

- Es ist zunächst fraglich, ob die Auswahl der am meisten bevorzugten Option "vollständig ... bedeckt" als eine Auswahl aus einer Liste angesehen werden kann, so dass die Änderungen offenbar nur eine einzige Auswahl aus einer Liste betreffen, was nicht zu einer Verletzung von Artikel 123(2) EPÜ führen kann.

- In jedem Fall, selbst wenn die Änderungen als auf einer Mehrfachauswahl aus Listen beruhend angesehen würden, kann gemäß T 1621/16 (siehe Leitsatz) ein Anspruch, der auf Kombinationen von mehr und weniger bevorzugten Optionen von Listen konvergierender Alternativen beruht, als den Anforderungen des Artikels 123(2) EPÜ entsprechend angesehen werden, wenn der sich ergebende Gegenstand nicht mit einem nicht offenbarten technischen Beitrag verbunden ist und wenn die ursprüngliche Anmeldung einen Hinweis auf die sich aus der Mehrfachauswahl ergebende Kombination von Merkmalen enthält. Im vorliegenden Fall ist die Kombination nicht mit einem nicht offenbarten technischen Beitrag verbunden (d.h. der Anspruch definiert keinen Effekt, der mit der spezifischen Kombination von Alternativen verbunden werden könnte). Darüber hinaus fallen zumindest die Beispiele 2 und 3 der Anmeldung (Seite 85) unter den Gegenstand von Anspruch 6, so dass sie einen Hinweis auf der darin definierten Kombination darstellen.

Anspruch 6 geht daher nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.

3.4 Aus analogen Gründen basiert Anspruch 1 auf einer Kombination der ursprünglich eingereichten Ansprüche 1, 2, 6 und 7.

4. Hilfsantrag 1 - Artikel 56 EPÜ

4.1 Die Kammer ist zum Schluss gekommen, dass dieser Antrag die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ erfüllt.

4.2 Nächstliegender Stand der Technik

4.2.1 Dokument D1 wird aus den gleichen Gründen wie im Hauptantrag als der nächstliegende Stand der Technik angesehen.

4.2.2 D1 offenbart nicht, dass die zweite Phase im Behälter ein pulverförmiges Wasch- oder Reinigungsmittel ist. Darüber hinaus weisen die Behälter in D1 keine Quaderform auf, wie sie in Anspruch 6 definiert ist. Daher offenbart dieses Dokument auch nicht, dass eine Seitenwand des quaderförmigen Behälters vollständig von der verfestigten Phase bedeckt ist (stattdessen ist in D1 die Basis eines dreieckigen Prismas von der verfestigten Phase bedeckt) (andere Formen wie Tetraeder oder Pyramiden werden in D1 (Absatz 34) als Alternativen erwähnt ).

4.3 Aufgabe der Erfindung

4.3.1 Die Beschwerdeführerin machte geltend, dass die verfestigte Basis in D1 bereits den Effekt hatte, die Stabilität des Beutels zu erhöhen. Das Vorhandensein eines pulverförmigen Reinigungsmittels als solches trug weder zu diesem noch zu einem anderen besonderen technischen Effekt bei. Die durch die Erfindung gelöste Aufgabe bestünde somit darin, ein alternatives portioniertes Wasch- oder Reinigungsmittel bereitzustellen.

4.3.2 Die Kammer stimmt dieser Argumentation aus den folgenden Gründen nicht zu:

- Die Beschwerdeführerin geht fälschlicherweise davon aus, dass die technische Wirkung der Erfindung gemäß Anspruch 6 ausschließlich mit der vorgeschlagenen Lösung (d.h. mit der Bedeckung einer Wand mit der verfestigten Phase) zusammenhängt. Im Gegensatz dazu muss die technische Wirkung einer Erfindung auch den Kontext berücksichtigen, in dem diese Lösung, wie sie im Anspruch definiert ist, umgesetzt wird, da dieser die Wirksamkeit der Lösung oder sogar das zugrunde liegende Problem, mit dem die Erfindung konfrontiert ist, kritisch beeinflussen kann.

- Diesbezüglich deutet das Streitpatent darauf hin (siehe Absatz [0005]), dass die Stabilitätsprobleme besonders relevant sind, wenn das Reinigungsmittel in Pulverform vorliegt, da "das Pulver die Hülle bei einer Verformung des Behälters durch Reibung beschädigen kann". Es ist somit offensichtlich, dass die technische Wirkung der Erfindung durch das Vorhandensein des pulverförmigen Waschmittels im Behälter beeinflusst wird, da nur in diesem Zusammenhang das zitierte Problem der Abnutzung des Beutels bei Verformung auftreten kann.

- Da es plausibel ist, dass die Bedeckung einer Seitenwand des Behälters mit einer festen Phase die Verformbarkeit des Behälters verhindert oder zumindest verringert, kann der Schluss gezogen werden, dass die technische Wirkung der Erfindung darin besteht, die reibungsbedingten Schäden des portionierten Waschmittels zu verringern. Dieser Effekt würde bei Beuteln, die wie in D1 keine Pulverkomponente enthalten, nicht auftreten, da in solchen Fällen kein nennenswertes Verschleißproblem besteht.

4.3.3 Die Kammer ist daher der Ansicht, dass die durch die Erfindung geloste Aufgabe darin besteht, einen alternativen Waschmittelbeutel bereitzustellen, in dem der Reibverschleibeta der Wände bei Verformung des Beutels verhindert oder zumindest reduziert wird.

4.4 Naheliegen (verneint)

4.4.1 Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass die in Anspruch 6 vorgeschlagene Lösung für den Fachmann naheliegend sei, weil die Verwendung von pulverförmigen Waschmitteln in diesem technischen Bereich eine bekannte Alternative sei (siehe z.B. D2, D3, D6, D8, D9 oder D11).

4.4.2 Der Argumentation der Beschwerdeführerin kann nicht gefolgt werden, da, wie oben ausgeführt, die durch die Erfindung gelöste Aufgabe nicht darin besteht eine Alternative bereitzustellen, sondern eine Verhinderung oder Verringerung des Verschleißes des Beutels zu gewährleisten.

Während in D1 allgemein auf Beutel mit flüssigen oder pulverförmigen Reinigungsmitteln Bezug genommen wird (Absatz 2), wird diese Offenbarung nur als Teil des Hintergrunds der Erfindung gemacht. Dokument D1 offenbart jedoch nicht die Verwendung einer Pulverkomponente in den erfindungsgemäßen Beuteln. Weiterhin, deuten weder D1 noch eines der anderen zitierten Dokumente darauf hin, dass das Vorhandensein von pulverförmigen Bestandteilen zu einer Beschädigung der Beuteln durch Verformung und Reibung führen kann.

Die Kammer kann zwar akzeptieren, dass der Fachmann eine pulverförmige Komponente für die zweite Phase der Beutel auswählen könnte, es gibt jedoch keinen Grund zu der Schlussfolgerung zu kommen, dass der Fachmann eine solche Komponente unter den verschiedenen verfügbaren Alternativen auswählen würde, um die oben erwähnte Aufgabe zu lösen.

Um zu dieser Lösung zu gelangen, müsste der Fachmann zunächst das mit der Pulverkomponente verbundene Verschleißproblem erkennen, ein Problem, das - wie oben erwähnt - in keinem der zitierten Dokumente erkannt wird. Darüber hinaus müsste der Fachmann zu dem Schluss kommen, dass dieses Problem mit der soliden Basis von D1 verhindert werden könnte, eine Idee, die sich nicht unbedingt aus diesem Dokument ableiten lässt, da die verfestigte Phase im Wesentlichen zum Zweck der Aufrechterhaltung der Beutel in stehender Position betrachtet wird.

Daraus wird geschlossen, dass Anspruch 6 durch den zitierten Stand der Technik nicht nahegelegt wird.

4.4.3 Dieselben Argumente und Schlussfolgerungen gelten für Anspruch 1, der somit im Hinblick auf den zitierten Stand der Technik als erfinderisch angesehen wird.

4.4.4 Die Ansprüche 2-5 und 7-10 sind jeweils abhängig von den unabhängigen Ansprüchen 1 und 6, so dass auch sie die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ erfüllen.

5. Da keiner der von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Einwände die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der Ansprüche 1-10 des Hilfsantrags 1 verhindert, kommt die Kammer zu dem Schluss, dass diese Ansprüche den Erfordernissen des EPÜ entsprechen.

6. Es besteht daher keine Notwendigkeit, sich mit den zusätzlichen Fragen der Zulässigkeit bzw. der Gewährbarkeit der weiteren Hilfsanträge zu befassen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Vorinstanz mit der Maßgabe zurückverwiesen, das Patent in folgender Fassung aufrechtzuerhalten:

- Ansprüche 1 - 10 von Hilfsantrag 1 (eingereicht als Hilfsantrag 10 in der mündlichen Verhandlung);

- Zeichnungen 1/1 des Patents wie erteilt;

- eine noch anzupassende Beschreibung.

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