T 0706/17 () of 10.6.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T070617.20210610
Datum der Entscheidung: 10 Juni 2021
Aktenzeichen: T 0706/17
Anmeldenummer: 10778964.6
IPC-Klasse: D06F 39/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: DOSIERSYSTEM ZUR FREISETZUNG VON WENIGSTENS DREI UNTERSCHIEDLICHEN ZUBEREITUNGEN WÄHREND EINES WASCHPROGRAMMS EINER WASCHMASCHINE
Name des Anmelders: Henkel AG & Co. KGaA
Name des Einsprechenden: Reckitt Benckiser Finish B.V.
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 114(2) (2007)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(2) (2007)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4) (2007)
RPBA2020 Art 012(3) (2020)
Schlagwörter: Verspätetes Vorbringen - Dokument erstinstanzlich zugelassen (nein)
Verspätetes Vorbringen - korrekte Ermessensausübung (ja)
Verspätetes Vorbringen - Dokument zugelassen (nein)
Beschwerdebegründung - vollständiges Beschwerdevorbringen eines Beteiligten
Beschwerdebegründung - Gründe deutlich und knapp angegeben (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0007/93
T 0355/86
T 0140/88
T 0216/10
T 0039/12
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1688/18
T 1748/18
T 0559/20

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung eingelegt, mit der ihr Einspruch gegen das Europäische Patent 2 521 811 zurückgewiesen wurde.

II. Der unabhängige Anspruch 1 des Patents hat folgenden Wortlaut:

"Dosiersystem zur Freisetzung von Zubereitungen im Inneren einer Waschmaschine umfassend

* wenigstens ein Dosiergerät (5) und

* wenigstens eine mit dem Dosiergerät koppelbare Kartusche,

* wobei die Kartusche wenigstens drei Kammern (3a, 3b, 3c) umfasst, die voneinander verschiedene fließfähige Zubereitungen enthalten,

dadurch gekennzeichnet, dass

o die erste Kammer wenigstens ein Enzym, ein Enzymstabilisator und ein Tensid bevorratet,

o die zweite Kammer wenigstens eine Bleiche, einen Komplexbildner bevorratet,

o die dritte Kammer wenigsten einen Duftstoff und/oder einen optischen Aufheller und/oder eine textilweichmachende Verbindung bevorratet."

Auf die Wiedergabe des Wortlauts der unabhängigen Ansprüche 16 (gerichtet auf eine "Kartusche zur Verwendung in einem Dosiersystem nach einem der Ansprüche 1-15...") und 17 (gerichtet auf ein "Verfahren zur Freisetzung von Zubereitungen im Inneren einer Waschmaschine") wird verzichtet, da er für die Entscheidung nicht relevant ist.

III. In der angefochtenen Entscheidung kam die Einspruchsabteilung zu dem Ergebnis, dass der Einspruchsgrund nach Artikel 100(a) in Verbindung mit 56 EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegen stehe. Dabei berücksichtigte sie das allgemeine Fachwissen und folgenden Stand der Technik:

D1: US 2005/0102767,

D2: WO 2005/011462,

D4: US 2009/0293556.

Ihre Entscheidung, die nach Ablauf der Einspruchsfrist eingereichten Dokumente

D6: US 2009/194562 und

D7: US 4 188 807

nicht in das Verfahren zuzulassen, begründete die Einspruchsabteilung damit, dass das Merkmal, das die mit der Einspruchsschrift eingereichten Entgegenhaltungen vom Streitpatent unterscheide, in D6 und D7 ebenfalls fehle. Deshalb würden weder D6 noch D7 mehr zeigen als das, was aus dem bereits im Verfahren befindlichen Stand der Technik schon bekannt gewesen sei.

IV. In einer Mitteilung nach Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Meinung mit.

V. Mit Schreiben vom 10. Mai 2021 nahm die Beschwerdeführerin Stellung zur vorläufigen Meinung der Kammer.

VI. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 10. Juni 2021 mit Zustimmung der Parteien als Videokonferenz statt.

VII. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag), hilfsweise das Patent in geänderter Fassung auf Grundlage der Hilfsanträge 1 bis 3, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung, aufrechtzuerhalten.

VIII. Der Vortrag der Beschwerdeführerin kann wie folgt zusammengefasst werden.

Zulassung von D6 und D7

Die Entscheidung der Einspruchsabteilung hinsichtlich der Nicht-Zulassung von D6 und D7 sei falsch gewesen. D6 und D7 seien prima facie relevant. D6 sei zudem kurz nach der vorläufigen Meinung der Einspruchsabteilung und mehr als sechs Monate vor der mündlichen Verhandlung eingereicht worden. Die Einreichung sei eine legitime Reaktion auf die Argumente der Beschwerdegegnerin im Einspruchsverfahren, wonach Anspruch 1 auf Dosiersysteme für Textilwaschmaschinen eingeschränkt sei und somit Stand der Technik, der Dosiersysteme für Geschirrspüler zum Gegenstand hat, bei der Beurteilung erfinderischer Tätigkeit unberücksichtigt bleiben müsse. Ebenso sei argumentiert worden, dass anspruchsgemäße Dosiersysteme die Freisetzung kontrolliert abzumessender Mengen impliziere und die einfache Freisetzung von (vorbemessenen Einheits-) Mengen, wie in D1 und D2, nicht umfasse. In ihrem Bescheid im Anhang zur Ladung zur mündlichen Verhandlung habe die Einspruchsabteilung zu beiden Aspekten keine Stellung genommen.

D7 sei als Reaktion auf die im Einspruchsverfahren vorgelegten Hilfsanträge eingereicht worden. Ein solches Vorgehen liege im Rahmen der Richtlinien zur Prüfung (E.VI.2.1), wenn unvorhersehbare Änderungen am Gegenstand des Verfahrens vorgenommen werden.

Zudem erläuterte die Beschwerdeführerin, warum der Gegenstand gemäß Anspruch 1 keine erfinderische Tätigkeit ausgehend von den Dokumenten D6 und D7 aufweise. In diesem Zusammenhang legte sie insbesondere die Unterscheidungsmerkmale zwischen D6 bzw. D7 und dem Streitpatent dar. Sie führte insbesondere aus, dass das maßgebliche Unterscheidungsmerkmal die spezifische Verteilung der Inhaltsstoffe auf die Zubereitungen sei. Dieses Unterscheidungsmerkmal könne jedoch mangels technischen Effekts keine erfinderische Tätigkeit begründen.

Erfinderische Tätigkeit auf Grundlage von D1, D2 oder D4

Im Abschnitt "Mangelnde erfinderische Tätigkeit gegenüber D1, D2 oder D4" ("Lack Of Inventive Step Over D1, D2 OR D4") der Beschwerdebegründung argumentierte die Beschwerdeführerin einleitend, dass der Begriff "Waschmaschine" in Anspruch 1 nicht auf Textilwaschmaschinen eingeschränkt sei. Weiter trug sie vor, dass Dosiersysteme für z.B. Geschirrspülmaschinen bei der Beurteilung erfinderischer Tätigkeit nicht ausgeschlossen werden dürften und dass entsprechende mechanische Dosiersysteme unabhängig von der chemischen Zusammensetzung der damit freizusetzenden Waschmittel definiert seien. Zur erfinderischen Tätigkeit selbst trug sie vor (dritter Absatz auf Seite 6 der Beschwerdebegründung):

"The arguments submitted in the first instance proceedings (and summarised in the Decision) based on D1, D2 and D4 still apply; the Decision was based on the unsupported allegation that there is an inventive technical effect associated with separating the enzyme and complexing agent, but our reasons for contesting that are set out above.",

was die Kammer wie folgt in die Verfahrenssprache übersetzt:

"Die im Verfahren vor der ersten Instanz (und in der Entscheidung zusammengefassten) Argumente, basierend auf D1, D2 und D4 bleiben weiter gültig; die Entscheidung beruht auf der unbegründeten Behauptung, dass ein erfinderischer technischer Effekt auf der Trennung der Enzyme und des Komplexbildners beruhe, was aus den zuvor ausgeführten Gründen bestritten wird."

Die Beschwerdeführerin ist zudem der Ansicht, dass der Vortrag in der Beschwerdebegründung zur erfinderischen Tätigkeit auf Grundlage von D1, D2 oder D4 entgegen der vorläufigen Meinung der Kammer vollständig sei. Zu berücksichtigen seien dabei auch die Ausführungen in Abschnitt V.A.2.6.4 a) der Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, 2019, insbesondere folgende Passage daraus (die Beschwerdeführerin hat aus der englischen Ausgabe zitiert, wohingegen die Kammer hier die entsprechende Passage in der Verfahrenssprache wiedergibt):

"Einige wenige Entscheidungen erkennen die pauschale Verweisung auf ein Vorbringen in der ersten Instanz als mögliche Begründung für eine zulässige Beschwerde an (T 355/86, T 140/88, T 216/10), wobei es sich allerdings um spezielle Fälle handelt, in denen sich das Vorbringen in der Vorinstanz bereits in ausreichendem Maß mit den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzte."

Die hier vorliegende Situation entspreche dem Sachverhalt in T 140/88 und auch T 39/12.

Einerseits erwähne die Beschwerdebegründung explizit die fehlerhafte Entscheidung der Einspruchs­abteilung, wonach die Ansprüche auf erfinderischer Tätigkeit beruhten, die auf der unbelegten Behauptung der Einspruchsabteilung gründete, dass ein erfinderischer technischer Effekt mit der Trennung von Enzym und Komplexbildner im Zusammenhang stehe. Dieser Aspekt sei ausführlich im Abschnitt C.1.3 der Beschwerdebegründung behandelt worden. Auf diesen sei im Absatz betreffend den Mangel erfinderischer Tätigkeit auf Grundlage von D1, D2 oder D4 Bezug genommen worden. Andererseits, und mit Blick auf die zuvor zitierte Rechtsprechung, sei dieser in der Beschwerdebegründung angegebene Grund bereits in den Ausführungen der Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren vorgebracht worden. In diesem Zusammenhang verweist die Beschwerdeführerin auf Abschnitt D.1., insbesondere auf D.1.2 und D.1.3 der Einspruchsschrift. Eine entsprechende Analyse sei auch auf die Ansprüche 16 und 17 übertragbar und in Abschnitt E der Einspruchsschrift diskutiert worden. Folglich seien diese Ansprüche aus den gleichen Gründen wie Anspruch 1 nicht erfinderisch.

Desweiteren müsse berücksichtigt werden, dass die Entscheidungsbegründung zur erfinderischen Tätigkeit anhand des Aufgabe-Lösung-Ansatzes nicht dem üblichen Standard entspreche, wonach in der Regel alle unterscheidenden Merkmale von der Einspruchsabteilung ermittelt würden, um darauf aufbauend den zu erreichenden Effekt zu ermitteln. Sollte, wie im vorliegenden Fall, diese Merkmalsanalyse nicht vollständig erfolgt sein, genüge es für eine vollständige Beschwerdebegründung aufzuzeigen, dass das zentrale Argument der Einspruchsabteilung, hier also der unbelegte behauptete technische Effekt, falsch sei.

IX. Die Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden.

Zulassung von D6 und D7 in das Verfahren

Die Entscheidung, D6 und D7 nicht zuzulassen, sei nicht zu beanstanden. Sie seien prima facie nicht relevant und gingen hinsichtlich des Merkmals der getrennten Bevorratung von Komplexbildner und Enzym nicht über das hinaus, was schon in den rechtzeitig eingereichten Entgegenhaltungen offenbart sei. Entsprechend sei weder ersichtlich noch werde von der Beschwerdegegnerin beanstandet, dass die Einspruchsabteilung ihr eingeräumtes Ermessen überschritten oder bei der Ermessensausübung falsche Kriterien zu Grunde gelegt habe. D7 sei zudem nur eine Woche vor der mündlichen Verhandlung eingereicht worden.

Erfinderische Tätigkeit auf Grundlage von D1, D2 oder D4

Bezüglich D1, D2 und D4 beziehe sich die Beschwerdeführerin in unzulässiger Weise auf das Verfahren der ersten Instanz, ohne explizit etwas vorzutragen.

Entscheidungsgründe

Zulassung von D6 und D7 in das Verfahren

1. Die Beschwerdeführerin hat weder dargelegt noch ist ersichtlich, dass die Einspruchsabteilung ihr Ermessen fehlerhaft oder unter Anwendung falscher Kriterien ausgeübt hat.

1.1 D6 und D7 wurden nach Ablauf der Einspruchsfrist vorgelegt und von der Einspruchsabteilung in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 114 (2) EPÜ nicht ins Verfahren zugelassen (siehe Abschnitt II.2 im Übergang der Seiten 4 und 5 in der angefochtenen Entscheidung).

1.2 Eine Beschwerdekammer sollte sich nur dann über die Art und Weise, in der die erste Instanz bei einer Entscheidung in einer bestimmten Sache ihr Ermessen ausgeübt hat, hinwegsetzen, wenn sie zu dem Schluss gelangt, dass die erste Instanz ihr Ermessen nach Maßgabe der falschen Kriterien, unter Nichtbeachtung der richtigen Kriterien oder in willkürlicher bzw. unangemessener Weise ausgeübt hat und damit das ihr eingeräumte Ermessen überschritten hat (vgl. G 7/93, ABl. 1994, 775, Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, V.A.3.5). Dies ist aber vorliegend nicht der Fall.

1.2.1 Wie auch von der Beschwerdegegnerin in ihrer Beschwerdeerwiderung, Seite 2, letzter Satz, vorgetragen wurde, hat die Beschwerdeführerin nicht dargelegt, dass das Ermessen fehlerhaft oder unter Anwendung falscher Kriterien ausgeübt wurde.

Die Einspruchsabteilung hat bei der Ausübung ihres Ermessens vielmehr das übliche Kriterium der (prima facie) Relevanz herangezogen indem sie festgestellt hat, dass weder D6 noch D7 eine Bevorratung des Komplexbildners in einer (zweiten) Kammer (also zusammen mit der Bleiche) offenbaren. Dieses Merkmal fehlte nach Ansicht der Einspruchsabteilung bereits in den mit der Einspruchsschrift eingereichten Entgegenhaltungen, so dass D6 oder D7 nicht mehr Informationen als erstere enthielten.

Die Beschwerdeführerin hält diese Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung für falsch. Dabei hat sie ihre eigene Beurteilung der Relevanz an die Stelle der Einspruchsabteilung gesetzt. Dies rechtfertigt indes nicht die Annahme eines Ermessensfehlers.

1.2.2 Die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Gründe für die Vorlage von D6 und D7 und den jeweiligen Zeitpunkt ihrer Vorlage (Auslegung der Begriffe in den Ansprüchen durch die Beschwerdegegnerin und Änderungen des Gegenstands in den Hilfsanträgen) ändern an dieser Beurteilung nichts. Vielmehr zeigt die Prüfung der Relevanz durch die Einspruchsabteilung, dass diese Aspekte für die Entscheidung über die erfinderische Tätigkeit des mit den erteilten Ansprüchen beanspruchten Gegenstands keine Rolle spielten. Eine Änderung des Gegenstands im Verfahren vor der Einspruchsabteilung, wie sie von der Beschwerdeführerin geltend gemacht wurde, lag daher nicht vor.

2. Die Kammer hat das ihr zustehende eigene Ermessen nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 (anwendbar gemäß Artikel 25 (2) VOBK 2020) dahingehend ausgeübt, die von der Einspruchsabteilung nicht in das Verfahren zugelassenen Dokumente D6 und D7 und die auf ihnen beruhenden Einwände auch im Beschwerdeverfahren nicht zuzulassen.

2.1.1 In ihrer Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 hatte die Kammer bereits ausgeführt, dass D6 oder D7 offenbar keine Reaktion auf die zentrale Begründung in der angefochtenen Entscheidung (getrennte Bevorratung von Enzymen und Komplexbildner) darstellen.

2.1.2 Laut ihrem Schriftsatz vom 10. Mai 2021 sieht die Beschwerdeführerin dagegen die Vorlage und Zulassung von D6 als gerechtfertigte Reaktion auf das Argument der Beschwerdegegnerin im Einspruchsverfahren, wonach D1 und D2 keine "Dosiersysteme" offenbarten. Wie die Kammer aber ebenfalls bereits in ihrer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK 2020 ausgeführt hat, ist Anspruch 1 hinsichtlich der Begriffe "Dosiersystem" oder "Dosiergerät" nicht auf die Abgabe abzumessender Teilmengen ("metering") aus den jeweiligen Kammern der Kartusche eingeschränkt. Auch die angefochtene Entscheidung über erfinderische Tätigkeit hat der Art des Dosiersystems keine Bedeutung beigemessen. Es ist daher nicht erkennbar, dass D6 (oder D7) in diesem Zusammenhang eine Reaktion auf einen neuen entscheidungserheblichen Aspekt darstellt, der die Vorlage neuer Beweismittel unter Umständen rechtfertigen könnte.

2.1.3 Bezüglich D7 beruft sich die Beschwerdeführerin im Wesentlichen auf Änderungen am Gegenstand der Hilfsanträge. Da aber zunächst der Hauptantrag mit den unveränderten, erteilten Ansprüchen des Streitpatents zu prüfen ist, ist kein Grund gegeben, der die Zulassung von D7 im Rahmen der Prüfung der erteilten Ansprüche rechtfertigen könnte. Der von der Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang zitierte letzte Absatz aus Abschnitt E.VI.2.1 der Richtlinien für die Prüfung, die für die Kammer nicht bindend sind, findet daher keine Anwendung.

2.1.4 Es ist für die Kammer darüber hinaus nicht erkennbar, dass D6 oder D7 für eine Entscheidung über erfinderische Tätigkeit der erteilten Ansprüche prima facie relevant in Bezug auf den Gegenstand der Entscheidung wären. Über die genaue Zusammensetzung der Waschdetergenzien in den drei Kammern der in D6 offenbarten Kartusche sind in den von der Beschwerdeführerin zitierten Absätzen 67, 71, 72 keine Angaben gemacht. Enzyme werden nur am Rande in Absatz 31 erwähnt, Komplexbildner offenbar gar nicht. Die weiteren Argumente der Beschwerdeführerin, wonach mangels eines nachgewiesenen technischen Effekts, jede Kombination der dem Fachmann per se bekannten und in Anspruch 1 oder 16 genannten Inhaltsstoffe der Kartuschen-Kammern naheliegend sei, finden in D6 keine Grundlage und gründen prima facie betrachtet in ihrer Substanz auf unbelegten Behauptungen. Ähnliches gilt hinsichtlich D7, die noch dazu nicht einmal einen Hinweis auf Kartuschen mit mehreren Kammern enthält.

2.1.5 Unter Berücksichtigung dieser Umstände hat die Kammer ihr Ermessen nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 dahingehend ausgeübt, D6 und D7 und damit auch die auf ihnen beruhenden Einwände nicht in das Verfahren zuzulassen.

Erfinderische Tätigkeit auf Grundlage von D1, D2 oder D4

3. Die Einwände der Beschwerdeführerin zur erfinderischen Tätigkeit auf Grundlage von D1, D2 oder D4 in der Beschwerdebegründung sind unsubstantiiert. Sie werden deshalb nicht im Beschwerdeverfahren berücksichtigt (Artikel 12 (4) VOBK 2007).

3.1 Nach Artikel 12 (3) VOBK 2020, welcher nach Artikel 25 (1) VOBK 2020 im vorliegenden Verfahren anwendbar ist, muss die Beschwerdebegründung das vollständige Beschwerdevorbringen enthalten. Sie muss deutlich und knapp angeben, aus welchen Gründen beantragt wird, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, abzuändern oder zu bestätigen; sie soll ausdrücklich alle geltend gemachten Anträge, Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel im Einzelnen anführen.

Eine Sanktion, für den Fall, dass entsprechende Anforderungen nicht erfüllt sind, ergibt sich aus Artikel 12 (4) VOBK 2007, der im vorliegenden Verfahren gemäß Artikel 25 (2) VOBK 2020 anwendbar ist. Dieser bezieht sich seinem Wortlaut nach zwar auf Artikel 12 (2) VOBK 2007, der jedoch ähnliche Anforderungen an eine vollständige Beschwerdebegründung wie Artikel 12 (3) VOBK 2020 definiert, so dass eine entsprechende Anwendung von Artikel 12 (4) VOBK 2007 geboten ist.

3.2 Das Vorbringen der Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung (vgl. oben Sachverhalt und Anträge VIII.) hinsichtlich des Einspruchsgrunds nach Artikel 100 a) im Zusammenhang mit 56 EPÜ auf Grundlage von D1, D2 oder D4 beschränkt sich auf den Verweis auf ihren Vortrag im Einspruchsverfahren zu D1, D2 und D4, auf die entsprechende Zusammenfassung ihrer Argumente in der angefochtenen Entscheidung und, hinsichtlich des fehlenden technischen Effekts, auf den Verweis auf das vorherige Vorbringen ("...as set out ") in der Beschwerdebegründung.

3.3 Der pauschale Hinweis auf das Vorbringen im Einspruchsverfahren genügt nicht, um festzustellen, warum die angefochtene Entscheidung aufgehoben werden sollte. Ohne eigene Ermittlungen ist für die Kammer und die Beschwerdegegnerin nämlich nicht erkennbar, welche Argumente der Beschwerdeführerin aus dem Einspruchsverfahren die Begründung erfinderischer Tätigkeit durch die Einspruchsabteilung widerlegen könnten. Dazu müsste die Kammer selbst den gesamten Einspruch und alle später eingegangenen Schriftsätze einschließlich des Vortrags in der mündlichen Verhandlung noch einmal analysieren und prüfen, in welchen Passagen sich relevantes Vorbringen finden könnte. Ein solches Vorgehen widerspricht aber dem Beschwerdeverfahren, in dem der Beschwerdeführer nach Artikel 108 EPÜ, Regel 99(2) EPÜ und nach Artikel 12 (3) VOBK 2020 bzw. Artikel 12 (2) VOBK 2007 die Obliegenheit hat, mit seiner Beschwerdebegründung einen vollständigen Sachvortrag zu präsentieren, der es der Beschwerdekammer und den übrigen Beteiligten ermöglicht, ohne weitere Nachforschungen zu verstehen, aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung aufgehoben werden soll.

Ein beschwerdeführender Einsprechender muss deshalb anhand einer vollständig vorgetragenen Argumentationskette darlegen, aus welchem Grund das Streitpatent widerrufen werden soll. Beruft er sich darauf, dass die Voraussetzungen des Artikels 56 EPÜ nicht vorliegen, muss er deshalb in der Beschwerdebegründung darlegen, aus welchen Gründen der beanspruchte Gegenstand durch den herangezogenen Stand der Technik nahegelegt wird. Dazu hätte die Beschwerdeführerin hier auch nachvollziehbar vortragen müssen, welche Merkmale der Stand der Technik überhaupt offenbart.

Die von der Beschwerdeführerin eingereichte Beschwerdebegründung selbst enthält aber keinen Vortrag zum Offenbarungsgehalt der Dokumente D1, D2 und D4.

Auch die angefochtene Entscheidung beschränkt sich auf Darlegungen im Hinblick auf das von der Einsprechenden genannte Unterscheidungsmerkmal, ohne Feststellungen zur Offenbarung der weiteren Merkmale im herangezogenen Stand der Technik zu treffen.

Ebenso wenig lassen die Ausführungen der Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung zu D6 und D7 Rückschlüsse auf den konkreten Offenbarungsgehalt der Dokumente D1, D2 und D4 zu.

Selbst unter der hypothetischen Annahme, dass in der vorliegenden Sache ein pauschaler Verweis auf das Vorbringen im Einspruchsverfahren ausgereicht haben könnte - was die Kammer aber nicht akzeptiert -, würde die Kammer trotzdem nicht erkennen, wie der von der Beschwerdeführerin in ihrem Schriftsatz vom 10. Mai 2021 wiedergegebene Abschnitt D.1 aus der Einspruchsschrift eine Auseinandersetzung mit dem zentralen Argument der angefochtenen Entscheidung enthalten könnte. Der von der Einspruchsabteilung bei ihrer Entscheidung über erfinderische Tätigkeit angenommene technische Effekt auf Grundlage der behaupteten anspruchsgemäßen Trennung von Enzym und Komplexbildner, wurde vielmehr erst im späteren Verlauf des Einspruchsverfahrens von der Beschwerdegegnerin vorgetragen. Im zitierten Abschnitt der Einspruchsschrift wird zwar dargelegt, dass die Beschreibung keinen Effekt bei der Bevorratung des Komplexbildners zusammen mit der Bleiche in der zweiten Kammer der Kartusche offenbare. Dies ist aber an sich noch kein Argument, aus dem geschlossen werden könnte, dass der von der Einspruchsabteilung zugrundegelegte Effekt notwendigerweise falsch wäre oder nicht berücksichtigt werden dürfte. Auch die von der Beschwerdeführerin erstmals in ihrem Schriftsatz vom 10. Mai 2021 zitierten Passagen D.1.2, D.1.3 und der Hinweis auf Abschnitt E aus der Einspruchsschrift bilden keinen vollständigen Einwand. Insbesondere wird auch darin nicht im Einzelnen dargelegt, an welcher Stelle der zitierten Dokumente die jeweils beanspruchten Merkmale offenbart wären.

3.4 Zudem genügt auch der Hinweis in der Beschwerdebegründung auf ihr "vorheriges Vorbringen" (was auf den Vortrag zu D6 und D7 verstanden werden kann) nicht, um unmittelbar nachzuvollziehen, warum die angefochtene Entscheidung aufzuheben ist.

Wie oben bereits angedeutet (zweiter Absatz von 3.3) genügt es nämlich im Rahmen von Artikel 56 EPÜ in der Regel nicht, dass die Beschwerdeführerin eine einzelne fehlerhafte Annahme der Einspruchsabteilung aufzeigt, um die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung der Einspruchsabteilung substantiiert zu begründen.

Auch wenn daher die Kammer das zentrale Argument der Beschwerdeführerin berücksichtigen würde, welches im Zusammenhang mit dem auf D6 beruhenden Einwand vorgetragen wurde und mit dem das Vorhandensein des behaupteten technischen Effekts auf Grundlage einer angenommenen anspruchsgemäßen Trennung von Enzym und Komplexbildner bestritten wird (Abschnitt C.1.3 der Beschwerdebegründung), so begründet dieses Argument allein immer noch keinen vollständigen Einwand, der (bei unterstellter Richtigkeit) ohne eigene Ermittlungen der Kammer den Widerruf des Patents rechtfertigen könnte.

Allein aus dem angeblich fehlenden technischen Effekt dieses Unterscheidungsmerkmals ergibt sich noch nicht, warum der beanspruchte Gegenstand der Ansprüche 1, 16 oder 17 ausgehend von einem der drei Dokumente D1, D2 oder D4 als nächstliegendem Stand der Technik naheliegend sein könnte. Wie zuvor dargelegt, fehlt unter anderem eine komplette Merkmalsanalyse hinsichtlich dieser Dokumente.

Entgegen der in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vertretenen Auffassung der Beschwerdeführerin hat die Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung nämlich nicht festgestellt, dass es nur ein einziges unterscheidendes Merkmal gegenüber z.B. D1 oder D4 gibt. Die Einspruchsabteilung hat sich vielmehr auf Feststellungen zu einem Unterscheidungsmerkmal konzentriert, was ihrer Ansicht nach nicht durch den Stand der Technik nahegelegt war. Dies war für die tragenden Gründe der angefochtenen Entscheidung auch ausreichend, da bereits ein nicht nahegelegtes Unterscheidungsmerkmal, das einen technischen Effekt hat, erfinderische Tätigkeit begründen kann. Umgekehrt führt aber der fehlende technische Effekt dieses Unterscheidungsmerkmals nicht zwingend zu der Annahme, dass die erfinderische Tätigkeit fehlt. Die erfinderische Tätigkeit kann sich zum Beispiel auch aus dem Vorliegen weiterer Unterscheidungsmerkmale ergeben.

Daher würde selbst unter Heranziehung der Argumente, die im Rahmen der Einwände auf Grundlage von D6 oder D7 vorgetragen wurden, eine Begründung fehlen, aus der geschlossen werden könnte, dass diese Argumente direkt auf Einwände zur erfinderischen Tätigkeit beruhend auf D1, D2 oder D4 als nächstliegendem Stand der Technik übertragbar sind.

3.5 Die Beschwerdeführerin hat dagegen mit Verweis auf Abschnitt V.A.2.6.4 a) der neunten Auflage Rechtsprechung der Beschwerdekammern (2019) und durch eine wortwörtliche Kopie eines Abschnitts des Einspruchsschriftsatz die Auffassung vertreten, dass sich ihr Vorbringen im Einspruchsverfahren bereits in ausreichendem Maß mit den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandergesetzt habe, so dass in der Beschwerdebegründung ein pauschaler Verweis ausreichend gewesen sei.

Dieses Argument ist indes nicht überzeugend. Die von der Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang zitierte Rechtsprechung betrifft die Frage der ausreichenden Begründung der Beschwerde im Rahmen der Prüfung ihrer Zulässigkeit (Artikel 108 Satz 3 im Zusammenhang mit Regel 99 (2) EPÜ). Selbst wenn die Kammer die vor diesem Hintergrund etablierte und von der Beschwerdeführerin explizit zitierte Rechtsprechung bei der Entscheidung über die Prüfung hinreichender Substantiierung nach Artikel 12 (3) VOBK 2020 bzw. Artikel 12 (2) VOBK 2007 berücksichtigte, so würde dies zu keiner anderen Beurteilung führen.

Einerseits geht aus der ausführlichen Zusammenfassung der Rechtsprechung im Abschnitt V.A.2.6.4 a) der 9. Auflage der Rechtsprechung der Beschwerdekammern sehr klar hervor, dass pauschale Verweise auf das Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren eben nicht den Anforderungen an eine Beschwerdebegründung nach Regel 99 (2) EPÜ genügen und die Kammer sieht keinen Grund, dass die Anforderungen bei der Beurteilung der Erfordernisse nach Artikel 12 (3) VOBK 2020 bzw. Artikel 12 (2) VOBK 2007 weniger streng sein sollten.

Andererseits gibt die von der Beschwerdeführerin zitierte Passage der Rechtsprechung der Beschwerdekammern keine Veranlassung zu einer anderen Beurteilung. T 140/88 sowie die in der mündlichen Verhandlung zitierte Entscheidung T 39/12, beziehen sich, wie auch in der oben zitierten Passage der Rechtsprechung der Beschwerdekammern erwähnt, auf Sonderfälle. Den explizit zitierten Entscheidungen liegt nicht der gleiche Sachverhalt wie in der vorliegenden Sache zugrunde. In T 140/88 wurde im Unterschied zur vorliegenden Beschwerdebegründung ein spezifischer Schriftsatz aus dem Einspruchsverfahren zitiert (Entscheidungsgründe 1.). In T 39/12 enthielt die Beschwerdebegründung im Wesentlichen eine Kopie der Einspruchsschrift mit einer geänderten Überschrift. Selbst dieser Vortrag wurde von der seinerzeit entscheidenden Kammer nicht als ausreichend angesehen, da daraus nicht hervorging, warum die Entscheidung der Einspruchsabteilung falsch sei (Entscheidungsgründe 1.6). Darüber hinaus stellte die Kammer in T 39/12 auch fest, dass diese Beschwerdebegründung auch den Erfordernissen des Artikels 12 (2) VOBK 2007 nicht genügte (Entscheidungsgründe 1.14). Auch die anderen in der zitierten Passage der Rechtsprechung genannten Entscheidungen, zu denen die Beschwerdeführerin aber nicht explizit vorgetragen hat, führen zu keiner anderen Beurteilung. In T 216/10 lagen besondere Umstände vor, weil die Entscheidungsbegründung schwerwiegende Mängel aufwies. Die Entscheidung T 355/86 betrifft einen speziellen Fall in Zusammenhang mit der Vorlage einer Vollmacht. Die Entscheidungen stützen daher den Vortrag der Beschwerdeführerin nicht.

4. Da die Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren keinen vollständig substantiierten Einwand gegenüber Anspruch 1 (oder Anspruch 16 oder 17) vorgetragen hat, der der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung entgegenstehen könnte, gibt es keinen Grund für die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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