T 0570/17 () of 18.3.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T057017.20190318
Datum der Entscheidung: 18 März 2019
Aktenzeichen: T 0570/17
Anmeldenummer: 13158630.7
IPC-Klasse: E03F 5/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Ablaufrinne
Name des Anmelders: Dallmer GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
Schlagwörter: -
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0748/91
T 0422/95
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Mit Entscheidung vom 22. September 2016 hat die Prüfungsabteilung die Europäische Patentanmeldung

Nr. 13158630.7 mit der Veröffentlichungsnummer

EP-A-2765250 wegen unzulässiger Erweiterung des Gegenstands des mit Schreiben vom 5. März 2015 eingereichten Anspruchs 1 (Hauptantrag) bzw. des Anspruchs 1 gemäß dem Hilfsantrag 1 oder 2, beide mit Schreiben vom 3. November 2015 eingereicht, zurückgewiesen.

II. Gegen diese Zurückweisung legte die Patentanmelderin (Beschwerdeführerin) am 2. Dezember 2016 Beschwerde ein; die Beschwerdegebühr wurde am selben Tag entrichtet. Die Begründung folgte am 31. Januar 2017.

Die Beschwerdeführerin beantragte:

- die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf der Basis des Anspruchssatzes gemäß Hauptantrag (eingereicht mit Schreiben vom 5. März 2015) oder gemäß einem der mit Schreiben vom 3. November 2015 eingereichten Hilfsanträge 1 und 2, alle als solche mit der Beschwerdebegründung gestellt;

- hilfsweise die Anberaumen einer mündlichen Verhandlung.

III. In ihrer Mitteilung vom 30. Januar 2019 hat die Kammer ihre vorläufige Meinung zur Vorbereitung der am 18. März 2019 anberaumten mündlichen Verhandlung mitgeteilt.

Die Beschwerdeführerin hat mit der Erwiderung vom 8. Februar 2019 die Kammer gebeten, die Angelegenheit nicht an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen, sondern über den Zurückweisungsgrund nach Artikel 123 (2) EPÜ hinausgehend ebenfalls über die Patentfähigkeit nach Artikel 52(1) EPÜ selbst zu entscheiden.

Mit Bescheid vom 7. März 2019 hat die Kammer der Beschwerdeführerin mitgeteilt, dass sie weiterhin beabsichtige, ihr Ermessen im Rahmen von Artikel 111 (1) EPÜ dahingehend auszuüben, die Angelegenheit zur weiteren Prüfung, insbesondere hinsichtlich Neuheit und erfinderischer Tätigkeit, an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen.

Mit Schreiben vom 11. März 2019 hat die Beschwerdeführerin weitere Argumente zum Hauptantrag vorgetragen und der Kammer mitgeteilt, dass sie an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen bzw. nicht vertreten sein werde.

IV. Der Wortlaut des Anspruchs 1 ist wie folgt:

a) Hauptantrag

"Ablaufrinne (9) für eine angrenzend an eine Wand (10) zumindest teilweise in einem Boden eines Raumes angeordnete Ablaufvorrichtung, wobei die Ablaufrinne (9) so gestaltet ist, dass im eingebauten Zustand eine Ablauföffnung (18) im Bereich der Unterkante der Wand (10) gebildet werden kann, und wobei die Ablaufrinne (9) einen Rinnenboden (9b) und einen vertikalen Schenkel (9a) umfasst, der im eingebauten Zustand an der Wand (10) angeordnet sein kann, wobei die Höhe (H) des vertikalen Schenkels (9a) von seinem in Einbaulage oberen Ende bis zur Unterseite des Rinnenbodens (9b) weniger als 5 cm beträgt, wobei die Ablaufrinne (9) zumindest abschnittsweise eine Seitenwand (9c) aufweist, die sich auf der von dem vertikalen Schenkel (9a) abgewandten Seite an den Rinnenboden (9b) anschließt, wobei die Seitenwand (9c) in einem Abschnitt (36) der Ablaufrinne (9) nicht vorgesehen oder erniedrigt ist, so dass in diesem Abschnitt (36) Wasser von dem Rinnenboden (9b) seitlich austreten kann, dadurch gekennzeichnet, dass die Tiefe (T2) der Ablaufrinne (9) von dem von dem Rinnenboden (9b) abgewandten Ende des vertikalen Schenkels (9a) bis zum von dem vertikalen Schenkel (9a) abgewandten Ende der Seitenwand (9c) weniger als 3 cm beträgt und dass die Seitenwand (9c) in Einbaulage eine Höhe aufweist, die weniger als halb so groß wie die Höhe (H) des vertikalen Schenkels (9a) ist."

b) Hilfsantrag 1

[Änderungen gegenüber Hauptantrag ersichtlich gemacht]

"Ablaufrinne (9) ... [nach Oberbegriff des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag],

dadurch gekennzeichnet, dass die Tiefe (T2) der Ablaufrinne (9) von dem von dem Rinnenboden (9b) abgewandten Ende des vertikalen Schenkels (9a) bis zum von dem vertikalen Schenkel (9a) abgewandten Ende der Seitenwand (9c) weniger als 3 cm beträgt und dass die Seitenwand (9c) in Einbaulage eine Höhe aufweist, die [deleted: weniger als halb so groß wie] kleiner als die Höhe (H) des vertikalen Schenkels (9a) ist.

c) Hilfsantrag 2

[hier wird auf den Akteninhalt verwiesen]

V. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen wie folgt vorgetragen:

a) Artikel 123(2) EPÜ - Hauptantrag / Hilfsantrag 1

Das von der Prüfungsabteilung kritisierte Einführen des kennzeichnenden Merkmals, betreffend das relative Verhältnis der Höhen ("halb so groß", "kleiner") des vertikalen Schenkels und der Höhe der Seitenwand, stelle keine unzulässige Erweiterung dar, weil die beanspruchte bauliche Relation sich für den Fachmann zweifellos aus der Darstellung in den ursprünglich eingereichten Figuren ergäbe. Die Figuren der Anmeldung entsprächen im Wesentlichen, nämlich bis auf die fehlenden Bemaßungen, den technischen Konstruktionszeichnungen der Ablaufrinne. Der fachkundige Leser entnehme nicht allein den Figuren, sondern auch der Beschreibung der Patentanmeldung die beanspruchten Höhen- bzw. Größenverhältnisse. Dass die Seitenwand weniger hoch als der vertikale Schenkel sein müsse, erschließe sich zudem aus den unterschiedlichen Funktionen beider Teile: Wandaufbau bzw. Wandabdichtung mittels dem vertikalen Schenkel einerseits und fliesenseitiges Abdichten durch die Seitenwand andererseits.

b) keine Zurückverweisung an die Prüfungsabteilung

Da die Prüfungsabteilung im erstinstanzlichen Verfahren bereits eine negative Meinung zur Patentierbarkeit der beanspruchten Ablaufrinne geäußert habe, würde die zurückverwiesene Sache höchstwahrscheinlich erneut zurückgewiesen werde, so dass die Anmelderin erneut eine Beschwerde einlegen müsste. Eine Entscheidung über die Patentfähigkeit durch die Kammer selbst wäre unter Berücksichtigung der Verfahrensökonomie daher sinnvoll und angebracht.

VI. Am Ende der am 18. März 2019 in Abwesenheit der Beschwerdeführerin durchgeführten mündlichen Verhandlung hat die Kammer ihre Entscheidung verkündet.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Begründung der Zurückweisung

2.1 Die Zurückweisung wurde hauptsächlich dadurch begründet, dass das aus den Figuren hergeleitete hinzugefügte Merkmal, wonach die Seitenwand in Einbaulage eine Höhe aufweist, die:

- weniger als halb so groß wie die Höhe (H) des vertikalen Schenkels ist (Hauptantrag), bzw.

- kleiner als die Höhe (H) des vertikalen Schenkels ist (Hilfsanträge 1 und 2),

keinen diskreten Wert, sondern einen nicht ursprünglich offenbarten Wertebereich einführe, welcher auch Werte umfasse, die nicht dem zeichnerisch dargestellten Wert entsprächen.

2.2 Zusätzlich sah die Prüfungsabteilung in der Aufnahme der Höhenverhältnisse eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung, da die Ablaufrinne, die in den die beanspruchte Höhenverhältnisse darstellenden Figuren ersichtlich sei, zusätzliche Merkmale, wie den Verbindungsabschnitt 9d, aufweise, welche in den Anspruch 1 ebenfalls aufzunehmen gewesen wären.

3. Hauptantrag

Wie von der Prüfungsabteilung zu Recht festgestellt, wird in den ursprünglich eingereichten Unterlagen der Anmeldung an keiner Stelle ein bewertetes Verhältnis zwischen der Höhe der Seitenwand und der Höhe des vertikalen Schenkels offenbart. Die einzige Stelle, wo Bemessungen angegeben werden, findet sich auf Seite 18, erster Absatz, nämlich dass bei der Ablaufrinne gemäß Figuren 11 bis 14 der vertikale Schenkel eine Höhe kleiner als etwa 5 cm, vorzugsweise kleiner als 3 cm haben soll. Hieraus kann jedoch keinerlei Information über die Seitenwandhöhe selbst oder über das beanspruchte 2:1 Verhältnis zwischen Seitenwand und vertikalem Schenkel abgeleitet werden.

Eine Offenbarung für das 2:1 Verhältnis ist auch nicht in den Figuren zu finden.

Das Argument der Beschwerdeführerin, dass die Figuren der Anmeldung im Wesentlichen, nämlich bis auf die fehlenden Bemaßungen, den technischen Konstruktionszeichnungen für die Herstellung der beanspruchten Ablaufrinne entsprächen, kann in Hinblick auf die ursprüngliche Offenbarung nicht berücksichtigt werden, denn allein die ursprünglich eingereichten Unterlagen definieren den zur Prüfung nach Artikel 123(2) EPÜ zu berücksichtigenden Offenbarungsumfang. Ohne einen bestimmten Hinweis in der Beschreibung hat der fachkundige Leser keinen Anlass, allein anhand der Figuren der Anmeldung das Höhen- bzw. Größenverhältnisse zu bewerten. Er entnimmt zwar ohne Weiteres den Figuren, dass die vertikale Erstreckung der Seitenwand allgemein kleiner als die des vertikalen Schenkels dargestellt ist. Diese Feststellung ist auch nachvollziehbar, wenn man die unterschiedlichen Funktionen beider Teile berücksichtigt, nämlich den Wandaufbau bzw. Wandabdichtung für den vertikalen Schenkel einerseits und das fliesenseitige Abdichten für die Seitenwand andererseits.

Dem Argument der Beschwerdeführerin, dass in den Figuren 2a, 12, 16 und 17 verschiedene Werte (2:1, 3:1 oder 4:1) für das Höhenverhältnis offenbart seien, so dass der beanspruchte Höchstwert von 2:1 offenbart sei, kann allerdings aus folgenden Gründen nicht gefolgt werden. Selbst wenn der Fachmann einen Wert für das Höhenverhältnis aus einer Figur herleiten möchte, so würde dieser stets einen diskreten Wert bei einem Ausführungsbeispiel darstellen. Ein einzelner Wert definiert aber keinen Wertebereich. Die Änderung in Anspruch 1 generiert daher einen ursprünglich nicht offenbarten Wertebereich, der von einem nicht ursprünglich offenbarten Endpunkt festgelegt wird.

Die Kammer gelangt daher zum Ergebnis, dass die im Anspruch 1 eingeführte/geschaffene Definition einer Obergrenze eines Wertebereichs, nämlich dass die Seitenwand in Einbaulage eine Höhe aufweist, die weniger als halb so groß wie die Höhe des vertikalen Schenkels ist, der ursprünglich eingereichten Anmeldung Neues hinzufügt. Die Kammer verweist hierzu auch auf die ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 8.Auflage 2016, II.E.1.3, wonach die Problematik der ursprünglichen Offenbarung eines Wertebereichs bzw. der Benennung einer neuen Ober- oder Untergrenze des Bereichs hauptsächlich dann auftritt, wenn ein Wertebereich bereits explizit offenbart war und geändert wurde oder neu geschaffen wurde.

Daher verstößt der Anspruch 1 des Hauptantrags gegen Artikel 123(2) EPÜ.

4. Hilfsantrag 1

4.1 Offenbarung

Zur Frage der unzulässigen Erweiterung ist die Ausgangslage beim Hilfsantrag 1 insoweit anders als beim Hauptantrag, indem im Anspruch 1 kein Wertebereich und somit auch keine Obergrenze definiert wird, sondern lediglich eine bauliche Relation festgelegt wird.

Die in Bezug auf den Hauptantrag genannte Stelle der Rechtsprechung findet beim Hilfsantrag 1 deshalb keine Anwendung mehr, weil im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag weder ein bereits vorhandener Wertebereich geändert, noch ein neuer Wertebereich eingeführt wurde.

Vielmehr wurde ein aus den Figuren hergeleitetes konstruktives Merkmal, welches ein Größenverhältnis zwischen zwei Komponenten definiert, eingefügt.

Die Kammer verweist diesbezüglich auf Kapitel II.E.1.12.1 der Rechtsprechung der Beschwerdekammern, insbesondere auf die Entscheidungen T 0422/95 und

T 0748/91, das bei der geänderten Sachlage beim Hilfsantrag 1 zutreffend ist.

Das Größenverhältnis zwischen der Seitenwand 9c und des Schenkels 9a, nämlich dass die Höhe der Seitenwand 9c kleiner als die Höhe des vertikalen Schenkels 9a ist, findet in der Darstellung gemäß den Figuren 2a, 3a und 12 bis 17 der Anmeldung eine klare und eindeutige Offenbarung.

4.2 Zwischenverallgemeinerung

Hinsichtlich der von der Prüfungsabteilung beanstandeten Zwischenverallgemeinerung, stellt die Kammer fest, dass die diesbezügliche Begründung in der angefochtenen Entscheidung (Punkt 1.5 bzw. 2.5) an keiner Stelle nachweist, dass andere Teile der in den relevanten Figuren dargestellten Ablaufrinne, wie der Verbindungsabschnitt 9d, eine eindeutig erkennbare funktionale oder strukturelle Verbindung mit dem Merkmal des Größenverhältnisses zwischen der Seitenwand und des Schenkels haben.

Das einzige Argument der Prüfungsabteilung, dass der Verbindungsabschnitt ein elementarer Teil des Profils sei und der Stabilisierung des asymmetrischen Profils diene (Punkt 1.5), betrifft die Ablaufrinne per se und ist unabhängig von dem hinzugefügten strittigen Merkmal.

Somit ist kein enger Zusammenhang zwischen dem Größenverhältnis zwischen Seitenwand/Schenkel und, wie von der Prüfungsabteilung pauschal behauptet, "einer Vielzahl weiterer Merkmale, die nicht einfach vernachlässigt werden können", nachgewiesen worden und nach Auffassung der Kammer auch nicht vorhanden.

4.3 Die Kammer gelangt somit zum Ergebnis, dass der beanspruchte Gegenstand des Hilfsantrags 1 die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ nicht verletzt.

5. Zurückverweisung

5.1 Mit Schreiben vom 8. Februar 2019 hat die Beschwerdeführerin die Kammer gebeten, die Angelegenheit nicht an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen, sondern über den Zurückweisungsgrund nach Artikel 123(2) EPÜ hinausgehend ebenfalls über die Patentfähigkeit (Neuheit und erfinderische Tätigkeit) selbst zu entscheiden. Hierzu hat die Beschwerdeführerin lediglich pauschal auf ihren schriftlichen Vortrag im Prüfungsverfahren verwiesen.

5.2 Die Kammer ist der Auffassung, dass die Beschwerdesache auf den Zurückweisungsgrund (Artikel 123(2) EPÜ) der angefochtenen Entscheidung aufgrund folgender Überlegungen zu beschränken ist.

5.2.1 Die Mitteilung der Prüfungsabteilung vom 15. Januar 2016 mit dem expliziten Bezug auf die vorherige Mitteilung vom 24. Juni 2015, wo die Prüfungsabteilung ihre negative Meinung zur Patentfähigkeit (fehlende erfinderische Tätigkeit) des Gegenstands des Hilfsantrags 1 geäußert hat, stellt an sich keine Rechtsgrundlage dar, die von der Kammer zu überprüfen ist.

5.2.2 Darüber hinaus stellt die Kammer fest, dass die Prüfungsabteilung bei ihrer Analyse hinsichtlich des im Bescheid vom 24. Juni 2015 erhobenen Einwands nach Artikel 56 EPÜ den Aufgabe-Lösungsansatz nicht angewendet hat (vgl. Absatz 2 der Mitteilung).

5.3 Auf der Basis des dem Akteninhalt entnehmbaren Sachverhalts übt die Kammer ihr Ermessen im Rahmen von Artikel 111 (1) EPÜ dahingehend aus, die Angelegenheit zur weiteren Prüfung, insbesondere hinsichtlich Neuheit und erfinderischer Tätigkeit, an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 12 gemäß dem am 3. November 2015 eingereichten und mit der Beschwerdebegründung bestätigten Hilfsantrag 1 zur weiteren Prüfung zurückverwiesen.

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