T 2696/16 () of 8.6.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T269616.20210608
Datum der Entscheidung: 08 Juni 2021
Aktenzeichen: T 2696/16
Anmeldenummer: 03701466.9
IPC-Klasse: H05K 13/04
H01L 21/67
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 462 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: CHIPENTNAHMEVORRICHTUNG, BESTÜCKSYSTEM UND VERFAHREN ZUM ENTNEHMEN VON CHIPS VON EINEM WAFER
Name des Anmelders: ASM Assembly Systems GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: Mühlbauer GmbH & Co. KG
Kammer: 3.4.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention R 4
European Patent Convention 1973 Art 84
European Patent Convention 1973 Art 100(c)
European Patent Convention 1973 Art 114(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Schlagwörter: Sprache in der mündlichen Verhandlung - Übersetzungskosten
Sprache in der mündlichen Verhandlung - Übersetzung in eine Amtssprache des EPA
Ansprüche, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung, zugelassen (ja)
Spät eingereichte Dokumente - eingereicht mit der Beschwerdebegründung - Verfahrensökonomie - zugelassen (nein)
Orientierungssatz:

Dient eine Übersetzung lediglich der Annehmlichkeit einer Partei, ist dies kein ausreichender Grund für das Stellen der Übersetzung durch das EPA (siehe Entscheidungsgründe 1.1). Da keine Gründe für die verspätete Einreichung der prima facie hochrelevanten Dokumente genannt wurden (und auch nicht erkennbar sind), kam die Kammer folglich zu dem Schluss, in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 die Dokumente E12 bis E16 trotz ihrer hohen Relevanz nicht in das Verfahren zuzulassen, denn andernfalls könnte ein Einsprechender eine (hoch)relevante Entgegenhaltung immer ohne Weiteres erst mit der Beschwerdebegründung einreichen und darauf vertrauen, dass diese Entgegenhaltung im Beschwerdeverfahren wegen ihrer Relevanz zugelassen wird (siehe Entscheidungsgründe 1.2).

Angeführte Entscheidungen:
G 0009/91
G 0010/91
G 0003/14
T 0044/92
T 0693/98
T 0774/05
T 0418/07
T 0724/08
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0282/17

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Europäische Patent EP 1 470 747 mit der Anmeldenummer 03 701 466 in geänderter Form aufrechtzuerhalten.

II. Auf folgende Dokumente wird Bezug genommen:

E12: JP 2002-19957 A

E12': Englische Zusammenfassung der E12

E13: US 4 074 654 A

E14: WO 00/54564 A1

E15: US 5 501 005 A

E16: JP 8-247740 A

E16': Englische Zusammenfassung der E16

III. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) legte mit ihrer Beschwerdebegründung erstmals die Dokumente E12 bis E16 vor und stützte auf diese Dokumente ihre Einwände fehlender Neuheit und fehlender erfinderischer Tätigkeit. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) reichte mit ihrer Beschwerdeerwiderung vier Hilfsanträge ein.

IV. Mit Schriftsatz vom 30. April 2021 beantragte die Patentinhaberin, dass für einen ihrer in der mündlichen Verhandlung anwesenden Mitarbeiter eine Übersetzung aus der Verfahrenssprache Deutsch ins Englische und umgekehrt bereitgestellt werde. Diesen Antrag hat die Kammer in ihrer Mitteilung vom 7. Mai 2021 nicht genehmigt (siehe unten Abschnitt 1.1).

V. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 8. Juni 2021 statt. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents. Nachdem die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) ihren bisherigen zweiten Hilfsantrag zum Hauptantrag erhoben hatte, beantragte sie die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang mit folgender Fassung:

Ansprüche: Nr. 1 bis 13 gemäß Hauptantrag, eingereicht als zweiter Hilfsantrag mit Schreiben vom 7. Juli 2017

Beschreibung: Spalten 1 bis 8, eingereicht während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vom 8. Juni 2021

Zeichnung: wie erteilt

VI. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt (Merkmalskennzeichnungen "(A)" bis "(I)" durch die Kammer):

(A) Chipentnahmevorrichtung zum Entnehmen von Chips (100) von strukturierten Halbleiter-Wafern, mit

(B) einem drehbaren Entnahmewerkzeug (110) zum Entnehmen der Chips (100) von dem Wafer (400) und zum Wenden der entnommenen Chips (100) um 180° um ihre Längs- oder Querachse, und

(C) einem drehbaren Wendewerkzeug (130) zum erneuten Wenden der entnommenen Chips (100) um 180° um ihre Längs- oder Querachse,

(D) welches mit dem Entnahmewerkzeug (110) zusammenwirkt,

(E) wobei das Entnahmewerkzeug (110) eine erste Übergabeposition und

(F) das Wendewerkzeug (130) eine zweite Übergabeposition (140) aufweist,

(G) an welchen die Chips (100) zur Weiterverarbeitung an einen Bestückkopf (220, 240) übergebbar sind,

(H) wobei das drehbare Wendewerkzeug (130) mit dem Entnahmewerkzeug (110) an einer dritten, gemeinsamen Übergabeposition (160) des Entnahmewerkzeugs (110) und des Wendewerkzeugs (130) zusammenwirkt,

(I) wobei die dritte, gemeinsame Übergabeposition (160) des Entnahmewerkzeugs (110) und des Wendewerkzeugs (130) in einem Bereich geringsten Abstands zwischen dem Entnahmewerkzeug (110) und dem Wendewerkzeug (130) vorgesehen ist, an welcher erneut zu wendende Chips (100) von dem Entnahmewerkzeug (110) an das Wendewerkzeug (130) übergebbar sind.

Im Wesentlichen unterscheidet sich Anspruch 1 des gegenwärtigen Hauptantrags von Anspruch 1 wie er im Einspruchsverfahren aufrechterhalten wurde (hier "Anspruch wie aufrechterhalten") durch das Merkmal (I) (Unterstreichung von der Kammer hinzugefügt).

VII. Die Parteien haben im Wesentlichen die in den Entscheidungsgründen zusammengefassten Ausführungen vorgetragen.

Entscheidungsgründe

1. Verfahrensfragen

1.1 Antrag auf Übersetzung der mündlichen Verhandlung ins Englische von Amts wegen, Regel 4 (5) EPÜ

1.1.1 Die Patentinhaberin teilte in ihrem Schriftsatz vom 30. April 2021 mit, dass neben ihrem zugelassenen Vertreter auch die beiden Mitarbeiter in der Patentabteilung der Patentinhaberin Herr Dürr und Herr Emerson an der mündlichen Verhandlung teilnehmen würden. Letzterer, der auch zugelassener Vertreter vor dem EPA sei, beabsichtige, ebenfalls mündliche Ausführungen zu machen. Während sich der zugelassene Vertreter der Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung der Ver­fahrenssprache Deutsch bedienen würde, beantragte die Patentinhaberin für Herrn Emerson gemäß Regel 4 EPÜ, dass für ihn eine Übersetzung von der Verfahrenssprache Deutsch ins Englische und umgekehrt bereitgestellt werde.

1.1.2 Die Kammer hat diesen Antrag, wie in ihrem Bescheid vom 7. Mai 2021 ausgeführt, aus folgenden Gründen nicht genehmigt:

1.1.3 Schon der Wortlaut der einschlägigen Vorschriften in Regel 4 (1) Satz 1, (5) EPÜ ("anstelle"; "soweit erforderlich") zeigt, dass das Amt die Kosten für die Über­setzung nur für den Fall übernimmt, dass sich eine Partei nicht der Verfahrenssprache bedienen will (siehe T 774/05, Gründe 6.3: "In the view of the Board a party must be clear as to which official language it wishes to use"), nicht aber dann, wenn die Partei zusätzlich zu der von ihr verwendeten Verfahrenssprache sich einer zweiten Amtssprache bedienen will (vgl. T 44/92, Sachverhalt III: "... hat die Kammer den Beschwerde­führer unter Ablehnung seines Antrags darauf hingewiesen, daß er sich zusätzlich zu der von ihm gewählten Verfahrenssprache Deutsch nicht auf Kosten des Amtes einer zweiten Amtssprache bedienen könne ..."). Vorliegend teilte aber der zugelassene Vertreter der Patentinhaberin mit, die Verfahrenssprache Deutsch nutzen zu wollen.

1.1.4 Die genannten Regelungen sind ersichtlich nur zugunsten einer Partei gedacht, die sich nicht (hörend und/oder sprechend) der Sprache bedient, der sich die jeweils andere(n) Partei(en) bedient/bedienen. Dagegen kann eine Partei, die sich einer Sprache bedient, die von einem ihrer eigenen Mitarbeiter nicht verstanden wird, berechtigterweise keine kostenlose Übersetzung verlangen. Dient eine Übersetzung lediglich der Annehmlichkeit einer Partei, ist dies kein ausreichender Grund für das Stellen der Übersetzung durch das EPA (vgl. T 418/07, Gründe 4 bis 6: "In the board's view it is equally clear that a party which elects to use a language which is not understood by one of its own representatives or employees cannot for that reason request a free translation").

1.2 Zulassung der Dokumente E12 bis E16 in das Verfahren, Artikel 12 (4) VOBK 2007

1.2.1 Da die Frage der Zulassung der Dokumente E12 bis E16 in das Verfahren auch für die Frage der Zulassung der von der Patentinhaberin mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge eine Rolle spielt, hält es die Kammer für zweckmäßig, die erstgenannte Frage vorab zu klären.

1.2.2 Die Einsprechende hat mit der Beschwerdebegründung erstmals die Dokumente E12 bis E16 eingereicht. Eine Begründung, weshalb diese Dokumente nicht schon im Rahmen des Einspruchsverfahrens vorgelegt wurden, hat sie in der Beschwerdebegründung nicht gegeben. Auf andere Dokumente hat sie ihre Beschwerde nicht gestützt; insbesondere wurden die im Einspruchsverfahren relevanten Dokumente nicht mehr zur Beschwerdebegründung herangezogen.

1.2.3 Die Patentinhaberin beantragt, dass diese Dokumente als verspätet und gemäß Artikel 114 (2) EPÜ 1973 sowie Artikel 12 (4) VOBK 2007 nicht in das Verfahren zugelassen werden.

1.2.4 Artikel 12 (4) VOBK 2007 stellt es in das Ermessen der Kammer, Tatsachen, Beweismittel oder Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können oder dort nicht zugelassen worden sind.

1.2.5 Aus dem auf Überprüfung der angefochtenen Entscheidung gerichteten Zweck des verwaltungsgerichtlichen Einspruchsbeschwerdeverfahrens folgt, dass die Entscheidungen der Beschwerdekammern im Prinzip auf der Basis des Streitstoffes vor der Einspruchsabteilung ergehen. Hieraus lässt sich unmittelbar herleiten, dass der Streitstoff in zweiter Instanz von den Beteiligten nur eingeschränkt geändert werden kann. Dieser Grundsatz findet seine Entsprechung in Artikel 12 (4) VOBK 2007.

1.2.6 Im Beschwerdeverfahren soll kein gänzlich neuer Fall ("fresh case") geschaffen werden. Diese Vorschrift sanktioniert die Verletzung der Pflicht zur Verfahrensbeförderung in erster Instanz, d. h. der bis zu einem bestimmten Verfahrenszeitpunkt gebotenen, aber unterbliebenen Mitwirkung durch Vorlage von Tatsachen, Beweismitteln oder Anträgen, und dient daher sowohl dem Gebot eines fairen Verfahrens als auch der Verfahrensbeschleunigung (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 9. Auflage 2019, V.A.4.11.1).

1.2.7 Ausnahmsweise können erst im Beschwerdeverfahren eingereichte Dokumente zugelassen werden, wenn es im konkreten Einzelfall einen triftigen und plausiblen Grund hierfür gab, etwa, wenn es sich um eine normale Reaktion auf eine späte Entwicklung (z. B. in der mündlichen Verhandlung) im Einspruchsverfahren oder um eine außergewöhnliche Interpretation durch die Einspruchsabteilung zu einem späten Verfahrenszeitpunkt bzw. in ihrer Entscheidung handelt (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 9. Auflage 2019, V.A.4.11.3 a)).

1.2.8 Bei der Ausübung dieser Befugnis kann die Kammer die Zulassung einer Entgegenhaltung im Beschwerdeverfahren davon abhängig machen, ob diese Entgegenhaltung prima facie relevant ist. Die Kammer muss dies jedoch nicht tun, denn andernfalls könnte ein Einsprechender eine (hoch)relevante Entgegenhaltung immer ohne Weiteres erst mit der Beschwerdebegründung einreichen und darauf vertrauen, dass diese Entgegenhaltung im Beschwerdeverfahren wegen ihrer Relevanz zugelassen wird (siehe T 724/08, Gründe 3.4).

1.2.9 Im vorliegenden Fall ist zunächst festzustellen, dass die Einsprechende in Bezug auf Dokument E16 keinerlei Substantiierung vorgebracht hat.

1.2.10 Die Dokumente E12 bis E15 scheinen zwar für die Prüfung der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Gegenstandes hochrelevant zu sein. Weiterhin könnte berücksichtigt werden, dass das vorgebrachte Dokument E12 nur aus selbsterklärenden Figuren und einem Abstrakt besteht. Bei E13 und E14 handelt es sich auch jeweils nur um eine relevante Figur mit einer kurzen Beschreibung der Figur. In E15 sind nur Figuren 1 und 2 mit der kurzen dazugehörigen Beschreibung relevant. Diese Dokumente könnten also mit vertretbarem Zeitaufwand studiert werden.

1.2.11 Andererseits hätten diese Dokumente schon vor der Einspruchsabteilung vorgebracht werden können. Dann hätte die Einspruchsabteilung die Neuheit und erfinderische Tätigkeit des beanspruchten Gegenstandes gegenüber diesen Dokumenten prüfen können und die Kammer wäre in der Lage gewesen, die Entscheidung der Einspruchsabteilung in dieser Hinsicht zu überprüfen.

1.2.12 Zudem brachte die Einsprechende keine Argumente vor, warum diese Dokumente erst so spät eingereicht worden sind. Die Zulassung der Dokumente E12 bis E16 wurde in der mündlichen Verhandlung diskutiert. Auf konkrete Nachfrage der Kammer wurde von der Einsprechenden kein Grund für das verspätete Vorbringen der Dokumente E12 bis E16 genannt und nur darauf verwiesen, dass die Relevanz der Dokumente für sich spreche.

1.2.13 Die Kammer kann auch keine im konkreten Einzelfall triftigen und plausiblen Gründe für die verspätete Einreichung erkennen.

1.2.14 Da keine Gründe für die verspätete Einreichung der prima facie hochrelevanten Dokumente genannt wurden und auch nicht erkennbar sind, kam die Kammer zum Schluss, in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 die Dokumente E12 bis E16 nicht in das Verfahren zuzulassen.

1.3 Zulassung der Ansprüche des Hauptantrags (ehemals zweiten Hilfsantrags) in das Verfahren, Artikel 12 (4) VOBK 2007

1.3.1 In Anbetracht der Nichtzulassung der Dokumente E12 bis E16 hat die Einsprechende beantragt, die in der Beschwerdeerwiderung eingereichten neuen Hilfsanträge nicht zuzulassen, da sie eine Erwiderung auf die neuen Dokumente E12 bis E16 seien.

1.3.2 Die Patentinhaberin hat argumentiert, dass der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichte zweite Hilfsantrag inhaltlich auf den dritten Hilfsantrag im erstinstanzlichen Verfahren zurückgehe und sich nur durch eine sprachliche Umformulierung der Merkmale (H) und (I) unterscheide. Der Antrag sei eine direkte Reaktion auf die Einwände unter Artikel 123 (2) EPÜ, wie sie sowohl im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren als auch in der Beschwerdebegründung diskutiert worden seien. Durch Hinzufügen des Merkmals (I) würden alle Merkmale des ursprünglichen Anspruchs 6 in den Anspruch wie aufrechterhalten aufgenommen, um die Einwände der Zwischenverallgemeinerung auszuräumen. Da der Schutzumfang des Patents durch die nicht beschwerdeführende Patentinhaberin gemäß dem Prinzip des Verbots der reformatio in peius nicht erweitert werden dürfe, sei der Anspruchswortlaut wie aufrechterhalten beibehalten und formal nur durch das Merkmal (I) ergänzt worden, was zu einer sprachlichen Umformulierung bezüglich des ursprünglichen Anspruchs 6 geführt habe.

1.3.3 Die Patentinhaberin hat zusätzlich argumentiert, dass sie in der ersten Instanz nicht alle möglichen Einwände einer potentiellen Beschwerde hätte voraussehen können und vorbeugend entsprechende Hilfsanträge schon in der ersten Instanz hätte einreichen können.

1.3.4 Die Einsprechende hat eingewendet, dass die sprachliche Umformulierung zu einer Tautologie und damit Unklarheit geführt habe (siehe unten Abschnitt 5.). Es sei nicht klar, welcher Einspruchsgrund durch den ehemaligen zweiten Hilfsantrag ausgeräumt werde. Da die Dokumente E12 bis E16 nicht zugelassen worden seien, entfalle auch der Grund für die Einreichung dieses Antrags, welcher somit unter Regel 80 EPÜ und Artikel 12 (4) VOBK 2007 nicht in das Verfahren zuzulassen sei.

1.3.5 Die Kammer ist der Auffassung, dass in einem ersten Schritt nur die Zulassung unter Artikel 12 (4) VOBK 2007 zu entscheiden ist und erst für den Fall der Zulassung eine inhaltliche Diskussion in einem zweiten Schritt erfolgt. Gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 kann die Kammer nur solche Anträge nicht zulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können oder dort nicht zugelassen worden sind. Zu prüfen ist vorliegend nur die erste Konstellation.

1.3.6 Die Kammer ist der Meinung, dass die Ansprüche des mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten zweiten Hilfsantrags lediglich eine direkte Reaktion auf die Einwände in der Beschwerdebegründung unter Artikel 123 (2) EPÜ sind. Damit sollten die Einwände der Zwischenverallgemeinerung ausgeräumt werden (siehe hierzu Abschnitt 4.3); die Änderungen stellen jedoch keine Reaktion auf die von der Einsprechenden mit der Beschwerdebegründung neu vorgelegten Dokumente E12 bis E16 dar. Überdies hatte die Patentinhaberin keine Veranlassung, einen Antrag in Gestalt des ehemaligen zweiten Hilfsantrags bereits im Einspruchsverfahren einzureichen, da die Einspruchsabteilung den Einwand der Einsprechenden unter Artikel 123 (2) EPÜ nicht teilte. Im Übrigen lag mit dem dritten Hilfsantrag in erster Instanz schon ein Antrag mit gleichem Schutzumfang, aber geringfügig abweichender sprachlichen Formulierung der Merkmale (H) und (I) vor.

1.3.7 Die Kammer sieht folglich keine Gründe, die Ansprüche des Hauptantrags, welche den Ansprüchen des mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten zweiten Hilfsantrags entsprechen, gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 nicht in das Verfahren zuzulassen.

2. Die beanspruchte Erfindung

2.1 Die Erfindung betrifft eine Chipentnahmevorrichtung, bei welchem die Chips direkt von einem Halbleiter-Wafer entnommen werden. Gerade mit abnehmenden Gehäusegrößen und Montagekosten ist das Aufbringen von Halbleiterplättchen direkt auf ein Substrat entweder in gewendeter Ausrichtung als Flip-Chip oder in nichtgewendeter Ausrichtung auf Substraten wichtig. Die bekannten Chipentnahmevorrichtungen weisen einen gewöhnlichen "Pick-and-Place" Mechanismus auf, von welchem die Chips von einem Halbleiter-Wafer entnommen werden können, und zusätzlich eine Wendestation, an welche die entnommenen Chips zum Wenden derselben übergeben werden können.

2.2 Diese Vorrichtungen weisen jedoch den Nachteil auf, dass einerseits das Aufnehmen von Chips von dem Wafer und das Wenden der aufgenommenen Chips nacheinander durchgeführt werden müssen. Außerdem ist es erforderlich, eine diskontinuierliche Bewegung in einer ersten Richtung zum Aufnehmen der entsprechenden Chips und in einer entgegengesetzten zweiten Richtung zum Zurückkehren des Entnahmewerkzeuges in seine Ausgangsstellung durchzuführen. Bei bekannten Bestückvorrich­tungen und Bestücksystemen, welche auf hohen Durchsatz ausgelegt sind, wirken derartige Nachteile jedoch stark leistungsmindernd.

2.3 Es ist daher eine Aufgabe der Erfindung, eine Chipentnahmevorrichtung zum Entnehmen von Chips von einem Wafer anzugeben, bei welchem ein im Wesentlichen kontinuierlicher Betrieb mit hoher Stückleistung möglich ist. Diese Aufgabe wird gelöst durch einen radförmigen drehbaren Bestückkopf zur Aufnahme der Chips und einen gleichartigen Bestückkopf zum Wenden der Chips, die beide zusammenwirken (siehe Abschnitte [0001], [0002], [0008], [0009] des angefochtenen Patents).

3. Veranlassung der Änderungen durch einen Einspruchsgrund, Regel 80 EPÜ

3.1 Die Einsprechende hat die Ansicht vertreten, dass der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichte zweite Hilfsantrag gemäß Regel 80 EPÜ unzulässig sei, da in seinem unabhängigen Anspruch 1 mehrmals dasselbe Merkmal hinzufügt worden sei und dies eine tautologische Anspruchsergänzung darstelle, die keinen technisch-inhaltlichen oder auch nur sprachlichen Beitrag leiste.

3.2 Die Kammer kann diesen Einwand nicht nachvollziehen. Um den von der Einsprechenden erhobenen Einwand der Zwischenverallgemeinerung unter Verletzung von Artikel 123 (2) EPÜ zu beheben, hat die Patentinhaberin in ihrem ehemaligen zweiten Hilfsantrag dem Anspruch 1 wie aufrechterhalten das weitere Merkmal (I) hinzugefügt, mit welchem die "dritte, gemeinsame Übergabeposition" gemäß Merkmal (H) näher definiert und insbesondere das Merkmal "in einem Bereich geringsten Abstands" aufgenommen wurde. Die vorgenommene Änderung ist daher unproblematisch durch den Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ 1973 veranlasst, so dass kein Verstoß gegen Regel 80 EPÜ vorliegt.

3.3 Von dieser Frage zu unterscheiden ist der (inhaltliche) Einwand der Einsprechenden, dass mit dieser Änderung ein (neuer) Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ oder eine Unklarheit im Sinne von Artikel 84 EPÜ 1973 eingeführt worden sei.

4. Änderungen, Artikel 100 c) EPÜ 1973 bzw. Artikel 123 (2) EPÜ

4.1 Die Einsprechende hat im Beschwerdeverfahren insgesamt vier verschiedene Einwände vorgebracht, wonach der Gegenstand des Anspruchs 1 des gegenwärtigen Hauptantrags über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe, Artikel 100 c) EPÜ 1973 bzw. Artikel 123 (2) EPÜ.

4.2 "Wenden um 180°" - Merkmale (B) und (C)

4.2.1 Erstmals mit der Beschwerdebegründung hat die Einsprechende im Zusammenhang mit den Merkmalen (B) und (C) eingewandt, dass unter den beanspruchten Schutzbereich auch eine Ausführungsform der Chipentnahmevor­rich­tung falle, bei welcher der entnommene Chip mittels des Entnahmewerkzeugs zunächst um 180° um seine Längsachse, und darauf­hin mittels des Wendewerkzeugs um 180° um seine Querachse, gewendet wird, bzw. umgekehrt. Eine derartige Ausführungsform der Chipentnahmevorrich­tung gehe über den Offenbarungsgehalt der ursprünglichen Anmeldung­ hinaus.

4.2.2 Hinsichtlich der Berechtigung, diesen Einwand in diesem Verfahrensstadium zu erheben, verweist die Einsprechende auf die Entscheidung G 9/91 (ABl. EPA 1993, 408), wonach Ansprüche, die von einem im Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren vernichteten unabhängigen Anspruch abhängig sind, auch dann auf die Patentierbarkeit ihres Gegenstands geprüft werden können, wenn dieser nicht ausdrücklich angefochten worden ist, sofern ihre Gültigkeit durch das bereits vorliegende Informationsmaterial prima facie in Frage gestellt wird (siehe Leitsatz).

4.2.3 Die Patentinhaberin argumentiert, dass im vorliegenden Fall die Länge der Argumentation der Einsprechenden zur Frage der unzulässigen Erweiterung zeige, dass diese Frage eben nicht prima facie beantwortet werden könne. Die Patentinhaberin regte daher an, von der Befugnis des Artikels 12 (4) VOBK 2007 Gebrauch zu machen und in dem Beschwerdeverfahren nur diejenigen Aspekte einer möglichen unzulässigen Änderung zu behandeln, die von der Einsprechenden auch im Einspruchsverfahren geltend gemacht wurden.

4.2.4 Die Kammer ist der Auffassung, dass die in der Entscheidung G 9/91 behandelte Frage (s.o. Punkt 4.2.2) für die vorliegende Konstellation irrelevant ist. Entscheidend ist hier vielmehr, dass

a) der von der Einsprechenden vorgebrachte Einwand gemäß Artikel 123 (2) EPÜ sich auf die Merkmale (B) und (C) des Anspruchs 1 bezieht, deren konkrete Ausgestaltung bereits im Prüfungsverfahren vorgenommen wurde und die identisch bereits in der erteilten Fassung des Patents vorhanden sind. Die Einsprechende hat mit der Einspruchsschrift den Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 c) EPÜ 1973 nicht erhoben und auch im weiteren Verlauf des Einspruchsverfahrens im Zusammenhang mit diesen beiden Merkmalen keinen Einwand der unzulässigen Erweiterung erhoben. Dieser Einwand wurde vielmehr erstmals mit der Beschwerdebegründung vorgebracht.

4.2.5 Die Vornahme von Änderungen der Ansprüche im Einspruchsverfahren eröffnet dem Einsprechenden nicht die Möglichkeit, einen Einwand nach Artikel 123 (2) EPÜ gegen alle Änderungen der Ansprüche zu erheben, d.h. auch gegen diejenigen, die vor der Erteilung des Patents vorgenommen wurden, auch wenn ein solcher Einwand ursprünglich nicht als Einspruchsgrund genannt und begründet worden war. Aus der Entscheidung G 10/91 (ABl. 1993, 420, Nr. 19 der Gründe) folgt, dass nur die im Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren vorgenommenen Änderungen auf die Erfordernisse des EPÜ geprüft werden müssen, nicht jedoch die Änderungen vor der Erteilung (siehe T 693/98, Gründe 2; siehe auch Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 9. Auflage 2019, IV.C.3.4.3).

4.2.6 Aus den vorstehenden Gründen ist daher die Kammer der Auffassung, dass die Kammer den genannten Einwand unter Artikel 100 c) EPÜ im Hinblick auf die Merkmale (B) und (C) nur mit Zustimmung der Patentinhaberin prüfen darf (siehe T 693/98, Gründe 2). Die Patentinhaberin hat sich jedoch während der Verhandlung nochmals gegen die Prüfung dieses Einwands verwehrt.

4.2.7 Selbst wenn man im Übrigen zu Diskussionszwecken unterstellen würde, dass die Beschwerdekammer berechtigt ist, diesen konkreten Einwand unter Artikel 100 c) EPÜ zu überprüfen, ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass er ohne Weiteres bereits im Einspruchsverfahren hätte vorgebracht werden können und müssen. Es ist nicht ersichtlich und von der Einsprechenden auch nicht begründet worden, warum sie diesen Einwand erst im Beschwerdeverfahren vorgebracht hat. Die Kammer würde daher in Anwendung ihres Ermessens gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 diesen Angriff nicht in das Beschwerdeverfahren zulassen.

4.3 "Geringster Abstand" - Zwischenverallgemeinerung

4.3.1 Merkmal (H) - ohne Merkmal (I) - wurde im Einspruchsverfahren im Rahmen des aufrechterhaltenen Antrags in den erteilten Anspruch 1 hinzugefügt. Die Einsprechende hat im Zusammenhang mit Merkmal (H) im Einspruchsverfahren den Einwand unter Artikel 123 (2) EPÜ vorgebracht, dass eine Zwischenverallgemeinerung vorliege. Dieser Einwand wurde von der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung auch behandelt: Unter Punkt 5.1 der Gründe kam die Einspruchsabteilung zum Schluss, dass in Anbetracht der Geometrie der Anordnung das Merkmal, dass die dritte, gemeinsame Übergabeposition in einem Bereich geringsten Abstands zwischen dem Entnahmewerkzeug und dem Wendewerkzeug vorgesehen ist, als redundant anzusehen sei und damit im Anspruch weggelassen werden könne.

4.3.2 Der Einwand der Zwischenverallgemeinerung wurde im gegenwärtigen Anspruch 1 durch das Hinzufügen des Merkmals (I) ausgeräumt, in welchem die genannte Präzisierung bzgl. der dritten gemeinsamen Übergabeposition definiert ist. Die Grundlage in den ursprünglich eingereichten Unterlagen für die Merkmale (H) und (I) ist der ursprüngliche Anspruch 6.

4.4 Komma in "dritte, gemeinsame Übergabeposition"

4.4.1 Die Einsprechende hat während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer erstmals den Einwand vorgebracht, dass durch das Komma in dem beanspruchten Ausdruck "dritte, gemeinsame Übergabeposition" ein neuer, ursprünglich nicht offenbarter Sachverhalt gegenüber der Offenbarung im ursprünglichen Anspruch 6 und der Beschreibung ("dritte gemeinsame Übergabeposition" ohne Komma) geschaffen worden sei.

Eine "dritte gemeinsame Übergabeposition" (ohne Komma) würde eine "erste gemeinsame Übergabeposition" und "zweite gemeinsame Übergabeposition" voraussetzen, die sich von der beanspruchten "ersten Übergabeposition" und "zweiten Übergabeposition" unterschieden. Hingegen sei eine "dritte, gemeinsame Übergabeposition" eine "dritte Übergabeposition", welche überdies gemeinsam sei im Gegensatz zu der im Anspruch 1 definierten "ersten Übergabeposition" und "zweiten Übergabeposition", die nicht gemeinsam seien.

4.4.2 Die Einsprechende war also der Meinung, dass das Komma sowohl die Grammatik als auch den Schutzumfang im gegenwärtigen Hauptantrag in Bezug auf die Kombination der ursprünglichen Ansprüche 1 und 6 verändere.

4.4.3 Die Patentinhaberin rügte diesen Einwand als ver­spätet und beantragte, ihn nicht in das Verfahren zuzulassen. Die Kammer konnte jedoch die Frage der Zulassung offenlassen, da - wie nachfolgend er­läutert - bereits die Auslegung des Anspruchs zeigt, dass der Einwand nicht greift.

4.4.4 Die Kammer ist der Meinung, dass aus der Kombination der ursprünglichen Ansprüche 1 und 6 für den Fachmann schon eindeutig und unmittelbar hervorgeht, dass die im ursprünglichen Anspruch 6 erwähnte "dritte gemeinsame Übergabeposition" als eine "dritte Übergabeposition" zu verstehen ist, die im Vergleich zu der im ursprünglichen Anspruch 1 erwähnten "ersten Übergabeposition" und "zweiten Übergabeposi­tion" "gemeinsam" ist und dass es keine "erste gemeinsame" und "zweite gemeinsame" Übergabeposition geben kann. Durch das Komma wird also kein neuer Sachverhalt geschaffen, sondern nur auf semantischer Ebene eine Umformulierung bzw. Berichtigung umgesetzt, die nach dem Verständnis des Fachmanns schon in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen direkt und eindeutig offenbart war und den ursprünglichen Offenbarungsgehalt nicht verändert.

4.4.5 Es würde also im Kontext der ursprünglichen Ansprüche 1 und 6 keinen Sinn ergeben, eine "dritte gemeinsame Übergabeposition" technisch und grammatikalisch anders zu verstehen als eine "dritte, gemeinsame Übergabeposition".

4.5 Angebliche Tautologie

4.5.1 Die Einsprechende hat den Einwand vorgebracht, dass der Anspruchswortlaut wegen einer angeblichen Tautologie unklar sei. Während der mündlichen Verhandlung hat sie angedeutet, dass auch der ursprünglich in Anspruch 6 offenbarte Offenbarungsgehalt abgeändert werde. Da in Merkmal (H) und (I) direkt hintereinander der Ausdruck dritte(n), gemeinsame(n) Übergabeposition (160) des Entnahmewerkzeugs (110) und des Wendewerkzeugs (130) zweimal vorkomme, werde auch der Sachverhalt bzgl. der ursprünglichen Offenbarung abgeändert.

4.5.2 Wortlaut der beanspruchten Merkmale (H) und (I) (Hervorhebung durch die Kammer):

(H) wobei das drehbare Wendewerkzeug (130) mit dem Entnahmewerkzeug (110) an einer dritten, gemeinsamen Übergabeposition (160) des Entnahmewerkzeugs (110) und des Wendewerkzeugs (130) zusammenwirkt,

(I) wobei die dritte, gemeinsame Übergabeposition (160) des Entnahmewerkzeugs (110) und des Wendewerkzeugs (130) in einem Bereich geringsten Abstands zwischen dem Entnahmewerkzeug (110) und dem Wendewerkzeug (130) vorgesehen ist, an welcher erneut zu wendende Chips (100) von dem Entnahmewerkzeug (110) an das Wendewerkzeug (130) übergebbar sind.

Der ursprüngliche Anspruch 6 lautet dagegen:

6. Chipentnahmevorrichtung nach einem der vorangegangenen Ansprüche, wobei

in einem Bereich geringsten Abstands zwischen dem Entnahmewerkzeug (110) und dem Wendewerkzeug (130) eine dritte gemeinsame Übergabeposition (160) des Entnahmewerkzeugs (110) und des Wendewerkzeugs (130) vorgesehen ist, an welcher erneut zu wendende Chips (100) von dem Entnahmewerkzeug (110) an das Wendewerkzeug (130) übergebbar sind.

4.5.3 Die Patentinhaberin hat argumentiert, dass sie, um einem Einwand des Verbots der reformatio in peius vorzubeugen, den Wortlaut des Anspruchs wie aufrechterhalten beibehalten und nur das den "Bereich geringsten Abstandes" betreffende Merkmal (I) hinzugefügt habe. Dies habe es syntaktisch nötig gemacht, den Ausdruck "dritte, gemeinsame Übergabeposition (160) des Entnahmewerkzeugs (110) und des Wendewerkzeugs (130)" wieder aufzugreifen, um sich bei dem Merkmal "geringster Abstand" darauf zu beziehen. Diese Umformulierung sei weder unklar noch habe sie eine Änderung des Offenbarungsgehaltes zur Folge.

4.5.4 Die Kammer sieht auch die Wiederaufnahme des in Streit stehenden Merkmals als eine rein sprachliche Änderung, die keinen neuen Gegenstand erzeugt. Um auf der einen Seite formal den Wortlaut des aufrechterhaltenen Anspruchs beizubehalten, um so die Beachtung des Grundsatzes des Verbots der reformatio in peius sicherzustellen, und auf der anderen Seite den Einwand der Zwischenverallgemeinerung auszuräumen, ist es aus Sicht der Kammer legitim, ohne Änderung des Merkmals (H) das Merkmal (I), welches dem ursprünglich eingereichten Anspruch 6 wortgleich entspricht, hinzuzufügen.

4.6 Zusammenfassend ist die Kammer folglich der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, Artikel 123 (2) EPÜ.

5. Klarheit und Stützung durch die Beschreibung, Artikel 84 EPÜ 1973

5.1 Komma in "dritte, gemeinsame Übergabeposition" - Stützung durch die Beschreibung

5.1.1 Die Einsprechende rügte, dass in Absatz [0016] der Beschreibung im Gegensatz zum Wortlaut des Anspruchs 1 des gegenwärtigen Hauptantrags kein Komma in "gemeinsame dritte Übergabeposition" stünde.

5.1.2 Die Kammer ist der Meinung, dass der Fachmann beim Lesen der Beschreibung eindeutig "gemeinsame dritte Übergabeposition" im Sinne von "dritte Übergabeposition, die gemeinsam ist" verstehen würde. Dies ist nicht im Widerspruch zu den Ansprüchen.

5.2 Angebliche Tautologie

5.2.1 Die Einsprechende hat argumentiert, dass die oben erwähnte angebliche Tautologie zu einem Mangel an Knappheit und Klarheit führe. Das Merkmal (H) sei redundant, da es im Merkmal (I) vollständig enthalten sei.

5.2.2 Aus oben erwähnten Gründen kann die Kammer in der Wiederaufnahme des Ausdrucks keine Unklarheit erkennen. Die syntaktische Wiederaufnahme des Ausdrucks führt auch zu keinem Mangel an Knappheit. Sie dient lediglich einer weiteren Präzisierung des beanspruchten Gegenstandes. Im Merkmal (I) wird der Wortlaut des ursprünglichen Anspruchs 6 übernommen und das Zusammenwirken des Aufnahmewerkzeuges und Wendewerkzeuges genauer definiert bzw. dahingehend eingeschränkt, dass das beanspruchte Zusammenwirken die Übergabe des zu wendenden Chips von dem Entnahmewerkzeug an das Wendewerkzeug darstellt. Um formell einer reformatio in peius vorzubeugen, muss es der Patentinhaberin erlaubt sein, entsprechende semantische Umformulierungen zu machen, solange die Erfordernisse von Artikel 84 EPÜ 1973 und 123(2) EPÜ erfüllt sind.

5.3 Zusammenfassend ist die Kammer folglich der Auffassung, dass der gegenwärtige Anspruch 1 und die geänderte Beschreibung nicht gegen Artikel 84 EPÜ 1973 verstoßen.

6. Neuheit, erfinderische Tätigkeit, Artikel 52 (1) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54 und 56 EPÜ 1973

Die Einsprechende hat in der Beschwerdeinstanz ihre Einwände fehlender Neuheit und fehlender erfinderischen Tätigkeit (Artikel 52 (1) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54 und 56 EPÜ 1973) lediglich auf die Dokumente E12 bis E15 gestützt. Da diese Dokumente durch die Kammer nicht in das Verfahren zugelassen wurden, besteht im Beschwerdeverfahren für die Prüfung weiterer Einwände gegen den gegenwärtigen Hauptantrag über die oben geprüften Einwände hinaus keine Grundlage.

7. Schlussfolgerung

Da im Ergebnis unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin während des Einspruchsbeschwerde­verfahrens vorgenommenen Änderungen das Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügen, ist das Patent in geänderter Fassung gemäß Hauptantrag aufrechtzuerhalten (Artikel 101 (3) a) EPÜ und Artikel 111 (1) EPÜ 1973).

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit

der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent in geändertem Umfang mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:

Ansprüche: Nr. 1 bis 13 gemäß Hauptantrag, eingereicht als zweiter Hilfsantrag mit Schreiben vom 7. Juli 2017

Beschreibung: Spalten 1 bis 8, eingereicht während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vom 8. Juni 2021

Zeichnung: wie erteilt.

Quick Navigation