T 2125/16 () of 16.9.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T212516.20210916
Datum der Entscheidung: 16 September 2021
Aktenzeichen: T 2125/16
Anmeldenummer: 09008415.3
IPC-Klasse: E01C 19/48
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Straßenfertiger mit automatischer Motorsteuerung
Name des Anmelders: Joseph Vögele AG
Name des Einsprechenden: CATERPILLAR INC.
ABG Allgemeine Baumaschinen-Gesellschaft mbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 52(1)
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 025(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 025(2)
European Patent Convention Art 113(1)
European Patent Convention R 106
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - allgemeines Fachwissen
Spät eingereichte Tatsachen - eingereicht in der mündlichen Verhandlung
Spät eingereichte Tatsachen - Zugelassen (nein)
Spät eingereichte Beweismittel - Beweismitel hätte bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht werden können (ja)
Spät eingereichte Beweismittel - eingereicht mit der Beschwerdebegründung
Spät eingereichte Beweismittel - Zugelassen (nein)
Rügepflicht - Einwand zurückgewiesen
Rechtliches Gehör - mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer
Rechtliches Gehör - Verletzung (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/21
T 0234/93
T 0590/94
T 0671/94
T 0438/97
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) hat gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das Patent Nr. 2 281 947 in geänderter Fassung aufrechterhalten wurde, Beschwerde eingelegt.

II. Die Einspruchsabteilung stellte fest, dass der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 11 gemäß dem am 17. Juli 2015 eingereichten Hauptantrag die Erfordernisse der Artikel 84 und 123(2) EPÜ genügte und neu und erfinderisch im Sinne der Artikel 52(1), 54 und 56 EPÜ war. Die Neuheit und das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes der unabhängigen Ansprüche 1 und 11 wurden, unter anderen, unter Berücksichtigung des folgenden Standes der Technik anerkannt:

E5: US 2009/0142133 A 1

E6: JP-A-2003 214212 mit Übersetzung E6A

D5: US 2007/0234991 A1

D7: Artikel 'Hybridantriebe für Mobile Arbeitsmaschinen' aus O+P 11-12/2007

D8: Artikel 'Mit hochwertigem und sauberem Öl Energie und Kosten sparen' aus Der Bauunternehmer', Mai 2009

D9: US 2004/0262995 A1

D14: Artikel 'Ein Fest und eine Versammlung der Superlative' aus Tiefbau, September 2004

D15: Fachbeitrag 'Anwendung von geodätischen Positionsmesssystemen in Straßenbaumaschinen' von Henning Meyer

D17: DE 199 12 248 A1

D19: Auszug aus dem Buch 'Praktischer Straßenbau' - Band 2 - Oberbau von M. Blumer

D20: Auszug aus der Zeitschrift Tiefbau, Ausgabe 12/2000

Mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) folgende zusätzliche Entgegenhaltungen ein:

D21: DE 202 07 307 U1

D22: Dr.-Ing. A. Ulrich, Mannheim, 'Neue Straßenbautechnik', TIEFBAU 11/1996, S. 722-730.

D23: Peyret, F. and Tasky, R. (2002) 'Asphalt quality parameters tracability using electronic tags and GPS'- Proceedings of the Nineteenth International Symposium on Automation and Robotics in Construction, NIST, Gaithesburg, Seiten 155-60.

III. Am 28. Oktober 2019 erging eine erste Ladung zur mündlichen Verhandlung. In der am 04. Dezember 2019 versandten Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK legte die Kammer ihre vorläufige Meinung dar.

In der am 07. Mai 2020 versandten Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK bestätigte die die Kammer ihre vorherige Einschätzung der Beschwerde.

Am 01. Juli 2020 erging eine neue Ladung zur mündlichen Verhandlung am 16. September 2021.

Mit Schreiben vom 16. August 2021 brachte die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) weitere Argumente vor.

Mit Schreiben vom 17. August 2021 beantragte die weitere beteiligte (Einsprechende 1), die für den 16. September 2021 anberaumte mündliche Verhandlung aufgrund der noch bestehenden Covid19-bedingten Aus- und Einreiseschwierigkeiten, insbesondere des sehr beschränkten Flugangebotes und des mit einer Flugreise aus dem UK verbundenen relativ höheren Ansteckungsrisikos, per Videokonferenz (VICO) durchzuführen.

Diesem Antrag wurde von den anderen Beteiligten, zumindest bis zum Tag der mündlichen Verhandlung, nicht entgegengetreten.

Mit der Mitteilung vom 02. September 2021 teilte die Kammer den Parteien mit, dass die geplante mündliche Verhandlung per Videokonferenz (VICO) stattfinden wird.

Vor der mündlichen Verhandlung wand sich keine der Beteiligten gegen die Umwandlung der ursprünglich in Präsenz geplanten mündlichen Verhandlung in eine Videokonferenz (VICO).

Eine mündliche Verhandlung fand somit am 16. September 2021 per Videokonferenz (VICO) statt.

IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents. Während der mündlicher Verhandlung und kurz vor Schließung der sachlichen Debatte erhob die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) eine Rüge unter Regel 106 mit der Begründung, dass eine Videokonferenz keinen Ersatz für eine mündliche Verhandlung in Präsenz darstelle und als solche nicht ausreichend sei, rechtliches Gehör im Sinne des Artikels 113(1) EPÜ zu gewähren.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufrechterhaltung des Patents wie im Einspruchsverfahren aufrechterhalten (d.h. die Zurückweisung der Beschwerde), hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Grundlage eines der mit der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 1-5.

Die weitere Beteiligte (Einsprechende 1) stellte keine Anträge.

V. Anspruch 1 in der aufrechterhaltenen Fassung gemäß Hauptantrag lautet wie folgt (Merkmalsgliederung durch die Kammer):

(a) 'Selbstfahrende Maschine (1) zum Verarbeiten von bituminösem oder Beton-Einbaumaterial,

(a1) wobei die selbstfahrende Maschine (1) ein Straßenfertiger ist, umfassend:

(b) einen Verbrennungsmotor (6) als Primärantriebsquelle,

(c) eine Steuersignale empfangende Steuerung (11) für den Motor (6),

(d) wenigstens eine Pumpen-, Hydromotoren- oder hydrostatische Antriebseinheit für Funktions- und Arbeitskomponenten der Maschine,

(e) wenigstens einen ein Hydraulikmedium-Reservoir umfassenden Hydraulikkreis, und

(f) einen Taster zum Erzeugen eines Start-Steuersignals oder eines Stopp-Steuersignals,

dadurch gekennzeichnet, dass

(g) die Steuerung (11) dazu eingerichtet ist, automatisch auf den Empfang mindestens eines bestimmten Steuersignals das Anlassen und/oder Abschalten des Motors (6) zu veranlassen,

(h) und dass mindestens ein Sensor (14) zum automatischen Erkennen bestimmter Betriebszustände des Straßenfertigers und daraufhin

(i) zum Erzeugen eines Steuersignals für das Anlassen und/oder Abschalten des Motors (6) vorgesehen ist,

(j) wobei der Sensor (14) ein Temperatursensor ist,

(k) der zum Messen der Temperatur einer Einbaubohle (10) des Straßenfertigers (1) eingerichtet ist.'

Anspruch 11 in der aufrechterhaltenen Fassung gemäß Hauptantrag lautet wie folgt (Merkmalsgliederung der Kammer):

(a) 'Selbstfahrende Maschine (1) zum Verarbeiten von bituminösem oder Beton-Einbaumaterial,

(a1) wobei die selbstfahrende Maschine ein Straßenfertiger ist, umfassend:

(b)einen Verbrennungsmotor (6) als Primärantriebsquelle,

(c) eine Steuersignale empfangende Steuerung (11) für den Motor (6),

(d) wenigstens eine Pumpen-, Hydromotoren- oder hydrostatische Antriebseinheit für Funktions-und Arbeitskomponenten der Maschine,

e) wenigstens einen ein Hydraulikmedium-Reservoir umfassenden Hydraulikkreis, und

(f) ein Taster zum Erzeugen eines Start-Steuersignals oder eines Stopp-Steuersignals,

dadurch gekennzeichnet, dass

(g) dass die Steuerung (11) dazu eingerichtet ist, automatisch auf den Empfang mindestens eines bestimmten Steuersignals das Anlassen und/oder Abschalten des Motors (6) zu veranlassen,

(h) dass mindestens ein Sensor (14) zum automatischen Erkennen bestimmter Betriebszustände des Straßenfertigers und daraufhin

i) zum Erzeugen eines Steuersignals für das Anlassen und/oder Abschalten des Motors (6) vorgesehen ist, und

(l) dass der Straßenfertiger (1) ein Ortungs- und/oder Navigationssystem (15) aufweist,

m) wobei in Verbindung mit dem Ortungs- und/oder Navigationssystem (15) eine Einrichtung zum Ermitteln eines erwarteten Ankunftszeitpunktes eines anderen Baustellenfahrzeugs vorgesehen ist, wobei

n) die Einrichtung ausgebildet ist zum Erzeugen eines Steuersignals für die Steuerung (11), um über die Steuerung (11) das Anlassen oder Abschalten des Motors (6) zu veranlassen.

Entscheidungsgründe

HAUPTANTRAG

Erfinderische Tätigkeit: Artikel 52(1) und 56 EPÜ

1. Die Neuheit des Gegenstands der unabhängigen Ansprüche 1 und 11 gemäß Hauptantrag wurde nicht bestritten. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) sowie die weitere Beteiligte (Einsprechende 1) traten jedoch der Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung, dass der Gegenstand dieser Ansprüche auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne der Artikel 52(1) und 56 EPÜ beruhe, entgegen.

Anspruch 1

Offenbarung des Dokuments D17

Alle Parteien sind sich darin einig, dass D17 den nächstliegenden Stand der Technik für den Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 darstellt. Der technische Inhalt dieses Dokuments ist aber strittig. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) beanstandete die Merkmalanalyse der Einspruchsabteilung und vertrat die Auffassung, dass lediglich Merkmal (g), wonach

'die Steuerung (11) dazu eingerichtet ist, automatisch auf den Empfang mindestens eines bestimmten Steuersignals das Anlassen und/oder Abschalten des Motors (6) zu veranlassen',

sowie Merkmal (i), wonach der mindestens eine Sensor

'zum Erzeugen eines Steuersignals für das Anlassen und/oder Abschalten des Motors (6) vorgesehen ist'

in D17 nicht offenbart seien. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) war hingegen der Auffassung, dass sämtlichen Merkmale (c) bis (k) des Anspruchs 1 dem D17 nicht eindeutig und unmittelbar zu entnehmen seien.

1.1 Die strittige Frage, ob bzw. welche der kontroversen Merkmale (c) bis (f), (h), (j) und (k) des Anspruchs 1 in D17 offenbart sind, kann jedoch außer Acht gelassen werden, weil der Gegenstand des Anspruchs 1 - wie im Folgenden erläutert wird - allein aufgrund der unstrittigen unterscheidenden Merkmale (g) und (i) auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne der Artikel 52(1) und 56 EPÜ beruht.

1.2 Es besteht Übereinstimmung darüber, dass - ausgehend von D17 und anhand der oben genannten unterscheidenden Merkmale (g) und (h) - die zu lösende technische Aufgabe darin besteht, den Kraftstoffbedarf eines Straßenfertigers zu reduzieren.

1.3 Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) trug folgende Angrifflinien zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit vor:

D17 in Kombination mit Fachwissen, D7, D8, D9 oder D14

1.4 Hinsichtlich dieser Angrifflinien verwies die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) während der mündlichen Verhandlung auf ihren schriftlichen Vortrag. Die Kammer sieht keinen Grund von ihren vorläufiger Einschätzung abzuweichen, die hiermit bestätigt wird und wie folgt lautet:

Es ist der Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) zuzustimmen, dass der aus dem D17 bekannte Straßenfertiger mit einem Temperatursensor (A) in der Einbaubohle (B) gemäß Merkmal (h) des Anspruchs 1 sowie mit einem weiteren Temperatursensor (T) in der Wicklung des Drehstromgenerators (G) ausgestattet ist. Diese Sensoren dienen dem automatischen Erkennen bestimmter, insbesondere kritischer Betriebszustände, nämlich einer Überhitzung der Heizelemente (E) in der Einbaubohle und/oder einer Überhitzung der Wicklung des Drehstromgenerators (G). Nach Erkennen einer auftretenden Überhitzung wird die Heizeinrichtung über eine Steuervorrichtung (C), die ein entsprechendes Kontrollsignal von den Temperatursensoren empfängt, taktweise ausgeschaltet, um die Heizelemente bzw. den Drehstromgenerator thermisch zu schützen. Bei dem Straßenfertiger gemäß D17 findet kein Anlassen und/oder Ausschalten des Motors durch die Steuereinrichtung (C) anhand eines von den Temperatursensoren (A,T) erzeugten Signals statt, wie hingegen von Merkmalen (g) und (i) des Anspruchs 1 eindeutig verlangt wird. Wie von der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) unter Bezug auf die Passagen in der Spalte 5, Zeilen 26 bis 59 der Beschreibung des D17 zutreffend argumentierte wurde, erfolgt das oben beschriebene, getaktete Aus- und Einschalten der Heizelemente während der Fahrt des Straßenfertigers, d.h. bei laufendem Motor. Ein Hinweis auf das Anlassen und/oder Abschalten des Motors, veranlasst durch ein Signal, das von den Temperatursensoren erzeugt wird, ist dem D17 gar nicht zu entnehmen.

1.5 Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) vertrat die Auffassung, dass eine Modifizierung der Steuerung des bekannten Straßenfertigers im Sinne der in D17 fehlenden Merkmale (g) und (i) des Anspruchs 1 für den Fachmann, schon aufgrund seines eigenen Fachwissens, auf der Hand liege. In diesem Zusammenhang kritisierte sie vehement die ihrer Auffassung nach falsche Einschätzung des Fachwissens des in Frage kommenden Fachmannes seitens der Einspruchsabteilung, die angeblich zu der angefochtenen Entscheidung der Einspruchsabteilung geführt habe. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) argumentierte, dass die unterscheidenden Merkmale (g) und (i) lediglich eine triviale Umsetzung der seit Jahrzehnten wohlbekannten Motorsteuerung 'Start-Stopp-Automatik' darstellen. Ein solches automatisches Anlassen/Abschalten eines Motor sei bereits vor der Priorität des Streitspatents bei allen PKW, LKW und Straßenbaumaschinen eingesetzt worden, wie aus jedem der D7, D8, D9 und D14 hervorgehe, und zwar nicht nur zum Zweck der Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs, sondern auch um den geltenden, umweltbezogenen Vorschriften für die Reduktion der Lärmemissionen und der Co2-Emissionen nachzukommen. Der Fachmann hätte somit, auch im Hinblick auf die schon zum Zeitpunkt der angeblichen Erfindung etablierte Sensibilität der Bevölkerung für den Umweltschutz, eine 'Start-Stopp-Automatik' in den Straßenfertiger gemäß D17 eingebaut, um den Kraftstoffverbrauch zu reduzieren und gleichzeitig die oben genannten Vorschriften einzuhalten. Nach der Auffassung der Beschwerdeführerin (Einsprechende 2), handele es sich beim Streitpatent lediglich um die triviale Umsetzung des wohl bekannten Prinzips, wonach der Motor automatisch ausgeschaltet wird, wenn er nicht gebraucht wird, bei einem Straßenfertiger. Dieses Prinzip sei bereits vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents bei Straßenbaumaschinen verwendet worden (vgl. D7, D8, D9 und D14). Die Verwendung dieses Prinzips im aus dem D17 bekannten Straßenfertiger würde unmittelbar zu einer Steuerungsart gemäß Merkmalen (g) und (i) des Anspruchs 1 führen, wonach der Motor ausgeschaltet wird, wenn keine Heizung der Einbaubohle und somit kein Antrieb des Drehstromgenerators durch den Motor benötigt wird, und dann wieder angelassen, wenn die Temperatur unter einen kritischen Sollwert, der von der Eigenschaften der Asphaltmischung bestimmt wird, sinkt. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) argumentierte, dass eine Modifizierung der Steuerungsart des Straßenfertigers gemäß D17 im Sinne der Merkmale (g) und (h) des Anspruchs 1 für einen Fachmann, der bekannterweise immer Entwicklungsschritte in Richtung einer höheren Automatisierung der wichtigsten Funktionen einer Baumaschinemaschine anstrebe, eine naheliegende Vorgehweise darstelle, die das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit nicht begründen könne.

1.6 Die Argumentation der Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) überzeugt nicht.Ausgehend von D17 und auf der Suche nach einer Lösung der gestellten technische Aufgabe, hat der Fachmann keinen naheliegenden Anlass, das Signal des Temperatursensors (A) in der Einbaubohle des bekannten Straßenfertigers - anstatt zum Ein- und Ausschalten der Heizeinrichtung - zum Anlassen bzw. Abschalten des Motors zu verwenden. Eine solche Modifizierung der Steuerung des bekannten Straßenfertigers ist den zitierten Passagen der Dokumente D7, D8, D9, D14 gar nicht zu entnehmen. Diese Entgegenhaltungen offenbaren lediglich die oben genannte und wohl bekannte Maßnahme, den Motor automatisch zu stoppen, wenn er nicht benötigt wird, um den Kraftstoffbedarf zu verringern. Ein Zusammenhang des automatischen Anlassens/Ausschaltens des Motors mit der Überwachung der Temperatur in der Einbaubohle ist den zitierten Entgegenhaltungen gar nicht zu entnehmen. Die Kammer schließt sich somit der Einschätzung der Einspruchsabteilung an, dass das Dokument D17 selbst in Kombination mit irgendeinem der Dokumente D7, D8, D9 und D14 den Gegenstand des Anspruchs 1 nicht nahelegt. Die Einschätzung der Einspruchsabteilung ist daher zu bestätigen.

D17 in Kombination mit D20

1.7 Während der mündlichen Verhandlungen erweiterte die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) die mit der Beschwerdebegründung vorgebrachten Ausführungen zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 basierend auf D17 in Kombination mit D20. Ungeachtet der von der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) auggeworfenen Frage der Zulassung dieses wohl geänderten und verspäteten Vortrags, wäre diese Argumentationslinien auch in der Sache nicht erfolgreich:

1.8 Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) verwies auf die Passage auf Seite 288 der Druckschrift D20, linke Spalte, Untertitel 'Die Elektrobohle', die lautet:

'Der Heizvorgang selbst lässt sich bedarfsgenau steuern an Hand dreier voneinander unabhängiger Regelkreise. Eine integrierte Temperaturregelung sorgt für gleichbleibende Heizleistung an der Bohle. Über eine elektronische Steuerung wird die Drehzahl des Dieselmotors dem Bedarf der Elektroheizung angepasst.'

Es wurde ausgeführt, dass die in dieser Passage vorgeschlagene Anpassung der Drehzahl des Dieselmotors an den Bedarf der Elektroheizung der Einbaubohle für den Fachmann die Möglichkeit einschließe, die Drehzahl des Dieselmotors bis auf Null zu setzen (d.h. den Motor ausschalten), wenn keine Elektroheizung benötigt wird (Bedarf=0). Diese Steuerungsart entspreche genau der Lehre der unterscheidenden Merkmale (g) und (i) des Anspruchs 1. Da es sich bei dem Dokument D20 ebenfalls um eine elektrisch geheizte Einbaubohle für einen Straßenfertiger handele, führte die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) aus, dass der Fachmann diese Steuerungsart, die der wohlbekannten Start-Stopp-Automatik entspreche, in den bekannten Straßenfertiger aufnehmen würde, um den Kraftstoffverbrauch, die Lärmemissionen und die CO2-Emissionen zu reduzieren. Ein solcher Schritt gehöre zum allgemeinen Fachwissen eines Fachmanns, der ohne weiteres ein höheres Maß an Automatisierung der wichtigsten Funktionen eines Straßenfertigers anstreben würde, und könne daher für sich genommen das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit nicht begründen.

1.9 Auch diese Argumentation kann aus folgen Gründen nicht überzeugen:

Wie die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) überzeugend ausgeführt hat, wird der Fachmann unter Anpassung der Drehzahl eines Verbrennungsmotors eine kontinuierliche Regelung der Drehzahl zwischen einer Leerlaufdrehzahl (d.h. Motor an, kein Gaspedal, Drehzahl>0) und einer Höchstdrehzahl verstehen, aber keinesfalls eine manuelle oder automatische Steuerung, die zu einem kompletten Ausschalten des Motors (kein Leerlauf/Drehzahl=0) führt. D20 lehrt konkret, die Drehzahl des Motors zu erhöhen, wenn die Temperatur der Asphaltmischung in der Einbaubohle unter einen bestimmten kritischen Sollwert fällt bzw. zu reduzieren wenn die gewünschte Temperatur erreicht und stabilisiert wird und somit weniger bzw. kein Strom für die Heizelemente benötigt wird. Dies erfolgt aber bei laufendem Motor. Ein komplettes Abschalten bzw. ein Anlassen des Motors, veranlasst durch ein Signal des Temperatursensors der Einbaubohle ist weder offenbart noch dem D20 in naheliegender Weise zu entnehmen. Die Kombination des Dokuments D17 mit der Lehre der Druckschrift D20 kann somit nicht in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 führen.

Anspruch 11

2. Die Alternative gemäß dem unabhängigen Anspruch 11 des Streitpatents unterscheidet sich vom Gegenstand des Anspruchs 1 dadurch, dass das Signal für das Anlassen oder Abschalten des Motors nicht von einem Temperatursensor der Einbaubohle, sondern von einer Einrichtung zum Ermitteln eines erwarteten Ankunftszeitpunktes eines anderen Baustellenfahrzeugs erzeugt wird, die in Verbindung mit einem am Straßenfertiger vorgesehen Ortungs- und/oder Navigationssystem steht (vgl. Merkmale (l) to (n) des Anspruchs 11).

2.1 Folgende Angrifflinien wurden von der Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) vorgebracht:

D5 in Kombination mit Fachwissen, D9, D15 oder D19

3. D5 betrifft ein Verfahren zum Anlassen oder Abschalten eines Motors, der beispielweise auch zum Antreiben eines Straßenfertigers (vgl. Absatz [0029], 'paver') einsetzbar ist. D5 enthält keinerlei Hinweis auf die Verwendung eines Ortungs- und/oder Navigationssystems auf einer Straßenbaumaschine, was von der Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) nicht bestritten wurde. Es ist somit unstrittig, dass die Merkmale (l), (m) und (n) des unabhängigen Anspruchs 11 dem D5 nicht eindeutig und unmittelbar zu entnehmen sind.

3.1 Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) argumentierte, dass ein Ortungs- und/oder Navigationssystems - genau so wie die 'Start-Stopp-Automatik' des Anspruchs 1 - eine vor der Priorität des Streitpatents weitgehend verbreitete Standardausstattung jeder Art von Kraftfahrzeugen darstelle, die der Fachmann ohne erfinderisches Zutun auf den Straßenfertigern gemäß D5 übertragen würde. Die Verwendung eines GPS Systems in Kombination mit einer 'Start-Stopp-Automatik' in Straßenbaumaschinen zur Optimierung der Logistik auf der Baustelle sei durch D9 (vgl. Spalte 5, Absatz [0045]), D15 (siehe insbesondere Seite 7, Abbildung 7 betreffend die Integration des LKW-Transports und des Straßenfertigers in das Baustellenmanagementsystem), sowie durch D19 (Erzielung eines kontinuierlichen Einbauvorgangs) nahegelegt. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) behauptete, dass der Fachmann - zum Zweck der Reduzierung des Kraftstoffbedarfs und zur Optimierung der Logistik auf der Baustelle - den Straßenfertiger gemäß D5, der bereits mit einer Start-Stopp-Automatik versehen ist, ohne weiteres auch mit einem Ortungs- und/oder Navigationssystem gemäß D9, D15 oder D19 ausstatten würde, um das Anlassen und/oder Abschalten des Motors in Abhängigkeit von dem Ankunftszeitpunkt eines anderen, auf der Baustelle mit dem Straßenfertiger kooperierenden Baustellenfahrzeugs zu steuern, nämlich um Wartezeiten bei laufendem Motor zu vermeiden.

3.2 Die Ausführungen der Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) sind aus folgenden Gründen nicht überzeugend:

D9 und D15 beschreiben tatsächlich die Verwendung von Ortungs- und Navigationssystemen in Straßenbaumaschinen zu verschieden Zwecken. In D19 wird lediglich auf die Notwendigkeit eines möglichst kontinuierlichen Einbauvorgangs hingewiesen, was die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) in engerem Zusammenhang mit der Verwendung eines Ortungs- und/oder Navigationssystem sieht. Wie zutreffend von der Einspruchsabteilung im Einklang mit der Argumentation der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) festgestellt wurde, ist diesen Entgegenhaltungen keine Einrichtung zur Steuerung des Anlassens bzw. des Abschaltens des Motors einer Baumaschine anhand der von einem Ortungs- und Navigationssystem empfangenen Signale in Abhängigkeit von dem berechneten Ankunftszeitpunkt eines anderen Baustellenfahrzeugs geliefert werden, d.h. im Sinne der Merkmale (m) und (n), zu entnehmen. Die Kammer stimmt somit der Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung zu, dass Dokument D5 selbst in Kombination mit der Lehre irgendeiner der Entgegenhaltungen D9, D15 oder D19 nicht in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 11 führen kann.

Zulassung der Entgegenhaltungen D21-D23

4. Die Entegegenhaltungen D21 bis D23 wurden zum ersten Mal mit der Beschwerdebegründung eingereicht. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, diese Entgegenhaltungen sowie die darauf beruhenden Ausführungen zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit der Beschwerdeführerin (Einsprechende 2), d.h. D21 in Kombination mit D22 bezüglich des Anspruchs 1 und D5 in Kombination mit D23 bezüglich des Anspruchs 11, als verspätet zu betrachten und nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

4.1 Der Antrag auf Zulassung der Entgegenhaltung D21 bis D23 und der darauf basierenden Argumentationslinien wurde von der Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) wie folgt begründet:

Die Einspruchsabteilung sei aufgrund einer fehlerhaften und für die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) überraschenden Einschätzung des Fachwissens des hier angesprochenen Fachmanns zum Zeitpunkt des Streitpatents zu der angefochtenen Entscheidung gekommen. In diesem Zusammenhang und bezugnehmend auf die Rechtsprechung der Beschwerdekammern (T0234/93, T0590/94, T0671/94 und T0438/97) erklärte die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2), dass ein Nachweis für die Behauptung, etwas habe zu einem bestimmten Zeitpunkt zum allgemeinen Fachwissen des Fachmannes gehört, nur erforderlich sei, wenn diese Behauptung von einer anderen Beteiligten oder von der zuständigen Instanz des EPA in Frage gestellt werde. Da zum ersten Mal mit der Zustellung der angefochtenen Entscheidung klar geworden sei, dass sich die Einspruchsabteilung den Ausführungen der Beschwerdeführerin zum Fachwissen des zuständigen Fachmannes nicht anschließen konnte, habe die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) keinen Anlass gehabt, die Entgegenhaltungen D21 bis D23, die gerade dem Nachweis der tatsächlichen Fachkenntnisse des angesprochenen Fachmannes dienen sollten, noch im erstinstanzlichen Verfahren vorzulegen. Aus diesen Gründen sei die erstmalige Vorlage dieser Entgegenhaltungen mit der Beschwerdebegründung als ummittelbare und gerechtfertigte Reaktion der Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) auf die angefochtene Entscheidung anzusehen.

4.2 Gemäß Artikel 12(4) VOBK 2007, der in dieser Beschwerde im Hinblick auf die Übergangsbestimmungen des Artikels 25(2) VOBK 2020 anzuwenden ist, liegt es im Ermessen der Kammer, Tatsache und Beweismittel nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können und sollen.

4.3 Dem Argument der Beschwerdeführerin (Einsprechende 2), dass die Einschätzung der Fachkenntnisse in der angefochtenen Entscheidung derart fehlerhaft und unerwartet gewesen sei, das die Vorlage der Entgegenhaltungen D21 bis D23 erstmalig mit der Beschwerdebegründung gerechtfertigt sei, ist aus folgenden Gründen zu widersprechen:

Eine Entscheidung, in welcher die Einspruchsabteilung das Fachwissen des Fachmannes anders als von einer Partei erwartet, sondern so wie von der anderen Partei vorgetragen,einschätzt, stellt lediglich eine nicht auszuschließende Möglichkeit dar, die im Laufe eines Einspruchsverfahrens von jeder Partei vorherzusehen ist. Dies gilt in vorliegenden Fall um so mehr, weil die vorläufige Meinung der Einspruchsabteilung die Frage des Vorliegen einer erfinderische Tätigkeit ganz offen gelassen hatte (vgl. Punkt 4). Vor diesem Hintergrund ist die Kammer davon überzeugt, dass die kritisierte Einschätzung der Einspruchsabteilung bezüglich des Fachwissens des Fachmannes, die zu der angefochtenen Entscheidung führte, für die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) nicht derart unerwartet oder überraschend gewesen sein kann, dass es die Vorlage von völlig neuen und weit über die Darlegung des Fachwissens hinausgehenden Beweismitteln erstmals im Beschwerdeverfahren rechtfertigt.

4.4 Entscheidend ist insoweit nämlich, wie auch von der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) betont wurde, dass die Entgegenhaltungen D21 bis D23 - anders als von der Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) behauptet - nicht lediglich zum weiteren Beleg des Fachwissens im Rahmen früherer und nicht erfolgreicher, erstinstanzlicher Angriffslinien mangelnder erfinderischer Tätigkeit eingereicht wurden. Sie werden vielmehr verwendet, um zwei vollkommen neue Argumentationslinien hinsichtlich des behaupteten Mangels an erfinderischer Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 bzw. des Anspruchs 11 herzuleiten und zu belegen, nämlich D21 in Kombination mit D22 bzw. D5 in Kombination mit D23. Hierzu merkt die Kammer an, dass die Entgegenhaltung D21 keine Fachliteratur ist, die üblicherweise zum Nachweis des in Frage kommenden Fachwissens jederzeit zu berücksichtigen ist, sondern eine Gebrauchsmusterschrift, die zum ersten Mal mit der Beschwerdebegründung als alternativer nächstliegender Stand der Technik für den Gegenstand des Anspruchs 1 anstatt D17 verwendet wurde. Aus diesem ganz neuen nächstliegenden Stand der Technik ergibt sich somit offensichtlich ein vollkommen neuer Vortrag zur angeblich mangelnden erfinderischen Tätigkeit, der erstmalig mit der Beschwerdebegründung präsentiert wird.

4.5 Aus den oben angegebenen Gründen ist die Kammer, in Ausübung des Ermessen nach Artikel 12(4) VOBK 2007, zum Schluss gekommen, dass die Entgegenhaltungen D21 bis D23 sowie die darauf basierenden Angrifflinien bereits während des Verfahrens vor der ersten Instanz hätten vorgelegt werden können und müssen, und daher nicht zuzulassen sind.

4.6 Ergänzend wird darauf hingewiesen,, dass die neuen Argumentationslinien wohl auch in der Sache nicht hätten erfolgreich sein können, weil keine der Entgegenhaltungen D21 bis D23 über den Inhalt des vor der ersten Instanz gelten gemachten Standes der Technik hinausgeht. D21 betrifft einen Straßenfertiger mit einer elektronischen Überwachungseinrichtung zur optischen Überwachung des Abstandes des Straßenfertigers vom Fahrbahn bzw. von der Randmarkierung. Anhand der von dieser Überwachungseinrichtung erzeugten Signale wird die Lenkung/Fahrtrichtung des Straßenfertigers automatisch korrigiert. Es geht somit gar nicht um einen Temperatursensor in der Einbaubohle, der über eine Steuerung das Anlassen und/oder Abschalten des Motors veranlasst, wie hingegen von Anspruch 1 verlangt wird. Ein solches Konzept ist auch dem D22 gar nicht zu entnehmen. Dokument D23, das in Kombination mit dem Dokument D5 verwendet wird, betrifft die Verwendung von GPS Systemen in Zusammenhang mit der Kontrolle der Qualität der durchgeführten Asphaltierung und geht somit hinsichtlich der Merkmale ((m) und (n) des Anspruchs 11 nicht über den Inhalt der Druckschriften D15 oder hinaus.

AUSFÜHRUNGEN DES BETEILIGTEN 1 (EINSPRECHENDE 1)

5. Die weitere Beteiligte (Einsprechende 1) führte während der mündlichen Verhandlung aus, dass Anspruch 1 einige funktionell von einander unabhängigen Merkmale enthielt, nämlich die Merkmale (d) und (e) betreffend das Vorhandensein einer hydraulische Antriebseinheit wie es aus E6 oder D17 bekannt sei, das Merkmal (f) betreffend das Vorhandensein eines Tasters zum Erzeugen eines Start- oder Stopp-Signals, wie es aus D17 bekannt sei, und die Merkmale (g) und (i) betreffend das Anlassen und/oder Abschalten des Motors anhand eines von einem, im Anspruch 1 vermeintlich nicht klar definierten Sensor erzeugten Steuersignals, wie es jedenfalls aus E6 bekannt sei. Die weitere Beteiligte (Einsprechende 1) kam somit zum Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 auch von der Kombination von D17 mit E6 nahegelegt sei. Hinsichtlich des Anspruchs 11 bemängelte sie, dass die "Einrichtung" gemäß Merkmal (m) gar nicht strukturell definiert sei, so dass weder ein klarer, technischer Zusammenhang zwischen den Merkmalen (m) und (n) noch eine damit verbundene technische Wirkung zu erkennen sei. Zum Schluss erklärte die weitere Beteiligte, dass der Gegenstand des Anspruchs 11 im Hinblick auf die Kombination von D5 mit E5 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Im Übrigen schloß sie sich den Ausführungen der Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) an.

5.1 Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beanstandete, dass die Beteiligter während des gesamten schriftlichen Beschwerdeverfahrens keinen Vortrag unterbreitet habe, und beantragte daher, diese sehr verspäteten neuen Ausführungen zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit nicht zu berücksichtigen.

5.2 Die Kammer stellt fest, dass die weitere Beteiligte (Einsprechende 1) - abgesehen von ihrem Antrag auf Videokonferenz (VICO) - tatsächlich bis zum Tag der mündlichen Verhandlung überhaupt keinen schriftlichen Beitrag zum Beschwerdeverfahren geleistet hatte. Die mündlichen Ausführungen der Beteiligten (Einsprechende 1) zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes der Ansprüche 1 und 11 stellen somit offensichtlich eine Änderung des Beschwerdevorbringens im Sinne von Artikel 13(1) VOBK 2020 dar, deren Zulassung im Ermessen der Kammer liegt.

5.3 Gemäß Artikel 13(1) VOBK 2020 berücksichtigt die Kammer bei der Ausübung ihres Ermessens, unter anderem, die Komplexität des neuen Vorbringens, den Stand der Verfahrens und die mögliche Auswirkung auf die Verfahrensökonomie.

5.4 Die Kammer stellt fest, dass keinerlei Begründung für den sehr verspäteten Vortrag der Beteiligten (Einsprechende 1) angegeben wurde. Außerdem ist es unbestreitbar, dass dieser ganz neue Vortrag bereits im Laufe des schriftlichen Beschwerdeverfahrens hätte präsentiert werden können. Die Beteiligte (Einsprechende 1) hat sich aber darüber entschieden, bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzuwarten. Dies hat aber zur Folge dass jetzt neue Fragen in einer sehr späten Phase des Beschwerdeverfahrens aufgeworfen werden, deren Klärung eine vollkommen neue und komplexe Diskussion benötigen wird, was wiederum auf die Verfahrensökonomie negativ auswirken werde.

5.5 Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) unterstützt die Zulassung des neuen Vortrags der Beteiligten (Einsprechende 1) mit der Begründung, dass es ansonsten überhaupt keinen Sinne machen würde, eine Beteiligte zu einer mündlichen Verhandlung zu laden, und dann ihren Vortrag nicht zu berücksichtigen.

5.6 Dieser Argumentation kann nicht zugestimmt werden. Die weitere Beteiligte ist nicht daran gehindert, den Vortrag der anderen Parteien in der mündlichen Verhandlung zu kommentieren und im Rahmen dessen, was von den anderen Parteien fristgerecht vorgetragen wurde, auch ergänzende Ausführungen zu machen, die keine Änderung des Streitstoffes darstellen, sondern diesen nur aus einem anderen Blickwinkel erhellen. Eine Ladung zur Verhandlung ist daher keineswegs sinnlos.

5.7 Sie darf aber umgekehrt nicht als Freibrief zur beliebigen Ergänzung des bereits vorhandenen Streitstoffs missverstanden werden: Die weitere Beteiligte (Einsprechende 1) hätte ihren Vortrag ohne weiteres während der schriftlichen Beschwerdeverfahrens präsentieren können, hat sich aber aus freiem Willen für eine andere Verfahrenstrategie entschieden und in Kenntnis der Verspätungsvorschriften ihre vom sonstigen Streitstoff völlig abweichenden Ausführungen erstmalig während der mündlichen Verhandlung vorgetragen.

5.8 Unter diesen Umständen und in Ausübung des Ermessens nach Artikel 13(1) VOBK 2020 entscheidet die Kammer, den gesamten Vortrag der weiteren Beteiligten (Einsprechende 1), sofern er über den vom Vortrag der Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) gesteckten Rahmen hinausgeht, nicht zu berücksichtigen.

6. Die Kammer hat damit im Ergebnis keinen Grund, von der Einschätzung der Einspruchsabteilung abzuweichen, dass der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 11 des Hauptantrags in der aufrechterhaltenen Fassung auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne der Artikel 52(1) und 56 EPÜ beruht.

RÜGE UNTER REGEL 106 EPÜ

7. Nachdem der Vorsitzende die vorläufige Auffassung der Kammer bekannt gab, dass die vorgetragenen Angriffslinien die Einschätzung der Einspruchsabteilung, wonach der Gegenstand des aufrechterhaltenen Patents nicht nahegelegt sei, wohl nicht erschüttern können, erhob die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) eine Rüge unter Regel 106 EPÜ.

7.1 Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) rügte, dass eine Videokonferenz kein Ersatz für eine mündliche Verhandlung in Präsenz sei und auch nicht ausreichend, um rechtliches Gehör im Sinne von Artikel 113(1) EPÜ zu gewähren. Sie behauptete, dass die Überzeugungsfähigkeit ihrer Ausführungen und die damit verbundenen Erfolgchancen in Rahmen einer mündlichen Verhandlung in Präsenz hätten besser sein können. Darüber hinaus wurde präzisiert, dass sich ihre Partei auch nur auf die Videoverhandlung eingelassen habe, da die weitere Beteiligte (Einsprechende 1) Covid-bedingte Schwierigkeiten bei der Anreise geltend gemacht habe.

7.2 Die Kammer stellt fest, dass mit der Mitteilung vom 02. September 2021 alle Beteiligten informiert wurden, dass die am 16. September 2021 geplante mündliche Verhandlung per Videokonferenz (VICO) stattfinden wird. Zu diesem Zeitpunkt war der Antrag der Beteiligten (Einsprechende 1) aufgrund der noch andauernden Covid19-Pandemie und der insbesondere für Reisende aus dem UK geltenden, strengeren Ein- und Ausreiseeinschränkungen in jeder Hinsicht gerechtfertigt. Da keiner der Beteiligten sich gegen diese Entscheidung gewandt hatte, konnte die Kammer davon ausgehen, dass alle mit einer Durchführung der mündlichen Verhandlung als Videokonferenz einverstanden waren. Durch die jüngst ergangene Entscheidung der Grossen Beschwerdekammer im Fall G 1/21 wurde das Grundprinzip konkretisiert, dass gegen den Willen einer Partei eine mündliche Verhandlung jedenfalls dann per Videokonferenz stattfinden kann, wenn eine Ausnahmesituation gegeben ist. Dieses Prinzip soll um so mehr im vorliegenden Fall Anwendung finden, weil sich hier weder die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) noch die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) gegen den Antrag der weiteren Beteiligten (Einsprechende 1) auf Durchführung der Verhandlung als Videokonferenz gewandt haben. Es ist auch unbestreitbar, dass eine Ausnahmesituation im Sinne der G1/21 aufgrund der seit März 2020 andauernden und im September 2021 noch mit erheblichen Reiseeinschränkungen einhergehenden und bei weitem nicht beendeten Covid19-Pandemie auch im hiesigen Streitfall ohne Zweifel vorlag. Eine mündliche Verhandlung vor der Kammer in Präsenz aller Beteiligten hätte mit den teils in Deutschland, teils im Vereinigten Königreich vertretenen Parteien im September 2021 noch nicht zuverlässig geplant werden und stattfinden können, was zu weiteren und angesichts der bereits früheren Verschiebung der mündlichen Verhandlung nicht mehr zumutbaren Verzögerungen geführt hätte

7.3 Darüber hinaus stellt die Kammer fest, dass alle Beteiligten am Ende der mündlichen Verhandlung erklärten, dass sie der Verhandlung im Rahmen dessen, was eine Videokonferenz leisten kann, ohne gravierende technischen Schwierigkeit folgen konnten. Die Kammer kann daher nicht erkennen, inwiefern sich die von der Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs aufgrund der Durchführung der Verhandlung als Videokonferenz statt als Präsenzverhandlung konkretisiert haben soll.

7.4 Die Rüge der Beschwerdeführerin (Einpreschende 2) wird somit aus den oben angegebenen Gründen zurückgewiesen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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