European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2019:T200816.20191114 | ||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Datum der Entscheidung: | 14 November 2019 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 2008/16 | ||||||||
Anmeldenummer: | 09165934.2 | ||||||||
IPC-Klasse: | A01B 69/00 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
Download und weitere Informationen: |
|
||||||||
Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zur Einsatzsteuerung von landwirtschaftlichen Maschinen | ||||||||
Name des Anmelders: | CLAAS Selbstfahrende Erntemaschinen GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Deere & Company/John Deere GmbH & Co. KG | ||||||||
Kammer: | 3.2.04 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
|
||||||||
Schlagwörter: | Spät eingereichter Antrag - Antrag eindeutig gewährbar (ja) Änderungen - unzulässige Erweiterung (nein) Zurückverweisung an die erste Instanz - (ja) |
||||||||
Orientierungssatz: |
- |
||||||||
Angeführte Entscheidungen: |
|
||||||||
Anführungen in anderen Entscheidungen: |
|
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 15. Juli 2016, das Patent zu widerrufen, weil das Verfahren des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag 1 über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgehe (Artikel 100c) bzw. 123(2), 101(3)b EPÜ).
Sie wurde am 31. August 2016 unter gleichzeitiger Entrichtung der Beschwerdegebühr eingelegt. Die Beschwerdebegründung folgte am 26. Oktober 2016 und enthält einen gegenüber der erteilten Fassung geänderten Anspruch 1.
Eine Erwiderung der Beschwerdegegnerin-Einsprechenden ging am 17. Februar 2017 ein.
II. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK äußerte die Kammer Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der in Anspruch 1 vom 26. Oktober 2016 vorgenommenen Änderungen unter Artikel 123(2) und 84 EPÜ.
III. Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin reichte daraufhin mit Schreiben vom 30. August 2019 einen geänderten Anspruch 1 (Hauptantrag) ein. Diesen ersetzte sie während der mündlichen Verhandlung am 14. November 2019 durch einen wiederum geänderten Anspruch 1 (Hauptantrag), welcher dann schließlich durch einen während der Verhandlung zuletzt eingerichteten Anspruch 1 (Hauptantrag) ersetzt wurde.
IV. Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin beantragt, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent in geänderter Form auf Grundlage des während der mündlichen Verhandlung am 14. November 2019 zuletzt eingereichten Anspruchs 1 aufrechtzuerhalten.
Die Beschwerdegegnerin-Einsprechende beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Beide Parteien beantragen ggf. eine Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung zur weiteren Prüfung, insbesondere der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit.
V. Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin trägt im wesentlichen folgendes vor:
Das Verfahren des Anspruchs 1 sei im ursprünglichen Anspruch 1, in Fig. 1 sowie in den Absätzen [0014] - [0016] und Spalte 5, Zeilen 10 - 12 der Offenlegungsschrift offenbart. Zudem seien die den dritten Planungsschritt betreffenden Merkmale klargestellt.
Die Beschwerdegegnerin-Einsprechende trägt im wesentlichen folgendes vor:
Die in Anspruch 1 eingeführten Merkmale der "Grobplanung" seien aus dem Kontext des Absatzes [0022] der Offenlegungsschrift gerissen und führten somit zu einer unzulässigen Zwischenverallgemeinerung des ursprünglich offenbarten Verfahrens.
Die Abänderung des erteilten Anspruchswortlauts hinsichtlich der Grobplanung verstoße zudem gegen Artikel 123(3) EPÜ.
Ferner seien in Anspruch 1 Merkmale des Absatzes [0014] der Offenlegungsschrift aufgenommen worden, der eine Fortschreibung und Detaillierung der grundlegenden Offenbarung des vorhergehenden Absatz [0013] beinhalte. Dass dessen Merkmale in Anspruch 1 fehlten, stelle ebenso eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar.
Schließlich sei die ursprüngliche Offenbarung des Absatzes [0016] der Offenlegungsschrift dahingehend verallgemeinert worden, dass die Fahrtroute auf einer Teilfläche festegelegt werde, die in einem beliebigen Planungsschritt einer Maschine zugewiesen worden ist, nicht ausschließlich im zweiten.
VI. Anspruch 1 in der letztgültig beantragten Fassung lautet wie folgt:
"Verfahren zur Steuerung eines Einsatzes von fahrbaren landwirtschaftlichen Maschinen auf einer Fläche mit wenigstens drei Schritten (S1; S2; S4) der Planung des Einsatzes,
wobei der erste Planungsschritt (S1) die Grobplanung des voraussichtlichen Bedarfs an Fahrzeugen der verschiedenen Typen für die Durchführung des Ernteeinsatzes abschätzt und die Festlegung der Dauer des Einsatzes umfasst,
der zweite Planungsschritt (S2) umfasst die Unterteilung der zu bearbeitenden Fläche in jeweils einer Maschine zur Bearbeitung zugewiesenen Teilflächen und der dritte Planungsabschnitt (S4) umfasst die Festlegung einer Fahrtroute für jede Maschine auf der im Planungsschnitt (S2) der jeweiligen Maschine zugewiesenen Teilfläche und
im zweiten und dritten Planungsschritt (S2; S4) jeweils Festlegungen des vorhergehenden Schritts (S1; S2) verfeinert werden, und
einem Schritt des Ausführens (S6) des Einsatzes entsprechend dem in den Planungsschritten (S1, S2, S4) geplanten Ablauf,
wobei in dem Ausführungsschritt (S6) der Ablauf des Einsatzes überwacht und mit den in den Planungsschritten getroffenen Festlegungen verglichen wird und im Falle einer signifikanten Abweichung von den getroffenen Festlegungen wenigstens einer der Planungsschritte (S1; S2; S4) unter Berücksichtigung des jeweiligen Standes der Bearbeitung der Fläche wiederholt wird."
Entscheidungsgründe
1. Zulassung des geänderten Hauptantrags (Artikel 13(3) VOBK)
1.1 Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin reichte ihren vorletzten Hauptantrag während der mündlichen Verhandlung als Reaktion auf die Diskussion ihres Hauptantrags vom 30. August 2019 hinsichtlich der Erfordernisse des Artikels 123(2) und (3) EPÜ ein. Die Kammer war dabei zwar der Zulässigkeit der meisten Änderungen des Anspruchs 1 positiv gegenübergestanden (siehe unten). Es hatte sich jedoch herauskristallisiert, dass durch den Bezug des Merkmals "Dauer des Einsatzes" auf "Fahrzeuge der verschiedenen Typen" neuer Sachverhalt hinzugefügt worden war, der über der Inhalt der ursprünglichen Offenbarung hinausging. Da in Anspruch 1 des zuletzt eingereichten, nun geltenden Hauptantrags diese Bezugnahme ersatzlos gestrichen ist, war für die Kammer unmittelbar ersichtlich, dass der verbleibende Einwand eindeutig behoben ist.
1.2 Deshalb ließ die Kammer diesen Hauptantrag in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13(3) VOBK zum Verfahren zu.
2. Unzulässige Erweiterung des Gegenstands (Artikel 123(2) EPÜ)
2.1 Anspruch 1 beruht auf dem ursprünglichen Anspruch 1.
Im ursprünglichen Anspruch 1 war allgemein die Rede von "drei Schritten der Planung des Einsatzes", wobei im zweiten und dritten Planungsschritt jeweils Festlegungen des vorhergehenden Schritts verfeinert werden. Die jeweils zu treffenden bzw. zu verfeinernden Festlegungen sind zunächst mithilfe von Informationen aus den Absätzen [0014] bis [0016] der Offenlegungsschrift konkretisiert. Diesen zufolge umfassen die Festlegungen:
- eines frühen (ersten) Planungsschrittes "die Dauer des Einsatzes, die Zahl der an dem Einsatz beteiligten Maschinen" (Absatz [0014]),
- eines späten (zweiten) Planungsschritts "eine Aufteilung der zu bearbeitenden Fläche in jeweils einer der Maschinen zur Bearbeitung zugewiesene Teilfläche" (Absatz [0015]), und
- eines folgenden (dritten) Planungsschritts "eine Fahrtroute" "für jede Maschine auf der ihr zugewiesenen Teilfläche" (Absatz [0016]).
2.2 Zudem ist die Absatz [0014] entstammende Festlegung "Zahl der an dem Einsatz beteiligten Maschinen", die zu dem "frühen Planungsschritt" gehört, mithilfe folgender Terminologie aus dem zum Ausführungsbeispiel "Ernteeinsatz" (Absatz [0021]) gehörenden Absatz [0022] umformuliert worden: "...in einem ersten Schritt der Grobplanung S1 [wird] der voraussichtliche Bedarf an Fahrzeugen der verschiedenen Typen für die Durchführung des Ernteeinsatzes abgeschätzt". Dabei ersetzen nun im geltenden Anspruch 1 die Begriffe "erste[r] Planungsschritt" und "Grobplanung" den in Absatz [0014] verwendeten "frühen" Planungsschritt.
2.3 Im Zusammenhang mit Absatz [0015] gelesen, der einen "späten" Planungsschritt beschreibt, ist "frühe" absolut zu verstehen und bezeichnet einen anfänglichen Schritt des Verfahrens. Für den verständigen Fachmann, der die verschiedenen Passagen in Zusammenhang miteinander liest, entspricht dieser frühe Planungsschritt, dem "erste[n] Schritt der Grobplanung" des Ausführungsbeispiels nach Absatz [0022], siehe auch die Fig. 1 der Offenlegungsschrift.
Dem Fachmann ist weiter aus diesem Zusammenhang der Absätze [0014] und [0022] unmittelbar und eindeutig ersichtlich, dass "die Zahl der an dem Einsatz beteiligten Maschinen", die nach Absatz [0014] im diesem frühen Planungsschritt festgelegt werden, dem "Bedarf an Fahrzeugen der verschiedenen Typen für die Durchführung des Ernteeinsatzes" entspricht, die im ersten Planungsschritt der Grobplanung im konkreten Ausführungsbeispiel nach Absatz [0022] abgeschätzt wird.
2.4 Zusammenfassend sind also bestimmte Planungsschritte des ursprünglichen Anspruchs 1 mit bestimmten, diesen in der ursprünglichen Beschreibung eindeutig zuzuordnenden Einschränkungen in Form von Festlegungen ergänzt worden. Da jeweils sämtliche die Art der ursprünglich beanspruchten Festlegungen betreffenden Merkmale der Beschreibungsabsätze [0014] - [0016] und [0022] vollständig in Anspruch 1 aufgenommen wurden, gehen diese Änderungen nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglichen eingereichten Fassung hinaus (Artikel 123(2) EPÜ).
2.5 Der in Absatz [0013] der Offenlegungsschrift allgemein beschriebene iterative Algorithmus des Verfahrens stellt keinen Aspekt der eigentlichen Art oder des Charakters der Festlegung "Zahl der Maschinen" aus Absatz [0014] dar. Auch nimmt der in Absatz [0014] beschriebene "frühe" Planungsschritt nicht Bezug auf den einem gescheiterten Planungsschritt "vorangehende[n]" Planungsschritt des Absatzes [0013]. Vielmehr liest ihn der Fachmann in Zusammenhang mit dem im folgenden Absatz [0015] beschriebenen "späten" Planungsschritt (siehe oben Punkt 2.3).
Da die Merkmale des Absatzes [0013] somit nicht untrennbar mit den in Anspruch 1 aufgenommenen Merkmalen des Absatzes [0014] verknüpft sind, führt die Abwesenheit der Merkmale des Absatzes [0013] in Anspruch 1 nicht zu einer unzulässigen Zwischenverallgemeinerung.
2.6 Die allgemeine Offenbarung des Absatzes [0014] der Offenlegungsschrift für einen "Einsatz" gilt ebenso für das Ausführungsbeispiel "Ernteeinsatz". So geht bereits aus Absatz [0001] der Offenlegungsschrift hervor, dass das erfindungsgemäße Verfahren der Steuerung eines Einsatzes "wie etwa eines Ernte...einsatzes" dient. Deshalb kann das auf einen allgemeinen Einsatz bezogene Merkmal "Zahl der an dem Einsatz beteiligten Maschinen" aus Absatz [0014] gezielt durch das entsprechende, auf einen Ernteeinsatz bezogene Merkmal "voraussichtliche Bedarf an Fahrzeugen der verschiedenen Typen für die Durchführung des Ernteeinsatzes" aus Absatz [0022] ersetzt werden, ohne dass es aufgrund der Nichtaufnahme der übrigen Merkmale des Absatzes [0022] in Anspruch 1 zu einer unzulässigen Zwischenverallgemeinerung kommt.
2.7 Auch die Formulierung "auf der im Planungsschritt (S2) der jeweiligen Maschine zugewiesenen Teilfläche" in Anspruch 1 beinhaltet nicht eine solche unzulässige Zwischenverallgemeinerung.
Zwar darf das Bezugszeichen (S2) nach Regel 43(7) EPÜ nicht zu einer einschränkenden Auslegung des Planungsschritts als "zweiten" Planungsschritt herangezogen werden. Jedoch folgt aus der Tatsache, dass für jede Maschine eine Fahrtroute auf der der jeweiligen Maschine (bereits)zugewiesenen Teilfläche festgelegt wird, dass nur die Teilflächen-Zuweisung im vorhergehenden zweiten Planungsschritt gemeint sein kann.
3. Unzulässige Erweiterung des Schutzbereiches (Artikel 123(3) EPÜ)
3.1 Dem ersten Planungsschritt des erteilten Anspruchs 1 wurden folgende Merkmale hinzugefügt:
- Die Fahrzeuge bzw. deren verschiedene Typen sind für die Durchführung des Ernteeinsatzes geeignet.
- Die Grobplanung bzw. der Fahrzeugbedarf wird abgeschätzt.
- Die Dauer des Einsatzes wird festegelegt.
3.2 Sämtliche dieser hinzugefügten Merkmale bewirken eine Beschränkung des erteilten Schutzumfangs.
Insbesondere wird durch den geänderten Wortlaut des Anspruchs 1 präzisiert, dass der erste Planungsschritt nicht nur allgemein die Grobplanung des voraussichtlichen Bedarfs an Fahrzeugen umfasst, sondern dass er diese Grobplanung bzw. den Fahrzeugbedarf abschätzt. Damit fällt z.B. eine genaue Berechnung und exakte Bestimmung des Fahrzeugbedarfs nicht mehr in den Schutzbereich des Anspruchs 1.
3.3 Folglich ist Anspruch 1 des Patents nicht in der Weise geändert worden, dass sein Schutzbereich erweitert wurde (Artikel 123(3) EPÜ).
4. Zurückverweisung (Artikel 111(1) EPÜ)
4.1 Gegenstand der Beschwerde ist in erster Linie die Überprüfung der Entscheidung der Einspruchsabteilung, die im vorliegenden Fall ausschließlich die Frage der Zulässigkeit von Änderungen des unabhängigen Anspruchs unter Artikel 123(2) EPÜ behandelt. Entsprechend hat sich auch die Kammer lediglich mit dieser Frage befasst sowie mit einem von der Beschwerdegegnerin-Einsprechenden erstmals in der mündlichen Verhandlung erhobenen Einwand unter Artikel 123(3) EPÜ.
4.2 Deshalb wird dem übereinstimmenden Antrag der Parteien stattgegeben und die Sache zur weiteren Prüfung auf Grundlage des nun geltenden Hauptantrags, insbesondere hinsichtlich der geltend gemachten Einspruchsgründe nach Artikel 100a) EPÜ, an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz zur weiteren Prüfung zurückverwiesen.