T 1796/16 () of 2.7.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T179616.20190702
Datum der Entscheidung: 02 Juli 2019
Aktenzeichen: T 1796/16
Anmeldenummer: 06007142.0
IPC-Klasse: B23K 9/16
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Schweissen hochfester Stähle
Name des Anmelders: Linde AG
Name des Einsprechenden: L'Air Liquide Société Anonyme pour l'Etude et
l'Exploitation des Procédés Georges Claude
Kammer: 3.2.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(3)
Schlagwörter: Patentansprüche - Klarheit
Patentansprüche - Hauptantrag (nein)
Spät eingereichte Hilfsanträge - zugelassen (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/14
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Mit der am 28. Juni 2016 zur Post gegebenen Entscheidung hat die Einspruchsabteilung entschieden, dass das Patent in der Fassung gemäß dem Hauptantrag die Erfordernisse des EPÜ erfüllt.

II. Die Einsprechende legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein.

III. Eine mündliche Verhandlung fand am 2. Juli 2019 statt.

IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt die Beschwerde zurückzuweisen, oder hilfsweise, das Patent im geänderten Umfang gemäß dem in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag aufrechtzuerhalten.

V. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet:

"Verfahren zum Metallschutzgas (MSG)-Schweißen von Stahlblechen mit abschmelzender Elektrode, wobei das Schutzgas zum überwiegenden Teil aus Argon oder einer Argon-Helium-Mischung und aus 0,01 bis 0,5 Vol.% CO2 und/oder O2 besteht, wobei die Bleche mit einer Blechstärke <5 mm aus unlegierten oder anderen legierten hochfesten Stählen hergestellt werden."

Anspruch 1 des Hilfsantrags lautet:

"Verfahren zum Metallschutzgas (MSG)-Schweißen von Stahlblechen mit abschmelzender Elektrode, wobei das Schutzgas [deleted: zum überwiegenden Teil] aus Argon oder einer Argon-Helium-Mischung und aus 0,01 bis 0,5 Vol.% CO2 und/oder O2 besteht, wobei die Bleche mit einer Blechstärke <5 mm aus unlegierten oder anderen legierten hochfesten Stählen hergestellt werden."

(Änderungen gegenüber dem Hauptantrag durchgestrichen)

VI. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:

D1: EP 1 186 368 A1

D4: US 4,463,243

D5: EP 0544 187 A1

D7: US 2002/0190033 A1

VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

a) Hauptantrag - Klarheit - Artikel 84 EPÜ

Während des Einspruchsverfahrens sei Anspruch 1 geändert worden. Diese Änderungen seien damit auf Klarheit zu prüfen. Diese Änderungen seien nicht klar, insbesondere durch den Begriff "zum Überwiegenden Teil" in Verbindung mit "besteht aus". Es sei damit nicht klar, ob die beanspruchte Zusammensetzung eine geschlossene oder offene Formulierung sei.

b) Zulassung des Hilfsantrags in das Verfahren

Dieser Antrag sei während der mündlichen Verhandlung eingereicht worden und versuche Einwände auszuräumen, der bereits mit der Beschwerdeschrift geltend gemacht wurden. Aus diesem Grund sei der Antrag als verspätet nicht zuzulassen.

c) Hilfsantrag - Erfinderische Tätigkeit - Artikel 56 EPÜ

D4 offenbare:

ein Verfahren zum Metallschutzgas (MSG)-Schweißen von Stahlblechen mit abschmelzender Elektrode (Sp. 1, Z. 9 - 11),

wobei das Schutzgas aus einer Argon-Helium-Mischung und aus 3 - 10 Vol% CO2 und 0,1 bis 1 Vol.% O2 bestehe (Sp. 5, Z. 15 - 20),

wobei die Bleche mit einer Blechstärke <12,7 mm ("up to 1/2 inch") aus unlegierten oder anderen legierten hochfesten Stählen hergestellt würden.

Die Blechstärke der D4 definiere einen Bereich, der mit dem beanspruchten Bereich überlappend sei. Der Fachmann hätte keine Schwierigkeit auch in diesem Bereich zu arbeiten. Im Patent sei kein technischer Effekt mit diesem Merkmal verbunden. Es werde lediglich im Paragraf [0016] bemerkt, dass solche Blechdicken in der Automobileindustrie umfangreich eingesetzt würden. Es gebe keinen Beweis für eine synergetische Wirkung dieses Merkmals mit dem CO2 Inhalt des Schutzgases.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von dem aus D4 bekannten Verfahren durch den Anteil im Schutzgas von CO2 und/oder O2.

Laut Patent, Paragraf [0014] bestehe die zu lösende Aufgabe darin, ein Verfahren zu schaffen, mit dem ein sicheres Schweißen von Bauteilen aus Stahlwerkstoffen mit dem MAG Prozess möglich sei, so dass das Bauteil anschließend beschichtet werden könne, ohne dass ein zusätzliches Entfernen der Oxide erforderlich sei.

D5 offenbare ein Schweißverfahren, dessen Ziel sei, keine unerwünschte Oxidation auftreten zu lassen (Sp. 1, Z. 44 - 51). Diese Aufgabe wurde in D5 dadurch gelöst, dass geringe Anteile von CO2 und/oder O2 in dem Schutzgas enthalten seien. D5, Sp. 2, Z. 1 - 14 beschreibe dazu, dass dadurch keine Oxidschichtbildung entstehe.

Der Fachmann würde daher D5 berücksichtigen, weil D5 sich mit der gleichen Aufgabe wie das Patent beschäftige. Der Fachmann würde daher die Lehre von D5 an dem aus D4 bekannten Verfahren anwenden, ohne erfinderisch tätig zu werden. Er würde dabei zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen, weil D5 eine Gasmischung gemäß Anspruch 1 lehre.

Darüber hinaus beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D4 im Hinblick auf D1 oder D7.

VIII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

a) Hauptantrag - Klarheit - Artikel 84 EPÜ

Anspruch 1 sei klar. Durch die während des Einspruchsverfahrens vorgenommene Ànderung sei nun eindeutig, dass es sich hierbei um eine geschlossene Formulierung der Zusammensetzung des Schutzgases handele.

b) Zulassung des Hilfsantrags in das Verfahren

Weder in der angefochtenen Entscheidung noch im Bescheid der Beschwerdekammer gebe es einen Hinweis auf ein mögliches Klarheitsproblem. Das Einreichen des Hilfsantrags sei eine Reaktion auf den Verlauf des Verfahrens.

c) Hilfsantrag - Erfinderische Tätigkeit - Artikel 56 EPÜ

D4 offenbare nicht, dass die Blechstärke < 5 mm sei und das Schutzgas 0,01 bis 0,5 Vol.% CO2 und/oder O2 beinhalte. Die beanspruchte Blechstärke sei nicht aus D4 bekannt, weil dieser Bereich weit entfernt von der in D4 offenbarten Obergrenze sei. Der Fachmann würde das Dokument D4 daher nicht ernsthaft in Betracht ziehen.

Außerdem gebe es eine synergetische Wirkung zwischen den obengenannten Merkmalen.

Ausgehend von D4 würde der Fachmann D5 nicht berücksichtigen, weil D5 einen ganz anderen Grundwerkstoff betreffe. Aus D1 und D7 sei es bekannt, dass für verschiedene Grundwerkstoffe verschiedene Gasmischungen anzuwenden seien. Der Fachmann würde vielleicht erkennen, dass bei legierten Stählen weniger CO2 verwendet werden könne, aber nicht dass diese Lehre bei unlegierten oder anderen legierten hochfesten Stählen verwendbar wäre.

D4 und D7 lehrten auch nicht die Verwendung der beanspruchte Gasmischung bei den Stählen gemäß Anspruch 1.

Damit beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag - Klarheit

Anspruch 1 ist im Einspruchsverfahren geändert worden. Diese Änderungen zur erteilten Fassung des Patents sind auf Klarheit zu prüfen (G 3/14, OJ 2015, A102).

Im erteilten Anspruch liest das Merkmal "das Schutzgas zum überwiegenden Teil aus Argon oder einer Argon-Helium-Mischung besteht und dass es 0,01 bis 0,5 Vol.% CO2 und/oder O2 enthält". Weitere Bestandteile des Schutzgases sind mit dieser Formulierung nicht ausgeschlossen.

Anspruch 1 nach jetzigem Hauptantrag ist formuliert "das Schutzgas zum überwiegenden Teil aus Argon oder einer Argon-Helium-Mischung und aus 0,01 bis 0,5 Vol% CO2 und/oder O2 besteht". Diese Formulierung hat aber zwei mögliche Auslegungen. Das Gas könnte lediglich aus Argon, Helium, CO2 und O2 bestehen oder es könnte zum überwiegenden Teil diese vier Gasen enthalten und auch einer niedrigen Anteil an anderen Gasen umfassen.

Daher ist der Schutzumfang des Anspruchs nicht eindeutig definiert und der Anspruch ist somit nicht klar (Artikel 84 EPÜ).

2. Zulassung des Hilfsantrags ins Verfahren

Der Hilfsantrag wurde als Reaktion zum Verlauf der Verhandlung eingereicht. Die Änderung ist einfach und wirft keine neuen Fragen auf, die die Beschwerdeführerin oder die Kammer nicht während der mündlichen Verhandlung abhandeln konnten. Daher ließ die Kammer den Hilfsantrag in das Verfahren zu (Artikel 13(1) und (3) VOBK).

3. Hilfsantrag - Erfinderische Tätigkeit

D4 ist nächstliegender Stand der Technik und offenbart unstreitig:

ein Verfahren zum Metallschutzgas (MSG)-Schweißen von Stahlblechen mit abschmelzender Elektrode (Sp. 1, Z. 9 - 11),

wobei das Schutzgas aus Argon oder einer Argon-Helium-Mischung und aus 3 - 10 Vol.% CO2 und 0,1 - 1 Vol.% O2 besteht (Sp. 5, Z. 15 - 20).

D4 offenbart eine Blechdicke von bis zu 12,7 mm (Sp. 1, Z. 36 - 38; "up to 1/2 inch thickness"). Dieser offenbarte Bereich überlappt mit dem beanspruchten Bereich von < 5 mm. Die Kammer kann keinen Grund sehen wieso der Fachmann beim Ausführen der Lehre der D4 nicht den Bereich < 5 mm in Betracht ziehen würde. Auch ist der beanspruchte Bereich nicht eng im Vergleich zu dem bekannten Bereich - er deckt ungefähr 30% davon ab. Daher ist aus D4 das Merkmal bekannt, wonach die Bleche mit einer Blechstärke <5 mm aus unlegierten oder anderen legierten hochfesten Stählen hergestellt werden.

Somit unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 vom Verfahren der D4 lediglich durch den Anteil von CO2 und/oder O2.

Die dadurch zu lösende Aufgabe besteht darin, wie im Patent, Paragraf [0014] angegeben, ein Verfahren zu schaffen, wobei ein sicheres Schweißen von Bauteilen aus Stahlwerkstoffen mit dem MAG Prozess möglich ist, so dass das Bauteil anschließend beschichtet werden kann, ohne dass ein zusätzliches Entfernen der Oxide erforderlich ist.

D5 betrifft die gleiche Aufgabe (Sp. 1, Z. 44 - 51). Es ist zwar richtig, dass D5 nicht die Stähle gemäß dem vorliegenden Anspruch 1 sondern hochlegierte Stähle betrifft (Anspruch 1). Es gibt jedoch keinen Grund, warum der Fachmann nicht versuchen würde, die aus D5 bekannte Lehre auch bei anderen Stählen anzuwenden. Ein derartiger Grund ergibt sich auch nicht - entgegen der Meinung der Beschwerdegegnerin - aus D7 oder D1. Zwar lehrt D7, Paragrafen [0015] und [0016], die Verwendung von verschiedenen Gasmischungen für hochlegierte und unlegierte Stähle, wobei für unlegierte Stähle mehr CO2 oder O2 verwendet wird. D7 ist aber lediglich eine Patentveröffentlichung und stellt kein allgemeines Wissen des Fachmanns dar. D1 ist ebenfalls eine Patentveröffentlichung und beinhaltet keine Information über Gasmischungen zum Schweißen von unlegierten Stählen.

D5 lehrt, dass durch geringe Anteile von CO2 oder O2 im Schutzgas beim Schweißen keine Oxidschichtbildung stattfindet (Sp. 2, Z. 1 - 14). Zum Erreichen dieses Effekts offenbart D5 Gasmischungen, die der Mischung des Streitpatents entsprechen (Anspruch 1; Sp. 2, Z. 42 - 51). Der Fachmann würde diese Lehre bei dem aus D4 bekannten Verfahren anwenden und dabei ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht damit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen

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