T 1787/16 (Verfahrenssprache) of 12.4.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T178716.20210412
Datum der Entscheidung: 12 April 2021
Aktenzeichen: T 1787/16
Anmeldenummer: 06101317.3
IPC-Klasse: G01S 5/14
H04R 25/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zum Einstellen eines Hörhilfsgeräts, Hörhilfsgerät und mobile Ansteuereinheit zur Einstellung eines Hörhilfsgeräts
Name des Anmelders: Sivantos GmbH
Name des Einsprechenden: Oticon A/S / GN ReSound A/S
Kammer: 3.4.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 14(1)
European Patent Convention Art 14(3)
European Patent Convention Art 125
European Patent Convention R 3(1)
European Patent Convention R 111(2)
RPBA2020 Art 011
Schlagwörter: Sprachen des EPA
Einheitlichkeit der Verfahrenssprache in der Entscheidung
Orientierungssatz:

Die Entscheidungsbegründung gemäß R. 111(2) EPÜ muss zwar nicht alle Argumente der Parteien im Detail behandeln, doch muss zumindest auf die entscheidenden Streitpunkte eingegangen werden. Sie hat auf die maßgeblichen Tatsachen, Beweismittel und Argumente einzugehen und die logische Kette zu enthalten, die zur Bildung des abschließenden Urteils geführt hat.

Für die Verfahren vor dem EPA gilt der Grundsatz der Einheitlichkeit der Verfahrenssprache. Für die schriftliche Ausfertigung der Entscheidung ist dabei ausschließlich die Verfahrenssprache zu verwenden. Nur die Entscheidung in einer einheitlichen Verfahrenssprache wird auch den Anforderungen der R. 111(2) EPÜ an die Entscheidungsbegründung gerecht.

Gemäß Art. 125 EPÜ sind, soweit das EPÜ keine Vorschriften über das Verfahren enthält, die in den Vertragsstaaten der Europäischen Patentorganisation im Allgemeinen anerkannten Grundsätze des Verfahrensrechts heranzuziehen. Dies gilt insbesondere für den zugleich in Art. 6(1) EMRK exemplarisch zum Ausdruck kommenden allgemeinen Rechtsgrundsatz des fairen Verfahrens, der als allgemeine Richtschnur für die Verfahrensgestaltung dient. Dazu zählt auch das Gebot, die Entscheidung so abzufassen, dass sie von einer der Verfahrenssprache mächtigen Partei verstanden werden kann.

Angeführte Entscheidungen:
G 0004/08
G 0002/12
R 0003/13
R 0008/13
R 0009/14
T 1366/05
T 0534/08
T 0844/14
T 1604/16
T 2320/16
Anführungen in anderen Entscheidungen:
J 0006/22

Sachverhalt und Anträge

I. Gegen das in deutscher Sprache erteilte europäische Patent EP 1 698 908 B1 erhoben Oticon A/S, GN Resound A/S und Widex A/S gemeinsam Einspruch, verfasst in englischer Sprache. Geltend gemacht wurden sämtliche Einspruchsgründe des Artikels 100 EPÜ.

II. Die Patentinhaberin verteidigte ihr Patent in der erteilten Fassung.

III. Mit der angefochtenen Entscheidung wies die Einspruchsabteilung den Einspruch zurück, da keiner der geltend gemachten Einspruchsgründe vorliege.

IV. Der die Neuheit und erfinderische Tätigkeit behandelnde Teil der Entscheidung (Punkte 15 und 16 der Begründung) folgt dabei über weite Strecken einem sich wiederholenden Muster, indem zu den jeweiligen (Unter-)Themen im Rahmen der Einspruchsgründe zunächst die Argumente der Einsprechenden dargestellt werden, bestehend aus wörtlichen Zitaten aus der Einspruchsschrift, in englischer Sprache, gefolgt von einer zusammenfassenden Wiedergabe des Vorbringens der Patentinhaberin, sofern vorhanden, in deutscher Sprache, und einem Hinweis samt allfälliger (Zusatz-)Begründung, dass sich die Einspruchsabteilung der Argumentation der Patentinhaberin anschließe.

V. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Einsprechenden mit dem Antrag, unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, das Patent zu widerrufen.

VI. Die Patentinhaberin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Hilfsweise überreichte sie zwei Hilfsanträge zur Aufrechterhaltung des Patents auf deren Basis.

VII. Über Aufforderung erklärten beide Seiten, für den Fall der Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung, keine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer zu beantragen.

VIII. Zwischenzeitig hatte sich die Widex A/S aus dem gemeinsamen Einspruch zurückgezogen; das Beschwerdeverfahren wurde von den beiden verbliebenen Einsprechenden fortgeführt.

Entscheidungsgründe

1 Anmerkung: sämtliche Entscheidungsnachweise und Literaturzitate finden sich am Ende dieser Entscheidungsgründe.

2 Die Beschwerde ist im Sinne des Aufhebungsantrages aus den folgenden Gründen berechtigt.

3 Gemäß Regel 111(2) EPÜ sind Entscheidungen des Europäischen Patentamts, die mit Beschwerde angefochten werden können, zu begründen.

4 Die Entscheidungsbegründung muss zwar nicht alle Argumente der Parteien im Detail behandeln, doch muss zumindest auf die entscheidenden Streitpunkte eingegangen werden, damit die Gründe für die Entscheidung nicht erst rekonstruiert werden müssen oder gar darüber spekuliert werden muss, und damit die Parteien auch erkennen können, ob ihrem rechtlichen Gehör Rechnung getragen wurde. Sie hat auf die maßgeblichen Tatsachen, Beweismittel und Argumente einzugehen und die logische Kette zu enthalten, die zur Bildung des abschließenden Urteils geführt hat; zur Begründung fehlender Neuheit ist dabei etwa eine genaue Fundstelle im Stand der Technik anzugeben, die den beanspruchten Gegenstand vorwegnimmt.

5 Die bloße Wiedergabe des Vortrags der Parteien genügt diesen Anforderungen grundsätzlich nicht ([ 1 ]).

6 Die mangelhafte Begründung einer erstinstanzlichen Entscheidung ist grundsätzlich als wesentlicher Verfahrensmangel anzusehen, der von Amts wegen wahrzunehmen ist und zur Aufhebung und Zurückverweisung an die erste Instanz und zur Rückzahlung der Beschwerdegebühr zu führen hat ([ 2 ]).

7 Die Begründung der angefochtenen Entscheidung wird den dargestellten Anforderungen nicht gerecht.

8 Dies gilt insbesondere für die Schlussfolgerungen zur Neuheit, die sich im Wesentlichen in den Punkten 15.3.3, 15.4.3, 15.5.3 erschöpfen, ohne sich mit der eigentlichen Argumentation der Einsprechenden (die in den Punkten 15.3.1, 15.4.1 und 15.5.1 wiedergegeben wird) auseinanderzusetzen:

"15.3.3 Die Einspruchsabteilung schließt sich in ihrer Auffassung der Meinung der Patentinhaberin an, da E1 kein Verfahren zur automatischen Einstellung von Betriebsparameters [sic]eines Hörhilfegerätes zeigt. Zudem sind die Merkmale 35e), 35f), 35g) und 35j) in E1 nicht offenbart."

"15.4.3 Die Einspruchsabteilung schließt sich in ihrer Auffassung der Meinung der Patentinhaberin an, da E1 nach Meinung der Einspruchsabteilung die Merkmale 13b) und 13e) nicht offenbart."

"15.5.3. Die Einspruchsabteilung schließt sich in ihrer Auffassung der Meinung der Patentinhaberin an, da E1 keine mobile Ansteuervorrichtung zur automatischen Einstellung von Betriebsparametern eines Hörhilfegerätes zeigt. Zudem sind die Merkmale 15c), 15d) und 15e) in E1 nicht offenbart."

9 Beispielhaft haben die Einsprechenden zur Neuheit von Anspruch 35 (s. 15.3.1) etwa vorgetragen, die Merkmale 35e), 35f), 35g), und 35j) seien nach [0011] und [0039] oder zumindest implizit aus E1 bekannt, was von der Patentinhaberin (s. 15.3.2) im Detail bestritten wurde. Wie die Einspruchsabteilung sodann zu ihrer Schlussfolgerung in 15.3.3 kam, wonach E1 kein Verfahren zur automatischen Einstellung von Betriebsparametern zeige und die Merkmale 35e), 35f), 35g) und 35j) zudem nicht offenbart seien, bleibt im Dunkeln ([ 3 ], [ 4 ]). Es bleibt gänzlich unklar, ob sie sich der Auffassung der Patentinhaberin etwa vollständig angeschlossen hat oder ob sie sich von anderen Überlegungen leiten ließ und aus welchen Gründen sie die gegenteilige Auffassung der Einsprechenden nicht teilte, wonach genannte Merkmale in den konkret benannten Fundstellen in E1 oder zumindest implizit gezeigt seien.

10 Dies gilt ebenso für die Punkte 15.4.3 und 15.5.3, die an gleichartigen Begründungsmängeln leiden.

11 Schon im Hinblick auf diese Mängel kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben.

12 Darüber hinaus erfolgt die Darstellung des Vorbringens der Einsprechenden zur Neuheit und erfinderischen Tätigkeit im Wesentlichen bloß unter Wiedergabe wörtlicher Zitate aus dem in englischer Sprache verfassten Einspruch. Auch darin liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel, wie im Folgenden zu zeigen ist.

13 Die Amtssprachen des EPA sind Deutsch, Englisch und Französisch (Artikel 14(1) EPÜ). Jene Amtssprache, in der die Patentanmeldung eingereicht oder in die sie übersetzt worden ist, ist Verfahrenssprache (Artikel 14(3) EPÜ). Nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Verfahrenssprache gilt diese für alle Verfahren vor dem EPA, die die Anmeldung oder das erteilte Patent betreffen ([ 5 ], [ 6 ]).

14 Verfahrenssprache im vorliegenden Fall ist Deutsch.

15 Nach Regel 3(1) EPÜ können sich die Beteiligten im schriftlichen Verfahren jeder Amtssprache des EPA bedienen. Von diesem Recht haben die Einsprechenden Gebrauch gemacht und für ihr schriftliches Vorbringen im Einspruch(-sverfahren) zulässigerweise die englische Sprache gewählt.

16 Die in Regel 3(1) EPÜ vorgesehenen Abweichungen von der Verfahrenssprache gelten ausschließlich für die Beteiligten, nicht aber für die Einspruchsabteilung im schriftlichen Verfahren und insbesondere auch nicht für die schriftliche Ausfertigung der Entscheidung im Sinne der Regel 111(2) EPÜ. Dafür ist (ausschließlich) die Verfahrenssprache zu verwenden ([ 6 ], [ 7 ]).

17 Der hier vorliegende Fall der Verwendung einer anderen als der Verfahrenssprache in einer Entscheidung ist nicht (explizit) geregelt.

18 Gemäß Artikel 125 EPÜ sind, soweit das EPÜ keine Vor-schriften über das Verfahren enthält, die in den Vertragsstaaten der Europäischen Patentorganisation im Allgemeinen anerkannten Grundsätze des Verfahrensrechts heranzuziehen ([ 8 ]). Dies gilt insbesondere für den zugleich in Artikel 6(1) der Europäischen Menschenrechtskonvention exemplarisch zum Ausdruck kommenden allgemeinen Rechtsgrundsatz des fairen Verfahrens, dessen Anwendung auch in den Verfahren nach dem EPÜ nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern einhellig anerkannt ist ([ 9 ]) und der als allgemeine Richtschnur für die Verfahrensgestaltung dient. Dazu zählt nicht zuletzt auch das Gebot, die Entscheidung so abzufassen, dass sie von einer der Verfahrenssprache mächtigen Partei verstanden werden kann.

19 Detaillierte Vorschriften über Verfahrenssprachen finden sich in weiteren internationalen und nationalen Verfahrensordnungen der Vertragsstaaten des EPÜ. Wie auch nach dem System des EPÜ werden die jeweiligen Verfahrenssprachen dabei im Einzelfall ausgehend von den Amts- einschließlich Minderheitensprachen der jeweiligen Jurisdiktionen bestimmt (so in der Verfahrensordnung des Gerichtshofs der Europäischen Union [ 10 ], der Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte [ 11 ], in Deutschland [ 12 ], Österreich [ 13 ], [ 14 ], Irland [ 15 ], Belgien [ 16 ] und Frankreich [ 17 ],[ 18 ], [ 19 ], [ 20 ]).

20 Diese Verfahrensordnungen folgen dem Grundsatz, dass sich Entscheidungsorgane in der Entscheidung der jeweiligen Verfahrenssprache zu bedienen haben. Auch wenn die Verwendung einer anderen Sprache im Verfahren in Ausnahmefällen zulässig sein kann (vgl. etwa [ 20 ]), ist die Verwendung von mehreren Verfahrenssprachen in derselben Entscheidung - selbst in Jurisdiktionen mit mehreren Amtssprachen - grundsätzlich nicht vorgesehen.

21 In der Rechtsprechung des EuGH und des EGMR - jeweils Systeme mit mehreren Amtssprachen - werden allfällige wörtliche Anführungen in Originalsprache in der Entscheidung auch in die jeweilige Verfahrenssprache übersetzt ([ 21 ]).

22 In Rechtsprechung und Literatur zu nationalen Verfahrensordnungen finden sich zudem weitere Beispiele, wonach es ausnahmsweise zulässig oder gar geboten sein kann, einzelne im Rahmen des Beweisverfahrens zutage getretene mündliche oder schriftliche Äußerungen in der Originalsprache wiederzugeben, wie etwa auch fremdsprachige (internationale) Übereinkommen, Vertragstexte und sonstige Urkunden oder fremdsprachige Erklärungen (einschließlich deren Aufnahme in den Urteilsspruch/Tenor, wenn es etwa um die Verpflichtung zur Abgabe einer fremdsprachigen Erklärung geht). Solche Beispiele und Nachweise zur ausnahmsweisen Verwendung anderer als der Verfahrenssprachen gibt es exemplarisch etwa in Deutschland ([ 22 ], [ 23 ], [ 24 ]), dem Vereinigten Königreich ([ 25 ], [ 26 ], [ 27 ]), in Belgien ([ 28 ], [ 29 ], [ 30 ], [ 31 ], [ 32 ]) und Frankreich ([ 33 ], [ 34 ], [ 35 ], [ 36 ], [ 37 ]).

23 Nicht zuletzt zur Vermeidung jeglicher Missverständnisse müssen solche fremdsprachigen Verfahrensbestandteile auch nach nationalen Verfahrensordnungen grundsätzlich (zusätzlich) in die Verfahrenssprache übersetzt werden

([ 33 ], [ 34 ], [ 35 ], [ 40 ], [ 41 ]).

24 Zahlreiche Belege für die Verwertung von Beweismitteln in einer anderen als der Verfahrenssprache gibt es dabei gerade - über die oben angeführten Nachweise hinaus - in der Rechtsprechung der belgischen Cour de Cassation, mithin in einer Jurisdiktion, die mehrere Amtssprachen kennt. Von diesen Amtssprachen kommt im Einzelfall durchgehend nur jeweils eine einheitliche Verfahrenssprache zur Anwendung, was die Verwertung fremdsprachiger Beweismittel aber nicht an sich ausschließt (s. etwa [ 42 ], [ 58 ]). Zitate aus einer anderen Sprache sind bei sonstiger Nichtigkeit der Entscheidung dabei grundsätzlich in die Verfahrenssprache zu übersetzen ([ 16 ], [ 28 ] [ 29 ], [ 43 ], [ 44 ], [ 45 ], [ 46 ]).

25 Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen können Beweismittel in fremder Sprache nach genannten nationalen Verfahrensordnungen allenfalls unübersetzt bleiben, etwa wenn das Entscheidungsorgan und alle Parteien sie beherrschen und das Gebot der Öffentlichkeit dem nicht entgegensteht ([ 47 ], [ 48 ], [ 41 ]); zu fremdsprachigen Beweismitteln in der mündlichen Verhandlung s. [ 19 ], [ 20 ] und [ 49 ]).

26 Prozesshandlungen, gerichtliche Entscheidungen und Protokolle sind demgegenüber in der Verfahrenssprache zu halten ([ 47 ], [ 23 ], [ 16 ], [ 21 ]).

27 Sondersprachregelungen in den Verfahrensordnungen der Vertragsstaaten gibt es auch für nationale Patentverfahren einschließlich gerichtlicher Patentverfahren. So kann etwa eine Patentanmeldung in Deutschland auch in einer anderen Sprache als Deutsch eingereicht ([ 50 ]) oder ein europäisches Patent im Nichtigkeitsverfahren vor deutschen Gerichten auch durch eine in deutscher Sprache gehaltene eingeschränkte Neufassung eines Patentanspruchs beschränkt verteidigt werden, wenn Deutsch nicht Verfahrenssprache des Erteilungsverfahrens war ([ 51 ]). Ebenso kann ein europäisches Patent im deutschen Patentnichtigkeitsverfahren in seiner maßgeblichen Verfahrenssprache (zum Beispiel Englisch) beschränkt verteidigt werden ([ 52 ]). Dabei kann es auch vorkommen, dass ein Patentanspruch im Urteilsspruch/Tenor in der englischen Verfahrenssprache des EPA neu formuliert werden muss ([ 53 ]; zu den Sprachregelungen des deutschen PatG s. auch [ 54 ]). Sonderregeln für Patentverfahren gibt es auch im Vereinigten Königreich zu nicht in englischer Sprache erteilten europäischen Patenten ([ 55 ], [ 56 ], [ 57 ]), ebenso in Frankreich zu fremdsprachigen Patenturkunden ([ 58 ], [ 38 ], [ 39 ]).

28 In keiner Verfahrensordnung ist ersichtlich, die Verwendung einer anderen als der jeweiligen Verfahrenssprache in der Entscheidung, soweit sie über die expliziten Ausnahmen hinausgeht, vorgesehen. Solche Ausnahmen gibt es ersichtlich nicht für die Wiedergabe des Parteienvorbringens.

29 Auch für das Verfahren nach dem EPÜ lässt sich daher in Anwendung des Artikels 125 EPÜ und der von ihm angeordneten Gesamtanalogie aus den Verfahrensgrundsätzen der Vertragsstaaten als Grundsatz ableiten, dass für die Verwendung einer anderen als der Verfahrenssprache in der Entscheidung nur sehr eingeschränkt Raum besteht, nämlich nur soweit es die Beantwortung verfahrensrelevanter Tat-/Beweis- und Rechtsfragen gebietet. Dazu zählt das wörtliche Zitieren aus fremdsprachigen (technischen wie nichttechnischen) Dokumenten und von schriftlichen und mündlichen Erklärungen von Zeuginnen, Zeugen, Sachverständigen oder Parteien im Rahmen der Beweiswürdigung, bzw. - allgemein formuliert - im Rahmen der Beurteilung des Beweiswerts und Inhalts (der Auslegung) von Urkunden.

30 Darüber hinaus kann es gerade in einem Verfahren wie nach dem EPÜ, bei dem sich die Parteien auch einer anderen als der Verfahrenssprache bedienen können, im Einzelfall geboten sein, zur Auslegung von Prozesserklärungen diese auch in der Originalsprache wiederzugeben, so etwa, wenn eine nicht in Verfahrenssprache gehaltene Prozesserklärung dahin zu interpretieren ist, ob in ihr eine Zurückziehung eines Antrags oder Rechtsmittels zu erblicken ist oder nicht.

31 Die Verwendung von einzelnen, anerkannten fremdsprachigen (Fach- und Rechts-)Begriffen, die auch in der Verfahrenssprache verstanden werden (z.B. "ex officio", "Computer", "Travaux préparatoires") wird dadurch nicht ausgeschlossen, soweit dies der Verständlichkeit nicht abträglich ist ([ 28 ]).

32 Auch die Wiedergabe von Belegstellen/Zitaten aus der Rechtsprechung in einer anderen Sprache begegnet keinen Bedenken, soweit die Verständlichkeit nicht beeinträchtigt wird und insbesondere deren Übersetzung oder sinngemäße Zusammenfassung in der Verfahrenssprache erfolgt.

33 Letztlich kann es bisweilen hilfreich oder geboten sein, zur Auslegung des EPÜ oder anderer nationaler oder internationaler Regelwerke die jeweiligen Travaux préparatoires auch in Originalsprache wiederzugeben (vgl. unter anderem [ 59 ]).

34 Für die bloße Wiedergabe des Vorbringens einer Partei in der von dieser gewählten Original-(Amts-)Sprache, ohne dass dafür eine verfahrenstechnische Notwendigkeit bestünde und ohne eine Übersetzung in die Verfahrenssprache oder eine Erläuterung in dieser anzuschließen, findet sich hingegen keine Grundlage. Dies gilt umso mehr, wenn - wofür die angefochtene Entscheidung aus den oben genannten Gründen beredtes Zeugnis abzulegen scheint - die Wiedergabe des Vorbringens einer Partei in einer anderen als der Verfahrenssprache es dem Entscheidungsorgan augenscheinlich selbst erschwert, sich mit allen relevanten Inhalten dieses Vorbringens auseinanderzusetzen und dies dazu führt, dass entscheidungswesentliche Aspekte in der Begründung nicht behandelt werden.

35 Das Gebot der Entscheidung in einer einheitlichen Verfahrenssprache soll eine zusammenhängende Darstellung in sprachlicher Homogenität und "in einem Fluss" ermöglichen, ohne den Leserinnen und Lesern einschließlich der interessierten Öffentlichkeit in einem - wie hier - öffentlichen Verfahren besondere Sprachkenntnisse oder Anstrengungen abzuverlangen.

36 Nur eine Entscheidung in einer einheitlichen Verfahrenssprache kann darüber hinaus dem Gebot der Transparenz der Entscheidungsfindung entsprechen, die ebenso ein zentrales Element fairer und rechtsstaatlicher Verfahren ist. Entscheidungsgründe müssen in ihrer Darstellung in jeder Hinsicht eindeutig sein, ohne Zweifel über den Inhalt aufkommen zu lassen. Dazu gehört auch eine einheitliche Verfahrenssprache. Nur eine solche einheitliche Verfahrenssprache wird auch den Anforderungen gerecht, die Regel 111(2) EPÜ an die Entscheidungsbegründung stellt.

37 Auch wenn die interessierten Kreise des europäischen Patentverfahrens vielfach mehr als einer Amtssprache des EPA mächtig sind, muss die uneingeschränkte Verständlichkeit von Entscheidungen auch gegenüber jenen sichergestellt sein, die diese Sprachkenntnisse nicht besitzen. Exemplarisch sei dazu noch einmal auf die obigen Belegstellen zur belgischen Rechtslage verwiesen, sohin in einer Jurisdiktion mit mehreren Amtssprachen bei nicht durchgehend mehrsprachiger Bevölkerung, in der besonderes Augenmerk auf die Verwendung einer einheitlichen Verfahrenssprache gelegt wird, um allen den gleichen und (sprach-)barrierefreien Zugang zur Justiz zu ermöglichen.

38 In einem Verfahren wie dem Einspruchs- und Einspruchsbeschwerdeverfahren nach dem EPÜ, bei dem Verfahrenshandlungen in mehreren Sprachen möglich sind, gilt das Gebot der Einheitlichkeit der (Verfahrens-)Sprache in der Entscheidung umso mehr. Das Entscheidungsorgan kann sich dazu nicht nur auf seine nach dem EPÜ geforderten eigenen Sprachkenntnisse stützen, sondern kann sich zusätzlich auch der Sprach- und Übersetzungsdienste des EPA bedienen, um insgesamt sicherzustellen, dass sämtliche Entscheidungsgründe von den Parteien richtig verstanden werden können. Dies erfließt nicht zuletzt aus dem Gebot des rechtlichen Gehörs der Parteien, wonach ihnen eben auch die Überprüfung möglich sein muss, ob die eigenen Argumente vom Entscheidungsorgan verstanden und in der Entscheidung entsprechend behandelt wurden. Das setzt zumindest eine zusammenfassende Wiedergabe der substantiellen Argumente der Parteien in der Verfahrenssprache voraus.

39 Auch diesen Vorgaben genügt die angefochtene Entscheidung nicht, die sich - wie gezeigt - darauf beschränkt, über weite Strecken englischsprachiges und entscheidungsrelevantes Parteienvorbringen wörtlich in Originalsprache wiederzugeben, ohne dieses Vorbringen zumindest in seinen Grundzügen in die Verfahrenssprache zu übersetzen und ohne dass dazu jegliche Notwendigkeit bestünde.

40 Auch insoweit liegt daher ein wesentlicher Verfahrensmangel vor.

41 Der Beschwerde ist damit Folge zu geben, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen (s. Artikel 11 VOBK 2020).

42 Im fortgesetzten Verfahren wird die Einspruchsabteilung eine dem Gebot der Einheitlichkeit der Verfahrenssprache entsprechende, sohin in Deutsch verfasste und in allen wesentlichen Punkten begründete Entscheidung zu fällen und darin insbesondere auch auf die entscheidenden (Kern-)Aspekte des beiderseitigen Vorbringens einzugehen haben.

Zitate

[ 1 ] Rechtsprechung der Beschwerdekammern 9. Aufl. 2019 III.K.3.4

[ 2 ] Rechtsprechung der Beschwerdekammern V.A.7.7.2, V.A.9.5.9

[ 3 ] T 1366/05 "Polymer electroluminescent device/PHILIPS", Gründe 4 ff

[ 4 ] T 534/08, Gründe 3

[ 5 ] Benkard, Europäisches Patentübereinkommen, Artikel 14, Rn. 29

[ 6 ] G 4/08 "Langue de la Procédure/ MERIAL", ABl. EPA 2010, 572: "Die Organe des EPA können im schriftlichen Verfahren zu einer europäischen Patentanmeldung - keine andere Amtssprache des EPA verwenden als die Verfahrenssprache der Anmeldung gemäß Artikel 14(3) EPÜ."

[ 7 ] Benkard, aaO., Artikel 14, Rn. 32

[ 8 ] G 2/12, ABl. EPA 2016, A27, Gründe V.(1); vgl. auch jüngst T 2320/16 "Oral proceedings by videoconference", Gründe 1.5.10

[ 9 ] Rechtsprechung der Beschwerdekammern III.H.3 und III.J.1.3, je mwN; vgl. auch T 1604/16, Gründe 3.1.7; R 8/13 vom 15. September 2015, Gründe 26.3; R 9/14 "Fundamental violation of Art. 13(1) EPC", Gründe 2.3; R 3/13, Gründe 2.1 und 2.6.

[ 10 ] Artikel 36 ff der Verfahrensordnung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH)

[ 11 ] R. 34 und 76 der Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR)

[ 12 ] § 184 Gerichtsverfassungsgesetz

[ 13 ] Artikel 8 Bundes-Verfassungsgesetz

[ 14 ] § 53(1) Geschäftsordnung der Gerichte I. und II. Instanz

[ 15 ] Administration of Justice (Language) Act (Ireland) 1737

[ 16 ] Artikel 37 und 40 belgisches Loi concernant l'emploi des langues en matière judiciaire v. 15. Juni 1935

[ 17 ] Artikel 111 de l'ordonnance sur le fait de la justice prise par François Ier à Villers-Cotterêts le 25 août 1539

[ 18 ] Artikel L111-1 du Code des relations entre le public et l'administration

[ 19 ] Artikel 23 du Code de procédure civile; Artikel 2 du Protocole relatif à la procédure devant la Chambre Internationale de la cour d'appel de Paris, 2018

[ 20 ] Bericht des Haut Comité Juridique de la Place financière de Paris "Préconisations sur la mise en place à Paris des chambres spécialisées pour le traitement du contentieux international des affaires", 2017, §§ 34, 35

[ 21 ] Artikel 38 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs der Europäischen Union

[ 22 ] Zimmermann, Münchener Kommentar zur ZPO 5. Aufl. 2017, § 184 GVG, Rn. 9, 10

[ 23 ] Zöller, Zivilprozessordnung 33. Aufl. 2020, § 184 GVG, Rn. 1

[ 24 ] BGH 1 StR 302/11

[ 25 ] James Buchanan & Company Limited v Babco Forwarding and Shipping (UK) Limited [1976] EWCA Civ 9

[ 26 ] Andrea Merzario Limited v Internationale Spedition Leitner Gesellschaft GmbH [2001] EWCA Civ 61

[ 27 ] Fothergill v Monarch Airlines Limited [1980] UKHL 6

[ 28 ] Rigaux/Dejemeppe, "La langue imposée en justice et le contrôle des juridictions supérieures : variations sur une procédure pour le temps présent", in: Mélanges Jean Spreutels, Bruylant 2018

[ 29 ] Cass., 16 novembre 1987, Pasicrisie belge 1988, n° 161

[ 30 ] Cass., 20 janvier 1992, Pasicrisie belge n° 256

[ 31 ] Cass., 7 novembre 1996, Pasicrisie belge n° 423

[ 32 ] Cass., 2 avril 2003, Pasicrisie belge n° 220

[ 33 ] "Le juge et la mondialisation dans la jurisprudence de la Cour de cassation", l'étude de 2017 de la Cour de cassation

[ 34 ] 2e Civ., 11 janvier 1989 (87-13.860)

[ 35 ] 1re Civ., 23 janvier 2008 (06-21.011)

[ 36 ] 1re Civ., 25 juin 2009 (08-11.226)

[ 37 ] Tribunal de grande instance de Paris, 26 octobre 2018 (15/12435)

[ 38 ] Tribunal de grande instance de Paris, 12 janvier 2017 (15/09751)

[ 39 ] Tribunal de grande instance de Paris, 16 novembre 2017 (16/18452)

[ 40 ] BGH VII ZR 145/12

[ 41 ] OLG Wien 133 R 122/18s

[ 42 ] Cass., 30 mai 1996 n° C.95.0184.N

[ 43 ] Cass., 14 avril 2000, n° C.99.0089.F

[ 44 ] Cass., 08 juin 2000, F.97.0047.N

[ 45 ] Cass., 16 septembre 2004, n° C.04.0132.F

[ 46 ] Cass., 6 juin 2008, n° C.07.0144.F

[ 47 ] Armbrüster, Fremdsprachen in Gerichtsverfahren, NJW 2011, 812

[ 48 ] Danzl, Geo 7. Aufl. § 53 Anm 3a

[ 49 ] Conseil Constitutionnel, décision n° 2006-541 DC du 28 septembre 2006

[ 50 ] § 35a PatG

[ 51 ] BGH X ZR 109/90 BGHZ 118, 221 = NJW 1993, 71 = MDR 1992, 1044 = GRUR 1992, 839 = GRUR Int. 1993, 342 = BB 1992,1668 - Linsenschleifmaschine

[ 52 ] BGH X ZR 206/98 MDR 2004, 776 = GRUR 2004, 407 = GRUR 2004, 446 = BauR 2004, 1184 - Fahrzeugleitsystem

[ 53 ] BGH Xa ZR 100/05 BGHZ 184, 300 = GRUR 2010, 414 = GRUR Int. 2010, 749 - Thermoplastische Zusammensetzung

[ 54 ] Mes, Patentgesetz Gebrauchsmustergesetz 5. Aufl. 2020, § 126 PatG, Rn 10

[ 55 ] Section 80, Patents Act 1977

[ 56 ] Siemens Schweiz AG v Thorn Security Limited [2007] EWHC 2242 (Ch)

[ 57 ] IPCOM GmbH & Co KG v HTC Europe Co Ltd & Ors [2015] EWHC 1034 (Pat)

[ 58 ] Cour de Cassation, Cass. com, 7 janvier 2014 (12-25.955)

[ 59 ] T 844/18 "CRISPR-Cas/BROAD INSTITUTE"

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Der Beschwerde wird Folge gegeben.

2. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben und der Einspruchsabteilung die neuerliche Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung aufgetragen.

3. Die Beschwerdegebühr wird zurückgezahlt.

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