T 1447/16 () of 25.9.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T144716.20190925
Datum der Entscheidung: 25 September 2019
Aktenzeichen: T 1447/16
Anmeldenummer: 07784621.0
IPC-Klasse: F04B 41/06
F04B 25/00
F04B 27/02
F04C 23/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: MEHRSTUFIGER VERDICHTER
Name des Anmelders: Leobersdorfer Maschinenfabrik AG
Name des Einsprechenden: NEUMAN & ESSER GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(3)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Spät eingereichte Hilfsanträge - zugelassen (nein)
Spät eingereichte Hilfsanträge - Antrag eindeutig gewährbar (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung zur Post gegeben am 3. Mai 2016, das europäische Patent Nr. 2 052 156 nach Artikel 101 (3) (b) EPÜ zu widerrufen.

II. Gegen diese Entscheidung hat die Patentinhaberin als Beschwerdeführerin am 17. Juni 2016 Beschwerde eingelegt und am selben Tag die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 12. September 2016 eingereicht.

III. Der Einspruch gegen das Patent war auf den Einspruchsgrund nach Artikel 100 (a) i.V.m. Artikel 56 EPÜ gestützt. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 und 2 nicht die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ erfüllten, und hat das Patent widerrufen.

Dabei hat sie unter anderen die folgende Druckschrift zitiert:

D12: Prospekt der Leobersdorfer Maschinenfabrik mit dem Titel: "High pressure compound compressors" und dem Veröffentlichungsdatum 09/86

IV. Das folgende Beweismittel aus dem Beschwerdeverfahren wird in der vorliegenden Entscheidung behandelt:

D18: Ullmanns Encyklopädie der technischen Chemie, Verlag Chemie, Weinheim/Bergstr.,4. neubearbeitete und erweiterte Auflage 1973, Band 3, Seiten 88-90

V. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 16. Mai 2019 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung zu den Sachfragen mit. Die mündliche Verhandlung fand am 25. September 2019 in Anwesenheit aller am Beschwerdeverfahren beteiligten Parteien statt.

VI. Die Beschwerdeführerin Patentinhaberin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag), oder hilfsweise die Aufrechterhaltung in geändertem Umfang auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1-3, eingereicht mit der Beschwerdebegründung, der Hilfsanträge 4-6, eingereicht mit Schreiben vom 26. August 2019, oder des Hilfsantrags 7, eingereicht während der mündlichen Verhandlung.

VII. Die Beschwerdegegnerin Einsprechende beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.

VIII. Der unabhängige Anspruch 1 der für diese Entscheidung relevanten Anträge hat folgenden Wortlaut:

Hauptantrag

"Mehrstufiger Verdichter (1) zur Komprimierung von Gasen mit einem Niederdruckbereich (2) und einem Hochdruckbereich (5), wobei im Niederdruckbereich (2) zumindest ein Schraubenverdichter (3) und im Hochdruckbereich (5) zumindest ein zwei Zylinder (7) umfassender Hubkolbenverdichter (6) vorgesehen ist und ein gemeinsamer Motor (4) für den Antrieb des Schraubenverdichters (3) und des Hubkolbenverdichters (6) vorgesehen ist, wobei die Längsachse einer Kurbelwelle (8) des Motors (4) im Wesentlichen horizontal angeordnet ist und der Motor (4) seitlich neben dem Hubkolbenverdichter (6) angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, dass in den Zylindern (7) jeweils ein Stufenkolben aufgenommen ist oder die Zylinder (7) doppelwirkend ausgebildet sind und die Zylinder (7), deren Längsachsen im Wesentlichen horizontal angeordnet sind, im Hochdruckbereich (5) um 180° verdreht zueinander angeordnet sind."

Hilfsantrag 1

Wie im Hauptantrag, wobei Anspruch 1 die folgende Änderung aufweist (von der Kammer mit Unterstreichung hervorgehoben):

"...zueinander in einer Boxerbauweise angeordnet sind."

Hilfsantrag 2

Wie im Hauptantrag, wobei Anspruch 1 die folgenden Änderungen aufweist (von der Kammer mit Durch- und Unterstreichung hervorgehoben):

"Verwendung eines [deleted: M]mehrstufige[deleted: r]n Verdichters ..., [deleted: dadurch gekennzeichnet, dass] wobei in den Zylindern (7) ...zueinander angeordnet sind[deleted: .], in einer auf einem Schiff montierten Verdichteranlage."

Hilfsantrag 3

Wie im Hilfsantrag 2, wobei Anspruch 1 die folgende Änderung aufweist (von der Kammer mit Unterstreichung hervorgehoben):

"...zueinander in einer Boxerbauweise angeordnet sind,"

Hilfsantrag 4

Wie im Hauptantrag, wobei Anspruch 1 die folgenden Änderungen aufweist (von der Kammer mit Durch- und Unterstreichung hervorgehoben):

"..., [deleted: dadurch gekennzeichnet, dass] wobei in den Zylindern (7) jeweils ein Stufenkolben aufgenommen ist oder die Zylinder (7) doppelwirkend ausgebildet sind, dadurch gekennzeichnet, dass [deleted: und] ... zueinander angeordnet sind[deleted: .], wobei die Abmessungen des Verdichters eine Aufnahme des Verdichters in einem ISO-Container von 2,44 m Breite und 12,2 m Länge erlauben."

Hilfsantrag 5

Wie im Hilfsantrag 4, wobei Anspruch 1 die folgende Änderung aufweist (von der Kammer mit Unterstreichung hervorgehoben):

"...zueinander in einer Boxerbauweise angeordnet sind"

Hilfsantrag 6

Wie im Hilfsantrag 3, wobei Anspruch 1 die folgende Änderung aufweist (von der Kammer mit Unterstreichung hervorgehoben):

"zueinander in einer Boxerbauweise angeordnet sind, wobei die Abmessungen des Verdichters eine Aufnahme des Verdichters in einem ISO-Container von 2,44 m Breite und 12,2 m Länge erlauben, in einer auf einem Schiff montierten Verdichteranlage."

Hilfsantrag 7

Wie im Hilfsantrag 4, wobei Anspruch 1 die folgende Änderung aufweist (von der Kammer mit Unterstreichung hervorgehoben):

"von 2,44 m Breite und 12,2 m Länge erlauben,

wobei zwischen den einzelnen Verdichterstufen zumindest eine Dämpfungseinrichtung, eine Kühlvorrichtung und ein Kondensatabscheider vorgesehen sind."

IX. Die Beschwerdeführerin Patentinhaberin hat zu den entscheidungserheblichen Punkten folgendes vorgetragen:

Der Gegenstand von Anspruch 1 aller Anträge beruhe auf erfinderischer Tätigkeit ausgehend von der D12 in Zusammenschau mit D18. Der Hilfsantrag 7 sei zum Verfahren zuzulassen.

X. Die Beschwerdegegnerin Einsprechende hat zu den entscheidungserheblichen Punkten folgendes vorgetragen:

Der Gegenstand von Anspruch 1 aller Anträge beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit, da er ausgehend von D12 durch die dem Fachmann wohlbekannten und in D18 genannten Vorteile der Boxerbauweise nahegelegt werde.

Der Hilfsantrag 7 sei nicht zum Verfahren zuzulassen, da der Antrag extrem verspätet sei. Die aus der Beschreibung in den Anspruch 1 aufgenommenen Merkmale seien entweder bereits aus D12 bekannt oder fachüblich, so dass der Antrag nicht eindeutig gewährbar sei.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Anwendungsgebiet der Erfindung

Die Erfindung betrifft einen mehrstufigen Verdichter zur Komprimierung von Gasen mit einem Niederdruck-bereich mit zumindest einem Schraubenverdichter und einem Hochdruckbereich mit zumindest einem zwei Zylinder umfassenden Hubkolbenverdichter, wobei ein gemeinsamer Motor für den Antrieb des Schrauben-verdichters und des Hubkolbenverdichters vorgesehen ist. Die Zylinder des Hubkolbenverdichters, deren Längsachsen im Wesentlichen horizontal angeordnet sind, sind um 180° verdreht zueinander angeordnet. Dadurch wird ein kompakter Verdichter mit einem verbessertem Schwingungsverhalten geschaffen (Patentschrift, Absätze 14 und 15).

Außerdem betrifft das Streitpatent die Verwendung des mehrstufigen Verdichters in einer mobilen Verdichteranlage oder in einer auf einem Schiff montierten Verdichteranlage.

3. Hauptantrag - erfinderische Tätigkeit

Die angegriffene Entscheidung verneinte das Vorliegen von erfinderischer Tätigkeit unter anderem gegenüber einer Kombination von D12 und dem Fachwissen. Die Beschwerdeführerin bestreitet diesen Befund der Entscheidung.

3.1 Das Dokument D12 wird auch von der Kammer als geeigneter Startpunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit angesehen, da es einen mehrstufigen Verdichter zur Komprimierung von Gasen nach dem Oberbegriff von Anspruch 1 offenbart, siehe die Abbildungen auf den Seiten 2 und 3. Dieser Verdichter weist in seinem Niederdruckbereich einen Schraubenverdichter "screw compressor" und in seinem Hochdruckbereich einen Hubkolbenverdichter "reciprocating compressor" oder "piston compressor" auf, wobei ein gemeinsamer Motor mit horizontal angeordneter Kurbelwelle zum Antrieb der beiden Verdichter vorgesehen ist (siehe die obere Abbildung auf Seite 3). Der Fachmann entnimmt der unteren Abbildung auf Seite 3, dass in den Zylindern des Hubkolbenverdichters jeweils ein Stufenkolben aufgenommen ist bzw. dass die Zylinder doppeltwirkend ausgebildet sind.

Unbestritten unterscheidet sich der Gegenstand von Anspruch 1 von der Offenbarung der D12 darin, dass die Zylinder, deren Längsachsen im Wesentlichen horizontal angeordnet sind, im Hochdruckbereich um 180° verdreht zueinander angeordnet sind.

3.2 Diesen Unterscheidungsmerkmalen liegt aus Sicht der Beschwerdeführerin die objektive technische Aufgabe zugrunde, die Kapazität und damit den Volumenstrom des Verdichters zu maximieren bzw. das Schwingungsverhalten des Verdichters zu optimieren ohne dabei seine Kapazität zu kompromittieren (Beschwerdebegründung, Brückenabsatz zwischen den Seiten 2 und 3 sowie Absatz 4 auf Seite 2).

Die Kammer sieht das anders, da eine behauptete technische Wirkung eines Merkmals bei der Formulierung der zu lösenden Aufgabe nicht zu berücksichtigen ist, wenn der Fachmann diese Wirkung aus den ursprünglich eingereichten Unterlagen vor dem Hintergrund des nächstliegenden Stands der Technik nicht eindeutig ableiten kann bzw. wenn diese Wirkung in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht wenigstens angedeutet wird (RdBK, 9. Auflage 2019, I.D.4.4.2).

Aus den folgenden Gründen ist die behauptete Wirkung bezüglich der Kapazität nicht aus der ursprünglich eingereichten Fassung des Patents ableitbar:

3.2.1 Die Kammer stimmt der Beschwerdeführerin darin zu, dass eine hohe Kapazität - fachüblich unbestritten auch Förderleistung genannt - eine Grundanforderung an einen Hubkolbenverdichter ist. Siehe das zum Beleg des allgemeinen Fachwissens herangezogene Fachbuch D18, wonach die Entwicklung beim Kolbenverdichter zu einer Drehzahlsteigerung tendiert, um bei gleicher Größe eine höhere Förderleistung zu gewinnen (Seite 89, rechte Spalte, erster vollständiger Absatz). Dieses Fachwissen wäre aber nur dann bei der Formulierung der objektiven technischen Aufgabe zu berücksichtigen, wenn der Anspruch darauf gerichtete technische Merkmale enthielte. Die Beschwerdeführerin hat nicht vorgetragen, dass bereits die beanspruchte Anordnung der Zylinder ohne sonstige Veränderungen am Hubkolbenverdichter zu einer höheren Förderleistung des Hubkolbenverdichters führt. Das ist auch aus Sicht der Kammer nicht der Fall, da die Förderleistung eines Hubkolbenverdichters nicht von der Anordnung der Zylinder, sondern von der Anzahl und Fläche der förderwirksamen Kolbenoberflächen sowie der Drehzahl und dem Hub des Hubkolbenverdichters beeinflusst wird.

3.2.2 Das Argument, wonach die Grundanforderung nach einer höheren Kapazität implizit in der beanspruchten Mehrstufigkeit enthalten sei, überzeugt die Kammer nicht. Das Dokument D12 ist nämlich bereits auf einen mehrstufigen Kolbenverdichter mit zwei Stufen gerichtet, siehe die Offenbarung "two-stage piston compressor" auf Seite 2, rechte Spalte, so dass die Mehrstufigkeit kein Unterscheidungsmerkmal zum nächstliegenden Stand der Technik darstellt und folglich bei der Formulierung der objektiven technischen Aufgabe nicht berücksichtigt werden kann.

3.2.3 Auch der Verweis auf die in Absatz 27 der Patentschrift genannte "effiziente Verdichtung" führt zu keinem anderen Ergebnis. Selbst wenn eine effiziente Verdichtung mit einer hohen Kapazität des Verdichters gleichzusetzen wäre, wird sie laut Absatz 27 durch eine dem Hubkolbenkompressor vorgeschaltete Kühlvorrichtung mit Kondensatabscheider bewirkt. Anspruch 1 enthält aber keine auf eine Kühlvorrichtung mit Kondensat-abscheider gerichteten Merkmale, so dass die technische Wirkung einer effizienten Verdichtung nicht von der beanspruchten Vorrichtung erzielt wird.

3.3 Da die behauptete Wirkung bezüglich der Kapazität nicht aus der ursprünglich eingereichten Fassung des Patents ableitbar ist, kann sie bei der Formulierung der objektiven technischen Aufgabe nicht berücksichtigt werden. Stattdessen ist die Aufgabe so zu formulieren, dass ihre technische Wirkung sich genau auf die Merkmale stützt, durch die sich der Anspruch vom Stand der Technik unterscheidet (RdBK, 9. Auflage 2019, I.D.4.3.1). Das Streitpatent nennt als technische Wirkung der Unterscheidungsmerkmale, dass sich ein wesentlich schwingungsärmerer Lauf der in den Zylindern aufgenommenen Kolben, sowie ein äußerst kompakter mehrstufiger Verdichter ergibt (Absätze 14 und 15). Daher besteht die objektive technische Aufgabe darin, einen kompakten Verdichter mit einem verbessertem Schwingungsverhalten zu schaffen.

3.4 Die Unterscheidungsmerkmale, also Zylinder, deren Längsachsen im Wesentlichen horizontal angeordnet sind, und die um 180° verdreht zueinander angeordnet sind, bewirken wegen der um 180° verdrehten Anordnung, dass die Bewegung des im zweiten Zylinder angeordneten Kolbens spiegelbildlich zur Bewegung des im ersten Zylinder angeordneten Kolbens verläuft. Folglich bewegen sich bei einem Kolbenpaar die beiden Kolben gleichzeitig aufeinander zu bzw. voneinander weg. Eine solche Bewegung wird auch als Boxerbauweise bezeichnet, so dass die Unterscheidungsmerkmale wegen der horizontalen Anordnung der Zylinder auf eine horizontale Boxerbauweise des Hubkolbenverdichters gerichtet sind.

3.5 Die Beschwerdeführerin hält die horizontale Boxerbauweise bereits deshalb für nicht naheliegend, weil mehrere andere, technisch einfachere Lösungen existierten. Die Kammer kann sich diesem Argument nicht anschließen, da es auf eine vergleichende Beurteilung der beanspruchten Erfindung mit anderen technischen Lösungen der objektiven technischen Aufgabe hinausläuft. Eine solche Herangehensweise widerspricht der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern, wonach beim Aufgabe-Lösungs-Ansatz die Frage zu prüfen ist, ob die beanspruchten technischen Merkmale angesichts des Stands der Technik für einen Fachmann naheliegend gewesen wären (RdBK, 9. Auflage 2019, I.D.2). Demnach wird die beanspruchte Erfindung gerade nicht mit anderen möglichen technischen Lösungen verglichen. Stattdessen wird nur geprüft, ob sie angesichts des Standes der Technik naheliegend war.

3.6 In Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes muss die Kammer daher nun untersuchen, ob ein Fachmann angesichts des Standes der Technik auf naheliegende Weise zu einer horizontalen Boxerbauweise des Hubkolbenverdichters gelangt.

3.6.1 Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, dass auf dem Gebiet der Gasverdichter ein Vorurteil gegen die horizontale Boxerbauweise bestand. Demnach habe die V-Anordnung von Kolben und Zylindern eines Hubkolbenverdichters einen optimalen Kompromiss zwischen Platzbedarf und Schwingungsverhalten dargestellt. Wegen dieses Vorurteils hätte ein Fachmann nicht die horizontale Boxeranordnung gewählt, um das Schwingungsverhalten des Hubkolbenverdichters zu verbessern.

Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern kann die Anerkennung einer erfinderischen Tätigkeit manchmal durch den Nachweis erreicht werden, dass ein bekanntes Vorurteil, d. h. eine weit verbreitete, aber falsche Vorstellung von einem technischen Sachverhalt, überwunden werden musste. In solchen Fällen liegt die Beweislast beim Patentinhaber, der, beispielsweise durch geeignete Fachliteratur, belegen muss, dass das geltend gemachte Vorurteil tatsächlich bestand (RdBK, 9. Auflage 2019, I.D.10.2.).

Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin Patentinhaberin keine Beweise für das Bestehen des von ihr behaupteten Vorurteils vorgelegt. Auch wenn auf dem Fachgebiet die V-Anordnung als optimaler Kompromiss zwischen Platzbedarf und Schwingungsverhalten bevorzugt würde, heißt dies noch nicht, dass der Fachmann sich dann immer von anderen, ihm bekannten alternativen Anordnungen, abwenden würde, weil sie weniger optimal wären.

Dessen ungeachtet belegt das aus dem Jahr 1973 stammende und unbestritten auf Gasverdichter gerichtete Fachbuch D18, dass Kolbenverdichter in horizontaler Boxerbauweise bereits weit vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents üblich gewesen sind (Seite 89, rechte Spalte, erster vollständiger Absatz: "...hat sich daher ein liegender Boxertyp in mehrzylindriger Ausführung durchgesetzt"). Gerade weil D18 darauf hinweist, dass sich Gasverdichter in horizontaler Boxerbauweise durchgesetzt haben, kann die Kammer kein Vorurteil gegen diese Bauweise erkennen. Der Fachmann wird sie daher zur Lösung der objektiven technischen Aufgabe heranziehen.

3.6.2 Die Beschwerdeführerin argumentiert unter Verweis auf eine vorgegebene maximale Breite des Verdichters, dass der Fachmann nicht dazu veranlasst gewesen sei, in D12 die Zylinder in der horizontalen Boxerbauweise anzuordnen. Im Vergleich zur Boxerbauweise sei nämlich eine 90°-V-Anordnung um 30% schmäler, so dass bei gleicher Breite eines Verdichters in Boxerbauweise sein Hubweg und dementsprechend sein Hubraum um etwa 30% geringer sei. Um die Verminderung des Hubraums auszugleichen, müsse daher die maximale Drehzahl eines Verdichters in Boxerbauweise erhöht werden. Da die maximale Drehzahl jedes Hubkolbenverdichters von seinem Schwingungsverhalten abhänge, übersteige es das Fachwissen des Fachmanns, dass die maximale Drehzahl eines Verdichters in Boxerbauweise den Nachteil der Hubraumreduktion überkompensiere.

Die Kammer sieht das anders. Anspruch 1 enthält keine Merkmale, die auf eine Drehzahlerhöhung des Hubkolbenverdichters in horizontaler Boxerbauweise gerichtet sind, so dass die technische Wirkung eines gleichbleibenden Hubraums im Vergleich zur konventionellen Anordnung der Zylinder nicht von der beanspruchten Vorrichtung erzielt wird. Dessen ungeachtet ist eine Drehzahlerhöhung aus Sicht der Kammer keineswegs eine zwingende Voraussetzung, um bei einem Wechsel zur Boxerbauweise eine gleichbleibende Förderleistung zu erzielen. Stattdessen könnte auch der Durchmesser der Zylinder und Kolben erhöht werden, um bei gleichbleibender Drehzahl des Verdichters die mit der Boxerbauweise einhergehende Verminderung des Hubraums auszugleichen.

3.6.3 Das Dokument D18 offenbart explizit, dass ein Gasverdichter in horizontaler Boxerbauweise in mehrzylindriger Ausführung eine gute Laufruhe hat, und dass dabei die ganze Maschine einen raumsparenden Block bildet (Seite 89, rechte Spalte, erster vollständiger Absatz). Ein Fachmann versteht den Verweis auf einen raumsparenden Block wegen der im selben Absatz offenbarten "kompakten Einheit" in dem Sinne, dass der in D18 offenbarte Verdichter kompakt ist. Da zudem die gute Laufruhe beim liegenden Boxertyp im Vergleich zu mechanischen Schwingungen bei einem üblichen Kolbenverdichter angesprochen wird, erkennt ein Fachmann auch unmittelbar und eindeutig, dass die horizontale Boxerbauweise zu einem verbesserten Schwingungsverhalten des Verdichters führt.

Daher wird ein Fachmann ausgehend von D12 durch sein allgemeines Fachwissen, wie es beispielsweise im Fachbuch D18 dokumentiert ist, dazu veranlasst, zur Lösung der objektiven technischen Aufgabe den Verdichter in horizontaler Boxerbauweise auszugestalten. Eine dabei vermeintlich auftretende höhere Abnutzung der liegenden Zylinder im unteren Bereich der Kolbenlauffläche wird den Fachmann nicht davon abhalten, da sie durch die Schwerkraft hervorgerufen wird und daher auch schon bei der unbestritten in D12 offenbarten V-Anordnung der Zylinder wegen der unter dem halben V-Winkel zur Senkrechten geneigten Anordnung der Zylinder auftritt.

3.7 Aus dem Vorstehenden folgt, dass der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag ausgehend von D12 für den Fachmann durch sein Fachwissen, das insbesondere durch die D18 dokumentiert ist, nahegelegt wird.

4. Hilfsanträge - erfinderische Tätigkeit

Das zusätzliche Merkmal "in einer Boxerbauweise" in Anspruch 1 von Hilfsantrag 1, 3, 5 und 6 ist bereits implizit im Hauptantrag enthalten (siehe Absatz 3.4 dieser Entscheidung). Außerdem werden die zusätzlichen Merkmale "Verwendung ... in einer auf einem Schiff montierten Verdichteranlage" in Anspruch 1 von Hilfsantrag 2, 3 und 6 und "die Abmessungen des Verdichters eine Aufnahme des Verdichters in einem ISO-Container von 2,44 m Breite und 12,2 m Länge erlauben" in Anspruch 1 von Hilfsantrag 4 bis 6 unbestritten bereits in D12 offenbart, siehe die Angabe "seismic vessel" im Zusammenhang mit der oberen Abbildung auf Seite 13 sowie die Darstellung eines Verdichters in einem ISO-Container in der oberen Abbildung auf Seite 8.

Da alle zusätzlichen Merkmale der Hilfsanträge bereits in D12 offenbart werden und folglich keine Unterscheidungsmerkmale bilden können, verändern diese Merkmale im Vergleich zum Hauptantrag nicht die Basis für den Aufgabe-Lösungs-Ansatz. Daraus folgt, dass der Gegenstand von Anspruch 1 jedes der Hilfsanträge 1-6 aus den beim Hauptantrag genannten Gründen ausgehend von D12 für den Fachmann durch sein Fachwissen nahegelegt wird.

5. Hilfsantrag 7 - Zulassung zum Verfahren

Die Vorlage des Hilfsantrags 7 erfolgte erst in der mündlichen Verhandlung. Dieser verspätet vorgelegte Hilfsantrag stellt daher geändertes Vorbringen dar, dessen Zulassung nach Maßgabe der Erfordernisse des Artikels 13(1) und (3) VOBK erfolgt.

5.1 Gemäß einem von den Kammern häufig angewandten Ansatz werden erst nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung eingereichte Anträge nur dann zugelassen, wenn sie u.a. eindeutig und offensichtlich gewährbar sind, d.h. für die Kammer muss ohne großen Ermittlungsaufwand sofort ersichtlich sein, dass die vorgenommenen Änderungen den aufgeworfenen Fragen erfolgreich Rechnung tragen, ohne ihrerseits zu neuen Fragen Anlass zu geben (RdBK, 9. Auflage 2019, V.A.4.5.1b)).

5.2 Diese Bedingung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt:

Anspruch 1 weist gegenüber dem Hilfsantrag 4 die zusätzlichen Merkmale "wobei zwischen den einzelnen Verdichterstufen zumindest eine Dämpfungseinrichtung, eine Kühlvorrichtung und ein Kondensatabscheider vorgesehen sind" auf.

In D12 werden bereits eine Kühlvorrichtung und ein Kondensatabscheider offenbart (Seite 3, untere Abbildung, links von den Symbolen für die drei Kolben des Hubkolbenverdichters). Daher können diese beiden Merkmale im Vergleich zu Hilfsantrag 4 die Basis für den Aufgabe-Lösungs-Ansatz nicht verändern.

Die ebenfalls in den geänderten Anspruch aufgenommene Dämpfungseinrichtung dient dazu, Druckschwingungen des zu komprimierenden Gases zu begrenzen (Patentschrift, Absatz 27). Aus Sicht der Kammer sind dem Fachmann auf dem Gebiet der Gasverdichter solche Druckschwankungen geläufig, so dass die Verwendung einer Dämpfungs-einrichtung fachüblich zu sein scheint. Es ist daher von vornherein fraglich, ob der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 7 auf erfinderischer Tätigkeit beruht.

Somit werden vom Hilfsantrag 7 Fragen unter Artikel 56 EPÜ aufgeworfen, die dazu führen, dass der geänderte Anspruch nicht mehr eindeutig und offensichtlich gewährbar im obigen Sinne ist. Folglich kommt eine Zulassung für die Kammer nicht in Betracht. Daher entschied die Kammer in Ausübung ihres Ermessens, den Hilfsantrags 7 nicht ins Verfahren zuzulassen, Artikel 13(3) VOBK.

6. Weder der Hauptantrag noch die Hilfsanträge 1-6 sind gewährbar, da Anspruch 1 dieser Anträge gegenüber einer Kombination der D12 mit dem durch D18 belegten allgemeinen Fachwissen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, Artikel 100(a) und 56 EPÜ. Somit ist die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit zu widerrufen, zu bestätigen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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