T 0779/16 () of 4.2.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T077916.20200204
Datum der Entscheidung: 04 Februar 2020
Aktenzeichen: T 0779/16
Anmeldenummer: 09781015.4
IPC-Klasse: F04C 29/12
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 368 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VAKUUMPUMPE
Name des Anmelders: Joma-Polytec GmbH
Name des Einsprechenden: WABCO Europe BVBA
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(3)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(3)
Schlagwörter: Änderungen - Erweiterung des Patentanspruchs (ja)
Spät eingereichte Hilfsanträge - zugelassen (nein)
Spät eingereichte Hilfsanträge - Antrag eindeutig gewährbar (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, zur Post gegeben am 18. Januar 2016, das europäische Patent Nr. 2 347 133 in geändertem Umfang nach Artikel 101 (3) (a) und 106 (2) EPÜ aufrechtzuerhalten.

II. Der Einspruch gegen das Patent war auf die Gründe Artikel 100 (a) i.V.m. Artikel 54 und 56 EPÜ, Artikel 100 (b) EPÜ und Artikel 100 (c) EPÜ gestützt. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass das nach dem Hilfsantrag 1 geänderte Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügen.

Dabei hat sie unter anderem die folgende Druckschrift berücksichtigt:

E5: DE 101 47 325 A1

III. Gegen diese Entscheidung hat die Einsprechende als Beschwerdeführerin am 22. März 2016 Beschwerde eingelegt und am selben Tag die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 24. Mai 2016 eingereicht.

IV. In einer Mitteilung vom 2. August 2019 gemäß Artikel 15(1) VOBK teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung nach erfolgter Ladung zur mündlichen Verhandlung mit. Die mündliche Verhandlung fand am 4. Februar 2020 in Anwesenheit aller am Beschwerdeverfahren beteiligten Parteien statt.

V. Die Beschwerdeführerin Einsprechende beantragt die Aufhebung der angefochtenen Zwischenentscheidung und den Widerruf des Patents.

VI. Die Beschwerdegegnerin Patentinhaberin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde, und somit als Hauptantrag die Aufrechterhaltung des Patents auf Basis der im Einspruchsverfahren geänderten Fassung. Hilfsweise beantragt sie die Aufrechterhaltung gemäß dem während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereichten neuen Hilfsantrag 1, gemäß dem mit der Beschwerdebegründung eingereichten (alten) Hilfsantrag 1, oder gemäß einem der mit Schreiben vom 19. Dezember 2019 eingereichten Hilfsanträge 2-4.

VII. Der unabhängige Anspruch 1 der für diese Entscheidung relevanten Anträge hat folgenden Wortlaut:

Hauptantrag

"Vakuumpumpe (12), insbesondere Flügelzellenpumpe, mit einem Pumpengehäuse (10), in welchem ein Saugraum (16) vorgesehen ist, und einem in den Saugraum (16) einmündenden Pumpengehäusedurchbruch (20), wobei im Pumpengehäusedurchbruch (20) ein ins Freie (22) oder in einen externen Unterdruckraum mündendes Saug-Rückschlagventil (24) angeordnet ist, welches in einem topfförmigen Ventilgehäuse (28) untergebracht ist und das topfförmige Ventilgehäuse (28) einen Gehäusemantel (30) aufweist, wobei das Saug-Rückschlagventil (24) im Pumpengehäusedurchbruch (20) verrastbar ist, das Saug-Rückschlagventil (24) und/oder der Pumpengehäusedurchbruch (20) wenigstens eine Hinterschneidung (50) oder eine Umfangsnut (52) aufweist, die an der Außenseite des Gehäusemantels (30) und/oder an der Innenseite des Pumpengehäusedurchbruchs (20) vorgesehen ist, dass das Saug-Rückschlagventil (24) und/oder der Pumpengehäusedurchbruch (20) mit wenigstens einem Rasthaken (44) versehen ist, der einen gegenüber dem Gehäusemantel (30) radial verschwenkbaren Rastfinger mit einer Rastnase (48) aufweist und der Rastfinger beim Einsetzen des Saug-Rückschlagventils (24) in den Pumpengehäusedurchbruch (20) in die Umfangsnut (52) einrastet, dadurch gekennzeichnet, dass in Auszugsrichtung die Rastnase (48) des Rasthakens (44) hinter einem einstückig am Gehäusemantel angeformten Ende des Rasthakens (44) liegt, so dass der Rasthaken (44) bei Zug auf das Saug-Rückschlagventil (24) auf Druck belastet wird."

Hilfsantrag 1 (neu)

Wie im Hauptantrag, wobei Anspruch 1 die folgenden Änderungen aufweist (von der Kammer mit Durch- und Unterstreichung hervorgehoben):

"... dass in Auszugsrichtung die Rastnase (48) des Rasthakens (44) [deleted: hinter] vor einem, also in der Auszugsrichtung nachfolgend, einstückig am Gehäusemantel angeformten Ende des Rasthakens (44) liegt..."

Hilfsantrag 1 (alt)

Wie im Hauptantrag, wobei Anspruch 1 die folgenden Änderungen aufweist (von der Kammer mit Durchstreichung hervorgehoben):

"... und/oder der Pumpengehäusedurchbruch (20) wenigstens [deleted: eine Hinterschneidung (50) oder] eine Umfangsnut (52) aufweist"

Hilfsantrag 2

Wie im Hauptantrag, wobei Anspruch 1 die folgenden Änderungen aufweist (von der Kammer mit Unterstreichung hervorgehoben):

"... dass in Auszugsrichtung die Rastnase (48) des Rasthakens (44) hinter einem einstückig am Gehäusemantel angeformten Ende des Rasthakens (44) liegt, wobei die Rastnase (48) an ihrem freien Ende rechtwinklig ausgebildet ist, so dass die Rastnase (48) und damit der Rasthaken (44) bei Zug auf das Saug-Rückschlagventil (24) nur in axialer Richtung auf Druck belastet wird."

Hilfsantrag 3

Wie im Hauptantrag, wobei Anspruch 1 die folgenden Änderungen aufweist (von der Kammer mit Durch- und Unterstreichung hervorgehoben):

"... im Pumpengehäusedurchbruch (20) verrastbar ist, [deleted: das Saug-Rückschlagventil (24) und/oder] der Pumpengehäusedurchbruch (20) wenigstens eine als Umfangsnut (52) ausgebildete Hinterschneidung (50) [deleted: oder eine Umfangsnut (52)] aufweist, die [deleted: an der Außenseite des Gehäusemantels (30) und/oder] an der Innenseite des Pumpengehäusedurchbruchs (20) vorgesehen ist, dass das Saug-Rückschlagventil (24) [deleted: und/oder der Pumpengehäusedurchbruch (20)] mit wenigstens einem Rasthaken (44) versehen ist, der einen gegenüber dem Gehäusemantel (30) radial verschwenkbaren Rastfinger mit einer Rastnase (48) aufweist und der Rastfinger beim Einsetzen des Saug-Rückschlagventils (24) in den Pumpengehäusedurchbruch (20) in die Umfangsnut (52) einrastet, dadurch gekennzeichnet, dass in Auszugsrichtung die Rastnase (48) des Rasthakens (44) hinter einem einstückig am Gehäusemantel angeformten Ende des Rasthakens (44) liegt, so dass der Rasthaken (44) bei Zug auf das Saug-Rückschlagventil (24) auf Druck belastet wird, wobei das Ventilgehäuse (28) mit einer Umfangsnut (36) versehen, in welche ein Dichtungsring (38) eingesetzt ist, wobei der Durchmesser des Pumpengehäusedurchbruchs (20) im Bereich des Dichtungsrings (28) einen Absatz (54) aufweist, an dem der Dichtungsring (28) anliegt, sodass das Saug-Rückschlagventil (24) in Auszugsrichtung vorgespannt wird, und sodass das Saug-Rückschlagventil (24) in Auszugsrichtung spielfrei im Pumpengehäusedurchbruch (20) festgelegt wird."

Hilfsantrag 4

Wie im Hauptantrag, wobei Anspruch 1 die folgenden Änderungen aufweist (von der Kammer mit Durch- und Unterstreichung hervorgehoben):

"... im Pumpengehäusedurchbruch (20) verrastbar ist, [deleted: das Saug-Rückschlagventil (24) und/oder] der Pumpengehäusedurchbruch (20) wenigstens eine als Umfangsnut (52) ausgebildete Hinterschneidung (50) [deleted: oder eine Umfangsnut (52)] aufweist, die [deleted: an der Außenseite des Gehäusemantels (30) und/oder] an der Innenseite des Pumpengehäusedurchbruchs (20) vorgesehen ist, dass das Saug-Rückschlagventil (24) [deleted: und/oder der Pumpengehäusedurchbruch (20)] mit wenigstens einem Rasthaken (44) versehen ist, der einen gegenüber dem Gehäusemantel (30) radial verschwenkbaren Rastfinger mit einer Rastnase (48) aufweist und der Rastfinger beim Einsetzen des Saug-Rückschlagventils (24) in den Pumpengehäusedurchbruch (20) in die Umfangsnut (52) einrastet, dadurch gekennzeichnet, dass in Auszugsrichtung die Rastnase (48) des Rasthakens (44) hinter einem einstückig am Gehäusemantel angeformten Ende des Rasthakens (44) liegt, so dass der Rasthaken (44) bei Zug auf das Saug-Rückschlagventil (24) auf Druck belastet wird, wobei eine Innenumfangsnut (62) vorgesehen ist, die in radialer Richtung zumindest abschnittsweise parallel neben und in Einschubrichtung des Saug-Rückschlagventils (24) hinter der Hinterschneidung verläuft und die in Umfangsrichtung in die Innenumfangsfläche des Pumpengehäusedurchbruchs (20) ausläuft."

VIII. Die Beschwerdeführerin Einsprechende hat zu den entscheidungserheblichen Punkten Folgendes vorgetragen:

Die Änderungen in Anspruch 1 aller Anträge erweiterten den Schutzbereich des Patents. Der Hilfsantrag 1 (neu) sei nicht zum Verfahren zuzulassen.

IX. Die Beschwerdegegnerin Patentinhaberin hat zu den entscheidungserheblichen Punkten Folgendes vorgetragen:

Die Änderungen in Anspruch 1 aller Anträge erweiterten nicht den Schutzbereich des Patents. Der Hilfsantrag 1 (neu) sei zum Verfahren zuzulassen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Anwendungsgebiet der Erfindung

Das Streitpatent betrifft eine Vakuumpumpe mit einem Pumpengehäuse und einem Pumpengehäusedurchbruch, in dem ein Rückschlagventil angeordnet und verrastet ist. Dabei ist das Rückschlagventil mit mindestens einem Rasthaken versehen, der einen radial verschwenkbaren Rastfinger mit einer Rastnase aufweist. Der Rastfinger ist derart am Gehäusemantel des Rückschlagventils angeordnet, dass sich die Rastnase in Auszugsrichtung des Rückschlagventils hinter dem einstückig am Gehäusemantel angeformten Ende des Rasthakens befindet, so dass der Rasthaken bei Zug auf das Saug-Rückschlagventil auf Druck belastet wird. Dadurch wird ein Auszug des Saug-Rückschlagventils aus dem Pumpengehäusedurchbruch verhindert (Patentschrift, Absatz 10).

3. Hauptantrag, Hilfsantrag 1 (alt), Hilfsanträge 2-4 - Änderungen

3.1 Der jetzige Hauptantrag wurde in der angegriffenen Entscheidung als Hilfsantrag 1 behandelt. Anspruch 1 dieses Antrags unterscheidet sich unbestritten vom erteilten Anspruch 1 darin, dass im Merkmal "dass sich die Rastnase in Auszugsrichtung des Rückschlagventils hinter dem einstückig am Gehäusemantel angeformten Ende des Rasthakens befindet" (nachfolgend Merkmal 1.7) die Präposition vor durch hinter ersetzt wurde. Die Beschwerdeführerin Einsprechende bestreitet den Befund der Entscheidung, wonach durch diese Änderung der Schutzbereich des Patents nicht erweitert wurde.

Zur Frage der Erweiterung des Schutzbereichs muss die Kammer darum prüfen, ob Anspruch 1 des Hauptantrags eine Vakuumpumpe umfasst, die nicht vom erteilten Anspruch 1 umfasst war.

3.2 Zwischen den Parteien ist unstrittig, dass Anspruch 1 des Hauptantrags wegen des Begriffs hinter die in den Figuren 1, 3 und 5 der Patentschrift gezeigte Vakuumpumpe 12 mit einem Saug-Rückschlagventil 24 und den beiden Rasthaken 44 betrifft. Dort besitzt jeder Rasthaken 44 einen Rastfinger und eine Rastnase 48, wobei der Rastfinger sich von dem am Gehäusemantel des Saug-Rückschlagventils angeformten Ende des Rasthakens (auf Höhe eines Dichtungsrings 38) nach rechts erstreckt, wo der Rasthaken in der Rastnase 48 endet. Bei der gezeigten Vakuumpumpe verhindert der Durchmesser eines Kanals 18 im Pumpengehäuse 10, dass das Saug-Rückschlagventil 24 nach links aus dem Pumpengehäuse herausgezogen werden kann. Stattdessen ist die einzig mögliche Auszugsrichtung des Saug-Rückschlagventils horizontal nach rechts gerichtet. Die Parteien stimmen darin überein, dass die Rastnase 48 des Rasthakens in dieser Auszugsrichtung - also von links nach rechts gesehen - hinter dem einstückig am Gehäusemantel angeformten Ende des Rasthakens liegt, und das ist auch aus Sicht der Kammer der Fall.

Falls die in den Figuren 1, 3 und 5 der Patentschrift gezeigte Vakuumpumpe nicht vom erteilten Anspruch 1 umfasst war, liegt bereits eine Erweiterung des Schutzbereichs vor. Daher wird die Kammer nun prüfen, ob der erteilte Anspruch 1 auf diese Vakuumpumpe gerichtet war.

3.3 Die Beschwerdegegnerin Patentinhaberin bejaht das mit dem Argument, dass die Präpositionen vor und hinter im Deutschen kontextabhängig synonym verwendet würden, so dass die in den Figuren 1, 3 und 5 gezeigte Vakuumpumpe wegen des Begriffs vor vom erteilten Anspruch 1 umfasst gewesen sei. Eine andere Auslegung dieses Begriffs hätte dagegen zur Folge, dass der Wortlaut des erteilten Anspruchs 1 im Widerspruch zu der in den Figuren beschriebenen Erfindung stünde.

Die Kammer kann sich dieser Sichtweise nicht anschließen:

3.3.1 Die Präpositionen vor und hinter betreffen im vorliegenden Fall Positionsangaben, da sie in Anspruch 1 mit dem Dativ verwendet werden ("vor/hinter einem .... Ende"). Die Kammer erkennt an, dass vor und hinter in Bezug auf Positionsangaben im Deutschen oft widersprüchlich gebraucht werden. Beispielsweise sitzt ein Vogel vor einer Fensterscheibe im Garten, obwohl er sich aus Blickrichtung eines im Zimmer stehenden Beobachters hinter dieser Scheibe befindet. Oder ein erster, zielnäherer Läufer läuft bei einem Wettlauf vor einem zielferneren zweiten Läufer, obwohl sich der erste Läufer aus Blickrichtung eines noch weiter vom Ziel entfernten Beobachters hinter dem zweiten Läufer befindet. Durch diesen Gebrauch werden die beiden Präpositionen aber nicht zu Synonymen; sie haben also keineswegs dieselbe Bedeutung. Stattdessen bleiben vor und hinter Antonyme, also Gegensatzwörter, da sich ein erster Gegenstand nicht gleichzeitig vor und hinter einem zweiten Gegenstand befinden kann.

In den Figuren 1, 3 und 5 des Streitpatents erstreckt sich der Rasthaken ausgehend von seinem am Gehäusemantel angeformten Ende in der nach rechts weisenden Auszugsrichtung ebenfalls nach rechts, so dass die hinter dem angeformten Ende liegende Rastnase in dieser Auszugsrichtung rechts vom angeformten Ende liegt. Folglich muss wegen der antonymen Bedeutung von vor und hinter eine vor dem angeformten Ende liegende Rastnase bei derselben Auszugsrichtung links vom angeformten Ende liegen. Eine solche Ausrichtung des Rasthakens ist z.B. in Figur 7 der E5 dargestellt.

Daher wird die Kammer nun prüfen, ob der erteilte Anspruch 1 wegen der darin verwendeten Präposition vor auf eine Vakuumpumpe mit dieser - aus dem Stand der Technik bekannten - Anordnung des Rasthakens gerichtet war.

3.3.2 Die Beschwerdegegnerin bestreitet das mit dem Argument, dass eine Auslegung des erteilten Anspruchs 1 im Sinne der in E5 offenbarten Anordnung des Rasthakens nicht das Merkmal 1.8 ("so dass der Rasthaken bei Zug auf das Saug-Rückschlagventil auf Druck belastet wird") erfüllen könne, und die beiden Merkmale 1.7 und 1.8 somit in Widerspruch zueinander stehen.

Die Kammer sieht das anders. In Figur 7 der E5 ist die Auszugsrichtung des dort als Stutzen bezeichneten Saug-Rückschlagventils von rechts nach links gerichtet. Die dort als Verklipsarme bezeichneten Rasthaken 118 weisen an ihrem rechten Ende eine Rastnase auf, die in einem Schlitz 125 eingerastet ist. Wenn nun das Saug-Rückschlagventil in Auszugsrichtung waagerecht nach links aus dem Pumpengehäuse ausgezogen wird, wird die linke, senkrechte Seitenfläche jeder Rastnase 118 gegen die linke, ebenfalls senkrechte Seitenfläche des zugehörigen Schlitzes 125 gepresst. Nach dem dritten Newtonschen Gesetz (Prinzip von actio und reactio) wirkt dadurch gleichzeitig eine Gegenkraft auf die linke Seitenfläche der Rastnase. Der Vektor dieser Kraft ist wegen der senkrechten Ausrichtung der Kontaktflächen waagerecht nach rechts gerichtet. Durch diese Kraft wird die Rastnase jedes Rasthakens 118 auf Druck belastet.

Aus dem Anspruchswortlaut geht nicht hervor, dass das Merkmal 1.8 so auszulegen ist, dass der gesamte Rasthaken bei Zug auf Druck belastet wird. Die Formulierung dieses Merkmals ist auch technisch sinnvoll so zu verstehen, dass bei Zug bereits nur ein Teil des Rasthakens (sei es die Rastnase, sei es der Rastfinger) auf Druck belastet ist. In E5 zum Beispiel ist die Rastnase unbestritten ein Teil des Rasthakens 118, so dass durch die Druckbelastung der Rastnase der Rasthaken auf Druck belastet wird. Daher ist unerheblich, dass der in E5 ebenfalls in Figur 7 gezeigte Rastfinger des Rasthakens auf Zug belastet wird, was die Kammer in Übereinstimmung mit der Beschwerdegegnerin bejaht.

Aus diesen Gründen erfüllt der Rasthaken bei einer Auslegung des erteilten Anspruchs 1 im Sinne der in Figur 7 der E5 gezeigten Anordnung auch das Merkmal 1.8. Somit gelangt die Kammer zum Zwischenfazit, dass der erteilte Anspruch 1 auf die z.B. aus E5 bekannte Orientierung des Rasthakens gerichtet war, nicht aber auf die in den Figuren 1, 3 oder 5 des Streitpatents gezeigte Orientierung.

3.3.3 Das Argument der Beschwerdegegnerin, wonach bei dieser Auslegung des erteilten Anspruch 1 die Ausführungs-beispiele nicht mehr unter den Anspruch fallen, führt zu keiner anderen Sichtweise. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Diskrepanz zwischen den Ansprüchen und der Beschreibung kein hinreichender Grund, einem Anspruchsmerkmal, das als solches dem fachmännischen Leser eine klare, glaubhafte technische Lehre vermittelt, eine andere Bedeutung zu geben (RdBK, 9. Auflage 2019, II.A.6.3.1). Die im erteilten Anspruch 1 genannte Anordnung der Rastnase des Rasthakens vor einem einstückig am Gehäusemantel angeformten Ende des Rasthakens vermittelt dem Fachmann aus den genannten Gründen die klare, glaubhafte technische Lehre, dass der Rasthaken die z.B. aus E5 bekannte Orientierung aufweisen soll. Daher kann im vorliegenden Fall die Beschreibung nicht herangezogen werden, um das Merkmal anders - also etwa eingeschränkt auf die in den Figuren 1, 3 oder 5 gezeigte Orientierung des Rasthakens - auszulegen.

3.4 Die Kammer kommt somit zum Ergebnis, dass die in den Figuren 1, 3 und 5 der Patentschrift gezeigte Vakuumpumpe nicht vom erteilten Anspruch 1 umfasst war. Die Änderung in Anspruch 1 des Hauptantrags, also die Ersetzung der Präposition vor durch hinter, führt dazu, dass die in den Figuren 1, 3 und 5 der Patentschrift gezeigte Vakuumpumpe nun vom geänderten Anspruch umfasst wird. Somit führt diese Änderung zu einer Erweiterung des Schutzbereichs.

Jeder der Hilfsanträge 1 (alt) und 2 bis 4 enthält im Merkmal 1.7 den Begriff hinter. Die obige Argumentation zur Erweiterung des Schutzbereichs des Hauptantrags gilt daher für jeden dieser Hilfsanträge mutatis mutandis.

4. Hilfsantrag 1 (neu) - Zulassung zum Verfahren

4.1 Die Vorlage des Hilfsantrags 1 erfolgte erst in der mündlichen Verhandlung. Dieser verspätet vorgelegte Hilfsantrag stellt daher geändertes Vorbringen dar, dessen Zulassung nach Maßgabe der Erfordernisse des Artikels 13(1) und (3) VOBK erfolgt.

4.2 Gemäß einem von den Kammern häufig angewandten Ansatz werden erst nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung eingereichte Anträge nur dann zugelassen, wenn sie u.a. eindeutig und offensichtlich gewährbar sind, d.h. für die Kammer muss ohne großen Ermittlungsaufwand sofort ersichtlich sein, dass die vorgenommenen Änderungen den aufgeworfenen Fragen erfolgreich Rechnung tragen, ohne ihrerseits zu neuen Fragen Anlass zu geben (RdBK, 9. Auflage 2019, V.A.4.5.1b)).

4.3 Diese Bedingung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt:

Anspruch 1 weist gegenüber dem Hauptantrag statt des Begriffs "hinter" im Merkmal 1.7 die Formulierung "vor einem, also in der Auszugsrichtung nachfolgend" auf. Aus den oben genannten Gründen betrifft "vor" nicht die in den Figuren 1, 3 und 5 des Streitpatents gezeigte und von der Beschwerdegegnerin als von dieser Änderung umfasst angesehene Anordnung des Rasthakens. Die Figuren zeigen jedoch eine Rastnase, die in der nach rechts gerichteten Auszugsrichtung rechts vom einstückig am Gehäusemantel angeformten Ende des Rasthakens liegt. Mithin ist die Rastnase in den Figuren 1, 3 und 5 unbestritten gegenüber dem angeformten Ende "in der Auszugsrichtung nachfolgend", so dass ein Widerspruch zwischen den Begriffen "vor" und "in der Auszugsrichtung nachfolgend" in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 entsteht.

Wegen dieses Widerspruchs werden vom Hilfsantrag 1 (neu) Fragen unter Artikel 84 EPÜ aufgeworfen, die dazu führen, dass der geänderte Anspruch nicht mehr eindeutig und offensichtlich gewährbar im obigen Sinne ist. Folglich kommt eine Zulassung für die Kammer nicht in Betracht. Daher entschied die Kammer in Ausübung ihres Ermessens, den Hilfsantrags 1 (neu) nicht ins Verfahren zuzulassen, Artikel 13(3) VOBK.

5. Weder der Hauptantrag noch die Hilfsanträge 1 (alt) und 2-4 sind gewährbar, da der Schutzbereich des Patents durch die Änderungen erweitert wird, Artikel 123(3) EPÜ. Der Hilfsantrag 1 (neu) wurde nicht zum Verfahren zugelassen.

Im Gegensatz zum Befund der angegriffenen Entscheidung stellt die Kammer somit fest, dass unter Berück-sichtigung der vom Patentinhaber im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen das europäische Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen dieses Übereinkommens nicht genügen, Artikel 101 (3) b) EPÜ.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

Quick Navigation