T 0675/16 (Entstickung/Scheuch) of 13.6.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T067516.20180613
Datum der Entscheidung: 13 Juni 2018
Aktenzeichen: T 0675/16
Anmeldenummer: 10727333.6
IPC-Klasse: B01D 53/86
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN UND VORRICHTUNG ZUR ENTSTICKUNG VON RAUCHGASEN
Name des Anmelders: Scheuch GmbH
Name des Einsprechenden: ELEX CemCat AG
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 123(3)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(3)
Schlagwörter: Neuheit - (nein)
Neuheit - Hauptantrag, Hilfsanträge 1, 5, 6
Erweiterung des Schutzumfangs - Hilfsanträge 2,3,4
Spät eingereichter Hilfsantrag 7 - nicht zugelassen
Spät eingereichter Hilfsantrag 8 - zugelassen - gewährbar
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0002/88
T 0304/08
T 1822/12
T 1931/14
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden (Beschwerdeführerin) betrifft die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, dass das geänderte europäische Patent EP-B-2 454 008 gemäß damaligem Hilfsantrag 2 den Erfordernissen des EPÜ genüge.

II. Die folgenden, für die vorliegende Entscheidung relevanten Dokumente wurden in der Entscheidung zitiert:

D3: DE 44 32 316 A1

D4: AT 505 542 B1

III. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin folgendes Dokument ein.

D5: AT 010 369 U1

IV. Mit der Beschwerdeerwiderung reichte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) die Hilfsanträge 1 bis 6 ein.

V. Die Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK erging am 14. Februar 2018.

VI. Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer reichte die Beschwerdegegnerin Hilfsanträge 7 und 8 ein.

VII. Der einzige unabhängige Anspruch des von der Einspruchsabteilung als EPÜ konform angesehenen Antrags (Hauptantrag im Beschwerdeverfahren) ist wie folgt:

"1. Verfahren zur Entstickung von Kohlenstoffmonoxid (CO) und gasförmige organische Stoffe enthaltenden Rauchgasen (A), die bei der Zementklinkerherstellung anfallen, durch selektive katalytische Reduktion der Stickoxide (NOx), wobei die Rauchgase (A) in alternierender Richtung durch mindestens zwei Kanäle (14) mit mehreren aufeinanderfolgenden Wärmespeichermodulen (15) geleitet werden, und die katalytische Reduktion der Stickoxide (NOx) in zwischen den Wärmespeichermodulen (15) angeordneten Katalysatoren (6) durchgeführt wird, und wobei die Rauchgase (A) vor der katalytischen Reduktion durch Wärmeaustausch der rückgewonnenen Restwärme der entstickten Rauchgase (A) auf eine Reaktionstemperatur (TR) von 160°C bis 500°C erwärmt werden, dadurch gekennzeichnet, dass die Verluste der Wärmeverschiebung des Wärmeaustauschs zumindest teilweise durch regenerative Nachverbrennung des Kohlenstoffmonoxids (CO) und der gasförmigen organischen Stoffe in den Rauchgasen (A) in einem zwischen den zumindest zwei Kanälen (14) angeordneten Raum (16) ausgeglichen werden."

Im Hilfsantrag 1 wurden zusätzliche Merkmale eingefügt (unterstrichen):

"1. [...] die bei der Zementklinkerherstellung anfallen, wo in Drehrohröfen (1) die Rohstoffe, welche für die Zementklinkerbildung erforderlich sind, auf Temperaturen von 1350°C bis 1700°C aufgeheizt werden, durch selektive katalytische Reduktion der Stickoxide [...]"

Hilfsantrag 2 wurde gegenüber dem Hauptantrag wie folgt geändert (Hervorhebungen eingefügt):

"1. Verfahren [deleted: zur Entstickung von] zur Zementklinkerherstellung, wobei Kohlenstoffmonoxid (CO) und gasförmige organische Stoffe enthaltende Rauchgasen (A), die bei der Zementklinkerherstellung anfallen, durch selektive katalytische Reduktion der Stickoxide (NOx ) entstickt werden, wobei die Rauchgase (A) [...]"

Hilfsantrag 3 enthält gegenüber dem Hilfsantrag 2 weitere Merkmale (unterstrichen):

"1. [...] die bei der Zementklinkerherstellung anfallen, wo in Drehrohröfen (1) die Rohstoffe, welche für die Zementklinkerbildung erforderlich sind, auf Temperaturen von 1350°C bis 1700°C aufgeheizt werden, durch selektive katalytische Reduktion der Stickoxide [...]"

Hilfsantrag 4 enthält gegenüber dem Hilfsantrag 2 weitere Merkmale (unterstrichen):

"1. Verfahren zur Zementklinkerherstellung, wobei die Rohstoffe, welche für die Zementklinkerbildung erforderlich sind, in einem Vorwärmturm (2) bestehend aus mehreren hintereinander angeordneten Zyklonen (3) vorgewärmt werden, bevor sie in einen Drehrohrofen (1) gelangen, wo die Rohstoffe auf Temperaturen von 1350°C bis 1700°C aufgeheizt werden, wobei Kohlenstoffmonoxid (CO) und gasförmige organische Stoffe [...]"

Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 wurde gegenüber dem Hauptantrag wie folgt geändert (Hervorhebungen eingefügt):

"1. [...], dass die Verluste der Wärmeverschiebung des Wärmeaustauschs [deleted: zumindest teilweise ]durch regenerative Nachverbrennung des Kohlenstoffmonoxids (CO) und der gasförmigen organischen Stoffe in den Rauchgasen (A) in einem zwischen den zumindest zwei Kanälen (14) angeordneten Raum (16) ausgeglichen werden, wobei zum Starten der Entstickung der Rauchgase (A) externe Wärmeenergie zugeführt wird."

Anspruch 1 des Hilfsantrags 6 enthält gegenüber dem Hilfsantrag 5 weitere Merkmale (unterstrichen):

"1. [...] die bei der Zementklinkerherstellung anfallen, wo in Drehrohröfen (1) die Rohstoffe, welche für die Zementklinkerbildung erforderlich sind, auf Temperaturen von 1350°C bis 1700°C aufgeheizt werden, durch selektive katalytische Reduktion der Stickoxide [...]"

Im Hilfsantrag 7 wurden gegenüber Hilfsantrag 5 die abhängigen Ansprüche 2 und 3 gestrichen und der Rückbezug des verbleibenden Anspruchs 2 angepasst.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 8 enthält gegenüber dem Hilfsantrag 5 weitere Merkmale (unterstrichen):

"1. [...] , wobei zum Starten der Entstickung der Rauchgase (A) externe Wärmeenergie zugeführt wird, so dass die Zufuhr von externer Energie nur beim Starten notwendig ist."

Der einzige abhängige Anspruch 2 des Hilfsantrags 8 stellt eine bevorzugte Ausführungsform dar.

VIII. Die für die Entscheidung wesentlichen Argumente der Beschwerdeführerin (Einsprechenden) können wie folgt zusammengefasst werden.

Angesichts der T 304/08 und der undefinierten Menge an Kohlenstoffmonoxid, sowie der gasförmigen organischen Stoffe gemäß dem Wortlaut von Anspruch 1 des Haupt- sowie des 1. Hilfsantrags, sei kein Unterscheidungsmerkmal gegenüber D3 (v.a. Beispiel 1) vorhanden, sodass die Neuheit des beanspruchten Gegenstands nicht gegeben sei.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 der Hilfsanträge 2 bis 4 erfülle nicht die Bedingungen des Artikels 123(3) EPÜ, da Anspruch 1 auf ein anderes Verfahren gerichtet sei und somit auch Schutz für ein anderes Produkt beinhalte.

In Anspruch 1 der Hilfsanträge 5 und 6 sei weiterhin nicht klargestellt, dass die Verluste der Wärmeverschiebung des Wärmeaustauschs ausschließlich durch regenerative Nachverbrennung des Kohlenmonoxids (CO) und der gasförmigen organischen Stoffe in den Rauchgasen ausgeglichen werden. Deshalb sei der Neuheitseinwand weiterhin gültig.

Der Hilfsantrag 7 sei nicht zuzulassen, da er daran nichts ändere. Dies gelte auch für den Hilfsantrag 8, da der Ausdruck "notwendig ist" die Zugabe von externer Energie nach der Startphase nicht ausschließe. Zudem enthalte dieser Hilfsantrag Merkmale aus der Beschreibung.

Es sei naheliegend für einen Fachmann das aus D3 bekannte Verfahren auf ein Verfahren zur Reinigung von Rauchgasen, die bei der Zementklinkerherstellung anfallen, anzuwenden. Zudem sei es naheliegend die Entstickungsvorrichtung der D4 oder der D5 durch die in der D3 offenbarten Entstickungsvorrichtung auszutauschen, da z.B. in letzterer bereits 95-98% der Aufheizenergie alleine durch die Wärmespeicher und Wärmeübertragungselemente wiedergewonnen werde. Obwohl die Verluste der Wärmeverschiebung des Wärmeaustauschs weder in D3, noch in D4 oder D5 offenbart seien, sei deren Ausgleich implizit, da D4 und D5 auch Rauchgase der Zementklinkerherstellung betreffen und somit deren Zusammensetzung so sei, dass diese Verluste automatisch ausgeglichen würden.

IX. Die Argumente der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) können wie folgt zusammengefasst werden.

Neuheit des Gegenstands des Hauptantrags bzw. des ersten Hilfsantrags sei gegeben, da in D3 die Wärmeverschiebung nicht in nennenswerter Weise durch die Nachverbrennung der dortigen Abgase ausgeglichen werden könne. Die Zweckeingabe im Anspruch 1, v.a. "die bei der Zementklinkerherstellung anfallen", bedinge einen Schritt der Bereitstellung der Rauchgase aus der Zementklinkerherstellung. Dies sei als einschränkendes Merkmal im Sinne der T 1931/14 anzusehen.

Hilfsantrag 1 solle nur die Einwände unter Artikel 123(2) EPÜ ausräumen. Die Hilfsanträge 2 bis 4 richteten das Schutzbegehren auf ein Verfahren zur Zementklinkerherstellung und erfüllten die Erfordernisse des Artikels 123(3) EPÜ, da es sich nicht um ein Aliud sondern ein Minus handele. Im erteilten Patent sei nur ein Teilprozess und nun das Gesamtverfahren mit dem Teilprozess beansprucht.

Hilfsantrag 5 spezifiziere nun, dass die Verluste der Wärmeverschiebung des Wärmeaustauschs nur durch die regenerative Nachverbrennung des Kohlenstoffmonoxids und der gasförmigen organischen Stoffe ausgeglichen würden. Die Zugabe der brennbaren Substanzen gemäß Anspruch 2 sei nicht dafür vorgesehen und somit sei die Neuheit hergestellt. Hilfsantrag 6 sei gegenüber Hilfsantrag 5 nur wegen des Einwands unter Artikel 123(2) EPÜ geändert worden.

Die Hilfsanträge 7 und 8 seien als Reaktion auf die Diskussion der Auslegung während der mündlichen Verhandlung vorgebracht worden. Sie sollen klarstellen, dass nur am Anfang externe Energie zugeführt werde und ansonsten die Verluste der Wärmeverschiebung ohne Zugabe externer Energie ausgeglichen werden können.

Die Erfindung basiere auf der Erkenntnis, dass die Rauchgase aus der Zementklinkerherstellung besonders hohe CO-/VOC-Anteile aufweisen, wodurch eine nutzbare Energiequelle für die Kompensation von Wärmeverschiebungsverlusten vorliege. Davon sei in D3 nicht die Rede. Deshalb könne auch die Kombination von D4 mit D3 nicht in naheliegender Art und Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 führen. D3 kompensiere die Verluste bei der Wärmeverschiebung durch einen Zusatzbrenner, während die Erfindung für einen Ausgleich der Verluste über den Energiegehalt der CO/VOC-Anteile sorge.

D5 sei nicht prima facie relevant und nicht in das Verfahren zuzulassen.

X. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag), hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf der Basis eines der Hilfsanträge 1 bis 6, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung, oder eines der Hilfsanträge 7 und 8, eingereicht während der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Hauptantrag (Hilfsantrag 2 vor der Einspruchsabteilung)

1. Artikel 54 EPÜ

Der einzige Streitpunkt ist, ob die Zweckangabe im Anspruch 1 eine einschränkende Wirkung auf das Gesamtverfahren hat und somit einen zusätzlichen Verfahrensschritt bedingt. Das Argument, dass die Wärmeverschiebung in D3 nicht in nennenswerter Weise durch die Nachverbrennung der dortigen Abgase ausgeglichen werden könne, wurde nach der in der Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK geäußerten vorläufigen Meinung der Kammer nicht weiter vorgebracht.

Gemäß gefestigter Rechtsprechung (siehe T 1822/12, Gründe 3.1.2 und den darin zitierten Entscheidungen, sowie der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 8. Auflage, Juli 2016, I.C.8.1.3) hat die Zweckangabe in einem Verfahrensanspruch als einziges Unterscheidungsmerkmal keine einschränkende Wirkung, wenn das im Stand der Technik beschriebene Verfahren ansonsten für den angebenden Zweck geeignet ist. In der Entscheidung T 1931/14 unterschied die Kammer zwischen der Anwendung eines Verfahrens zu einem bestimmten Zweck und den Effekten, welche (implizit) aus der Durchführung der Schritte eines Verfahrens resultieren (Gründe 2.2.4). Im ersten Fall seien, zusätzlich zu den explizit angegebenen, weitere Verfahrensschritte nötig.

Im vorliegenden Fall wird die Zweckangabe so verstanden, dass das Verfahren dazu dient Rauchgase, die Kohlenstoffmonoxid (CO) und gasförmige organische Stoffe enthalten, wie sie bei der Zementklinkerherstellung anfallen, zu entsticken. Anders ausgedrückt könnte das Verfahren auch als "Verfahren durch selektive katalytische Reduktion der Stickoxide (NOx), wobei [...] ausgeglichen werden, sodass eine Entstickung von Kohlenmonoxid (CO) und gasförmigen organischen Stoffen enthaltenden Rauchgasen, wie sie bei der Zementklinkerherstellung anfallen, erreicht wird", angesehen werden.

Da die Rauchgase, die bei der Zementklinkerherstellung anfallen, keine genau definierte Zusammensetzung an Kohlenstoffmonoxid und gasförmigen organischen Stoffen haben und großen Schwankungen unterworfen sind (siehe Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 2. August 2017, Punkt 3, sowie Anlage 1 zu diesem Schreiben), da dies von der Verfahrensführung und den eingesetzten Brennstoffen, die u.a. aus Erdgas, Erdöl, Kohle, Kunststoffabfällen, Klärschlamm und Altreifen bestehen können, abhängt, kann der Zweckangabe keinem zusätzlichen Verfahrensschritt zugeordnet werden. Dies scheint auch im Einklang mit Anspruch 4, gemäß dem die Konzentrationen dieser Stoffe durch die Verfahrensführung eingestellt werden können, was also einen zusätzlichen Verfahrensschritt bedingt. Somit unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem in T 1931/14 beschriebenen, da im dortigen Verfahren die Verfahrensschritte an sich einen Bezug zur Zweckangabe ("for fuelling an IGCC plant") herstellen (siehe Gründe 2.3). Im vorliegenden Fall dient das Merkmal ("die bei der Zementklinkerherstellung anfallen") lediglich zur Spezifizierung der Abgase, obwohl dies durch die großen Schwankungen, wie vorher beschrieben, nicht zielführend ist.

Im Einklang mit der Begründung der Einspruchsabteilung betreffend den damaligen Hilfsantrag 1 sind alle Verfahrensschritte des vorliegenden Anspruchs 1 in D3 offenbart (Punkt 3 der angefochtenen Entscheidung). Dass Abgase einer Müllverbrennungsanlage auch Kohlenstoffmonoxid (CO), wenn auch in geringer Konzentration, enthalten, steht außer Zweifel und geht aus Emissionswerten von solchen Anlagen hervor. Anspruch 1 legt angesichts des undefinierten Ausdrucks "zumindest teilweise" nicht fest, welcher Anteil der Verluste der Wärmeverschiebung durch die Nachverbrennung ausgeglichen wird und wie hoch der Beitrag des Kohlenstoffmonoxids im Vergleich zu den gasförmigen organischen Stoffen ist. D3 erwähnt explizit, dass Ethanol im Rohgas vorhanden ist und der Großteil der organischen Verbindungen in der Brennkammer 4 oxidiert wird (Spalte 5, Zeile 65 bis Spalte 6, Zeile 10). Daraus lässt sich erkennen, dass zumindest ein (geringer) Teil der Wärmeerzeugung auch auf die Verbrennung von organischen Verbindungen zurückgeht.

D3 nimmt deshalb die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 vorweg, sodass die Bedingungen des Artikels 54 EPÜ nicht erfüllt sind und der Hauptantrag nicht gewährbar ist.

Hilfsantrag 1

2. Wie von der Beschwerdegegnerin angegeben, wurde dieser Antrag nur als Reaktion auf den Einwand unter Artikel 123(2) EPÜ eingereicht und hat keinen Einfluss auf die Neuheit gegenüber D3.

Da das eingeführte Merkmal nur die Zementklinkerherstellung weiter definiert, ohne dabei die Zusammensetzung der Rauchgase zu spezifizieren oder einzuschränken, gilt der für den Hauptantrag vorgebrachte Neuheitseinwand weiterhin, sodass auch dieser Antrag nicht gewährbar ist.

Hilfsantrag 2

Der Anspruch 1 dieses Antrags ist erstmalig auf ein Verfahren zur Zementklinkerherstellung gerichtet. Da der Antrag den Bedingungen des Artikels 123(3) EPÜ nicht genügt, kann dahingestellt bleiben, ob dieser Antrag die Bedingungen der Artikel 123(2) und 84 EPÜ erfüllt.

3. Artikel 123(3) EPÜ

G 2/88 (Gründe 4) legt fest, dass die Bestimmung des Schutzbereichs gemäß Artikel 69(1) EPÜ und dem dazu ergangenen Protokoll vorzunehmen ist.

Nach Artikel 64(2) EPÜ erstreckt sich der Schutz eines Verfahrens auch auf die durch das Verfahren unmittelbar hergestellten Erzeugnisse.

Der erteilte Anspruch 1 bezieht sich auf ein Verfahren zur Entstickung von Rauchgasen, sodass das erhaltene Produkt die entstickten Rauchgase sind.

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 betrifft dagegen ein Verfahren zur Zementklinkerherstellung, sodass das erhaltene Produkt Zementklinker ist. Dies ist eindeutig unterschiedlich von den entstickten Rauchgasen und ist auch nicht Teil dieser, sodass der Schutz sich auf ein Produkt bezieht, das nicht durch das erteilte Patent geschützt war. Dies ist nicht zulässig unter Artikel 123(3) EPÜ.

Auch wenn die Rauchgasreinigung ein Teil der Zementklinkerherstellung ist, so ist durch die Umformulierung des Verfahrens nicht nur der kleine Teil des Gesamtverfahrens und das damit einhergehende Produkt geschützt, sondern das gesamte Verfahren und das damit verbundene, vom Teilverfahren unterschiedliche, Produkt.

Da die Bedingungen des Artikels 123(3) EPÜ nicht erfüllt sind, ist auch dieser Antrag nicht gewährbar.

Hilfsanträge 3 und 4

4. Anspruch 1 dieser Anträge bezieht sich auch auf ein Verfahren zur Zementklinkerherstellung, sodass die für den Hilfsantrag vorgebrachten Einwände auch hier gelten. Die gegenüber Hilfsantrag 2 eingefügten Merkmale definieren nur etwas spezifischer die Zementklinkerherstellung ohne jedoch den Schutzumfang auf den Schutzumfang des erteilten Patents zu begrenzen.

Die Bedingungen des Artikels 123(3) EPÜ sind nicht erfüllt.

Hilfsantrag 5

5. Artikel 54 EPÜ

In Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 wurde das Merkmal "zumindest teilweise" gestrichen und ein Teil des Anspruchs 2 des erteilten Patents eingefügt. Jedoch ist es aus dem Wortlaut des Anspruchs 1 weiterhin nicht eindeutig, ob die Verluste der Wärmeverschiebung des Wärmeaustauschs ausschließlich durch regenerative Nachverbrennung des Kohlenstoffmonoxids und der gasförmigen organischen Stoffe erreicht werden soll. Anspruch 2, sieht jedoch explizit die Zugabe von brennbaren Substanzen zu den Rauchgasen vor der regenerativen Nachverbrennung vor. Diese können also zum Ausgleich der Wärmeverluste beitragen.

Daraus ergibt sich, dass der Umfang des Anspruchs 1 gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags nicht wirklich verändert wurde, da es weiterhin möglich ist, den Verlust der Wärmeverschiebung nur teilweise durch die Nachverbrennung des Kohlenstoffmonoxids und der gasförmigen organischen Stoffe zu bewerkstelligen.

Deshalb gelten die für den Hauptantrag gemachten Einwände weiterhin, da auch das aus dem erteilten Anspruch 2 eingefügte Merkmal, dass zum Starten der Entstickung der Rauchgase externe Wärmeenergie zugeführt wird, auch in D3 verwirklicht ist (siehe z.B. Beispiel 1, Spalte 6, Zeilen 6 bis 23). Zudem kommt dort ein Zusatzbrenner zum Einsatz (Spalte 5, Zeile 29 bis 34).

D3 nimmt also auch die Neuheit des Gegenstandes des Anspruchs 1 dieses Hilfsantrags vorweg, sodass die Bedingungen des Artikels 54 EPÜ nicht erfüllt sind und der Hilfsantrag 5 nicht gewährbar ist.

Hilfsantrag 6

6. Wie für Hilfsantrag 1 wurde dieser Antrag auch nur als Reaktion auf den Einwand unter Artikel 123(2) EPÜ eingereicht und hat somit inhaltlich keinen Einfluss auf den Neuheitseinwand gegenüber D3. Die für den Hilfsantrag 5 angeführten Überlegungen gelten sinngemäß.

Der Hilfsantrag 6 erfüllt ebenso nicht die Bedingungen des Artikels 54 EPÜ und ist nicht gewährbar.

Hilfsantrag 7

7. Artikel 13(1) und (3) VOBK

Dieser Antrag wurde während der mündlichen Verhandlung dann eingereicht, als nach der Auslegung des Anspruchs 1 sich ergab, dass die Zugabe von zusätzlichen brennbaren Substanzen nicht ausgeschlossen ist. Er wurde also zum spätest möglichen Zeitpunkt eingereicht.

Die Zulassung von Anträgen zu einem solch sehr späten Zeitpunkt setzt jedoch mindestens voraus, dass der Antrag prima facie alle bis dahin vorgebrachten Einwände ausräumt ohne neue hervorzurufen (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 8. Auflage 2016, IV.E.4.2.5). Da die Streichung abhängiger Ansprüche, die Auslegung und den Schutzumfang des unabhängigen Anspruchs nicht beeinflusst, ist der für den Hilfsantrag 5 vorgebrachte Einwand bezüglich der Neuheit weiterhin gültig.

Deshalb ist die Mindestvoraussetzung der prima facie Gewährbarkeit nicht gegeben und der Antrag wird nicht in das Verfahren zugelassen.

Hilfsantrag 8

8. Artikel 13(1) und (3) VOBK

Dieser Antrag wurde zum gleichen Zeitpunkt wie Hilfsantrag 7 eingereicht. Er stellt ebenfalls eine Reaktion auf die Auslegung des Anspruchs 1 dar, die während der mündlichen Verhandlung offensichtlich wurde, und führt ein Merkmal aus der Beschreibung ein, das dazu dient den Anspruch so einzuschränken, dass er im Einklang mit der bereits für Hilfsantrag 5 gemachten Annahme der Beschwerdegegnerin ist. Insofern handelt es sich um eine Klarstellung des beanspruchten Wortlauts und war für die Beschwerdeführerin keineswegs überraschend.

Da diese Einschränkung nicht sehr schwierig zu verstehen ist, keine neuen Probleme aufwirft und die vorherigen Einwände prima facie ausräumt, wird der Antrag in das Verfahren zugelassen.

9. Artikel 123 EPÜ

Die Beschwerdeführerin erhob keine Beanstandung im Hinblick auf Artikel 123 EPÜ.

Die Kammer stimmt der Einspruchsabteilung zu, dass das Merkmal "die bei der Zementklinkerherstellung anfallen" keine Probleme unter Artikel 123(2) EPÜ aufwirft, da aus der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hervorgeht, dass Rauchgase, wie sie bei der Zementklinkerherstellung anfallen, ein Beispiel von zu behandelnden Rauchgasen darstellen (Seite 1, 3. Absatz, Zeilen 1 bis 4). Die weiteren Ausführungen in dem Satz betreffend die Zementklinkerherstellung stellen allgemeines Fachwissen dar, das kein zusätzliches Merkmal impliziert. Auch ist die Zementklinkerherstellung nicht auf ein spezifisches Vorreinigungsverfahren eingeschränkt, da nur allgemein beschrieben wird, wie die Behandlung der Rohgase in solchen Fällen aussehen kann. Häufig - also nicht zwingend - werden die Katalysatoren nach der Entstaubung der Rohgase angeordnet.

Es war unstrittig, dass die weiteren eingefügten Merkmale unmittelbar und eindeutig aus Anspruch 3 sowie Seite 3, Zeile 23 und 24 der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hervorgehen.

Somit sind die Bedingungen des Artikels 123(2) EPÜ erfüllt.

Da alle wesentlichen Merkmale des erteilten Anspruchs 1 im Anspruch 1 dieses Antrags vorhanden sind, sind auch die Bedingungen des Artikels 123(3) EPÜ erfüllt.

10. Artikel 84 EPÜ

Die Beschwerdeführerin hat keinen Einwand unter Artikel 84 EPÜ erhoben.

Der Ausdruck "notwendig ist" im Anspruch 1 wird so verstanden, dass nur beim Starten der Anlage die Zufuhr von externer Energie gebraucht wird, um die Verluste der Wärmeverschiebung des Wärmeaustauschs sicherzustellen. Anschließend wird keine externe Energie in Form von z.B. zusätzlicher Brennstoffzugabe mehr benötigt, um diese Verluste auszugleichen. Nach der Startphase muss es möglich sein diese Verluste alleine durch die regenerative Nachverbrennung des im Rauchgas vorhandenen Kohlenstoffmonoxids und der im Rauchgas vorhandenen gasförmigen organischen Stoffe auszugleichen, was impliziert, dass die Verunreinigungen im Rauchgas in einer Konzentration vorliegen, die diesen Ausgleich ermöglicht. Die Zugabe von zusätzlichen Brennstoffen nach dem Starten ist nicht ausgeschlossen, darf aber nicht notwendig sein, um die Verluste der Wärmeverschiebung zu kompensieren.

Im Sinne dieser Auslegung sieht die Kammer den Wortlaut der Ansprüche als für den Fachmann klar und verständlich an.

11. Artikel 54 EPÜ

Die Bedingungen des Artikels 54 EPÜ sind aus folgenden Gründen erfüllt:

D3 offenbart Rohgas enthaltend Ethanol und Dioxin (Spalte 5, Zeilen 65 bis 67). In der Brennkammer erwärmt sich das Rohgas auf 850°C, wobei der Großteil der organischen Verbindungen oxidiert wird (Spalte 6, Zeilen 6 bis 10). Daraus geht nicht unmittelbar und eindeutig hervor, dass der Verlust der Wärmeverschiebung des vorherigen Wärmeaustauschs während des laufenden Verfahrens nur durch Verbrennung von Kohlenstoffmonoxid und gasförmigen organischen Stoffen, die im Rauchgas enthalten sind, möglich ist. Vielmehr scheint die Temperatur dadurch erreicht zu werden, dass ein Zusatzbrenner in der Brennkammer vorhanden ist (Spalte 5, Zeilen 29 bis 34 sowie Figur 1). Da D3 nicht die Zementklinkerherstellung betrifft, ist es auch nicht implizit, dass die Konzentrationen dieser Verunreinigungen so sind, dass die Kompensation der Wärmeverluste notwendigerweise geschieht.

12. Artikel 56 EPÜ

Die Bedingungen des Artikels 56 EPÜ sind aus folgenden Gründen erfüllt:

12.1 Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Entstickung von Kohlenstoffmonoxid und gasförmige organische Stoffe enthaltenden Rauchgasen.

12.2 D5 wird als nächstliegender Stand der Technik angesehen. Die Zulässigkeit wurde von der Beschwerdegegnerin bestritten. Da aber auch bei gegebener Zulässigkeit der beanspruchte Gegenstand der Erfindung nicht nahelegt ist (siehe unten), kann auf eine ausführliche Begründung der Gründe für die Zulässigkeit dieses Dokuments verzichtet werden.

D5 betrifft die Behandlung von Abgasen aus der Zementklinkerherstellung. Es ist unbestritten, dass D5 ein Verfahren beschreibt, das in einer Vorrichtung abläuft, wie in Figur 1 des Streitpatents gezeigt.

D3 ist weniger geeignet als nächstliegender Stand der Technik, da D3 sich nicht mit Rauchgasen aus der Zementklinkerherstellung befasst.

Ausgehend von D4 wäre die Argumentation die gleiche wie ausgehend von D5, da die Unterscheidungsmerkmale in beiden Fällen die gleichen sind.

12.3 Die zu lösende Aufgabe wird darin gesehen, ein Verfahren bereit zu stellen, durch welches der Einsatz externer Energie minimiert, und dennoch ein hoher Entstickungsgrad erreicht wird (Absatz [0010] der Patentschrift).

12.4 Die Aufgabe wird durch ein Verfahren gemäß Anspruch 1 gelöst, dadurch gekennzeichnet, dass die Rauchgase in alternierender Richtung durch mindestens zwei Kanäle mit mehreren aufeinanderfolgenden Wärmespeichermodulen geleitet werden und die Verluste der Wärmeverschiebung des Wärmeaustauschs durch regenerative Nachverbrennung des Kohlenstoffmonoxids und der gasförmigen organischen Stoffe in den Rauchgasen in einem zwischen den zumindest zwei Kanälen angeordneten Raum ausgeglichen werden, wobei zum Starten der Entstickung der Rauchgase externe Wärmeenergie zugeführt wird, so dass die Zufuhr von externer Energie nur beim Starten notwendig ist.

12.5 Es war unbestritten, dass die Aufgabe erfolgreich gelöst wurde.

12.6 D5 selbst gibt keinen Hinweis darauf, dass nach dem Start auf die Zufuhr externer Energie verzichtet werden kann.

D3 betrifft die Entstickung von Abgasen aus der Müllverbrennung (Spalte 1, Zeilen 3 bis 18), jedoch würde der Fachmann D3 in Betracht ziehen, da die Energieoptimierung bei allen Enststickungs-einrichtungen, so auch in D3 (siehe Spalte 2, Zeile 65 bis Spalte 3, Zeile 7), von Bedeutung ist. D3 lehrt, dass die Rauchgase in alternierender Richtung durch zwei Kanäle geleitet werden (ein dritter ist in der Spülphase) und das Rauchgas vor Erreichen des Dioxin-Zersetzungskatalysators in einer Brennkammer erwärmt wird (siehe Bespiel 1 und Figur 1). Jedoch gibt D3 keine Auskunft darüber, dass die Verluste der Wärmeverschiebung des Wärmeaustauschs durch Verbrennung des Kohlenstoffmonoxids und der gasförmigen organischen Stoffe, die in den Rauchgasen vorhanden sind, ausgeglichen werden. Dies wird auch nicht notwendigerweise erreicht, da es keinen Hinweis darauf gibt, die Zusammensetzung der Rauchgase aus der Müllverbrennungsanlage so einzustellen, dass eine ausreichende Menge an diesen Stoffen vorhanden ist.

Selbst wenn der Fachmann die Lehre aus D3 in D5 übernehmen würde, so wäre es nicht zwingend, dass angesichts der Rauchgaszusammensetzung aus D5 die erwähnten Verluste automatisch in dem Verfahren kompensiert würden. D5 gibt darüber und über die Zusammensetzung des Rauchgases zudem keine Auskunft. Wie vorher erwähnt (Punkt 11), sind bestimmte Konzentrationen an Kohlenstoffmonoxid und gasförmigen organischen Stoffen notwendig, um die gewünschte Kompensation zu erreichen. Die Erkenntnis, dass die Rauchgase aus der Zementklinkerherstellung, je nach Verfahrensbedingungen, besonders hohe Anteile an Kohlenstoffmonoxid und gasförmigen organischen Stoffen aufweisen und somit eine nutzbare Energiequelle darstellen wird weder in D5, noch in D4, noch in D3 gelehrt.

Deshalb geht die vorgeschlagene Lösung nicht in naheliegender Art und Weise aus dem Stand der Technik hervor.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent auf der Grundlage der Ansprüche des Hilfsantrags 8, eingereicht während der mündlichen Verhandlung, sowie noch anzupassender Beschreibung und Zeichnungen, aufrechtzuerhalten.

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