European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2020:T031516.20200630 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 30 Juni 2020 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0315/16 | ||||||||
Anmeldenummer: | 09775573.0 | ||||||||
IPC-Klasse: | B65B13/18 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | SPEICHERVORRICHTUNG FÜR BINDEDRAHT EINER SCHNÜRMASCHINE | ||||||||
Name des Anmelders: | Andritz AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Valmet AB | ||||||||
Kammer: | 3.2.07 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Ermessensfehler - (nein) Erfinderische Tätigkeit - (nein) Spät eingereichter Hilfsantrag - eindeutig gewährbar (nein) - zugelassen (nein) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) hat form- und fristgerecht gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das Patent Nr. 2 310 274 widerrufen wurde, Beschwerde eingelegt.
II. Der Einspruch richtete sich gegen das Patent im gesamten Umfang und stützte sich auf den Einspruchsgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit gemäß Artikel 100 a) EPÜ.
Die Einspruchsabteilung hat das Patent aufgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit widerrufen.
III. Mit Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2007 vom 11. Oktober 2019 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, wonach die Beschwerde zurückzuweisen sein dürfte.
IV. Am 30. Juni 2020 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt, in der die Sach- und Rechtslage mit den Parteien erörtert wurde. Wegen der Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen. Die Entscheidung wurde am Schluss der mündlichen Verhandlung verkündet.
V. Die Patentinhaberin beantragte
die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung
und
die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag),
oder hilfsweise,
die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf Basis des Anspruchssatzes gemäß Hilfsantrag, eingereicht mit der Beschwerdebegründung vom 13. April 2016.
Die Einsprechende (Beschwerdegegnerin) beantragte
die Zurückweisung der Beschwerde
und
die Nichtzulassung des Hilfsantrags ins Verfahren oder hilfsweise für den Fall dessen Zulassung die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung oder die Zurückweisung des Hilfsantrages.
VI. In der vorliegenden Entscheidung sind die folgenden Dokumente genannt:
D3: US 6 546 696 B2
D4: US 6 607 158 B1
D5: US 3 994 445 A
D6: US 3 049 308 A.
VII. Der unabhängige Anspruch 1 des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag) lautet wie folgt:
"Speichervorrichtung für Bindedraht einer Schnürmaschine, insbesondere für die Zellstoffproduktion, mit einem Einlauf in die Speichervorrichtung (1) und einem Auslauf aus der Speichervorrichtung (1), mit einem Antrieb (3, 7) für den Bindedraht, dadurch gekennzeichnet, dass im Bereich des Einlaufes und des Auslaufes ein Antrieb (3, 7) für den Bindedraht angeordnet ist wobei zwei Rollengruppen oder Rollen (4,5) vertikal übereinander angeordnet sind, um welche der Bindedraht wenigstens zweifach geführt ist wobei eine Rollengruppe oder Rolle (4) ortsfest und die zweite Rollengruppe oder Rolle (5) entlang einer Führung (14) verschiebbar ist, so dass deren Achsabstand veränderbar ist."
VIII. Der Wortlaut des weiteren unabhängigen Anspruchs 5 gemäß Hauptantrag sowie der unabhängigen Ansprüche gemäß Hilfsantrag ist angesichts der getroffenen Entscheidung nicht relevant.
IX. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Parteien wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.
Entscheidungsgründe
1. Revidierte Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) - Übergangsbestimmungen
Das vorliegende Verfahren unterliegt der revidierten Fassung der Verfahrensordnung, die am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist (Artikel 24 und 25 (1) VOBK 2020), mit Ausnahme von Artikel 12 (4) bis (6) VOBK 2020, anstelle dessen Artikel 12 (4) VOBK 2007 weiterhin anwendbar sind (Artikel 25 (2) VOBK 2020).
2. Zulassung der Dokumente D4, D5 und D6 ins Verfahren
2.1 Die Patentinhaberin bringt vor, dass die Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Zulassung von D4 bis D6 ins Verfahren fehlerhaft sei, und argumentiert, dass diese Dokumente aufgrund verspäteten Vorbringens im Einspruchsverfahren und Verfahrensmissbrauchs nicht im Verfahren zuzulassen gewesen wären. Der Verfahrensmissbrauch sei darin zu sehen, dass D4 bis D6 mehr als zweieinhalb Jahre nach Ablauf der Einspruchsfrist und auch über sieben Monate nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung kurz vor dem Termin der mündlichen Verhandlung eingereicht wurden. Zudem sei keines der Dokumente D4 bis D6 als prima facie relevant anzusehen.
2.2 Die Kammer ist von der Argumentation der Patentinhaberin nicht überzeugt. In Übereinstimmung mit der Patentinhaberin ist zwar festzustellen, dass die Dokumente D4 bis D6 zum ersten Mal mit Schriftsatz der Einsprechenden vom 30. Oktober 2015 eingereicht wurden, d.h. nach Ablauf der Einspruchsfrist gemäß Artikel 99 (1) EPÜ. Allerdings wurden die Dokumente rechtzeitig vor dem nach Regel 116 bestimmten Zeitpunkt der Patentinhaberin zur Kenntnis gebracht, bis zu dem Schriftsätze und Unterlagen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung eingereicht werden können.
Daher sind D4 bis D6 als verspätet im Einspruchsverfahren eingereichte Dokumente anzusehen, deren Zulassung ins Verfahren gemäß Artikel 114 (2) EPÜ im Ermessen der Einspruchsabteilung lag.
Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist es nicht Aufgabe der Beschwerdekammer, die gesamte Sachlage des Falls nochmals wie ein erstinstanzliches Organ zu prüfen, um zu entscheiden, ob sie das Ermessen in derselben Weise ausgeübt hätte. Eine Beschwerdekammer sollte sich nur dann über die Art und Weise, in der die Abteilung, die die angefochtene Entscheidung erließ, ihr Ermessen ausgeübt hat, hinwegsetzen, wenn sie zu dem Schluss gelangt, dass diese Abteilung ihr Ermessen nach Maßgabe der falschen Kriterien, unter Nichtbeachtung der richtigen Kriterien oder in willkürlicher Weise ausgeübt hat (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, IV.C.4.5.2).
Im vorliegenden Fall hat die Einspruchsabteilung das ihr nach Artikel 114 (2) EPÜ eingeräumte Ermessen, die verspätet eingereichten Dokumente D4 bis D6 zum Verfahren zuzulassen, eindeutig verfahrensfehlerfrei anhand zulässiger Ermessenskriterien ausgeübt, indem sie die prima facie Relevanz der Dokumente D4 bis D6 festgestellt hat (siehe angefochtene Entscheidung, Punkt I.3.). Dies ist nach der ständigen Rechtsprechung ein entscheidendes Kriterium für die Zulassung von verspätet eingereichten Dokumenten (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, supra, IV.C.4.5.3).
Die seitens der Patentinhaberin zur Stützung ihres Vorbringens zitierte Entscheidung T 0718/98 ist im vorliegenden Fall nicht einschlägig, da dort verspätete Beweismittel nicht zugelassen wurden, die wesentlich früher hätten vorgelegt werden können und als strategisches Mittel dienten, um die eigene Verhandlungsposition gegenüber der Gegenpartei zu stärken.
Dass im vorliegenden Fall die Einsprechende die Dokumente D4 bis D6 früher hätte einreichen können oder absichtlich verspätet einreichte und ein Verfahrensmissbrauch vorläge, bleibt eine unbewiesene Behauptung der Patentinhaberin, da die Patentinhaberin zum Beweis dafür notwendige Indizien nicht vorgelegt hat.
Nach der weiter von der Patentinhaberin zitierten Entscheidung T 0169/04 wurde hingegen ein verspätet eingereichtes Dokument zugelassen, da keine Absicht für das verspätete Einreichen zu erkennen war, so dass auch diese Entscheidung nicht einschlägig ist.
Im Übrigen hat die Patentinhaberin auch keinen Ermessensfehler der Einspruchsabteilung geltend gemacht, sondern ihr Vorbringen im Kern darauf gestützt, dass sie die Beurteilung der Frage der prima facie Relevanz dieser Dokumente durch die Einspruchsabteilung nicht teilt. Eine damit begehrte Inhaltskontrolle des Ergebnisses einer ansonsten verfahrensfehlerfreien Ermessensausübung ist aber, wie erwähnt, gerade nicht Aufgabe der Beschwerdekammer.
Damit sieht die Kammer keinen Grund, sich über die Art und Weise hinwegzusetzen, in der die Einspruchsabteilung ihr Ermessen ausgeübt hat.
Die Dokumente D4 bis D6 sind daher gemäß der angefochtenen Entscheidung im Verfahren zugelassen.
3. Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von D3 in Kombination mit der Lehre von D4
3.1 Die Patentinhaberin weist darauf hin, dass die Kombination der Dokumente D3 und D4 hinsichtlich mangelnder erfinderischer Tätigkeit erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung vorgebracht wurde. Unter Hinweis auf G 4/92 (Abl. EPA 1994, 149) argumentiert die Patentinhaberin, dass dadurch ein Verfahrensmissbrauch vorliege.
3.2 Dieser Meinung kann sich die Kammer nicht anschließen. Die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 4/92 betrifft den Fall, dass eine Partei der mündlichen Verhandlung fernbleibt und ist daher vorliegend nicht als einschlägig zu betrachten.
Da diese Argumentationslinie nach Ansicht der Patentinhaberin erstmals während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung und somit verspätet im Einspruchsverfahren vorgebracht wurde, lag deren Zulassung ins Verfahren gemäß Artikel 114 (2) EPÜ im Ermessen der Einspruchsabteilung.
Dass die Einspruchsabteilung das ihr nach Artikel 114 (2) EPÜ eingeräumte Ermessen, diese verspätet vorgebrachte Argumentationslinie im Verfahren zuzulassen, eindeutig verfahrensfehlerfrei anhand zulässiger Ermessenskriterien, wie oben erwähnt, ausgeübt hat, ist darin zu sehen, dass sie diesen Einwand sogar für so relevant erachtete, dass auf dessen Basis der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 als nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend betrachtete und das Patent im Einspruchsverfahren widerrufen wurde.
Durch die Einführung des Einwandes mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von D3 als nächstliegender Stand der Technik in Kombination mit der Lehre von D4 in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung und dessen Berücksichtigung in der angefochtenen Entscheidung vermag die Kammer daher weder einen Ermessensfehler noch einen Verfahrensmissbrauch zu erkennen.
4. Erfinderische Tätigkeit - Artikel 100 a) und 56 EPÜ
4.1 Die Einsprechende erhebt den bereits im Einspruchsverfahren zwischen den Parteien streitig diskutierten Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit des Gegenstandes von Anspruch 1 in der erteilten Fassung ausgehend von der Lehre des Dokuments D4 als nächstliegender Stand der Technik in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen des Fachmanns.
4.2 Die Patentinhaberin argumentiert, dass die Speichervorrichtung nach D4 nicht mit Bindedraht arbeite und nicht für Bindedraht geeignet sei. Daher sei die mangelnde Eignung der Speichervorrichtung nach D4 als ein Unterscheidungsmerkmal gegenüber dem Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 anzusehen. Weiterhin unterscheide sich der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 von der aus D4 bekannten Speichervorrichtung dadurch, dass im Bereich des Einlaufes in die Speichervorrichtung und im Bereich des Auslauf aus der Speichervorrichtung ein Antrieb für den Bindedraht angeordnet sei. Nach der Lehre von D4 sei weder der Antrieb 26 noch der Antrieb 66 Bestandteil der bekannten Speichervorrichtung und somit nicht im Bereich des Einlaufs und des Auslaufs angeordnet. Aufgrund der Torsionsneigung des Bindedrahts werden erfindungsgemäß, im Gegensatz zur Lehre von D4, die Antriebe im Einlauf- und Auslaufbereich möglichst nah an die Speichervorrichtung gesetzt. Somit ergäbe sich aus den Unterscheidungsmerkmalen der technische Effekt, eine sichere Führung des Bindedrahts in der Speichervorrichtung vorzusehen. Die Lösung der technischen Aufgabe, eine kontrollierte und bessere Führung des Bindedrahtes in der Speichervorrichtung zu erzielen, sei ausgehend von D4 für den Fachmann allein aufgrund seines allgemeinen Fachwissens nicht nahegelegt.
4.3 Die Kammer teilt nicht die Meinung der Patentinhaberin, sondern schließt sich wie folgt der Auffassung der Einsprechenden an.
D4 offenbart eine Speichervorrichtung ("intermediate band store 38") für Bindedraht einer Schnürmaschine 12 (Spalte 1, Zeilen 5 bis 7; "strapping machine 12") mit einem Einlauf in die Speichervorrichtung 38 und einem Auslauf aus der Speichervorrichtung 38 (Figur 4), mit einem Antrieb 20, 22, 24, 26 (Spalte 3, Zeilen 39 bis 52; Figur 4) für den Bindedraht, wobei im Bereich des Einlaufes (Figur 4: bei 20, 22, 24, 26) und des Auslaufes ein Antrieb 66 für den Bindedraht angeordnet ist, wobei zwei Rollengruppen oder Rollen 40, 42 vertikal übereinander angeordnet sind, um welche der Bindedraht wenigstens zweifach geführt ist, wobei eine Rollengruppe oder Rolle 40 ortsfest und die zweite Rollengruppe oder Rolle 42 entlang einer Führung 48 verschiebbar ist, so dass deren Achsabstand veränderbar ist (Spalte 4, Zeilen 28 ff.; Figur 4).
Entgegen der Auffassung der Patentinhaberin sind nach der Lehre von D4 die Antriebe 26 bzw. 66 im Bereich des Einlaufs bzw. des Auslauf der Speichervorrichtung angeordnet. Dies ist eindeutig und unmittelbar aus Figur 4 von D4 zu entnehmen.
Die Patentinhaberin argumentiert im schriftlichen Verfahren, dass ein Einsatz der Vorrichtung nach D4 als Speicher nicht in D4 beschrieben sei. Die Kammer ist von dieser Argumentation nicht überzeugt, da in D4 die Speichervorrichtung eindeutig und unmittelbar als Zwischenbandspeicher ("intermediate band store") bezeichnet ist.
Als einziger Unterschied des Gegenstands von Anspruch 1 zur Lehre von D4 kann gesehen werden, dass D4 in Spalte 3, Zeilen 22 bis 25, beispielhaft von einem Band als Bindematerial ausgeht, während die Speichervorrichtung nach Anspruch 1 einen Bindedraht einer Schnürmaschine als Verwendungszweck angibt.
Da Anspruch 1 einen Bindedraht lediglich als Zweckbestimmung für die Speichervorrichtung nennt, ist Anspruch 1 nicht auf einen Bindedraht und, entgegen der Ansicht der Patentinhaberin, insbesondere nicht auf einen Bindedraht mit runder Querschnittsform beschränkt. In der Tat enthält Anspruch 1 keine strukturellen Merkmale, die den besonderen geometrischen Querschnitt eines Bandes berücksichtigten. Ferner ist anzumerken, dass nach dem allgemeinen Fachwissen des Fachmanns ein Bindedraht eine Struktur mit zwei oder mehreren Einzeldrähten nebeneinander aufweisen kann, die durch einen Klebstoff oder ähnliches verbunden sind, so dass sie ein Bindedrahtband bilden, wie beispielsweise in Figur 3 von D3 gezeigt. Der Einsatz eines Bandes anstelle eines Bindedrahtes, unabhängig davon, ob es sich dabei um einen ein- oder mehrdrahtigen Bindedraht handelt, in der bekannten Speichervorrichtung ist daher für den Fachmann eine übliche Maßnahme.
Auch ist entgegen der Auffassung der Patentinhaberin festzustellen, dass die Speichervorrichtung nach D4 kein strukturelles Merkmal aufweist, das deren Verwendung auf ein Band anstelle eines Drahtes beschränkte.
Für einen Fachmann ist es daher zumindest naheliegend, in der Speichervorrichtung nach D4, bei ansonsten gleicher Konfiguration und in Ermangelung spezieller struktureller Merkmale in Anspruch 1 in Bezug auf einen Bindedraht anstelle eines Bandes, das strangförmige Bindematerial austauschbar mit einem Bindedraht einzusetzen.
Folglich legt die Lehre von D4 dem Fachmann in Verbindung mit seinem allgemeinen Fachwissen, wie beispielsweise auch in D3 gezeigt, den Gegenstand von Anspruch 1 in der erteilten Fassung nahe, so dass dieser nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
5. Zulassung des Hilfsantrags ins Verfahren
5.1 Die Patentinhaberin reichte zum ersten Mal mit der Beschwerdebegründung einen Hilfsantrag ein, dessen Anspruch 1 sich vom Anspruch 1 in der erteilten Fassung dadurch unterscheidet, dass die untere Rollengruppe oder Rolle 4 als die ortsfeste Rollengruppe oder Rolle und die obere Rollengruppe oder Rolle 5 als vertikal an der Führung auf und ab verschiebbare Rollengruppe oder Rolle definiert ist.
5.2 Laut Patentinhaberin seien die Änderungen aus der ursprünglich eingereichten Beschreibung auf Seite 4, Zeile 38, bis Seite 5, Zeile 1, sowie Figur 1 eindeutig zu entnehmen.
Die Patentinhaberin argumentiert, dass der Hilfsantrag in Reaktion auf das von der Einsprechenden verspätet eingereichte Dokument D4 vorgelegt worden sei, um die auf Basis von D4 erhobenen Einwände prima facie auszuräumen.
5.3 Die Kammer teilt die Auffassung der Patentinhaberin nicht.
Die Patentinhaberin hat zu dem erstmals mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrag keine substantiierten Argumente vorgebracht, aus welchen Gründen die den Ansprüchen 1 und 5 des Hilfsantrags hinzugefügten Merkmale die in der angefochtenen Entscheidung erhobenen Einwände ausräumen könnten.
Gemäß Artikel 12 (3) VOBK 2020 (entsprechend Artikel 12 (2) VOBK 2007) muss jedoch bereits die Beschwerdebegründung das vollständige Beschwerdevorbringen enthalten. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern erfordert dies, wenn ein Hilfsantrag vorgelegt wird, auch eine Begründung seitens der Patentinhaberin, inwiefern die in der angefochtenen Entscheidung erhobenen Einwände hierdurch ausgeräumt werden könnten (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, supra, V.A.4.12.5).
Für Anträge, die überhaupt erstmals im Beschwerdeverfahren gestellt werden, wie hier der Hilfsantrag, ergibt sich neben dem vorgenannten Substantiierungserfordernis zudem die Notwendigkeit der Rechtfertigung ihres Einreichens. Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Patentinhaberin im Einspruchsverfahren - sogar auf Rückfrage der Einspruchsabteilung - keinen Hilfsantrag einreichte (siehe Niederschrift, Seite 1, letzter Satz), obwohl der Patentinhaberin zu diesem Zeitpunkt das Dokument D4 bereits bekannt war. Wie oben erwähnt, wurde das Dokument D4 schriftsätzlich vor dem in Regel 116 EPÜ genannten Zeitpunkt eingereicht, so dass sich die Patentinhaberin noch vor der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung mit dessen Inhalt auseinandersetzen konnte und entsprechend hätte reagieren können. Die Patentinhaberin hatte somit ausreichend Gelegenheit, einen Hilfsantrag bereits im Einspruchsverfahren vorzulegen. Den Hilfsantrag nun zum Beschwerdeverfahren zuzulassen, bedeutete, dass die Kammer diesen entweder erstmals im Beschwerdeverfahren prüfen oder die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zurückverweisen müsste.
In dem einen wie dem anderen Fall ist die Kammer nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 ermächtigt, solche Anträge nicht im Verfahren zu berücksichtigen bzw. sie nicht ins Verfahren zuzulassen.
In Anbetracht der fehlenden Begründung ist im vorliegenden Fall für die Kammer, unabhängig von den weiteren in Artikel 12 (4) VOBK 2007 genannten Kriterien, schon nicht ersichtlich, wie der Hilfsantrag die von den Einsprechenden vorgebrachten Einwände ausräumen könnte.
Zudem merkt die Kammer an, der entsprechenden Argumentation der Einsprechenden folgend, dass auf Seite 4, Zeile 38, bis Seite 5, Zeile 1, Figur 1, der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung, die in den Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag aufgenommenen Merkmale nur in Kombination mit weiteren Merkmalen dieser Ausführungsform offenbart zu sein scheinen. Die Änderungen an den Ansprüchen gemäß Hilfsantrag scheinen demnach zu einer unzulässigen Zwischenverallgemeinerung zu führen und somit prima facie gegen die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ zu verstoßen. Der Gegenstand der Ansprüche gemäß Hilfsantrag führt somit zu weiteren Einwänden und stellt damit einen prima facie nicht eindeutig gewährbaren Gegenstand dar.
Auch aus diesem Grund lehnt die Kammer den verspätet eingereichten Hilfsantrag als unzulässig ab (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, supra, V.A.4.12.2).
Die Kammer lässt daher den Hilfsantrag in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 nicht ins Verfahren zu.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.