T 0041/16 () of 20.4.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T004116.20210420
Datum der Entscheidung: 20 April 2021
Aktenzeichen: T 0041/16
Anmeldenummer: 10004670.5
IPC-Klasse: C09K 19/02
C09K 19/30
G02F 1/13
C09K 19/12
C09K 19/44
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Flüssigkristallines Medium
Name des Anmelders: Merck Patent GmbH
Name des Einsprechenden: DIC Corporation
Kammer: 3.3.10
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 83
Schlagwörter: Ausreichende Offenbarung - Hauptantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - unerwartete Verbesserung
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja)
Orientierungssatz:

Ein unerwartet verbesserter Effekt von Zusammensetzungen gegenüber solchen des nächstliegenden Standes der Technik, auf den sich erfinderische Tätigkeit eines Anspruchs gründet, muss im wesentlichen über den gesamten beanspruchten Bereich glaubhaft sein. Dies bedeutet aber nicht, dass jede vom Anspruch umfasste Zusammensetzung eine Verbesserung gegenüber jeder beliebigen, oder auch nur gegenüber der für den Anspruch nächstliegenden Zusammensetzung dieses Standes der Technik darstellen muss. Vielmehr müssen jeweils korrespondierende Zusammensetzungen, die sich nur im abgrenzenden Merkmal des Anspruchs unterscheiden, einen solchen Effekt zeigen (Punkt 3.2.4 der Entscheidungsgründe).

Angeführte Entscheidungen:
T 0939/92
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0119/21
T 0087/22
T 0291/22

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Einsprechende) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent EP 2 208 773 unter Artikel 101(3)(a) EPÜ in geänderter Form aufrechtzuerhalten.

II. Im Einspruchsverfahren war das Patent unter Artikeln 100(a) und 100(b) EPÜ wegen mangelnder Neuheit (Artikel 54 EPÜ), mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) und mangelnder Ausführbarkeit (Artikel 83) angegriffen worden.

In ihrer Entscheidung kam die Einspruchsabteilung zu dem Schluss, dass die vorgebrachten Einwände unter Artikel 83, 54 und 56 EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents in der von der Patentinhaberin vorgelegten geänderten Form nicht entgegenstehen. Gegenüber dieser geänderten Fassung war von der Einsprechenden kein Neuheitseinwand mehr erhoben worden.

III. Im Einspruchs- und Beschwerdeverfahren wurde auf folgende Dokumente Bezug genommen:

D1|EP 1 251 160 |

D4|US 2003/0017279 |

D19 |Pauluth et al., J. Mater. Chem. 2004(14),1219-1227 (online veröffentlicht 19. März 2004) |

D20 |Vergleichsdaten gegenüber D1, eingereicht am 14. August 2015 im Einspruchsverfahren |

D21 |Vergleichsdaten gegenüber D4, eingereicht am 19. September 2016 in der Antwort auf die Beschwerdebegründung|

IV. In ihrer Beschwerdebegründung und im weiteren Verfahren brachte die Beschwerdeführerin im wesentlichen vor, die Patentschrift offenbare die beanspruchten flüssigkristallinen Zusammensetzungen nicht ausreichend, um einem Fachmann zu erlauben, diese zu reproduzieren. Insbesondere sei die im Anspruch definierte Kombination von Parametern nicht ohne unzumutbaren Aufwand einzustellen (Artikel 83 EPÜ). Dazu wurden mit Eingabe von 29. März 2019 Testdaten eingereicht (Zusammensetzungen A und B). Andererseits seien die beanspruchten Zusammensetzungen dem Fachmann ausgehend von D1 oder D4 als nächstem Stand der Technik nahegelegt (Artikel 56 EPÜ); die in D20 und D21 vorgelegten Vergleichstests könnten keine Verbesserung gegenüber D1/D4 zeigen. Selbst wenn, so sei eine solche Verbesserung unter Berücksichtigung von D19 nicht überraschend. Des weiteren seien einige abhängige Ansprüche der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung durch fehlerhafte Rückbezüge unklar (Artikel 84 EPÜ).

V. In ihrer Beschwerdeerwiderung und im weiteren Verfahren brachte die Beschwerdegegnerin im wesentlichen vor, die Entscheidung der Einspruchsabteilung zur Aufrechterhaltung des Patents sei korrekt gewesen. Ein Fachmann könne die beanspruchten Zusammensetzungen ohne Schwierigkeiten unter Verwendung der Angaben im Patent herstellen; die Einstellung der im Anspruch definierten Parameter sei Routine. Ausgehend von D1 oder D4 seien die beanspruchten Zusammensetzungen für den Fachmann als Alternative nicht nahegelegt, umso weniger als Verbesserung gegenüber D1/D4; eine solche Verbesserung sei durch die Vergleichsversuche der D20/D21 nachgewiesen. Sie verteidigte das Patent auf Basis eines mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Anspruchssatzes, der die von der Beschwerdeführerin gerügte Unklarheit ausräumt.

VI. Die Parteien hatten hilfsweise mündliche Verhandlung beantragt. Sie wurden daher mit Ladung vom 3. Juni 2020 für den 20. April 2021 zur mündlichen Verhandlung geladen.

Am 10. August 2020 erließ die Kammer einen Bescheid unter Artikel 15(1) VOBK, in dem sie die Parteien über ihre vorläufige Einschätzung der Sach- und Rechtslage informierte. Sie war der vorläufigen Ansicht, dass der Einwand unter Artikel 83 EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegenstehe. Die Frage der erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D1 oder D4 müsse unter Berücksichtigung von D19-D21 in der mündlichen Verhandlung diskutiert werden. Der vorgebrachte Klarheitseinwand gegen die aufrechterhaltene Fassung sei durch den damals gültigen ersten Hilfsantrag, der später zum Hauptantrag wurde, ausgeräumt.

VII. Aufgrund der allgemeinen Lage in Bezug auf die herrschende COVID-19-Pandemie fand die Verhandlung am 20. April 2021 mit Zustimmung aller Beteiligten als Videokonferenz statt.

In der Verhandlung wurden die von der Beschwerdeführerin gemachten Einwände unter Artikel 83 und 56 EPÜ abschließend diskutiert; der Einwand unter Artikel 84 EPÜ gegenüber dem nunmehrigen Hauptantrag wurde von ihr nicht weiterverfolgt. Entscheidungsrelevante Argumente der Parteien werden in den Entscheidungsgründen abgehandelt.

Am Ende der Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet.

VIII. Die am Schluss der mündlichen Verhandlung bestätigten Anträge der Parteien waren:

Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf Basis eines der folgenden Anspruchssätze aufrechtzuerhalten:

Hauptantrag, eingereicht als erster Hilfsantrag mit der Beschwerdeerwiderung, hilfsweise

Hilfsantrag 1, eingereicht als zweiter Hilfsantrag mit der Beschwerdeerwiderung, weiter hilfsweise

Hilfsanträge 2 oder 3, eingereicht mit Eingabe vom 31. Dezember 2019 als dritter und vierter Hilfsantrag.

IX. Anspruch 1 des vorliegenden Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:

"Flüssigkristallines Medium auf der Basis eines Gemisches von polaren Verbindungen mit negativer dielektrischer Anisotropie (Deltaepsilon), dadurch gekennzeichnet, dass das Medium bei einem Klärpunkt von >60°C und einem Deltaepsilon von <=-2,3 einen Wert für das Verhältnis gamma1/Deltan**(2) [Pa s] im Bereich von 6- 45 Pa s aufweist und die Verbindung der Formel

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

in Konzentrationen > 30 Gew.-% enthält."

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Hauptantrag

2. Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)

2.1 Beansprucht werden flüssigkristalline Zusammensetzungen, die die im Anspruch definierte Verbindung (im folgenden als CC-3-V bezeichnet) in einem Anteil von > 30 Gew.% enthalten. Des weiteren sollen sich drei Parameter in einem definierten Bereich bewegen, nämlich der Klärpunkt, die dielektrische Anisotropie (Deltaepsilon) und das Verhältnis der Rotations-viskosität zum Quadrat der Doppelbrechung (gamma1/Deltan**(2)).

2.2 Die Beschwerdeführerin hat vorgebracht, ein Fachmann sei nicht ohne unzumutbaren Aufwand in der Lage gewesen, Zusammensetzungen gemäß den Ansprüchen herzustellen, die die verlangten Parameter erfüllen. Die Ansprüche definierten als einzigen konkreten Inhaltsstoff die Verbindung CC-3-V und es seien keine Ausführungsbeispiele vorhanden. Die eingereichten Daten über die Zusammensetzungen A und B veranschaulichten, dass der beanspruchte Gehalt an CC-3-V alleine nicht ausreicht, um die verlangten Parameter einzuhalten. Ein Fachmann erhalte aus der Beschreibung des Patents keine Hinweise, wie in einem solchen Falle vorzugehen sei, d. h. welche weitere Verbindungen etwa noch zugesetzt werden müssten, um die Parameter entsprechend in den beanspruchten Bereich zu verschieben. Zwar seien in Absätzen [0033]ff. des Patents einige Familien A und B von Verbindungen, genannt, dies zeige aber nur, dass das Vorhandensein dieser Verbindungen ein wesentliches Erfindungsmerkmal sei und daher im Anspruch definiert werden müsste.

2.3 Die Beschwerdegegnerin verweist auf Absätze [0033] bis [0037] und [0048] der Beschreibung und darauf, dass bereits aus der Vielzahl der zitierten Dokumente klar sei, dass der Fachmann keine Schwierigkeiten gehabt hätte, diese Parameter anspruchsgemäß einzustellen.

2.4 Die Kammer ist zu der Ansicht gelangt, dass ein Fachmann mit den Informationen aus dem Patent ohne erfinderisches Zutun in der Lage war, anspruchsgemäße Zusammensetzungen herzustellen. Die Gründe dafür sind die folgenden:

2.4.1 Die im Anspruch definierten Parameter wie Klärpunkt und Rotationsviskosität sind dem Fachmann geläufig.

Die Beschwerdeführerin hat Testdaten (composition A, composition B) vorgelegt, um zu zeigen, dass der beanspruchte Gehalt an CC-3-V von mehr als 30 Gew.% alleine nicht ausreicht, um die gewünschten Parameter zu erhalten. Dies ist unstrittig, denn auch die Beschwerdegegnerin hat nicht behauptet, dass der Anteil an CC-3-V alleine ausreicht, um die beanspruchten Parameterbereiche zu einzustellen. Das ist aber nicht die entscheidende Frage. Die entscheidende Frage ist vielmehr, ob der Fachmann in der Lage war, ausgehend von der Angabe, dass die Zusammensetzung mehr als 30 Gew.% Verbindung CC-3-V enthalten muss, durch die Zugabe weiterer Komponenten diese Parameter entsprechend einzustellen. Gelegentliche Fehlschläge sind hierfür unschädlich, solange der Fachmann weiß, was in einem solchen Falle zu tun ist.

2.4.2 Das Patent enthält zwar keine Ausführungsbeispiele, aber durchaus Angaben, die es dem Fachmann ermöglichen, die beanspruchten Parameterbereiche auch ohne Verdeutlichung durch Beispiele einzustellen. In Absätzen [0033] bis [0036] werden Komponenten A definiert, die zur Einstellung der dielektrischen Anisotropie auf den beanspruchten negativen Wert geeignet sind; ebenfalls sind geeignete Konzentrationsbereiche angegeben. Ebenso sind dort Komponenten B angegeben, die zur Einstellung der Viskosität auf niedrige Bereiche dienen, Absätze [0037] und [0038]. Auch weitere Komponenten sind in Absätzen [0039] bis [0041] genannt. Die Beschwerdeführerin hat nicht belegt, dass ein Fachmann bei Beachtung dieser Anleitungen die gewünschten Parameterbereiche nicht oder nur mit unzumutbarem Aufwand erreichen konnte. Insbesondere erfüllen die beiden von ihr mit Eingabe vom 29. März 2019 vorgelegten Zusammensetzungen "composition A" und "composition B" nicht den in Absatz [0035] als bevorzugt angegebenen Anteil von mehr als 45% an Verbindungen der Komponente A (von PPH-304FF bis CPY-V-O2). Diese Hinweise hätte ein Fachmann aber berücksichtigt.

2.4.3 Der Einwand der Beschwerdeführerin, die als bevorzugt angegebenen Anteile weiterer Komponenten in Absätzen [0036] bis [0038] müssten in den Anspruch aufgenommen werden, sollten diese zur Verwirklichung der beanspruchten Parameter essentiell sein, ist nicht überzeugend. Der Anspruch enthält strukturelle und funktionelle Merkmale. Die Angaben in der Beschreibung dienen dazu, den Fachmann in die Lage zu versetzen, die funktionellen Merkmale der beanspruchten Zusammensetzungen zu verwirklichen. Eine doppelte Definition in dem Sinne, dass die funktionellen Merkmale auch noch durch strukturelle Merkmale sozusagen abgesichert sein müssten, verlangt Artikel 83 EPÜ nicht. Ein Fachmann kann mit den vorhandenen Informationen anspruchsgemäße Zusammensetzungen herstellen.

2.4.4 Darüber hinaus sind im Stand der Technik Zusammensetzungen beschrieben (etwa in D1 oder in D4, siehe die folgende Diskussion der erfinderischen Tätigkeit), die sich von den beanspruchten nur im Gehalt der Verbindung CC-3-V unterscheiden, nicht jedoch in den im Anspruch definierten Parameterbereichen. Diese bewegen sich daher im für den Fachmann üblichen Rahmen.

3. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

3.1 Nächster Stand der Technik

Das Patent beschäftigt sich mit flüssigkristallinen Zusammensetzungen zur Anwendung in Displays.

In der Einspruchsentscheidung wurde D4 als nächster Stand der Technik angesehen, insbesondere Beispiel 7 dort. Von den Parteien wurde neben Beispiel 7 aus D4 auch Beispiel 13 der D1 als nächster Stand der Technik angeführt. Sowohl D1 als auch D4 beschäftigen sich mit dem gleichen Problem wie das Streitpatent, nämlich die Eigenschaften flüssigkristalliner Mischungen für Displays zu optimieren. Beide Dokumente sind daher als nächster Stand der Technik geeignet.

Die vorliegenden Ansprüche unterscheiden sich sowohl von D1 als auch von D4 dadurch, dass in den beanspruchten Zusammensetzungen die Verbindung CC-3-V in Konzentrationen von über 30 Gew% enthalten ist. in Beispiel 13 aus D1 ist CC-3-V zu 19,5 Gew% enthalten, in Beispiel 7 aus D4 zu 9 Gew.%. Beide Mischungen des Standes der Technik haben Klärpunkte von >60°C (75 bzw. 72°C), negative dielektrische Anisotropie (-3,8 bzw. -3,3), und ein Verhältnis gamma1/Deltan**(2) von 17.2 bzw. 10.1. Die im Anspruch definierten Parameterbereiche sind daher erfüllt.

Dies alles war unstrittig.

3.2 Technische Aufgabe und deren Lösung

3.2.1 Das Patent beschreibt in Absatz [0012] das Bestreben, durch Verringerung der Rotationsviskositäten die Schaltzeiten zu verkürzen. Die Parteien waren sich einig, dass das Verhältnis gamma1/Deltan**(2) ein geeignetes Maß für die Schaltzeiten darstellt. Niedrigere Schaltzeiten korrespondieren mit niedrigeren Werten von gamma1/Deltan**(2).

3.2.2 Die Beschwerdegegnerin formuliert die technische Aufgabe ausgehend von D1 oder D4 darin, flüssigkristalline Zusammensetzungen mit verringerten Schaltzeiten zur Verfügung zu stellen. Diese Aufgabe sei durch die beanspruchten Zusammensetzungen, die sich durch einen Gehalt an der Verbindung CC-3-V von >30 Gew.% auszeichnen, gelöst worden. Dazu verweist sie auf die als D20 und D21 im Verfahren befindlichen Vergleichstests.

Die Beschwerdeführerin bestreitet das Vorliegen eines solchen Effekts. D20 und D21 zeigten keinen Effekt, zumindest keinen, der auf das unterscheidende Merkmal zurückzuführen sei, und auch keinen, der für den gesamten beanspruchten Bereich gelte.

3.2.3 D20 vergleicht Beispiel 13 der D1 mit einer erfindungsgemäßen Zusammensetzung, die 31 Gew.% CC-3-V enthält. Dazu wurde eine der anderen in Beispiel 13 enthaltenen Neutralverbindungen (CCH-34) durch CC-3-V ersetzt.

D21 vergleicht Beispiel 7 der D4 mit einer erfindungsgemäßen Zusammensetzung, die 31 Gew.% CC-3-V enthält. Dazu wurden zwei der anderen in Beispiel 7 enthaltenen Neutralverbindungen (CC-3-2V, CC-3-V1) durch CC-3-V ersetzt. Da wegen des geringen Gehalts an CC-3-V dies noch nicht ausreicht, um den beanspruchten Anteil an CC-3-V zu erreichen, wurde weiteres CC-3-V in die Zusammensetzung gegeben, so dass sich die Anteile der anderen Komponenten entsprechend verringern.

In beiden Fällen wurde eine Verringerung des für die Schaltzeiten relevanten Parameters gamma1/Deltan**(2) beobachtet, nämlich von 17,2 auf 15,5 Pa•s (D20) bzw. von 10,1 auf 9,5 Pa•s(D21).

3.2.4 Die Beschwerdeführerin hat verschiedene Argumente vorgebracht, weshalb diese Daten ihrer Ansicht nach keinen Effekt belegen, der zur Formulierung der technischen Aufgabe verwendet werden kann.

Sie brachte vor, das Verhältnis gamma1/Deltan**(2) sei bereits im Anspruch definiert, und zwar als 6-45 Pa•s. Die relevanten Zusammensetzungen der Beispiele aus D1 und D4 hätten Werte von 17,2 Pa•s und 10,1 Pa•s. Es sei daher offensichtlich, dass der Anspruch Zusammensetzungen umfasse, die deutlich höhere Werte von gamma1/Deltan**(2) aufwiesen als der nächste Stand der Technik und daher keine Verbesserung gegenüber diesem Stand der Technik darstellten. Somit sei kein Effekt gezeigt, der im wesentlichen über den gesamten beanspruchten Bereich auftrete. Auf die Entscheidung T 939/92 wurde dabei verwiesen.

Es ist richtig, dass nach ständiger Rechtsprechung der Kammern verlangt werden muss, dass ein technischer Effekt, auf den sich erfinderische Tätigkeit gründet, im wesentlichen im gesamten beanspruchten Bereich auftritt (siehe etwa die von der Beschwerdeführerin angeführte T 939/92, Punkt 2.6 der Entscheidungsgründe). Dies bedeutet hier aber nicht, dass jede vom Anspruch umfasste Zusammensetzung eine Verbesserung gegenüber jeder beliebigen, oder auch nur gegenüber der für die Ansprüche nächstliegenden, Zusammensetzung des Stands der Technik darstellen muss. Vielmehr muss verlangt werden, dass jeweils eine erfindungsgemäße Zusammensetzung, die sich von einer entsprechenden Zusammensetzung des nächsten Standes der Technik nur durch das den Anspruch von diesem Stand der Technik abgrenzende Merkmal unterscheidet, die behauptete Verbesserung aufweist. Dies ist im vorliegenden Fall für zwei Zusammensetzungen gezeigt worden, und es sind keine Daten eingereicht oder andere technische Argumente vorgebracht worden, weshalb dies für andere Zusammensetzungen nicht gelten sollte.

Die Beschwerdeführerin brachte weiterhin vor, es sei nicht gezeigt, dass die niedrigeren Werte von gamma1/Deltan**(2) auf dem unterscheidenden Merkmal, d. h. dem Gehalt an CC-3-V von mehr als 30 Gew.% beruhe. Die getesteten Verbindungen unterschieden sich nicht nur durch den höheren Gehalt an CC-3-V, sondern auch dadurch, dass andere Komponenten in geringerem Anteil oder gar nicht mehr vorhanden seien. Eventuelle Verbesserungen könnten daher ebenso im Wegfall anderer Komponenten begründet sein. Es lägen keine Daten vor, die zeigten, dass alleine die Erhöhung der Gehalts an CC-3-V für den beobachteten Effekt ausschlaggebend sei. Es sei aber etwa im Anspruch nicht verlangt, die Verbindung CCH-34 müsse abwesend sein; nur für einen solchen Anspruch sei aber in D20 ein Effekt glaubhaft gemacht worden.

Die Beschwerdegegnerin hat dazu vorgebracht, die Vergleichstests seien derart konzipiert worden, dass die geringst möglichen Veränderungen zu den Zusammensetzungen des Standes der Technik gemacht wurden. Insbesondere müsse das Verhältnis der Verbindungen mit negativer dielektrischer Anisotropie zu den anderen Bestandteilen gewahrt bleiben, da ansonsten der Parameter Deltaepsilon nicht einzuhalten sei. Die Kammer stimmt dem zu. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich bei der Erhöhung des Anteils einer Komponente in einer Zusammensetzung gleichzeitig der Anteil anderer Komponenten verändert. Die Vergleichstests wurden derart konzipiert, dass Komponenten durch CC-3-V ersetzt wurden, die in den Zusammensetzungen denselben Zweck erfüllen, nämlich die Neutralverbindungen. Da das im Fall von Beispiel 7 der D4 wegen der dort enthaltenen Konzentration von nur 9% nicht ausreicht, wurde danach noch zusätzlich CC-3-V bis zum Erreichen der verlangten Konzentration zugegeben. Dies erlaubt nach Ansicht der Kammer eine sinnvolle Aussage betreffend den Effekt, der durch den beanspruchten Gehalt von mehr als 30 Gew.% CC-3-V verursacht wird. Gegenteilige Ergebnisse der Beschwerdeführerin liegen nicht vor. Der gezeigte Effekt ist nach Ansicht der Kammer auch nicht durch die Abwesenheit von CCH-34 im Vergleichtest in D20 begründet, wie von der Beschwerdeführerin argumentiert. Der gleiche Effekt tritt ja auch in D21 auf, obwohl dort die An- oder Abwesenheit der Verbindung CCH-34 keine Rolle spielt.

Die Beschwerdeführerin brachte weiterhin vor, ein Vergleich der Beispiele 6 und 7 der D4 zeige, dass eine Verringerung des Parameters gamma1/Deltan**(2) nicht durch eine Erhöhung des Gehalts an CC-3-V erreicht werden könne. Die Rotationsviskosität gamma1 der Zusammensetzung 6 sei geringer als die der Zusammensetzung 7, obwohl die Zusammensetzung 6 weniger CC-3-V enthalte als die Zusammensetzung 7.

Dies vermag ebenfalls nicht zu überzeugen. Zunächst ist die entscheidende Größe nicht gamma1, sondern das Verhältnis gamma1/Deltan**(2). Die Beschwerdegegnerin hat zudem vorgebracht, und die Kammer stimmt zu, dass diese beiden Beispiele nicht direkt vergleichbar sind, da sie sich nicht nur im Gehalt an CC-3-V unterscheiden. Im Gegensatz zu den Vergleichsversuchen wurde hier nicht versucht, andere Einflussgrößen zu eliminieren. Weiterhin hat die Beschwerdeführerin nicht dargelegt, weshalb ein Vergleich von Zusammensetzungen, die 4 und 9 Gew.% an CC-3-V enthalten, eine Aussage über Zusammensetzungen erlauben soll, die mehr als 30 Gew.% dieser Verbindung enthalten.

Schließlich hat die Beschwerdeführerin vorgebracht, die Reduktion der Schaltzeit würde mit der Verschlechterung anderer Parameter erkauft, etwa einer Verringerung des Klärpunkts (von 75°C auf 72°C im Vergleich zu D1 und von 72°C auf 63°C im Vergleich zu D4, siehe D20 und D21) oder einer Erhöhung des Werts der negativen dielektrischen Anisotropie (von -3,3 zu -2,6 im Vergleich zu D4, siehe D21). Es könne daher nicht davon gesprochen werden, die beanspruchten Zusammensetzungen stellten eine Verbesserung dar.

Hierzu hat die Beschwerdegegnerin vorgebracht, der Klärpunkt und die negative dielektrische Anisotropie bewegten sich immer noch im akzeptablen Rahmen, wie im Anspruch definiert. Die Kammer stimmt zu. Der gewünschte Effekt der Verkürzung der Schaltzeiten ist davon unberührt.

3.2.5 Die Kammer ist daher der Überzeugung, dass der behauptete Effekt belegt ist. Zusammensetzungen mit mehr als 30 Gew.% Anteil an CC-3-V erlauben kürzere Schaltzeiten, als die jeweils nächstliegenden Zusammensetzungen aus dem Stand der Technik, die sich nur in diesem Merkmal unterscheiden. Es wurde gezeigt, dass dieser Effekt durch das unterscheidende Merkmal, nämlich den Anteil an CC-3-V verursacht wird und er wurde für den gesamten beanspruchten Bereich glaubhaft gemacht.

3.2.6 Daher war die ausgehend von D4 oder D1 gestellte technische Aufgabe, flüssigkristalline Zusammensetzungen aufzufinden, die geringere Schaltzeiten ermöglichen.

Diese Aufgabe wurde durch die beanspruchten Zusammensetzungen gelöst, die sich durch einen Gehalt von mehr als 30 Gew-% der Verbindung CC-3-V auszeichnen.

3.3 Naheliegen der Lösung

Es bleibt zu entscheiden, ob es für einen Fachmann naheliegend war, den Anteil an CC-3-V auf über 30 Gew.% zu erhöhen, um Zusammensetzungen mit geringeren Schaltzeiten zu erhalten.

3.3.1 D1 oder D4 für sich genommen

D1 oder D4 selbst geben darauf keinen Hinweis.

D4 beschreibt in Absatz [0013], dass zur Verringerung der Schaltzeiten die Rotationsviskosität verringert werden muss. D4 offenbart aber nicht, welche Komponente der Zusammensetzung zu diesem Zweck variiert werden soll, und insbesondere nicht, dass dies durch die Erhöhung des Gehalts bestimmter Neutralverbindungen erfolgen soll. Bevorzugte Anteile an verschiedenen Komponenten A, B und C sind auf Seite 11 offenbart. Die Neutralverbindungen C enthalten vorzugsweise Verbindungen der generischen Formel IV, siehe [0123], unter die auch CC-3-V fällt. Individuelle Aussagen über den Gehalt an CC-3-V werden in D4 nicht gemacht, die Beispiele enthalten maximal 9 Gew.% (Beispiel 7). Für die Summe der Komponenten C wird in [0123] ein Anteil von 0-50 Gew.% vorgeschlagen. Generell wird in [0126] angegeben, dass individuelle Verbindungen in Anteilen von 1-30 Gew.% in den Zusammensetzungen enthalten sein können. Zwar hat die Beschwerdeführerin eingewandt, in [0125] sei definiert, das Wort "compounds" beziehe sich sowohl auf einzelne als auch auf eine Gruppe von Verbindungen; daher sei die Angabe 0-50% auch auf eine einzelne Verbindung anwendbar. Die Kammer hält diese Lesart jedoch nicht für überzeugend, da in [0125] diese Definition von "compounds" nur für den Fall gilt, dass nichts anderes explizit offenbart ist. In [0126] ist aber explizit von individuellen Verbindungen die Rede, die in einem Anteil von 1-30% enthalten sind.

Insgesamt gibt es in D4 keinen Hinweis auf die beanspruchte Lösung des Problems zur Verringerung der Schaltzeiten. Weder wird geraten, den Anteil einer Komponente dazu zu erhöhen, geschweige denn auf über 30 Gew.%, noch gibt es Informationen über die Rolle der Verbindung CC-3-V dabei. Gleiches gilt für D1; die Beschwerdeführerin hat auf keine derartige Offenbarung dort hingewiesen.

3.3.2 D19

D19 beschreibt die Verbindung CC-3-V im Zusammenhang mit der Verringerung der Viskosität von flüssigkristallinen Zusammensetzungen, siehe Verbindung 24 in Tabelle 6. Dort werden Verbindungen mit niedriger Doppelbrechung aufgeführt ("low Deltan") und deren physikalische Eigenschaften tabelliert. CC-3-V hat von allen sieben aufgelisteten Verbindung die geringste Rotationsviskosität gamma1. Im dazugehörigen Text wird ausgeführt, dass Verbindungen mit sehr niedriger Rotationsviskosität essentiell sind, um die Viskosität von Mischungen zu verringern. Die Beschwerdeführerin argumentiert, für den Fachmann sei es aufgrund dieser Offenbarung naheliegend gewesen, das technische Problem auf die beanspruchte Weise zu lösen.

Die Kammer hält dies nicht für überzeugend.

Zum Einen haben die zitierten Zusammensetzungen der D4 insgesamt negative dielektrische Anisotropie und werden in VA-TFT Displays verwendet (siehe etwa Beispiel 7). Wie von der Beschwerdegegnerin richtig vorgebracht, adressiert der Übersichtsartikel D19 vier verschiedene Technologiearten, siehe Tabelle 2 dort. VA-TFT wird dabei im ersten Teil beginnend auf Seite 1221f. abgehandelt. In diesem Teil wird ebenfalls das Problem der zu hohen Rotationsviskositäten angesprochen, und es wird vorgeschlagen, dieses Problem durch Variationen in den Substitutionsmustern der Verbindungen mit negativer dielektrischer Anisotropie zu lösen. Solche Verbindungen sind etwa in Tabelle 3 aufgeführt und entsprechen im vorliegenden Patent den Verbindungen mit der generellen Formel IA, IB oder II. Weiterhin wird die Verwendung von Terphenylen vorgeschlagen; siehe etwa den letzten Satz des ersten Absatzes auf Seite 1223, erste Spalte. D19 schlägt für Mischungen, die in VA-TFT-Displays eingesetzt werden, keineswegs die Verwendung der Verbindung CC-3-V zur Verringerung der Rotationsviskosität vor. Dies wird nur für IPS und TN-TFT vorgeschlagen (siehe letzter Absatz auf Seite 1223, letzter Absatz auf Seite 1225), die laut Tabelle 2 Mischungen mit positiver dielektrischer Anisotropie betreffen.

Zwar hat die Beschwerdeführerin eingewandt, CC-3-V werde in D4 ja bereits für Mischungen mit negativem Deltaepsilon eingesetzt, und die Frage sei daher nur, ob dessen Anteil erhöht werden sollte. Auch sei der IPS-Modus im Gegensatz zu der Aussage in D19 auch mit Zusammensetzungen mit negativem Deltaepsilon möglich (vgl. Streitpatent, [0007]). Zudem hätte ein Fachmann gewusst, dass die Verringerung der Rotationsviskosität durch die Verbindungen CC-3-V unabhängig von der dielektrischen Anisotropie möglich sei, da diese Größen physikalisch nichts miteinander zu tun hätten.

Dies alles ändert aber nichts daran, dass D19 für Mischungen zur Verwendung in VA-TFT-Displays, wie denen der D4, zur Verringerung der Rotationsviskosität eine Erhöhung des Anteils an CC-3-V eben gerade nicht vorschlägt, sondern stattdessen die Variation anderer Verbindungen propagiert. Es geht aus D19 auch nicht hervor, dass die verschiedenen Möglichkeiten zur Verringerung der Rotationsviskosität für alle vorgestellten Systeme dieselben seien; es werden ja im Gegenteil verschiedene Lösungen für verschiedene Systeme vorgeschlagen. Ein Fachmann hatte keinen Grund, die Lehre der D19 in der von der Beschwerdeführerin vorgeschlagenen Weise abzuändern.

Zum Anderen werden vorliegend Zusammensetzungen mit einem Gehalt an CC-3-V von mehr als 30 Gew.% beansprucht. In keinem der zitierten Dokumente sind Zusammensetzungen offenbart, die einen derart hohen Anteil einer einzigen Verbindung, geschweige denn von CC-3-V aufweisen. Es ist ja allgemein bekannt (siehe D19, letzter Absatz auf Seite 1220), dass derartige Mischungen aus einer Vielzahl von Einzelkomponenten bestehen, um die benötigten Parameter entsprechend anpassen zu können.

Ein Fachmann hatte ausgehend von D4 auch unter Berücksichtigung der Lehre der D19 keine Veranlassung, den Gehalt an CC-3-V auf über 30 Gew.% zu erhöhen, um die Schaltzeiten der in D4 offenbarten Zusammensetzungen zu verkürzen.

3.4 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das oben definierte technische Problem durch die in Anspruch 1 des Hauptantrags definierten Zusammensetzungen auf nicht naheliegende Weise gelöst wurde. Erfinderische Tätigkeit ist daher gegeben.

4. Da der Hauptantrag der Beschwerdegegnerin gewährbar ist, braucht auf die Hilfsanträge nicht weiter eingegangen zu werden.

5. Gegen die im Einspruchsverfahren eingereichte Beschreibung des Hauptantrags wurden im Beschwerdeverfahren keine Einwände erhoben.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Auflage, das Patent auf Basis der folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:

Ansprüche 1-19 des Hauptantrags, eingereicht als erster Hilfsantrag mit der Beschwerdeerwiderung vom 19. September 2016;

Beschreibung Seiten 1-52 eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung.

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