T 0026/16 () of 24.9.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T002616.20190924
Datum der Entscheidung: 24 September 2019
Aktenzeichen: T 0026/16
Anmeldenummer: 11153413.7
IPC-Klasse: E01H 4/02
F16P 3/14
G08G 1/16
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 403 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Pistenpflegefahrzeug
Name des Anmelders: Kässbohrer Geländefahrzeug AG
Name des Einsprechenden: Prinoth S.p.A.
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(b)
European Patent Convention Art 100(a)
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Ausreichende Offenbarung - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 2 354 316 (im Folgenden: Patent) betrifft ein Pistenpflegefahrzeug mit einem Sicherheitssystem.

II. Gegen das Patent im gesamten Umfang wurde Einspruch eingelegt. Als Einspruchsgründe wurden unzureichende Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ) sowie mangelnde erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ) geltend gemacht.

III. Am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung hat diese entschieden, den Einspruch zurückzuweisen.

IV. Die Einsprechende (im Folgenden: Beschwerdeführerin) hat gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt.

V. In der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) vom 12. Oktober 2018 hat die Kammer ihre vorläufige Einschätzung der Beschwerde mitgeteilt.

VI. Eine mündliche Verhandlung hat am 24. September 2019 stattgefunden.

VII. Schlussanträge

Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin (im Folgenden: Beschwerdegegnerin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

VIII. Anspruch 1 in der erteilten Fassung lautet folgendermaßen (die Merkmalsgliederung wurde durch die Kammer hinzufügt und lehnt sich an die von der Beschwerdeführerin verwendete Gliederung an):

a) Pistenpflegefahrzeug (10),

b) mit einem Kettenfahrantrieb (12) und/oder

mindestens ein [sic] Anbauaggregat (14) zur

Bearbeitung eines Untergrundes (2),

gekennzeichnet durch

c) ein Sicherheitssystem (30), welches

d) eine Sensoreinrichtung (32, 33, 34, 34a, 34b) zur

Erfassung von Personen (40, 42, 44, 46) und/oder

von Bodenkonturen (62) in der Umgebung des

Pistenpflegefahrzeugs (10)

e) mit mindestens einer Lasersensoreinrichtung (33)

und

f) eine Kamera (31) zur optischen Erfassung der

Umgebung aufweist,

g) wobei das Sicherheitssystem dafür ausgebildet ist,

die erfassten Bodenkonturen (62) und/oder die

erfassten Personen (40, 42, 44, 46) visualisiert

auf einem Bildschirm (54) im Führerstand des

Pistenpflegefahrzeugs (10) anzuzeigen,

h) wobei das von der Kamera (31) erfasste Bild auf dem

Bildschirm (54) im Führerstand angezeigt wird, und

i) die von der Lasersensoreinrichtung (33) erfassten

Bodenkonturen (62) im auf dem Bildschirm (54)

dargestellten Bild eingeblendet werden.

IX. Stand der Technik

In der Beschwerdebegründung und in der Beschwerdeerwiderung haben die Beteiligten unter anderem auf folgende bereits in der angefochtenen Entscheidung genannte bzw. mit dem Einspruchsschriftsatz eingereichte Druckschriften Bezug genommen:

D1: AT 500 147 B1;

D2: US 2009/0303026 A1.

Mit ihrer Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin die Druckschrift JP 2000-184368 A (D8), mit englischer Maschinenübersetzung (D8bis) und englischem Abstract (D8ter) eingereicht.

Mit Schriftsatz vom 24. Juli 2019 hat die Beschwerdeführerin eine weitere englische Maschinenübersetzung von D8 eingereicht (D8quater).

X. Das schriftsätzliche und mündliche Vorbringen der Beteiligten lässt sich, soweit es für diese Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammenfassen:

a) Zulassung von D8 ins Verfahren

Die Beschwerdeführerin beantragt, dass die Druckschrift D8 sowie ihre Zusammenfassung D8ter und Übersetzung D8bis in das Verfahren zugelassen und berücksichtigt werden, weil sie in Reaktion auf die Beurteilung der Frage der erfinderischen Tätigkeit in der angefochtenen Entscheidung eingereicht worden seien und ihr Inhalt prima facie hochrelevant für diese Frage sei. Die später eingereichte Übersetzung D8quater solle berücksichtigt werden, weil sie eine korrektere und verständlichere Übersetzung von D8 als D8bis sei.

Die Beschwerdegegnerin ist der Auffassung, dass diese Dokumente nicht ins Verfahren zugelassen werden dürfen, da sie bereits im Einspruchsverfahren hätten eingereicht werden können und zudem prima facie nicht relevant seien. Sie bestreitet die Richtigkeit der Übersetzung D8quater mit Nichtwissen.

b) Artikel 100 b) EPÜ

Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass - entgegen der Meinung der Einspruchsabteilung - der Fachmann die Erfindung nicht ausführen könne. Sie führt aus, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 im Hinblick auf die Erfassung von Bodenkonturen und/oder Personen unklar definiert und unzureichend durch die Beschreibung gestützt sei. Aufgrund der "und/oder"-Verknüpfung in Merkmalen d) und g) des Anspruchs 1 seien drei alternative Ausführungsformen für die Lasersensoreinrichtung definiert: Sie könne entweder Bodenkonturen oder Personen, oder sowohl Bodenkonturen als auch Personen erfassen. Es sei aber unzureichend offenbart, wie eine Lasersensoreinrichtung ausschließlich Bodenkonturen erfassen solle. Andererseits könne sie Personen nur schwer erfassen, die sich nicht bewegten oder sich in unmittelbarer Nähe der Schneeoberfläche oder sogar darunter befänden. Abgesehen davon sei nicht nachvollziehbar, wie eine Lasersensoreinrichtung zwischen Bodenkonturen und Personen unterscheiden könne und lediglich die von ihr erfassten Bodenkonturen im Bildschirm eingeblendet werden sollen (Merkmal i)). In der Praxis könne eine Lasersensoreinrichtung nicht zwischen einer Person und einer Bodenkontur wie einem Baum oder einem Felsen unterscheiden.

Die Beschwerdegegnerin räumt zunächst ein, dass die "und/oder"-Verknüpfung in Merkmalen d) und g) von Anspruch 1 eine unklare Lehre vermittle. Sie macht aber geltend, dass diese Unklarheit zu keiner mangelnden Ausführbarkeit führe, denn der Fachmann könne die beanspruchte Erfindung anhand des Gesamtinhalts des Patents und mit Hilfe seines allgemeinen Fachwissens ohne unzumutbaren Aufwand ausführen. Die Lasersensorreinrichtung taste das umliegende Gelände ab, um ein Abbild des Geländes zu erhalten, das in Form von Bodenkonturen im Bildschirm auf dem angezeigten Kamerabild eingeblendet werde. Bei den gefährlichen Bodenkonturen handle es sich bei dem Betrieb von Pistenpflegefahrzeugen typischer Weise um besondere Geländeunebenheiten wie Bäume, Felsen, Abhänge, Spalten oder Abbrüche, die für den Fahrzeugführer und das Fahrzeug gefährlich sein könnten. Die Sensoreinrichtung umfasse mindestens eine Lasersensoreinrichtung und könne daneben auch eine weitere Sensoreinrichtung aufweisen, falls insbesondere auch Personen erfasst werden sollen, die aber von der Lasersensoreinrichtung schwer erfassbar seien. Diesbezüglich gehe aus dem Patent hervor, dass die Sensoreinrichtung neben der Lasersensoreinrichtung auch eine Infrarotsensoreinrichtung umfassen könne, um liegende Personen erfassen zu können, die sich nicht bewegten und im Schnee lägen.

c) Artikel 100 a) EPÜ - Erfinderische Tätigkeit

Vorbringen der Beschwerdeführerin:

Entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung beruhe der Gegenstand von Anspruch 1 auf keiner erfinderischen Tätigkeit. D1 könne als nächstliegender Stand der Technik herangezogen werden. Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheide davon durch die Merkmale e), g) und i).

Auf die in Absatz 8 der Patentschrift formulierte technische Aufgabe dürfe nicht zurückgegriffen werden, denn sie lasse außer Acht, dass die Lasersensoreinrichtung sowohl Bodenkonturen als auch Personen in der Umgebung des Fahrzeugs erfassen könne. Ausgehend von D1 bestehe die objektiv zu lösende technische Aufgabe allenfalls darin, die Erkennung von Betriebszuständen zu verbessern, die für Personen an Bord und/oder in der Nähe des Fahrzeugs gefährlich sein könnten.

Für den mit dieser Aufgabe befassten Fachmann sei die beanspruchte Lösung aufgrund der Lehre von D2 oder D8 naheliegend.

D2 offenbare einen Personenkraftwagen mit einer Vorrichtung zur Erfassung von Hindernissen wie Fußgängern, Gebäuden oder Leitplanken (Absätze 34, 60 und 61), mit einer Kamera zur Erfassung der Umgebung und einen Laserscanner zur Erfassung der Hindernisse, wobei die erfassten Daten fusioniert werden würden (Absatz 75). Diese Daten könnten ohne weiteres visualisiert auf einem Bildschirm im Führerstand des Fahrzeugs angezeigt werden, selbst wenn dies in D2 nicht explizit offenbart sei. Der in Anspruch 1 verwendete Begriff "Bodenkontur" müsse breit ausgelegt werden und der aus D2 bekannte Laserscanner sei dazu geeignet, gefährliche Bodenkonturen in Form von Bäumen oder Felsen zu erfassen.

D8 offenbare einen Personenkraftwagen mit einer Vorrichtung zur Erfassung von Hindernissen wie Fußgänger und Fahrzeuge, wobei die Vorrichtung eine Kamera zur Erfassung der Umgebung und einen Laserradar zur Erfassung der Hindernisse aufweise, und die vom Laserradar erfassten Hindernisse im auf einem Bildschirm angezeigten Kamerabild eingeblendet werden würden (Absätze 1, 18, 20, 21, 35 und 36 in D8quater bzw. D8bis). Auch dieser Laserscanner könne gefährliche Bodenkonturen wie Bäume oder Felsen erfassen.

Der Fachmann würde die Lehre von D2 oder D8 heranziehen, obwohl dort keine Pistenpflegefahrzeuge offenbart seien. Wie aus dem Patent selbst hervorgehe (Absätze 4 und 5 der Patentschrift), sei es im Bereich der Pistenpflegefahrzeuge nämlich üblich, auf Lösungen zurückzugreifen, die für Personenkraftwagen entwickelt worden seien, insbesondere weil die geringe Größe des Markts für Pistenpflegefahrzeuge keine umfangreichen Investitionen rechtfertige und technische Lösungen für Personenkraftwagen leicht übertragen werden könnten. Darüber hinaus würde der Fachmann im Bereich der Pistenpflegefahrzeuge nicht nur nach einer Lösung im Automobilbereich suchen, sondern auch erkennen, dass es im Hinblick auf die Sicherheit der Personen an Bord und/oder in der Nähe eines wie auch immer gearteten Fahrzeugs im Grunde lediglich um die Erfassung von möglichen Hindernisse gehe, seien es gefährliche Bodenkonturen oder Fußgänger. Auch die bloße Tatsache, dass die in D2 bzw. D8 offenbarte Sensoreinrichtung im städtischen Umfeld verwendet werde, würde den Fachmann nicht daran hindern, sie in das aus D1 bekannte Pistenpflegefahrzeug aufzunehmen.

Vorbringen der Beschwerdegegnerin:

Das in D1 offenbarte Pistenpflegefahrzeug bilde den nächstliegenden Stand der Technik. Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheide sich davon durch die Merkmale e), f), g) und i). Dank dieser Merkmale werde dem Fahrzeugführer eine Möglichkeit gegeben, auch bei widrigen Witterungsbedingungen oder bei Nacht die Umgebung zu erfassen und rechtzeitig auf gefährliche Geländeunebenheiten wie beispielweise Bäume, Felsen, Abhängen, Spalten oder Abbrüche aufmerksam gemacht zu werden, um das Pistenpflegefahrzeug mit der dadurch gebotenen Vorsicht zu führen und insbesondere ein Absturz des Fahrzeugs zu vermeiden. Die zu lösende Aufgabe könne demnach darin gesehen werden, das Pistenpflegefahrzeug dahingehend weiterzubilden, dass die Gefahr für den Fahrzeugführer und das Fahrzeug verringert wird, die sich aus gefährlichen Bodenkonturen ergibt (Absatz 8 der Patentschrift).

Die beanspruchte Lösung sei in ihrer Gesamtheit nicht durch D2 und D8 nahegelegt und beruhe also auf einer erfinderischen Tätigkeit.

D2 offenbare einen Personenkraftwagen mit einem Fußgängererfassungssystem, um Unfälle zu vermeiden. Dieses System sei speziell auf gefährliche Situationen im städtischen Bereich abgestimmt, wo Fußgänger zwischen parkenden Autos hervortreten, hinter Bussen verborgen sein könnten oder ähnliches (Absatz 35 von D2). Mit den Anforderungen an ein Pistenpflegefahrzeug, das im unwegsamen schneebedeckten Gebirge unterwegs sei, habe D2 nichts zu tun. Das dort offenbarte Fußgängererfassungssystem umfasse zwar einen Laserscanner. D2 enthalte aber keine Angaben darüber, was mit den vom Laserscanner bereitgestellten Daten passieren solle. Insbesondere könne D2 nicht entnommen werden, dass die Daten visualisiert auf einem Bildschirm im Führerstand des Fahrzeugs angezeigt werden. Schließlich sei der in D2 offenbarte Laserscanner entgegen der erfindungsgemäßen Lösung nicht dafür ausgebildet, Bodenkonturen in der Umgebung des Fahrzeugs zu erfassen.

D8 offenbare einen Personenkraftwagen, der mittels eines Kamerasystems die Fahrzeugumgebung nach vorne oder nach hinten erfasse und zusätzlich einen Laserradar zur Erfassung von Hindernissen wie Fußgänger und Fahrzeuge aufweise. Der zur Aufgabenlösung maßgebende Fachmann habe keine Veranlassung, die Lehre von D8 heranzuziehen. Aber auch wenn er dies täte, könnte er nicht zu allen Merkmalen der erfindungsgemäßen Lösung gelangen. Denn D8 offenbare nicht, dass das Laserradar zur Erfassung von Bodenkonturen ausgebildet sei, geschweige denn, dass das angezeigte Kamerabild mit den vom Laserradar erfassten Bodenkonturen ergänzt werde.

Entscheidungsgründe

1. Zulassung von D8 ins Verfahren

1.1 Die Beschwerdeführerin hat D8 verwendet, um der von der Einspruchsabteilung getroffenen Feststellung zu begegnen, dass die Übertragung der Lehre von D2 auf D1 nicht zum fehlenden Merkmal i) von Anspruch 1 führen könne (siehe Gründe Nr. 5 in der angefochtenen Entscheidung). Das Einreichen von D8 stellt mithin eine direkte Reaktion auf die positive Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit in der angefochtenen Entscheidung dar und dient lediglich dazu, das erstinstanzliche Vorbringen der Beschwerdeführerin zu dieser Frage zu untermauern. Die Kammer kann in dieser Vorgehensweise der Beschwerdeführerin keinen Verfahrensmissbrauch erkennen. Diesbezüglich stellt die Kammer fest, dass die Einspruchsabteilung in ihrem Ladungsbescheid zur mündlichen Verhandlung keinen Hinweis über ihre vorläufige Meinung zu der Kombination von D1 mit D2 gegeben hat, so dass die Beschwerdeführerin auch keine Veranlassung hatte, ihr Vorbringen insoweit schon bei der Einspruchsabteilung zu ergänzen.

1.2 Aus diesen Gründen kam die Kammer zu dem Schluss, die Druckschrift D8 sowie ihre (erste) Maschinenübersetzung (D8bis) und ihre Zusammenfassung (D8ter) in die englische Sprache nicht vom Verfahren auszuschließen (Artikel 12 (4) VOBK), ungeachtet ihrer möglichen Relevanz.

1.3 Eine zweite Maschinenübersetzung von D8 (D8quater) in die englische Sprache wurde erstmals nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer und damit in einem späten Verfahrensstadium eingereicht.

1.4 Der Offenbarungsgehalt von D8 ist von einiger Bedeutung für die Frage der erfinderischen Tätigkeit, und D8quater wird von der Kammer als eine besser verständliche englische Übersetzung als D8bis angesehen. Die Kammer kam daher zu dem Schluss, D8quater in das Verfahren zuzulassen und zu berücksichtigen (Artikel 13 (1) VOBK).

1.5 Die Beschwerdegegnerin bestreitet zwar, dass D8quater eine korrektere Übersetzung des Originaltextes von D8 (auf Japanisch) als D8bis sei. Es bestehen aber keine durchgreifenden Zweifel an der Richtigkeit der Übersetzung D8quater für diejenigen Aspekte, die für den zu untersuchenden Fall von hoher Relevanz sind. Demnach kann die Frage der allgemeinen Richtigkeit der Übersetzung D8quater dahingestellt bleiben.

2. Auslegung von Anspruch 1

2.1 Bevor über die Ausführbarkeit und die erfinderische Tätigkeit des beanspruchten Gegenstands entschieden werden kann, ist zu klären, wie Merkmale d), g) und i) des Anspruchs 1 sowie der darin verwendete Begriff "Bodenkonturen" auszulegen sind.

2.2 Aufgrund der in ihm verwendeten technischen Begriffe richtet sich Anspruch 1 an einen Fachmann, der einschlägige Kenntnisse und Erfahrungen auf den Gebieten der Pistenpflegefahrzeuge, der Sensortechnik und der Bildverarbeitung besitzt. Als "zuständiger Fachmann", der die beanspruchte Erfindung verstehen und ausführen will, ist daher typischerweise ein Maschinenbauingenieur mit Erfahrung in der Entwicklung und Herstellung von Pistenpflegefahrzeugen, der in einem Team mit Ingenieuren der Bereiche Sensortechnik und Bildverarbeitung arbeitet.

2.3 Im Hinblick auf Merkmale d), g) und i) ist unstreitig, dass ihr Wortlaut zu einer widersprüchlichen Lehre führt. So definiert die "und/oder"-Verknüpfung in Merkmal d) bzw. g) letztendlich drei alternative Ausführungsformen der Sensoreinrichtung, darunter auch eine, die nur Personen, nicht aber Bodenkonturen in der Umgebung des Fahrzeugs erfassen kann, während aus Merkmal i) hervorgeht, dass die Lasersensoreinrichtung - d. h. ein Teil der Sensoreinrichtung - dazu dient, die Bodenkonturen zu erfassen.

2.4 Die Kammer stellt fest, dass Anspruch 1 die Merkmale des ursprünglich eingereichten Anspruchs 1 (siehe dort Alternative des letzten Spiegelstrichs) und zusätzlich die Merkmale der ursprünglich eingereichten abhängigen Ansprüche 7 (Merkmale f) und h)) und 9 (Merkmale e) und i)) aufweist. Diese Beschränkung ist vorgenommen worden, um einen von der Prüfungsabteilung erhobenen Einwand mangelnder Neuheit auszuräumen. Deshalb ist im Gesamtzusammenhang des Anspruchs Merkmal i) mehr Gewicht beizumessen als Merkmal d) und h). Es ist offensichtlich, dass im Prüfungsverfahren wohl irrtümlich versäumt worden ist, den Wortlaut der Merkmale d) und g) an den Wortlaut des hinzugefügten Merkmals i) anzupassen.

2.5 Davon abgesehen wird der Fachmann zur Auflösung des genannten Widerspruchs die Beschreibung und Zeichnungen des Patents zur Auslegung des Anspruchs heranziehen. Dort wird er erfahren, dass die Lasersensoreinrichtung dazu dient, die Bodenkonturen und gegebenenfalls Personen in der Umgebung des Fahrzeugs zu erfassen (in der Patentschrift siehe Absätze 19, 28 und 49, Lasersensoreinrichtung 33 und Figuren 4a und 4b).

2.6 Folglich kommt die Kammer zu dem Schluss, dass die Merkmale d), g) und i) von Anspruch 1 sinnvoll nur so zu verstehen sind,

- dass die Sensoreinrichtung zur Erfassung von Bodenkonturen und gegebenenfalls Personen in der Umgebung des Pistenpflegefahrzeugs dient (Merkmal d)),

- dass die erfassten Bodenkonturen und gegebenenfalls Personen visualisiert auf einem Bildschirm im Führerstand des Pistenpflegefahrzeugs angezeigt werden (Merkmal g)),

- wobei die von der Lasersensoreinrichtung erfassten Bodenkonturen im auf dem Bildschirm dargestellten Kamerabild eingeblendet werden (Merkmal i)).

2.7 Der Begriff "Bodenkonturen" bezeichnet nach dem allgemeinen Sprachverständnis die Umrisslinien eines Bodens. Der Fachmann versteht beim Lesen dieses Begriffs im Gesamtzusammenhang des Anspruchs 1, dass die Lasersensoreinrichtung dazu verwendet wird, den Boden bzw. das Gelände in der Umgebung des Pistenpflegefahrzeugs abzuscannen bzw. abzutasten und mithin ein Abbild des Geländes zu erhalten, das in Form von Bodenkonturen im Kamerabild eingeblendet wird, das auf einem Bildschirm im Führerstand dargestellt ist. Dabei weiß der Fachmann, dass das Pistenpflegefahrzeug im schneebedeckten Gebirge eingesetzt wird, wo das Gelände mehr oder minder steile Schneeflächen aufweist, die von gefährlichen Geländeunebenheiten wie Bäume, Felsen, Abhänge, Spalten oder Abbrüche unterbrochen sein können. Im Übrigen wird dieses Verständnis durch die Lehre in der Beschreibung des Patents bestätigt (siehe Absätze 15, 28 bis 31, 48 und 49).

3. Artikel 100 b) EPÜ

3.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass das Patent keine ausreichende Offenbarung zur Ausführung der in Anspruch 1 angegebene Lehre vermittle. Aus folgenden Gründen vermag der diesbezügliche Vortrag der Beschwerdeführerin nicht zu überzeugen.

3.2 Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht nacharbeitbar sei, weil er aufgrund der "und/oder"-Verknüpfung in Merkmalen d) und g) unklar definiert sei und zudem unzureichend durch die Beschreibung gestützt sei. Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist das Erfordernis der ausreichenden Offenbarung gemäß Artikel 83 bzw. 100 b) EPÜ aber so zu verstehen, dass ein beanspruchter Gegenstand anhand des Gesamtinhalts des Patents und mit Hilfe des allgemeinen Fachwissens ohne unzumutbaren Aufwand ausführbar sein muss. Bei Anwendung dieser Grundsätze lässt sich nach Auffassung der Kammer die erwähnte Unklarheit des Anspruchswortlauts im Lichte des Gesamtinhalts des Patents ausräumen (siehe Punkt 2 vorstehend). Ferner liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor, dass die beanspruchte Erfindung nicht im gesamten beanspruchten Bereich ausführbar ist.

3.3 Merkmal i) von Anspruch 1 verlangt, dass die von der Lasersensoreinrichtung erfassten Bodenkonturen im auf dem Bildschirm dargestellten Kamerabild eingeblendet werden. Die Beschwerdeführerin weist zwar zurecht darauf hin, dass unter Umständen die Lasersensoreinrichtung nicht nur Bodenkonturen erfassen wird, sondern auch Personen in der Umgebung des Fahrzeugs. Es ist aber davon auszugehen, dass der bereits unter Punkt 2.2 vorstehend definierte Fachmann in der Lage ist, die Verarbeitung der von der Lasersensoreinrichtung bereitgestellten Rohdaten derart zu steuern, dass nur die erfassten Bodenkonturen - d. h. das Abbild des Geländes - im dargestellten Kamerabild eingeblendet werden. Soweit die Beschwerdeführerin das Gegenteil behauptet, fehlt dafür der Nachweis.

3.4 Anspruch 1 definiert eine besondere Ausführungsform der Erfindung, bei welcher die Sensoreinrichtung mit einer Lasersensoreinrichtung sowohl Bodenkonturen als auch Personen in der Nähe des Fahrzeugs erfassen soll (siehe Punkt 2.6 vorstehend). Die Beschwerdeführerin hat dazu ausgeführt, dass in der Praxis eine Lasersensoreinrichtung Personen nur schwer erfassen kann, die sich nicht bewegen oder sich in unmittelbarer Nähe der Schneeoberfläche oder sogar darunter befinden. Sollte dies ein tatsächliches Problem darstellen, erhält der Fachmann im Patent jedoch Hinweise, wie die Sensoreinrichtung solche Personen dennoch erfassen kann, wie die Beschwerdegegnerin zutreffend argumentiert (siehe Infrarotsensoreinrichtung und Radareinrichtung in Absatz 19; Wärmebildkamera in Absatz 20; Wärmebildkameras 34a und 34b in Figur 1).

3.5 Diesbezüglich argumentiert die Beschwerdeführerin ferner, nach dem Wortlaut des Anspruchs 1 umfasse die Sensoreinrichtung ausschließlich eine Lasersensoreinrichtung, während das Vorhandensein einer Infrarotsensoreinrichtung und/oder einer Radareinrichtung aufgrund der Verwendung des Begriffs "Sensoreinrichtung" ausgeschlossen sei. Dieses Argument überzeugt die Kammer nicht. Der generische Begriff "Sensoreinrichtung" lässt vielmehr spezielle Ausbildungen zu, und im Patent ist insoweit erwähnt, dass die erfindungsgemäße Sensoreinrichtung neben der Lasersensoreinrichtung weitere Einrichtungen wie eine Infrarotsensoreinrichtung und/oder eine Radareinrichtung umfassen kann (siehe u. a. Ansprüche 5 und 8).

4. Artikel 100 a) EPÜ - Erfinderische Tätigkeit

4.1 Die Kammer teilt die Auffassung der Beteiligten, dass D1 einen realistischen Ausgangspunkt zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit darstellt.

4.2 D1 offenbart, in den Worten des Anspruchs 1, ein Pistenpflegefahrzeug (Fahrzeug 1 in Figuren 1 bis 4), mit:

- einem Kettenfahrantrieb;

- einem Anbauaggregat (Pistenpflegevorrichtung 2, Räumschild 15, Fräse 16 bzw. Glätteinrichtung 17) zur Bearbeitung eines Untergrundes (Schneeoberfläche 3);

- einem Radarsystem (20) zur Erfassungen von Hindernissen jeder Art, das beim Rückwärtsfahren des Pistenpflegefahrzeugs als Parkhilfe verwendet werden (Seite 8, Zeilen 47 bis 50 und Anspruch 22);

- einem Monitor oder einer LCD-Anzeige, um den Abstand bzw. die Richtung des Hindernisses optisch anzuzeigen (Seite 8, Zeilen 53 und 54); und

- einem Kamerasystem (12) zur Erfassung von Referenzmarkierungen an einem begleitenden Pistenpflegefahrzeug (10), um in Verbindung mit einer Satellitennavigation eine unbemannte Lenkung des Pistenpflegefahrzeugs zur ermöglichen (Seite 4, Zeilen 13 bis 16; Seite 7, Zeilen 32 bis 35).

4.3 Die Beteiligten sind sich einig, dass dieses in D1 offenbarte Pistenpflegefahrzeug die in Anspruch 1 aufgeführten Merkmale a) bis d) und g) ihrem Wortlaut nach verwirklicht und dass die Merkmale e), h) und i) dem Dokument D1 nicht entnommen werden können.

4.4 Es ist zwischen den Beteiligten hingegen streitig, ob dort Merkmal f) offenbart ist. Die Kammer schließt sich der Auffassung der Beschwerdeführerin an, dass das in D1 offenbarte Kamerasystem 12 dieses streitige Merkmal verwirklicht. So geht aus D1 hervor, dass das Kamerasystem 12 als Live-Webcam eingesetzt werden kann, wobei die aktuellen Bilddaten über eine in Pistennähe angeordnete Basisstation 9 in ein standardgemäßes Kommunikationssystem, z.B. GSM, GPRS, HSCSD, UMTS und/oder GPS, übertragen werden, oder direkt vom Pistenpflegefahrzeug 1 via Satellit ins Internet gestellt werden und von jedem Internetbenutzer, der Schnee- bzw. Wetterinformationen über das Skigebiet benötigt, abgerufen werden können (siehe Seite 7, Zeilen 39 bis 44 in Verbindung mit Seite 8, Zeile 8).

4.5 Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich daher von D1 dadurch:

- dass das Sicherheitssystem des Fahrzeugs eine Lasersensoreinrichtung zur Erfassung von Bodenkonturen in der Umgebung des Fahrzeugs aufweist (Merkmal e));

- dass das von der Kamera erfasste Bild der Umgebung auf einem Bildschirm im Führerstand des Fahrzeugs angezeigt wird (Merkmal h)); und

- dass die von der Lasersensoreinrichtung erfassten Bodenkonturen im auf dem Bildschirm dargestellten Kamerabild eingeblendet werden (Merkmal i)).

4.6 Dank dieser Unterscheidungsmerkmale wird der Fahrzeugführer rechtzeitig auf gefährliche Geländeunebenheiten wie Bäume, Felsen, Abhängen, Spalten oder Abbrüche aufmerksam gemacht, um das Fahrzeug mit der dadurch gebotenen Vorsicht zu führen, selbst bei schlechten Sichtbedingungen (Absätze 15, 26, 28 und 49 der Patentschrift).

4.7 Die Kammer teilt deshalb die Ansicht der Beschwerdegegnerin, dass die technische Aufgabe, die sich objektiv gegenüber D1 ergibt, darin besteht, das dort offenbarte Pistenpflegefahrzeug dahingehend weiterzubilden, dass die Gefahr für den Fahrzeugführer selbst und das Fahrzeug verringert wird, die sich aus gefährlichen Bodenkonturen ergibt (Absatz 8 der Patentschrift).

4.8 Die Beschwerdeführerin argumentiert, die objektiv zu lösende Aufgabe liege eher darin, die Erkennung von Betriebszuständen zu verbessern, die für Personen an Bord und/oder in der Nähe des Fahrzeugs gefährlich sein könnten. Die Kammer kann sich diesem Vorbringen nicht anschließen, da es die technische Wirkung der Unterscheidungsmerkmale außer Acht lässt. Die Beschwerdeführerin behauptet zwar, dass die Lasersensoreinrichtung zusätzlich zu den Bodenkonturen auch Personen erfassen könne, die sich in der Nähe des Fahrzeugs befänden, und dass die Unterscheidungsmerkmale mithin ein geringere Gefährdung dieser Personen bewirken würde. Die Beschwerdeführerin hat aber keinerlei Beleg dafür erbracht, dass diese behauptete Wirkung unmittelbar und kausal mit den Unterscheidungsmerkmalen zusammenhängt. Bei der Erfindung steht die Erfassung und Visualisierung der Bodenkonturen zum Schutz von Fahrer und Fahrzeug im Vordergrund; die Erfassung und Visualisierung von Personen außerhalb des Fahrzeugs ist hingegen nur ein möglicher Bonus- oder Nebeneffekt, der zwar nicht unwillkommen ist, der aber nicht durch die oben genannten Unterscheidungsmerkmale bewirkt wird und sich zudem nicht einmal zwangsläufig tatsächlich ergibt. So hat die Beschwerdeführerin selbst ausführlich dargelegt, dass für eine Lasersensoreinrichtung Personen schwer zu erfassen sind, die feststehen oder sich in unmittelbarer Nähe der Schneeoberfläche befinden oder sogar unter der Schneeoberfläche liegen.

4.9 Der bereits im Punkt 2.2 vorstehend definierte Fachmann gelangt auch unter Berücksichtigung des entgegengehaltenen Stands der Technik und seiner allgemeinen Fachkenntnisse nicht in naheliegender Weise zur beanspruchten Lösung. Insbesondere liegt es im Hinblick auf den entgegengehaltenen Stand der Technik nicht nahe, eine Lasersensoreinrichtung zur Erfassung von Bodenkonturen in der Umgebung des Pistenpflegefahrzeugs vorzusehen, und das auf dem Bildschirm angezeigte Kamerabild mit den von der Lasersensoreinrichtung erfassten Bodenkonturen zu ergänzen.

4.10 Diesbezüglich ist es zwischen den Beteiligten streitig, ob der Fachmann die Druckschriften D2 und D8 überhaupt zur Lösung der oben genannten Aufgabe heranziehen würde, weil die dort genannten Fahrzeuge nicht in den Bergen eingesetzt würden, sondern, unter gänzlich anderen Voraussetzungen, im Stadtbetrieb. Diese Frage kann letztlich dahingestellt bleiben, denn selbst wenn er dies täte, käme er nicht zur beanspruchten Lösung:

4.10.1 In D2 ist ein Personenkraftwagen mit einer Kamera zur Erfassung der Umgebung und einem Laserscanner zur Erfassung von Fußgängern und Hindernissen wie Gebäuden, Leitplanken oder dergleichen offenbart, die in einem urbanen Umfeld vor dem Fahrzeug auftauchen können (Absätze 34, 60 und 61). In Absatz 76 von D2 wird darauf hingewiesen, dass der Laserscanner keine brauchbaren Ergebnisse liefern kann, wenn das Fahrzeug allzu geneigt ist, weil die Scanebene des Laserscanners den Boden schneiden wird. Dies würde den Fachmann, der mit der Weiterentwicklung des in D1 offenbarten, für unwegsame und geneigte Gelände bestimmten Pistenpflegefahrzeugs befasst ist, davon abhalten, die aus D2 bekannte Lehre auf das Pistenpflegefahrzeug von D1 zu übertragen. Abgesehen davon kann dem Dokument D2 schon nicht entnommen werden, dass der Laserscanner dazu verwendet wird, die Bodenkonturen zu erfassen, geschweige denn, dass erfasste Bodenkonturen im auf einem Bildschirm angezeigten Kamerabild eingeblendet werden.

4.10.2 Aus D8 ist ein Personenkraftwagen mit einer Kamera zur Erfassung der Umgebung des Fahrzeugs und einem Laserradar zur Erfassung von Hindernissen in der Umgebung wie Fußgängern und Fahrzeugen bekannt (siehe Absätze 1, 18, 20, 21, 35 und 36 in D8quater bzw. D8bis). Dort ist aber weder die Verwendung des Laserradars zur Erfassung der Bodenkonturen in der Umgebung des Fahrzeugs, noch die Einblendung der erfassten Bodenkonturen im auf dem Bildschirm angezeigten Kamerabild der Umgebung offenbart.

4.11 Zusammenfassend kann die Kammer also nicht feststellen, dass sich der Gegenstand von Anspruch 1 ausgehend von D1 als nächstliegendem Stand der Technik entgegen Artikel 52 (1) und 56 EPÜ in naheliegender Weise aus dem entgegengehaltenen Stand der Technik ergibt.

5. Die Kammer kommt also zu dem Schluss, dass die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung nicht entgegenstehen. Die Beschwerde gegen die entsprechende Entscheidung der Einspruchsabteilung bleibt mithin ohne Erfolg.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Quick Navigation