T 2276/15 () of 14.5.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T227615.20190514
Datum der Entscheidung: 14 Mai 2019
Aktenzeichen: T 2276/15
Anmeldenummer: 10016119.9
IPC-Klasse: B65H 69/00
B65H 63/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Qualitätsüberwachung von Spleissen in einem länglichen textilen Prüfgut
Name des Anmelders: Uster Technologies AG
Name des Einsprechenden: Saurer Spinning Solutions GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Kombination technischer und nichttechnischer Merkmale
Spät eingereichter Antrag - eingereicht kurz vor der mündlichen Verhandlung zugelassen (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/04
T 0603/89
T 1194/97
T 0643/00
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1994/16

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der der Einspruch gegen das Europäische Patent Nr. 2 338 819 zurückgewiesen wurde.

II. Folgende Dokumente sind für die vorliegende Entscheidung relevant:

E1|Anwendungshandbuch Uster Quantum 2, V1.1 Mai 2005|

E5|EP-B-0 365 901 |

E8|DE-A-43 35 256 |

III. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents. In der Beschwerdebegründung stützte die Beschwerdeführerin ihren Antrag auf fehlende Neuheit und fehlende erfinderische Tätigkeit und brachte in diesem Zusammenhang vor, dass mehrere Merkmale keinen technischen Charakter hätten und so bei der Frage nach dem Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit nicht berücksichtigt werden dürften.

IV. Mit ihrer Beschwerdeerwiderung beantragte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) sinngemäß die Beschwerde zurückzuweisen. Hilfsweise beantragte sie das Patent gemäß einem der Hilfsanträge 1, 4, 5, 6 oder 7 aufrechtzuerhalten. Außerdem beantragte sie E8 nicht ins Verfahren zuzulassen.

V. Die Kammer informierte die Parteien in einer Mitteilung zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung über ihre vorläufige Meinung zu den anhängigen Anträgen.

VI. In einem weiteren Schreiben brachte die Beschwerdeführerin Argumente zur Zulässigkeit der E8, sowie zur Patentierbarkeit der Ansprüche gemäß Hauptantrag und der vorliegenden Hilfsanträge vor.

VII. Mit Eingabe vom 10. Mai 2019 ersetzte die Beschwerdegegnerin ihre Hilfsanträge durch neu vorgelegte Hilfsanträge 8 bis 12.

VIII. Die mündliche Verhandlung fand am 14. Mai 2019 statt. Zu deren Beginn beantragte die Beschwerdeführerin die zuletzt vorgelegten Hilfsanträge nicht ins Verfahren zuzulassen. Während der Verhandlung nahm die Beschwerdegegnerin den Antrag auf Zurückweisung der Beschwerde sowie die Hilfsanträge 8, 9, 11 und 12 zurück und machte den bisherigen Hilfsantrag 10 zu ihrem einzigen verbliebenen Antrag. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das europäische Patent zu widerrufen. Zudem beantragte sie, den Hilfsantrag 10 nicht ins Verfahren zuzulassen. Die Beschwerdegegnerin beantragte, das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 4 des Hilfsantrags 10 aufrecht zu erhalten.

IX. Der unabhängige Anspruch gemäß Hilfsantrag 10 hat folgenden Wortlaut:

"1. Vorrichtung zur Überwachung von Spleissen (3) in einem länglichen textilen Prüfgut (1), mit

einem elektronischen Messkopf (34), durch welchen das Prüfgut (1) in seiner Längsrichtung (25) bewegbar ist, zur Messung mindestens eines Parameters (4, 5) des Prüfgutes (1) und

einer Steuereinheit (35) zum Einteilen von Spleissen (3) aufgrund mindestens eines gemessenen Parameters (4, 5) in zulässige (17a) bzw. unzulässige (17b) Spleisse (3), dadurch gekennzeichnet, dass

die Steuereinheit (35) zum Verknüpfen von mindestens zwei der drei Grössen aus der Menge, die aus

der Anzahl (Ju) der unzulässigen Spleisse (17b),

der Anzahl (Jz) der zulässigen Spleisse (17a) und

der Anzahl (Jtot) der insgesamt erfassten Spleisse

besteht, zu einer einzigen, die Spleissqualität charakterisierenden Spleissqualitätsgrösse (Q) eingerichtet ist,

die Steuereinheit (35)

zur Bildung eines Verhältnisses als Verknüpfung eingerichtet ist, insbesondere eines Verhältnisses (Q) zwischen der Anzahl (Ju) der unzulässigen Spleisse (17b) oder der Anzahl (Jz) zulässigen Spleisse (17a) einerseits und der Gesamtzahl (Jtot) der erfassten Spleisse andererseits, und

die Steuereinheit (35) zur Auslösung einer Handlung, bspw. zur Ausgabe eines Alarmsignals, wenn die Spleissqualitätsgrösse (Q) einen vorgegebenen Schwellwert (Qg) über- bzw. unterschreitet, eingerichtet ist.

X. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen folgende Argumente vorgetragen:

Der letztgültige Anspruchssatz sei als Hilfsantrag 10 sehr spät eingereicht worden. Die Beschwerdeführerin habe nicht genügend Zeit gehabt, diesen Antrag eingehend zu überprüfen. Bei dem Antrag handele es sich um ein gänzlich neues Vorbringen, denn bisher seien die Verfahrensansprüche im Vordergrund gestanden, während es jetzt ein Vorrichtungsanspruch sei. Wäre dieser Antrag früher vorgelegt worden, hätte man sich intensiver mit der Vorrichtung im Stand der Technik beschäftigen können und eine weitere Recherche wäre möglich gewesen. Darüber hinaus sei auch keine Zeit verblieben die Anpassung der Beschreibung zu überprüfen. Die Kammer möge daher von ihrem Ermessen Gebrauch machen und diesen Antrag nicht zulassen.

E8 sei nach Ablauf der Einspruchsfrist durch eine ergänzende Recherche in Folge der für die Beschwerdeführerin negativen vorläufigen Stellungnahme der Einspruchsabteilung aufgefunden worden. Die Einspruchsabteilung habe eine fehlerhafte Entscheidung getroffen, indem sie E8 nicht in das Einspruchsverfahren zugelassen habe, obwohl das Dokument offensichtlich prima facie relevant sei.

Das beanspruchte Verknüpfen von zwei aus drei Größen sei eine rein gedankliche Tätigkeit und stelle somit nichttechnische Merkmale dar, die bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht berücksichtigt werden dürften. Überdies liege die Optimierung im beständigen Streben des Fachmanns, welche hier als Automatisierung einer geistigen Tätigkeit umgesetzt sei. Da die übrigen, technischen Merkmale bereits aus dem Stand der Technik bekannt oder zumindest nahegelegt seien, beruhe der Gegenstand des Anspruchs nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Der Fachmann würde ausgehend von E1 als nächstliegendem Stand der Technik, zusammen mit seinem Fachwissen zu dem beanspruchten Gegenstand gelangen. Die Aufgabe sei es, die Qualität einer Spleißeinheit zu ermitteln, ohne dass ein menschliches Eingreifen nötig wäre. E1 offenbare bereits ein Steuergerät auf Seite 16.6, es zeige auch das Prüfen der Qualität der Garnverbindung, das heißt der Spleiße, und gebe gemäß Seite 1.4 einen Alarm bei Ausnahmesituationen aus. So würde gemäß Seite 3.17 eine rote LED zur Anzeige von textilen und technischen Alarmen verwendet. Der von der Beschwerdegegnerin vorgelegte Anspruch spezifiziere die Handlung nicht, sie könne auch eine Anzeige oder Druckausgabe sein. Auch Alarme würden darunterfallen. In E1 würden Alarme, wie auf Seite 13.2 bei der Beschreibung der Hauptfunktionen aufgeführt, dann ausgegeben, wenn vordefinierte Grenzen überschritten werden. Das Auslösen einer Handlung sei damit ebenfalls aus E1 bekannt. Der verbleibende Unterschied sei lediglich das Verknüpfen von zwei aus drei Parametern. Dies stelle eine bloße Automatisierung einer menschlichen Gedankentätigkeit dar, die der Fachmann durchführen würde, da er beständig zur Optimierung bestrebt sei.

Andernfalls gelange der Fachmann auch durch eine Kombination von E1 mit E8 zum beanspruchten Gegenstand. In E8 werde gemäß Spalte 5, Zeilen 20 bis 25 ein Parameter M-SM% gebildet. Dieser stehe für unzulässige Spleiße. Ein weiterer Parameter M-SL% definiere die Fehlverbindungen. Die Berechnung des Parameters MISJ% sei in E8 in Spalte 4, Zeile 66ff. beschrieben. Der Fachmann erhalte aus diesen Parametern insgesamt die Lehre, ein Verhältnis von einer Differenz der Gesamtanzahl und der Anzahl an Fehlern einerseits, und der Gesamtanzahl andererseits, zu bilden. Gerade das beanspruchte Verhältnis würde zwar in E8 nicht gezeigt, der Fachmann würde die Verhältnisbildung jedoch analog auf die aus E1 bekannten fehlerhaften und gesamten Spleißverbindungen anwenden. Er kenne somit alle nötigen Werte.

Bereits E1 unterscheide zwischen unzulässigen und zulässigen Spleißen und zeige diese in einer Punktewolke an. Diese vorhandenen Variablen der Vorrichtung müsse der Fachmann daher nur noch in der Steuereinrichtung so in Verbindung setzen, wie er es gedanklich bereits gemacht hat.

Alternativ wäre es dem Fachmann naheliegend, ausgehend von E1 die E5 zu konsultieren. E5 werte einzelne Garnüberwachungsstellen aus. Die Qualität des Spleißes sei auch eine Garnqualität, denn ein fehlerhafter Spleiß beeinflusse diese. Gemäß Seite 3, Zeilen 39 bis 52 nehme das System gewisse Schlussfolgerungen selbst vor, insbesondere werte es gemäß Zeilen 41 und 42 die Daten statistisch aus. Dies stelle einen Anreiz für den Fachmann zur Automatisierung dar. Auf Seite 4, Zeilen 32 bis 34 sei beschrieben, dass bei Überschreitungen von Schwellwerten Alarmzustände ermittelt werden. In Zeile 35 werde angegeben, dass eine Größe in Abhängigkeit einer anderen Größe betrachtet wird. Dies sei ein Verhältnis, wodurch E5 eine Verknüpfung lehre. Aus E1 kenne der Fachmann die Größen zur Kennzeichnung einer Qualität der Spleißeinheit. Diese könne nur gut sein, wenn sie gute Spleiße herstellt. Der Fachmann müsse daher Eigenschaften der erzeugten Spleiße verwenden. Wenn er diese Größen nun wie von E5 angeregt verknüpfen wolle, blieben ihm nur die Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division. Jedenfalls wolle er eine Größe erreichen, die die Spleißeinheit charakterisiert. Wenn er schlechte Spleißeinheiten identifizieren wolle, könne er nicht die Anzahl der Spleiße heranziehen. Er könne daher nur eines der beanspruchten Verhältnisse bilden.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

XI. Die Argumente der Beschwerdegegnerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Zwar sei der letztgültige Antrag verspätet eingereicht, doch seien alle darin enthaltenen Ansprüche rechtzeitig vorgelegt worden. Die gemachten Änderungen trügen zur Verfahrensökonomie bei, da Hilfsanträge mit geringen Erfolgschancen zurückgezogen worden seien. Die Einsprechende habe damit rechnen müssen, dass, falls im Laufe der mündlichen Verhandlung der Verfahrensanspruch als gewährbar erachtet worden wäre, auch intensiv über den Vorrichtungsanspruch diskutiert werden müsse. Die Beschwerdeführerin hätte sich daher bereits hinsichtlich der rechtzeitig eingereichten Anträge mit der Vorrichtung beschäftigen müssen. Der Antrag sei auch inhaltlich konvergent mit den vorangegangenen Anträgen, daran ändere der Wechsel von einem Verfahren zu einer Vorrichtung nichts. Die Änderungen seien durch die vorläufige Beurteilung der Kammer und die letzte Eingabe der Beschwerdeführerin motiviert. Letztlich sei es immer noch besser, neue Anträge wenige Tage vor der Verhandlung einzureichen als erst während dieser.

Weiters sei E8 nicht in das Verfahren zuzulassen. Die Einspruchsabteilung habe ihr Ermessen korrekt ausgeübt und die Kammer müsse deren Entscheidung akzeptieren.

Unter Verweis auf die Entscheidungen T 643/00 und T 1194/97 mache der Umstand, dass gedankliche Tätigkeiten beinhaltet seien, ein Merkmal nicht zwangsläufig nichttechnisch. Es wäre insbesondere der Kontext der Erfindung zu betrachten. Die gebildete Spleißqualitätskenngröße sei ein Maß für das Funktionieren einer Spulstelle, sie stelle damit eine Information dar. Diese Information zu verwenden bzw. zur Verfügung zu stellen könne eine technische Wirkung haben. Darüber hinaus sei die Steuervorrichtung, welche die Spleißqualitätskenngröße berechnet, selbst ein technisches Mittel, und die Spleissqualitätskenngröße wirke im Vorrichtungsanspruch 1 mit dem Steuergerät zusammen, um eine technische Wirkung zu erzielen.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit. Den nächstliegenden Stand der Technik stelle E1 dar, sie offenbare die Merkmale des Oberbegriffs. Es könne die von der Beschwerdeführerin genannte Aufgabe definiert werden, wonach fehlerhafte Spleißeinheiten erkannt werden sollen, ohne dass menschliche Eingriffe notwendig wären.

Das Verknüpfen der Größen zu einer Spleißqualitätskenngröße diene einem Automatisieren, welches sehr wohl technischen Charakter habe, insbesondere wenn eine weitere technische Handlung folgt. Die Bildung des Verhältnisses in der Steuereinheit werde in E1 nicht nahegelegt. Dies könne nur im Rahmen einer rückschauenden Betrachtung erkannt werden. Ausgehend von der in der Figur 11-1 der E1 dargestellten Punktewolke würde der Fachmann nur aufgrund seines Fachwissens nicht zur beanspruchten Lösung gelangen, allenfalls würde er andere Lösungen finden. Beispielsweise könnte er vielleicht automatisiert den Schwerpunkt der Punktewolke berechnen und dessen Lage als Kriterium für eine schlecht arbeitende Spleißeinheit heranziehen. Für die Bildung eines Verhältnisses, um diese Aufgabe zu lösen, gebe es keine Anhaltspunkte.

Auch E8 könne die erfinderische Tätigkeit nicht in Frage stellen. Die Zusammenfassung der E8 gebe nichts zur Lösung der gestellten Aufgabe an. Diese offenbare überdies nicht eindeutig eine Prozentbildung für fehlerhafte Spleiße. Der Parameter M-SM% sei unverständlich, man könne über die genaue Bedeutung nur spekulieren. Wenn E8 von "Fehlverbindungen" spricht, sei damit gemeint, dass gar kein Spleiß zustande gekommen ist. Letztlich fehlten auch bei einer Kombination von E1 und E8 noch immer beanspruchte Merkmale. So zeige die Figur 11-1 der E1 keine Anzahl und die E8 keinen Vergleich mit einem Schwellwert.

Auch E5 gebe dem Fachmann keinen Hinweis zur Lösung der objektiven Aufgabe. Spleiße kämen darin nur selten vor. Wenn E5 über Spleiße spricht, so tut sie dies als Bezug auf die Anzahl der Schnitte und somit auf die Anzahl der Garnfehler. Auch werde in E5 das Bilden eines Verhältnisses nicht angeregt. Die Angabe in E5, eine Größe in Abhängigkeit einer anderen Größe zu betrachten, sei im Sinne einer Funktion zu verstehen und beziehe sich nicht auf das Bilden eines Verhältnisses.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe daher auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsgründe

1. Zulassung des letztgültigen Antrags der Beschwerdegegnerin in das Verfahren

1.1 Der dieser Entscheidung zugrundeliegende Antrag wurde mit Schreiben vom 10. Mai 2019 eingereicht. Er stellt damit eine Änderung des Vorbringens der Beschwerdegegnerin dar. Die Zulassung des Antrags in das Verfahren liegt daher gemäß Artikel 13 (1) Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) im Ermessen der Kammer. Bei der Ausübung ihres Ermessens berücksichtigt die Kammer insbesondere die Komplexität des neuen Vorbringens, den Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie.

1.2 Der geänderte Antrag wurde zwar in einem sehr fortgeschrittenen Verfahrensstadium eingereicht, jedoch rechtfertigt der Umstand des "späten Einreichens" nicht per se eine Nichtzulassung des Anspruchssatzes. Schließlich sieht die Verfahrensordnung grundsätzlich auch die Möglichkeit der Zulassung von Anträgen vor, die während der mündlichen Verhandlung eingereicht werden, worauf die Beschwerdegegnerin zutreffend hingewiesen hat. Es ist somit zu prüfen, ob die konkreten Umstände des Einzelfalls für eine Zulassung bzw. Nichtzulassung des Antrags in das Verfahren sprechen.

1.3 Der Anspruchssatz dieses Antrags unterscheidet sich von jenem des mit der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung vorgelegten Hilfsantrags 4 dadurch, dass die Verfahrensansprüche gestrichen wurden. Der nunmehr in Anspruch 1 verfolgte Gegenstand ist somit spätestens seit Vorlage des Hilfsantrags 4 bekannt gewesen. Die Beschwerdeführerin hatte daher ausreichend Zeit, diesen Gegenstand zu studieren und sie hat in ihrem letzten Schriftsatz auch inhaltlich dazu vorgetragen. Durch den neuen Antrag ergab sich für sie daher keine Notwendigkeit sich knapp vor der mündlichen Verhandlung mit einem völlig neuen Gegenstand zu beschäftigen.

Wie von der Beschwerdegegnerin argumentiert, war auch damit zu rechnen, dass in der mündlichen Verhandlung über die Vorrichtungsansprüche debattiert würde, falls die Kammer die Verfahrensansprüche als im Einklang mit dem EPÜ erachtet hätte. Die Änderungen werfen daher auch keine technischen Fragestellungen auf, mit denen die Beschwerdeführerin nicht schon hätte rechnen bzw. auf die sie sich nicht schon hätte vorbereiten müssen.

1.4 Im Hinblick auf die gebotene Verfahrensökonomie soll ein neuer Antrag prima facie zumindest bestehende Einwände ausräumen ohne neue hervorzurufen. Nachdem die Kammer in ihrer vorläufigen Stellungnahme eingewandt hatte, dass die beanspruchten Verfahren nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen dürften, da sie auch von einer Bedienperson durchgeführt werden können und so wesentliche Verfahrensmerkmale eine reine geistige Tätigkeit darstellten, erscheint das Streichen der betroffenen Verfahrensansprüche der Verfahrensökonomie jedenfalls zuträglich. Hierzu ist noch hinzuzufügen, dass die Beschwerdeführerin bereits Argumente diesbezüglich (d.h. zu diesen Ansprüchen) schriftlich vorgebracht hat.

1.5 Die Kammer hat daher von ihrem Ermessen Gebrauch gemacht und den Hilfsantrag 10 in das Verfahren zugelassen.

2. Zulassung E8

2.1 Hinsichtlich der Nicht-Zulassung der E8 durch die Einspruchsabteilung hat die Beschwerdeführerin ihre Argumentation insbesondere auf deren Relevanz gestützt. Sie argumentierte sinngemäß, dass die Einspruchsabteilung ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe, da sie diese hohe Relevanz nicht erkannt hätte.

2.2 Die Kammer hat in ihrer Mitteilung darauf hingewiesen, dass sich die Einspruchsabteilung eingehend technisch mit E8 auseinandergesetzt hat. Auch wenn sie zu dem Schluss gekommen ist, dass diese Veröffentlichung die erfinderische Tätigkeit letztlich nicht in Frage stellte, dürfte sie doch erkannt haben, dass E8 prima facie relevant ist.

2.3 Da im Einspruchsverfahren über die Relevanz der E8 im Hinblick auf einen jetzt nicht mehr vorliegenden Antrag entschieden wurde, sieht die Kammer keine Notwendigkeit über die Ermessensausübung der Einspruchsabteilung zu befinden. Im Hinblick auf den kurz vor der mündlichen Verhandlung eingereichten und jetzt vorliegenden Hilfsantrag 10 wurde E8 von der Kammer zum Verfahren zugelassen (siehe Protokoll der Verhandlung). Die Gründe hierfür können jedoch dahingestellt bleiben, da die Kammer die Ansprüche des vorliegenden Hilfsantrags ohnehin für gewährbar hielt.

3. Erfinderische Tätigkeit

3.1 Einzelne Merkmale des unabhängigen Anspruchs, nämlich das Verknüpfen der genannten Größen und das Bilden eines Verhältnisses, stellen an sich eine rein geistige Tätigkeit dar. Diese einzelnen Merkmale könnten grundsätzlich auch rein gedanklich von einem Bediener ausgeführt werden, sodass diese für sich genommen nicht technischer Natur sind. Anspruchsgemäß werden sie von dem Steuergerät übernommen, und es wird basierend auf einem Vergleich mit einem Schwellwert eine Handlung ausgelöst.

3.2 Die Argumentation der Beschwerdeführerin, dass dieses Vorgehen nur eine naheliegende Automatisierung einer gedanklichen Tätigkeit darstelle, hat die Kammer nicht überzeugt. Dadurch, dass die Steuereinheit zum Auslösen einer Handlung eingerichtet ist, wenn die Spleißqualitätsgröße einen vorgegebenen Schwellwert über- bzw. unterschreitet, wirkt das an sich nichttechnische Merkmal der Bildung eines Verhältnisses so mit den anderen, technischen Merkmalen zusammen, dass eine technische Wirkung entsteht (siehe T 603/89, Randziffer 2.5, bestätigt in G 1/04, Randziffer 5.3). Diese technische Wirkung besteht darin, dass eine schlecht funktionierende Spleißeinheit ohne menschlichen Eingriff erkannt und beispielsweise deren Außerbetriebnahme oder Reparatur veranlasst werden kann. Der Anspruch löst daher in seiner Kombination von technischen und nichttechnischen Merkmalen eine technische Aufgabe. Somit sind alle Anspruchsmerkmale bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zu berücksichtigen.

3.3 Es ist unbestritten, dass E1 eine Vorrichtung zur Überwachung von Spleißen gemäß dem Oberbegriff von Anspruch 1 beschreibt. Ebenso unstrittig ist, dass die darin beschriebene Steuereinheit dazu eingerichtet ist, die Funktionen der Spulstelle zu überwachen. Die darunter fallende Spleißqualität wird gemäß Figur 11-1 in Form einer Punktewolke dargestellt. Diese Punktewolke ist entweder für alle Positionen oder für jede Spulstelle einzeln abrufbar (Seite 11.4, Beschreibung zur Figur 11-1, Absätze direkt oberhalb und unterhalb der Figur).

3.4 In dieser Punktewolke werden klassierte Ereignisse als grünes Viereck und geschnittene Ereignisse als rotes Viereck dargestellt. Bei den klassierten Ereignissen handelt es sich in diesem Zusammenhang um Spleißverbindungen, die durch das Reiniger-Messfeld gelaufen sind und bei dieser Spleißprüfung innerhalb zulässiger Werte lagen. Die geschnittenen Ereignisse sind als jene Spleißverbindungen aufzufassen, welche nach dem Prinzip der Kanalreinigung ausgereinigt, also geschnitten wurden. Dies geschieht immer dann, wenn der hergestellte Spleiß den vorgegebenen Kriterien nicht entspricht und entfernt werden muss. Die Darstellung gemäß Figur 11-1 gibt also bereits Auskunft über an der jeweiligen Spulstelle aufgetretene zulässige und unzulässige Spleiße. Unklar bleibt jedoch, wann und in welcher zeitlichen Abfolge diese Information dem Bediener zur Verfügung steht.

3.5 Außerdem ist es aus E1 bekannt eine Handlung auszulösen, nämlich einen Alarm auszugeben, wenn vordefinierte Grenzen überschritten werden (Seite 13.2). Dies bezieht sich explizit allerdings nur auf die in E1 gemessenen Parameter und nicht auf eines der in Anspruch 1 definierten Verhältnisse.

3.6 Die beanspruchte Vorrichtung unterscheidet sich somit von jener der E1 dadurch, dass die Steuereinheit zum Verknüpfen von mindestens zwei der drei bereits vorhandenen Größen zu einer einzigen Spleißqualitätsgröße und zur Bildung eines Verhältnisses als Verknüpfung eingerichtet ist, und dass die Steuereinheit zur Auslösung einer Handlung eingerichtet ist, wenn die Spleißqualitätsgröße einen vorgegebenen Schwellwert über- bzw. unterschreitet.

3.7 Im Einklang mit beiden Parteien wird als objektive Aufgabe angesehen, ohne menschliches Eingreifen fehlerhafte Spleißeinheiten erkennen zu können.

3.8 Die Kammer ist der Auffassung, dass ein Bediener beim Anblick der Klassierung und Kennzeichnung der Spleißverbindungen gemäß Figur 11-1 wohl tatsächlich die Anzahl zulässiger Spleiße und unzulässiger Spleiße zueinander in ein Verhältnis setzen könnte. Gerade dazu dürfte diese Darstellung vorgesehen sein, wenn es auf Seite 11.4 heißt, dass "die Klassierungen jeder einzelnen Spulstelle ... einzeln abgerufen werden [können], um so diejenigen Spulstellen zu ermitteln, auf denen die Spleissverbindungen nicht mit den Qualitätsvorgaben übereinstimmen." Unweigerlich wird sich ein erfahrener Bediener Gedanken machen können, was es bedeutet, wenn an einer bestimmten Spulstelle fast nur noch unzulässige Spleiße erzeugt werden und kaum noch zulässige.

3.9 Auch wird ein gewissenhafter Bediener, ohne dabei erfinderisch zu sein, eine Handlung auslösen, beispielsweise die Maschine stoppen oder seinen Vorgesetzten rufen, wenn das Verhältnis an unzulässigen und zulässigen Spleißen an einer Spulstelle nach seinem Empfinden zu groß wird - oder sinngemäß mathematisch definiert - einen zumindest im Kopf des Bedieners vorgegebenen Schwellwert überschreitet.

3.10 Die Kammer folgt jedoch der Beschwerdeführerin nicht darin, dass der Fachmann diese geistige Tätigkeit und die nachfolgende Handlung ohne erfinderisches Zutun auf ein Steuergerät übertragen würde. Vielmehr geht E1 davon aus, alle relevanten Daten einem Benutzer zur Verfügung zu stellen und so darzustellen, dass sie von einer Person interpretiert werden können. Die Darstellung in einer Punktewolke zielt eindeutig auf das visuelle Empfinden eines Bedieners. Er soll einen Eindruck über die Funktion der Spleißeinheiten erhalten können. E1 gibt daher keine Anregung zu einer Auswertung der für die Spleißstellen relevanten Daten durch das Steuergerät. Gerade weil für das richtige Einschätzen das auf Erfahrungswerten beruhende Empfinden eines menschlichen Bedieners notwendig ist, geht E1 davon aus, dass die spleißrelevanten Daten auch für einen solchen aufbereitet dargestellt werden müssen. Da E1 somit den Bediener als notwendige Voraussetzung erachtet, gibt es keine Anregung für den Fachmann davon abzuweichen. Er findet somit keine Motivation zu einer Automatisierung dieser (in E1 als solche nicht offenbarten) geistigen Tätigkeit und der dadurch ausgelösten Handlung.

3.11 Zusammenfassend kommt die Kammer daher zum Schluss, dass der Fachmann aus E1 zusammen mit seinem Fachwissen nicht in naheliegender Weise zum beanspruchten Gegenstand gelangen würde.

3.12 Hinsichtlich des Arguments der Beschwerdeführerin, dass der Fachmann aus E8 erfahren würde, ein Verhältnis zu bilden, merkt die Kammer an, dass E8 weder eindeutig noch implizit die Bildung eines der beanspruchten Verhältnisse nennt.

3.13 Zwar offenbart E8 eine Reihe von relativen Häufigkeiten, darunter auch solche zur Beurteilung der Spleißqualität. Allerdings beziehen sich die genannten prozentualen Anteile explizit auf andere Größen, oder die genauen Bezugsgrößen bleiben in E8 offen. So wird in Spalte 4, Zeile 66ff eine Anzeige MISJ% angeführt, die den prozentualen Anteil der Fehlverbindungen anzeigt, der sich aus der Zahl der Verbindungsversuche minus der Zahl der erfolgreichen Verbindungen geteilt durch die Zahl der Verbindungsversuche mal 100 errechnet. Diese Anzeige bezieht sich somit offensichtlich nicht auf zulässige und unzulässige Spleiße, sondern vielmehr auf zustande gekommene und nicht zustande gekommene Spleißverbindungen. Eine Anzeige der zwar zustande gekommenen, aber unzulässigen Spleiße dürfte über den Wert M-SM% geschehen. Dieser wird in Spalte 5, Zeile 20ff als "prozentuale[r] Anteil der Fehlverbindungen, die durch einen Spleißmonitor zum Zeitpunkt der Verbindung als mit einem fehlerhaften gespleißten Ende eingestuft wurden" definiert. Offen bleibt dabei, auf was sich dieser Anteil bezieht. Es könnten einerseits alle Spleißverbindungen sein. Der prozentuale Anteil wäre dann jener der fehlerhaften Spleißverbindungen an allen Spleißverbindungen. Es könnte andererseits die Summe aller festgestellten Fehler sein. Dies würde insbesondere nicht zustande gekommene Verbindungen mit umfassen. Der prozentuale Anteil wäre dann jener der fehlerhaft gespleißten Verbindungen an den Fehlverbindungen insgesamt. Eine explizite, klare und unmissverständliche Lehre zur Bildung eines der beanspruchten Verhältnisse ist E8 daher nicht zu entnehmen, was von der Beschwerdeführerin auch eingeräumt wurde.

3.14 Hinsichtlich des Arguments der Beschwerdeführerin, dass der Fachmann das allgemeine Prinzip der Bildung einer relativen Häufigkeit auf die beanspruchten Größen übertragen würde und diese dann analog in E1 anwenden würde, ist die Kammer der Auffassung, dass ein solches Vorgehen den Rahmen dessen übersteigt, was ein Fachmann üblicherweise tut. Weder E1 noch E8 offenbaren explizit eines der beanspruchten Verhältnisse. Demgemäß müsste er zuerst ein allgemeines Prinzip aus den einzelnen, spezifischen Offenbarungen in E8 herauslösen, um dieses dann auf die in E1 nur in einer grafischen Darstellung gezeigten Größen anzuwenden. Dabei sind zu viele Schritte nötig, dass ein Fachmann sie ausführen würde, ohne dabei erfinderisch zu werden.

3.15 Selbst wenn der Fachmann die bisher vom Bediener durchgeführte Auswertung automatisieren wollte und die Lehre der E8 heranzöge, wäre es daher nicht naheliegend, das Steuergerät ein Verhältnis aus der Anzahl der unzulässigen und zulässigen Spleiße bilden zu lassen und gerade dieses Verhältnis als Schwellwert für die Auslösung einer Handlung heranzuziehen.

3.16 Die Argumentation der Beschwerdeführerin hinsichtlich der E5 überzeugt die Kammer ebenfalls nicht. Insbesondere sieht sie darin nicht die Bildung eines Verhältnisses angeregt. Die von der Beschwerdeführerin genannte Stelle in E5, nämlich Seite 4, Zeile 35, kann nicht als Anregung zur Bildung einer relativen Häufigkeit angesehen werden. Mit der "Betrachtung einer Grösse in Abhängigkeit von einer anderen Grösse", was weiter als "Kanal" bezeichnet wird, sind - wie namentlich aufgeführt - verschiedene Anzahlen von Ereignissen pro Zeiteinheit oder pro Länge Garn gemeint. Der Fachmann erhält dadurch keinen Hinweis auf eines der geforderten Verhältnisse. Auch die Lehre der E5 kann somit den beanspruchten Gegenstand ausgehend von E1 nicht nahelegen.

3.17 Keine der von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Argumentationslinien konnte die Kammer überzeugen. Die beanspruchte Vorrichtung ergibt sich in naheliegender Weise somit weder aus E1 in Kombination mit dem Fachwissen, aus E1 in Kombination mit E8 noch aus E1 in Kombination mit E5. Die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ sind somit erfüllt.

4. Die Kammer kann gemäß Artikel 111 (1) EPÜ entweder im Rahmen der Zuständigkeit der Einspruchsabteilung (die die angefochtene Entscheidung getroffen hat) tätig werden oder die Sache zur weiteren Behandlung an diese zurückverweisen. Die Beschwerdeführerin hat vorgebracht, dass sie nicht ausreichend Zeit zur Überprüfung der Änderungen in der Beschreibung gehabt hat. Die Kammer erachtet es daher als sachdienlich, die Angelegenheit zur Anpassung der Beschreibung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen (Artikel 111 (1) EPÜ).

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent mit folgenden Ansprüchen und einer noch anzupassenden Beschreibung (samt Zeichnungen) aufrecht zu erhalten:

Ansprüche Nr. 1 bis 4 des Hilfsantrags 10, eingereicht mit Schreiben vom 10. Mai 2019.

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