T 1937/15 () of 17.1.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T193715.20200117
Datum der Entscheidung: 17 Januar 2020
Aktenzeichen: T 1937/15
Anmeldenummer: 10015400.4
IPC-Klasse: G01G 11/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Wägevorrichtung
Name des Anmelders: Bizerba SE & Co. KG
Name des Einsprechenden: WIPOTEC GmbH
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (ja)
Spät vorgebrachte Argumente - zugelassen (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0007/95
T 0881/01
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der der Einspruch zurückgewiesen wurde. Die Einspruchsabteilung hatte die Zurückweisung des Einspruchs insbesondere damit begründet, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 wie erteilt auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

II. Folgende Dokumente sind für die Entscheidung relevant:

D1: WO 02/054025 A1

D4: JP 08 310634 A

D4a: Englische Computerübersetzung der D4, eingereicht mit der Einspruchserwiderung vom 29. November 2013

D5: Patent Abstracts of Japan der D4

D6: DE 15 56 704 A1

D10: US 4 274 499 A .

III. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte mit der Beschwerdeschrift, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Streitpatent im vollen Umfang zu widerrufen, hilfsweise eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.

IV. Mit ihrer Beschwerdeerwiderung beantragte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin), die Beschwerde der Einsprechenden zurückzuweisen, hilfsweise eine mündliche Verhandlung anzuberaumen. Weiter hilfsweise beantragt sie die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung gemäß einem der Hilfsanträge 1 - 5, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung.

V. In einem Bescheid gemäß Artikel 15(1) VOBK 2007 vertrat die Kammer die vorläufige Meinung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 wie erteilt auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

VI. Mit Schreiben vom 13. Dezember 2019 brachte die Beschwerdeführerin erstmals vor, dass die Formulierung "Wägevorrichtung mit Gurtförderung" im Anspruch 1 nicht so auszulegen sei, dass darunter ausschließlich Wägevorrichtungen zu verstehen seien, die Förderer mit einem einzigen Gurt aufwiesen und dass das Merkmal "Wägevorrichtung mit Gurtförderung" in Dokument D1 offenbart sei. Auf Seite 4, erster Absatz des Dokuments D1 sei zudem ein Ausführungsbeispiel offenbart, bei dem ein Höhenunterschied zwischen den Förderern nicht mehr zwingend sei. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei somit nicht neu gegenüber dem Dokument D1 oder beruhe zumindest nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

VII. Eine mündliche Verhandlung fand am 17. Januar 2020 statt.

In der mündlichen Verhandlung stellte der Vorsitzende der Kammer fest, dass der Einwand der mangelnden Neuheit im Schreiben vom 13. Dezember 2019 ein neuer Einspruchsgrund sei und nicht in das Verfahren zugelassen werde, da die Beschwerdegegnerin ihre Zustimmung zur Zulassung dieses Einwands nicht gegeben habe.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, das neue Vorbringen der Beschwerdeführerin bezüglich der Offenbarung des Dokuments D1 in deren Schreiben vom 13. Dezember 2019 nicht in das Verfahren zuzulassen.

Die Kammer ließ jedoch das genannte Vorbringen in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 13 (1) VOBK 2007 für Diskussion zur erfinderischen Tätigkeit zum Verfahren zu.

Abschließend beantragte die Beschwerdeführerin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Beschwerdegegnerin beantragte abschließend die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag) oder die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang mit den Ansprüchen gemäß Hilfsanträgen 1 - 5, eingereicht mit Schreiben vom 13. April 2016.

Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung der Kammer.

VIII. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hauptantrag (wie erteilt) lautet wie folgt:

"Wägevorrichtung mit Gurtförderung, insbesondere Kontrollwaage, umfassend eine Wägeplattform (13) und eine an die Wägeplattform (13) anschließende weitere Plattform (15), insbesondere Zuführ- oder Abführplattform, wobei die Plattformen (13, 15) jeweils eine sich in Förderrichtung (33) erstreckende Länge aufweisen,

dadurch gekennzeichnet,

dass zumindest die Wägeplattform (13) längenverstellbar, nämlich auseinanderziehbar und zusammenschiebbar, ausgebildet ist."

Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1, eingereicht mit Schreiben vom 13. April 2016, lautet wie folgt:

"Wägevorrichtung mit Gurtförderung, insbesondere Kontrollwaage, umfassend eine Wägeplattform (13) und eine an die Wägeplattform (13) anschließende weitere Plattform (15), insbesondere Zuführ- oder Abführplattform, wobei die Plattformen (13, 15) jeweils eine sich in Förderrichtung (33) erstreckende Länge aufweisen, dadurch gekennzeichnet,

dass zumindest die Wägeplattform (13) längenverstellbar, nämlich auseinanderziehbar und zusammenschiebbar, ausgebildet ist, und dass für die Plattformen (13, 15) ein gemeinsames Gurtförderband (17) vorgesehen ist, das von einer unterhalb der Plattformen (13, 15) angeordneten Antriebswelle (19) gezogen wird."

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag - Zulassung des verspäteten Einspruchsgrunds der mangelnden Neuheit (Artikel 114 (1) EPÜ)

2.1 Mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2019 machte die Beschwerdeführerin erstmals den Einspruchsgrund der mangelnden Neuheit geltend (vgl. dort Nr. 3.).

2.2 In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 17. Januar 2020 gab die Beschwerdegegnerin ausdrücklich nicht ihre Zustimmung zur Einführung dieses neuen Einspruchsgrunds.

2.3 Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin bei Einreichung des Einspruchs auf dem Formular 2300 unter Punkt VI. a) unter anderem zwar angekreuzt, dass der Einspruch darauf gestützt werde, dass der Gegenstand des europäischen Patents nicht patentfähig sei, weil er nicht neu sei, sie hat aber in ihrer Einspruchsbegründung keine Ausführungen zur mangelnden Neuheit gemacht und somit diesen Einwand nicht substantiiert. Damit erfüllte der Einwand nicht die Voraussetzungen der Regel 76 (2) c) EPÜ, wonach neben der Erklärung über die Einspruchsgründe auch die Angabe der zur Begründung vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel erforderlich ist (vgl. hierzu Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 9. Auflage 2019, Abschnitt IV.C.2.2.8 a)). Einen substantiierten Einwand der mangelnden Neuheit hat die Beschwerdeführerin erstmals in ihrem Schreiben vom 13. Dezember 2019 vorgebracht. Ist gegen ein Patent gemäß Artikel 100 a) EPÜ mit der Begründung Einspruch eingelegt worden, dass die Patentansprüche gegenüber den in der Einspruchsschrift genannten Entgegenhaltungen keine erfinderische Tätigkeit aufweisen, so gilt nach Rechtsprechung der Beschwerdekammern ein auf die Artikel 52 (1) und 54 EPÜ gestützter Einwand wegen mangelnder Neuheit gegenüber diesen Entgegenhaltungen als neuer Einspruchsgrund und darf daher nicht ohne das Einverständnis des Patentinhabers in das Beschwerdeverfahren eingeführt werden (siehe G 7/95, 7.1 der Entscheidungsgründe). Das Vorbringen kann lediglich im Rahmen der erfinderischen Tätigkeit berücksichtigt werden (siehe G 7/95, 7.2 der Entscheidungsgründe).

2.4 Die Kammer ließ daher gemäß der Entscheidung G 7/95 den verspätet vorgebrachten Einspruchsgrund der mangelnden Neuheit nicht zu.

3. Hauptantrag - Anspruch 1 - Zulassung verspäteten Vorbringens (Artikel 13 (1) VOBK 2007)

3.1 Die Beschwerdeführerin brachte in ihrem Schriftsatz vom 13. Dezember 2019 erstmals vor, dass die Formulierung "Wägevorrichtung mit Gurtförderung" im Anspruch 1 nicht so auszulegen sei, dass darunter ausschließlich Wägevorrichtungen zu verstehen seien, die Förderer mit einem einzigen Gurt aufwiesen und dass das Merkmal "Wägevorrichtung mit Gurtförderung" in Dokument D1 offenbart sei. Der Inhalt des ersten Absatzes auf Seite 4 des Dokuments D1 stelle eine weitere Ausführungsform der Entgegenhaltung dar (vgl. Schriftsatz vom 13. Dezember 2019, 1. und Seite 5, zweiter Absatz). In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer argumentierte die Beschwerdeführerin, dass sie bereits in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung ausgeführt habe, dass Gurt und Riemen sich nur durch ihre Breite unterschieden und daher die Gurtförderung nicht als Unterschied zu der Offenbarung des Dokuments D1 angesehen werden könne (vgl. Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 21. Juli 2015, 4.2).

3.2 In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer beantragte die Beschwerdegegnerin, dieses verspätete Vorbringen nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen. Die Beschwerdeführerin habe keine Gründe vorgebracht, warum sie diese Auslegung nicht früher hätte vorbringen können. Im gesamten erstinstanzlichen Verfahren und in der Beschwerdebegründung habe die Beschwerdeführerin die Auffassung vertreten, dass ein Gurt nicht durch die Riemen der Entgegenhaltung D1 vorweggenommen werde. Es handele sich somit um einen Verfahrensmissbrauch. Zudem sei das neue Vorbringen prima facie nicht relevant.

3.3 Die Kammer ist der Meinung, dass das neue Vorbringen von geringer Komplexität ist, da die Beschwerdeführerin bereits in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung die Ansicht vertreten hat, dass Gurt und Riemen sich nur durch ihre Breite unterschieden und daher die Gurtförderung nicht als Unterschied zu der Offenbarung des Dokuments D1 angesehen werden könne. Auch die Auslegung, dass das Dokument D1 auf Seite 4, erster Absatz offenbare, Förderer höhengleich anzuordnen, ist leicht nachvollziehbar.

3.4 Daher ließ die Kammer das neue Vorbringen in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 13 (1) VOBK 2007 in das Beschwerdeverfahren zu.

4. Hauptantrag - Anspruch 1 - erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) i. V. m. 56 EPÜ)

4.1 Die Beteiligten sahen wie die Einspruchsabteilung das Dokument D1 als nächstliegenden Stand der Technik an.

4.2 Die Beschwerdegegnerin war jedoch der Auffassung, dass das Merkmal, wonach die Wägevorrichtung eine "Wägevorrichtung mit Gurtförderung" sei, nicht aus Dokument D1 bekannt sei (vgl. Beschwerdeerwiderung vom 13. April 2016, Seite 1, letzter Absatz bis Seite 2, letzter Absatz).

Die Beschwerdegegnerin vertrat in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer die Ansicht, dass der Fachmann den Anspruch mit dem Willen ihn zu verstehen auslegen würde. Das Dokument D1 sei bereits in Form des Familiendokuments EP 1 350 079 B1 in der ursprünglich eingereichten Anmeldung zitiert worden. Dies finde sich in Absatz 0006 der vorliegenden Patenschrift, wo der Nachteil von mehreren parallel zu einander verlaufenden, voneinander beabstandeten Riemen aufgezeigt würde. Die in Absatz 0010 der Patentschrift angegebene Lösung gebe ganz klar an, dass unter einer Gurtförderung ein Gurtförderband der Wägevorrichtung zu verstehen sei. Demgegenüber offenbare das Dokument D1 mehrere Riemen. Der Ausdruck "belt" in Dokument D1 müsse in diesem Zusammenhang auch als Riemen verstanden werden, denn der Ausdruck "belt" werde im Dokument D1 im Gegensatz zu der Alternative "chain" gesehen, was einer Förderkette entspreche.

4.3 Die Beschwerdeführerin vertrat die Ansicht, dass es nicht schlüssig sei, den Begriff "Gurtförderer" so auszulegen, dass es sich um einen Förderer mit einem einzigen Gurt handele. Unter einem Gurt oder einem Fördergurt verstehe der Fachmann ein Förderelement in der Form eines geschlossenen umlaufenden Bandes, das eine Breite aufweise, die groß sei gegenüber dessen Dicke. Es sei daher davon auszugehen, dass der Gurtförderer gemäß Anspruch 1 auch mehr als einen einzigen Fördergurt aufweisen könne. In Dokument D1 werde andererseits darauf hingewiesen, dass die beiden Förderer als "belt type", also als Gurtförderer ausgebildet sein könnten (vgl. Schriftsatz vom 13. Dezember 2019, 1.).

In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer ergänzte die Beschwerdeführerin, dass lediglich Absatz 0010 der Patentschrift eine Einschränkung auf "das Gurtförderband der Wägevorrichtung" aufweise. Anspruch 1 definiere jedoch ganz allgemein eine Gurtförderung, was auch mehrere Gurte zulasse.

4.4 Die Kammer schließt sich der Meinung der Beteiligten an, dass Dokument D1 folgende Merkmale offenbart:

Wägevorrichtung mit Förderung umfassend eine Wägeplattform (2) und eine an die Wägeplattform anschließende weitere Plattform (1), insbesondere Zuführ- oder Abführplattform, wobei die Plattformen jeweils eine sich in Förderrichtung erstreckende Länge aufweisen (Abbildungen 1 und 4; Seite 6, letzter Absatz bis Seite 7 erster Absatz). Dokument D1 offenbart auch ein Ausführungsbeispiel bei dem beide Förderer parallel, jedoch in unterschiedlichen Höhen verlaufen. Die Enden 1.2 und 2.1 der beiden Förderer 1 und 2 können dann durch eine teleskopartige Funktion gegeneinander versetzt werden, wodurch die aktiven Längen der Förderer durch die Teleskopfunktion verstellt werden können (vgl. Seite 7, 3. Absatz; Ansprüche 3 und 4; Seite 3, 4. Absatz).

Die Beteiligten waren jedoch unterschiedlicher Auffassung, ob das Dokument D1 eine Wägevorrichtung "mit Gurtförderung" offenbart. Die Kammer schließt sich der Auffassung der Beschwerdeführerin an, dass die Definition in Anspruch 1 "Wägevorrichtung mit Gurtförderung" es offen läst, ob es sich bei dem Gurtförderer um ein Gurtförderband oder mehrere parallele Gurtförderbänder handelt. Die Beschreibung, insbesondere Absatz 0010, kann nicht dazu herangezogen werden, den Anspruch enger auszulegen. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist es nicht zulässig, ein restriktives Merkmal in den Anspruch hineinzulesen, das dem expliziten Wortlaut des Anspruchs nicht zu entnehmen ist. So sollte der Umfang eines Anspruchs nicht dadurch beschränkt werden, dass Merkmale impliziert werden, die nur in der Beschreibung vorkommen (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, II.A.6.3.4; T 881/01, 2.1 der Entscheidungsgründe). Eine einschränkende Auslegung des Anspruchs auf ein Gurtförderband, wie dies aus Absatz 0010 der Beschreibung zu entnehmen ist, ist daher nicht zulässig.

Die Kammer schließt sich der Auffassung der Beschwerdeführerin an, dass Dokument D1 die Verwendung von mehreren Gurten zur Realisierung der Förderer 1 und 2 beschreibt. Unter einem Fördergurt versteht der Fachmann ein Förderelement in der Form eines geschlossenen Bandes, das eine Breite aufweist, die groß gegenüber dessen Dicke ist. In Dokument D1 wird darauf hingewiesen, dass auch die beiden Förderer 1 und 2 als "belt type" ausgebildet sein können (vgl. Seite 8, Zeile 33 - Seite 9, Zeile 13) und damit Gurtförderer mit mehreren Fördergurten offenbaren. Somit offenbart Dokument D1 auch eine Wägevorrichtung "mit Gurtförderung" im Sinne des Anspruchs 1.

4.5 Die Kammer kommt daher zum Schluss, dass Dokument D1 alle Merkmale des Anspruchs 1 offenbart und damit der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

5. Hilfsantrag 1 - Anspruch 1 - Neuheit und erfinderische Tätigkeit (Artikel 54 (1) und 56 EPÜ)

5.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 hat gegenüber dem Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag das zusätzliche Merkmal, dass für die Plattformen (13, 15) ein gemeinsames Gurtförderband (17) vorgesehen ist, das von einer unterhalb der Plattformen (13, 15) angeordneten Antriebswelle (19) gezogen wird.

5.2 Dieses zusätzliche Merkmal ist nicht in Dokument D1 offenbart.

5.3 Die Beschwerdeführerin war der Ansicht, dass ein Fachmann statt eines separaten Förderers, der zur Gewichtsbestimmung verwendet wird, einen derartigen Aufbau immer dann vorsehen würde, wenn keine sehr hohe Genauigkeit der Wägeergebnisse erforderlich sei. Durch die vorgeschlagene Lösung reduziere sich der konstruktive Aufwand. Eine derartige Ausführungsform einer Kontrollwaage mit konstanter Länge der Wägeplattform sei beispielsweise in Dokument D10 beschrieben. Da der Fachmann dem Dokument D1 die allgemeine technische Lehre entnehme, die Wägeplattform teleskopartig und auch die dem teleskopartigen Ende der Wägeplattform benachbarte Plattform teleskopartig auszubilden, werde er diese technische Lehre auch auf eine Ausführungsform übertragen, bei der das Band, wie in der D10, über beide Plattformen geführt sei. Dem Fachmann seien eine Vielzahl unterschiedlicher Varianten bekannt, wie das teleskopartige Verhalten erreicht werden könne. Insbesondere sei das fingerartige Ineinandergreifen zweier relativ zueinander verschiebbarer Teile, die eine Plattform bilden, aus dem Dokument D4 oder D1 bekannt (vgl. Schriftsatz vom 13. Dezember 2019, 5.). In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer ergänzte die Beschwerdeführerin, dass es ausgehend von Dokument D1 für einen Fachmann daher nur ein weiterer Schritt sei statt den Förderern nur Plattformen vorzusehen und ein Band darüber zu führen. Einen Höhenunterschied würde der Fachmann selbstverständlich angleichen.

5.4 Die Beschwerdegegnerin hat in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer die Meinung vertreten, dass Dokument D1 Förderer offenbare, die fingerartig versetzt ineinander griffen, um die effektive Länge des Wägeförderers variieren zu können. Zudem wiesen die beiden Förderer einen Höhenunterschied auf. Für einen Fachmann sei es daher nicht naheliegend, die fingerartig ineinandergreifenden Förderriemen durch ein Förderband zu ersetzen, das über mehrere Plattformen laufe, wobei die Plattformen teleskopartig längenverstellbar sein müssten.

5.5 Die Kammer stimmt der Auffassung der Beschwerdeführerin zu, dass das Unterscheidungsmerkmal den konstruktiven Aufwand der in Dokument D1 offenbarten Wägevorrichtung reduziert (vgl. Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 13. Dezember 2019, Abschitt 5., zweiter Absatz). Der Fachmann, der den konstruktiven Aufwand der in Dokument D1 offenbarten Wägevorrichtung reduzieren will, wird im relevanten Stand der Technik nach geeigneten Lösungen suchen.

Dokument D10 betrifft eine Vorrichtung zur Kontrolle des Inhaltes von verschlossenen Packungen auf Vollständigkeit durch Wiegen. Die Packungen werden dabei auf einem Förderband in eine Schräglage gebracht und die dabei auftretenden Gewichtsverteilungen innerhalb der Packungen mittels einer schrägen Wägeplattform gemessen. Dokument D10 lehrt somit, dass durch eine Schräglage des Förderbands und geeignete Kraftmessdosen eine Gewichsverteilung eines Pakets bestimmt werden kann. Der Fachmann erhält aus dem Dokument D10 keinen Hinweis, die effektive Länge des Wägeförderbandes mit geringerem konstruktivem Aufwand zu verändern.

Dokument D4 lehrt, ein Zuführförderband in der Länge verstellbar auszuführen. Dabei kann eine Plattform, über die das Förderband gezogen wird, teleskopartig auseinander gezogen oder zusammen geschoben werden. Damit können Lücken zwischen zwei Transportvorrichtungen optimal geschlossen werden. Der Fachmann erhält aus diesem Dokument keine Anregung, für die beiden Transportvorrichtungen aus D1 ein Förderband zu verwenden oder die effektive Länge eines Wägeförderbandes auf einfache Weise zu verändern.

Auch das Dokument D6 gibt dem Fachmann keine Anregung, die Wägevorrichtung aus Dokument D1 zu vereinfachen und insbesondere ein Förderband auf mehreren Plattformen zu verwenden.

5.6 Die Kammer kommt daher zum Schluss, dass ausgehend von Dokument D1 unter Berücksichtigung des angeführten Stands der Technik der beanspruchte Gegenstand von Anspruch 1 nicht nahegelegt wird. Dieser Gegenstand beruht daher auf einer erfinderischen Tätigkeit.

6. Die Ansprüche 2-12 sind von Anspruch 1 abhängig, und deren Gegenstände erfüllen dementsprechend ebenfalls das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit. Anspruch 13 betrifft eine Mehrspurwaage mit mehreren Wägevorrichtungen, die jeweils nach einem der vorhergehenden Ansprüche ausgebildet sind, und diese Mehrspurwaage beruht daher ebenso auf einer erfinderischen Tätigkeit.

7. Die Beschreibung wurde an die geänderten Ansprüche angepasst und erfüllt die Erfordernisse der Regel 42 (1) EPÜ.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geändertem Umfang mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:

Ansprüche:

1 - 13 gemäß Hilfsantrag 1, eingereicht mit Schreiben vom 13. April 2016.

Beschreibung:

Seiten 2 - 6, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 17. Januar 2020.

Zeichnungen:

Nr. 1 - 5 wie erteilt.

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