European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2016:T168915.20160726 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 26 Juli 2016 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1689/15 | ||||||||
Anmeldenummer: | 10002065.0 | ||||||||
IPC-Klasse: | A61B 3/032 A61B 3/036 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Simultane Netzhautbilder unterschiedlicher Bildweite zur subjektiven Refraktion | ||||||||
Name des Anmelders: | Stuetz, Ignaz Alois | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.2.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Änderungen - zulässig (nein) | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Der Anmelder hat gegen die am 15. April 2015 zur Post gegebene Entscheidung der Prüfungsabteilung über die Zurückweisung der europäischen Patentanmeldung Nr. 10 002 065.0 Beschwerde eingelegt.
II. Die Anmeldung wurde zurückgewiesen, weil der Gegenstand des Anspruchs 1 des am 7. März 2012 eingegangenen Antrags über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglichen Fassung hinausgehe (Artikel 123(2) EPÜ).
III. Die Beschwerdeschrift ist am 11. Juni 2015 eingegangen. Die Beschwerdegebühr wurde am 12. Juni 2015 erhalten. Die Beschwerdebegründung wurde am 14. August 2015 empfangen.
Mit der Beschwerdebegründung reichte der Beschwerdeführer einen abgeänderten Antrag ein.
IV. Mit Schreiben vom 31. März 2016 lud die Kammer den Beschwerdeführer zu einer mündlichen Verhandlung und teilte ihre vorläufige Meinung mit.
V. Die mündliche Verhandlung fand am 26. Juli 2016 statt.
Der Beschwerdeführer beantragte, die Zurückweisung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage des am 14. August 2015 eingereichten Antrags zu erteilen.
VI. Anspruch 1 dieses Antrags lautet wie folgt:
"Verfahren zur subjektiven, monokularen Brillenglasbestimmung mit zwei oder mehreren visuellen Objekten nahe neben- oder übereinander auf einem Testfeld, dadurch gekennzeichnet, dass jedes visuelle Objekt simultan je eine eindeutig zugeordnete aber unterschiedliche refraktive Wirkung - Sphäre, Zylinderstärke samt Achse entsprechend - durchläuft und im bzw. in den jeweiligen anderen vollständig ausgelöscht wird, wobei jedes visuelle Objekt einfach vor, auf oder hinter die Netzhaut derart abgebildet wird, dass die Objekte subjektiv vom Probanden vergleichend zu dem oder den anderen beurteilt werden können und keinerlei Verdoppelung irgendeines Sehobjektes auf der Netzhaut erfolgt. Außerhalb des Testfeldes erscheint der Raum, da alle Objekte darin ebenfalls einfach auf die Netzhaut abgebildet werden, die aufgrund ihrer Position zum peripheren Sehen gehören und subjektiv nicht im Detail beurteilt werden, im Wesen unverändert."
VII. Die Ansprüche 1 und 4 der ursprünglichen Anmeldung lauten wie folgt:
"1. Verfahren zur subjektiven, monokularen Brillenglasbestimmung dadurch gekennzeichnet, dass das visuelle Objekt mehrmals simultan mit unterschiedlichen refraktiven Wirkungen - Sphäre, Zylinderstärke samt Achse entsprechend - auf nahe neben- oder übereinander liegende Orte der Netzhaut abgebildet oder projiziert wird, sodass diese Darstellungen subjektiv voneinander differenziert wahrgenommen und beurteilt werden können."
"4. Verfahren nach den Ansprüchen 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass durch Anwendung geeigneter Trennverfahren, wie etwa Polarisation, Shutter oder chromatische Filter, einzelne visuelle Objekte jeweils in der Refraktion (gering) differierende Strahlengänge durchlaufen, ohne dass ein Objekt des Raumes doppelt erscheint."
VIII. Die Argumente des Beschwerdeführers lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Anspruch 1 des vorliegenden Antrags erfülle die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ.
Im Anspruch seien "zwei oder mehrere visuelle Objekte" definiert, wobei "jedes visuelle Objekt simultan je eine eindeutig zugeordnete aber unterschiedliche refraktive Wirkung - Sphäre, Zylinderstärke samt Achse entsprechend - durchläuft". Die abgeänderte präzisierende Formulierung gegenüber dem Wortlaut des ursprünglichen Anspruchs 1, wonach "das visuelle Objekt mehrmals simultan" auf der Netzhaut abgebildet werde, basiere auf der wortgleichen Zusammenfassung der ursprünglichen Ansprüche 1 und 4. In Anspruch 4 sei eindeutig die Rede von mehreren Objekten gewesen. Der abgeänderte Wortlaut des Anspruchs 1 sei auch von der Passage auf Seite 10, Zeilen 13 bis 18 der ursprünglichen Beschreibung gestützt. Obwohl an dieser Stelle ausgeführt werde, dass "zentraler Punkt der vorliegenden Erfindung die zeitlich simultane Vergleichsmöglichkeit [ist], dass also gleiche oder ähnliche Sehobjekte [...] abgebildet werden", sei es für die Erfindung unwesentlich, ob ein mehrfach vorhandenes gleiches Objekt der unterschiedlichen refraktiven Behandlung unterzogen werde, oder ob (ganz) unterschiedliche Zeichen hierfür herangezogen werden. Das würde der Fachmann im Kontext so verstehen.
In der ursprünglichen Anmeldung sei als "neuer und zentraler Punkt" (Seite 11, Zeilen 16 bis 21) hervorgehoben worden, dass "nur genau definierte Sehobjekte durch die zugehörigen Strahlengänge abgebildet und bei den anderen ausgelöscht werden und umgekehrt. Alle übrigen Objekte der Testfläche und des Raumes bleiben davon unbeeinflusst, erscheinen im Wesentlichen natürlich und [...] nicht verdoppelt". Es erfolge also keinerlei Verdoppelung irgendeines Sehobjektes auf der Netzhaut. Diese zitierte Stelle sei inhaltsgleich wie der zweite Satz in Anspruch 1, der demzufolge als ursprünglich offenbart anzusehen sei.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Die Erfindung
Die in der ursprünglichen Anmeldeunterlagen beschriebene Erfindung betrifft ein Verfahren zur monokularen Brillenglasbestimmung eines Probanden. Auf einem Testfeld werden visuell gleiche oder ähnliche Sehobjekte angezeigt, wobei jedes Objekt simultan eindeutig zugeordnete, aber unterschiedliche refraktive Wirkungen durchläuft, so dass jedes Objekt vor, auf oder hinter der Netzhaut des Probanden abgebildet wird.
Die Tatsache, dass der Proband die angezeigten Objekte simultan vergleichen und beurteilen kann, ist von Vorteil gegenüber den Verfahren, bei denen der Proband seine subjektiven Eindrücke bei nacheinander gestellten Sehaufgaben wiedergeben muss, wie bei der üblichen Beurteilung der Schärfe eines einzigen Bildes unter sukzessiver Verwendung von verschiedenen Brillengläsern. Bei letzteren Verfahren muss sich der Proband seine Eindrücke unter Verwendung der jeweiligen Brillengläsern merken, um vergleichen zu können. Das kann zu Fehlern und Ungenauigkeiten führen.
3. Unzulässige Erweiterung - Artikel 123(2) EPÜ
3.1 Als Basis für den Anspruch 1 des einzigen Antrags gibt der Beschwerdeführer insbesondere die ursprünglichen Ansprüche 1 und 4, sowie die Beschreibung, Seite 10, Zeilen 13 bis 18 und Seite 11, Zeilen 16 bis 21 an.
Es ist festzustellen, ob der Gegenstand des abgeänderten Anspruchs über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht (Artikel 123(2) EPÜ).
Artikel 123(2) EPÜ liegt der Gedanke zugrunde, dass es einem Anmelder nicht gestattet ist, seine Position durch Hinzufügung von in der ursprünglichen Anmeldung nicht offenbarten Gegenständen zu verbessern, weil ihm dies zu einem ungerechtfertigten Vorteil verhülfe und der Rechtssicherheit für Dritte, die sich auf den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung verlassen, abträglich sein könnte (Entscheidung G 1/93, Punkt 9 der Entscheidungsgründe). Um den Gegenstand eines geänderten Antrags als gewährbar zu erachten, muss eine unmittelbare und eindeutige Offenbarung dieses Gegenstands in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen vorhanden sein, und zwar unabhängig davon, ob die Änderungen eine Hinzufügung, Änderung oder Weglassung eines Merkmals betreffen. Nach der Entscheidung G 2/10 (Punkt 4.5 der Entscheidungsgründe) darf der Fachmann durch die Änderungen keine neuen technischen Informationen erhalten.
3.2 Es ist die Ansicht der Kammer, dass das Merkmal im Anspruch 1, wonach "zwei oder mehrere visuelle Objekte [...] auf einem Testfeld" verwendet werden, wobei "jedes visuelle Objekt simultan je eine eindeutig zugeordnete aber unterschiedliche refraktive Wirkung - Sphäre, Zylinderstärke samt Achse entsprechend - durchläuft", den Fachmann mit neuen Informationen versieht, die in der ursprünglichen Anmeldung nicht unmittelbar und eindeutig offenbart sind.
Im ursprünglichen Anspruch 1 wird definiert, dass "das visuelle Objekt mehrmals simultan [...] abgebildet oder projiziert wird". Auf Seite 10, Zeilen 13 bis 18 der ursprünglichen Beschreibung ist zu lesen, dass ein "zentraler Punkt der vorliegenden Erfindung die zeitlich simultane Vergleichsmöglichkeit" ist und dass folglich "gleiche oder ähnliche" Sehobjekte abgebildet werden. Im vorliegenden Anspruch 1 ist nunmehr von "zwei oder mehreren visuellen Objekten" die Rede, ohne jedoch zu definieren, dass diese Objekte gleich oder ähnlich sein müssen. Dies vermittelt die ursprünglich nicht offenbarte Information, dass die erwähnte Beziehung zwischen den Objekten nicht wichtig ist. Das Argument des Beschwerdeführers, dass der Fachmann vom Kontext der ursprünglichen Offenbarung verstehen würde, dass diese Beziehung für die Erfindung nicht wesentlich sei, vermag nicht zu überzeugen. Genau das Gegenteil steht ausdrücklich in der ursprünglichen Beschreibung, wonach diese Beziehung "zentraler Punkt der vorliegenden Erfindung" ist. Im ursprünglichen Anspruch 1, der per definitionem die wesentlichen Merkmale der Erfindung darstellt, ist diese Beziehung noch enger geschildert, indem die Rede von einem (gleichen) visuellen Objekt ist, das simultan abgebildet oder projiziert wird. Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers entspricht der vorliegende Anspruch 1 nicht der Kombination der ursprünglichen Ansprüchen 1 und 4. Auch wenn letzterer das Merkmal einer Mehrzahl von visuellen Objekten enthält, ergibt dieses Merkmal keine Grundlage für das Weglassen der Definition, dass diese Objekte gleich oder ähnlich sein müssen.
3.3 Im Übrigen ist die Kammer auch der Ansicht, dass keine Grundlage in der ursprünglichen Anmeldung für den hinzugefügten Wortlaut vorhanden ist, dass "Außerhalb des Testfeldes erscheint der Raum, da alle Objekte darin ebenfalls einfach auf die Netzhaut abgebildet werden, die aufgrund ihrer Position zum peripheren Sehen gehören und subjektiv nicht im Detail beurteilt werden, im Wesen unverändert."
Der Beschwerdeführer argumentierte, dass die Passage auf Seite 11, Zeilen 16 bis 21 "inhaltsgleich" sei.
In diesem Fall ist zum Beispiel nicht erkennbar, dass die ursprüngliche Anmeldung, insbesondere die vom Beschwerdeführer zitierte Passage, irgendwelche Eigenschaften von Objekten "außerhalb des Testfeldes", die "aufgrund ihrer Position zum peripheren Sehen gehören" offenbart.
3.4 Somit sind die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ nicht erfüllt.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.