European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2018:T105815.20181008 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 08 October 2018 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1058/15 | ||||||||
Anmeldenummer: | 05015536.5 | ||||||||
IPC-Klasse: | B01J 19/24 B01J 8/02 B01J 19/32 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Reaktor zur Durchführung von Reaktionen mit starker Wärmetönung und Druckaufkommen | ||||||||
Name des Anmelders: | ITS Reaktortechnik GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | CASALE SA | ||||||||
Kammer: | 3.3.06 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit - rückschauende Betrachtungsweise Spät eingereichtes Dokument Spätes Wiederaufgreifen eines Einspruchsgrunds im Beschwerdeverfahren auf der Grundlage eines neuen Dokuments |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die vorliegende Beschwerde der Einsprechenden (im Folgenden: Beschwerdeführerin) betrifft die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent EP 1 621 250 B1 zurückzuweisen.
Anspruch 1 wie erteilt lautet wie folgt:
"1. Reaktor zur Durchführung katalysierter chemischer Reaktionen mit einer zylindrischen, drucktragenden Hülle und einem Trag- oder Halteboden mit einem oder mehreren Thermoblechmodulen (11), die aus Thermoblechen gebildet sind, mit im wesentlichen parallel zueinander unter Freilassung jeweils einer Spalte zur Aufnahme eines festen Katalysators (13) angeordneten Thermoblechen (12) und mit einem Zwischenraum (14) zwischen den Thermoblechmodulen und der zylinderförmigen Hülle, wobei die Thermobleche aus Wärmeüberträgerplatten bestehen, bei denen zwei rechteckige Bleche an ihren Längs- und Stirnseiten zu einem Thermoblech verbunden sind, und über die Rechteckfläche die Bleche miteinander durch Punktschweißungen und/oder durch Rollschweißungen verbunden sind, und dazu parallelen, im wesentlichen ebenen Außenwänden (21), dadurch gekennzeichnet, daß der Reaktor Mittel (10, 14, 18) aufweist, durch die die im wesentlichen ebenen Außenwände (21) des Thermoblechmoduls bzw. der -module (11) mit einem vorbestimmten Druck beaufschlagt werden können und die Mittel (10, 14, 18) so ausgestaltet sind, daß der Trag- oder Halteboden den Zwischenraum (14) gasdicht verschließt, um eine Bypaßströmung des Reaktionsgemischs zu verhindern und daß die Druckbeaufschlagung ausschließlich über ein Fluid erfolgt, das in physikalischem Kontakt mit zumindest einer Komponente des in den Reaktor eintretenden Gases, dem austretenden Gas oder beidem steht und der physikalische Kontakt entweder über eine Membran vermittelt wird oder daß das eintretende Gas oder eine Komponente davon oder das austretende Gas in direktem Kontakt mit den Außenwänden des Thermoblechmoduls bzw. der Module steht, und daß der Druck auf den im wesentlichen ebenen Außenwänden (21) des Thermoblechmoduls bzw. der -module (11) im wesentlichen dem Druck des Produktgases bzw. der Produktgase entspricht oder daß der Druck auf den im wesentlichen ebenen Außenwänden (21) des Thermoblechmoduls bzw. der -module (11) im wesentlichen dem Druck des Rohgases bzw. einer Komponente des Rohgases entspricht."
II. Die Einspruchsabteilung hat u.A. entschieden, dass der Gegenstand des Patents neu und erfinderisch gegenüber D1 (EP 1 153 653 A1), D2 (EP 0 995 491 A1) und D3 (EP 0 931 586 A1) sei.
Die Beschwerdeführerin stützte ihre Beschwerde ausschließlich darauf, dass der beanspruchte Gegenstand des Streitpatents sich in naheliegender Weise aus der Lehre der Druckschriften D2 und D3 ergebe. Der Einspruchsgrund nach Artikel 100(a) in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ wurde in der Beschwerdebegründung nicht weiter verfolgt.
III. Nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung reichte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 07. September 2018 ein neues Dokument D8 (WO 2005/009609 A1) ein, beantragte dieses Dokument ins Verfahren zuzulassen und machte geltend, dass D8 den Gegenstand des Anspruchs 1 des angefochtenen Patents nach Artikel 54(3) EPÜ vorwegnehme.
IV. Mit Schreiben vom 1. Oktober 2018 beantragte die Beschwerdegegnerin (auch Patentinhaberin), das neu eingereichte Dokument D8 nicht ins Verfahren zuzulassen. Vorsorglich reichte sie die Hilfsanträge 1 bis 3 ein.
V. Am Ende der mündlichen Verhandlung, die am 8.Oktober 2018 stattfand, beantragte die Beschwerdeführerin, die Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen oder hilfsweise das Patent in geänderter Form auf der Basis eines der Hilfsanträge 1 bis 3, in dieser numerischen Reihenfolge eingereicht mit Schreiben vom 1. Oktober 2018, aufrechtzuerhalten.
Entscheidungsgründe
1. Zulassung von verspätet eingereichten Beweismitteln (Artikel 13 VOBK)
1.1 Die Beschwerdekammern haben gemäß Artikel 114(2) EPÜ das Ermessen, verspätet eingereichte Beweismittel nicht zuzulassen. Dies gilt insbesondere für Beweismittel, die erst nach Einreichung der Beschwerdebegründung oder der Erwiderung (Artikel 13(1) VOBK) bzw. nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung eingereicht werden (Artikel 13(3) VOBK).
1.2 Die Kriterien, die bei der Ausübung dieses Ermessens anzuwenden sind, variieren je nach dem Stand des Verfahrens, in dem die Beweise eingereicht werden.
Vorliegend hat die Beschwerdeführerin das Dokument D8 erst nach der Anberaumung der mündlichen Verhandlung und nur wenige Wochen vor dem Verhandlungstermin eingereicht.
In einer derart späten Phasen des Beschwerdeverfahrens erlangen allgemeine Rechtsgrundsätze wie Verfahrensökonomie, Rechtssicherheit und Gleichbehandlung der Parteien zunehmende Bedeutung.
1.3 Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, dass ein leicht abrufbares Dokument wie D8, das weder von der Prüfungsabteilung noch von der Beschwerdeführerin gefunden worden sei, darauf hindeute, dass dieses Dokument nicht leicht zu finden gewesen sei.
1.4 Die Kammer hält dieses Argument nicht für überzeugend. Bei sorgfältiger Recherche hätte die mögliche Relevanz der D8 nämlich schon aufgrund des Titels und der Figuren sowie der IPC-Klasse auffallen müssen. Gründe, die das Nichtauffinden der D8 und dessen unterbliebene Vorlage im erstinstanzlichen Verfahren entschuldigen würden, hat die Beschwerdeführerin weder substantiiert vorgetragen noch belegt.
1.5 Darüber hinaus hat die Beschwerdeführerin den im Einspruchsverfahren erhobenen Neuheitseinwand im Beschwerdeverfahren zunächst nicht weiterverfolgt, sondern diesen erstmals kurz vor der mündlichen Verhandlung auf der Grundlage von D8 geltend gemacht.
Bei dem im Beschwerdeverfahren geltend gemachten, auf D8 basierenden Neuheitseinwand handelt es sich zwar nicht um einen gänzlich neuen Einspruchsgrund, der im Beschwerdeverfahren nur mit Zustimmung des Patentinhabers eingeführt werden könnte (näher: G 9/91, Gründe 18, OJ 1993, 408), weil die Neuheit vorliegend schon im Einspruchsverfahren auf Basis eines anderen Dokumentes (D1) beanstandet worden war. Gleichwohl ist die Sach- und Interessenlage ähnlich, weil der Patentinhaber in beiden Fällen nicht damit rechnen muss, dass erst im Verlauf des Beschwerdeverfahrens ein weiterer Einspruchsgrund zum Tragen kommt und das Verfahren verkomplizieren wird.
1.6 Da die Beschwerdegegnerin der Zulassung des neuen Dokuments D8 nicht zugestimmt hat und in Anbetracht der sorgfaltswidrigen und sehr späten Vorlage dieses Dokuments sowie dem damit verbundenen, sehr späten Wiederaufgreifen des Neuheitseinwands, der bis dahin nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens war, hat die Kammer - ungeachtet der Relevanz des neuen Dokuments - beschlossen, ihr Ermessen nach Artikel 13(1) VOBK dahingehend auszuüben, das Dokument D8 nicht in das Verfahren zuzulassen.
2. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
2.1 Die Parteien sind sich darüber einig, dass D2 als nächstliegender Stand der Technik anzusehen ist.
2.1.1 D2 (Anspruch 1) offenbart einen Reaktor für die katalytische Umsetzung von gasförmigen Medien, mit einem Plattenwärmetauscher zum Kühlen eines Katalysators in einem Reaktorbehälter, wobei in dem Reaktorbehälter nebeneinander mit vorgegebenem Abstand voneinander Wärmetauscherplatten angeordnet und zwischen den Wärmetauscherplatten der von dem jeweiligen Reaktionsmedium durchströmte Katalysator unter Festbettbildung angeordnet ist, mit einer Kühlmediumzuführung im Bereich der Behälterdecke und einer Kühlmediumabführung im Bereich des Behälterbodens, wobei die Wärmetauscherplatten ein von dem Kühlmedium durchströmtes Plattenpaket aus Thermoblechen bilden und der Plattenwärmetauscher auf einen Siebboden aufgesetzt ist, ferner der Siebboden eine Maschenweite aufweist, die geringer als die Korngröße der Katalysatoren ist, wobei im Bereich des Behälterbodens eine Reaktionsmediumzuführung und im Bereich der Behälterdecke eine Reaktionsmediumabführung vorgesehen ist und das jeweilige Reaktionsmedium im Gegenstrom zu dem Kühlmedium geführt ist, wobei das Plattenpaket eine gegenüber dem Siebboden bodenfreie Einhausung aufweist und das eingehauste Plattenpaket umfangseitig anpassungsfrei in den Reaktorbehälter eingesetzt ist.
2.1.2 Gemäß D2, Spalte 4, Zeilen 26 bis 30, sind die Freiflächen zwischen dem Plattenwärmetauscher bzw. der Einhausung und der Behälterinnenwand im oberen und unteren Bereich der Einhausung mittels Leitblechen abgedeckt, um dort einen Austritt von Reaktionsmedium zu vermeiden.
2.2 Gemäß Streitpatent (Absätze [0009] und [0010]) besteht die Aufgabe darin, einen Reaktor mit Thermoblechen zur Verfügung zu stellen, der die Plattenpakete zuverlässig druckentlastet, sodass bei hohen Temperaturen oder Druckspitzen Verformungen der Wandungen eines Plattenpakets bzw. eines Thermoblechmoduls vermieden werden.
2.3 Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent einen Reaktor gemäß Anspruch 1 vor, wobei die Lösung im kennzeichnenden Teil dieses Anspruchs definiert ist.
2.4 Nach Ansicht der Kammer wird die in Punkt 2.2 definierte Aufgabe durch die im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 obengenannten Merkmale erfolgreich gelöst. Dies wurde von der Beschwerdeführerin auch nicht bestritten.
2.5 Entscheidend ist demnach, ob die beanspruchte Lösung ausgehend von D2 im Hinblick auf den von der Beschwerdeführerin genannten Stand der Technik D3 nahegelegen hat.
2.5.1 Die Offenbarung der Druckschrift D3, soweit sie für das vorliegende Verfahren relevant ist, lässt sich am besten anhand der Figuren 1 und 2 und der zugehörigen Beschreibung in Abschnitt [0034] ff. erläutern. Der in den Figuren beschriebene Reaktor weist mehrere übereinander angeordnete katalytische Betten auf, bestehend bevorzugt aus einer Schüttung von geträgerten Katalysatoren. Damit das eintretende Gas zu dem am Kopf des Reaktors befindlichen Wärmetauscher gelangen kann, wird es in dem Zwischenraum zwischen den (zylindrischen) Katalysatorbetten und der Außenhülle des (zylindrischen) Reaktors vorbeigeleitet, wodurch es bereits Wärme von den Katalysatorbetten aufnimmt.
2.5.2 Im Gegensatz zu D2 und dem beanspruchten Gegenstand, sind in D3 weder Plattenwärmetauscher noch Thermobleche beschrieben, außerdem weist der zylindrische Reaktor der D3 keine ebenen Wände auf, die anfällig für Druckschwankungen oder Druckspitzen wären. Infolgedessen betrifft D3 eine vollkommen andere Art von Reaktor als den in D2 beschriebenen.
2.5.3 Im Übrigen beschäftigt sich D3 mit einer ganz anderen Problematik als D2 oder das Streitpatent. Sie stellt nämlich ein Verfahren zur Modernisierung eines heterogenen, exothermen Synthesereaktors bereit, mit dem sich die Ausbeute mit geringerem Energieverbrauch steigern lässt. In D3 wird außerdem die vom Streitpatent gelöste Aufgabe, nämlich das Verhindern von Verformungen der Wandungen eines Plattenpakets bzw. eines Thermoblechmoduls, insbesondere bei Reaktionen mit erheblichen Druckunterschieden und Druckspitzen, überhaupt nicht angesprochen. Da in D3 außerdem die Katalysatorbetten ebenso wie die Reaktorhülle zylindrisch geformt sind und keine Reaktoren mit Thermoblechen verwendet werden, ergibt sich daher auch nicht das vom Streitpatent angesprochene Problem.
2.5.4 Aufgrund der vollständig unterschiedlichen Art der Reaktoren der Druckschriften D2 und D3 und der in den jeweiligen Druckschriften angesprochenen Aufgabenstellungen, kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein Fachmann die Lehre der Druckschrift D3 herangezogen hätte, um an den Reaktoren der Druckschrift D2 strukturelle Änderungen vorzunehmen.
2.5.5 Selbst wenn der Fachmann die Druckschrift D3 beachtet hätte, hätte es für ihn keinen Anlass gegeben, die Lehre der Druckschrift D2 so abzuwandeln, dass bei dem Reaktor der Druckschrift D2 entsprechend dem Reaktor der Druckschrift D3 die eintretenden Gase zunächst die Thermoblechpakete umströmen, bevor sie in den Katalysatorraum eintreten. Hierfür gab es schon keinen Anlass, da bei den Thermoblechen der Druckschrift D2, anders als bei den Katalysatoren der Druckschrift D3, die eintretenden Gase nicht über einen Wärmetauscher vorgeheizt werden sollen und damit der Grund, weshalb in Druckschrift D3 die eintretenden Gase an den Katalysatorbetten vorbeigeleitet werden, entfällt.
2.5.6 Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass das Problem der Vermeidung von Verformungen durch Druckschwankungen an den äußeren Wandungen eines Plattenpakets zwar in D3 nicht erwähnt werde, dass solche Probleme jedoch im Bereich der Reaktoren üblich seien. Außerdem werde der Fachmann ohne Weiteres erkennen, dass die D3-Konfiguration, insbesondere die Bereitstellung eines Volumens, das das Innengehäuse umgibt und in direktem Kontakt mit dem Einlassstrom steht wie in den Figuren 2 und 3 dargestellt, eine einfache Alternative wäre, um solche Verformungen in der D2-Konfiguration zu verhindern und gleichzeitig kostspielige Lösungen wie die Bereitstellung von dicken Wandungen und/oder die Verwendung von besonders widerstandsfähigen Materialien zu vermeiden.
2.5.7 Es mag zutreffen, dass die obengenannten Probleme üblich sind. Die Folgerung, dass ein Fachmann der D3 unmittelbar entnommen hätte, dass durch die eingeleiteten Gase eine Druckentlastung der Katalysatorbetten stattfindet und dass eine derartige Druckentlastung auch bei den ganz anders ausgestalteten rechteckigen Thermoblechmodulen bzw. Plattenpaketen der Druckschrift D2 vorteilhaft sein könnte, beruht indes auf einer rückwirkenden Betrachtungsweise, auf die der Fachmann nur kommen kann, wenn er die Lehre des Streitpatents kennt.
2.5.8 Daher ergibt sich der beanspruchte Gegenstand entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin nicht in naheliegender Weise aus der Lehre der Druckschriften D2 und D3.
2.5.9 Aus den vorstehenden Gründen kommt die Kammer zum Schluss, dass das Streitpatent wie erteilt das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit nach Artikel 56 EPÜ erfüllt, weshalb der Einspruchsgrund nach Artikel 100(a), 56 EPÜ der Aufrechterhaltung des Streitpatents nicht entgegensteht.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.