European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2019:T047915.20190215 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 15 Februar 2019 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0479/15 | ||||||||
Anmeldenummer: | 08857319.1 | ||||||||
IPC-Klasse: | B22D 11/12 B22D 11/22 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | VORRICHTUNG ZUR STEUERUNG ODER REGELUNG EINER TEMPERATUR | ||||||||
Name des Anmelders: | SMS group GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.2.03 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Patentansprüche - Klarheit nach Änderung (ja) Änderungen - zulässig (ja) Beschwerdeentscheidung - Zurückverweisung an die erste Instanz (ja) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, mit der die Europäische Anmeldung Nr. 08 857 319.1 zurückgewiesen wurde.
II. Die Zurückweisung basiert darauf, dass für die während des Prüfungsverfahrens vorgenommenen Änderungen keine Basis in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen gemäß den Erfordernissen der Regel 137(4) EPÜ angegeben worden sei und der Gegenstand des Anspruchs 1 eingereicht mit dem Schreiben vom 12. Mai 2014 die Erfordernisse der Artikel 84 und 123 (2) EPÜ nicht erfülle.
III. Hiergegen hat die Anmelderin (im Folgenden: die Beschwerdeführerin) Beschwerde eingelegt.
IV. In der als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) teilte die Kammer der Beschwerdeführerin ihre vorläufige Einschätzung der Beschwerde mit.
V. In Reaktion darauf reichte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 23. Oktober 2018 neue Ansprüche 1 bis 4 ein.
VI. In einer Mitteilung der Kammer wurde die Beschwerdeführerin darauf hingewiesen, dass die Kammer beabsichtige, die Entscheidung aufzuheben und die Angelegenheit an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen, falls weitere Änderungen am Wortlaut der Ansprüche 1 und 3 vorgenommen würden.
VII. Mit Schreiben vom 26. Oktober 2018 reichte die Beschwerdeführerin daraufhin neue Ansprüche 1 bis 4 ein. Sie teilte ferner mit, dass sie ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurückziehe, falls die Kammer beabsichtige, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Angelegenheit an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen.
VIII. Die Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde daraufhin aufgehoben.
IX. Anträge
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Prüfungsabteilung zur weiteren Prüfung der Anmeldung auf der Basis des mit Schreiben vom 26. Oktober 2018 eingereichten Anspruchssatzes.
X. Anspruch 1 des dieser Entscheidung zugrundeliegenden Anspruchssatzes lautet:
"Verfahren zur Steuerung oder Regelung der Temperatur eines Gießstrangs in einer Stranggießanlage (1) mit einer Steuer- oder Regelungseinheit (3) zur Steuerung oder Regelung der Temperatur des Gießstrangs in einer Sekundärkühlung einer Stranggießanlage (1) mit zumindest einem Mittel zur Kühlung (6) des Gieß-
strangs (2), gekennzeichnet durch
(a) - eine dynamische Anpassung einer Solltemperatur
des Gießstrangs (2) an zumindest einer Position
in Abhängigkeit der Auslauftemperatur des
Gießstrangs (2) aus der Kokille,
(b) - eine dynamische Änderung zumindest einer
Solltemperatur des Gießstrangs (2) auf der
Grundlage von Daten und/oder Signalen, welche die
Steuer- oder Regelungseinheit (3) empfängt und/
oder ermittelt,
(c) - wobei zumindest eine vorzugsweise eine Mehrzahl
von Solltemperaturverteilungen für die
Strangoberfläche als auswählbare Vorgabewerte im
Speicher der Steuer-oder Regeleinheit gespeichert
sind und die Steuerung und Regelung der
Sekundarkühlung anhand der abgespeicherten
Solltemperaturverteilungen erfolgt,
(d) - die Steuer- oder Regelungseinheit (3) anhand von
ermittelten und/oder empfangenen Daten oder
Signalen eine Bestimmung der Durchbiegung und der
Dehnung des Strangs (2) und/oder Strangschale
zwischen zumindest einzelnen Rollen durchführt,
(e) - und durch die Steuer- oder Regelungseinheit (3)
anhand von ermittelten und/oder empfangenen Daten
oder Signalen eine Bestimmung einer Duktilität
des Strangs (2) erfolgt,
(f) - und die Steuer- oder Regelungseinheit (3) anhand
von ermittelten und/oder empfangenen Daten oder
Signalen eine Erstarrungslänge des Strangs
ermittelt,
(g) - wobei der Wert der bestimmten Durchbiegung und/
oder Dehnung mit einem Vergleichswert verglichen
wird und bei Überschreitung eines Grenzwertes
eine Warnung ausgelöst wird und/oder eine
Absenkung der Solltemperatur des Strangs (2)
zumindest in dem Bereich des Strangs (2)
durchgeführt wird, in welchem die Überschreitung
ermittelt wird und
(h) - wobei die bestimmte Duktilität des Strangs (2)
mit einem vorgebbaren Grenzwert der Duktilität
verglichen wird und bei Unterschreitung eine
Warnung ausgelöst wird und/oder bei Unter-
schreitung eine Reduzierung der Solltemperatur
des Strangs (2) veranlasst wird und
(i) - wobei die bestimmte Erstarrungslänge des
Strangs (2) mit einem vorgebbaren Grenzwert
verglichen wird und bei Überschreitung eine
Reduzierung der Solltemperatur des Strangs
veranlasst wird."
Die Ansprüche 2 bis 4 sind auf bevorzugte Ausführungsformen des in Anspruch 1 definierten Verfahrens gerichtet.
XI. Vorbringen der Beschwerdeführerin
Anspruch 1 beruhe auf einer Kombination der ursprünglichen Ansprüche 1, 3 bis 11, 13 und 15.
Die Änderungen in Anspruch 1 basierten daher direkt und unzweideutig auf der technischen Lehre der ursprünglichen Anmeldung. Anspruch 1 erfülle daher die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ.
Anspruch 1 definiere klar, welche Parameter bei der Durchführung des beanspruchten Verfahrens zu bestimmen und beachten seien und wie diese zur Regelung des beanspruchten Verfahrens einzusetzen seien.
Der Gegenstand von Anspruch 1 sei daher klar definiert und erfülle die Erfordernisse von Artikel 84 EPÜ.
Entscheidungsgründe
1. Regel 137(4) EPÜ
Die angefochtene Entscheidung beruht zum einen darauf (Punkt 1 der Entscheidungsgründe), dass die Beschwerdeführerin im Rahmen des Prüfungsverfahren für die vorgenommenen Änderungen in den Ansprüchen keine Grundlage in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung angegeben hat (Regel 137(4) EPÜ).
Dieser Mangel wurde im Rahmen des Beschwerdeverfahrens sowohl durch die Ausführungen in der Beschwerde-begründung (Seiten 1 bis 3) als auch im Schreiben vom 23. Oktober 2018 (Seite 1, letzter Absatz) von der Beschwerdeführerin behoben.
2. Artikel 123(2) EPÜ
2.1 In Punkt 2 der Entscheidungsgründe führt die Prüfungsabteilung aus, dass das zum Wortlaut des Anspruchs 1 hinzugefügte Merkmal
"die ermittelten und/oder empfangenen Daten oder Signale mit Grenzwerten verglichen werden und
bei Überschreitung oder Unterschreitung der Grenzwerte eine Warnung ausgelöst wird oder dynamisch eine Anpassung der Solltemperatur bzw. Solltemperaturen mit einer Erhöhung oder Reduzierung der Solltemperatur durch Reduzierung oder Verstärkung der Kühlung des Stranges erfolgt"
keine Grundlage in der ursprünglich eingereichten Anmeldung hat.
Durch Streichung dieses Merkmals im Rahmen des Beschwerdeverfahrens wurde dieser Einwand von der Beschwerdeführerin vollständig ausgeräumt.
2.2 Der mit Schreiben vom 26. Oktober 2018 eingereichte Anspruch 1 beruht auf einer Kombination der ursprünglichen Ansprüche 1, 3 bis 7, 9 bis 11, 13 und 15, wobei zusätzlich ein Merkmal gemäß der ursprünglich eingereichten Beschreibung auf Seite 8, Zeilen 32 bis 36 hinzugefügt wurde (Basis der Änderung jeweils in Klammer und Fettdruck):
Verfahren zur Steuerung oder Regelung der Temperatur eines Gießstrangs in einer Stranggießanlage (1) mit einer Steuer- oder Regelungseinheit (3) zur Steuerung oder Regelung der Temperatur des Gießstrangs in einer Sekundärkühlung einer Stranggießanlage (1) mit zumindest einem Mittel zur Kühlung (6) des Gießstrangs (2), gekennzeichnet durch
(Anspruch 1)
(a) - eine dynamische Anpassung einer Solltemperatur des Gießstrangs (2) an zumindest einer Position in Abhängigkeit der Auslauftemperatur des Gießstrangs (2) aus der Kokille, (Anspruch 3)
(b) - eine dynamische Änderung zumindest einer Solltemperatur des Gießstrangs (2) auf der Grundlage von Daten und/oder Signalen, welche die Steuer- oder Regelungseinheit (3) empfängt und/oder ermittelt, (Anspruch 1)
(c) - wobei zumindest eine vorzugsweise eine Mehrzahl von Solltemperaturverteilungen für die Strangoberfläche als auswählbare Vorgabewerte im Speicher der Steuer-oder Regeleinheit gespeichert sind und die Steuerung und Regelung der Sekundarkühlung anhand der abgespeicherten Solltemperaturverteilungen erfolgt, (Seite 8, Zeilen 32 bis 36)
(d) - die Steuer- oder Regelungseinheit (3) anhand von ermittelten und/oder empfangenen Daten oder Signalen eine Bestimmung der Durchbiegung und der Dehnung des Strangs (2) und/oder Strangschale zwischen zumindest einzelnen Rollen durchführt, und (Ansprüche 4 und 5)
(e) - durch die Steuer- oder Regelungseinheit (3) anhand von ermittelten und/oder empfangenen Daten oder Signalen eine Bestimmung einer Duktilität des Strangs (2) erfolgt, und (Anspruch 9)
(f) - die Steuer- oder Regelungseinheit (3) anhand von ermittelten und/oder empfangenen Daten oder Signalen eine Erstarrungslänge des Strangs ermittelt, (Anspruch 13)
(g) - wobei der Wert der bestimmten Durchbiegung und/oder Dehnung mit einem Vergleichswert verglichen wird und bei Überschreitung eines Grenzwertes eine Warnung ausgelöst wird und/oder eine Absenkung der Solltemperatur des Strangs (2) zumindest in dem Bereich des Strangs (2) durchgeführt wird, in welchem die Überschreitung ermittelt ist und (Ansprüche 6 und 7)
(h) - wobei die bestimmte Duktilität des Strangs (2) mit einem vorgebbaren Grenzwert der Duktilität verglichen wird und bei Unterschreitung eine Warnung ausgelöst wird und/oder bei Unterschreitung eine Reduzierung der Solltemperatur des Strangs (2) veranlasst wird und (Ansprüche 10 und 11)
(i) - wobei die bestimmte Erstarrungslänge des Strangs (2) mit einem vorgebbaren Grenzwert verglichen wird und bei Überschreitung eine Reduzierung der Solltemperatur des Strangs veranlasst wird. (Anspruch 15)
Die Ansprüche 2 bis 4 basieren auf den Ansprüchen 8, 12 und 16 der ursprünglichen Anmeldung.
Die von der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 26. Oktober 2018 vorgelegten Ansprüche 1 bis 4 erfüllen daher die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ.
3. Artikel 84 EPÜ
3.1 Im zweiten Punkt auf Seite 5 der Entscheidungsgründe argumentiert die Prüfungsabteilung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht klar definiert werde, da nicht klar sei, ob eine dynamische Anpassung der Solltemperatur gemäß Verfahrensschritt (a), eine dynamische Änderung der Solltemperatur gemäß Verfahrensschritt (a) oder beides durchgeführt werden soll. Ferner sei nicht klar, welche Daten und Signale im Verfahren berücksichtigt werden sollen und wie die Durchbiegung, Dehnung, Duktilität und Erstarrungslänge bestimmt oder ermittelt werden sollen.
3.2 Die Kammer kann sich dieser Auffassung in Hinblick auf den im Rahmen des Beschwerdeverfahrens eingereichten, im Wortlaut geänderten Anspruch 1 nicht anschließen.
3.2.1 Der Wortlaut von Anspruch 1 lässt keinerlei Zweifel, dass sowohl die dynamische Anpassung gemäß Verfahrensschritt (a) als auch eine dynamische Änderung gemäß Verfahrensschritt (b) durchzuführen ist.
3.2.2 Es wird in Verfahrensschritt (b) zwar nicht explizit offenbart, welche Daten und Signale von der Steuer- oder Regelungseinheit (3) konkret empfangen und ermittelt werden. Allerdings wird durch die Merkmale (d) bis (f) verdeutlicht, dass diese zumindest zur Bestimmung der Durchbiegung und der Dehnung des Strangs oder der Strangschale (Merkmal (d)), der Duktilität (Merkmal (e)) und der Erstarrungslänge (Merkmal (f)) dienen.
Hinsichtlich der in Verfahrensschritt (b) genannten Daten und/oder Signale bleibt der Fachmann daher nicht im Unklaren, welche Daten und Signale zu beachten sind. Zudem wird in den Merkmalen (g) bis (i) beschrieben, welche Regelmaßnahmen durch diese Daten und Signale ausgelöst werden.
3.2.3 Anspruch 1 definiert, dass die Durchbiegung, Dehnung, Duktilität und Erstarrungslänge anhand von ermittelten oder empfangenen Daten und Signale bestimmt werden können. Eine derartige Definition ist zwar breit und umfasst eine Vielzahl möglicher Messverfahren und Berechnungsverfahren, um die genannten Parameter zu bestimmen. Eine breite Definition ist aber für einen Fachmann nicht von vornherein unklar.
In Analogie wird auch nicht definiert, wie die in Merkmal (a) genannte Auslauftemperatur aus der Kokille bestimmt wird und wo diese Temperatur gelten soll, in der Strangmitte oder auf der Strangoberfläche. Erneut ist eine derartige Definition zwar breit aber für einen Fachmann nicht unklar.
3.3 Somit ist das beanspruchte Verfahren gemäß Anspruch 1 klar definiert. Der Gegenstand gemäß Anspruch 1 erfüllt daher die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ.
4. Zurückverweisung
Die angefochtene Entscheidung betraf nur die Frage der Klarheit (Artikel 84 EPÜ) und die Gewährbarkeit der Änderungen (Artikel 123(2) EPÜ in Verbindung mit Regel 137(4) EPÜ). Zu anderen materiellen Erfordernissen des EPÜ wurde weder in der angefochtenen Entscheidung noch im gesamten Prüfungsverfahren von der Prüfungsabteilung Stellung genommen. Unter diesen Umständen hält es die Kammer für geboten, von ihrer Befugnis nach Artikel 111 (1) EPÜ Gebrauch zu machen und die Angelegenheit an die erste Instanz zurückzuverweisen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung zur weiteren Prüfung zurückverwiesen.