T 0066/15 (Hörhilfegerätesystem/SIVANTOS) of 23.8.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T006615.20180823
Datum der Entscheidung: 23 August 2018
Aktenzeichen: T 0066/15
Anmeldenummer: 05106572.0
IPC-Klasse: H04R 25/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Hörhilfegerätesystem sowie Verfahren zum Betrieb eines Hörhilfegerätesystems bei Audio-Empfang
Name des Anmelders: Sivantos GmbH
Name des Einsprechenden: Oticon A/S
Widex A/S
GN Resound A/S
Kammer: 3.5.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(3)
Schlagwörter: Änderungen - zulässig (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/14
T 1634/09
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die von den Beschwerdeführerinnen (Einsprechenden) gemeinsam eingelegte Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das Patent Nr. 1 619 929 zurückzuweisen.

II. Die Beschwerdeführerinnen beantragten, die Entscheidung aufzuheben und das Patent vollständig zu widerrufen. Hilfsweise beantragten sie eine mündliche Verhandlung.

III. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte in ihrer Erwiderung, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag), hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage eines von fünf mit der Erwiderung eingereichten Anspruchssätzen (erster bis fünfter Hilfsantrag). Hilfsweise beantragte sie eine mündliche Verhandlung.

IV. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK nahm die Kammer zum Sachverhalt Stellung und erörterte unter anderem die Frage der erfinderischen Tätigkeit bezüglich des Gegenstands der unabhängigen Ansprüche der Anträge.

V. In Reaktion auf die Mitteilung der Kammer reichte die Beschwerdegegnerin mit einem Schreiben vom 23. Juli 2018 weitere Argumente zur Frage der erfinderischen Tätigkeit bezüglich des Gegenstands der unabhängigen Ansprüche des Hauptantrags ein.

VI. Am 23. August 2018 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt. Während der mündlichen Verhandlung reichte die Beschwerdegegnerin einen neuen Hilfsantrag 1a ein und nahm die übrigen Anträge zurück. Hilfsantrag 1a wurde somit der einzige Antrag.

Die Beschwerdeführerinnen beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Beschwerdegegnerin beantragte die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der Ansprüche des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags 1a.

Nach Schließen der Debatte und Beratung der Kammer verkündete der Vorsitzende die Entscheidung.

VII. Das folgende Dokument, auf das in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen wurde, ist für die vorliegende Entscheidung relevant:

D3: EP 0 941 014 A2.

VIII. Anspruch 1 lautet:

"Hörhilfegerätesystem mit zwei am Kopf tragbaren Hörhilfegeräten (1, 2) zur binauralen Versorgung eines Hörhilfegeräteträgers, wobei die Hörhilfegeräte (1, 2) jeweils einen Eingangswandler (10, 14) zur Aufnahme eines Eingangssignals und Wandlung in ein elektrisches Signal, eine Signalverarbeitungseinheit (11, 15) zur Verarbeitung und frequenzabhängigen Verstärkung des elektrischen Signals und einen Ausgangswandler (12, 16) zur Wandlung des verarbeiteten Signals in ein von dem Hörhilfegeräteträger als akustisches Signal wahrnehmbares Signal umfassen, wobei bei den Hörhilfegeräten (1, 2) Parameter zur Steuerung der Signalverarbeitung in den Signalverarbeitungseinheiten (11, 15) einstellbar sind zur Anpassung der Signalverarbeitung an unterschiedliche Hörsituationen und wobei zwischen den beiden Hörhilfegeräten (1, 2) Steuersignale übertragbar sind zur Anpassung der in einem Hörhilfegerät (1) eingestellten Parameter an die in dem anderen Hörhilfegerät (2) eingestellten Parameter, dadurch gekennzeichnet, dass in einer Hörsituation für ,,Audio-Empfang" die Anpassung der eingestellten Parameter zwischen den beiden Hörhilfegeräten (1, 2) zumindest teilweise unterbunden ist, und dass das Hörhilfegerätesystem bei Beendung der Hörsituation für ,,Audio-Empfang", so dass keiner [sic] der beiden Hörhilfegeräte (1, 2) mehr mit einer Audio-Signalquelle verbunden ist, zu den die Hörhilfegeräte (1, 2) betreffenden Einstellungen zurückkehrt, die das Hörhilfegerätesystem vor der Aufnahme der Hörsituation für ,,Audio-Empfang" hatte."

IX. Anspruch 8 lautet:

"Verfahren zum Betrieb eines Hörhilfegerätesystems mit zwei am Kopf tragbaren Hörhilfegeräten (1, 2) zur binauralen Versorgung eines Hörhilfegeräteträgers, wobei die Hörhilfegeräte (1, 2) jeweils einen Eingangswandler (10, 14) zur Aufnahme eines Eingangssignals und Wandlung in ein elektrisches Signal, eine Signalverarbeitungseinheit (11, 15) zur Verarbeitung und frequenzabhängigen Verstärkung des elektrischen Signals und einen Ausgangswandler (12, 16) zur Wandlung des verarbeiteten Signals in ein von dem Hörhilfegeräteträger als akustisches Signal wahrnehmbares Signal umfassen, wobei bei den Hörhilfegeräten (1, 2) Parameter zur Steuerung der Signalverarbeitung in den Signalverarbeitungseinheiten (11, 15) einstellbar sind zur Anpassung der Signalverarbeitung an unterschiedliche Hörsituationen und wobei zwischen den beiden Hörhilfegeräten (1, 2) Steuersignale übertragbar sind zur Anpassung der in einem Hörhilfegerät (1) eingestellten Parameter an die in dem anderen Hörhilfegerät (2) eingestellten Parameter, mit folgenden Schritten:

- Anpassung der Parameter an eine Hörsituation für ,,Audio-Empfang" bei wenigstens einem der beiden Hörhilfegeräte (1),

- zumindest teilweises Unterbinden der Anpassung der eingestellten Parameter zwischen den beiden Hörhilfegeräten (1, 2) in der Hörsituation für ,,Audio-Empfang"

- Rückkehr zu den die Hörhilfegeräte (1, 2) betreffenden Einstellungen, die das Hörhilfegerätesystem vor der Aufnahme der Hörsituation für ,,Audio-Empfang" hatte, wenn die Hörsituation für ,,Audio-Empfang" beendet wird, so dass keiner [sic] der beiden Hörhilfegeräte (1, 2) mehr mit einer Audio Signalquelle verbunden ist."

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit des Hilfsantrags 1a (Artikel 13 (1), (3) VOBK)

1.1 Der Antrag wurde während der mündlichen Verhandlung eingereicht. Es steht gemäß Verfahrensordnung der Beschwerdekammern im Ermessen der Kammer, Änderungen des Vorbringens der Beteiligten nach Einreichung ihrer Beschwerdebegründung oder Erwiderung unter Berücksichtigung von insbesondere der Komplexität des neuen Vorbringens, dem Stand des Verfahrens und der gebotenen Verfahrensökonomie zuzulassen und zu berücksichtigen (Artikel 13 (1) VOBK).

Änderungen des Vorbringens nach Anberaumen der mündlichen Verhandlung werden nicht zugelassen, wenn sie Fragen aufwerfen, deren Behandlung der Kammer oder den anderen Beteiligten ohne Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht zuzumuten ist (Artikel 13 (3) VOBK). Gemäß ständiger Rechtsprechung kann ein spät eingereichter Antrag zugelassen werden, wenn es stichhaltige Gründe für seine späte Einreichung gibt, wie beispielsweise, dass er durch eine Entwicklung während des Verfahrens bedingt ist, den durch die Beschwerdebegründung und die Erwiderung darauf abgesteckten Diskussionsrahmen nicht ausdehnt, und offensichtlich gewährbar ist, wozu für die Kammer auch sofort ersichtlich sein muss, dass er den aufgeworfenen Fragen Rechnung trägt und keine neuen Fragen aufwirft (T 1634/09, Punkt 3.2 der Gründe).

1.2 Anspruch 1 ist eine Kombination des erteilten Anspruchs 1 und des aus der Beschreibung stammenden Merkmals, dass das Hörhilfegerätesystem bei Beendung der Hörsituation für Audio-Empfang, so dass keines der beiden Hörhilfegeräte mehr mit einer Audio-Signalquelle verbunden ist, zu den die Hörhilfegeräte betreffenden Einstellungen zurückkehrt, die das Hörhilfegerätesystem vor der Aufnahme der Hörsituation für Audio-Empfang hatte.

Das hinzugefügte Merkmal schränkt somit das Verhalten des Hörhilfegerätesystems in Bezug auf die Hörsituation für Audio-Empfang dahingehend weiter ein, dass zusätzlich ein Merkmal, das sich auf einen bei Beendung dieser Hörsituation durchzuführenden Schritt bezieht, definiert wird.

1.3 In ihrer der Ladung beigefügten Mitteilung äußerte die Kammer in Bezug auf Anspruch 1 in der erteilten Fassung sinngemäß die vorläufige Ansicht, dass scheinbar dessen Gegenstand neu sei und in der mündlichen Verhandlung zu erörtern sei, ob er für den Fachmann ausgehend von dem Hörhilfegerätesystem der D3 naheliegend sei.

Während der mündlichen Verhandlung wurde die Beschwerdegegnerin erstmalig mit dem Argument konfrontiert, dass bei dem Hörhilfegerätesystem der D3 in einer bestimmten Programmierungsvariante die Anpassung des eingestellten Lautstärkeparameters zwischen den beiden Hörhilfegeräten während des gesamten Betriebs dauerhaft unterbunden sei, also auch während einer eingestellten Hörsituation für Audio-Empfang. Weiter schließe Anspruch 1 in der erteilten Fassung auch den Fall ein, dass in dieser Hörsituation die Anpassung eines von mehreren Parametern unterbunden ist, und zwar unabhängig davon, ob die Unterbindung aktiv herbeigeführt wurde oder bereits vorlag.

Die Kammer betrachtet daher die Einreichung des Hilfsantrags 1a als eine Reaktion auf die Entwicklung während der mündlichen Verhandlung, um die Einwände bezüglich mangelnder erfinderischer Tätigkeit auszuräumen.

Die Parameteranpassung wurde auch bereits in der Mitteilung der Kammer erörtert (Punkte 3.1 und 3.3). Der Hilfsantrag 1a hat daher den abgesteckten Diskussionsrahmen nicht erweitert, war für die Beschwerdeführerinnen nicht überraschend und hat keine Fragen aufgeworfen, deren Behandlung ihnen in der mündlichen Verhandlung nicht zuzumuten gewesen wäre.

Außerdem kam die Kammer zum Schluss, dass der von D3 ausgehende Fachmann unter Heranziehung seines allgemeinen Fachwissens, prima facie, nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1a gelangen würde ohne erfinderisch tätig zu werden.

1.4 Die Beschwerdeführerinnen argumentierten im Wesentlichen wie folgt. Der Hilfsantrag 1a sei verspätet, da er eine Reaktion auf das Argument sei, der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche sei durch das System aus D3 in Kombination mit allgemeinem Fachwissen nahegelegt, und dieses Argument bereits im Einspruchsverfahren bekannt gewesen sei (vgl. Punkt 2.2.5 der Entscheidung der Einspruchsabteilung, Anmerkung der Kammer). Weiter trage das hinzugefügte Merkmal nicht zu einer Problemlösung bei.

Die Kammer ist von diesen Argumenten aus folgenden Gründen nicht überzeugt. Auch wenn eine Kombination aus der Lehre der D3 und allgemeinem Fachwissen bereits im Einspruchsverfahren als Argument genutzt wurde, ist die oben genannte Betrachtung der Offenbarung der D3 mit Blick auf den beanspruchten Gegenstand doch neu. In Bezug auf den Beitrag des hinzugefügten Merkmals zu einer Problemlösung merkt die Kammer an, dass für eine Zulässigkeitsprüfung keine vollständiger Aufgabe-Lösungs-Ansatz erforderlich ist. Unabhängig von der zu formulierenden Aufgabe ist die Kammer aber der Ansicht, dass das hinzugefügte Merkmal zum Themenbereich der Parameteranpassung in einer Hörsituation für Audio-Empfang gehört und, zumindest prima facie, durchaus zu einer erfinderischen Tätigkeit beitragen kann.

1.5 Die Kammer hat daher ihr Ermessen gemäß Artikel 13 (1) und (3) VOBK dahingehend ausgeübt, den Hilfsantrag 1a in das Verfahren zuzulassen.

2. Klarheit (Artikel 84 EPÜ)

2.1 Die Beschwerdeführerinnen argumentierten, dass der Wortlaut "in einer Hörsituation für ,,Audio-Empfang"" unklar sei.

2.2 Anspruch 1 ist eine Kombination des erteilten Anspruchs 1 und eines aus der Beschreibung stammenden Merkmals. Demzufolge ist nur das aus der Beschreibung hinzugefügte Merkmal auf das Erfordernis auf Klarheit hin zu prüfen (siehe G 3/14 (ABl. EPA 2015, A102)). Der Wortlaut "in einer Hörsituation für ,,Audio-Empfang"" war jedoch bereits im erteilten Anspruch 1 enthalten. Des Weiteren definiert das hinzugefügte Merkmal auf für die Kammer ausreichend klare Weise ein Merkmal, das sich auf einen bei Beendung der Hörsituation für ,,Audio-Empfang" durchzuführenden Schritt bezieht. Dies gilt, mutatis mutandis, für den Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 8.

2.3 Die Ansprüche 1 und 8 erfüllen daher dieses Erfordernis des Artikels 84 EPÜ.

3. Unzulässige Erweiterung (Artikel 123 (2) EPÜ)

3.1 Die Beschwerdeführerinnen argumentierten sinngemäß, dass in Absatz [0018] der Patentanmeldung in der veröffentlichten Fassung außer dem Lösen des Audio-Schuhs keine Alternativen zum Beenden des Audio-Empfangs offenbart seien und dass daher das Beenden des Audio-Empfangs unabhängig von der Verwendung eines Audio-Schuhs keine Grundlage in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung habe.

Die Kammer ist von diesem Argument aus folgenden Gründen nicht überzeugt. Absatz [0018], auf den die Beschwerdeführerinnen Bezug nehmen, beschreibt lediglich ein Ausführungsbeispiel. Für das in den Ansprüchen 1 und 8 hinzugefügte und die Beendung des Audio-Modus betreffende Merkmal findet sich hingegen eine weitere Grundlage in Absatz [0014], der Teil der allgemeinen Beschreibung der Erfindung ist und in dem die Beendung des Audio-Modus nicht in Bezug auf die Art und Weise eingeschränkt ist, wie die Beendung ausgelöst wird.

Gleiches gilt, mutatis mutandis, für den Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 8.

3.2 Die Kammer kommt daher zum Schluss, dass die unabhängigen Ansprüche 1 und 8 das Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ erfüllen.

4. Ansprüche 1 und 8 - erfinderische Tätigkeit (Artikel 52 (1) und 56 EPÜ)

4.1 Das Dokument D3 richtet sich auf ein Hörhilfegerätesystem mit zwei Hörhilfegeräten sowie auf ein Verfahren zu dessen Betrieb und beschreibt nach Ansicht der Kammer den nächstliegenden Stand der Technik. Insbesondere offenbart D3, dass bei Betätigung eines Bedienelements an einem der beiden Hörhilfegeräte ein Steuersignal an das andere Hörhilfegerät übertragen wird und zu einer simultanen Anpassung beider Hörhilfegeräte und deren Signalverarbeitungseinheiten führt (Zusammenfassung). Diese Betriebsweise ermöglicht es, dass nicht jede Art von Bedienelement an jedem der Hörhilfegeräte vorgesehen werden muss und somit der Platzbedarf für Bedienelemente verringert werden kann (Spalte 2, Zeilen 48 bis 56). So können Bedienelemente für Einstellungen, die für beide Hörhilfegeräte unterschiedlich einstellbar sein sollen, an beiden Hörhilfegeräten vorgesehen werden und Bedienelemente, die auf beide Hörhilfegeräte gleich wirken sollen, an nur einem davon (Absatz [0015]). Dabei kann für einige Bedienelemente auswählbar sein, ob bei deren Betätigung an einem Hörhilfegerät eine Anpassung des anderen Hörhilfegeräts erfolgt. Dies kann beispielsweise bei der Programmierung des Hörhilfegerätesystems festgelegt werden (Spalte 3, Zeilen 19 bis 25, und Anspruch 6).

Gemäß einem Ausführungsbeispiel in der D3 mit zwei Hörhilfegeräten 1 und 1' (Spalte 5, Zeilen 31 und 32) weist das erste Hörhilfegerät 1 ein Bedienelement 5 auf, das ein Steuersignal 7 erzeugt und der Umschaltung zwischen verschiedenen Hörprogrammen dient (Spalte 5, Zeilen 35 bis 38 und Zeilen 42 bis 47). Dieses Steuersignal 7 wird über eine Telefonspule 13 and eine Signalverarbeitungseinheit 3' im zweiten Hörhilfegerät 1' übertragen (Spalte 6, Zeilen 19 bis 25). Ähnlich weist das zweite Hörhilfegerät 1' ein Bedienelement 5' auf, das als Eingangswahlschalter für Mikrofon oder Hörspule dient und ein Steuersignal 7' erzeugt, das an das erste Hörhilfegerät 1 übertragen wird (Spalte 6, Zeilen 5 bis 19).

Weiter weist das erste Hörhilfegerät 1 ein Bedienelement 6 auf, das zur Einstellung der Lautstärke dient und ein Steuersignal 8 erzeugt, das allerdings über einen programmierbaren Schalter 16 weitergeleitet wird (Spalte 5, Zeilen 35 und 36, und Zeilen 47 bis 56). Mittels des Schalters 16 kann festgelegt werden, ob die Lautstärkeeinstellung zum zweiten Hörhilfegerät 1' übertragen wird (Spalte 6, Zeilen 1 bis 4).

Außerdem offenbart D3, dass die Hörhilfegeräte Telefonspulen zum Empfang eines induktiven Nutzsignals und zum Übertragen eines elektromagnetischen Steuersignals aufweisen (Spalte 4, Zeile 56 bis Spalte 5, Zeile 4, und Spalte 5, Zeile 56 bis Spalte 6, Zeile 1, in Verbindung mit Figur 1). Dabei besteht eine Umschaltmöglichkeit zwischen dem Signal eines Mikrofons und dem der Telefon- beziehungsweise Hörspule (Spalte 2, Zeilen 7 bis 11 und Spalte 3, Zeilen 6 bis 10). Die Einstellung, in der das Signal der Hörspule ausgewählt ist, entspricht dabei einer Hörsituation für Audio-Empfang wie sie im vorliegenden Patent in Spalte 3, Zeilen 37 bis 40 beschrieben ist beziehungsweise einem Audio-Modus.

In diesem Ausführungsbeispiel kann somit von einem einzigen Hörhilfegerät aus für beide Hörhilfegeräte der Betriebsmodus für Audio-Empfang ein- und ausgeschaltet und zwischen den Hörprogrammen umgeschaltet werden wohingegen es von der Programmierung abhängt, ob eine Veränderung der Lautstärkeeinstellung an einem der beiden Hörhilfegeräte sich auf die Lautstärkeeinstellung des anderen Hörhilfegeräts auswirkt. Im Folgenden wird ein Hörhilfegerätesystem mit einer Programmierung betrachtet, bei der die Anpassung des Parameters zur Lautstärkeeinstellung unterbunden ist, so dass, wie bei dem Hörhilfegerätesystem gemäß dem vorliegenden Anspruch 1, eine Anpassung der Parameter in der Hörsituation für Audio-Empfang zumindest teilweise unterbunden ist. Bei einer solchen Programmierung wäre eine Anpassung des Parameters Lautstärke dauerhaft, d.h. vor, während und nach einer Hörsituation für Audio-Empfang, unterbunden wohingegen der Parameter zur Einstellung des Hörprogramms angepasst wird.

4.2 Das Hörhilfegerätesystem gemäß Anspruch 1 unterscheidet sich von dem aus D3 bekannten System dadurch, dass es bei Beendung der Hörsituation für Audio-Empfang, so dass keines der beiden Hörhilfegeräte mehr mit einer Audio-Signalquelle verbunden ist, zu den die Hörhilfegeräte betreffenden Einstellungen zurückkehrt, die das Hörhilfegerätesystem vor der Aufnahme der Hörsituation für Audio-Empfang hatte.

Für den Benutzer ergibt sich daraus beispielsweise der Effekt, dass eine während einer Hörsituation für Audio-Empfang einseitig vorgenommene Lautstärkeeinstellung nach Beendung dieser Hörsituation wieder rückgängig gemacht wird. Unter der Annahme, dass in der Hörsituation für Audio-Empfang einseitig andere Einstellungen vorteilhaft sind als außerhalb dieser Hörsituation, hat dies den Vorteil, dass der Benutzer beim Zurückwechseln aus der Hörsituation für Audio-Empfang nicht wieder die Einstellungen vornehmen muss, die er zuvor als vorteilhaft eingestellt hatte.

4.3 Die dem Hörhilfegerätesystem gemäß Anspruch 1 zugrunde liegende Aufgabe könnte ausgehend von dem System der D3 daher darin gesehen werden, die Einstellung der Parameter beim Zurückwechseln aus der Hörsituation für Audio-Empfang benutzerfreundlicher zu gestalten.

4.4 D3 offenbart weder im Zusammenhang mit der Beendung der Hörsituation für Audio-Empfang noch sonst, dass das Hörhilfegerätesystem zu Einstellungen zurückkehrt, die zu einem früheren Zeitpunkt geherrscht haben. Weiter offenbart D3 auch nicht, dass eine einmal durch geeignete Programmierung unterbundene Anpassung eines Parameters im Betrieb wieder aufgehoben wird, so dass auf diese Weise eine Parameteranpassung oder gar eine automatische Rückkehr zu früheren Einstellungen möglich wäre.

Weiter merkt die Kammer an, dass D3 in Bezug auf die Möglichkeit der Unterbindung der Anpassung der Lautstärkeeinstellung herausstellt, dass dadurch das Hörhilfegerätesystem auch für Benutzer mit unterschiedlich ausgeprägter Gehörschwäche geeignet sei (Spalte 3, Zeilen 28 bis 39). Eine Aufhebung der Unterbindung, beispielsweise bei der Beendung der Hörsituation für Audio-Empfang, würde diesen Vorteil zunichte machen.

Ausgehend von dem Hörhilfegerätesystem der D3, in dem eine Anpassung des Lautstärkeparameters zwischen den beiden Hörhilfegeräten nur dauerhaft für Benutzer mit unterschiedlich ausgeprägter Gehörschwäche vorgesehen ist, liegt es für den Fachmann nicht nahe, die Anpassung des Lautstärkeparameters nur vorübergehend im Audio-Modus auszuschalten und darüber hinaus die Einstellungen vor dem Einschalten des Audio-Modus zu speichern, um danach wieder zu ihnen zurückkehren zu können.

4.5 Die Beschwerdeführerinnen argumentierten, dass die Anpassung des Schalters (Schalter 16 und 16', die über die Weiterleitung der Steuersignale 7 und 7' an das andere Hörhilfegerät 1 und 1' und damit über die Anpassung von Parametereinstellungen entscheiden, Anmerkung der Kammer) in Abhängigkeit der Hörsituation trivial sei und aus dem Einrichten einer solchen Abhängigkeit automatisch auch die Rückkehr zu den Einstellungen folgen würde, die vor der Hörsituation für Audio-Empfang geherrscht haben.

Die Kammer ist von diesem Argument aus folgenden Gründen nicht überzeugt. Bei dem Hörhilfegerätesystem der D3 sind die Schalter 16 und 16' programmierbar (Spalte 3, Zeilen 23 bis 25, und Spalte 5, Zeilen 52 bis 56). Eine Änderung der Stellung der Schalter 16 und 16' während des Betriebs ist in D3 nicht offenbart. Dies wäre für den von der D3 herausgestellten Vorteil auch nicht erforderlich, dass durch die Programmierung der Schalter 16 und 16' die Zahl der Anwendungsmöglichkeiten bei gleichzeitiger Reduzierung der Gerätevarianten erhöht werden kann, indem das System sowohl bei Benutzern mit beidseitig gleich oder unterschiedlich ausgeprägter Gehörschwäche eingesetzt werden kann. Eine Anpassung der Schalter 16 und 16' bei der erstmaligen Inbetriebnahme an den jeweiligen Benutzer ist dafür ausreichend. Im Gegenteil würde eine Änderung der Programmierung der Schalter 16 und 16' im laufenden Betrieb die Anpassung an die persönliche Gehörschwäche des Benutzers zunichte machen.

Ferner argumentierten die Beschwerdeführerinnen sinngemäß, dass in einem Fall, in dem bei dem Hörhilfegerätesystem der D3 im Audio-Modus die Einstellungen nicht verändert werden, das Hörhilfegerätesystem somit auch nach Beenden des Audio-Modus wieder die Einstellungen wie davor hätte und somit zu diesen zurückkehre. Die Kammer merkt diesbezüglich an, dass die Verwendung des Begriffs "zurückkehren" in dem strittigen Merkmal in Anspruch 1 Mittel zum aktiven Einstellen der Einstellungen wie vor dem Audio-Modus vorhanden impliziert, auch wenn diese gleich den Einstellungen während des Audio-Modus sind. Bei dem Hörhilfegerätesystem der D3 findet kein aktives Einstellen bestimmter früherer Einstellungen statt und es sind auch keine Mittel offenbart, die dies bewirken könnten.

4.6 Der Fachmann würde daher ausgehend von dem Hörhilfegerätesystem der D3 und vor die oben genannte Aufgabe gestellt unter Heranziehung seines allgemeinen Fachwissens nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen ohne erfinderisch tätig zu werden (Artikel 52 (1) und 56 EPÜ).

4.7 Die obigen Ausführungen in Bezug auf erfinderische Tätigkeit gelten, mutatis mutandis, für den Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 8.

4.8 Die Beschwerdeführerinnen hatten keine weiteren Einwände in Bezug auf den vorliegenden Antrag vorgebracht.

4.9 Die weiteren Ansprüche 2 bis 7 und 9 bis 16 sind abhängige Ansprüche und grenzen den Gegenstand des Anspruchs 1 beziehungsweise 8 weiter ein.

4.10 Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ, auf den der Einspruch gestützt war, steht somit der Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung gemäß dem Hilfsantrag 1a nicht entgegen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent auf der Grundlage der Ansprüche des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags 1a aufrechtzuerhalten, mit einer entsprechend anzupassenden Beschreibung.

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