T 0021/15 () of 18.7.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T002115.20190718
Datum der Entscheidung: 18 Juli 2019
Aktenzeichen: T 0021/15
Anmeldenummer: 05804564.2
IPC-Klasse: G01N 19/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN UND VORRICHTUNG ZUR UNTERSUCHUNG DER MATERIALEIGENSCHAFTEN MINDESTENS EINER VON ZWEI GEGENEINANDER BEWEGTER PROBEN
Name des Anmelders: Wassermann, Johann
Name des Einsprechenden: Ematec Consulting GmbH
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
European Patent Convention 1973 Art 100(a)
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 100(b)
European Patent Convention 1973 Art 114(2)
Schlagwörter: Einspruchsgründe - verspätet eingereichter Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ 1973
Einspruchsgründe - zugelassen (nein)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0009/91
G 0010/91
G 0007/93
G 0001/95
T 0620/08
T 1286/14
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0178/16

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents in geänderter Fassung gemäß damaligen Hilfsantrag 3.

II. Der Anspruchssatz des der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Hilfsantrags 3 enthält nur die Verfahrensansprüche 1 - 7 wie erteilt, nicht jedoch die erteilten Vorrichtungsansprüche. Die Einspruchsabteilung begründete die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung insbesondere damit, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3 neu sei und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Den erstmals von der Einsprechenden in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung gestellten Antrag, einen weiteren Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ in das Verfahren einzuführen, hat die Einspruchsabteilung als verspätet und prima facie als nicht relevant angesehen und deshalb gemäß Artikel 114 (2) EPÜ nicht in das Verfahren zugelassen.

III. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte mit ihrer Beschwerdebegründung, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen. Hilfsweise beantragte sie die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung. Sie machte u.a. den von der Einspruchsabteilung nicht in das Verfahren zugelassenen Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ nochmals geltend und machte auch Ausführungen dazu.

IV. Der Beschwerdegegner (Patentinhaber) beantragte mit seiner Beschwerdeerwiderung, die Beschwerde zurückzuweisen und hilfsweise eine mündliche Verhandlung anzuberaumen. Seinen Hilfsantrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung hat der Beschwerdegegner mit Schreiben vom 9. Juni 2016 zurückgenommen.

V. In einer der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK vertrat die Kammer die vorläufige Meinung, dass es nicht gerechtfertigt sei, den von der Einspruchsabteilung nicht in das Verfahren zugelassenen Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ 1973 im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen, und dass der Gegenstand des Anspruchs 1 durch den zitierten Stand der Technik nicht nahegelegt werde.

VI. Mit Schreiben vom 29. April 2019 teilte die Beschwerdeführerin mit, dass sie ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurücknehme und dass sie nicht an der für den 5. Juli 2019 anberaumten mündlichen Verhandlung teilnehmen würde, wenn die Kammer dennoch eine mündliche Verhandlung für geboten erachten sollte.

VII. Beide Beteiligten nahmen zu der vorläufigen Meinung der Kammer inhaltlich nicht Stellung.

VIII. Der anberaumte Termin zur mündlichen Verhandlung wurde aufgehoben und in einer Mitteilung der Geschäftsstellenbeamtin der Kammer vom 4. Juli 2019 wurde dies den Beteiligten mitgeteilt.

IX. Folgende Dokumente wurden im Beschwerdeverfahren zitiert:

D1: PATENT ABSTRACTS OF JAPAN Bd. 1997, Nr. 08,

29. August 1997 & JP 09 089693 A, (DENSO CORP),

4. April 1997

D1a: englische Maschinenübersetzung des Dokuments D1

D2: DE 101 13 591 C1

D3: FR 2 655 148 A

D4: DE 41 29 433 C2

D5: DE 295 14 273 U1

D6: W0 02/27205 A1.

X. Der unabhängige Anspruch 1 des der angefochtenen Zwischenentscheidung zugrundeliegenden Hilfsantrags 3 lautet wie folgt:

"Verfahren zur Untersuchung der Materialeigenschaften mindestens einer von zwei gegeneinander bewegter Proben (1a, 3a), auf die eine Normalkraft aufgebracht wird, mit zwei gegeneinander bewegten Probenkörpern (1a, 3a), nämlich einem beweglichen Probenkörper (1a) und einem feststehenden Probenkörper (3a), auf die eine Normalkraft aufgebracht wird, mit Magnetlagerungen (9,10), wobei die Normalkraft auf den beweglichen Probenkörper (1a) oder seine Halterung (1b) über mindestens ein Magnetfeld aufgebracht wird, dadurch gekennzeichnet, dass der bewegliche Probenkörper (1a) einer Hubbewegung entlang einer Reibfläche (2) unterworfen wird und dass die Normalkraft in Axialrichtung seitlich beiderseits des beweglichen Probenkörpers (1a) aufgebracht wird, und dass durch eine angepasste Länge der in der jeweiligen Probenführung (5, 6) integrierten ferromagnetischen Teile der Elektromagnete (7a, 8a) große Hübe (17) bei konstanter Normalkraft realisierbar sind."

Entscheidungsgründe

1. Zulassung des von der Beschwerdeführerin erhobenen Einspruchsgrunds gemäß Artikel 100 b) EPÜ 1973

1.1 In der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung hat die Beschwerdeführerin bezüglich des erteilten Anspruchs 1 erstmalig den Antrag gestellt, einen weiteren Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ in das Verfahren einzuführen. Die Einspruchsabteilung hat diesen Antrag (und damit den Einspruchsgrund) als verspätet vorgebracht und prima facie nicht relevant angesehen und gemäß Artikel 114 (2) EPÜ nicht in das Verfahren zugelassen hat (vgl. Punkt 19.2 der Entscheidungsgründe). Die Beschwerdeführerin hat im Beschwerdeverfahren geltend gemacht, dass die Einspruchsabteilung von ihrem Ermessen in fehlerhafter Weise Gebrauch gemacht habe (vgl. Beschwerdebegründung, Abschnitt II, Punkt 3 in Verbindung mit Abschnitt V). Sie hat jedoch in ihrer Beschwerdebegründung nicht weiter begründet, warum aus ihrer Sicht das Ermessen von der Einspruchsabteilung fehlerhaft ausgeübt worden sei. In ihrem Schreiben vom 2. Februar 2016 hat sie des Weiteren die Auffassung vertreten, dass ihre Ausführungen in der mündlichen Verhandlung und erst recht in der Beschwerdebegründung zur fehlenden Ausführbarkeit nach Regel 116 (1) EPÜ nicht verspätet seien und deshalb von der Einspruchsabteilung hätten berücksichtigt werden müssen. Sie wiederholte auch, dass sich der Beschwerdegegner in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung zur Stützung der vermeintlichen erfinderischen Tätigkeit auf die Schwierigkeiten berufen habe, eine ausführbare Gestaltung der Lehre nach Anspruch 1 zu realisieren (vgl. Abschnitt II).

1.2 Der Beschwerdegegner war der Meinung, dass die Einspruchsabteilung ihr Ermessen korrekt ausgeübt habe und dass die Beschwerdeführerin keine schlüssigen Argumente vorgetragen habe, die die Verspätung rechtfertigten, und auch nicht erläutert oder erklärt habe, warum ihr der angebliche Mangel an Offenbarung bis zur mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung verborgen geblieben sei (vgl. Beschwerdeerwiderung, Seiten 1 und 2). Außerdem bestritt er, dass er selbst im Zuge der mündlichen Verhandlung, Anlass gegeben hätte, den Einwand der nicht ausreichenden Offenbarung zu erheben. Er gab auch ausdrücklich nicht seine Zustimmung zur Einführung dieses Einspruchsgrunds in das Beschwerdeverfahren (vgl. Schreiben vom 9. Juni 2016, vorletzter Absatz).

1.3 Die Kammer stellt fest, dass die Beschwerdeführerin keine Ausführungen in ihrer Beschwerdebegründung dazu gemacht hat, aus welchen Gründen bzw. inwieweit die Einspruchsabteilung ihr Ermessen gemäß Artikel 114 (2) EPÜ nach Maßgabe der falschen Kriterien, unter Nichtbeachtung der richtigen Kriterien oder in willkürlicher Weise ausgeübt hat. Die Kammer ist daher der Meinung, dass die Beschwerdeführerin ihren Einwand, die Einspruchsabteilung habe ihr Ermessen bei der Nichtzulassung des weiteren Einspruchsgrunds der nichtausreichenden Offenbarung in fehlerhafter Weise ausgeübt, gemäß Artikel 12 (2) VOBK nicht ausreichend substantiiert hat, und somit berücksichtigt sie gemäß Artikel 12 (4) VOBK dieses Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht. Auch das weitere Vorbringen der Beschwerdeführerin in ihrem Schreiben vom 2. Februar 2016, dass der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ nicht verspätet geltend gemacht worden sei, enthält, wie der Beschwerdegegner auch argumentiert hat, keine substantiierte Begründung dafür, warum sie diesen Einspruchsgrund nicht bereits vor der mündlichen Verhandlung geltend machen konnte.

Im Rahmen der von der Rechtsprechung aufgestellten eingeschränkten Kriterien zur Überprüfung von Ermessenscheidungen der ersten Instanz (siehe Entscheidung G 7/93, ABl. EPA 1994, 775 und weitere zitierte Entscheidungen in Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 8. Auflage 2016, IV.E.3.6) gibt es für die Kammer auch keine Anhaltspunkte, dass die Einspruchsabteilung ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat. Die Einspruchsabteilung hat die prima facie Relevanz des neuen Einspruchsgrunds nachweislich überprüft und dies auch in der Sache begründet. Es gibt auch keinen Anhaltspunkt, dass der Einspruchsgrund der mangelnden Offenbarung nicht verspätet vorgebracht wurde, denn die Kammer kann keinen Grund erkennen, warum dieser Einspruchsgrund nicht bereits innerhalb der Einspruchsfrist geltend gemacht werden konnte, sondern erst in Reaktion auf eine Äußerung des Pateninhabers in der mündlichen Verhandlung im Rahmen der Diskussion zum 3. Hilfsantrag, dessen Anspruchssatz ausschließlich die erteilten Verfahrensansprüche 1 - 7 enthält. Es gibt somit keinen Grund für die Kammer die Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben.

1.4 Es stellt sich jedoch die Frage der Zulassung des von der Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde geltend gemachten Einspruchsgrunds gemäß Artikel 100 b) EPÜ 1973 in das Beschwerdeverfahren.

1.5 In der Entscheidung T 1286/14 vertrat die Kammer die Auffassung, dass ein von der Einspruchsabteilung nicht in das Verfahren zugelassener und mit der Beschwerdebegründung erneut vorgebrachter Einspruchsgrund als "neuer Einspruchsgrund" im Sinne von G 9/91 und G 10/91 (ABl. EPA 1993, 408 und 420) und G 1/95 (ABl. EPA 1996, 615) zu betrachten sei und nur mit Zustimmung des Patentinhabers in das Beschwerdeverfahren zugelassen werden dürfe (G 9/91 und G 10/91, Nr. 18 der Entscheidungsgründe). Ihrer Meinung nach ist ein im Beschwerdeverfahren geltend gemachter Einspruchgrund ein "neuer Einspruchsgrund", wenn er nicht in der Einspruchsschrift geltend gemacht und substanziiert wurde oder nicht von der Einspruchsabteilung in das Einspruchsverfahren eingeführt wurde (T 1286/14, Nr. 1.2.3 - 1.2.6 der Entscheidungsgründe). Folgt man dieser Auffassung, dann dürfte die Kammer im vorliegenden Fall den von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ 1973 nicht in das Beschwerdeverfahren zulassen, da der Beschwerdegegner nicht seine Zustimmung dafür gegeben hat.

1.6 In der Beschwerdesache T 620/08 (Nr. 3.4 der Entscheidungsgründe) hingegen stellte die Kammer fest, dass der Begriff "neuer Einspruchsgrund" einen erstmals im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Grund bezeichnet und dass deshalb dies nicht bei einem verspäteten Einspruchsgrund der Fall sei, der nach ausführlicher Prüfung in der angefochtenen Entscheidung ausdrücklich nicht in das Verfahren zugelassen wurde. Folgt man dieser Auffassung, dann stünde es gemäß Artikel 12 (4) VOBK vorliegend im Ermessen der Kammer, den bereits von der Einspruchsabteilung nicht in das Verfahren zugelassenen Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ 1973 in das Beschwerdeverfahren nicht zuzulassen. Die Kammer sieht jedoch keinen Grund, sich beim Ausüben ihres Ermessens gemäß Artikel 12 (4) VOBK über die fehlerfreie Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung hinwegzusetzen und den Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ 1973 im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen. Die Zustimmung des Patentinhabers ist unter Umständen ein weiteres Kriterium für die Ermessensentscheidung der Kammer nach 12 (4) VOBK. Liegt eine solche Zustimmung vor, dann könnte dies dafür sprechen, dass die Kammer in Ausübung ihres Ermessens nach 12 (4) VOBK, einen von der Einspruchsabteilung nicht in das Verfahren zugelassenen Einspruchsgrund im Beschwerdeverfahren berücksichtigt. Da der Beschwerdegegner vorliegend jedoch ausdrücklich nicht seine Zustimmung zur Zulassung des verspätet vorgebrachten Einspruchsgrunds nach Artikel 100 b) EPÜ 1973 in das Beschwerdeverfahren gegeben hat, hält es die Kammer für gerechtfertigt, dass sie diesen von der Einspruchsabteilung nicht in das Verfahren zugelassenen Einspruchsgrund im Beschwerdeverfahren in Ausübung ihres eigenen Ermessens nach Artikel 12 (4) VOBK auch nicht in das Beschwerdeverfahren zulässt.

1.7 Für den vorliegenden Fall kommt die Kammer aufgrund der obigen Ausführungen zu dem Ergebnis, dass unabhängig davon, ob der von der Beschwerdeführerin erhobene Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ 1973 als ein neuer Einspruchsgrund angesehen wird, dieser Einspruchsgrund nicht in das Beschwerdeverfahren zugelassen wird.

2. Erteilter Anspruch 1 - Einspruchsgrund der mangelnden erfinderischen Tätigkeit nach Artikel 100 a) EPÜ 1973 in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ 1973

2.1 Die Einspruchsabteilung nahm auf folgende Merkmalsgliederung des Anspruchs 1 Bezug:

1.0 Verfahren zur Untersuchung der Materialeigenschaften mindestens einer von zwei gegeneinander bewegter Proben (1a, 3a), auf die eine Normalkraft aufgebracht wird,

1.1 mit zwei gegeneinander bewegten Probenkörpern (1a, 3a), nämlich einem beweglichen Probenkörper (1a) und einem feststehenden Probenkörper (3a),

(auf die eine Normalkraft aufgebracht wird = Merkmal 1.0),

1.2 mit Magnetlagerungen (9, 10),

1.3 wobei die Normalkraft auf den beweglichen Probenkörper (1a) oder seine Halterung (1b) über mindestens ein Magnetfeld aufgebracht wird

dadurch gekennzeichnet, dass

1.4 der bewegliche Probenkörper (1a) einer Hubbewegung entlang einer Reibfläche (2) unterworfen wird und dass

1.5 die Normalkraft in Axialrichtung seitlich beiderseits des beweglichen Probenkörpers (1a) aufgebracht wird, und dass

1.6 durch eine angepasste Länge der in der jeweiligen Probenführung (5, 6) integrierten ferromagnetischen Teile der Elektromagnete (7a, 8a) große Hübe (17) bei konstanter Normalkraft realisierbar sind.

2.2 Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Sie stellte fest, dass die Beteiligten darin übereinstimmten, dass die Merkmale 1.0, 1.1 und 1.4 aus dem Dokument D4 bekannt seien, jedoch nicht die Merkmale 1.5 und 1.6 und begründete ihre Auffassung wie folgt:

Das Dokument D4 offenbare zwar Lagerungen (Figur 1, 25 und 25'), aber keine Magnetlagerungen (Merkmal 1.2). D4 offenbare außerdem, dass die Normalkraft auf den beweglichen Probenkörper aufgebracht werde, aber nicht, dass dies über ein Magnetfeld geschehe (Merkmal 1.3).

Mit der Aufgabe, den negativen Einfluss der Eigenschwingungen auf die Messergebnisse zu reduzieren oder das Verfahren aus dem Dokument D4 für große Hübe auszulegen, würde der Fachmann die im Dokument D6 offenbarte Magnetlagerung nicht zur Lösung dieser Aufgaben in Betracht ziehen, da es im Dokument D6 keine Hinweise gebe, dass eine Magnetlagerung eine Lösung für die Aufgabe, den negativen Einfluss der Eigenschwingungen auf die Messergebnisse zu reduzieren, darstelle. Weder im Dokument D4 noch im Dokument D6 fände der Fachmann eine Motivation die Lehre der beiden Dokumente zu kombinieren.

D1 offenbare eine Vorrichtung zur Messung geringer Reibkräfte. In dieser Vorrichtung werde die Normalkraft auf den nicht bewegten Probenkörper über ein Magnetfeld aufgebracht. Es gebe keine Hinweise in der Zusammenfassung des Dokuments D1, dass eine solche Aufbringung der Normalkraft eine Lösung der oben definierten Aufgaben darstelle. Der Fachmann würde die in D1 offenbarte Aufbringung der Normalkraft daher nicht zur Lösung dieser Aufgabe in Betracht ziehen. Darüber hinaus offenbare Dokument D1 nicht die Merkmale 1.3, 1.4 und 1.5. Die Implementierung der im Dokument D1 offenbarten Aufbringung der Normalkraft in einer Vorrichtung gemäß D4 würde daher nicht den Gegenstand des Anspruchs 1 ergeben (vgl. Punkt 18 der angefochtenen Entscheidung).

2.3 Die Beschwerdeführerin vertrat in der Beschwerdebegründung die Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Neben den Merkmalen 1.0, 1.1 und 1.4 sei auch das Merkmal 1.3 im Dokument D4 gezeigt, da dort die Normalkraft über einen Elektromotor erzeugt werde und somit über ein Magnetfeld (vgl. Punkt 2 der Beschwerdebegründung).

Die Einspruchsabteilung habe die objektive Aufgabe unzutreffend formuliert. Es gehe nicht darum, die Eigenschwingungen im System zu vermeiden, sondern die technische Wirkung dieser Eigenschwingungen zu eliminieren. Die objektive technische Aufgabe sei vielmehr, das im Dokument D4 offenbarte Verfahren für große Hübe auszulegen (vgl. Punkte 3 - 13 der Beschwerdebegründung).

Zudem könne die objektive Aufgabe auch darin gesehen werden, die Normalkraft berührungslos aufzubringen (vgl. Punkt 17 der Beschwerdebegründung). Bei der berührungslosen Übertragung würde der Fachmann naheliegend an Magnetkräfte denken und er würde Hinweise zur Ausgestaltung im Dokument D6 finden (vgl. Punkte 18, 19 der Beschwerdebegründung).

Auch ausgehend von der Aufgabe, große Hübe zu ermöglichen, würde der Fachmann erkennen, dass die Federplatten 25, 25' in Dokument D4 nur kleine Hübe gestatteten und die zentrale Aufbringung der Prüfkraft bei großem Hub mit einer Vorrichtung nach Dokument D4 nicht möglich sei. Dokument D4 zeige jedoch bereits eine magnetische Kraftübertragung auf den Spulenkern 36. Daher sei der Fachmann angeregt, statt der Kugeln 23, 23' Magnetlagerungen einzusetzen. Anregungen zur Ausgestaltung dazu fände er in Dokument D4 selbst, in Dokument D6 oder auch in Dokument D1 (vgl. Punkte 21, 22 der Beschwerdebegründung).

2.4 Der Beschwerdegegner teilte die Auffassung der Beschwerdeführerin nicht. Im Dokument D4 werde die Normalkraft über ein Stirnradgetriebe 47, eine Schraubspindel 45, einen Druckstab und Kugelgelenke 15, 41 übertragen und nicht über ein Magnetfeld. In der Figur 1 des vorliegenden Patents sei die Position der Elektromagnete (7a, 8a) klar dargestellt und die Funktion für einen Fachmann im Text beschrieben. Wie die Kraftübertragung bei einem Elektromagnet funktioniere sei einem Fachmann bekannt und das Vorbringen der Beschwerdeführerin diesbezüglich sei ein formalistisches Argument, das in technischer Hinsicht verfehlt sei. Daher offenbare das Dokument D4 das Merkmal 1.3 nicht.

Ausgehend von Dokument D4 sei die Definition der objektiven Aufgabe von der Beschwerdeführerin falsch formuliert und von der Einspruchsabteilung zurecht nicht übernommen worden. Die Aufgabe, die Normalkraft berührungslos aufzubringen, beinhalte bereits einen Teilschritt der Erfindung. Die Aufgabe, das Verfahren so weiter zu entwickeln, dass große Hübe ausgeführt werden könnten, stelle einen Teilaspekt dar, der gerade gegenüber dem Dokument D4 in den Hintergrund trete.

Die Beschwerdeführerin trage nicht vor, warum bei korrekt gestellter Aufgabe, so wie sie die Einspruchsabteilung formuliert habe, ein Mangel an erfinderischer Tätigkeit vorliegen solle. (Vgl. Beschwerdeerwiderung, Abschnitt "Erfinderische Tätigkeit (Art. 56 EPÜ)")

2.5 Die Kammer beurteilt die erfinderische Tätigkeit wie folgt:

2.5.1 Das von den Beteiligten als nächstliegender Stand der Technik gesehene Dokument D4 offenbart ein Verfahren zur Untersuchung der Materialeigenschaften mindestens einer (3) von zwei gegeneinander bewegter Proben (3, 9), auf die eine Normalkraft P aufgebracht wird, mit zwei gegeneinander bewegten Probenkörpern (3, 9), nämlich einem beweglichen Probenkörper (9) und einem feststehenden Probenkörper (3), auf die eine Normalkraft P aufgebracht wird, wobei die Normalkraft auf den beweglichen Probenkörper (9) oder seine Halterung (15, 17) über eine mittels eines Elektromotors (49) einstellbare Spannfeder (43) aufgebracht wird, wobei der bewegliche Probenkörper (9) einer Hubbewegung entlang einer Reibfläche (5, 7) unterworfen wird.

Im Dokument D4 wird dabei die Normalkraft mit Hilfe des Magnetfelds des Elektromotors eingestellt und somit über ein Magnetfeld auf den beweglichen Probenkörper aufgebracht. Der Wortlaut des Anspruchs präzisiert nicht genauer, wie die Normalkraft über ein Magnetfeld aufgebracht wird.

2.5.2 Der beanspruchte Gegenstand unterscheidet sich somit von der Offenbarung des Dokuments D4 dadurch,

a) dass im Verfahren Magnetlagerungen verwendet werden,

b) dass die Normalkraft in Axialrichtung seitlich beiderseits des beweglichen Probenkörpers (1a) aufgebracht wird, und

c) dass durch eine angepasste Länge der in der jeweiligen Probenführung (5, 6) integrierten ferromagnetischen Teile der Elektromagnete (7a, 8a) große Hübe (17) bei konstanter Normalkraft realisierbar sind.

2.5.3 Das Merkmal a) ermöglicht eine berührungslose Lagerung der Probenhalterung und der Einbringung der Normalkraft (vgl. Patentschrift, Absatz [0024]). Das Merkmal b) bewirkt eine Optimierung der berührungslosen Normalkrafteinbringung (vgl. Patentschrift, Absatz [0023]). Das Merkmal c) ermöglicht, wie definiert, große Hübe bei konstanter Normalkraft zu realisieren, wobei nicht spezifiziert ist, was unter "große" Hübe zu verstehen ist. Somit ermöglicht das Merkmal c) allgemein Hübe bei konstanter Normalkraft.

2.5.4 Ausgehend von den oben festgestellten Unterscheidungsmerkmalen a) bis c) und deren technischen Wirkungen besteht die objektive technische Aufgabe in der Reduzierung der negativen Einflüsse der Probenbewegung auf die Messergebnisse.

Die von der Beschwerdeführerin formulierte Aufgabe, die Normalkraft berührungslos aufzubringen, enthält bereits den Lösungsgedanken. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist die technische Aufgabe einer Erfindung jedoch so zu formulieren, dass sie keine Lösungsansätze enthält oder teilweise die Lösung vorwegnimmt (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 8. Auflage 2016, I.D.4.3.1). Die von der Beschwerdeführerin formulierte Aufgabe entspricht somit nicht den Kriterien, die gemäß dem Aufgabe-Lösungsansatz anzuwenden sind und kann deshalb nicht berücksichtigt werden.

2.5.5 Der Fachmann würde auf der Suche nach einer Lösung der oben genannten objektiven technischen Aufgabe das Dokument D6 nicht heranziehen, denn dieses Dokument betrifft nicht das technische Gebiet der Erfassung von Materialeigenschaften von zwei gegeneinander bewegten Proben bei Aufbringung einer Normalkraft, sondern ganz allgemein Magnetlagerungen. Der Fachmann würde vielmehr in den Dokumenten des gleichen technischen Gebiets nach Lösungen suchen.

In der Offenbarung des Dokuments D1 wird die Normalkraft mittels eines Schrittmotors 13 und eines elektrostriktivem Stellglieds 12 auf die bewegte Probe 9 aufgebracht (vgl. Figur 1, D1a, Absatz [0017]). Ein Magnetfeld durch die Spule 2 erzeugt eine vertikale Gegenkraft, die die Aufnahmeplatte 4 nach oben drückt (vgl. D1a, Absatz [0013]). Die Hübe werden mittels Schrittmotor 15 und elektrostriktivem Stellglied 14 realisiert (vgl. D1a, Absatz [0017]).

Das Dokument D1 offenbart jedoch weder in den Figuren (vgl. insbesondere Figur 1) noch in der Beschreibung (vgl. Übersetzung D1a), dass die Normalkraft in Axialrichtung "seitlich beiderseits" des beweglichen Probenkörpers aufgebracht wird und dass die Hübe bei konstanter Normalkraft durch eine angepasste Länge von in der Probenführung integrierten ferromagnetischen Teilen der Elektromagnete realisiert werden.

Dokument D2 offenbart eine Prüfeinrichtung zur Untersuchung von Reibeigenschaften bei Wellendichtsystemen (vgl. Zusammenfassung von D2). Eine drehbare Welle wird berührungslos mit Magnetlagern 2 und 3 gehalten und über einen Elektromotor 15 angetrieben. Das andere Ende der Welle mündet in eine Probenkammer 4 mit einer Wellendichtung 6. Die Probenkammer ist dreidimensional verschiebbar. Damit können Wellenschwingungen und Schiefstellungen hergestellt werden, um den Verschleiß der Wellendichtung zu analysieren (vgl. Absatz [0014]). Die Radiallager 2 und 3 üben bei entsprechender Position der Probenkammer eine Normalkraft auf die Dichtung aus. Die Hubbewegung wird durch die Rotation der Welle realisiert. Das Merkmal b) des Anspruchs 1 ist jedoch offensichtlich in Dokument D2 nicht offenbart.

Dokument D3 offenbart eine Vorrichtung zum Testen von Materialeigenschaften bei Reibung. Ein Testgegenstand 12 wird gegenüber den Testflächen 13 und 14 bewegt. Die Testflächen werden von beiden Seiten mit einer Normalkraft, die von dem Zylinder 8 aufgebracht wird, gegen den Testgegenstand gepresst(vgl. Figur 1; Seite 8, Zeile 25 bis Seite 9, Zeile 29). Die Merkmale a), b) und c) des Anspruchs 1 sind jedoch nicht offenbart.

2.5.6 Die Kammer kommt somit zum Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 ausgehend von dem nächstliegendem Stand der Technik gemäß Dokument D4 durch den zitierten Stand der Technik nicht nahegelegt wird.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht somit auf einer erfinderischen Tätigkeit.

3. Aus den obengenannten Gründen ist die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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