T 1776/14 () of 7.6.2017

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2017:T177614.20170607
Datum der Entscheidung: 07 Juni 2017
Aktenzeichen: T 1776/14
Anmeldenummer: 10162832.9
IPC-Klasse: B65D 39/08
B65D 55/02
B65D 55/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Spundstopfen-Originalitätsverschluss für Spundbehälter
Name des Anmelders: Schütz GmbH & Co. KGaA
Name des Einsprechenden: Greif International Holding BV
Kammer: 3.2.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 54(1)
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Beweismittel - offenkundige Vorbenutzung
Beweismittel - Affidavit
Beweismittel - Maßstab bei der Beweiswürdigung
Verspätetes Vorbringen - Rechtfertigung der Verspätung (ja)
Änderungen - zulässig (ja)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat gegen die Entscheidung, mit der der gegen das europäische Patent Nr. 2 256 056 gerichtete Einspruch zurückgewiesen wurde, Beschwerde eingelegt.

II. Der Einspruch richtete sich gegen das Patent im gesamten Umfang und stützte sich auf die in Artikel 100 a) EPÜ angegebenen Gründe mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit.

III. Die angefochtene Entscheidung stützte sich u.a. auf folgenden schriftlichen Stand der Technik:

E1: WO 2008/139196 A;

E3: WO 03/062078 A;

E4: EP 1 514 806 A;

E8: US 2008/001040 A.

Die folgenden Dokumente wurden im Einspruchsverfahren in Bezug auf eine behauptete offenkundige Vorbenutzung eingereicht:

E2.1: E-mail Turton vom 27. März 2009;

E2.2: Zeichnungskopie vom 27. März 2009;

E2.3: E-mail de Korte vom 1. April 2009;

E2.4: revidierte Zeichnung vom 2. April 2009;

E2.5: Bildschirmfoto vom 3. April 2009;

E2.6: E-mail Talaga vom 6. April 2009;

E2.7: E-mail Lecordier vom 13. Mai 2009, "Samples pour Agriplas";

E2.8: E-mail Lecordier vom 13. Mai 2009, "Samples pour Sotralentz";

E2.9: E-mail van der Klippe vom 8.April 2009;

E2.10:Broschüre der Beschwerdeführerin, undatiert;

E2.11: Erklärung des Herrn D. Willig (Sotralenz); und

E2.12: Erklärung des Herrn Claria (Sotralenz).

IV. Mit einem Bescheid vom 24. März 2017 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung mit. Als Reaktion reichte die Beschwerdegegnerin mit Schreiben vom 5. Mai 2017 Hilfsanträge 1-3 ein.

Die Beschwerdeführerin reichte mit Schreiben vom 24. Mai 2017 die folgende Erklärung ein:

E2.13: Erklärung des Herrn Lecordier (Tri-sure Closures).

V. Eine mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 7. Juni 2017 statt.

Am Ende der mündlichen Verhandlung bestätigte die Beschwerdeführerin ihren anfangs gestellten Antrag, nämlich die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents.

Die Beschwerdegegnerin nahm ihren anfangs gestellten Hauptantrag (Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt) zurück und beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geändertem Umfang gemäß dem mit Schreiben vom 5. Mai 2017 eingereichten Hilfsantrag 1 (neuer Hauptantrag) bzw. den Hilfsanträgen 2 oder 3 aufrechtzuerhalten.

Die gegenwärtige Entscheidung wurde am Ende der mündlichen Verhandlung verkündet.

VI. Der unhabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt (Änderungen gegenüber dem erteilten Anspruch 1 wurden von der Kammer hervorgehoben):

"Spundstopfenverschluss (1) für Spundbehälter (2), insbesondere für Spundfässer aus Kunststoff für Flüssigkeiten, mit einem in einen als Gewindestutzen ausgebildeten Spundstutzen (3) des Behälters einschraubbaren Spundstopfen (4) aus Kunststoff oder Metall sowie einer auf den Spundstopfen, aufrastbaren Siegelkappe (5) aus Kunststoff zum Nachweis von Manipulationen, wobei der becherförmige Spundstopfen eine zylindrische Außenwand (7) mit einem Außengewinde (8) aufweist, an deren Innenumfang Schlüsseleingreifösen (10) für einen Steckschlüssel konzentrisch zur Stopfenmittelachse angeordnet sind, die sich radial und axial in die Stopfenmulde des Spundstopfens (4) erstrecken, wobei die Siegelkappe (5) eine Siegelkappenscheibe (14) sowie eine mittels Abreißstegen (15) an die Innenseite (13) der Siegelkappenscheibe (14) angebundene, zentrische, begrenzt elastische Klemmhülse (16), die sich axial in die Stopfenmulde (12) erstreckt und an ihrem inneren Ende (17) ein radial in die Stopfenmulde (12) vorspringendes, ringförmiges Rastelement (18) aufweist zum Verrasten mit ringsegmentförmigen, in die Stopfenmulde (12) radial vorspringenden Gegenrastelementen (19) am unteren Abschnitt (20) der nach außen gewölbten, zylindersegmentförmigen Innenwände (21) der Schlüsseleingreifösen (10),

dadurch gekennzeichnet,

dass der Außendurchmesser (D1) des ringförmigen Rastelementes (18) an der Klemmhülse (16) der Siegelkappe (5) [deleted: annähernd][deleted: ]gleich dem Durchmesser (D2) der Innenwände (21) der Schlüsseleingreifösen (10) des Spundstopfens (4) ist, derart, dass beim Aufrasten der Siegelkappe (5) auf den in den Spundstutzen (3) eingeschraubten Spundstopfen (4) das ringförmige Rastelement (18) am inneren Ende (17) der Klemmhülse (16) der Siegelkappe (5) vor dem Verrasten mit den von den Innenwänden (21) der Schlüsseleingreifösen (10) des Spundstopfens (3) radial in die Stopfenmulde (7) vorspringenden Gegenrastelementen (19) durch die Innenwände (21) der Schlüsseleingreifösen (10) geführt ist."

VII. Die Beschwerdeführerin argumentiert, im Wesentlichen, wie folgt.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags erfülle die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ nicht, weil "gleich" nach Berücksichtigung der Herstellungstoleranzen einen Bereich bedeutet, der kleiner als der ursprünglich offenbarte Bereich "annähernd gleich" sei, dessen Endpunkte aber nicht in der ursprünglichen Offenbarung zu finden seien. Es gebe keine Stützung in der ursprünglich eingereichten Anmeldung für "gleich".

E1 offenbare alle Merkmale des Gegenstands des Anspruchs 1 des Hauptantrags, und insbesondere die seines kennzeichnenden Teils.

Anspruch 1 schließe nicht aus, dass die Gegenrastelemente sich radial entweder nach innen oder nach außen erstrecken. Die Offenbarung von E1 falle somit unter den Anspruch.

Dem Gegenstand dieses Anspruchs könne aus den folgenden Gründen auf der Basis der Merkmale seines kennzeichnenden Teils, die nichts Weiteres als eine einfache Einführhilfe verwirklichen, keine erfinderische Tätigkeit zuerkannt werden.

Die dadurch zu lösende Aufgabe sei darin zu sehen, das Einführen und Zusammenstecken von Spundstopfen und Siegelkappe zu vereinfachen.

Es sei aber allgemein bekannt, dass Einführhilfen wie z. B. eine Fase, eine Abrundung oder eine Erweiterung im Einführbereich das Einführen und Zusammenstecken vereinfachen.

Diese Aufgabe, nämlich mechanische Elemente einfacher zusammenzustecken, stellt sich auf jedem mechanischen Gebiet und nicht nur in dem der Spundstopfenverschlüsse. Der Fachmann hätte somit kein Problem, Lehren aus Dokumenten in Betracht zu ziehen, die dem Gebiet der Spundstopfenverschlüsse nicht angehören.

E8 zeige, wie die oben formulierte Aufgabe mit den Merkmalen des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1 gelöst werde, und stelle somit, ausgehend von E1, die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 des Hauptantrags in frage.

E2.13 sei als Reaktion sowohl auf die vorläufige Auffassung der Kammer als auch auf die mit Schreiben vom 5. Mai 2017 eingereichten geänderten Ansprüche vorgelegt worden und sei somit als zulässig zu betrachten.

Die in den E2.1-E2.13 enthaltenen Informationen seien während des Treffens vom 22. April 2009 zwischen den Herren Le Cordier, Willig und Claria öffentlich gemacht worden.

Die in E2.12 enthaltene Erklärung gelte als Beweis für die Offenkundigkeit.

Es sei offensichtlich im Interesse der Beschwerdeführerin, diese Informationen zu verbreiten, um der Öffentlichkeit zu zeigen, dass die mit dem Stopfen der E1 verbundenen Probleme gelöst gewesen seien.

Es sei somit von einer öffentlichen Zugänglichkeit auszugehen.

VIII. Die Beschwerdegegnerin argumentiert im Wesentlichen wie folgt.

Die Änderung von "annähernd gleich" zu "gleich" stelle keine Verletzung der Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ dar, weil die ursprüngliche Offenbarung ("annähernd gleich") nicht nur die Näherung, sondern auch die Gleichheit, d. h. die beanspruchte Ausführungsform, mit offenbare.

Die Neuheit gegenüber E1 sei auf der Basis der Merkmale seines kennzeichnenden Teils anzuerkennen.

Die Interpretation der Einsprechenden, wonach nicht beansprucht werde, in welche Richtung die Gegenrastelemente vorspringen, sei nicht korrekt, denn "von den Innenwänden radial in die Stopfenmulde vorspringende Gegenrastelemente" könne im Auge des Fachmanns nur bedeuten, dass diese sich in Richtung des Zentralbereichs der Stopfenmulde und somit nach innen erstrecken.

Dass der Außendurchmesser des ringförmigen Rastelements an der Klemmhülse der Siegelkappe gleich dem Durchmesser der Innenwände der Eingriffsösen des Spundstopfens sei, bedeute, dass diese Abmessungen unter Berücksichtigung der Herstellungstoleranzen vom Fachmann als gleich anzusehen seien, und bewirke, dass die Klemmhülse der Siegelkappe zwischen die Innenwände der Schlüsseleingreifösen des Spundstopfens ohne nennenswerte Kräfte, aber positionsgenau, eingeführt werden könne.

Eine einfache Erweiterung, Fase oder Abrundung ist nicht der beanspruchten Einführhilfe gleichzusetzen.

Das Fachwissen gebe keinen Hinweis darauf, zur Lösung dieser Aufgabe die Merkmale des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1 in dem Spundstopfen der E1 zu verwenden.

E8 könne dem Fachmann auch keinen Hinweis darauf geben, weil dieses Dokument ein technisches Gebiet betreffe, das mit dem Gebiet des Streitpatents nichts zu tun habe.

E2.13 sei verspätet vorgelegt worden und sollte nicht zugelassen werden.

E2.10 ist undatiert und somit nicht zu berücksichtigen.

Weil nur die Beschwerdeführerin Zugang zu Informationen über die behauptete offenkundige Vorbenutzung habe, habe sie diese lückenlos nachzuweisen.

Das sei vorliegend nicht der Fall, weil die in E2.12 enthaltene Erklärung, dass es keinen Grund seitens des Herrn Claria gebe, zu denken, dass die während des Treffens erhaltenen Informationen vertraulich waren, im Widerspruch zu den ebenfalls in dieser Erklärung behaupteten Umständen stehe, dass es sich um eine Herstellung von Mustern in begrenzter Anzahl handele, was üblicherweise nicht als eine öffentlich zugängliche Handlung angesehen werde, vor allem weil kein Verkauf nachgewiesen worden sei.

Es könne somit nicht von einer offenkundigen Vorbenutzung ausgegangen werden.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit von E2.13

Die Beschwerdegegnerin beantragt E2.13 als verspätet vorgebracht zurückzuweisen, weil diese Erklärung erst mit Schreiben vom 24. Mai 2017 vorgelegt wurde und alle dort enthaltenen Informationen bereits vor Ablauf der Einspruchsfrist zur Verfügung standen, sodass E2.13 im Einspruchsverfahren hätte eingereicht werden können.

Die Kammer kann sich diesem Vortrag nicht anschließen.

E2.13 enthält (siehe Punkt 4) die explizite Aussage, dass bei dem vorbenutzten Verschluss der Außendurchmesser des ringförmigen Rastelements (18) gleich dem Durchmesser (D2) der Innenwände (21) der Schlüsseleingreifösen ist.

Weil die Offenbarung dieses Merkmals in der vorläufigen Auffassung der Kammer angezweifelt wurde, betrachtet die Kammer E2.13 als eine Reaktion darauf.

Weil der mit Schreiben vom 5. Mai 2017 eingereichte Hilfsantrag 1 genau dieses Merkmal ("gleich" anstatt "annährend gleich") beansprucht, gilt E2.13 auch als Reaktion auf die geänderten Ansprüche.

Die Kammer entscheidet somit, E2.13 ins Verfahren zuzulassen.

2. Offenkundigkeit der behaupteten Vorbenutzung

2.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass die in E2.1-E2.13 enthaltenen Informationen während des Treffens vom 22. April 2009 zwischen den Herren Le Cordier, Willig und Claria mit Absicht öffentlich gemacht wurden. Herrn Willig und Claria gälten alle als Vertreter der Öffentlichkeit.

Weil es im Interesse der Beschwerdeführerin war, diese Informationen zu verbreiten, um der Öffentlichkeit zu zeigen, dass die mit dem Stopfen der E1 verbundenen Probleme gelöst waren, sei von einer öffentlichen Zugänglichkeit auszugehen.

Die E2.12 gelte, so die Beschwerdeführerin, als Beweis für die Abwesenheit einer Geheimhaltungsvereinbarung zwischen den Herren Le Cordier, Willig und Claria und somit auch als Beweis für die Offenkundigkeit des Gegenstands der behaupteten Vorbenutzung.

2.2 Dem kann sich die Kammer nicht anschließen.

Die in E2.12 enthaltene Erklärung, dass Herr Claria keinen Grund sah, bestimmte Informationen als vertraulich zu behandeln, betrifft einen Prototyp-Spundstopfen bei dem die Schlüsseleingreifösen ("plots de vissage") eine Fase aufweisen ("chanfreinés"). E2.11 betrifft auch einen solchen Spundstopfen.

E2.13 betrifft dagegen einen Prototyp-Spundstopfen bei dem durch spanende Bearbeitung ("machining away", E2.13, Punkt 3) der Durchmesser der Innenwände der Schlüsseleingreifösen des Spundstopfens dem Außendurchmesser eines entsprechenden ringförmigen Rastelementes an der Klemmhülse der Siegelkappe gleich gemacht wurde, um das Rastelement entlang der Klemmhülse einer Siegelkappe ohne Verformung zu führen (E2.13, Punkt 4). Es handelt sich dabei um eine zylinderförmige Erweiterung des Einführbereiches. E2.13 erwähnt somit keine Fase im Einführbereich.

Diese zweite Form entspricht der, die insbesondere in E2.3, E2.9 und auch E2.2 zu sehen ist, und als vorbenutzter Gegenstand gelten sollte.

Im Lichte des Vorbringens der Beschwerdeführerin besteht Unklarheit, und somit auch berechtigte Zweifel, ob die Erklärung des Herrn Claria als Beweis für die Offenkundigkeit eines Prototyp-Spundstopfens gelten sollte, der, wie in E2.2 und E2.13, keine Fase, sondern eine Erweiterung des Durchmessers im oberen Einführbereich aufweist.

Wenn, wie vorliegend, nur die Beschwerdeführerin Zugang zu Informationen über eine behauptete offenkundige Vorbenutzung hat, ist gemäß der Rechtsprechung (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 8. Auflage 2016 Kapitel III.G.4.3.2) diese lückenlos nachzuweisen.

Die obige Diskussion zeigt, dass die Beschwerdeführerin einen solchen lückenlosen Nachweis schuldig geblieben ist.

2.3 Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass in einem solchen Fall nur im Interesse der Beschwerdeführerin sein könne, die Informationen über den vorbenutzten Verschluss zu verbreiten, um der Öffentlichkeit zu zeigen, dass die mit dem Stopfen der E1 verbundenen Probleme gelöst waren, und macht auf dieser Basis grundsätzlich geltend, dass die Offenkundigkeit der Vorbenutzung anzuerkennen sei, weil diese als sehr wahrscheinlich anzusehen sei.

Die Kammer kann sich einer solchen Argumentationslinie nicht anschließen, weil das "Abwägen der Wahrscheinlichkeit" nur dann als Kriterium angewandt werden kann, wenn die Patentinhaberin wie die Einsprechende gleichermaßen Zugang zu dem Material hatte, dessen offenkundige Vorbenutzung behauptet wird (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, o.a. Kapitel III.G.4.3.2).

Im vorliegenden Fall ist die Kammer der Überzeugung, dass es nicht im Interesse der Firma von Herrn Willig und Claria (Sotralentz Packaging) war, der Öffentlichkeit bzw. den Kunden bekannt zu geben, dass es Probleme mit den verkauften Verschlüssen wegen des Einführens der Siegelkappe gab. Ferner war es auch nicht im Interesse der Firma Sotralentz Packaging, die anscheinend während des Treffens vom 22. April 2009 vorgezeigte Lösung zu veröffentlichen, d. h. bevor die Verschlüsse in Produktion für die Kunden zur Verfügung standen. Dies ist zu einem späteren Zeitpunkt nach dem Prioritätstag geschehen.

3. Anspruch 1 des Hauptantrags- Änderungen

3.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass die Änderung von "annähernd gleich" zu "gleich" eine Verletzung der Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ darstelle, weil "gleich" nach Berücksichtigung der Herstellungstoleranzen einen Bereich bedeute, der kleiner als der ursprünglich offenbarte Bereich "annähernd gleich" ist, dessen Endpunkte aber nicht in der ursprünglichen Offenbarung zu finden seien.

Insbesondere sei auch in der ursprünglichen Beschreibung, Seite 4, zweiter Absatz, "annähernd gleich" offenbart. Figur 1 könne auch keine Stützung bilden, weil zwei Durchmesser D1 und D2 dargestellt seien, die nicht als gleich angegeben seien.

3.2 Dem kann sich die Kammer nicht anschließen, auch wenn der Ausdruck "gleich" in der Tat in der ursprünglich eingereichten Anmeldung nicht offenbart ist. Die Kammer ist davon überzeugt, dass der Fachmann dieses Merkmal unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens unmittelbar und eindeutig aus der früheren Anmeldung als Ganzem, insbesondere der Seite 4, zweiter Absatz und Figur 1, entnehmen kann. "Gleich" gilt für den fachkundigen Leser nicht als eine neue Lehre im Lichte vom "annähernd gleich".

Wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen, ist der Ausdruck "gleich" wegen der Herstellungstoleranzen als ein Bereich anzusehen. So einen Toleranzbereich zu erkennen und seine Endpunkte zu bestimmen, ist das was der fachkundige Leser auf der Basis seines Fachwissens immer tut.

Die Kammer kommt daher zu dem Ergebnis, dass diese Änderung keine Verletzung der Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ bewirkt.

Wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen, stellt die eingeführte Änderung eine Beschränkung im Vergleich zu Anspruch 1 des erteilten Patents dar. Deshalb sind die Erfordernisse des Artikels 123 (3) EPÜ auch erfüllt.

4. E1- Inhalt der Offenbarung

4.1 E1 offenbart einen Spundstopfenverschluss ("plug and overseal", siehe die Figuren 9a-9c) für Spundbehälter, mit einem in einen als Gewindestutzen ausgebildeten Spundstutzen des Behälters (1, siehe die Figuren 9a-9c) einschraubbaren Spundstopfen (6, "closure plug") implizit aus Kunststoff oder Metall (von der Beschwerdegegnerin unbestritten) sowie einer auf den Spundstopfen, aufrastbaren Siegelkappe (23) aus Kunststoff (siehe Seite 6, Zeile 2) zum Nachweis von Manipulationen, wobei der becherförmige Spundstopfen (6) eine zylindrische Außenwand mit einem Außengewinde (siehe die Figuren 9a-9c) aufweist, an deren Innenumfang Schlüsseleingreifösen (12, 13, siehe auch Figur 3 und Seite 2, Zeilen 19-20) für einen Steckschlüssel konzentrisch zur Stopfenmittelachse angeordnet sind, die sich radial und axial in die Stopfenmulde des Spundstopfens (siehe Figur 3) erstrecken, wobei die Siegelkappe (23) eine Siegelkappenscheibe (24, siehe Figur 6) sowie eine mittels Abreißstegen (30) an die Innenseite der Siegelkappenscheibe (24) angebundene, zentrische, begrenzt elastische Klemmhülse (26, "attachment ring"), die sich axial in die Stopfenmulde erstreckt und an ihrem inneren Ende (27) ein radial in die Stopfenmulde vorspringendes, ringförmiges Rastelement (28, 29) aufweist zum Verrasten mit ringsegmentförmigen, in die Stopfenmulde radial angeordneten Gegenrastelementen (17, "locking groove", siehe Seite 2, Zeile 18) am unteren Abschnitt (siehe die Figuren 9a-9c) der nach außen gewölbten, zylindersegmentförmigen Innenwände der Schlüsseleingreifösen (12, 13).

4.2 Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass Anspruch 1 nicht spezifiziere, in welcher radialen Richtung (nach innen oder nach außen) die Gegenrastelemente vorspringen.

Grund dafür sei auch, dass der ebenfalls in Anspruch 1 enthaltene Ausdruck "radial in die Stopfenmulde vorspringendes ringförmiges Rastelement" sich eindeutig auf ein Element (18, siehe Figur 1 des Streitpatents) beziehe, das weg vom Zentralbereich der Stopfenmulde und somit nach außen, und nicht nach innen gerichtet ist.

Die Beschwerdeführerin macht auf dieser Basis geltend, dass "radial in die Stopfenmulde vorspringende Gegenrastelemente" so zu interpretieren sei, dass diese sich sowohl nach innen als auch nach außen erstrecken können.

Aus diesem Grund könne die weg vom Zentralbereich der Stopfenmulde und somit nach außen gerichtete Rille der E1 ("locking groove" 17, siehe Figur 2) ebenfalls als radial vorspringendes Gegenrastelement gemäß Anspruch 1 angesehen werden.

Falls Anspruch 1 die Alternative "nach außen" ausschließen würde, könne die obere Oberfläche der Rille (17) als das radial vorspringende Gegenrastelement nach innen gemäß Anspruch 1 angesehen werden.

Dem kann sich die Kammer nicht anschließen, weil Anspruch 1 spezifiziert, dass diese "radial in die Stopfenmulde vorspringenden Gegenrastelemente" von den Innenwänden der Schlüsseleingreifösen des Spundstopfens vorspringen. Dies impliziert, dass die Gegenrastelemente nach innen gerichtet sind.

In Kombination mit den im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 angegebenen Durchmessern kann die obere Oberfläche der Rille 17 der E1 nicht die beanspruchten Gegenrastelemente, d. h. einen Teil des Spundstopfens wie ein Ring, der nach innen vorspringt, darstellen.

Daraus folgt, weil die Innenwände bei E1 gerade sind und radial nach außen eine Rille ("locking groove") aufweisen, dass es in E1 keine radial vorspringenden Gegenrastelemente gemäß Anspruch 1 gibt.

4.3 E1, Figuren 9a-9c zeigt, dass der Außendurchmesser des ringförmigen Rastelementes (29) an der Klemmhülse (26) der Siegelkappe (23) etwas größer ist als der Durchmesser der Innenwände (16) der Schlüsseleingreifösen (12) des Spundstopfens (6) (siehe auch Seite 6, Zeilen 7-10).

Im Gegensatz zur Meinung der Beschwerdegegnerin ist die Kammer der Auffassung, dass diese Konfiguration geeignet ist, um das ringförmige Rastelement zu führen, jedoch mit Verformung des Rastelementes. Eine solche Führung mit Verformung ist jedoch wegen der gleichen Durchmesser D1 und D2 mit dem beanspruchten Spundstopfenverschluss nicht vorgesehen bzw. ausgeschlossen.

5. Anspruch 1 - Neuheit

Die oben geführte Diskussion zeigt, dass die Merkmale des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1 des Hauptantrags in E1 nicht offenbart sind.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist deswegen neu gegenüber E1.

6. Anspruch 1 - erfinderische Tätigkeit

6.1 Startpunkt

E1 wird von beiden Parteien wie auch von der Kammer als ein geeigneter Startpunkt für die Diskussion der erfinderischen Tätigkeit angesehen.

6.2 Wirkung - Aufgabe

Die oben identifizierten Unterscheidungsmerkmale bewirken, dass die Klemmhülse ohne nennenswerte Verformungen, aber mit verbesserten Positionsgenauigkeit in die Stopfenmulde eingeführt werden kann, bis die Stopfenmulde am unteren Abschnitt der nach außen gewölbten, zylindersegmentförmigen Innenwände der Schlüsseleingreifösen, nämlich da wo die ringsegmentförmige Gegenrastelemente, die in die Stopfenmulde radial vorspringen, eng genug wird, um mit der Klemmhülse zu verrasten.

Die damit verbundene Aufgabe lautet somit, das Einführen der Klemmhülse der Siegelkappe in die Stopfenmulde einfacher und zuverlässiger zu gewährleisten (siehe auch die angefochtene Entscheidung, Punkt 2.6).

6.3 Anwendung des Fachwissens

Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass die Ausbildung von Einführhilfen in Form einer Erweiterung einer Fase oder einer Abrundung im oberen Bereich der Stopfenmulde eine Maßnahme ist, zu der der Fachmann ohne erfinderische Tätigkeit greifen würde, um die Einführung der Klemmhülse und deren Zusammenstecken mit der Stopfenmulde zu vereinfachen.

Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass diese bekannte Maßnahme ausreichend sei, um von E1 ausgehend zum Gegenstand des Anspruchs 1 zu gelangen.

Dem kann sich die Kammer nicht anschließen, weil die beanspruchte Lösung ("gleich") nicht einer einfachen Erweiterung, Fase oder Abrundung gleichzusetzen ist.

In der Tat gibt es keinen Grund für den Fachmann, auch wenn er an eine Erweiterung denken würde, zu den gleichen Durchmessern D1 und D2 wie beansprucht zu gelangen. Dass dies zum Fachwissen gehört, wurde von der Beschwerdeführerin nicht nachgewiesen.

Ferner ist die Kammer der Überzeugung, dass der Durchmesserunterschied zwischen dem Außendurchmesser des ringförmigen Rastelementes (29) und dem Durchmesser der Innenwände (16) der Schlüsseleingreifösen (12) ein wesentliches Merkmal des Verschlusses von E1 dargestellt.

Grund dafür ist (siehe insbesondere Seite 6, Zeilen 7-10 der Beschreibung), dass die Montage der Siegelkappe auf dem Spundstopfen gemäß E1 möglich ist, weil die engeren Innenwände der Schlüsseleingreifösen beim Aufrasten der Siegelkappe auf den in den Spundstutzen eingeschraubten Spundstopfen das ringförmige Rastelement (29) am inneren Ende (28) der Klemmhülse (26) der Siegelkappe radial in die Stopfenmulde verformen und dadurch führen.

Der Fachmann würde somit nicht von sich aus eine Einführhilfe in den Verschluss der E1 aufnehmen, die den Verzicht auf diesen gemäß der Lehre der E1 erforderlichen Durchmesserunterschied erfordern würde.

6.4 Lehre der E8

6.4.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass die Aufgabe, mechanische Elemente einfacher zusammenzustecken, sich auf jedem mechanischen Gebiet stellt und nicht nur in dem der Spundstopfenverschlüsse.

Der Fachmann hätte somit kein Problem Lehren aus Dokumenten in Betracht zu ziehen, die dem technischen Gebiet des Spundstopfenverschlüsse nicht angehören.

E8 zeige, wie die oben formulierte Aufgabe mit den Merkmalen des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1 gelöst werde, und stelle somit, ausgehend von E1, die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 des Hauptantrags in frage.

6.4.2 Die Kammer kann sich nicht der Auffassung der Beschwerdeführerin anschließen, dass ein Fachmann über Kenntnisse auf dem speziellen Gebiet der Kabelbinder für den Fahrzeugbau verfüge und sich dadurch bei der Lösung der Aufgabe leiten ließe.

Grund dafür ist, dass es sich dabei nicht um Gegenstände des täglichen Lebens handelt, sondern um solche, die auf einem technischen Gebiet Anwendung finden, das mit der beanspruchten Erfindung keine Berührungspunkte aufweist.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ist somit als erfinderisch gegenüber der Kombination der Lehren der Schriften E1 und E8 zu bewerten.

6.5 Im Lichte der oben angegebenen Gründe beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geändertem Umfang mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:

- Ansprüche 1 bis 6 gemäß Hauptantrag, eingereicht als Hilfsantrag 1 mit Schreiben vom 5. Mai 2017;

- Beschreibung: Seiten 1 bis 5 gemäß Hauptantrag, eingereicht als Hilfsantrag 1 mit Schreiben vom 5. Mai 2017;

- Figuren 1 bis 4 der Patentschrift.

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