T 1410/14 () of 14.10.2015

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2015:T141014.20151014
Datum der Entscheidung: 14 October 2015
Aktenzeichen: T 1410/14
Anmeldenummer: 05108112.3
IPC-Klasse: B61D 3/10
B61G 5/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: B
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Großräumiges Fahrzeug zur Personenbeförderung, insbesondere Schienenfahrzeug, mit gelenkig verbundenen Wagenkästen
Name des Anmelders: Siemens Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: Bombardier Transportation GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54(2)
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Neuheit - offenkundige Vorbenutzung -
nicht bewiesen, dass alle Merkmale öffentlich zugänglich waren
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

Merkmale eines nur für einen kurzen Zeitraum sichtbaren Gegenstands sind nur dann der Öffentlichkeit zugänglich geworden, wenn zweifelsfrei nachgewiesen ist, dass für den Fachmann in diesem kurzen Zeitraum die Merkmale eindeutig und unmittelbar zu erkennen waren (Gründe, 2.1-2.5).

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1551/14

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts, die am 28. April 2014 zur Post gegeben wurde und mit der der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 1647462 aufgrund des Artikels 101 (2) EPÜ zurückgewiesen worden ist.

II. Die Einspruchsabteilung hat in Bezug auf die behauptete Vorbenutzung durch das Fahrzeug 1206 "City Runner" der kommunalen Verkehrsbetriebe Lodz (MPK Lodz) entschieden, dass die Öffentlichkeit zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht von der Erfindung mit den Merkmalen des Anspruch 1 wie erteilt hat Kenntnis erhalten können. Somit war die Offenkundigkeit der behaupteten Vorbenutzung nicht gegeben.

Im Rahmen der behaupteten offenkundigen Vorbenutzung sind unter anderem die folgenden Dokumente vorgelegt worden:

D1: Seiten 1/14 bis 7/14 der Firmenspezifikation "Specification of Purchased Parts", "SMP-No. 0020" mit dem Titel: ,,City-Runner flexible roof- articulation" der Bombardier Transportation GmbH, Datumsangabe "compiled" bzw. "verified" 3. September 2002

D2: Konstruktionszeichnung Nr. CR-158-0660-1 der Bombardier Transportation GmbH, 1 Blatt, Datumsangabe auf dem Plankopf "150104"

D3: Konstruktionszeichnung Nr. CR-158-0403-1 der Bombardier Transportation GmbH, 1 Blatt, ohne Datum

D4: Details des Fahrzeugs Nr. 1206 gemäß der behaupteten offenkundigen Vorbenutzung, Farbfoto, mit Aufdruck 2004.4.24

D12: Interner Bericht "Gelenkstangenkraftmessung Cityrunner Lodz April 2004", 3EGN 170121-0000,

17. Juni 2004,

Bombardier Transportation GmbH,

Seiten 1 bis 25

D13: Auszug aus Google Maps,

"https://maps.google.de/maps",

Suchbegriff ,,Bandurskiego - Dworzec Lodz - Kaliska (1595), Lodz, Polen",

eine Seite mit Kommentaren der Beschwerdeführerin

D14: Screenshot aus Google Maps Street View, "https://maps.google.de/maps",

"Bandurskiego - Dworzec Lodz - Kaliska (1595), Lodz, Polen",

eine Seite mit Kommentaren der Beschwerdeführerin

D15: Fahrzeugs Nr. 1206 gemäß der behaupteten offenkundigen Vorbenutzung, SW-Fotografie,

eine Seite mit Aufdruck 2004.4.26

D16: Fahrzeugs Nr. 1206 gemäß der behaupteten offenkundigen Vorbenutzung, SW-Fotografie,

eine Seite mit Aufdruck 2004.4.27

III. Des Weiteren hat die Einspruchsabteilung entschieden, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 neu ist und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, im Hinblick auf folgenden Stand der Technik:

D5 : DE 11 64 246

D17 : DE 44 46 282 C1

IV. Am 14. Oktober 2015 fand vor der Beschwerdekammer eine mündliche Verhandlung statt.

Die Beschwerdeführerin beantragte den Widerruf des Patents in vollem Umfang. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

V. Anspruch 1 wie erteilt lautet wie folgt (Einfügung der Nummerierung der Merkmale in eckigen Klammern durch die Kammer):

Großräumiges Fahrzeug zur Personenbeförderung, insbesondere Schienenfahrzeug, das durch Gelenkverbindungen gekoppelte Wagenkästen (1,2) aufweist [Ml.1],

von denen wenigstens zwei Wagenkästen jeweils auf einem Drehgestell oder Fahrwerk abgestützt sind [M1.2],

wobei als Schwenklagerungen ausgebildete Gelenkverbindungen bei Kurvenfahrt Drehbewegungen (D) der Wagenkästen (1,2) um die Hochachse (5) zulassen [M1.3],

wobei zumindest eine der Schwenklagerungen im oberen Fahrzeugbereich in Fahrzeugquerrichtung verschiebbar (Q) an einen der Wagenkästen (1) angeschlossen ist und dadurch neben den Drehbewegungen (D) um die Hochachse (5) auch Wankbewegungen der Wagenkästen (1,2) um die Fahrzeuglängsachse ermöglicht [M1.4],

dadurch gekennzeichnet, dass die Schwenklagerung eine Konsole (3) aufweist, die am Wagenkasten (1) in Fahrzeugquerrichtung (Q) verschiebbar gehalten ist [M1.5].

VI. Die Beschwerdeführerin brachte im Wesentlichen die folgenden Argumente vor:

Die Vorbenutzung habe unstrittig am 26. April 2004 in Lodz stattgefunden. Dort sei ein Straßenbahnwagen der Fa. Bombardier mit einem Gelenk gemäß den Merkmalen des strittigen Anspruchs 1 zum Zweck der Erprobung gefahren. Dabei habe es sich um eine ausgesuchte Strecke (vgl. D13) durch Lodz gehandelt, die insgesamt 13 mal mit diesem Fahrzeug abgefahren worden sei. Der Fahrzeugzug habe vier Verbindungsstellen zwischen den Wagenkästen aufgewiesen. Ziel der Versuchsfahrt sei es gewesen, die Belastung im Schwenklager zu messen. Die Messergebnisse seien in D12 dargestellt, insbesondere in den Abbildungen 16 und 17. Das Schwenklager gemäß den Merkmalen des Anspruch 1 sei von oben gut einsehbar gewesen. Da die Straßenbahn eine Strecke gefahren sei, über die eine Fußgängerbrücke führe, habe jede Person der Öffentlichkeit diese Schwenklagerung betrachten können. Dabei sei insbesondere das Merkmal erkennbar gewesen, wonach die Konsole verschiebbar quer zur Fahrtrichtung am Wagenkasten gehalten werde. Der Fahrzeugzug sei in diesem Bereich mit einer Geschwindig­keit zwischen 20 und 40 Stundenkilometern unterwegs gewesen. Die Strecke im Bereich unterhalb der Fußgängerbrücke sei in einem schlechten Zustand, so dass die Wagenkästen zueinander erhebliche Wank­bewegungen ausgeführt hätten. Daher habe sich die Konsole in der Längsführung bewegen müssen. Da dies weiterhin Bewegungen der Konsole in Querrichtung in der Größenordnung von zwei bis zweieinhalb Zentimeter zur Folge habe, habe man dies auf der Brücke erkennen können.

Auf jeden Fall aber sei das Gelenk mit den erfindungsgemäßen Merkmalen bei Anfertigung und Betrachtung von Foto- oder Videoaufnahmen der Durchfahrt unter der Brücke erkennbar gewesen.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 wie erteilt sei durch die Offenbarung des Dokuments D17 neuheitsschädlich vorweggenommen. So bilde in D17 insbesondere der mit der Lagerschale 16 des Gelenklagers 5 verschweißte Lagerbock 9 eine Konsole dieser Schwenklagerung im Sinne des Streitpatents. Diese sei fraglos mit dem Wagenkasten in Fahrzeugquerrichtung verschiebbar gehalten.

Das Streitpatent definiere das Merkmal ,,Konsole" nicht. Ebenfalls berücksichtige auch das Streitpatent nicht die allgemeinen Vorstellungen eines Fachmanns, was unter einer Konsole zu verstehen sei, da die erfindungsgemäße Konsole verschiebbar sei. Daher könne das Element aus Lagerschale und Lagerbock in D17 als Konsole betrachtet werden.

Weiterhin sei der Gegenstand des Anspruchs 1 durch die Kombination von D17 mit dem allgemeinen Fachwissen nahegelegt. Die Aufgabe bestehe darin, die räumlich beengte Situation zwischen den beiden Wagenkästen in D17 zu verbessern. So sei vor allem durch die weit hervorstehenden Konsolen kein großer Knickwinkel zu erreichen. Daher würde der Fachmann die Konsole 4 in ihrer Längsausdehnung verkleinern und die Vorrichtung, bestehend aus Lagerbock 9 und Lagerschale 16, ebenfalls am Wagenkasten befestigen. Dann nämlich sei die Vorrichtung bestehend aus Lagerbock 9 und Lagerschale 16 im Sinne der erfindungsgemäßen Konsole in Fahrzeugquerrichtung verschiebbar. Dies ermögliche einen größeren Knickwinkel.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, wenn der Fachmann von Dokument D5 ausgehe und es mit dem Dokument D17 kombiniere. Dort bestehe die zu lösende Aufgabe darin, mehr Raum, z.B. für Zusatzaggregate zu schaffen. Somit sei es für ihn naheliegend, die auf dem linken Wagen­kasten (vgl. D5, Figur 2) montierte Vorrichtung gegen die querverschiebliche Konsole (Figur 2 der D17) auszutauschen. Damit falle der Befestigungspunkt für den Arm 2 fort und der Konstrukteur gewinne Platz auf dem Fahrzeugdach.

VII. Die Beschwerdegegnerin erwiderte die Argumente wie folgt:

Die öffentliche Zugänglichkeit des erfindungsgemäßen Schwenklagers durch die Testfahrt auf der Strecke gemäß D13 sei nicht nachgewiesen. Der Fachmann habe die Vorrichtung überhaupt nur von oben erkennen können. Seitlich sei das Schwenklager verdeckt gewesen. Da das streitgegenständliche Schwenklager zwischen zwei Wagenkästen angeordnet gewesen sei, sei ein Einblick von der Fußgängerbrücke nur direkt senkrecht von oben, nicht aber schräg gewährt worden. So sei es nicht möglich gewesen, das Gelenk über eine längere Zeit zu beobachten. Außerdem werde bestritten, dass der Fachmann ohne aufwendige videooptische Verfahren, z.B. mit einer Hochgeschwindigkeitskamera, die Bewegung im Schwenklager hätte erfassen können. Es habe auch die Beobachtungssituation nicht verbessert, dass der Fahrzeugzug insgesamt 13 mal, mit jeweils 4 montierten Schwenklagern, unter der Brücke vorbeigefahren sei, da eine beobachtende Person jedesmal nur einen kurzen Blick auf das Gelenk habe werfen können. Dabei sei jedesmal dasselbe beobachtet worden, nämlich, dass dort eine Straßenbahn mit einem konventionellen Lager zur Verbindung von Wagenkästen fährt: eine Bewegung in der Gummiführung habe selbst ein Fachmann nicht erkennen können.

Des Weiteren sei der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 neu und erfinderisch.

So könne die Einheit aus Lagerschale und Lagerbock in D17, vgl. Figur 2, nicht als eine Konsole im Sinne des strittigen Anspruchs 1 verstanden werden. Konsolen in D17 seien durch die Bauteile 3 und 4 repräsentiert und diese seien nicht beweglich. Unter einer Konsole verstehe ein Fachmann einen beabstandeten Träger; dabei aber schränke die erfindungsgemäße Verschiebbarkeit dieses Verständnis nicht ein. Beweglich in D17 sei lediglich die Schubstange; der von der Beschwerde­führerin als Konsole bezeichnete Lagerbock sei überhaupt nur drehbeweglich in Bezug auf die Konsole 3 gehalten.

Aus demselben Grund könne auch die erfinderische Tätigkeit in Zusammenhang mit Dokument D17 nicht in Frage gestellt werden. So werde auch der Lagerbock 9 zu keiner Konsole, wenn die Schubstange nunmehr an beiden Enden am Wagenkasten befestigt sei. Dies gelte gleichermaßen für D17 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen, als auch für die Vorrichtung gemäß D5.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die behauptete offenkundigen Vorbenutzung, deren Gegenstand insbesondere in den Dokumenten D4 und D15 dargestellt ist (D4 und D15 sind Bilder eines Koppelgelenks), ist kein Stand der Technik gemäß Artikel 54(2) EPÜ.

Von den Parteien wurde nicht bestritten, dass am 26. April 2004 ein Fahrzeug (1209, "City Runner") mit den Merkmalen des strittigen Anspruchs 1 im öffentlichen Verkehrsraum der Stadt Lodz (PL) gefahren ist. Weiterhin ist unstrittig, dass das streit­gegen­ständliche Koppelgelenk lediglich von oben, nämlich z.B. von der Fußgängerbrücke, die wie in D13 und D14 dargestellt über die Fahrtrasse führt, einsehbar gewesen ist.

Die Kammer sieht es nicht als bewiesen an, dass ein Fachmann die Möglichkeit hatte, während dieser Vorbenutzungs­handlung alle Merkmale der Erfindung zu erkennen. Insbesondere hat die Beschwerdeführerin nicht ausreichend dargetan, dass für den Fachmann das Merkmal 1.5, wonach eine zur Schwenklagerung gehörende Konsole am Wagenkasten verschiebbar gehalten werde, bei den Testfahrten in Lodz erkennbar gewesen war.

Die Gründe dafür sind wie folgt:

2.1 Zunächst ist festzustellen, dass das Merkmal 1.5, wonach eine zur Schwenklagerung gehörende Konsole am Wagenkasten verschiebbar gehalten werde, auch für einen Fachmann nur dann erkennbar ist, wenn sich die Konsole in der Gummilagerung erkennbar bewegt. Dieser Punkt ist ebenfalls unstrittig.

Aus Sicht der Kammer sind daher im Wesentlichen zwei Aspekte zu prüfen:

- Hat an der Stelle der Gleistrasse, an der eine Person das Gelenk von oben hätte einsehen können, eine Wankbewegung stattgefunden, die eine signifikante Bewegung der Konsole ausgelöst hat?

- Hat eine beobachtende Person überhaupt lange genug Zeit gehabt, das Gelenk zu beobachten, um diese Bewegung der Konsole in Fahrzeugquerrichtung dann zu erkennen?

2.2 Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen, dass Wankbewegungen der Wagenkästen zu Bewegungen in der Schwenk­lagerung der Konsole im Bereich von bis zu insgesamt 4 bis 5 Zentimeter (+/- 2 bis 2,5 cm) führten. Die Kammer folgt ihr darin, dass eine derartige Verschiebung so groß ist, dass sie von einer Person, ggf. mit Hilfe von Foto- oder Videoaufnahmen fraglos aus einer Entfernung von 5 Metern erkannt werden kann.

2.3 Die Kammer hält es aber für nicht ausreichend dargelegt, dass der Fachmann ausreichend Zeit gehabt hat, die Verschiebebewegung des Gelenkes zu erfassen, die nötig ist, um das Merkmal 1.5 in seiner Bedeutung zu erkennen. So ist vor allem offengeblieben, wie lange eine auf der Fußgängerbrücke stehende Person die Gelegenheit gehabt hätte, die Verschiebung der gelagerten Konsole zu beobachten.

Dazu ist vor allem nicht zweifelsfrei bewiesen worden, dass das streitgegen­ständliche Gelenk nicht nur in dem kurzen Moment einseh­bar gewesen ist, in dem es sich direkt unter der Brücke befunden hat, also dass eine auf der Brücke stehende Person es nicht nur bei einem im Wesentlichen senkrecht nach unten gerichteten Blick hat erkennen können.

Die Beschwerdeführerin hat angegeben, dass das Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von 20 bis 40 Stunden­kilometern unterwegs gewesen sei; dies entspricht einer Geschwindigkeit von etwa 5,5 bis 11 Meter pro Sekunde, so dass der Zeitraum zur Beobachtung aus einer im Wesentlichen senkrechten Perspektive auch bei nur 20 km/h im Bereich von weniger als eine Sekunde liegt.

2.4 Die von der Beschwerdeführerin aufgeworfene Frage, ob mit Hilfe von Foto- oder Videoaufnahmen die Merkmale des streitgegenständlichen Gelenks auch in dem kurzem Zeitraum hätten erkannt werden können, kann dahingestellt bleiben, da es weiterhin nicht bewiesen worden ist, dass in diesem kurzen Zeitraum sich die Konsole in der Gummilagerung signifikant bewegt hat.

Zu diesem Zweck hätten genau in diesem Zeitraum Wankbewegungen der Wagenkästen stattfinden müssen, derart, dass sich die auf demselben Drehgestell gehaltenen Wagenkästen zueinander verdrehen und sich damit die erfindungsgemäße Konsole in ihrem Gummilager verschiebt. Auch wenn man die Behauptung der Beschwerde­führerin als wahr unterstellt, es handele sich im Bereich vor und unterhalb der Brücke um einen Fahrweg mit einer Kurve, der sich in besonders schlechtem Zustand befunden habe, und es hätten gerade in diesem Bereich Wankbewegungen stattgefunden (wie den Abb. 16 und 17 der D12 zu entnehmen sei), kann nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass justament zu dem Zeitpunkt, in dem das betreffende Drehgestell unter der Brücke durchfährt, eine Wankbewegung ausgelöst wurde, die ein Verschieben der Konsole hätte erkennen lassen. Denn auch wenn eine Wankbewegung stattgefunden hätte, ist es fraglich, ob die Wankbewegung ein derart starkes Verschieben der Konsole hervorgerufen hätte, dass dieses vom Fachmann auch als solches unmittelbar und eindeutig zu identifizieren gewesen wäre, und ob die Verschiebungen insbesondere eindeutig von anderen Bewegungen von Teilen (z.B. verursacht durch Vibrationen und Deformationen) des sich in Bewegung befindlichen Fahrzeuges zu trennen war.

2.5 In diesem Zusammenhang spielt es auch keine Rolle, dass der Fahrzeugzug die Brücke insgesamt 13 mal passiert hat und der Fahrzeugzug mit vier erfindungsgemäßen Schwenk­lagern ausgestattet war, da jede dieser Passagen eines Drehgestells dieselbe Beobachtungs­situation hervorruft: da für die einsehbare Gleisstelle keine Auslösung einer Wankbewegung nachgewiesen wurde, die zu einer ausreichend deutlichen Verschiebung der Konsole gerade bei der Durchfahrt unter der Brücke geführt hat, ist die Offenbarung des Merkmals 1.5 nicht bewiesen.

Auch eine erneute Vernehmung des Zeugen, wie von der Beschwerdeführerin vorgeschlagen, würde diesen Punkt nicht weiter aufklären können. Der Zeuge hat angegeben, für den Einbau des strittigen Schwenklagers zuständig und vor Ort gewesen zu sein; er hat aber bereits bestätigt, nicht an den Versuchsfahrten teilgenommen zu haben. Insofern kann er zu der Frage, ob es direkt unter der Fußgängerbrücke zu Wankeffekten und dadurch bedingten signifikanten Verschiebungen der Konsole gekommen ist, keine Aussage machen.

3. Der Gegenstand der Erfindung gemäß dem erteilten Anspruch 1 ist neu gegenüber dem Stand der Technik gemäß D17 (Artikel 54(1) EPÜ), des Weiteren beruht der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

3.1 Die Kammer ist der Auffassung, dass D17 nicht das Merkmal offenbart, wonach die Schwenklagerung eine Konsole aufweist, die am Wagenkasten in Fahrzeugquerrichtung verschiebbar gehalten ist.

Die Beschreibung der D17 offenbart Konsolen 3 und 4, die jeweils fest - und nicht etwa verschiebbar - mit dem Wagenkasten verbunden sind (siehe Figur 1, Spalte 2, Zeilen 9 ff.).

3.2 Die Beschwerdeführerin führte aus, dass das Merkmal Konsole nicht näher bestimmt sei, und somit könne die Lagerschale 16 des Gelenklagers 5 mit dem daran verschweißten Lagerbock 9 als eine Konsole im Sinne des Streitpatents angesehen werden. Diese sei mit der Schubstange verschiebbar am Wagenkasten gehalten.

Die Kammer folgt hierbei im Wesentlichen der Auffassung der Beschwerdegegnerin, wonach eine Konsole nach fachmännischer Bedeutung einen beabstandeten Träger darstellt. Sowohl im Streitpatent, als auch in D17 (vgl. Konsole 3 in Figur 1 und Spalte 2, Zeilen 9 bis 11) nimmt dieser beabstandete Träger eine Schwenklagerung auf und ist am Wagenkasten gehalten. Auch die Tatsache, dass die Konsole im Streitpatent verschiebbar am Wagen­kasten angebracht ist, stellt dieses fachmännische Verständnis des Merkmals Konsole nicht in Frage.

3.3 Aus demselben Grund beruht der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit, ausgehend von D17 in Kombination mit dem Wissen des Fachmanns. Auch wenn man der Argumentation der Beschwerdeführerin folgen würde, nämlich dass der Fachmann die Konsole 4 verkürzen würde, um einen größeren Knickwinkel zu ermöglichen, und die Vorrichtung gemäß Figur 2 am freien Ende ebenfalls am Wagenkasten fixieren würde, bleibt die o.g. Betrachtung der Kammer auch in diesem Falle gültig: die Einheit aus Lagerbock 9 und Lagerschale 16 ist keine Konsole im Sinne des Anspruchs 1 der strittigen Erfindung.

3.4 Auch ausgehend von D5 kann D17 nicht die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 wie erteilt in Frage stellen. Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass zur Platzersparnis die Vorrichtung auf dem linken Wagenkasten (vgl. D5, Figur 2) gegen die Vorrichtung nach Figur 2 der D17 ausgetauscht werden könne.

Selbst wenn der Fachmann diesen Schritt in Erwägung ziehen sollte, stellt - wie oben zur Neuheit ausgeführt - der Lagerbock 9 keine Konsole im Sinne des Anspruchs 1 dar. Somit würde selbst die Kombination der Dokumente D5 und D17 nicht alle Merkmale des erteilten Anspruchs 1 offenbaren.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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