T 0387/14 () of 13.2.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T038714.20190213
Datum der Entscheidung: 13 Februar 2019
Aktenzeichen: T 0387/14
Anmeldenummer: 07785618.5
IPC-Klasse: B29C 49/12
B29C 49/66
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN UND VORRICHTUNG ZUR BLASFORMUNG VON BEHÄLTERN
Name des Anmelders: KHS Corpoplast GmbH
Name des Einsprechenden: Krones AG
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
European Patent Convention 1973 Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(3)
Schlagwörter: Spät eingereichte Beweismittel - zugelassen (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag und Hilfsanträge (nein)
Spät eingereichter Antrag - eingereicht in der mündlichen Verhandlung
Spät eingereichter Antrag - zugelassen (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die am 10. Januar 2014 zur Post gegebene Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, dass das europäische Patent Nr. 2 040 905 (nachfolgend als "das Patent" bezeichnet) auf der Grundlage des am 14. November 2013 eingegangenen Hauptantrags den Erfordernissen des Europäischen Patentübereinkommens genüge.

II. Der Einspruch war gegen das Patent in vollem Umfang eingelegt worden und mit den Einspruchsgründen nach Artikel 100 a) EPÜ 1973 (fehlende Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit) begründet worden.

III. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:

D13 |EP 1 314 535 A1; |

D15 |JP 2000-343590 A; |

D15a|englischsprachige Übersetzung derBeschreibung von D15; |

D15b|deutschsprachige Übersetzung von D15; |

D20 |WO 2005/023517 A1; |

D24 |JP H-0274319 A; |

D24a|englischsprachige Zusammenfassung von D24; |

D24b|deutschsprachige Übersetzung von D24; |

D25 |Auszug aus dem Handbuch "Blasformen vonKunststoff-Hohlkörpern", Thielen et al, 2006, Carl Hanser Verlag, Titelseiten, Seiten IX bis XII, 164 bis 169 und 195 bis 201;|

D25a|Internetauszug der Websitehttp://www.hanser-fachbuch.de. |

IV. Als festgestellt wurde, dass die ab dem 16. November 2018 online verfügbar gestellte Mitteilung, die die vorläufige Stellungnahme der Kammer in Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung enthielt, nicht ausgesandt und somit den Parteien nicht per Post zugestellt worden war, wurde die Mitteilung den Parteien am 31. Januar 2019 per Telefax übermittelt.

V. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 13. Februar 2019 statt.

VI. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag) oder hilfsweise die Aufhebung der Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Grundlage der mit der Erwiderung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 3 oder der mit Schreiben vom 8. Februar 2019 eingereichten Hilfsanträge 5 bis 7 oder des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags 8.

VII. Die unabhängigen Ansprüche des Hauptantrags lauten wie folgt (die Merkmalsgliederung ist durch die Kammer in eckigen Klammern eingefügt):

"1. [M1.1] Verfahren zur Blasformung von Behältern (2) [M1.2] bei dem ein Vorformling (1) nach einer thermischen Konditionierung innerhalb einer Blasform (4) von einer Reckstange (11) gereckt und durch Blasdruckeinwirkung in den Behälter (2) umgeformt wird und [M1.3] bei dem unter Druck stehendes Gas in den Behälter (2) eingeleitet wird, dadurch gekennzeichnet, dass [M1.4] nach dem Erreichen eines maximalen Blasdruckes in der Blasform (4) und [M1.5] frühestens zu einem Beginn einer Druckabsenkung bzw. mit einer vorgebbaren Verzögerungszeit nach dem Beginn der Druckabsenkung [M1.6] aus der Reckstange (11) heraus ein kühlendes Gas in Richtung auf einen Boden des geblasenen Behälters (2) geleitet wird."

"13. [M13.1] Vorrichtung zur Blasformung von Behältern (2), [M13.2] die mindestens eine Blasstation (3) mit einer Blasform (4) sowie mindestens einer Reckstange (11) aufweist, [M13.3] sowie bei der die Blasstation (3) an eine Versorgungseinrichtung zur Zufuhr von unter Druck stehendem Gas angeschlossen ist und [M13.4] bei der die Reckstange (11) mindestens bereichsweise hohl ausgebildet ist, wobei [M13.5] ein von der Reckstange (11) bereitgestellter Stangeninnenraum (50) als Zwischenspeicher ausgebildet ist, der aus dem Innenraum der Blasform (4) heraus und in den Stangeninnenraum (50) hinein strömendes Blasgas aufnimmt und [M13.6] nach einer Blasdruckabsenkung aus dem Stangeninnenraum (50) heraus in den Innenraum der Blasform (4) überleitet, dadurch gekennzeichnet, dass [M13.7] die Vorrichtung zur Ausführung eines der vorhergehenden Verfahren ausgebildet ist."

VIII. Der Verfahrensanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 unterscheidet sich vom Anspruch 1 des Hauptantrags durch das zusätzliche Merkmal:

"[M1.7] und wobei mindestens ein Teil des aus der Reckstange (11) herausströmenden Kühlgases in einem vorhergehenden Prozessschritt als Blasgas in die Blasform (4) eingeleitet wurde".

Der unabhängige Vorrichtungsanspruch 12 gemäß Hilfsantrag 1 weist im Vergleich zu Anspruch 13 des Hauptantrags folgendes zusätzliches Merkmal auf:

"[M13.8] und wobei hinsichtlich einer Strömungsrichtung des Blasgases der Innenraum der Blasform (4) und der Stangeninnenraum (50) derart hintereinander angeordnet sind, dass der Innenraum der Blasform (4) in Strömungsrichtung des Blasgases zwischen einer Blasgasversorgung und dem Stangeninnenraum (50) angeordnet ist".

IX. Der Verfahrensanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 unterscheidet sich vom Anspruch 1 des Hauptantrags durch das zusätzliche Merkmal:

"[M1.8] und wobei das kühlende Gas aus einem Speicherraum der Reckstange (11) herausströmt, und wobei der Speicherraum der Reckstange (11) durch Blasgas aus einem Innenraum der Blasform (4) heraus befüllt wird".

Der unabhängige Vorrichtungsanspruch 11 gemäß Hilfsantrag 2 weist im Vergleich zu Anspruch 13 des Hauptantrags folgendes zusätzliches Merkmal auf:

"[M13.9] und wobei der Stangeninnenraum (50) als Zwischenspeicher für aus einem Innenraum der Blasform (4) in den Stangeninnenraum (50) strömendes und nach einer Blasdruckabsenkung aus dem Stangeninnenraum (50) wieder in den Innenraum der Blasform (4) zurückströmendes Blasgas ausgebildet ist".

X. Der Verfahrensanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 weist, im Vergleich zu Anspruch 1 des Hauptantrags, die zusätzlichen Merkmale M1.8 und M1.7 auf. Der Vorrichtungsanspruch 10 gemäß Hilfsantrag 3 weist, im Vergleich zu Anspruch 13 des Hauptantrags, die zusätzlichen Merkmale M13.8 und M13.9 auf.

XI. Hilfsantrag 5 enthält sämtliche Verfahrensansprüche des Hilfsantrags 1, während die Vorrichtungsansprüche entfallen sind.

XII. Hilfsantrag 6 enthält sämtliche Verfahrensansprüche des Hilfsantrags 2, während die Vorrichtungsansprüche entfallen sind.

XIII. Hilfsantrag 7 enthält sämtliche Verfahrensansprüche des Hilfsantrags 3, während die Vorrichtungsansprüche entfallen sind.

XIV. Im Vergleich zu Hilfsantrag 5 ist das Merkmal M1.3 des Verfahrensanspruchs 1 nach Hilfsantrag 8 folgendermaßen ergänzt:

"[M1.3'] bei dem unter Druck stehendes Gas in den Behälter (2) eingeleitet wird, wobei der Behälter (2) in einer Blasform (4) mit einer Blasformtemperatur von höchstens 40°C geformt wird dadurch gekennzeichnet, dass".

XV. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Zur Zulässigkeit der Dokumente D24 und D25

Die Druckschrift D24 sei als Ausgangspunkt in der Druckschrift D15 zitiert und diene der Untermauerung der Begründung, nach der die Druckschrift D15 als neuheitsschädlich einzustufen sei. Der Fachbuchauszug D25 sei prima facie hoch relevant, und stelle eine gerechtfertigte Reaktion zum frühestmöglichen Zeitpunkt auf ein Argument in der Beschwerdeerwiderung dar, nämlich dass der Fachmann keinen Anlass hätte, gezielt den Boden zu kühlen.

Zum Hauptantrag

Die Druckschrift D24 lehre, dass eine Kühlung des Bodenbereiches nur von unten über die Blasform nicht effizient wäre und wegen der beschränkten Wärmeleitfähigkeit des Blasformmaterials nicht ausreiche. Andererseits wisse der Fachmann, dass eine Kühlung von innen besser sei als von außen. Vor die objektive technische Aufgabe gestellt, die Kühlung weiter zu verbessern, würde er somit in naheliegender Weise zur anspruchsgemäßen Lösung kommen. Wenn die gezielte Kühlung des Bodenbereichs dazu führen würde, dass andere Behälterbereiche weniger intensiv gekühlt werden, würde der Fachmann ohne weiteres den Durchsatz des Kühlmediums gesteuert erhöhen. Eine naheliegende Lösung finde der Fachmann in der Druckschrift D20, welche eine hohle Reckstange zeige, die das kühlende Gas für eine verbesserte Formstabilität des Behälters über mehrere Ausströmöffnungen in Richtung auf den Boden leite. Die Angaben auf Seite 4 der Druckschrift D20 in Zusammenhang mit der Figur 11, lehren den Fachmann, dass die Düsen im unteren Bereich der Reckstange seitlich nach unten gerichtet seien. Dabei liege der wichtige Beitrag der Druckschrift D20 in der Art wie, nicht wann, gekühlt werde. Auch Absatz 5 auf Seite 8 der Druckschrift D15b weise darauf hin, dass die dickeren Stellen eines Behälterbodens durch eine gerichtete Bodenkühlung in kürzerer Zeit gekühlt werden können. Absätze 6 und 18 der Druckschrift D15b betonen, dass die Kühlung erst nach Beendigung des Streckverfahrens stattfinde. Darüber hinaus sei den durch den Fachbuchauszug D25 belegten Fachkenntnissen zu entnehmen, dass die Kühlzeit sich nach der größten zu kühlenden Wanddicke richte und dass dies in fast allen Fällen das Zentrum des Flaschenbodens sei. Figur 3.29 auf Seite 198 des Dokuments D25 zeige, dass es üblich sei, beim Kühlen gezielt Kühlluft gegen den Behälterboden zu leiten.

Zu den Hilfsanträgen 1-3 und 5-7

Bei hohlen Reckstangen ohne gesonderte Ventile zur Regelung des Gasdurchflusses aus den Ausströmöffnungen, trete während der Blasphase zwangsläufig ein Teil des Blasgases in den Hohlraum der Reckstange ein, solange ein Überdruck in der Blasform vorliege. Eine nachfolgende Druckabsenkung habe zur Folge, dass das Blasgas wieder aus der Reckstange in die Blasform geleitet werde. Die Reckstange und die Blasform seien in Strömungsrichtung hinter dem die Reckstange mit Kühlgas versorgenden Kühlluftmedienspeicher angeordnet. Der beanspruchte Gegenstand sei vielleicht eine Entdeckung, auf jedem Fall aber keine Erfindung. Ein inhärentes Merkmal von hohlen Reckstangen sei, dass sie einen Speicherraum aufweisen. Die Druckschrift D20 erwähne auf Seite 17 den "Stangeninneraum (50)". Der zweite Teil des Merkmals M1.8 leiste keinen erkennbaren technischen Beitrag. Auch das Merkmal M13.9 sei trivial und bei einer hohlen Reckstange automatisch gegeben. In den unabhängigen Ansprüchen gemäß Hilfsantrag 3 weise die Aneinanderreihung der Merkmale aus den Hilfsanträgen 1 und 2 keinen erfinderischen technischen Effekt auf. Bei der Druckabsenkung in der Druckschrift D24 erfolge der Druckabbau sehr schnell und zwangsläufig über alle Ausströmöffnungen. Die Ansprüche würden nicht ausschließen, dass der Boden nach der Druckabsenkung noch auf eine andere Art gekühlt werde, ähnlich wie in Absatz [0070] des Patents.

Zur Zulässigkeit des Hilfsantrags 8

Der Antrag wurde erst am Ende der mündlichen Verhandlung, d.h. verspätet, eingereicht. Die Temperatur der Blasform sei bei der Diskussion der erfinderischen Tätigkeit weder im schriftlichen Verfahren noch in der mündlichen Verhandlung ein Thema gewesen.

XVI. Die Beschwerdegegnerin trug im Wesentlichen Folgendes vor:

Zur Zulässigkeit der Dokumente D24 und D25

Die D24 werde in der D15 lediglich als Stand der Technik zitiert. Der Fachbuchauszug D25 gehöre dem seit vielen Jahren bekannten Fachwissen an und hätte schon früher vorgelegt werden können.

Zum Hauptantrag

Die Druckschrift D24 betreffe ein Heat-Set-Verfahren, wobei die Blasform sich typischerweise auf einer erhöhten Temperatur befinde. Im Gegensatz zur klassischen Blasformung müsse der gesamte Innenraum des Behälters mit Kühlfluid gespült werden. Dies geschehe über mehrere Austrittsöffnungen entlang der Reckstange. Die Druckschrift D24 enthalte bereits eine Lösung, wie der Behälterboden zu kühlen sei, nämlich so, dass die Bodenform auf einer im Vergleich zu der Rumpfform niedrigeren Temperatur gehalten werde. Die in der Druckschrift D24 erwähnte Verwendung von Flüssigstickstoff würde ebenfalls zu einem schnelleren Kühleffekt führen. Außerdem hätte eine gezielte Kühlung des Behälterbodens zur Folge, dass andere Bereiche weniger intensiv gekühlt werden, was zu einer Prozessverlängerung führen würde. Bei einem festgelegten Ausströmquerschnitt und einem bestimmten Druck wäre es nicht möglich einfach den Durchsatz des Kühlgases zu erhöhen. Anders als in der Figur 11 der Druckschrift D20, könne in der axialen Richtung der aus der Druckschrift D24 bekannten Reckstange keine Öffnung vorgesehen werden.

Gemäß der Druckschrift D20 finde die Behälterkühlung während der Blasformung statt, was zu einer verringerten Prozesszeit führe. Zur Lösung der technischen Aufgabe, eine verringerte Prozesszeit zu erreichen, könne der Fachmann somit nicht das Merkmal der gerichteten Bodenkühlung vom Zeitpunkt der Behälterkühlung trennen.

Auch die Druckschrift D15 offenbare den zeitlichen Ablauf der anspruchsgemäßen Verfahrensschritte nicht. Die in der Druckschrift D15 enthaltene Lehre, die Kühlung in Abhängigkeit von der Wanddicke einzustellen, würde den Fachmann vielmehr dazu anregen, das in der Druckschrift D24 gezeigte Bodenformelement auf einer noch niedrigeren Temperatur zu halten. Im Übrigen finde auch hier die Kühlung bereits während der Hauptblasphase statt.

In der Figur 3.29 des Dokuments D25 werde das Kühlmedium nicht aus der Reckstange in Richtung des Behälterbodens geblasen.

Zu den Hilfsanträgen 1-3 und 5-7

Die Merkmale des Vorrichtungsanspruchs 12 gemäß Hilfsantrag 1 erfordern, dass Mittel, insbesondere Ventile und eine dazu ausgebildete Druckentlastungsleitung, vorgesehen sind, die das Blasgas zu dem Stangeninnenraum hinführen und davon wieder abführen, ohne dass eine Druckentlastung über die Reckstange stattfinde. Hilfsantrag 2 diene der sprachlichen Verdeutlichung des Grundprinzips. Hilfsantrag 3 sei zur noch deutlicheren Abgrenzung gegenüber dem Stand der Technik eingereicht.

Dadurch, dass das in Druckschrift D24 verwendete Blasgas auf hoher Temperatur gehalten werde, würde der Fachmann das Blasgas nicht für eine nachfolgende Behälterkühlung in der Reckstange speichern. Die Druckschrift D24 verwende die eingeblasene erhitzte Luft dazu, den Behälter auf erhöhter Temperatur zu halten, damit Ausgleichsprozesse stattfinden können. Erst nach dem Ausgleich solle eine Abkühlung erfolgen, woraus sich ergebe, dass die Blasluft selber nicht der Abkühlung diene. Die Gleichsetzung von flüssigem Stickstoff und Kühlluft als geeignetem Kühlfluid in der Druckschrift D24b belege schon, dass es nicht nahegelegt wäre, die Blasluft zu speichern und als Kühlfluid einzusetzen. Außerdem zeige die Figur 4 der Druckschrift D24 eine von der Druckluftquelle getrennte Kühlfluidquelle. Möglicherweise werde das Merkmal M1.7 in der Druckschrift D24 implizit offenbart, aber die Druckschrift D20 betreffe nur die Einspeisung von Blasgas und weise keine technische Lehre zur Kühlung durch dieses Blasgas auf. Durch die vielen Austrittsöffnungen in der Druckschrift D24 wäre keine nennenswerte Expansion im Bodenbereich möglich. Bei der Druckabsenkung am Ringspalt würde zwar auch durch die unteren Öffnungen hindurch Gas austreten, aber primär ströme das in der Reckstange gespeicherte Gas aus den oberen Öffnungen heraus. In den im Verfahren genannten Dokumenten werde die Reckstange in der Regel von einem externen Speicher befüllt.

Zur Zulässigkeit des Hilfsantrags 8

Der neue Hilfsantrag 8 sei eine Reaktion darauf, dass als Ausgangspunkt für das Prüfen der erfinderischen Tätigkeit nur Druckschriften betrachtet wurden, die ein Heat-Set-Verfahren betreffen. Durch die Kombination des erteilten Anspruchs 10 mit dem Verfahrensanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 könne sich der beanspruchte Gegenstand nur noch mit Standardverfahren befassen, bei denen die Blasform auf einer niedrigeren Temperatur gehalten werde. Die Beschwerdegegnerin sei veranlasst gewesen, den neuen Hilfsantrag einzureichen, weil die Kammer hinsichtlich des unabhängigen Verfahrensanspruchs gemäß Hilfsantrag 1 bzw. Hilfsantrag 5 ihre Meinung während der mündlichen Verhandlung geändert habe. Darüber hinaus sei es wegen des späten Zeitpunkts, an dem die Mitteilung der Kammer den Parteien zugestellt worden sei, nicht möglich gewesen, einen solchen Antrag früher einzureichen.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Dokumente D24 und D25

1.1 Es liegt gemäß Artikel 12(4) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) im Ermessen der Kammer, Beweismittel nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können. Unbeschadet dieser Befugnis, wird gemäß Artikel 12(1) VOBK das gesamte Vorbringen der Beteiligten von der Kammer berücksichtigt, wenn und soweit es sich auf die Beschwerdesache bezieht und den Erfordernissen von Artikel 12(2) VOBK genügt.

Die Druckschrift D24 befasst sich mit einem Blasformverfahren, bei dem ein Vorformling mittels einer hohlen Reckstange gereckt und durch Blasdruckeinwirkung in einen Behälter umgeformt wird. Außerdem findet eine Kühlphase statt, bei der ein kühlendes Gas aus Ausströmöffnungen in der Reckstange heraus in den Innenraum der Blasform geleitet wird.

Das Vorbringen der Beschwerdeführerin bezüglich der Druckschrift D24 genügt den Erfordernissen von Artikel 12(2) VOBK.

Die Druckschrift D24 wurde zwar erst mit der Beschwerdebegründung vorgelegt. Die Einreichung erfolgte jedoch im Anschluss an die für die Beschwerdeführerin negative Entscheidung der Einspruchsabteilung und zu Beginn des Beschwerdeverfahrens und scheint insofern das Vorbringen der Beschwerdeführerin in der ersten Instanz zu vervollständigen. Zudem bringt die Einführung dieser Druckschrift keine Verfahrenskomplikationen mit sich. Außerdem ist die B-Veröffentlichung der Druckschrift D24 (JP 2632960 B) bei der Beschreibung herkömmlicher Verfahren im Absatz [0003] der Druckschrift D15 zitiert.

Die Kammer macht daher von ihrer Befugnis, die Druckschrift D24 gemäß Artikel 12(4) VOBK nicht zuzulassen, keinen Gebrauch.

1.2 Das Dokument D25 hat die Beschwerdeführerin erst im Laufe des Beschwerdeverfahrens mit dem Schriftsatz vom 5. Februar 2015 eingereicht.

Ein solches Dokument kann nach Artikel 13 VOBK nur dann im Verfahren Berücksichtigung finden, wenn es von der Kammer in Ausübung ihres Ermessens zugelassen wird.

Die Beschwerdeführerin hat dazu vorgetragen, dass das Dokument D25 in Reaktion auf ein in der Beschwerdeerwiderung vorgebrachtes Argument eingereicht wurde, nämlich, dass der Fachmann keinen Anlass hätte, den Boden des aus der D13 bekannten Behälters gezielt zu kühlen. Ein ähnliches Argument wurde aber bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht (vgl. den Schriftsatz der Patentinhaberin vom 27. Februar 2013, Seite 3 und die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung, Seite 4, Absatz 2). Das späte Einreichen des Dokuments D25 kann somit nicht als Reaktion auf ein neues Argument eingestuft werden.

Anderseits ist zu berücksichtigen, dass es sich um einen Fachbuchauszug handelt, der als Beleg für die Kenntnisse des auf dem Gebiet des Patents tätigen Fachmanns anzusehen ist. Dies wurde von der Beschwerdegegnerin in ihrem Schreiben vom 25. Januar 2019 bestätigt ("bestimmt seit vielen Jahren bekanntes Lehrbuch").

Der Internetauszug D25a belegt, dass der Fachbuchauszug D25 vor dem Prioritätstag des Patents veröffentlicht wurde.

Insofern sind weder die Komplexität des Vorbringens noch die Fairness des Verfahrens oder die Verfahrensökonomie der Zulassung des Dokuments D25 und

des darauf beruhenden Vorbringens nach Artikel 13(1)

VOBK entgegen zu stehen. Somit kann dieses Dokument trotz seiner späten Vorlage nach Artikel 13(1) nicht unberücksichtigt bleiben.

1.3 Die Dokumente D24 und D25 werden somit in das Beschwerdeverfahren zugelassen.

2. Hauptantrag

2.1 Ausgangspunkt

2.1.1 Als geeigneten Ausgangspunkt zur Prüfung des Vorliegens einer erfinderischen Tätigkeit betrachtet die gefestigte Rechtsprechung ein Dokument des Stands der Technik, das einen Gegenstand offenbart, der zum gleichen Zweck oder mit demselben Ziel entwickelt wurde wie die beanspruchte Erfindung und die wichtigsten technischen Merkmale mit ihr gemein hat, der also die wenigsten strukturellen Änderungen erfordert (siehe z.B. "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA", 8. Auflage 2016, Punkt I.D.3).

Die Druckschrift D24 befasst sich mit einem Blasformverfahren, in dem ein kühlendes Gas in Richtung auf die Innenfläche des durch eine Reckstange gegen die Blasform gedrückten Vorformlings geleitet wird. Die Tatsache, dass der Druckschrift D24 ein sogenanntes "Heat-Set-Verfahren" zugrunde liegt, d.h. ein Blasformverfahren, in dem die molekulare Struktur des Behälters durch Formzwang an einer heißen Blasform thermisch stabilisiert wird (vgl. Seite 198 des Fachbuchauszugs D25), würde nach Ansicht der Kammer den Fachmann nicht davon abhalten, diese Druckschrift als Ausgangspunkt für die Diskussion der erfinderischen Tätigkeit heranzuziehen, zumal solche Verfahren nicht vom Wortlaut des Anspruchs 1 ausgeschlossen sind.

2.1.2 In der Druckschrift D24 wird ein Vorformling P innerhalb einer Blasform 30

von einer Reckstange 35 gereckt und durch Blasdruckeinwirkung in einen Behälter umgeformt (Merkmal M1.2). Dazu wird unter Druck stehendes Gas über die Leitung 38 und die Muffe 42 in den Behälter eingeleitet (D24b, Seite 5, rechte Spalte, "Primäres Blasen" und "Sekundäres Blasen") (Merkmal M1.3). Nachdem die Druckluft in|FORMEL/TABELLE/GRAPHIK|

einem zweiten Schritt über das Überdruckventil VR1 abgelassen wurde (Figur 4; D24b, Seite 5, rechte Spalte, "Primäres Entlüften"), wird aus der Reckstange 35 heraus ein kühlendes Gas in den geblasenen Behälter geleitet (D24b, Seite 6, linke Spalte, "Kühlblasen"). Dadurch, dass der Druck im Behälter beim sekundären Blasen am höchsten ist (D24b, Seite 6, linke Spalte: "ihr Druck beträgt 3 bis 40 kg/cm2 ... während sich der Druck beim sekundären Blasen auf dem oben angegeben Niveau befindet") und die aktive Kühlung erst nach dem Entlüftungsschritt stattfindet, wird das kühlende Gas nach dem Erreichen eines maximalen Blasdruckes in der Blasform und frühestens zu einem Beginn einer Druckabsenkung bzw. mit einer vorgebbaren Verzögerungszeit nach dem Beginn der Druckabsenkung in den geblasenen Behälter geleitet (Merkmale M1.4 und M1.5).

Damit kommt die aus der Druckschrift D24 bekannte Ausführungsform dem Anspruchsgegenstand strukturell und funktionell sehr nahe und bildet folglich einen geeigneten Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit.

2.1.3 Die Pfeile in der Figur 3 geben an, dass das kühlende Gas hauptsächlich in radialer Richtung aus den Ausströmöffnungen 41 der Reckstange 35 herausströmt. Die Übersetzung D24b enthält keinen Hinweis, wonach der Bodenbereich des Behälters zielgericht gekühlt werden soll. Deshalb ist das Merkmal M1.6 nicht aus der Druckschrift D24 bekannt.

2.2 Technische Aufgabe

Die Absätze [0061] und [0067] des Patents lehren Folgendes über die technische Wirkung des Merkmals M1.6:

"... eine Kühlung im Bereich des Bodens des Behälters (2), der prozessbedingt wesentlich dicker als die Seitenwände des Behälters (2) ausgebildet wird und hierdurch stärker gekühlt werden muss ..."

Die vergleichsweise große Materialansammlung im Bodenbereich erfordert somit eine längere Abkühlungszeit bzw. eine stärkere Abkühlung als das Material im Seitenwandbereich des Behälters. Dadurch, dass ein kühlendes Gas aus der Reckstange in Richtung auf einen Boden des Behälters geleitet wird, wird der Bodenbereich aktiv gekühlt, was zu einer schnelleren Fertigstellung des geblasenen Behälters führt.

Dementsprechend ist die objektive technische Aufgabe im Einklang mit Absatz [0014] des Patents darin zu sehen, die Prozesszeit bei der Behälterformung zu verringern.

2.3 Naheliegen

2.3.1 Im Absatz [0011] des Patents wird die Druckschrift D20 zitiert, die ebenfalls einen Streckblasprozess offenbart, in dem das aus der Reckstange herausgeleitete Gas gegen einen Bodenbereich des geblasenen Behälters geleitet wird, um den prozessbedingt dickeren Boden stärker zu kühlen und so die Prozesszeit zu verkürzen (vgl. Seite 4, vierter und fünfter Absatz, sowie Seite 20, zweiter Absatz der Druckschrift D20). Dazu verlaufen die Ausströmbohrungen 55 in dem den Bodenbereich des Behälters näheren Ende der Reckstange entweder schräg in Richtung des Behälterbodens oder parallel zur Reckstangenlängsachse (Figur 11, Seite 9, fünfter und sechster Absatz und Seite 25, zweiter Absatz).

Im Lichte dieser Offenbarung ist es für den Fachmann naheliegend, die aus der Druckschrift D24 bekannte Reckstange so zu gestalten, dass die Längsachse der unteren Ausströmbohrungen 41 jeweils relativ zu der Reckstangenlängsachse geneigt ist, so dass ein Teil des herausströmenden Kühlgases in Richtung des Bodens geleitet wird. Alternativ oder zusätzlich dazu würde der Fachmann, ähnlich wie in der Figur 11 der Druckschrift D20, am unteren Ende der Reckstangenkuppe eine axiale Bohrung vorsehen, damit das Kühlgas direkt auf den Boden aufströmen kann.

2.3.2 Gleiches gilt, wenn die Druckschrift D15 und ihre Übersetzungen D15a und D15b herangezogen werden, um die objektive technische Aufgabe zu lösen. Die bloße Tatsache, dass im Absatz [0003] der Beschreibung von D15 auf die B-Veröffentlichung "2632960" des Druckschrift D24 verwiesen wird, deutet schon darauf hin, dass die Druckschrift D15 von der Druckschrift D24 ausgeht, und dass die Lehre der Druckschrift D15 also mit dem aus der Druckschrift D24 bekannten Verfahren kombiniert werden kann.

Der Druckschrift D15 liegt die Maßnahme zugrunde, die Kühlung eines in einer Blasform mittels Reckstange und Blasluft geformten Behälters an die Dicke der Behälterwand anzupassen (vgl. D15b, Absatz [0004]: "ist es, um eine einheitliche Kühlung zu erreichen, notwendig, je nach Dicke das Kühlungsmaß anzupassen ... in Hinblick auf den dickeren Boden den Kühlungsgrad anzupassen"; D15a, Absatz [0004]: "to adjust a cooling degree according to thickness for cooling uniformly"). Ohne eine solche Maßnahme müsste eine längere Kühlzeit eingehalten werden, was die Beschleunigung der Produktfertigung verhindert (D15b, Absatz [0004], letzten Satz).

Im Hinblick auf die größere Dicke in bestimmten Bereichen des Behälterbodens, schlägt die Druckschrift D15 vor, die Innenseite des Bodens direkt mit Kühlluft aus der Reckstange anzublasen (vgl. Absatz [0006] und Patentanspruch 1).

Somit führt auch die Kombination der aus der Druckschrift D15 bekannten Lehre mit dem Verfahren nach der Druckschrift D24 in naheliegender Weise zum Gegenstand von Anspruch 1.

2.3.3 Seitens der Beschwerdeführerin wurde vorgetragen, dass die Druckschrift D24 bereits mehrere Lösungen enthalte, wie der Behälterboden zu kühlen sei, sodass der Fachmann keinen Anlass hätte, die Lehre einer anderen Druckschrift heranzuziehen. Das Argument hat die Kammer nicht überzeugt. Der Fachmann würde die Temperatur der Bodenform 33, die gemäß den spezifischen Angaben in der Beschreibung (vgl. die rechte Spalte auf Seite 6 der D24b) in einem bestimmten Bereich um die Glasübergangstemperatur liegen muss, nicht ohne guten Grund auf Werte unterhalb der Untergrenze des Bereichs senken. Außerdem ist es für den Fachmann offenkundig, dass die Kühlung eines Formteils gegenüber einer innenseitigen Kühlung weniger effizient ist. Er würde möglicherweise zur Lösung der Aufgabe die in der Druckschrift D24 vorgeschlagene Untergrenze (50°C für Flaschenkörper aus PET) für die Bodenform 33 einstellen, zusätzlich aber die Reckstange gemäß der aus der Druckschrift D20 bzw. der Druckschrift D15 bekannten Lehre anpassen.

Die in der D24 vorgeschlagene Verwendung von Flüssigstickstoff würde zwar gegenüber der gängigen Lösung mit Kühlluft die Kühlzeit verringern, der Aufbau der Reckstange wäre aber wegen der notwendigen Zwischenisolierung wesentlich aufwendiger (vgl. linke Spalte auf Seite 7).

Auch dem Argument, dass eine gezielte Kühlung des Behälterbodens zur Folge habe, dass andere Bereiche weniger intensiv gekühlt werden, kann die Kammer nicht zustimmen. In der Druckschrift D24 erfolgt die Innenkühlung über mehrere entlang der gesamten Länge der Reckstange 35 angeordnete Austrittsöffnungen 41, die ein Kühlfluid in den Innenraum der Blasform leiten, sodass die gesamte Innenoberfläche des Behälters homogen gekühlt werden kann. Wie der Fachbuchauszug D25 auf Seite 200 lehrt, wird das Kühlfluid mit hoher Strömungsgeschwindigkeit gegen die Flaschenwand geblasen, während die beim Austreten aus der Reckstange erfolgende Expansion gleichzeitig eine Absenkung der Fluidtemperatur bewirkt. Das Kühlfluid wird anschließend von der Seitenwand umgeleitet, verwirbelt und vermischt sich und verbreitet sich über die gesamte Höhe und Breite des Behälters, einschließlich des Bodenbereichs, bevor es über den Ringspalt und das offene Entlüftungsventil aus der Blasform entweicht. Da eine gezielte Kühlung des Behälterbodens darin besteht, lediglich die Ausrichtung der Längsachse der unteren Ausströmbohrungen anzupassen, wird auch bei unverändertem Gesamtdurchsatz die Kühlung anderer Bereiche des Behälters nicht beeinträchtigt. Eine gerichtete Kühlung des Bodenbereichs würde vielmehr dafür sorgen, dass der Behälter im Vergleich zu der Figur 3 in der Druckschrift D24 homogener gekühlt wird.

Eine am unteren Ende der Reckstange 35 in der Druckschrift D24 vorgesehene axiale Bohrung wäre möglicherweise anfangs durch den Kontakt mit dem Boden des Vorformlings verdeckt, sie würde allerdings in der Einsatzposition nach Figur 4, genauso wie die axiale Bohrung gemäß Figur 11 in der D20, die Kühlung des Bodenbereichs unterstützen.

Das Argument, dass der Fachmann die in der Druckschrift D20 offenbarte gerichtete Bodenkühlung nicht von dem darin ebenfalls offenbarten Zeitpunkt der Behälterkühlung trennen könne, hält die Kammer nicht für stichhaltig. Ungeachtet der Tatsache, dass die technische Offenbarung eines zum Stand der Technik gehörenden Dokuments als Ganzes betrachtet werden muss, und dass es nicht zulässig ist, Teile eines Dokuments willkürlich aus ihrem Zusammenhang herauszulösen und die Offenbarung in dieser Weise falsch auszulegen, hat der Fachmann keinen Anlass, neben der in einem Dokument als Lösung der objektiven technischen Aufgabe vorgeschlagenen Merkmale auch weitere Elemente zu übernehmen, die zusammen mit der Lösung offenbart sind, dem technischen Inhalt des Ausgangsdokuments aber teilweise widersprechen und deren Aufnahme technisch keinen Sinn ergibt. Im vorliegendem Fall offenbart der Ausgangspunkt D24 einen bestimmten zeitlichen Ablauf der verschiedenen Blasformschritte (vgl. den die Seiten 5 und 6 überbrückenden Absatz der D24b). Auf der Suche nach einer Lösung der Aufgabe, die Prozesszeit bei der Behälterformung zu verringern, wird der Fachmann diese wesentliche technische Information nicht aufgeben, nur weil das Ausführungsbeispiel der Druckschrift D20 eine zeitliche Optimierung des Beginns der Kühlwirkung anstrebt, was den Prozessbedingungen der Druckschrift D24 aber widerspricht. Der Fachmann würde somit in diesem Fall die eingangs in der Beschreibung (vgl. Seite 4, vierten und fünften Absätze) und in den unabhängigen Ansprüchen der Druckschrift D20 genannte Lösung, nämlich ein Teil des unter Druck stehenden Gases gegen einen Bodenbereich des Behälters zu leiten, von den Prozessbedingungen loslösen und das aus der Druckschrift D24 bekannte Verfahren dementsprechend anpassen. Ähnliches gilt für die aus der Druckschrift D15 bekannte Lehre.

2.3.4 Somit beruht das Verfahren nach dem Anspruch 1 des Hauptantrags nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ 1973.

3. Hilfsantrag 1

3.1 Auslegung des Vorrichtungsanspruchs 12

Durch das Merkmal M13.7 ist die Vorrichtung dahingehend eingeschränkt, dass sie "zur Ausführung eines der vorhergehenden Verfahren ausgebildet ist". Die beanspruchte Vorrichtung muss somit zur Ausführung jedes der unterschiedlichen Verfahrensmerkmale M1.1 bis M1.7 des Verfahrensanspruchs 1 ausgebildet sein. Dadurch, dass die der Blasformung vorangehende thermische Konditionierung gemäß Merkmal M1.2 auf die Vorrichtung zur Blasformung keine einschränkende Wirkung hat, ist die Ausführung der Verfahrensmerkmale M1.1 bis M1.3 bereits durch die als Verfahrensmerkmale formulierten Vorrichtungsmerkmale M13.1 bis M13.3 abgedeckt. Die Verfahrensmerkmale M1.4 und M1.5 setzen bestimmte bauliche Maßnahmen, z.B. in Form von gesteuerten Ventilen, voraus, die die Fluidströmung nur zu einem bestimmten Zeitpunkt aus dem Innenraum entweichen lassen. Das Verfahrensmerkmal M1.6 fordert, dass die mindestens bereichsweise hohl ausgebildete Reckstange Ausströmöffnungen aufweist, die eine gewisse Ausrichtung bzw. Anordnung in Richtung auf den Bodenbereich des zu blasenden Behälters haben.

Die Blasgasströmung zwischen dem Stangeninnenraum der Reckstange einerseits und dem Innenraum der Blasform andererseits wird durch die relativen Druckverhältnisse in den jeweiligen Innenräumen bestimmt. Infolgedessen ist eine Vorrichtung immer dann zur Ausführung der Merkmale M13.5, M13.6 und M1.7 geeignet, sobald eine Fluidströmung in beiden Richtungen in Reaktion auf Druckunterschiede zwischen den jeweiligen Innenräumen möglich ist und nicht (zum Beispiel durch ein gesperrtes Ventil) verhindert wird. In Abwesenheit solcher Sperrventile hat der in den Merkmalen M13.6 und M1.7 enthaltene zeitliche Ablauf der Prozessschritte keinerlei einschränkende Wirkung auf die Vorrichtung als solche.

Das Merkmal M13.8 schränkt die beanspruchte Vorrichtung nur dahingehend ein, dass die Blasgasversorgung nicht an die Reckstange, sondern direkt an den Innenraum der Blasform angeschlossen sein muss.

3.2 Erfinderische Tätigkeit

Die in den Figuren 3 und 4 der Druckschrift D24 gezeigten Ausströmöffnungen 41 der hohlen Reckstange 35 ermöglichen eine freie Fluidströmung in beiden Richtungen zwischen dem Innenraum der Stange einerseits und dem Innenraum der Blasform 30 andererseits. Außerdem ist die Blasgasversorgung 52 direkt an den Innenraum des Behälters angeschlossen und die Ventile V2, V3, V4, V5 und VR1 werden derart gesteuert, dass sie nur zu bestimmten Zeitpunkten öffnen (V2, V5, VR1) bzw. schließen (V3, V4), sodass das Gas durch die daraus entstehende Druckabsenkung aus dem Innenraum des Behälters entweichen kann.

Der Gegenstand des Vorrichtungsanspruchs 12 gemäß Hilfsantrag 1 beruht somit aus diesen und aus den oben in Punkt 2 genannten Gründen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ 1973.

4. Hilfsantrag 2

Aus dem Merkmal M13.9 und der Bedingung, dass die Vorrichtung zur Ausführung des Verfahrens nach Anspruch 1, einschließlich des neuen Merkmals M1.8, ausgebildet sein muss, folgt, dass der Innenraum der Reckstange nun als Zwischenspeicher bzw. Speicherraum für Blasgas eingerichtet sein muss.

Allerdings kann der Innenraum der in der Druckschrift D24 offenbarten hohlen Reckstange 35 als Speicherraum betrachtet werden. Dadurch, dass eine freie Fluidströmung in beiden Richtungen zwischen diesem Speicherraum und dem Innenraum der Blasform 30 möglich ist, kann, in Abhängigkeit von den relativen Druckverhältnissen, ein Gas entweder aus dem Innenraum der Blasform heraus in den Speicherraum strömen oder aus dem Speicherraum in den Innenraum der Blasform strömen.

Mit Verweis auf die oben in den Punkten 2 und 3 genannten Gründe, gelangt die Kammer zum Schluss, dass der Gegenstand des Vorrichtungsanspruchs 11 gemäß Hilfsantrag 2 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ 1973 beruht.

5. Hilfsantrag 3

Der Vorrichtungsanspruch 10 gemäß Hilfsantrag 3 weist, im Vergleich zu Anspruch 13 gemäß Hauptantrag, die zusätzlichen Merkmale M13.8 und M13.9 auf. Durch den Verweis auf den Verfahrensanspruch 1 muss die Vorrichtung zur Ausführung des Verfahren mit den Merkmalen M1.1-M1.6, M1.7 und M1.8 geeignet sein. Wie in den Punkten 3 und 4 dargelegt, sind die Merkmale M1.7 und M1.8 bereits aus der Druckschrift D24 bekannt.

Demzufolge beruht auch der Gegenstand des Vorrichtungsanspruchs 10 gemäß Hilfsantrag 3 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ 1973.

6. Hilfsanträge 5-7

6.1 Ansprüche 1 gemäß Hilfsanträgen 5 und 6 enthalten im Vergleich zum Anspruch 1 gemäß Hauptantrag das zusätzliche Merkmal M1.7 bzw. M1.8.

Die Kammer teilt die Auffassung der Beschwerdeführerin, dass die Abwesenheit von Ventilen oder sonstigen Absperrmitteln zwischen dem Innenraum der Blasform und dem Stangeninnenraum zwangsläufig dazu führt, dass während des Verfahrensschrittes M1.3 ein Teil des unter Druck stehenden Blasgases durch die Ausströmöffnungen in die Reckstange eingeleitet wird.

Somit strömt in der Druckschrift D24 ein Teil der Druckluft während des Primären bzw. Sekundären Blasens (vgl. Seite 5 rechts unten) durch die Ausströmöffnungen 41 in den Hohlraum der Reckstange 35 ein. Die nachfolgende, während des Primären Entlüftens durch öffnen der Ventile V2, VR1 und V5 entstehende Druckabsenkung führt dazu, dass nicht nur die Druckluft in der|FORMEL/TABELLE/GRAPHIK|

Blasform 30 sondern auch die in der Reckstange 35 zwischengespeicherte Druckluft wieder aus der Reckstange herausströmt.

Der Fachmann wird die aus der Druckschrift D24 bekannte Reckstange im Lichte der technischen Lehre der Druckschrift D20 bzw. D15 so gestalten, dass die Längsachse der unteren Ausströmbohrungen 41 relativ zu der Reckstangenlängsachse geneigt und/oder parallel verläuft. Deshalb wird die in der Reckstange zwischengespeicherte Druckluft während des Primären Entlüftens zuerst in Richtung auf den Boden geleitet und anschließend zusammen mit der weitere sich im Innenraum der Blasform befindlichen Druckluft über die Muffe 42 und die Ablasskanäle 38 und 39 entweichen.

Sobald die Ventile V2, VR1 und V5 geöffnet werden, strömt die vorhandene Druckluft mit einem Druck von bis zu 40 bar aus der Blasform heraus. Der Druckabbau ist so schnell, dass auch die in der Reckstange zwischengespeicherte Luft über die Ausströmöffnungen in die Blasform und dann aus dieser ausströmt. Dabei wird die vertikale Strömung der Druckluft in der Blasform dafür sorgen, dass die Druckluft auch durch die unteren Austrittsöffnungen austritt.

Ähnlich wie die in Absatz [0070] des Patents beschriebene und von Anspruch 1 nicht ausgeschlossene Möglichkeit, nach dem Entlüftungsschritt eine zusätzliche Kühlung über die Reckstange auszuführen, wird in der Druckschrift D24 nach Abschluss des Primären Entlüftens Kühlfluid aus einer Kühlfluidquelle in die Reckstange geleitet (vgl. Seite 6, links oben).

Da also auch die zusätzlichen Merkmale der Verfahrensansprüche 1 gemäß Hilfsanträgen 5 und 6 aus der Druckschrift D24 bekannt sind, beruht deren Gegenstand aus den gleichen Gründen wie der Hauptantrag nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ 1973.

6.2 In dem unabhängigen Verfahrensanspruch gemäß Hilfsantrag 7 wurden im Vergleich zu Anspruch 1 gemäß Hauptantrag die zusätzlichen Merkmale M1.8 und M1.7 aufgenommen. Da beide Merkmale aus den oben unter Punkt 6.1 genannten Gründen bereits aus der Druckschrift D24 bekannt sind, beruht auch der Gegenstand des Verfahrensanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 7 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ 1973.

7. Zulässigkeit des Hilfsantrags 8

7.1 Der Verfahrensanspruch 1 des am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereichten Hilfsantrags 8 ist um das Merkmal der Blasformtemperatur nach dem ursprünglichen Anspruch 10 ergänzt.

7.2 Das Argument, dass der neue Hilfsantrag 8 eine Reaktion auf die von der Kammer als Ausgangspunkt zur Prüfung des Vorliegens einer erfinderischen Tätigkeit in Betracht gezogenen Heat-Set-Verfahren darstelle, überzeugt die Kammer nicht. Bereits im Einspruchsverfahren (vgl. den Schriftsatz vom 11. November 2013, Punkt 2.b) und in der Beschwerdebegründung (vgl. Seite 12, ersten Absatz) wurde das Heat-Set-Verfahren als Ausgangspunkt thematisiert.

7.3 Obwohl das neu aufgenommene Merkmal Gegenstand des erteilten Anspruchs 10 ist, hätte seine Aufnahme zur Folge, dass ein neuer Ausgangspunkt für die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit gefunden werden muss. Dies würde der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit eine völlig neue Richtung geben, was eine neue Diskussion hervorrufen würde, die weder der Beschwerdeführerin noch der Kammer zu einem so späten Zeitpunkt noch zugemutet werden kann. Die gesamte Debatte im Beschwerdeverfahren bis hin zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer betraf ausschließlich den zeitlichen Ablauf der Blasluft- und Kühlfluidzufuhr und die gerichtete Bodenkühlung, wohingegen der verspätet eingereichte Hilfsantrag 8 das Vorbringen der Beschwerdegegnerin überraschend völlig neu ausrichtet und nicht als mögliche Rückzugsposition vorhersehbar war.

7.4 Gemäß Artikel 17(2) VOBK kann die Kammer den Beteiligten aus Zweckmäßigkeitsgründen eine Mitteilung zustellen, mit der Maßgabe, dass die darin geäußerte Beurteilung vorläufig und nicht bindend für eine spätere Entscheidung ist. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern dient die Mitteilung einer Kammer aber nur als Orientierungshilfe für die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung. Sie soll den Verfahrensbeteiligten helfen, ihre Argumentation auf Aspekte zu konzentrieren, die die Kammer im Hinblick auf ihre Entscheidungsfindung als wesentlich erachtet, ist aber keine Aufforderung an die Verfahrensbeteiligten, weiteres Vorbringen oder Anträge einzureichen.

Die vorläufige Schlussfolgerung in der Mitteilung war, dass keinem der vorliegenden Anträge stattgegeben werden könne, so dass die Beschwerdegegnerin mit dem Widerruf des Patents zu rechnen hatte. In Erwiderung auf die Mitteilung hat die Beschwerdegegnerin dann mit Schreiben vom 8. Februar 2019 sieben neue Hilfsanträge eingereicht, von denen keiner das Merkmal des erteilten Anspruchs 10 in einem unabhängigen Anspruch enthielt.

7.5 Somit wurden die Beschwerdeführerin und die Kammer zum spätestmöglichen Zeitpunkt im Verfahren mit einer unerwarteten und vorher nicht geltend gemachten Verteidigungslinie konfrontiert. Die Zulassung des für die Beschwerdeführerin und die Kammer überraschenden Hilfsantrags 8 zum Verfahren wäre deshalb sowohl dem Gebot der Prozessökonomie als auch dem Grundsatz der Fairness im Verfahren zuwidergelaufen.

Unter diesen Umständen hat die Kammer ihr Ermessen nach Artikel 13 (1) und (3) VOBK derart ausgeübt, dass sie Hilfsantrag 8 nicht ins Verfahren zugelassen hat.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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