T 2201/13 () of 20.3.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T220113.20190320
Datum der Entscheidung: 20 März 2019
Aktenzeichen: T 2201/13
Anmeldenummer: 09450093.1
IPC-Klasse: H04N 17/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 314 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Kalibrierung des Bildes einer Kamera
Name des Anmelders: Kapsch TrafficCom AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.5.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54(1)
European Patent Convention Art 54(2)
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 84
Schlagwörter: Ausreichende Offenbarung - (ja)
Patentansprüche - Klarheit - Hauptantrag (ja)
Neuheit - Hauptantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 18. Juni 2013 über die Zurückweisung der europäischen Patentanmeldung Nr. 09 450 093.1, die als europäische Anmeldung EP 2 249 580 A1 veröffentlicht worden ist.

II. Die Zurückweisungsgründe waren mangelnde Klarheit (Artikel 84 EPÜ) der Ansprüche des Hauptantrags wie auch des ersten und zweiten Hilfsantrags. Die Prüfungsabteilung befand auch, dass die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ nicht erfüllt seien. Zudem sei der Gegenstand des Anspruchs 1 aller Anträge nicht neu (Artikel 54 (1) und (2) EPÜ) im Hinblick auf Dokument D10:

D10:  Hatze, H.: "High-precision three-dimensional photogrammetric calibration and object space reconstruction using a modified DLT-approach", Journal of Biomechanics, Pergamon Press, New York, NY, US, Bd. 21, Nr. 7, 1. Januar 1988, Seiten 533-538, XP026271800, ISSN: 0021-9290, DOI: 10.1016/0021-9290(88)90216-3.

Es wurde zudem das folgende Dokument genannt:

D4: Dailey, D. J.; Schoepflin, T. N.: "Dynamic camera calibration of roadside traffic management cameras for vehicle speed estimation", IEEE Transactions on intelligent Transportation Systems, IEEE Service Center, Piscataway, NJ, US, Bd. 4, Nr. 2, 1. Juni 2003, Seiten 90 bis 98, XP011104438, ISSN: 1524-9050.

III. Die Anmelderin legte Beschwerde ein und beantragte, die Entscheidung der Prüfungsabteilung über die Zurückweisung der Patentanmeldung aufzuheben und unter Zugrundelegung der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Patentansprüche gemäß Hauptantrag bzw. Hilfsantrag ein Patent zu erteilen.

IV. In einer der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) äußerte die Kammer ihre vorläufige Meinung, dass die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart sei, dass der Fachmann sie ausführen könne. Die Kammer äußerte jedoch Zweifel an der Klarheit des Anspruchs 1 (Artikel 84 EPÜ) gemäß Hauptantrag und des identischen Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag. Sie stimmte der Beschwerdeführerin zu, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 neu im Hinblick auf das Dokument D10 und den weiteren im Verfahren genannten Stand der Technik sei. Hinsichtlich der Frage der erfinderischen Tätigkeit war die Kammer der Ansicht, dass in der mündlichen Verhandlung zu diskutieren sei, ob der Gegenstand des Anspruchs 1 durch die Kombination der Dokumente D10 und D4 nahegelegt werde.

V. Mit Schreiben vom 18. Dezember 2018 reichte die Beschwerdeführerin zusätzlich Anspruchssätze gemäß einem ersten bzw. zweiten Hilfsantrag ein. Der bisherige Hilfsantrag wurde als dritter Hilfsantrag aufrechterhalten. Zusätzlich brachte die Beschwerdeführerin weitere Argumente zur Klarheit und erfinderischen Tätigkeit vor.

VI. Daraufhin wurde der anberaumte Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben und es erging eine entsprechende Mitteilung an die Beschwerdeführerin.

VII. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:

"Verfahren zur Kalibrierung des Bildes (3I, 3II) einer Kamera (1), insbesondere Verkehrsüberwachungskamera, in Bezug auf ihren Blickraum, indem die Kameraprojektionsparameter (mkl) einer Kameraprojektion des Blickraums auf das Bild ermittelt werden, gekennzeichnet durch die Schritte

Bereitstellen eines bewegbaren Trägers (4) mit zumindest vier von der Kamera (1) erblickbaren Markierungen, die ein Volumen aufspannen und bekannte erste Weltpunkte (wi) im Blickraum bilden,

Aufnehmen eines ersten Bildes (3I) des Blickraums,

Verschieben des Trägers (4) im Blickraum um einen unbekannten Versatz (v), um von diesem abhängige zweite Weltpunkte (wi) im Blickraum zu erhalten,

Aufnehmen eines zweiten Bildes (3II) des Blickraums,

Detektieren der Markierungen im ersten Bild (3I) als erste Bildpunkte (pi) und im zweiten Bild (3II) als zweite Bildpunkte (pi), und

Ermitteln der Kameraprojektionsparameter (mkl), unter Mitermittlung des Versatzes, aus den bekannten ersten Weltpunkten, den vom Versatz abhängigen zweiten Weltpunkten, den detektierten ersten Bildpunkten und den detektierten zweiten Bildpunkten mit Hilfe der Methode der Direkten Linearen Transformation („DLT”)."

Die übrigen Ansprüche 2 bis 9 des Hauptantrags sind abhängige Ansprüche.

VIII. In der angefochtenen Entscheidung befand die Prüfungsabteilung, dass der letzte Verfahrensschritt der Ermittlung "der Kameraprojektionsparameter (mkl), unter Mitermittlung des Versatzes, aus den bekannten ersten Weltpunkten, den vom Versatz abhängigen zweiten Weltpunkten, den detektierten ersten Bildpunkten und den detektierten zweiten Bildpunkten mit Hilfe der Methode der Direkten Linearen Transformation („DLT”)" nicht klar sei. Ihrer Meinung nach verstehe der Fachmann, "dass dieser Schritt Kameraprojektions-parameter und Versatz aus den ersten Weltpunkten und von den vom Versatz abhängigen zweiten Weltpunkten ermittelt." Es werde also behauptet, dass der Versatz aus vom selben Versatz abhängigen Weltpunkten ermittelt werde.

Zudem seien die Symbole s und t in den Ansprüchen 2 und 3 nicht definiert. "Entgegen der Erwiderung der Anmelderin, dass die Symbole s und t im Anspruch 2 den Versatz bezeichneten, wird bemerkt, dass die Bezugs-zeichen (s, t, 0) nicht einer Definition gleichkommen, zumal im Anspruch 1 dem Versatz das Bezugszeichen (v) zugeordnet wird", siehe Entscheidungsgründe, Punkt 1.1.

Unter Verweis auf Artikel 69 (1) EPÜ befand die Prüfungsabteilung auch, dass die Anmeldung nicht die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ erfülle, weil die Beschreibung dem Fachmann keine Informationen darüber vermittele, wie der letzte Verfahrensschritt des Anspruchs 1 ("Ermitteln der Kameraprojektions-parameter ...") auszulegen sei (siehe Punkt 1.2 der Entscheidungsgründe).

Ungeachtet dieser Einwände sei der Gegenstand des Anspruchs 1 auch nicht neu im Hinblick auf das Dokument D10, das insbesondere die Merkmale des Verschiebens des Trägers (Seite 535, Zeilen 7 bis 22) und die Ermittlung der Kameraprojektionsparameter unter Mitermittlung des Versatzes (DLT in der Zusammenfassung) offenbare, siehe Entscheidungsgründe, Punkt 1.3.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zusammenfassung der Erfindung

Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Kalibrierung einer Kamera in Bezug auf einen Blickraum.

Üblicherweise werden Kameras kalibriert, indem ein oder mehrere Bilder von mindestens sechs, vorab bekannten Punkten im dreidimensionalen Raum ("Weltpunkte") mit der Kamera aufgenommen werden. Durch die Zuordnung der Weltpunkte zu den Abbildern dieser Punkte im Bild ("Bildpunkte") werden unter Verwendung eines mathematischen Kameramodells die Parameter der geometrischen Projektion bestimmt. Beispielsweise können die Kameraprojektionsparameter durch das bekannte Verfahren der direkten linearen Transformation (DLT) bestimmt werden (siehe Anmeldung, Seite 1, Zeilen 3 bis 30).

In der Anmeldung wird ein Verfahren vorgeschlagen, das einen Träger mit zumindest vier Markierungen verwendet. Es werden mehrere Bilder dieses Trägers aufgenommen, zwischen denen der Träger um einen unbekannten Versatz verschoben wird. Nach Zuordnung der Bildpunkte zu den Weltpunkten ergibt sich wie bei der DLT ein überbestimmtes Gleichungssystem. Daraus lassen sich die Kameraprojektionsparameter und der Versatz iterativ, beispielsweise mit Hilfe des Gauß-Newton Verfahrens bestimmen. Da der Träger vorab hergestellt und die Position der Markierungen zueinander vermessen werden können, vereinfacht sich die Bestimmung der Kameraprojektionsparameter und des Versatzes. Insbesondere ist es nicht mehr notwendig, per Hand an jeder zu vermessenden Position Markierungen anzubringen und auszumessen. Das Verfahren kann beispielsweise zur Kalibrierung von Kameras für die Verkehrsüberwachung von Straßentunnels und Autobahnen verwendet werden (siehe Anmeldung, Seite 1, Zeile 31 bis Seite 2, Zeile 13 und Seite 8, Zeile 10 bis Seite 9, Zeile 21).

3. Hauptantrag: Ausführbarkeit

3.1 Die Prüfungsabteilung befand in der angefochtenen Entscheidung (siehe Entscheidungsgründe, Punkt 1.2), dass die Anmeldung nicht die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ erfülle, "weil die Beschreibung dem Fachmann keine Informationen darüber vermittelt, wie die unklare Formulierung im Anspruch 1 ("Ermitteln der Kameraprojektionsparameter, unter Mitermittlung des Versatzes, aus den bekannten ersten Weltpunkten, den vom Versatz abhängigen zweiten Weltpunkten...") auszulegen ist (Artikel 69(1) EPÜ)."

3.2 Ob die Anmeldung die Erfindung im Sinne des Artikels 83 EPÜ ausreichend offenbart, ist anhand des Gesamtinhalts der Patentanmeldung, d.h. der Ansprüche, der Beschreibung und der Zeichnungen, zu beurteilen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 8. Auflage, 2016, II.C.2).

3.3 Im vorliegenden Fall wird auf der Seite 6 mit der Gleichung (1) ein bekanntes perspektivisches Lochkameramodell beschrieben. Die Passage von Seite 6, Zeile 23 bis Seite 7, Zeile 3 gibt an, wie mit acht Zuordnungen von Weltpunkten zu Bildpunkten ein überbestimmtes, lineares Gleichungssystem (DLT) bestehend aus sechzehn Gleichungen in bekannter Weise aufgestellt und gelöst werden kann.

3.4 In den folgenden Passagen (Seite 7, Zeilen 4 bis 21) wird die erfindungsgemäße Anordnung mit dem beweglichen Träger und mindestens vier an diesem Träger angebrachten Markierungen beschrieben. Durch zwei Aufnahmen des Trägers an unterschiedlichen Positionen ergeben sich acht Zuordnungen von Weltpunkten zu Bildpunkten und damit auch ein Gleichungssystem mit sechzehn Gleichungen. Zusätzlich zu den elf unbekannten Parametern der Kameraprojektionsmatrix m11 ... m14, m21 ... m24, m31 bis m33 ist der Versatz v zwischen den zwei Aufnahmen des Trägers zu bestimmen. Dieser wird durch zwei zusätzliche Parameter s und t repräsentiert. Es ergibt sich also ein überbestimmtes Gleichungssystem mit sechzehn Gleichungen und dreizehn Unbekannten. Da das Gleichungssystem (3) aufgrund der Substitution der zweiten Weltpunkte gemäß der Gleichungen (5) und (6) gemischte Produkte (s·m11, s·m21, ... t·m12, t·m22, ...) enthält, ist eine iterative Lösung beispielsweise unter Anwendung des Gauß-Newton Verfahrens und geeigneter Startwerte möglich (siehe Seite 8, Zeilen 15 bis 32).

3.5 Mittels des angegebenen Verfahrens können die Kameraprojektionsparameter daher - wie im Anspruch spezifiziert - unter Mitermittlung des Versatzes im Allgemeinen bestimmt werden. Nach Ansicht der Kammer liegt somit kein Offenbarungsmangel vor und die Voraussetzungen des Artikels 83 EPÜ sind somit erfüllt.

4. Hauptantrag: Klarheit

4.1 Die Prüfungsabteilung bemängelte in der angefochtenen Entscheidung, dass "die Beschreibung dem Fachmann keine Informationen darüber vermittelt, wie die unklare Formulierung in Anspruch 1 ... auszulegen ist (Artikel 69 (1) EPÜ)", siehe die Punkte VIII und 3.1 oben.

4.2 Es ist ständige Rechtsprechung der Kammern (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 8. Auflage, 2016, II.A.6.3.2), dass sich Artikel 69 (1) EPÜ 1973 (bzw. Artikel 69 (1) EPÜ) und das Protokoll über die Auslegung des Artikels 69 EPÜ auf den Schutzbereich eines Patents oder einer Patentanmeldung bezieht, welcher nur im Hinblick auf Artikel 123 (3) EPÜ und in nationalen Verletzungs-verfahren relevant ist.

Diese gesetzlichen Bestimmungen dienen dazu, einen gerechten Schutz dann zu gewährleisten, wenn der Anspruchswortlaut unveränderbar festgelegt ist - unter anderem durch Bezug auf die Beschreibung und die Zeichnungen. Im Prüfungsverfahren ist jedoch die zukünftige Rechtssicherheit vorrangig. In diesem Stadium ist es die Funktion der Ansprüche, den Gegenstand festzulegen für den Schutz begehrt wird (Artikel 84 Satz 1 EPÜ). Die Klarheit des Anspruchs 1 ist daher im vorliegenden Fall nicht nach Artikel 69 EPÜ zu prüfen, sondern nach Artikel 84 EPÜ.

4.3 Die Prüfungsabteilung sah den Klarheitsmangel offenbar in dem Merkmal, "dass der Versatz aus vom selben Versatz abhängigen Weltpunkten ermittelt wird", siehe die Punkte VIII und 3.1 oben). Korrekt ist, dass der Versatz durch das Lösen eines überbestimmten, nichtlinearen Gleichungssystems bestimmt wird, in dem die den Versatz beschreibenden Parameter s und t enthalten sind. Die Kammer stimmt mit der Beschwerde-führerin überein, dass diese Abhängigkeit auf Seite 8, Zeilen 23 bis 25, der Anmeldung beschrieben wird und dass die iterative Lösung eines solchen überbestimmten, nichtlinearen Gleichungssystems fachüblich ist (siehe Beschwerdebegründung, Seite 4, vorletzter Absatz).

4.4 Die Prüfungsabteilung bemängelte in der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich der abhängigen Ansprüche 2 und 3 auch, dass "die Bezugszeichen (s, t, 0) nicht einer Definition gleichkommen" und verwies darauf, dass in Anspruch 1 der Versatz nur mit dem "Bezugszeichen (v)" bezeichnet werde (siehe Punkt VIII oben).

Diesbezüglich ist die Kammer der Ansicht, dass der "Versatz (s, t, 0)" in Anspruch 2 als Zeilenvektor und nicht als Bezugszeichen verstanden werden sollte (siehe auch Beschwerdebegründung, Seite 5, letzter kompletter Absatz). Im Anspruch 3 sind s und t klar als Variablen zu erkennen.

4.5 Die Kammer schließt sich zudem der Meinung der Beschwerdeführerin an, dass der letzte Verfahrens-schritt von Anspruch 1 ("Ermitteln der Kamera-projektionsparameter (mkl), unter Mitermittlung des Versatzes ... mit Hilfe der Methode der Direkten Linearen Transformation („DLT”).") klar ausdrückt, wofür Schutz begehrt wird. Das Merkmal ist in seinem Kontext so zu verstehen, dass die Kameraprojektions-parameter und der Versatz "mit Hilfe der Methode der Direkten Linearen Transformation" ermittelt werden. Dies bedeutet nicht, dass alle Lösungsschritte, die zu den gewünschten Kameraprojektionsparametern führen, nur lineare Komponenten umfassen dürfen, sondern lediglich, dass von der DLT-Gleichung ausgegangen wird, um das Gleichungssystem aufzustellen (siehe Schreiben der Beschwerdeführerin vom 18. Dezember 2018, Seite 2, zweiter Absatz). Diese Interpretation wird auch durch die Terminologie in der Beschreibung gestützt, da in Analogie zu dem linearen Gleichungssystem (4) auch in dem nichtlinearen Gleichungssystem (9) die Matrix D (als modifizierte Matrix D(s,t)) verwendet wird.

4.6 Des Weiteren bestehen seitens der Kammer keine Klarheitseinwände gegen die vorliegenden Ansprüche.

4.7 Die Ansprüche des Hauptantrags sind daher klar (Artikel 84 EPÜ).

5. Hauptantrag: Neuheit und erfinderische Tätigkeit

5.1 Es ist unbestritten, dass das Dokument D10 als nächster Stand der Technik angesehen werden kann. Das Dokument beschreibt zwei auf der bekannten DLT basierende Kalibrierungsverfahren für eine Kamera.

Gemäß dem ersten Verfahren (linearer modifizierter DLT Algorithmus) wird eine Orthogonalitätsbedingung zusätzlich zu den linearen DLT Gleichungen verwendet, um genauere Resultate der Kalibrierung zu berechnen. Im zweiten Verfahren werden zusätzlich nichtlineare Verzerrungen durch die Kameraoptik berücksichtigt.

Für beide Verfahren und für die bekannte DLT wird ein experimenteller Aufbau verwendet, um die Ergebnisse der Verfahren vergleichen zu können. Der Aufbau besteht aus einem dreidimensionalen, rechteckigen Kalibrierungs-rahmen mit 30 an dem Rahmen angebrachten Markern. Der Rahmen wird aus zwei Kamerapositionen aufgenommen, so dass alle 30 Marker von der Kamera erfasst werden können.

5.2 Die Kammer stimmt der Auffassung der Beschwerdeführerin zu, dass das Dokument D10 nicht die folgenden Schritte des Anspruchs 1 offenbart:

a) das Verschieben des Trägers (4) im Blickraum um einen unbekannten Versatz (v), um von diesem abhängige zweite Weltpunkte (wi) im Blickraum zu erhalten, und

b) das Ermitteln der Kameraprojektionsparameter (mkl), unter Mitermittlung des Versatzes, aus den bekannten ersten Weltpunkten, den vom Versatz abhängigen zweiten Weltpunkten, den detektierten ersten Bildpunkten und den detektierten zweiten Bildpunkten.

Im Gegensatz zur Ansicht der Prüfungsabteilung, siehe Punkt VIII oben, wird in dem im Dokument D10 offenbarten Verfahren nicht der Träger verschoben, sondern es werden zwei Bilder eines feststehenden Trägers aus zwei Positionen aufgenommen. Zudem wird in der DLT kein Versatz berücksichtigt.

5.3 Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher aus den oben angegebenen Gründen neu gegenüber der Entgegenhaltung D10 (Artikel 54(1) und (2) EPÜ).

5.4 Die Beschwerdeführerin sieht den technischen Effekt der oben festgestellten Unterscheidungsmerkmale darin, dass die Kalibrierung rascher und einfacher durchführbar sei (siehe Beschwerdebegründung, Seite 9 oben, sowie Schreiben vom 18. Dezember 2018, Seite 4, zweiter Absatz). Da nach der in dem Dokument D10 offenbarten Lehre jedoch eine Kameraaufnahme für die Kalibrierung ausreicht und auch keine Verschiebung eines Trägers oder der Kamera für die Kalibrierung erforderlich ist, ist die Kammer der Meinung, dass dieser von der Beschwerdeführerin angegebene Effekt nicht notwendigerweise erreicht wird. Stattdessen sieht die Kammer den technischen Effekt der Unterscheidungsmerkmale darin, dass eine an eine sich wiederholende Bewegung angepasste Kalibrierung durchgeführt wird (der Träger bewegt sich auf der Straße wie auch die später zu vermessenden Fahrzeuge).

5.5 Die objektive technische Aufgabe lautet daher, das im Dokument D10 offenbarte Kamerakalibrierverfahren an eine sich wiederholende Bewegung anzupassen.

5.6 D10 enthält keinen Hinweis auf eine sich wiederholende Bewegung, und damit auch nicht auf eine Bewegung des Kalibrierungsrahmens.

5.7 Dokument D4 beschreibt ein Verfahren zum Kalibrieren einer Verkehrskamera. Hier werden jedoch keine Kameraprojektionsparameter ermittelt, sondern es wird direkt die Kameraposition relativ zur Fahrbahn bestimmt (erster Satz von Punkt F. auf Seite 96). Dazu werden auch nicht Markierungen auf einem Träger vermessen, sondern Merkmale der Straße selbst bzw. allgemein des Verkehrs anhand einer "activity map".

D4 zeigt somit ebenfalls nicht die Merkmale a) und b) (siehe Punkt 5.2 oben). Die Kombination der Dokumente D10 und D4 führt daher nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1.

5.8 Die Kammer ist zudem der Meinung, dass keines der weiteren im Verfahren genannten Dokumente den Gegenstand des Anspruchs 1 vorwegnimmt oder dass eine Kombination dieser Dokumente den Gegenstand des Anspruchs 1 nahelegt.

5.9 Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher neu und beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf die im Verfahren genannten Dokumente (Artikel 54(1) und (2) und 56 EPÜ). Selbiges gilt für den Gegenstand der abhängigen Ansprüche.

6. Aus den oben genannten Gründen kann ein Patent auf der Grundlage der Ansprüche gemäß Hauptantrag erteilt werden. Die Beschreibung ist jedoch noch von der Prüfungsabteilung anzupassen.

7. Da der Beschwerde der Beschwerdeführerin auf der Grundlage des Hauptantrags stattzugeben ist, besteht kein Grund zur Behandlung der vorliegenden Hilfsanträge.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, ein Patent mit folgenden Ansprüchen und einer noch anzupassenden Beschreibung zu erteilen:

Ansprüche 1 bis 9 gemäß Hauptantrag, eingereicht mit der Beschwerdebegründung vom 30. September 2013.

Quick Navigation