T 2160/13 () of 18.11.2014

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2014:T216013.20141118
Datum der Entscheidung: 18 November 2014
Aktenzeichen: T 2160/13
Anmeldenummer: 05740715.7
IPC-Klasse: B42D 15/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 470 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Sicherheits- und/oder Wertdokument
Name des Anmelders: Leonhard Kurz Stiftung & Co. KG
Name des Einsprechenden: De La Rue International Limited
Giesecke & Devrient GmbH
Hueck Folien GmbH
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention Art 123(2)
Schlagwörter: Unzulässige Erweiterung (nein)
Neuheit (ja)
Erfinderische Tätigkeit (Haupt-, Hilfsanträge I,II - nein; Hilfsantrag III
Erfinderische Tätigkeit (Haupt-, Hilfsanträge I,II - ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0253/06
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden der Beschwerdeführerinnen 1 und 2 (Einsprechende 2 und 3) richten sich gegen die am 22. Oktober 2010 zur Post gegebene Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Fassung, in der das Patent Nr. 1 727 684 in geändertem Umfang den Erfordernissen des Europäischen Patentübereinkommens genüge.

II. Das Patent war mit drei Einsprüchen im Hinblick auf Artikel 100 (a) i.V.m. Artikel 52 (1) und 54 bzw. 56 EPÜ 1973 angegriffen worden.

Die Einspruchsabteilung vertrat die Auffassung, dass diese Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung nicht entgegenstünden.

Sie hat insbesondere folgende Druckschriften berücksichtigt:

E1: WO 03/054297;

E2: US 6 428 051;

E3: CA-A 2 483 467;

E4: WO 00/39391;

E5: EP-A 1 398 174;

E7: EP-A 0 070 172;

E8: WO 00/00697;

E10: DE 43 34 848;

E11: US 4 462 866;

E12: DE 40 41 025;

E13: WO 03/097937;

E17: US 5 104 149;

E18: Lexikon der graphischen Technik, 7. Auflage, VEB Fachbuchverlag Leipzig 1986, S. 352-353;

E20: EP-A 1 386 753;

E21: EP-A 0 251 253;

E22: EP-A 1 338 430.

III. Am 18. November 2014 hat eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer stattgefunden.

IV. Beide Beschwerdeführerinnen haben beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) hat als Hauptantrag beantragt, die Beschwerden zurückzuweisen, oder die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf der Grundlage der als Hilfsanträge I bis VI in der mündlichen Verhandlung eingereichten Anspruchsätze aufrechtzuerhalten. Die Hilfsanträge I bis VI ersetzen die mit der Erwiderung auf die Beschwerden eingereichten Hilfsanträge I bis X.

V. Anspruch 1 des Hauptantrages lautet wie folgt:

"Sicherheits- und/oder Wertdokument, insbesondere Banknote, mit einem Träger (1) aus einem Papiermaterial und einem insbesondere streifen- oder fadenförmigen Folienelement (2), das ein oder mehrere optische Sicherheitsmerkmale aufweist, wobei der Träger (1) ein oder mehrere fensterförmige Durchbrechungen (31, 32, 33, 34, 35, 36) aufweist, die mittels des Folienelements (2), das die Durchbrechungen (31 bis 36) allseitig überragt, verschlossen sind, dadurch gekennzeichnet, dass auf die dem Folienelement (2) gegenüberliegende Seite des Trägers (1) aus einem Papiermaterial eine die Fläche des Folienelements zumindest im Bereich der Durchbrechungen (31 bis 36) bedeckende Versiegelungsschicht (4) aufgebracht ist, wobei die Versiegelungsschicht die Seite des Papierträgers nicht vollständig bedeckt, und dass die Versiegelungsschicht (4) aus einer Lackschicht gebildet ist, welche durch Drucken, Gießen, Aufsprühen oder Aufspritzen aufgebracht ist."

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I unterscheidet sich von Antrag 1 des Hauptantrags durch die zusätzlichen Merkmale "wobei die Versiegelungsschicht (4) die Fläche des Folienelements (2) zumindest zu 80 % bedeckt und/oder die Fläche der Versiegelungsschicht (4) 100 bis 120 % der Fläche des Folienelements (2) besitzt".

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II unterscheidet sich von Antrag 1 des Hauptantrags durch die zusätzlichen Merkmale "wobei die Versiegelungsschicht (4) die Fläche des Folienelements (2) zumindest zu 80 % bedeckt und wobei das Folienelement eine streifenförmige Form mit einer Streifenbreite im Bereich von 4 bis 30 mm aufweist".

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag III unterscheidet sich von Antrag 1 gemäß dem ersten Hilfsantrag durch das zusätzliche Merkmal, dass "die Versiegelungsschicht (4) eine Dicke im Bereich von 2 bis 10 mym aufweist".

VI. Die Beschwerdeführerin 1 (Einsprechende 2) hat Folgendes vorgetragen:

a) Hauptantrag: unzulässige Erweiterung

Das Merkmal von Anspruch 1, dass "die Versiegelungs-schicht die Seite des Papierträgers nicht vollständig bedeckt" ist nicht ursprünglich offenbart, sondern stellt lediglich eine spezielle Ausführungsform eines generisch offenbarten Merkmals dar, was den Anforderungen von Artikel 123 (2) EPÜ nicht genügt.

Der von der Patentinhaberin geltend gemachte Satz (Seite 3, Zielen 13 bis 16) spricht nur von Folienelementen und Versiegelungsschichten in der Mehrzahl. Dies widerspricht der Auffassung, dass die ursprüngliche Anmeldung offenbart, dass ein Folienelement auf einer Seite des Trägers und ein Versiegelungselement auf der anderen Seite des Trägers angebracht sein muss. Der Satz auf Seite 3, Zeilen 16 bis 18, der Anmeldung stellt nur eine spezielle bevorzugte Ausführungsform dar. Deren Verallgemeinerung hat aber keine Stütze in der Anmeldung.

b) Hauptantrag: Neuheit

Anspruch 1 mangelt es an Neuheit im Hinblick auf die Druckschrift E1.

Das Merkmal, demzufolge die Versiegelungsschicht die Fläche des Folienelements zumindest im Bereich der Durchbrechungen bedeckt, ergibt sich aus Seite 7, Zeilen 18-21 ("zumindest auf einer Oberfläche ... mit einem die Öffnung überragenden Sicherheitselement versehen ..."). Diese Formulierung umfasst Abbildung 9, bei der nur eine Seite verschlossen ist, aber auch die Variante, in der auch die andere Seite mit einem die Öffnung überragenden Sicherheitselement versehen ist. Dies ist zusammen mit dem Beispiel auf Seite 11 zu sehen, wo eine Kunststofffolie mit einer Versiegelungsschicht kombiniert wird.

Dass die Versiegelungsschicht die Seite des Papierträgers nicht vollständig bedeckt, folgt aus Seite 2, Zeilen 8 bis 9 (... in Etiketten-oder Streifenform, oder vollflächig"): die alternative Formulierung "oder vollflächig" impliziert hier, dass die Etiketten oder Streifen das Papier nicht vollständig bedecken.

Ebenso ist aus der Offenbarung einer Versiegelungsschicht aus Harz (E1, Seite 11, Zeilen 2 bis 3: "Beschichtung oder Aufdruck aus einem Harz") für den Fachmann klar, dass es sich um eine Schicht aus Lack handelt. Aus der Druckschrift E24, die das Fachwissen des Fachmanns wiedergibt, geht hervor, dass jeder Film - und insbesondere eine dünne Schicht aus Harz - mit einer dekorativen oder schützenden Funktion, vom Fachmann als Lack verstanden wird. Ein Lack besteht aus Harz mit einem Lösungsmittel, das nach dem Aufbringen verdunstet, sodass später nicht mehr feststellbar ist, ob das Harz durch das Lösungsmittel aufgebracht wurde, und nicht durch Aufschmelzen.

c) Hauptantrag: Erfinderische Tätigkeit

Der Gegenstand des Anspruchs ist auch nicht erfinderisch gegenüber der Druckschrift E1.

Der Vorteil einer Versiegelungsschicht, die die Fläche des Folienelements zumindest im Bereich der Durchbrechungen bedeckt, besteht in der mechanischen Stabilisierung des Sicherheitsdokuments oder in der Vermeidung von Verschmutzung und deshalb in der Verbesserung der hygienischen Eigenschaften des Sicherheitsdokuments. Die Verwendung eines Lacks besteht dazu in keiner funktionellen Beziehung; ihr Vorteil besteht in einer besonders einfachen Aufbringung des Harzes.

Der Fachmann, der die Figur 9 der Druckschrift E1 vor Augen hat, versteht, dass das Folienelement 13 eine stabilisierende Wirkung hat; wenn er, wie von Druckschrift E1 gelehrt, ein ähnlich großflächiges Sicherheitselement aus Harz auf der anderen Seite der Banknote anbringt, wird er eine Verstärkung der stabilisierenden Wirkung erwarten.

Stellt sich der Fachmann die Aufgabe, die hygienischen Eigenschaften des Sicherheitsdokuments zu verbessern, liegt es für ihn auch nahe, dies durch die Verwendung einer vollflächigen Versiegelungsschicht zu erreichen.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 in seiner Allgemeinheit ist nicht geeignet, das Eindringen von Feuchtigkeit in die Papierschicht zu verhindern, da nur verlangt wird, dass die Versiegelungsschicht die Fläche des Folienelements bedeckt (und nicht notwendigerweise das Papier).

Die Verwendung eines Lacks zum Aufbringen des Harzes ist eine Lösung, die für den Fachmann auf der Hand liegt.

Es fehlt auch an der erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf Kombinationen der Druckschrift E1 mit den Druckschriften E11, E12 oder E25 (WO 03/053713) und im Hinblick auf die Kombinationen der Druckschriften E10 + E11, E10 + E12 und E13 + E10.

d) Hilfsanträge: Zulässigkeit

Die Hilfsanträge sind verspätet und erfordern ein eingehendes Studium durch die Beschwerdeführerin; sie sollten daher nicht zugelassen werden.

e) Hilfsantrag I: Patentfähigkeit

Anspruch 1 ist unklar und darüber hinaus nicht geeignet, das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit zu begründen, da es naheliegend ist, die beiden Sicherheitselemente gleich groß auszuführen.

f) Hilfsantrag II: Patentfähigkeit

Es ist üblich, Sicherheitselemente mit einer Streifenbreite von 4 bis 30 mm vorzusehen. Die wohlbekannte 20-Euro Banknote, die seit Januar 2002 im Umlauf ist (E26, erneut mit der Antwort auf den Ladungsbescheid, aber auch schon in der ersten Instanz eingereicht) besitzt einen lichtdurchlässigen Streifen mit einer Breite von 8 mm (siehe auch Druckschrift E4, Seite 6, 16-17: "The width of the strip preferably lies in the range of 6 to 25mm.").

g) Hilfsantrag III: Patentfähigkeit

Die beanspruchte Lackschicht betrifft einen relativ großen Bereich von Dicken, die einer Üblichen Parameterwahl entsprechen. Die Druckschrift E17 (Spalte 3, Zeile 55) offenbart eine Sicherheitskarte mit einer 10 mym dicken Lackschicht.

VII. Die Beschwerdeführerin 2 (Einsprechende 3) hat im Wesentlichen dieselben Argumente wie die Beschwerde-führerin 1 vorgebracht. Ergänzend hat sie noch Folgendes vorgetragen:

a) Hauptantrag: Neuheit

Um ein Harz aufzudrucken, wie in Druckschrift E1 offenbart, bedarf es eines Lösungsmittels, also eines Lacks. Ein Lack besitzt inhärent versiegelnde Wirkung. Eine die Oberfläche veredelnde Harzschicht macht die Oberfläche dicht.

Bezüglich der Vollflächigkeit der Versiegelungsschicht ist auf die Seite 7, Zeile 18-21 ("zumindest auf einer Oberfläche ... mit einem die Öffnung überragenden Sicherheitselement") zusammen mit der Offenbarung auf Seite 10, Zeile 10 ("... werden beide Seiten der Öffnung mit einem Sicherheitselement versehen ...") zu verweisen. Es ist also auch offenbart, dass beide Seiten des Trägers vom Sicherheitselement bedeckt sind.

Ein Sicherheitselement, das die Öffnung überragt, verschließt sie. Druckschrift E1 offenbart auf Seite 8, Zeilen 25-27, dass das Sicherheitselement die Öffnung allseitig überragt.

b) Hauptantrag: Erfinderische Tätigkeit

Der Gegenstand des Anspruchs ist nicht erfinderisch gegenüber Druckschrift E1.

Die Teilaufgabe der mechanischen Stabilisierung ist in der Druckschrift E1 schon gelöst durch das Aufbringen einer Schicht. Dies kann durch eine vollständige Bedeckung nur verbessert werden.

Es fehlt auch an der erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf Kombinationen der Druckschrift E1 mit der Druckschrift E20 und im Hinblick auf die folgenden Kombinationen der Druckschriften: E11+E10; E20+E21; E22+E21.

c) Hilfsanträge: Zulässigkeit

Die Hilfsanträge sind sehr zahlreich. Da die Patentinhaberin nicht auf die Kritik der bis dahin vorliegenden Hilfsanträge durch die Beschwerdeführerinnen eingegangen ist, sollte sie nicht die Möglichkeit erhalten, so spät wie im vorliegenden Fall neue Hilfsanträge ins Verfahren einzuführen.

d) Hilfsantrag I: Patentfähigkeit

Zumindest bei einer Bedeckung der Fläche des Folienelements von 80% bis 100% wird einer ungleichmäßigen Feuchtigkeitsverteilung im Papierträger nicht entgegengewirkt.

e) Hilfsantrag II: Patentfähigkeit

Die geforderte Streifenbreite ergibt sich automatisch für den Fachmann aus der Größe der Durchbrechungen.

VIII. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) hat Folgendes vorgetragen:

a) Hauptantrag: unzulässige Erweiterung

Das Merkmal von Anspruch 1, dass "die Versiegelungs-schicht die Seite des Papierträgers nicht vollständig bedeckt", ist auf Seite 3, Zeilen 13 bis 16 der ursprünglichen Anmeldung offenbart. Die überspitzte grammatikalische Analyse der Einsprechenden entspricht aufgrund des eindeutigen Aussagegehalts der "und/oder-Kombination" nicht dem Verständnis des Fachmanns. Aus dem Gesamtzusammenhang dieses Absatzes und aus Anspruch 1 der Anmeldung geht auch hervor, dass das Folienelement und die Versiegelungsschicht auf gegenüberliegenden Seiten angeordnet sind. Die Zweckbestimmung, der zufolge der Papierträger der Feuchtigkeit ausgesetzt ist (Seite 3, Zeilen 15 bis 16) weist ebenfalls in diese Richtung.

Selbst wenn mehrere Versiegelungsschichten vorgesehen sein sollten, würden sie gemäß der Offenbarung der ursprünglichen Anmeldung die entsprechende Seite des Papierträgers nicht vollflächig bedecken.

b) Hauptantrag: Neuheit

Die Ausführungen der Einsprechenden beruhen auf einer rückschauenden Betrachtungsweise.

Die Schichten der Druckschrift E1 sind Schichten die keine Versiegelungsfunktion haben sollen; es handelt sich vielmehr um Sicherheitselemente. Dies gilt auch für die Harzschicht (Seite 11, Zeile 3).

Harz und Lack sind keine Synonyme. Der Rückschluss von Harzen auf Lacke ist nicht zulässig, da Lacke Harze zwar enthalten können, aber nicht müssen, und auch noch andere Komponenten enthalten. Lack ist also in E1 nicht eindeutig und zweifelsfrei offenbart.

Es ist auch nicht richtig, aus dem Vorhandensein einer Harzschicht auf die Existenz einer Versiegelungsschicht zu schließen. Ein potentiell versiegelndes Material muss auch in einer verschlossenen Schicht und mit einer gewissen Schichtdicke aufgebracht werden, um tatsächlich versiegelnd zu wirken. Die Funktion, das Eindringen von Feuchtigkeit zu verhindern, kann nicht mit jeder beliebigen Harzbeschichtung erreicht werden. Auch wirkt nicht jedes Harz versiegelnd. Die Harzbeschichtung in E1 hat nur die Funktion eines optischen Elements. Es ist auch aus der allgemeinen Lebenserfahrung bekannt, dass nicht alle Anstriche versiegelnde Wirkung haben.

Die räumliche Ausformung der Versiegelungsschicht wird von der Tabelle auf der Seite 11 der Druckschrift E1 völlig offen gelassen. Die Passage auf der Seite 10, Zeilen 10 bis 14 offenbart auch nichts in dieser Hinsicht. Der Offenbarung der Seite 7, Zeilen 18-24, ist nicht zu entnehmen, dass das Sicherheitselement die Öffnung vollständig überragt. Die Schnittdarstellung der Figur 9 erlaubt nicht, auf das allseitige Überragen zu schließen.

c) Hauptantrag: Erfinderische Tätigkeit

Die Erfindung erzielt zwei Vorteile, und zwar zum einen eine mechanische Stabilisierung und zum andern das Verhindern des Eindringens von Feuchtigkeit (Anmeldung, Seite 3, Zeile 26 bis Seite 4, Zeile 13; Seite 15, Zeilen 10 bis 17). Die Aufgabe sollte aber nicht im Sinne der Stabilisierung formuliert werden, da dies schon Lösungskomponenten vorwegnimmt. Die Aufgabe kann darin gesehen werden, das Eindringen von Feuchtigkeit in das Papier zu verhindern und somit die industrielle Verarbeitung zu erleichtern.

In der Druckschrift E1 gibt es keine Hinweise auf die Stabilisierung. Die dort offenbarten Elemente sind Sicherheitselemente und nicht Stabilisierungselemente. Im Lichte des "could/would approach" hat der Fachmann hier keine Veranlassung zur Stabilisierung.

Die Figur 9 hat nur ein einseitiges Fenster; von einer Stabilisierung durch die Folie ist nicht die Rede. Hier findet sich also keine Lehre, die der Fachmann anwenden würde.

d) Hilfsanträge: Zulässigkeit

Die Hilfsanträge sollten zugelassen werden, zumal die Einwände, die diese Hilfsanträge notwendig erscheinen lassen, erst nach Zugang des Ladungsbescheids erhoben wurden. Sie betreffen auch keinen anderen Gegenstand als die zuvor vorliegenden Hilfsanträge.

e) Hilfsantrag I: Patentfähigkeit

Der Vorwurf des Mangels an Klarheit ist neu und darüber hinaus nicht zulässig, da das neue Merkmal aus einer Kombination von erteilten abhängigen Ansprüchen resultiert. Aus den Paragraphen [0014] und [0015] der Patentschrift geht hervor, dass bei einer Bedeckung der Fläche des Folienelements von 80% das Eindringen von Feuchtigkeit weitgehend unterbunden wird.

f) Hilfsantrag II: Patentfähigkeit

Das Dokument E26 sollte nicht zugelassen werden, da es nach dem Ladungsbescheid eingereicht wurde. Es handelt sich um eine angebliche offenkundige Vorbenutzung, die die Beschwerdegegnerin nicht überprüfen konnte. Die Druckschrift E4 hat eine ganz andere Qualität und betrifft ein anderes technisches Gebiet.

g) Hilfsantrag III: Patentfähigkeit

Die beanspruchte Lackschicht ist unüblich dick. Die Druckschrift E17 betrifft eine Sicherheitskarte und daher ein anderes technisches Gebiet.

Entscheidungsgründe

1. Die dem Streitpatent zugrundeliegende Anmeldung wurde am 21. März 2005 angemeldet. Deshalb sind in diesem Fall gemäß Artikel 7 der Akte zur Revision des EPÜ vom 29. November 2000 (Sonderausgabe Nr. 4, ABl. EPA 2007, 241) und dem Beschluss des Verwaltungsrats vom 28. Juni 2001 über die Übergangsbestimmungen nach Artikel 7 der Akte zur Revision des EPÜ vom 29. November 2000(Sonderausgabe Nr. 4, ABl. EPA 2007, 243) die Artikel 52, 54 und 56 EPÜ 1973 anzuwenden.

2. Hauptantrag

2.1 Unzulässige Erweiterung (Artikel 123(2) EPÜ)

Gemäß Artikel 123 (2) EPÜ darf das europäische Patent nicht in der Weise geändert werden, dass sein Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht.

2.1.1 Die geltend gemachte unzulässige Erweiterung betrifft ausschließlich das Merkmal, dem zufolge "die Versiegelungsschicht die Seite des Papierträgers nicht vollständig bedeckt".

2.1.2 Die Patentinhaberin hat die Einführung dieses Merkmals auf folgende Stelle der ursprünglichen Anmeldung gestützt:

"Die Erfindung richtet sich dabei insbesondere auf Folienelemente und/oder Versiegelungsschichten, die die beiden Seiten des Papierträgers nicht vollständig bedecken, so dass der Papierträger somit neben Temperatureinflüssen auch weiteren Umwelteinflüssen wie Feuchtigkeit ausgesetzt ist." (Seite 3, Zeilen 13-16)

2.1.3 Dieser Satz wurde von den Parteien und der Einspruchsabteilung unterschiedlich ausgelegt. Unstrittig ist, dass die Stelle den Fall offenbart, in dem sowohl das Folienelement als auch die Versiegelungsschicht den Papierträger nur unvollständig bedecken. Strittig ist hingegen, ob sie auch den Fall offenbart, bei dem nur die Versiegelungsschicht (oder nur das Folienelement) den Papierträger unvollständig bedeckt, wohingegen das Gegenstück die entsprechende Seite des Papierträgers vollständig bedeckt.

2.1.4 Es stellt sich also die Frage, wie der Fachmann die obengenannte Stelle der ursprünglichen Beschreibung verstehen würde.

Dabei ist in Betracht zu ziehen, dass sowohl die ursprünglichen Ansprüche als auch die Ausführungsbeispiele der Anmeldung nur Sicherheits- bzw. Wertdokumente betreffen, bei denen das Folienelement auf einer Seite des Trägers und die Versiegelungsschicht auf der anderen Seite des Trägers aufgebracht ist. Es ist dem Fachmann daher klar, dass sowohl das Folienelement als auch die Versiegelungsschicht nur jeweils eine Seite (vollständig oder unvollständig) bedecken kann, also nicht beide.

Die Auslegung der obengenannten Stelle der Beschreibung ist auch im Zusammenhang mit der angeführten Wirkung zu sehen, "dass der Papierträger ... auch weiteren Umwelteinflüssen wie Feuchtigkeit ausgesetzt ist". Dies ist auch der Fall, wenn nur das Folienelement (oder nur die Versiegelungsschicht) die ihm entsprechende Seite des Trägers unvollständig bedeckt.

Der Fachmann würde die obengenannte Stelle der Beschreibung also dahingehend auslegen, dass die Erfindung insbesondere auf Sicherheitsdokumente abzielt, in denen entweder das Folienelement oder die Versiegelungsschicht oder beide die jeweilige Seite des Trägers nur unvollständig bedeckt bzw. bedecken.

Dem Argument, dass das strittige Merkmal nur eine spezielle Ausführungsform eines generisch offenbarten Merkmals darstellt, kann die Kammer deshalb nicht folgen. Es handelt sich bei der vorgenommenen Änderung des Anspruchs vielmehr um eine Auswahl unter verschiedenen offenbarten Möglichkeiten; nur die Variante in der nur das Folienelement die jeweilige Seite des Trägers nur unvollständig bedeckt, wurde ausgegrenzt.

Die Kammer kann auch dem Argument nicht folgen, die besagte Stelle der Beschreibung offenbare, dass immer beide Seiten des Trägers unvollständig bedeckt sind. Diese Auslegung übersieht, dass die Folienelemente bzw. Versiegelungsschichten nur auf jeweils einer Seite des Trägers aufgebracht sind.

Die Beschwerdeführerinnen haben dazu geltend gemacht, dass der oben zitierte Satz der Anmeldung von "Folienelementen und/oder Versiegelungsschichten", also Elementen oder Schichten in der Mehrzahl spreche, was der oben dargelegten Auslegung durch den Fachmann widerspreche. Dem kann die Kammer nicht folgen. Der Satz beschreibt, worauf die Erfindung abzielt ("Die Erfindung richtet sich dabei insbesondere auf ..."); die Mehrzahl erklärt sich deshalb zwanglos durch die verschiedenen Ausführungsformen, die die Erfindung umfasst, und bezieht sich nicht auf die Anzahl der Folienelemente und/oder Versiegelungsschichten, die ein einzelnes erfindungsgemäßes Sicherheits- oder Wertdokument aufweist. In diesem Zusammenhang ist auch festzustellen, dass sowohl Anspruch 1 als auch die entsprechende Stelle der Beschreibung (Seite 3, Zeilen 4 bis 12) zwar "ein oder mehrere" Durchbrechungen erwähnen, aber jeweils nur "ein ... Folienelement" und "eine ... Versiegelungsschicht" (und nicht "ein oder mehrere" solcher Elemente.

Die Kammer kommt daher zum Schluss, dass Anspruch 1 des Hauptantrags die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ erfüllt.

2.2 Neuheit (Artikel 54 EPÜ 1973)

Gemäß Artikel 54 (1) EPÜ 1973 gilt eine Erfindung als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört. Den Stand der Technik bildet gemäß Artikel 54 (2) EPÜ 1973 alles, was vor dem Anmeldetag der europäischen Patentanmeldung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist.

2.2.1 Es ist unbestritten, dass die Merkmale des Oberbegriffs von Anspruch 1 aus der vorveröffentlichten Druckschrift E1 bekannt sind und diese Druckschrift auch eine Versiegelungsschicht, die die Seite des Papierträgers nicht vollständig bedeckt, offenbart.

Strittig ist hingegen, ob die folgenden Merkmale unmittelbar und eindeutig in der Druckschrift E1 offenbart sind:

(1) dass auf der dem Folienelement gegenüberliegenden Seite des Trägers eine Versiegelungsschicht aufgebracht ist;

(2) dass die Versiegelungsschicht die Fläche des Folienelements zumindest im Bereich der Durchbrechungen bedeckt; und

(3) dass die Versiegelungsschicht aus einer Lackschicht gebildet ist.

2.2.2 Merkmal (1): Versiegelungsschicht

Die Kammer stimmt der Einspruchsabteilung zu, dass die Beschichtung aus einem Harz eine Versiegelungsschicht bildet. Der Beschwerdegegnerin ist zwar dahingehend beizutreten, dass die Funktion der Harzbeschichtung in der Druckschrift E1 nicht die einer Versiegelungs-schicht ist; das ändert aber nichts an der Tatsache, dass einer Harzschicht notwendigerweise diese Wirkung zukommt. Eine explizite Offenbarung dieser Wirkung in der Druckschrift E1 ist nicht erforderlich.

Dem Argument, dass eine Versiegelungsschicht ganzheitlich bedeckend sein muss, um zu versiegeln, wie von der Beschwerdegegnerin vorgebracht (Erwiderung auf die Beschwerdebegründungen, Punkt 3.1.5, dritter Absatz), kann die Kammer nicht folgen: eine teilweise Versiegelung ist auch eine Versiegelung.

Die Beschwerdegegnerin hat vorgebracht, ein potentiell versiegelndes Material müsse auch in einer verschlossenen Schicht und mit einer gewissen Schichtdicke aufgebracht werden, um tatsächlich versiegelnd zu wirken. Die Funktion, das Eindringen von Feuchtigkeit zu verhindern, könne nicht mit jeder beliebigen Harzbeschichtung erreicht werden. Diesem Argument kann die Kammer nicht folgen, da Anspruch 1 sich nur allgemein auf die versiegelnde Funktion bezieht und diese Funktion in keiner Weise näher definiert. Insbesondere sind keine Abmessungen für die Versiegelungsschicht angeführt. Es ist auch nicht zulässig, die in der Beschreibung genannte Funktion der Versiegelungsschicht, das Eindringen von Feuchtigkeit zu verhindern, in den Anspruch hineinzulesen und daraus auf implizite Merkmale der Versiegelungsschicht zu schließen. In der vorliegenden Fassung des Anspruchs ist nur das Vorhandensein einer Versiegelungsschicht im allgemeinen beansprucht; einer Harzschicht wie der in der Druckschrift E1 genannten kann aber eine solche ganz allgemeine versiegelnde Wirkung nicht abgesprochen werden.

Die Kammer kommt daher zu dem Ergebnis, dass das Merkmal (1) in der Druckschrift E1 offenbart ist.

2.2.3 Merkmal (2): Bedeckung im Bereich der Durchbrechung

Die Beschwerdeführerinnen haben sich in diesem Zusammenhang auf die Zusammenschau zweier Passagen der Druckschrift E1 bezogen, nämlich:

"Gemäß einer bevorzugten Ausführungsform der Erfindung wird die Öffnung zumindest auf einer Oberfläche des Sicherheitspapiers nach dessen Herstellung mit einem die Öffnung überragenden Sicherheitselement versehen." (Seite 7, Zeilen 18-21), und

"Werden beide Seiten der Öffnung mit einem Sicherheitselement versehen, so können auf beide Seiten die gleichen oder die gleiche Art von Sicherheitselement aufgebracht werden oder aber unterschiedliche." (Seite 10, Zeilen 10-12)

Daraus leiten die Beschwerdeführerinnen ab, dass die Druckschrift E1 eine Variante der Erfindung offenbart, in der die Harzschicht (Seite 11, oben) die Öffnung bedeckt.

Die Kammer kann diesem Argument nicht folgen, und zwar aus den folgenden Gründen.

Der Absatz auf Seite 7, Zeilen 18-24, offenbart zwei bevorzugte Varianten, nämlich dass entweder eine oder beide Oberflächen des Sicherheitspapiers mit einem die Öffnung überragenden Sicherheitselement versehen sind. Ob die Öffnung allseitig überragt ist, wie im Gegenstand von Anspruch 1 gefordert, oder nicht, bleibt offen.

Die Druckschrift E1 offenbart darüber hinaus im Absatz der von Seite 8, Zeile 25 bis Seite 9, Zeile 4 reicht, dass das Sicherheitselement die Öffnung "allseitig um ein bestimmtes Maß" oder sogar vollflächig überragt.

Auf Seite 10, Zeilen 10-13 werden Varianten offenbart, in denen auf beiden Seiten "die gleichen oder die gleiche Art von Sicherheitselementen aufgebracht werden oder aber unterschiedliche".

Als bevorzugte Variante der letzteren Möglichkeit offenbart die Seite 11 ein Sicherheitspapier, das auf seiner ersten Seite eine Kunststofffolie (in Etiketten-oder Streifenform oder vollflächig) und auf seiner zweiten Seite eine Beschichtung oder einen Aufdruck aus einem Harz oder einer Druckfarbe, wiederum in Etiketten oder Streifenform oder vollflächig, aufweist.

Den Beschwerdeführerinnen ist zuzustimmen, dass im Prinzip alle Elemente des Merkmals 2 als solche in der Druckschrift E1 gefunden werden können. Um aber ein Sicherheitspapier, das das Merkmal (2) aufweist, zu erhalten, muss der Fachmann mehrmals zwischen verschiedenen Varianten auswählen:

Zuerst ist von den zwei Varianten des Absatzes der Seite 7, Zeilen 18 bis 21, diejenige auszuwählen, bei der beide Seiten mit einem die Öffnung überragenden Sicherheitselement versehen sind. Dann ist aus den Varianten der Seiten 10 und 11 diejenige auszuwählen, bei der verschiedene Sicherheitselemente auf den beiden Seiten aufgebracht werden, und aus den Beispielen der Seite 11 diejenigen, bei denen das eine Sicherheitselement ein Harz ist (und nicht eine Druckfarbe) und beide Sicherheitselemente nicht vollflächig ausgeformt sind.

Schließlich muss die Wahl getroffen werden, beide Sicherheitselemente so auszuformen, dass sie die Öffnung allseitig überragen (und nicht nur eines von beiden oder gar keines).

Die gegenwärtige Situation ist analog zur Situation der "Auswahl aus mehreren Listen" zu sehen, wie sie in der Chemie oft vorkommt (siehe "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA", 7. Auflage, 2013, I.C.5.1.1.b)), bei der in der Regel die Neuheit eines Merkmals anerkannt wird, wenn eine Auswahl aus zwei oder mehreren offenbarten Listen erforderlich ist, um das Merkmal zu erlangen.

Aus diesem Grunde ist die Kammer zu dem Schluss gekommen, dass das Merkmal (2) als nicht unmittelbar und eindeutig in der Druckschrift E1 offenbart anzusehen ist. Es handelt sich hier vielmehr um eine indirekte und "zerstückelte" Offenbarung, die nicht als unmittelbar angesehen werden kann.

2.2.4 Merkmal (3): Lack

Das in der Druckschrift gegebene Beispiel einer Beschichtung aus einem Harz (E1, Seite 11 oben, Tabelle, Spalte 2) offenbart nicht direkt und unmittelbar, dass die Versiegelungsschicht aus einer Lackschicht gebildet ist.

Die Offenbarung einer Beschichtung aus Harz ist dazu nicht ausreichend. Gewisse Harze sind zwar ein möglicher Bestandteil von Lacken, aber nur deshalb ist Harz im allgemeinen nicht eine spezielle Form eines Lacks.

Die Behauptung der Beschwerdeführerin 1, dass "der Fachmann die in E1 genannte Beschichtung aus einem Harz eindeutig als Lack identifiziert" (Beschwerde-begründung, Punkt 5.2, letzter Satz; fast wortgleich auch in der Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin 2), wäre nur haltbar, wenn "Harz" und "Lack" Synonyme wären oder aber zumindest jeder Harz ein Lack wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall.

Dem Argument der Beschwerdeführerin 1, dass aus der Druckschrift E24, die das Fachwissen des Fachmanns wiedergibt, hervorgehe, dass jeder Film mit einer dekorativen oder schützenden Funktion vom Fachmann als Lack verstanden werde, kann die Kammer nicht folgen, da bei diesem Verständnis auch ein Kunststofffilm als Lack anzusehen wäre.

Auch das Argument, dass gar nicht feststellbar sei, ob ein Harz auf einem Papiersubstrat durch das Lösungsmittel oder durch Aufschmelzen aufgebracht werde, geht an der Sache vorbei, da es für die Auslegung der Offenbarung der Druckschrift E1 irrelevant ist.

Dafür, dass es eines Lösungsmittels bedarf, um ein Harz aufzudrucken, hat die Beschwerdeführerin 2 keine Belege vorgebracht. Darüber hinaus bezieht sich der "Aufdruck" in Zeile 2 der Seite 11 der Druckschrift E1 aller Wahrscheinlichkeit nach auf die Druckfarbe und nicht auf das Harz. Selbst wenn es eines Lösungsmittels bedürfte, würde aus der Harzschicht nach Druckschrift E1 noch kein Lack im Sinne von Anspruch 1.

Die Kammer kommt daher zum Schluss, dass das Merkmal (3) in der Druckschrift E1 nicht direkt und unmittelbar offenbart ist.

2.2.5 Insgesamt stellt die Kammer fest, dass der Gegenstand von Anspruch 1 sich durch zwei Merkmale von der Offenbarung der Druckschrift E1 unterscheidet, nämlich dadurch, dass die Versiegelungsschicht

(1) die Fläche des Folienelements zumindest im Bereich der Durchbrechungen bedeckt und

(2) aus einer Lackschicht gebildet ist.

Daraus folgt die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 im Sinne von Artikel 54 (1) EPÜ 1973 gegenüber der Druckschrift E1.

2.3 Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ 1973)

Gemäß Artikel 56 EPÜ 1973 gilt eine Erfindung als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in nahe liegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.

Zur Prüfung der erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 bedient sich die Kammer des von den Beschwerdekammern entwickelten Aufgabe-Lösungs-Ansatzes.

2.3.1 Nächstliegender Stand der Technik

Die Beschwerdeführerinnen haben die Druckschriften E1, E10, E13 und E21 als nächsten Stand der Technik verwendet.

Die Beschwerdeführerin 2 (Beschwerdebegründung,

Punkt 4.2) diskutiert zusätzlich die Druckschrift "E11 in Verbindung mit E10". Ihre Argumentation ("Der Fachmann, ... wird bei einem Wertpapier, das gemäß E10 ... aufweist, ... eine Beschichtung wie sie in E11 geoffenbart ist, in Betracht ziehen ..."; Beschwerdebegründung, Seite 10, fünfter Absatz) wird von der Kammer so verstanden, dass sie die Druckschrift E10 als nächstliegender Stand der Technik ansieht.

Dasselbe gilt für die Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegenüber "E20 in Verbindung mit E21" und gegenüber "E22 ... in Verbindung mit E21" (Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin 2, Punkte 4.3 und 4.4); den nächstliegenderen Stand der Technik im Sinne des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes scheint in beiden Fällen die Druckschrift E21 darzustellen.

Der zur Bewertung der erfinderischen Tätigkeit heranzuziehende nächstliegende Stand der Technik ist in der Regel eine Druckschrift, die einen Gegenstand offenbart, der zum gleichen Zweck oder mit demselben Ziel entwickelt wurde wie die beanspruchte Erfindung und die wichtigsten technischen Merkmale mit ihr gemein hat, der also die wenigsten strukturellen Änderungen erfordert (siehe "Rechtsprechung der Beschwerdekammern", 7. Auflage, 2013, I.D.3.1).

Die beanspruchte Erfindung wurde mit dem Ziel entwickelt, "ein Sicherheits- und/oder Wertdokument vorzuschlagen, das für den Einsatz von im Durchlicht überprüfbaren Sicherheitselementen geeignet ist und problemlos weiterzuverarbeiten ist" (Anmeldung, Seite 2, Zeile 30 bis Seite 3, Zeile 2).

Die Druckschriften E1, E10, E13 und E21 beschreiben ebenfalls Sicherheitsdokumente bzw. Papiere für ein solches Dokument mit Sicherheitselementen, die im Durchlicht überprüfbar sind.

Die Druckschrift E10 offenbart ein Sicherheitsdokument gemäß dem Oberbegriff des Anspruchs 1, aber keinerlei Versiegelungsschicht. Das offenbarte Sicherheitsdokument erfordert also mehr strukturelle Änderungen als das Sicherheitsdokument, das in der Druckschrift E1 beschrieben ist.

Die Druckschrift E13 (Figuren 4a und 4b) offenbart ein Sicherheitsdokument dessen Flicken (patch) zwar eventuell als Versiegelungsschicht gedeutet werden kann, der aber die Durchbrechung nicht abdeckt. Das Vorhandensein eines Sicherheitsmerkmals ist ebenfalls nicht offenbart. Selbst wenn der Auslegung der Beschwerdeführerin 1 gefolgt wird, die den Flicken und nicht die durchsichtige Folie (film transparent) der Figur 4b als Folienelement deutet (siehe Einspruchbegründung, Punkt III.3), ist dieses doch nicht aus einer Lackschicht gebildet, sondern enthält bestenfalls eine solche Schicht. Deshalb ist die Kammer der Ansicht, dass auch das in Druckschrift E13 offenbarte Sicherheitsdokument mehr strukturelle Änderungen erfordert als das Sicherheitsdokument, das in der Druckschrift E1 beschrieben ist.

Die Druckschrift E21 (Figur 8) ist auch weiter entfernt vom Gegenstand des Anspruchs 1 als das Sicherheitsdokument, das in der Druckschrift E1 beschrieben ist, zumal die Durchbrechung hier weder von einem Folienelement noch von einer Versiegelungsschicht bedeckt ist.

Die Kammer kommt deshalb zum Schluss, dass die Druckschrift E1 den nächstliegenden Stand der Technik bildet.

2.3.2 Zu lösende technische Aufgabe

Wie oben (Punkt 2.2.5) dargelegt, unterscheidet sich der Gegenstand von Anspruch 1 durch zwei Merkmale von der Offenbarung der Druckschrift E1, nämlich dadurch, dass die Versiegelungsschicht

(1) die Fläche des Folienelements zumindest im Bereich der Durchbrechungen bedeckt und

(2) aus einer Lackschicht gebildet ist.

Die Anmeldung (Seite 4, Zeilen 7 bis 9) offenbart, dass der Unterschied (1) die technische Wirkung hat, die Durchbrechungen rückseitig zu stabilisieren.

Die technische Wirkung der Verwendung von Lack ist nicht offenbart, scheint aber zu sein, dass damit auf eine technisch sehr einfachen Art und Weise eine Versiegelungsschicht erhalten werden kann. Dies wurde auch von den Parteien nicht bestritten.

Die beiden oben genannten technischen Wirkungen haben keine Synergie und sind daher im Sinne des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes getrennt zu behandeln.

Dies wurde von der Beschwerdegegnerin bestritten. Das diesbezügliche Argument der Beschwerdegegnerin (siehe Antwort auf die Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 17. Oktober 2014, Punkt 2.2) beruht auf der Zusammenschau der drei von ihr geltend gemachten Unterschiede des Gegenstands von Anspruch 1 gegenüber der Offenbarung der Druckschrift E1. Da die Kammer aber nur zwei Unterschiede findet, braucht darauf nicht näher eingegangen zu werden.

Die beiden entsprechenden Teilaufgaben sind:

(1) die Durchbrechungen rückseitig zu stabilisieren und

(2) die Versiegelung auf technisch einfache Weise zu erlangen.

Die Beschwerdeführerin hat vorgebracht, die Erfindung erziele zwei Vorteile, und zwar zum einen eine mechanische Stabilisierung und zum andern das Verhindern des Eindringens von Feuchtigkeit. Die Aufgabe solle aber nicht im Sinne der Stabilisierung formuliert werden, da dies schon Lösungskomponenten vorwegnimmt.

Dem kann die Kammer nicht folgen. Erstens ist für sie nicht ersichtlich, inwiefern die Aufgabe, die Durchbrechungen rückseitig zu stabilisieren, die erfindungsgemäße Lösung vorwegnimmt. Es gibt andere Möglichkeiten, die Durchbrechung zu stabilisieren, als die Fläche des Folienelements mit der Versiegelungsschicht zu bedecken. Zweitens ist der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 nicht notwendigerweise imstande, das Eindringen von Feuchtigkeit zu verhindern, da nur gefordert ist, dass die Versiegelungsschicht das Folienelement zumindest im Bereich der Durchbrechungen bedeckt. Dass auch das Papier bedeckt sein muss, ist dem Anspruch 1 nicht zu entnehmen.

2.3.3 Naheliegen

a) Stabilisierung

Wie schon oben erwähnt (Punkt 2.2.3) offenbart die Druckschrift E1 das Merkmal (2) zwar nicht direkt und unmittelbar, aber sie offenbart es mittelbar, da man dieses Merkmal durch wiederholtes Auswählen unter bevorzugten Ausführungsformen erhält. Der Fachmann, der von der Offenbarung der Druckschrift E1 ausgeht und die von ihr als vorteilhaft offenbarten Varianten in Betracht zieht, gelangt so zum Merkmal (2). Es ist zwar richtig dass, wie von der Beschwerdeführerin angeführt, die Druckschrift E1 die Problematik des Stabilisierens der Durchbrechung nicht anspricht. Dies ist aber auch nicht erforderlich, da sie ihn über andere Vorteile zum Merkmal (2) führt. Die Stabilisierung erfolgt in gewisser Weise als "Bonuseffekt" im Sinne der gefestigten Rechtsprechung (siehe "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA", 7. Auflage, 2013, I.D.10.8) und kann deshalb als solche keine erfinderische Tätigkeit begründen.

b) Lackschicht

Es ist für den Fachmann, der die von der Druckschrift E1 offenbarte Versiegelungsschicht aus Harz realisieren will und dazu eine einfache Methode sucht, naheliegend, eine solche Versiegelungsschicht durch das Auftragen eines harzhaltigen Lacks zu erhalten. Es ist Teil des allgemeinen Fachwissens des Fachmanns, dass manche Lacke im wesentlichen gelöste Harze sind und dass es nicht unüblich ist, Papiersubstrate, die als Wertpapiere zu verwenden sind, zu lackieren. Deshalb ist auch die Lösung des zweiten Teilproblems naheliegend und kann keine erfinderische Tätigkeit begründen.

Die Kammer kommt daher zum Schluss, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags sich für den Fachmann in nahe liegender Weise aus der Lehre der Druckschrift E1 unter Zuhilfenahme seines Fachwissens ergibt. Die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ 1973 sind daher nicht erfüllt, sodass dem Hauptantrag nicht stattgegeben werden kann.

Angesichts dieser Feststellung erübrigt es sich, zu untersuchen, ob es dem Gegenstand des Anspruchs 1 auch in Hinsicht auf die anderen von den Beschwerde-führerinnen vorgebrachten Kombinationen von Elementen des Stands der Technik an erfinderischer Tätigkeit mangelt.

3. Zulässigkeit der Hilfsanträge I bis VI

3.1 Die von der Beschwerdegegnerin mit ihrer Erwiderung auf die Beschwerde eingereichten Hilfsanträge I bis X sind unzureichend substantiiert: die Beschwerdegegnerin hat keine Angaben dazu gemacht, was mit den im jeweiligen Anspruch 1 der Hilfsanträge vorgenommenen Änderungen bezweckt und in welcher Weise damit den von der Beschwerdeführerin erhobenen Einwänden bezüglich unzulässiger Erweiterung bzw. mangelnder erfinderischer Tätigkeit beim Gegenstand des Anspruchs 1 der Hilfsanträge begegnet werden solle. Es wurden lediglich Angaben zur Offenbarung der Merkmale in der ursprünglichen Anmeldung gemacht. Wie diese Kammer in anderer Besetzung in der Entscheidung T 253/06 vom 24. Juni 2008 ausgeführt hat, sind derartige Anträge eigentlich im Hinblick auf eine faire Behandlung aller Beteiligter nicht zuzulassen (vgl. Punkte 5 und 6 der Entscheidungsgründe). Da die Beschwerdeführerinnen aber keine entsprechenden Einwände erhoben haben, hat die Kammer auch davon abgesehen, von Amts wegen den Ansprüchen die Zulassung ins Verfahren zu verweigern.

Die Beschwerdeführerinnen haben Einwände gegen die Zulassung der während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vorgelegten Hilfsanträge I bis VI erhoben. Da diese Hilfsanträge bis auf wenige Änderungen den vorher vorliegenden Hilfsanträgen II bis IV, VII bis VIII und X entsprechen, ist die Kammer aber zum Schluss gekommen, dass die Behandlung der durch diese neuen Hilfsanträge aufgeworfenen Fragen sowohl der Kammer als auch den Beschwerdeführerinnen zumutbar ist. Sie hat diese Anträge daher gemäß Artikel 13(3) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) des Europäischen Patentamts, Amtsblatt, Zusatzpublikation 1, 2014, ab Seite 43) zugelassen.

4. Hilfsantrag I

Es steht fest, dass der Anspruch 1 des Hilfsantrags I den Fall betrifft, in dem die Versiegelungsschicht die Fläche des Folienelements zu 100% bedeckt und die Fläche der Versiegelungsschicht 100% der Fläche des Folienelements ausmacht. Diese spezielle Ausführungsform wird aber von der Druckschrift E1 nahegelegt. Wie schon erwähnt, schlägt die Druckschrift E1 vor, auf beiden Seiten der Öffnung "die gleichen oder die gleiche Art von" Sicherheitselementen zu verwenden (Seite 10, Zeilen 10 bis 12). Zudem offenbaren alle bevorzugten Kombinationen der Tabelle, die die Seiten 10 und 11 überbrückt, eine identische Anordnung der beiden Sicherheitselemente "in Etiketten- oder Streifenform oder vollflächig". Dies legt nahe, den beiden Sicherheitselementen dieselbe Form und dieselben Abmessungen zu geben, was aber dazu führt, dass die Versiegelungsschicht die Fläche des Folienelements zu 100% bedeckt und die Fläche der Versiegelungsschicht zu 100% der Fläche des Folienelements entspricht.

Die Kammer kommt daher zum Schluss, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags I sich für den Fachmann in nahe liegender Weise aus der Lehre der Druckschrift E1 unter Zuhilfenahme seines Fachwissens ergibt. Die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ 1973 sind daher nicht erfüllt und der Hilfsantrag I ist nicht gewährbar.

5. Hilfsantrag II

Der Anspruch 1 des Hilfsantrags II enthält zwei zusätzliche Merkmale, nämlich

(1) dass die Versiegelungsschicht die Fläche des Folienelements zumindest zu 80 % bedeckt und

(2) dass das Folienelement eine streifenförmige Form mit einer Streifenbreite im Bereich von 4 bis 30 mm aufweist.

Diese beiden Merkmale haben keine Synergie und sind daher im Hinblick auf die erfinderische Tätigkeit getrennt zu behandeln.

Was das erste zusätzliche Merkmal angeht, treffen die unter Punkt 4 gemachten Feststellungen auch auf dieses Merkmal zu. Es wird durch die Lehre der Druckschrift nahegelegt, dass die Versiegelungsschicht die Fläche des Folienelements zu 100 % bedeckt.

Auch das zweite Merkmal, nämlich eine Streifenbreite von 4 bis 30 mm, ist nicht in der Lage, eine erfinderische Tätigkeit zu begründen. Angesichts der geläufigen Größe von Banknoten und der darauf befindlichen Sicherheitselemente (vgl. die Banknote Druckschrift E1, Figur 1) ist die Wahl einer Breite innerhalb dieses breiten Bereichs naheliegend. Es ist auch anzumerken, dass die Beschwerdegegnerin keinerlei technische Wirkung einer Wahl innerhalb dieses Bereichs - die außerhalb dieses Bereichs nicht auftreten würde - geltend gemacht hat, und dass die ursprüngliche Anmeldung dazu auch nichts offenbart.

Die Kammer kommt daher zum Schluss, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags II sich für den Fachmann in nahe liegender Weise aus der Lehre der Druckschrift E1 unter Zuhilfenahme seines Fachwissens ergibt. Die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ 1973 sind daher nicht erfüllt und der Hilfsantrag II ist nicht gewährbar.

6. Hilfsantrag III

Der Anspruch 1 enthält das zusätzliche Merkmal, dass die Versiegelungsschicht eine Dicke im Bereich von 2 bis 10 mym aufweist.

Die Beschwerdeführerinnen haben geltend gemacht, es handle sich dabei um übliche Werte, während die Beschwerdegegnerin diese Versiegelungsschicht als unüblich dick bezeichnet hat. Es liegen der Kammer keine einschlägigen Dokumente vor, die diese Behauptungen stützen.

Der einzige Verweis auf eine Druckschrift (E17) durch die Beschwerdeführerinnen betrifft eine Sicherheitskarte aus Plastik (Anspruch 1: "... identity card of plastic material ...") und offenbart eine Lackschicht, deren Höhe in etwa der Höhe des Rasters des für die Unterschrift vorgesehenen Bereichs entspricht (Spalte 3, Zeilen 53 bis 55: "Such a layer of varnish has about the same height as the screen printing of the signature field (about 10 mym).")

An Sicherheitsdokumente aus Papier, insbesondere an Banknoten, werden ganz andere physikalische Anforderungen gestellt als an Kreditkarten aus Plastik. Es ist daher nicht anzunehmen, dass der Fachmann, der die Dicke der Lackbeschichtung des Sicherheitsdokuments gemäß dem Streitpatent zu bestimmen sucht, eine Lehre, die Kreditkarten aus Plastik betrifft, anwenden würde.

Die Druckschrift E20 offenbart eine Lehre zu Trägersubstraten für Sicherheitsdokumente in Wertdokumenten, die mit einem Schutzlack versehen sind. Aber auch diese Druckschrift offenbart nicht explizit die Dicke einer solche Lackschicht. Die Beschwerdeführerinnen haben sich in diesem Zusammenhang auch nicht auf diese Druckschrift berufen.

Die Kammer kommt daher zum Schluss, dass die von den Beschwerdeführerinnen vorgebrachten Argumente nicht ausreichen, um dem Gegenstand von Anspruch 1 die erfinderische Tätigkeit abzusprechen.

Die Erfindung hat also als auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ 1973 beruhend zu gelten.

Dem Hilfsantrag III wird deshalb stattgegeben.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz

zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent auf der Grundlage folgender Unterlagen aufrechtzuerhalten:

- Patentansprüche 1 bis 8 gemäß Hilfsantrag III, eingereicht in der mündlichen Verhandlung;

- Beschreibung S. 3 bis 8 der Patentschrift, S. 2, eingereicht am 3. Mai 2013;

- Zeichnungen Bl. 1 bis 2 der Patentschrift.

Quick Navigation