T 1735/13 () of 16.5.2017

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2017:T173513.20170516
Datum der Entscheidung: 16 Mai 2017
Aktenzeichen: T 1735/13
Anmeldenummer: 02027798.4
IPC-Klasse: B23Q 17/00
G08C 17/02
G01L 1/16
G01L 1/22
G01L 3/10
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren und Vorrichtung zum Überwachen von Werkzeugen
Name des Anmelders: Growth Finance AG
Name des Einsprechenden: Kistler Instrumente AG
ARTIS GmbH
Kammer: 3.2.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(a)
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Mit der am 17. Juni 2013 zur Post gegebenen Zwischen- Entscheidung wurde festgestellt, dass unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen gemäß dem damals geltenden Hilfsantrag 1 das europäische Patent Nr. 1 323 495 und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des Übereinkommens genügen.

II. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung haben die Beschwerdeführerinnen I und II (Einsprechende I und II) form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt sowie diese begründet.

III. Am 16. Mai 2017 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

Hinsichtlich der zu Beginn der mündlichen Verhandlung gestellten Anträge, sowie hinsichtlich des Verlaufs der Verhandlung wird auf das Protokoll Bezug genommen.

IV. Am Ende der mündlichen Verhandlung war die Antragslage wie folgt:

Die Beschwerdeführerinnen I und II beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 323 495.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Basis des während der mündlichen Verhandlung eingereichten (neuen) Hauptantrages.

V. Folgende Entgegenhaltungen waren für die vorliegende Entscheidung relevant:

D3: Betriebsanleitung Rotierendes Schnittkraft-Dynamometer Typ 9124B, Druckvermerk 11.98

VI. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag als einzigem Antrag lautet:

Anspruch 1:

"Verfahren zum Überwachen von Werkzeugen (3.1, 3.2) an einer Spindel oder einem Werkzeughalter (1.1, 1.2), insbesondere von rotierenden Werkzeugen, wobei physikalische Größen, wie Drehmoment und/oder Vorschubkraft und/oder Biegemoment und/oder Schwingungen mit zumindest einem Sensor (11.1, 11.2, 12.1, 12.2, 14.1, 14.2, 24) in einer Sensoreinrichtung (5.1, 5.2) ermittelt, verstärkt, digitalisiert und berührungslos auf einen Stator (6.1, 6.2) übertragen werden, nach dem eine Demodulation und Auswertung der entsprechenden Signale in einem Hauptverstärker (8) durchgeführt wird, wobei die Sensoreinrichtung (5.1, 5.2) berührungslos digital konfiguriert wird von einem Prozessor des Hauptverstärkers (8), der, wenn das Messsignal zu klein oder zu groß ist, einen Befehl ausgibt, welcher moduliert über den Stator (6.1, 6.2) zu einem Mikroprozessor (22) der Sensoreinrichtung (5.1, 5.2) geschickt wird, wodurch eine Anpassung des Messbereichs in der Sensoreinrichtung (5.1, 5.2) durchgeführt wird."

Der unabhängige Vorrichtungsanspruch 8 spielt für diese Entscheidung keine Rolle.

VII. Das entscheidungsrelevante Vorbringen der Beschwerdegegnerin zur erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes von Anspruch 1 stellt sich wie folgt dar:

Der Unterschied zu dem als nächstliegenden Stand der Technik verwendeten Dokument D3 liege in der kontinuierlichen Überwachung von Werkzeugen in einem geschlossenen Kreislauf aus Hauptverstärker und durch den Hauptverstärker in ihrem Messbereich kontinuierlich angepasster Sensoreinrichtung. Dies erlaube eine andauernde Überwachung des Werkzeugs und löse die technische Aufgabe einer Verbesserung der Fertigung.

Auch wenn D3 die einmalige manuelle Anpassung eines Messbereichs zeige, so führte deren Automatisierung nicht zu einer Überwachung von Werkzeugen im Sinne einer geschlossenen Regelschleife.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe daher auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber der Lehre der D3 in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen bzw. der allgemeinen Fachpraxis.

VIII. Das diesbezügliche Vorbringen der Beschwerdeführerinnen I und II stellt sich wie folgt dar:

Der von der Beschwerdegegnerin identifizierte Unterschied sei in der Entgegenhaltung D3 zumindest nahegelegt. Diese offenbare nämlich ein Verfahren zum Überwachen von Werkzeugen, bei dem die Empfindlichkeit eines auf einem Rotor befindlichen Dynamometers drahtlos zwischen einem ersten, auf D3, Seite 33, als "Coarse Range" bezeichnet, und einem zweiten, als "Fine Range" bezeichneten Messbereich umgeschaltet werden könne. Bei einer neuen Messung sei es dabei ratsam, zunächst mit Bereich I zu beginnen. Sollte sich herausstellen, dass die Messkanäle zu wenig ausgesteuert sind, so sei entsprechend der feinere Bereich II, d.h. ein angepasster Messbereich der Sensoreinrichtung, zur Messung der Größe zu wählen. Wie aus D3, Seite 55, "Befehlsvorrat" zu entnehmen, könne die Umschaltung [Reset]/[Operate], sowie die Umschaltung der Messbereiche der Verstärker dabei durch digitale, über eine Schnittstelle übertragene Befehle an den Signal-Conditioner, also an den Hauptverstärker erfolgen. Der Unterschied zum beanspruchten Verfahren könne somit allenfalls - wobei auch dies bestritten werde - darin gesehen werden, dass der Prozessor des Hauptverstärkers nicht selbstständig entscheide, ob das Messsignal zu klein und der Messbereich daher anzupassen sei, sondern die Anpassung des Messbereichs durch den Prozessor des Hauptverstärker erst nach einer möglicherweise digital übertragenen Anwender-Aktion erfolge. Dies sei jedoch eine bloße Automatisierung eines bekannten Verfahrens, die - gemäß Rechtsprechung - einen allgemeinen Entwicklungstrend darstelle und somit als für den Fachmann naheliegend anzusehen sei. In Anbetracht der in D3, Punkt 5.3, bereits offenbarten digitalen Befehlsübertragung sei eine Automatisierung zudem problemlos implementierbar.

Im Übrigen verlange der Anspruchswortlaut keineswegs eine kontinuierliche Überwachung oder gar eine geschlossene Regelschleife; selbst eine einmalige Anpassung des Messbereichs, wie auf Seite 33 der D3 explizit offenbart, sei ausreichend. Allerdings wäre ausgehend von D3 auch ein automatisierter Regelkreis für den Fachmann lediglich eine naheliegende Automatisierung der in D3 bereits genannten Verfahrensschritte. Der Fachmann automatisierte daher das in D3 offenbarte Verfahren zum Überwachen von Werkzeugen und gelangte so zu einem unter den Anspruchswortlaut fallenden Gegenstand.

Entscheidungsgründe

1. Erfinderische Tätigkeit

1.1 D3 stellt unstreitig einen geeigneten nächstliegenden Stand der Technik dar.

1.2 Wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen besteht der Unterschied zwischen dem Gegenstand des Anspruchs 1 und der Offenbarung der D3 in der kontinuierlichen Überwachung der Werkzeuge in einem geschlossenen Kreislauf aus Hauptverstärker und durch den Hauptverstärker in ihrem Messbereich kontinuierlich angepasster Sensoreinrichtung.

1.3 Nach übereinstimmender Ansicht der Parteien sind die weiteren Anspruchsmerkmale in D3 offenbart. Die Kammer sieht keinen Grund, von dieser Einschätzung abzuweichen und fokussiert daher im Folgenden auf dieses einzige Unterscheidungsmerkmal.

1.4 D3 weist einen Signal-Conditioner auf, der den vom Dynamometer übermittelten, seriellen Datenstrom demultiplext, analoggewandelt und tiefpassgefiltert als +/- 10V Signal (und damit verstärkt) zur Verfügung stellt (D3, Seite 14, 3.2.3). Dieser Signal-Conditioner ist weiterhin Signalausgabeeinheit für das rotierende Dynamometer (Seite 14, 3.2.2), d.h. es werden Steuerbefehle wahlweise manuell mittels Schaltern an der Frontplatte oder via RS-232C Schnittstelle über einen PC eingegeben und dann über den Stator die vier Steuersignale "Range I/II", "Operate / Reset", "Operate/Reset Zoom" und "Zoom/Select" an die Sensoreinrichtung übertragen (Seite 13, 3.2.2). Aus der Eingabemöglichkeit über ein RS-232 Schnittstelle ergibt sich, dass die zu übertragenden Steuersignale von einem Prozessor des Hauptverstärkers geschickt werden. Dabei führen die Steuersignale "Range I/II" bzw. "Zoom Select" zu einer Anpassung des Messbereichs in der Sensoreinrichtung (Seite 14, 3.3 und Seite 33, 5.3).

Gemäß D3 stellt der Anwender die Messbereiche entsprechend der zu messenden Kräfte ein ("Bereich I" = "Coarse Range" = "Messung mit maximaler Belastung des Dynamometers"; "Bereich II" = "Fine Range" = Messung kleiner Kräfte"). So erfolgt eine Bereichsänderung von Bereich I zu Bereich II zum Beispiel, wenn der Anwender erkennt, dass die Messkanäle zu wenig ausgesteuert sind (Seite 33, 5.3).

1.5 Im Gegensatz dazu ist es gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags der Prozessor, der, wenn das Messsignal zu klein oder zu groß ist, den Steuerbefehl ausgibt. Der Anspruchswortlaut ist dabei zur Überzeugung der Kammer so zu interpretieren, dass der Prozessor des Hauptverstärkers selbst über die Abgabe des Befehls entscheidet. Dieser Unterschied zwischen dem Anspruchsgegenstand und dem in D3 offenbarten Verfahren hat den technischen Effekt, dass der Anwender von den Aufgaben entlastet wird, zu entscheiden, ob die Messkanäle korrekt ausgesteuert sind, und den Bereich dann entsprechend manuell (per Schalter) oder über eine Schnittstelle (RS-232) einzustellen. Die zu lösende objektive technische Aufgabe ist daher darin zu sehen, das aus D3 bekannte Verfahren zum Überwachen von Werkzeugen zu vereinfachen bzw. effizienter zu gestalten.

1.6 Die Automatisierung von Routineaufgaben durch einen Mikroprozessor ist jedoch ein dem Fachmann wohlbekannter Entwicklungstrend. Der Fachmann ließe daher die auf Seite 33, 5.3 der D3 aufgeführten Schritte zur Bereichswahl automatisiert durch das Gerät durchführen. Dies wird er an der Stelle tun, an der die Messwerte digitalisiert ankommen und an der der Befehl zur Bereichswahl abgegeben wird, d.h. im Prozessor des Signal Conditioners.

Es ergibt sich somit in naheliegender Weise ein unter den Anspruchswortlaut fallendes, automatisiertes Verfahren.

1.7 Dieses Ergebnis wird auch nicht durch die Auffassung der Einspruchsabteilung relativiert oder gar aufgehoben, derzufolge D3 explizit von einem Umschalten während einer Messung abrate (Seite 33, 5.3), da der Umschaltvorgang zum einen einen Offsetsprung verursachen könne und außerdem die Empfindlichkeiten an der Datenerfassungsanlage geändert werden müssten. Die Durchführung eines Resets zur Behebung des Offsetsprungs in D3, Seite 33 fünfter Absatz ist bereits bei der manuellen Bereichs-Umschaltung vorgesehen. Der Reset-Befehl gehört außerdem - wie auch die Befehle zur Bereichsumschaltung der Verstärker - zum RS-232 ansteuerbaren Befehlsumfang des Conditioners (Seite 55, 8.3.4) und ist somit problemlos in eine Automatisierung einbindbar. Weiterhin bezieht sich diese Aussage nur auf den "Ladungsverstärker" (der "Zoom-Verstärker", kann zu einem beliebigen Zeitpunkt während der Messung zu oder abgeschaltet werden, s. Seite 14, 3.3; Seite 15, Bild 6; Seite 36, 5.5). Letztlich wäre selbst eine ggf. erforderliche Änderung der Empfindlichkeiten der Datenerfassungsanlage ein bislang manuell durchgeführter, jedoch in naheliegender Weise zu automatisierender Vorgang des aus D3 bekannten Verfahrens.

Die genannte Aussage, wonach ein Umschalten während der Messung nicht sinnvoll sei, hielte den Fachmann somit nicht von der zuvor diskutierten, naheliegenden Automatisierung des in D3 offenbarten Verfahrens ab.

1.8 Die Beschwerdegegnerin hat zudem vorgebracht, dass D3 kein kontinuierliches, in einem geschlossenen Kreislauf immer wieder ablaufendes Verfahren offenbare, bei dem immer wenn das Signal zu klein oder zu groß ist, der Messbereich angepasst wird. Jedoch finden sich die Begriffe "kontinuierliches Verfahren" oder "immer wenn" im Anspruchswortlaut nicht. Der Anspruch erfordert nicht mehr als ein einmaliges Durchlaufen der Bereichsanpassung: Anspruchsgemäß wird die Größe ermittelt und übertragen und dann entschieden, dass eine Messbereichsanpassung erforderlich ist, woraufhin ein entsprechender Befehl zur Anpassung des Messbereichs an die Sensoreinrichtung geschickt wird. Ein solches Verfahren ist - wenn auch nicht automatisiert - in D3 offenbart.

1.9 Zusammenfassend kommt die Kammer zu dem Schluss, dass das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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