T 1680/13 () of 9.2.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T168013.20180209
Datum der Entscheidung: 09 Februar 2018
Aktenzeichen: T 1680/13
Anmeldenummer: -
IPC-Klasse: A47G 27/04
E04B 1/62
E04D 5/14
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: SCHUTZEINRICHTUNG ZUM ANBRINGEN AN EINEM GEBÄUDETEIL, ANORDNUNG AUS EINEM GEBÄUDETEIL UND EINER SCHUTZEINRICHTUNG SOWIE VERFAHREN ZUM SICHERN EINER GEBÄUDEUMGEBUNG UND VERFAHREN ZUM HERSTELLEN VON GEBÄUDETEILEN
Name des Anmelders: -
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(a)
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 104(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 16(1)
Schlagwörter: Neuheit - (nein)
Vertagung der mündlichen Verhandlung - (nein)
Kostenverteilung - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
J 0903/87
Anführungen in anderen Entscheidungen:
J 0002/22

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. ... (im Folgenden: Patent) betrifft den Schutz gegen eine sich aus einem Gebäudeteil herauslösende Gebäudesubstanz, beispielsweise im Falle eines Erdbebens.

II. Gegen das Patent im gesamten Umfang wurde Einspruch eingelegt. Als Einspruchsgründe wurden unzureichende Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ) sowie mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit geltend gemacht (Artikel 100 a) EPÜ).

III. Die Einspruchsabteilung hat entschieden, das Patent mangels Neuheit zu widerrufen.

IV. Der damalige Patentinhaber (im Folgenden: Beschwerdeführer) hat Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt.

V. Die Kammer beraumte mit Mitteilung vom ... Termin zur mündlichen Verhandlung am ... an. In der als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) teilte die Kammer ihre vorläufige Einschätzung der Beschwerde mit.

VI. Per Fax vom ... teilte der jetzige Vertreter des Beschwerdeführers die Niederlegung seiner Vertretung für den bisherigen Patentinhaber mit und erklärte, dass der bisherige Patentinhaber seine Rechte an dem Patent dem Erfinder, dem jetzigen Patentinhaber, übertragen hatte. Gleichzeitig beantragte der Vertreter eine Verlegung des anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung. Dem Antrag auf Terminverlegung wurde, nachdem der Vertreter die Übertragungsurkunde vom ... sowie eine ärztliche Bescheinigung für den Beschwerdeführer, in dem Depressionen bescheinigt wurden, sowie einen Antrag auf Umschreibung des Patents auf den Beschwerdeführer eingereicht hatte, von der Kammer in einer begründeten Telefaxmitteilung am ... stattgegeben. Dies wurde den Beteiligten am Nachmittag vor dem ursprünglich anberaumten Termin mitgeteilt.

VII. Die verlegte mündliche Verhandlung fand sodann am ... in Anwesenheit des Beschwerdeführers und der Einsprechenden (im Folgenden: Beschwerdegegnerin) statt.

VIII. Anträge

Der Beschwerdeführer beantragte am Ende der mündlichen Verhandlung, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und dem Beschwerdeführer die Kosten aufzuerlegen, die der Beschwerdegegnerin durch die kurzfristige Verlegung der ursprünglich auf den ... anberaumten mündlichen Verhandlung entstanden sind.

IX. Der unabhängige Sachanspruch 1 in der erteilten Fassung ist auf den folgenden Gegenstand gerichtet (die Merkmalsgliederung wurde lediglich zur Vereinfachung der weiteren Diskussion von der Kammer hinzugefügt):

1-1) Schutzeinrichtung zum Anbringen an einem Gebäudeteil, an welchem die Schutzeinrichtung verhindert, dass eine sich aus dem Gebäudeteil herauslösende Gebäudesubstanz in die Umgebung gelangt,

1-2) wobei die Schutzeinrichtung auch thermisch zu aktivierende Klebemittel umfasst dadurch gekennzeichnet, dass

1-3) die Schutzeinrichtung aus einem elastischen Material mit einer Festigkeit von mehr als 700 N/cm, vorzugsweise von 1400 N/cm, hergestellt ist und

1-4) eine Breite von mehr als 2,50 m, vorzugsweise von 3,15 m oder von anderen Raumhöhen aufweist.

X. In der Beschwerdebegründung und in der Beschwerdeerwiderung nahmen die Beteiligten Bezug unter anderem auf folgende, in der angefochtenen Entscheidung genannte Druckschrift:

D6: US 5,649,398 A

XI. Das schriftsätzliche und mündliche Vorbringen der Beteiligten lässt sich, soweit es für diese Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammenfassen:

a) Neuheit

Vorbringen der Beschwerdegegnerin:

Der Gegenstand von Anspruch 1 sei im Hinblick auf D6 nicht neu. Die dort offenbarte, mit Klebstoff imprägnierte Gewebeschicht zur Verstärkung einer Gebäudewand, um die Gefahr einer Beschädigung bei Erdbeben zu verhindern oder zu verringern, stelle eine anspruchsgemäße Schutzeinrichtung dar (Merkmal (1-1)). Als Klebstoff werde ein Schmelzklebstoff eingesetzt, also ein thermisch zu aktivierendes Klebemittel (Merkmal (1-2)). D6 lehre, dass als Gewebematerial hochfeste Fasern aus Glas, Polyamid oder Carbon verwendet werden könnten, die bekanntermaßen eine sehr hohe Zugfestigkeit und eine gewisse, wenn auch geringe, Elastizität aufweisen würden. Damit seien die in Merkmal (1-3) geforderte Elastizität und Festigkeit zumindest implizit in D6 offenbart. Da hochfeste Glasfasern auch im Patent als Verstärkungsmaterial genannt seien, müsse im Übrigen davon ausgegangen werden, dass die in D6 offenbarten Fasern die geforderte Elastizität und Festigkeit aufwiesen. In D6 werde die Gewebeschicht von einer Rolle abgewickelt und zwischen den Enden der Wand angebracht. Da Wände in aller Regel eine größere horizontale Ausdehnung als Höhe besitzen, bedeute dies, dass die Gewebeschicht gemäß D6 und damit die Schutzeinrichtung insgesamt eine Mindestbreite von 2,5 m besitze (Merkmal (1-4)).

Vorbringen des Beschwerdeführers:

Der Gegenstand von Anspruch 1 sei neu gegenüber D6. Merkmal (1-3) von Anspruch 1 schreibe vor, dass die Schutzeinrichtung "aus einem elastischen Material mit einer Festigkeit von mehr als 700 N/cm" bestehen müsse. Dank der geforderten Elastizität würde die Schutzeinrichtung Verformungen bzw. Bewegungen des Gebäudeteils bei Erdbeben zulassen, ohne dabei selbst brüchig zu werden. Dieses Merkmal könne D6 nicht entnommen werden. Dort werde in Verbindung mit verschiedenen Materialien für die Kettfäden der verstärkenden Gewebeschicht, unter denen Glas- und Carbonfaser angegeben seien, auf eine sehr hohe Zug- bzw. Dehnungsfestigkeit verwiesen. Demnach werde ein unelastisches Material mit einer Festigkeit von weit mehr als 700 N/cm verwendet.

b) Vertagung der mündlichen Verhandlung

Während der mündlichen Verhandlung beantragte der Vertreter des Beschwerdeführers nach Erörterung des Anspruchs 1, die Verhandlung wegen des kritischen Gesundheitszustands des anwesenden Beschwerdeführers zu vertagen, und reichte dazu eine weitere ärztliche Bescheinigung ein, die dem Beschwerdeführer wiederum Depressionen bescheinigte. Der Beschwerdeführer sei weder verhandlungs- noch geschäftsfähig und sein Vertreter könne in diesem Zustand kein belastbares Einverständnis zu der Frage erlangen, wie Hilfsanträge zu formulieren seien oder wie in dem Verfahren weiter vorgegangen werden solle.

Die Beschwerdegegnerin lehnte eine Vertagung ab. Der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers sei bei der Erörterung von Anspruch 1 wie erteilt unproblematisch gewesen. Es liege kein Hinweis vor, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines Gesundheitszustands nun plötzlich verhandlungs- bzw. geschäftsunfähig geworden sei. Die mündliche Verhandlung sei aufgrund des Gesundheitszustands des Beschwerdeführers bereits einmal verlegt worden und es sei nicht ersichtlich, dass sich bei einer Vertagung um wenige Monate der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ändern könnte. Schließlich sei nicht erkennbar, welchen Zweck eine Vertagung haben sollte. Insbesondere dürfe sie nicht dazu dienen, dem Beschwerdeführer die Gelegenheit zur Stellung neuer Hilfsanträge zu geben, die dann schon deswegen nicht in das Verfahren zugelassen werden könnten.

c) Kostenverteilung

Die Beschwerdegegnerin beantragte eine anderweitige Kostenverteilung wegen der der Beschwerdegegnerin aufgrund der kurzfristigen Verlegung des ursprünglich anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung entstandenen, im Einzelnen dargelegten umsonst aufgewendeten Kosten. Durch die zwei Tage vor der Termin erfolgte Mandatsniederlegung sowie den erst am Tag vor dem Termin durch einen Übertragungsvertrag substantiierten Antrag auf Umschreibung des Patents auf einen neuen Patentinhaber, der zu diesem Zeitpunkt schwer erkrankt war, sei die prozessuale Sorgfaltspflicht von dem Vertreter des Beschwerdeführers verletzt worden. Im Ergebnis habe die Kammer praktisch keine andere Wahl gehabt, als den Termin zur mündlichen Verhandlung zu verlegen. Es seien aber keine Gründe vorgetragen worden, die eine solche Mandatsniederlegung zur Unzeit kombiniert mit einem solchen Umschreibungsantrag rechfertigen könnten.

Der Beschwerdeführer lehnte eine anderweitige Kostenverteilung ab, weil der Antrag auf Terminverlegung zum frühestmöglichen Zeitpunkt gestellt worden sei. Die schwere Erkrankung des unvertretenen Beschwerdeführers stelle unvorhergesehene, außergewöhnliche Umstände dar, die die verspätete Stellung des Antrags gerechtfertigt hätten.

Entscheidungsgründe

1. Neuheit

1.1 D6 befasst sich mit der Erzeugung von Verstärkungen zur Erhöhung der Duktilität und Festigkeit von Wänden und mithin zur Erhöhung der Erdbebensicherheit (Spalte 1, Zeilen 8 bis 14). Hierzu wird eine Verstärkungsschicht in Form einer mit Klebstoff imprägnierten Gewebeschicht auf die Wandoberfläche angebracht (Spalte 2, Zeilen 11 bis 14).

1.2 Eine solche Verstärkungsschicht ist grundsätzlich dazu geeignet, das Herauslösen von Gebäudeteilen aus der Gebäudesubstanz zu verhindern. Damit stellt sie eine Schutzeinrichtung im Sinne von Merkmal (1-1) von Anspruch 1 dar. In diesem Zusammenhang erkennt der Fachmann aus dem Gesamtzusammenhang des Patents, dass der Begriff "Schutzeinrichtung" ein an einer Gebäudefläche anzubringendes Flächengebilde, insbesondere ein Gewebe oder ein Gewirk, meint (siehe Absätze 14, 26 und 67 der Patentschrift).

1.3 Als Klebstoff wird in D6 ein Schmelzklebstoff eingesetzt, also ein thermisch aktivierbarer Klebstoff im Sinne des Merkmals (1-2) von Anspruch 1 (in D6 siehe die verankerten Teile 56 in Figur 2 und Spalte 5, Zeilen 26 und 27).

1.4 In D6 wird die Gewebeschicht, wie in Figur 7 gezeigt, von einer Vorratsrolle abgewickelt und mit Klebstoff imprägniert, bevor sie zwischen den Enden einer Wand angebracht wird (Spalte 8, Zeile 62 bis Spalte 9, Zeile 7). Figuren 1 und 6 von D6 zeigen die Gewebeschicht im angebrachten Zustand. Aus dem Verhältnis der Höhe der Wand zu seiner horizontalen Ausdehnung und unter Berücksichtigung des Umstands, dass in der Regel die Raumhöhe zumindest 2,5 m beträgt, ergibt sich, dass die dort gezeigte Gewebeschicht eine horizontale Ausdehnung, d. h. eine Breite von mindestens 2,5 m aufweist (Merkmal (1-4)).

1.5 Damit verwirklicht die in D6 offenbarte Schutzeinrichtung die in Anspruch 1 aufgeführten Merkmale (1-1), (1-2) und (1-4) ihrem Wortlaut nach.

1.6 Es ist zwischen den Beteiligten nur streitig, ob in D6 das im kennzeichnenden Teil von Anspruch 1 aufgeführte Merkmal (1-3) offenbart ist, wonach die Schutzeinrichtung aus einem elastischen Material mit einer Festigkeit von mehr als 700 N/cm hergestellt ist.

1.7 In D6 ist erwähnt, dass die dort offenbarte verstärkende Gewebeschicht eine Vielzahl hochfester, im Wesentlichen horizontal verlaufender Kettfäden und eine Vielzahl niederfester, höher dehnbarer, im Wesentlichen vertikal verlaufender Schussfäden aufweist (Spalte 2, Zeile 66 bis Spalte 3, Zeile 3). Bevorzugt bestehen die hochfesten Kettfäden aus Glas, Polyaramid, Siliziumdioxid, Quarz, Carbon, Keramik, PE, Polyimid, Flüssigkristallpolymer (FKP) oder PP, während die niederfesten Schussfäden vorzugsweise aus PE oder Nylon hergestellt sind (Spalte 3, Zeilen 4 bis 10; Spalte 9, Zeilen 38 bis 60; Anspruch 7).

1.8 Die Beteiligten sind sich zwar einig, dass in D6 zumindest implizit offenbart ist, dass die Gewebeschicht eine Festigkeit von mehr als 700 N/cm aufweist, insbesondere dann, wenn die Kettfäden aus einem Material mit sehr einer hohen Zugfestigkeit wie Glas, Carbon, Polyaramid oder FKP bestehen.

1.9 Der Beschwerführer macht jedoch geltend, dass die Gewebeschicht nicht ausreichend elastisch sei, wie in Merkmal (1-3) vorgeschrieben.

1.10 Dieses Argument vermag aus folgenden Gründen nicht zu überzeugen.

1.11 Der in Merkmal (1-3) verwendete Ausdruck "elastisch" ist ein relativer Begriff, der auf dem relevanten Fachgebiet der textilen Flächengebilde keine allgemein anerkannte Bedeutung hat; da sich in Anspruch 1 und auch sonst im Patent keine Basis für eine klare Definition findet, kann dieser Ausdruck nicht dazu benutzt werden, um die beanspruchte Schutzeinrichtung von D6 abzugrenzen. Die dort offenbarte Gewebeschicht weist eine gewisse Elastizität auf, selbst wenn die dort offenbarten Kett- und Schussfäden implizit einen hohen Elastizitätsmodul haben. Im Übrigen ist im Patent erwähnt (Absatz 66 der Patentschrift), dass die Schutzeinrichtung bevorzugt aus einem hochfesten Gewebe aus Textilglas besteht, dessen Elastizitätsmodul bekanntermaßen ebenfalls hoch ist.

1.12 Ferner wird in D6 hervorgehoben, dass die Verwendung von hochfesten, horizontal verlaufenden Kettfäden in Verbindung mit vertikal verlaufenden Schussfäden, die eine geringere Festigkeit und eine höhere Dehnung aufweisen, die Duktilität und Festigkeit der verstärkten Wand erhöht und gleichzeitig horizontale Risse, wenn vorhanden, zwischen den unteren und oberen Kanten der verklebten Gewebeschicht verteilt (Spalte 9, Zeilen 42 bis 51). Damit ist in D6 ausdrücklich offenbart, dass die Gewebeschicht in vertikaler Richtung eine relativ hohe Elastizität aufweist.

1.13 Der Gegenstand von Anspruch 1 ist daher nicht neu im Sinne des Artikels 54 (1) und (2) EPÜ.

2. Vertagung der mündlichen Verhandlung

2.1 Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, nämlich nach der Erörterung von Anspruch 1 wie erteilt und im Rahmen der anschließend erörterten Frage der Zulassung der mit Schreiben vom ... eingereichten Hilfsanträge, hat der Vertreter des Beschwerdeführers beantragt, die Verhandlung wegen des kritischen Gesundheitszustands des anwesenden Beschwerdeführers zu vertagen.

2.2 Er begründete diesen Antrag damit, dass der Beschwerdeführer sich in einem Gesundheitszustand befinde, in dem er weder verhandlungs- noch geschäftsfähig sei und sein Vertreter in diesem Zustand kein belastbares Einverständnis zu der Frage erlangen könnte, wie die Hilfsanträge zu formulieren seien oder wie in dem Verfahren weiter vorgegangen werden solle. Zur Stützung seines Vorbringens reichte der Vertreter die Bescheinigung eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom ... ein, nach der der Beschwerdeführer in ambulanter Behandlung des attestierenden Arztes ist und in der eine Depression des Beschwerdeführers mit latenter Suizidalität angeführt wird. Weitere Einzelheiten sind der Bescheinigung nicht zu entnehmen.

2.3 Zur Wahrung des rechtlichen Gehörs und der Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs hat die Kammer von Amts wegen Zweifeln an der Verhandlungs- und Geschäftsfähigkeit eines Beteiligten nachzugehen. Zu einer darauf beruhenden Vertagung einer mündlichen Verhandlung genügt aber nicht irgend ein vager Zweifel, vielmehr müssen sich aus dem Gesamtzusammenhang hinreichende Zweifel an der Geschäfts- bzw. Verhandlungsfähigkeit eines Beteiligten ergeben, die die Vertagung einer mündlichen Verhandlung als zur Wahrung der Rechte des Betroffenen zwingend erforderlich erscheinen lassen.

2.4 Geschäftsunfähigkeit ist ein Zustand, der die freie Willensbetätigung vollständig ausschließt und in dem der Betroffene die Reichweite seines Verhaltens und seiner Erklärungen in keiner Weise abschätzen kann. In dieser Hinsicht ernst zu nehmende Zweifel ergeben sich schon nicht aus der nicht weiter aussagekräftigen ärztlichen Bescheinigung, die keinerlei Angaben über die Schwere und die Dauer des Zustands der Depression erkennen ließ (vgl. hierzu J 903/87, ABl. 1988, 177). Die genannte Diagnose allein führt aber keineswegs zwangsläufig zu der behaupteten Geschäfts- bzw. Verhandlungsfähigkeit, so dass es weiteren Vortrags bedurft hätte, dass dies hier dennoch der Fall sei, und welche Anzeichen in dieser Hinsicht beobachtet worden sind. Dazu sind jedoch trotz Nachfrage der Kammer keine nachvollziehbaren Angaben gemacht worden.

2.5 Die Kammer konnte auch bei einer persönlichen Befragung des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung derartiges nicht feststellen. Auf die Frage der Kammer, ob er die mit Schriftsatz vom ... eingereichten Hilfsanträge kenne, die hier zur Verhandlung ständen, reagierte der nicht unorientiert wirkende Beschwerdeführer kontextgerecht sogleich und antwortete zwar zunächst ausweichend, bestätigte aber letztlich den Vortrag seines Vertreters, dass er sie jedenfalls erhalten habe. Er verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass er kein Jurist sei und außerdem durch ein Verfahren vor dem Landesgericht ..., bei dem es um Betrugsstraftaten zu seinen Lasten gehe, psychisch erheblich belastet sei. Den letzteren Umstand kann die Kammer dem Beschwerdeführer zwar zugutehalten und in diesem Zusammenhang auch das fortgeschrittene Alter des Beschwerdeführers angemessen berücksichtigen. Dem ist wiederum in der Verhandlung durch mehrfache Unterbrechung Rechnung getragen worden, ohne dass insoweit Beanstandungen seitens des Beschwerdeführers erhoben wurden. Im Ergebnis jedoch hatte die Kammer keinesfalls den Eindruck, dass dem Beschwerdeführer das Ausmaß seines Verhaltens nicht bewusst war, noch ergaben sich andere hinreichende Anhaltspunkte für einen die freie Willensbetätigung ausschließenden Zustand. Jedenfalls haben sich aus der Sicht der Kammer keine Anzeichen für die Annahme ergeben, dass der weitere ordnungsgemäße Ablauf der Verhandlung unmöglich sei und der Beschwerdeführer seine Verfahrensrechte nicht wahren kann, zumal er weiterhin von seinem Patentanwalt vertreten war.

2.6 Im Ergebnis hatte die Kammer mangels vorgetragener noch sonst ersichtlicher schwerwiegender Anhaltspunkte für die behauptete Geschäfts-/Verhandlungsunfähigkeit vielmehr vom Gegenteil auszugehen.

2.7 Nach der Erörterung der Frage der Zulassung der mit Schriftsatz vom ... gestellten Hilfsanträge in der mündlichen Verhandlung hat der Beschwerdeführer all diese Anträge zurückgenommen. Die Kammer hatte daher keinen Grund, diese Frage zu entscheiden. Es ergaben sich in der Diskussion in der mündlichen Verhandlung keine Umstände, die eine Vertagung der mündlichen Verhandlung erforderlich gemacht hätten, um den Beschwerdeführer die Gelegenheit zu geben, neue Hilfsanträge zu stellen.

2.8 Unter diesen Umstanden war der Antrag auf Vertagung zurückzuweisen.

3. Kostenverteilung

3.1 Der Antrag der Beschwerdegegnerin, dem Beschwerdeführer die Kosten aufzuerlegen, die der Beschwerdegegnerin durch die kurzfristige Verlegung der ursprünglich auf den ... anberaumten mündlichen Verhandlung entstanden sind, ist auf der Grundlage von Artikel 16 (1) VOBK zu würdigen, hatte aber letztlich keinen Erfolg.

3.2 Vorbehaltlich Artikel 104 Absatz 1 EPÜ kann die Kammer nach dieser Vorschrift auf Antrag anordnen, dass ein Beteiligter die Kosten eines anderen Beteiligten teilweise oder ganz zu tragen hat, soweit dies der Billigkeit entspricht. Hiernach kommt eine solche Anordnung insbesondere bei der Entstehung von Kosten aufgrund von Handlungen oder Unterlassungen in Betracht, die die rechtzeitige und effiziente Durchführung der mündlichen Verhandlung beeinträchtigen, oder aufgrund eines Verfahrensmissbrauchs (Artikel 16 (1) (c) und (e) VOBK). Unter Billigkeitsgesichtspunkten können also die Gesamtumstände eine anderweitige Kostenverteilung als angemessen erscheinen lassen, wenn ein Verstoß gegen Sorgfaltspflichten in Betracht kommt, also ein Verhalten, das jeder Beteiligte nach Möglichkeit mit Blick auf die Entstehung zusätzlicher Kosten zulasten des anderen Beteiligten vernünftiger Weise vermeiden sollte.

3.3 Nach Auffassung der Kammer bieten die hierzu feststellbaren Einzelpunkte in ihrer Gesamtheit nicht genügenden Anlass zu der beantragten Kostenauferlegung.

3.4 Dass der jetzige Patentinhaber, nämlich der Erfinder, einen Tag vor der mündlichen Verhandlung eine ärztliche Erklärung bei der Kammer einreichte, mit der ihm, wie oben erwähnt, Depression mit latenter Suizidalität bescheinigt wurde, kann ihm schon als solches nicht zum Nachteil gereichen. Jedenfalls hatte die Kammer weder zum damaligen Zeitpunkt - noch nachfolgend in der mündlichen Verhandlung - Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit dieser Diagnose, noch sind solche Zweifel vorgetragen worden.

3.5 Es kann auch nicht als Sorgfaltspflichtverletzung des Beschwerdeführers angesehen werden, wenn er das Patent kurzfristig vor der terminierten mündlichen Verhandlung aufgrund einer entsprechenden Übertragungserklärung erwirbt. Insoweit sind zeitliche Einschränkungen nicht ersichtlich.

3.6 Soweit die Beschwerdegegnerin meint, die Niederlegung des Mandats durch den Vertreter zwei Tage vor der anberaumten mündlichen Verhandlung und die dadurch entstandenen Kosten für die vergebliche Anreise, die vergebliche Vorbereitungszeit und der entstandene Verdienstausfall seien dem Beschwerdeführer anzulasten, muss insoweit berücksichtigt werden, dass der Vertreter bis dato der Vertreter des damaligen Patentinhabers und nicht des Beschwerdeführers gewesen ist und zudem eine Niederlegung des Mandats bei Wechsel des Patentinhabers ohnehin weder ungewöhnlich ist noch gar als eigene Sorgfaltspflichtverletzung des Erwerbers des Patents angesehen werden kann.

3.7 Hinzu kommt, dass der Kammer am Tag vor der ursprünglich anberaumten mündlichen Verhandlung nur die Mitteilung des Vertreters des ehemaligen Patentinhabers von der Übertragung des Patents auf den jetzigen Beschwerdeführer und ein Umschreibungsantrag vorlag, während der Eingang der behauptetermaßen gezahlten Umschreibungsgebühr nach Regel 22 in Verbindung mit Regel 85 EPÜ von der Kammer nicht verifiziert werden konnte. Allerdings ist für die Umschreibung im Register die Rechtsabteilung des Europäischen Patentamts zuständig, so dass zum damaligen Zeitpunkt eine Unklarheit über die zutreffende Person des Beschwerdeführers bestand, wobei diese Unklarheit wiederum dem Beschwerdeführer nicht als persönliche Sorgfaltspflichtverletzung angelastet werden kann.

3.8 Letztlich hat die Kammer es angesichts der unklaren Lage zur Wahrung des erforderlichen geordneten Ablaufs des Beschwerdeverfahrens in Ausübung ihres Ermessens als angezeigt angesehen, den Termin für die ursprünglich anberaumte mündliche Verhandlung zu verlegen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Der Antrag der Beschwerdegegnerin auf Kostenauferlegung wird zurückgewiesen.

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