European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2016:T130013.20160115 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 15 Januar 2016 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1300/13 | ||||||||
Anmeldenummer: | 08021048.7 | ||||||||
IPC-Klasse: | B65G 65/48 B65G 53/16 B65G 53/24 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Vorrichtung zum Fördern von Schüttgut mit einem Einfülltrichter | ||||||||
Name des Anmelders: | Kulik, Axel | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Blumer-Lehmann AG | ||||||||
Kammer: | 3.2.07 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Neuheit - Hauptantrag (nein) Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (ja) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Der Patentinhaber (Beschwerdeführer) hat gegen den Widerruf des Patents EP 2 112 102 Beschwerde eingelegt.
Die Einspruchsgründe die geltend gemacht wurden waren mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ).
II. Die folgenden Dokumente aus dem Einspruchsverfahren sind für die vorliegende Entscheidung relevant:
D1 :DE 20 2007 015 181 U1;
D2 :Auszug aus der Zeitschift "Kommunale Fahrzeuge";
D3 :DE 28 06 805 A1;
D6 :DE 1 99 35 727 Al;
D7 :DE 81 19 228 U1;
D8 :DE 199 02 022 A;
D9 :US 4 129 264;
Dl0a:Offerte Nr. 1 7405 "M2, Förderanlage, Werkhof Hinterberg" 18.01.2006;
D10b:Offerte Nr. 17893 "Angebotsbereinigung Siloanlage Steinhausen" 18.05.2006;
Dl0c:Werkvertrag "Soleaufbereitungs und Salzbeladeanlage" 11.05.2006;
D10d:Plan Nr. 06-5041-118-A "Silobau, 118 Förderanlage" (Blumer Lehmann) 09.06.2005;
D10c:Protokoll Werkabnahme Nr 12/06, 13.12.2006;
D10d:Rechnung Nr. 54762 Siloanlage-Förderanlage-Wiegeeinrichtung" (BLUMER-LEHMANN) 09.11.2006.
Dl0g:Plan A09 Förderanlage, 05.07.2006;
Dl0h:Ausdruck aus Internet-Archiv "Waybackmachine" der Webseite www.archzai.com vom 23. Juni 2006;
D10i:Eidesstattliche Erklärung von Alexander Brändli;
D11 :Maschinenakustik, Auszug aus "Dubbel, Achtzehnte Auflage".
D14 :DE 43 28 805 A1
III. Das Patent wurde aufgrund mangelnder Neuheit des Anspruchs 1 des Hauptantrags gegenüber D1, gegenüber D6 und gegenüber der offenkundigen Vorbenutzung "Werkhof Hinterberg" (D10a-D10i) widerrufen.
Den Hilfsanträgen wurde nicht stattgegeben u.a. aufgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von der D1 und in Anbetracht des fachmännischen Wissens und Handelns, oder der Lehren von D3 bzw. D7 oder D14.
IV. Der Beschwerdeführer beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt (Hauptantrag), oder hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der Ansprüche einer der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge (erster bis vierter Hilfsantrag).
V. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.
VI. Die Parteien wurden zur auf den 15. Januar 2016 terminierten mündlichen Verhandlung geladen.
Mit einem Bescheid als Anlage zur Ladung teilte die Kammer ihre vorläufige Meinung mit, wonach der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags keine Neuheit gegenüber der Vorrichtung nach D6 aufzuweisen schien. Die Vorrichtung nach Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags schien dabei neu zu sein, die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ jedoch nicht zu erfüllen.
VII. Der Beschwerdeführer (Schreiben vom 4. Januar 2016) bestätigte seine Anträge, reichte geänderte Beschreibungsseiten ein, und teilte mit, dass er an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde.
VIII. Die Beschwerdegegnerin (ebenfalls Schreiben vom 4. Januar 2016) bestätigte ihr Antrag auf Zurückweisung der Beschwerde, beantragte die Vernehmung des im Einspruchsverfahrens angebotenen Zeugen für den Fall, dass die Offenkundigkeit der Vorbenutzung gemäß D10a-D10i für das Ergebnis des Beschwerdeverfahrens relevant sein sollte, und teilte auch mit, dass sie an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde.
IX. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 15. Januar 2016 statt. Da die Parteien, wie schriftlich angekündigt, nicht erschienen waren, wurde die mündliche Verhandlung gemäß Regel 115 (2) EPÜ und Artikel 15 (3) VOBK in ihrer Abwesenheit durchgeführt.
Die Entscheidung wurde am Ende der mündlichen Verhandlung verkündet.
X. Der unhabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:
"Vorrichtung (1) zum Fördern von Schüttgut, rieselfähigem Schüttgut oder von Salz mit einem Einfülltrichter (2) für dieses Gut, mit einer unter dem Einfülltrichter (2) angeordneten Ausgabeöffnung, Dosiereinrichtung oder Zellenradschleuse (3) und mit einer unter der Ausgabeöffnung, Dosiereinrichtung oder Zellenradschleuse (3) verlaufenden Luftdruckförderleitung (4), in welche die Ausgabeöffnung, Dosiereinrichtung oder Zellenradschleuse (3) mündet und welche von einem einen Förderluftstrom erzeugenden Verdichter oder Gebläse (5) beaufschlagbar oder beaufschlagt ist, wobei der Verdichter oder das Gebläse (5) einen mit ihm verbundenen, insbesondere elektrischen Antriebsmotor (6) aufweist,
dadurch gekennzeichnet, dass
die Vorrichtung (1) im Bereich des Gebläses oder Verdichters (5) und seines Antriebsmotors (6) und an dem Einfülltrichter (2) schallgedämmt ist."
Der unhabhängige Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 enthält die folgenden, als zusätzlichen kennzeichnenden Teil zum Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags hinzugefügten Merkmalen:
"dass als Schalldämmung an dem Einfülltrichter (2) ein schalldämmender Belag (7) oder schalldämmende Beläge an der Außen- und/oder Unterseite des Einfülltrichters (2) angeordnet ist/sind, wobei die schalldämmenden Beläge (7) den Trichter (2) berühren, dass Verdichter oder Gebläse (6) und Antrieb (6) in einen Metallgestell angeordnet und gehalten sind, welches mittels Begrenzungswandungen (11) nach außen abgeschlossen ist, und dass die Begrenzungswandungen (11) mit einem schalldämmenden Belag oder mit Schallschutzsegmenten (8) versehen oder belegt sind, dass die Abschlusswandungen (11) der Vorrichtung (1) innenseitig mit dem schalldämmenden Belag oder mit den Schallschutzsegmenten (8) versehen sind, dass die an dem Einfülltrichter (2) vorgesehenen schalldämmenden Beläge (7) mit diesem durch Verkleben verbunden sind, dass der oder die schalldämmenden Beläge (7) für den Einfülltrichter (2) an dessen Außenseite angedrückt und dadurch an seine Form angepasst und dass die unter dem Einfülltrichter (2) angeordnete Dosiereinrichtung oder Zellenradschleuse (3)und ihr Antrieb (22) schallgedämmt umgriffen oder ummantelt sind und dass die Schalldämmung der Dosiereinrichtung oder Zellenradschleuse (3) auch den Einfülltrichter (2) umgreift."
XI. Die entscheidungsrelevanten Argumente des Beschwerdeführers lassen sich wie folgt zusammenfassen:
D1 zeigt eine Vorrichtung die an den Hauptlärmquellen (Gebläse oder Verdichter, Antriebsmotor und Einfülltrichter) nicht schallgedämmt ist.
D6 offenbart keinen schallgedämmten Einfülltrichter.
D7, D8, D9 und D14 zeigen keine Vorrichtungen, die als gattungsgemäß angesehen werden können.
D10a-D10i offenbaren keine Schalldämmung weil, wie D11 lehrt, Holz keinen zu diesem Zweck geeignetes Dämmmaterial ist. Die Offenkundigkeit der Vorbenutzung gemäß D10 wird dabei ohne Argumente bestritten.
Es gibt kein Dokument, das zeigt, dass in diesem technischen Gebiet der Einfülltrichter und die Wände einer Vorrichtung zum Fördern von Schüttgut mit einer Schalldämmung zu versehen sind.
Der Fachmann findet in D1, D2, D5, D6 und D10 (die gattungsgemäßen Vorrichtungen offenbaren) keine Veranlassung, einen fernliegenden Stand der Technik (d.h. D7, D8, D9 oder D14) in Betracht zu ziehen.
Eine Diskussion der erfinderischen Tätigkeit, insbesondere bei den Hilfsanträgen, sollte die Wechselwirkungen zwischen den Unterscheidungsmerkmalen berücksichtigen.
XII. Die entscheidungsrelevanten Argumente der Beschwerdegegnerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
D6 ist gattungsgemäß, weil Bremssand ein Schüttgut ist. D6 ist für den Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags neuheitsschädlich, weil die gesamte dort offenbarte Vorrichtung in einem Kasten angeordnet ist, der zweifellos schalldämmende Eigenschaften hat.
Die Vorbenutzung (D10a-D10i) ist auch für den Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags neuheitsschädlich, weil hölzerne Begrenzungswände immerhin schalldämmend wirken.
Die Vorrichtung nach D1 wird als Startpunkt für die Diskussion der erfinderischen Tätigkeit aller Anträgen angesehen. Die zu lösende Aufgabe ist immer, die Geräuschentwicklung dieser Vorrichtung zu reduzieren.
Zur Lösung würde der Fachmann sofort, aufgrund seines allgemeinen Fachwissens, die Innenwände der dort offenbarte Wanne und die Außenwand des Trichters mit schalldämmendem Material beschichten. D7, D8, D9 und D14 zeigen auch, wie diese Lösung bei unterschiedlichen anderen Maschinen angewendet wurde.
Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags beruht somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Auch der Gegenstand des Anspruchs 1 des ersten Hilfsantrags beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, weil es selbstverständlich ist, dass die schalldämmenden Beläge die jeweiligen Schallquellen umgeben. Wenn ein Einführtrichter in ein derartiges Gehäuse ragt, wird eben auch dieser mit schalldämmendem Material belegt.
Die in den Hilfsanträgen vorgenommenen Änderungen sind im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ nicht zulässig, weil für die Anordnung eines Verdichters und dessen Antriebs in einem Metallgestell die ursprüngliche Offenbarung fehlt.
Es wurden im Anspruch 1 des ersten Hilfsantrag durch die Änderung Unklarheiten eingeführt, weil der aus dem erteilten Anspruch 8 stammende Begriff "an dessen Außenseite angedrückt" unklar ist.
Entscheidungsgründe
1. Hauptantrag - Mangelnde Neuheit gegenüber D6
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ist nicht neu gegenüber der in D6 beschriebenen Vorrichtung.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers offenbart D6 sehr wohl eine Vorrichtung zum Fördern von Schüttgut (siehe Spalte 1, Zeilen 1-5), weil Bremssand ein Schüttgut ist und weil die Vorrichtung einen Einfülltrichter (22), eine Ausgabeöffnung (28) und eine Förderleitung (46) für den Sand aufweist.
Mehr im Detail offenbart D6 eine Vorrichtung mit einem trichterförmigen Vorratsbehälter (21, siehe Spalte 3, Zeilen 41-45), der mit dem Schüttgut gefüllt wird, und somit als Einfülltrichter für dieses Gut dient, mit einer unter dem Einfülltrichter (21) angeordneten Dosiereinrichtung (30-34, siehe Spalte 3, Zeilen 53-65) und einer unter der Dosiereinrichtung verlaufenden Luftdruckförderleitung (42, siehe Spalte 4, Zeilen 1-10), in welche die Dosiereinrichtung mündet und welche von einem einen Förderluftstrom erzeugenden Verdichter (66, siehe Spalte 4, Zeilen 19-25) beaufschlagbar oder beaufschlagt ist, wobei der Verdichter (66) einen mit ihm verbundenen, insbesondere elektrischen Antriebsmotor (der Motor ist implizit offenbart, denn die Batterie dafür ist in dem Kasten eingebaut, siehe Spalte 4, Zeilen 57-60) aufweist.
D6 offenbart eine Abdeckung ("Kastenaufbau" 18, siehe Figur 1 und Spalte 3, Zeilen 43-51), ohne dabei auf schalldämmende Wirkungen dieser Abdeckung hinzuweisen.
Die Anwesenheit dieses Kastenaufbaus impliziert eine im Bereich des Gebläses oder Verdichters und seines Antriebsmotors und an dem Einfülltrichter akustisch wirksame Einkapselung.
Grund dafür ist, dass jede Abdeckung eine schalldämmende Wirkung auf diese Maschine haben würde, weil eine Schallabschattung immer entsteht, wenn sich auf dem direkten Schallweg von einer Schallquelle zum Hörer ein Hindernis befindet. Diese entstehende Abschattung ist ein Bereich verminderten Schalldrucks oder Schalldruckpegels auf der Schallquellen-abgewandten Seite dieses Hindernisses.
Der Kastenaufbau, der sich als Hindernis zwischen der Vorrichtung und dem Hörer befindet, erzeugt somit zweifellos eine Lärmabschattung, und ist somit in der Lage die außerhalb der Vorrichtung empfundene Lautstärke zumindest teilweise zu verringern.
Die Beschwerdeführerin weist auf das Dokument D11 hin und argumentiert, dass die akustische Wirksamkeit einer solchen Einkapselung so gering ist, dass sie nicht als fachmännisch schalldämmende Maßnahme angesehen werden sollte.
Diese Interpretation wonach "schallgedämmt" nur "fachmännisch schallgedämmt" oder "besonders effektiv schallgedämmt" bedeutet, so dass Maßnahmen geringerer Wirkung auszuschließen sind, wird durch die Beschreibung des Streitpatents nicht gestützt. Absatz [0008] des Streitpatents erklärt z. B., dass eine Einhausung, die Teile der Vorrichtung umschließt, zu einer Schalldämmung führt.
D6 offenbart somit, dass die Vorrichtung im Bereich des Gebläses oder Verdichters und seines Antriebsmotors und an dem Einfülltrichter schallgedämmt ist, und ist somit neuheitsschädlich.
2. Erster Hilfsantrag - Zulässigkeit der Änderungen
Die Kammer teilt die Auffassung der Beschwerdegegnerin nicht, wonach der geänderte Gegenstand des Anspruchs 1 des ersten Hilfsantrags über den Inhalt der ursprünglichen Fassung hinausgeht (Artikel 123 (2) EPÜ) weil keine Stelle in den ursprünglichen Dokumenten gefunden werden könne, wo Verdichter und Antrieb in einem Metallgestell angeordnet seien.
Die Argumentationslinie der Beschwerdeführerin, wonach Absatz [0025] keine Basis für diese Konfiguration bietet, weil "Gebläse" und "Verdichter" keine Synonyme sind, reicht nicht aus, um einen Verstoß gegen den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ feststellen zu können.
Grund dafür ist, dass:
a) die Figuren 1 bis 3 der ursprünglich eingereichten Anmeldung die selbe Vorrichtung zeigen (Spalte 4, Zeilen 12-34);
b) Absatz [0025] deutlich erklärt, dass in der Beschreibung der Figuren 1 bis 3 die Begriffe "Gebläse" und "Verdichter" austauschbar sind;
und
c) Figur 3 das Symbol eines Verdichters (5) enthält, und somit ein Verdichter zeigt, der mit einem Antrieb (6) in einem Metallgestell (die Streben (9) sind deutlich sichtbar in den Figuren 1 und 2, siehe auch Spalte 5, Zeilen 49-51) angeordnet ist.
3. Erster Hilfsantrag - Klarheitseinwände
Die Beschwerdegegnerin macht geltend, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des ersten Hilfsantrags den Erfordernissen des Artikels 84 EPÜ nicht genügt weil der aus dem erteilten Anspruch 8 stammende Begriff "an dessen Außenseite angedrückt" unklar ist.
Die Kammer ist nicht befugt, diese Klarheitseinwände zu prüfen.
Grundsätzlich gilt, dass Klarheit (Artikel 84 EPÜ) in dem Erteilungsverfahren nachgelagerten Einspruchsverfahren kein Einspruchsgrund ist. Werden die Ansprüche jedoch im Einspruchsverfahren "geändert", so ist ihre Vereinbarkeit mit allen Erfordernissen des Europäischen Patentübereinkommens gemäß Artikel 101 (3) EPÜ zu prüfen, wobei an dieser Stelle Artikel 84 EPÜ als ein zu prüfendes Erfordernis wieder ins Spiel kommen kann.
Gemäß G 3/14 (ABl. EPA 2015, A102) ist jedoch die Aufnahme, wie im vorliegendem Fall, eines (oder mehrerer) vollständigen Unteranspruchs (Unteransprüche) in den übergeordneten Hauptanspruch keine Anspruchsänderung die im Sinne von Artikel 101 (3) EPÜ auf die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ zu prüfen ist.
4. Erster Hilfsantrag - Erfinderische Tätigkeit
4.1 Startpunkt
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags wird durch die Beschwerdegegnerin ausgehend von D1 in Frage gestellt.
Die Kammer ist der Auffassung, dass D6 einen besseren Startpunkt darstellt, weil D1, im Gegensatz zu D6, nicht das gesamte kennzeichnende Merkmal des Anspruchs 1 des ersten Hilfsantrags offenbart.
Diese Vorrichtung kann nämlich nicht "im Bereich des Antriebsmotors" schallgedämmt sein, weil die Abdeckung der D1 keine schalldämmende Wirkung auf dem sich (nach D1) außerhalb der Vorrichtung befindenden Motor, der eine wesentliche Schallquelle darstellt, haben kann.
Die Beschwerdegegnerin argumentiert, dass diese Wirkung sich bis zum Bereich des Antriebsmotors erstreckt, weil die Zapfwelle 9 bei D1 sich ohne Zweifel in diesem Bereich befindet.
Die Kammer kann dem nicht beipflichten. D1 offenbart (siehe Absatz [0027]), dass die Zapfwelle des Fahrzeugs zweifellos mit der Zapfwelle der Vorrichtung mechanisch gekoppelt ist und sich somit in diesem Bereich befindet, enthält aber keine Informationen über die Entfernung zwischen Motor und Zapfwelle, und über die Länge der Elemente die als mechanische Kopplung zwischen den beiden Zapfwellen wirken.
4.2 Unterschied
D6 offenbart (siehe Punkt 1 oben) alle Merkmale des Anspruchs 1 des Hauptantrags.
In D6 ist weder ein Hinweis auf schalldämmende Beläge, noch auf ein Metallgestell, welches mittels Begrenzungswandungen nach außen abgeschlossen ist, zu finden.
Die dem unhabhängigen Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 hinzugefügten Merkmalen (siehe Punkt X oben) sind somit alle neu gegenüber D6.
4.3 Wirkung - Aufgabe
Diese Merkmale bewirken zusammen, dass die Vorrichtung nach Außen leiser wird.
Die zu lösende Aufgabe kann somit als "die aus D6 bekannte Vorrichtung so zu ändern, dass sie auch in Gebieten angewendet werden kann in denen zu starke Geräuschentwicklungen unterbleiben sollen" (siehe Streitpatent, Absatz [0005]).
4.4 Diskussion der erfinderischen Tätigkeit in Kombination mit D3
D3 betrifft eine Vorrichtung (Förderaggregat, siehe Anspruch 1) zum pneumatischen Fördern von Schüttgut, die im Bereich des Gebläses oder Verdichters (2) und seines Antriebsmotors (1) mit schalldämmendem Werkstoff allseitig umschlossen ist (siehe Seite 8, Zeilen 15-16 und Seite 10, Zeilen 17-21).
D3 lehrt somit, dass der Verdichter oder das Gebläse und dessen Antrieb in einem Gehäuse (5, siehe Figur 1 und Seite 10, Zeile 18) angeordnet und gehalten sind, welches mittels Begrenzungswandungen nach außen abgeschlossen ist, und dass die Begrenzungswandungen mit einem schalldämmenden Belag versehen sind.
Der Fachmann würde die Vorteile dieser Lehre erkennen und ohne praktische Schwierigkeiten schalldämmenden Werkstoff auch bei dem Gehäuse der Vorrichtung gemäß D6 anwenden. Dabei würde er sowohl im Bereich des Gebläses und seines Antriebmotors, als auch um den Einfülltrichter herum eine schalldämmende Wirkung erzielen.
Die sich daraus ergebende Vorrichtung, die, wie D3 lehrt, durch einen kastenförmigen Gehäuse aus schalldämmenden Werkstoff allseitig umschlossen ist (siehe Seite 8, Zeilen 15-16 der D3), würde dabei automatisch auch die folgende Unterscheidungsmerkmalen aufweisen:
dass die Dosiereinrichtung und ihr Antrieb schallgedämmt (durch das Gehäuse) umgriffen oder ummantelt sind, und dass die Schalldämmung der Dosiereinrichtung oder Zellenradschleuse (das Gehäuse) auch den Einfülltrichter (seitlich) umgreift.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des ersten Hilfsantrags ist trotzdem als erfinderisch (Artikel 56 EPÜ) zu bewerten, weil es weitere Unterscheidungsmerkmale zur Vorrichtung nach D6 enthält, die in D3 nicht erwähnt sind.
Diese Merkmale sind:
a) dass als Schalldämmung an dem Einfülltrichter ein schalldämmender Belag oder schalldämmende Beläge an der Außen- und/oder Unterseite des Einfülltrichters angeordnet ist/sind, wobei die schalldämmenden Beläge den Trichter berühren;
b) dass die Abschlusswandungen der Vorrichtung innenseitig mit dem schalldämmenden Belag oder mit den Schallschutzsegmenten versehen sind, dass die an dem Einfülltrichter vorgesehenen schalldämmenden Beläge mit diesem durch Verkleben verbunden sind;
c) dass der oder die schalldämmenden Beläge für den Einfülltrichter an dessen Außenseite angedrückt und dadurch an seine Form angepasst sind;
d) dass der Verdichter oder das Gebläse und dessen Antrieb in einen Metallgestell angeordnet und gehalten sind.
4.5 Diskussion der erfinderischen Tätigkeit unter zusätzliche Berücksichtigung des fachmännischen Handelns und Könnens
Die Beschwerdegegnerin macht geltend, dass diese zusätzlichen Unterscheidungsmerkmale auch als naheliegend zu betrachten sind, weil sie gängige Trichterschallschutzmassnahmen darstellen, die unhabhängig von der Dämmung des Kastenaufbaus (Gegenstand der Lehre der D3) angewendet werden.
Die Kammer kann sich dieser Argumentationslinie aus den folgenden Gründen nicht anschließen.
4.5.1 Es liegt im Verfahren keinen Beweis vor, das alle nicht in D3 erwähnten Unterscheidungsmerkmale (oben unter a), b), c) und d) aufgelistet) zum normalen fachkundigen Handeln gehören.
4.5.2 Mindestens die unter Punkt b) aufgelisteten Merkmale betreffen die Lärmreduzierung durch Dämmung des Kastenaufbaus.
Diese Unterscheidungsmerkmale wirken somit zweifellos so mit den in D3 genannten Unterscheidungsmerkmalen zusammen, dass sie hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit nicht davon getrennt, d.h. mittels Teilaufgaben, diskutiert werden können.
4.5.3 Die Schallabstrahlung von den Flächen einer Maschine ist von der Größe der Fläche, der Form, der Steifigkeit, der Masse und der Dämpfung der betreffenden Struktur abhängig.
Die Verwendung von schalldämmenden Beläge die den Einfülltrichter berühren, an dessen Außenseite angedrückt sind und dadurch an seine Form angepasst sind, wirkt somit nicht unbedingt zur Lärmreduzierung, weil z.B. dadurch eine Struktur entstehen könnte, die zumindest örtlich eine verringerte Steifigkeit aufweist und somit nicht schalldämmend wirken könnte.
Das bedeutet, dass auch wenn alle die unter Punkt a) und c) aufgelisteten Merkmale zum normalen fachkundigen Handeln gehören würden, sie (um eine Lärmreduzierung der Maschine der D6 bewirken zu können) nicht komplett unhabhängig von der Dämmung des Kastenaufbaus (Gegenstand der Lehre der D3) durchgeführt werden können.
Der Fachmann ist somit nicht in der Lage, ausgehend von der Vorrichtung nach D6, in Kombination mit der Lehre der D3 zur Dämmung des Kastenaufbaus, und getrennt davon unter Anwendung dieser vermutlich im Fachwissen vorhandenen Schallschutzmassnahmen für den Trichter, ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Anspruchs 1 des ersten Hilfsantrags zu gelangen.
4.6 Diskussion der erfinderischen Tätigkeit unter zusätzlicher Berücksichtigung von D7-D9 und D14
Die Kammer merkt an, dass von D6 ausgehend keine Veranlassung festzustellen ist, fernerliegenden Stand der Technik (d.h. D7, D8, D9 und D14) in Betracht zu ziehen.
4.6.1 D7 und D14 zeigen, dass es bekannt ist, der Einfülltrichter eines Gartenhäckslers schallgedämmt auszuführen. Durch das Häckselwerk wird das Häckselgut im Einfülltrichter umhergewirbelt, wodurch ständig Teile des Häckselgutes mit hoher Geschwindigkeit auf die Wandung des Einfülltrichters aufprallen, so dass der Einfülltrichter eine unmittelbar nach außen abstrahlende Lärmquelle darstellt (siehe D7, Seite 4).
Diese Art der Geräuschentwicklung hat mit der, bei dem Einfülltrichter einer Vorrichtung zum pneumatischen Fördern von Schüttgut, hauptsächlich durch den Einfüllvorgang (siehe z.B. Absatz [0028] des Streitpatents) verursachte Geräuschentwicklung, nichts zu tun.
Die Kammer ist somit der Auffassung, dass der Fachmann Dokumente aus dem technischen Gebiet der Gartenkleingeräten nicht in Betracht ziehen würde, um eine Lösung zu finden, die in einer Vorrichtung zum pneumatischen Fördern von Schüttgut implementiert werden sollte.
4.6.2 D8 ist auch nicht relevant. D8 betrifft eine Kunststoffgranulatmühle mit einem Einfülltrichter (2) der gerade an dem Einfülltrichter nicht schallgedämmt ist (siehe die Figuren und Spalte 2, Zeilen 52-54).
4.6.3 D9 betrifft auch ein Mahlwerk mit einem Einfülltrichter aus Stahl, und erklärt, dass bei diesen Maschinen die im Mahlwerk entstandenen Vibrationen auf den Einfülltrichter so übertragen werden, dass der Trichter, aufgrund seiner Form und Steifigkeit, lauter wird als das Mahlwerk selbst (siehe Spalte 1 Zeilen 5-45).
Diese Art der Geräuschentwicklung hat auch mit der der Anlage nach D6 nichts zu tun.
Der Fachmann würde D9, das auch aus einem anderen technischen Gebiet stammt, nicht für eine Lösung die in einer Vorrichtung zum pneumatisches Fördern von Schüttgut implementiert werden sollte in Betracht ziehen.
5. Vorbenutzung
5.1 Die Beschwerdegegnerin beantragt die Vernehmung des im Einspruchsverfahren angebotenen Zeugen für den Fall, dass die Offenkundigkeit der Vorbenutzung gemäß D10a-D10i für das Ergebnis des Beschwerdeverfahrens relevant sein sollte, ohne dabei die Neuheit oder die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 des ersten Hilfsantrags anhand dieser Vorbenutzung zu diskutieren.
5.2 Die Beschwerdegegnerin hat somit keine Gründe vorgelegt, um die Beschwerdekammer zu überzeugen, diesen Antrag auf Zeugenvernehmung zu gewähren.
Obschon Artikel 111 (1) EPÜ erlaubt, dass die Beschwerdekammer im Rahmen der Zuständigkeit des Organs tätig wird, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, bedeutet dies nicht, dass die Beschwerdekammer ohne dementsprechende Mitwirkung der beantragenden Partei eine solche Zeugenvernehmung durchführen sollte.
5.3 Die Kammer sieht keinen Grund die Offenkundigkeit der Vorbenutzung gemäß D10a-D10i nachzugehen, auch weil diese keinen besseren Startpunkt als D6 für die Diskussion der erfinderischen Tätigkeit darstellt.
Grund dafür ist dass, genau wie bei D6, keine Hinweise auf schalldämmende Belage oder auf ein Metallgestell, welches mittels Begrenzungswandungen nach außen abgeschlossen ist, in den Dokumenten D10a-D10i zu finden ist, mit dem Ergebnis dass mindestens die dem unhabhängigen Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 hinzugefügten Merkmalen neu gegenüber die Vorbenutzung sind.
In einem solchen Fall wäre die bereits ausgehend von der D6 festgestellte erfinderische Tätigkeit mutatis mutandis auch ausgehend von der Vorbenutzung festzustellen, so dass auch bei bewiesener Offenkundigkeit der Vorbenutzung gemäß D10a-D10i sich das Ergebnis des Beschwerdeverfahrens nicht ändern wurde.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Auflage das Patent in der folgenden Fassung aufrechtzuerhalten:
- Ansprüche 1-10 eingereicht als erster Hilfsantrag mit der Beschwerdebegründung
- Beschreibung Seiten 2, 2a und 2b eingereicht mit Schreiben vom 4. Januar 2016
- Beschreibung Seiten 3-5 der Patentschrift
- Figuren 1-5 der Patentschrift.