T 1261/13 () of 16.11.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T126113.20181116
Datum der Entscheidung: 16 November 2018
Aktenzeichen: T 1261/13
Anmeldenummer: 01983474.6
IPC-Klasse: F03D 7/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: WINDENERGIEANLAGE
Name des Anmelders: Wobben, Aloys
Name des Einsprechenden: REpower Systems AG
Vestas Wind Systems A/S
GE Wind Energy GmbH
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54(2)
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 104(1)
European Patent Convention Art 111(1)
European Patent Convention R 116(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Schlagwörter: Neuheit - (nein)
Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Kostenverteilung - (nein)
Beschwerdeentscheidung - Zurückverweisung an die erste Instanz (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1188/09
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0242/17

Sachverhalt und Anträge

I. Der Beschwerdeführer-Patentinhaber hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts, die am 13. März 2013 zur Post gegeben wurde und mit der das europäische Patent Nr. 1337755 aufgrund des Artikels 101 (3) (b) EPÜ widerrufen worden ist, am 23. Mai 2013 Beschwerde eingelegt und am selben Tag die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung ist am 19. Juli 2013 eingegangen.

II. Gegen das Patent hatten drei Einsprechende Einspruch eingelegt. Die Einsprüche waren auf die Einspruchsgründe nach Artikel 100(a), (b) und (c) gestützt worden.

Eine vorherige Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent aufgrund unzulässiger Erweiterung zu widerrufen, wurde mit der Beschwerdeentscheidung T1188/09 aufgehoben. Die Sache wurde auf Basis der erteilten Fassung zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurückverwiesen.

In der jetzt angefochtenen Entscheidung wurde das Patent aufgrund fehlender Neuheit bzw. fehlender erfinderischen Tätigkeit widerrufen. Die Einspruchsabteilung hat unter anderem folgende Entgegenhaltungen berücksichtigt:

(D1) DE 197 31 918 A1

(D2) DE 297 22 109 U1

(D4) WO 00/31413

(D10) DE 30 45 499 A1

(D19) US 4,348,155

III. Eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 16. November 2018 statt.

IV. Der Beschwerdeführer-Patentinhaber beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents im Umfang des Hauptantrages, hilfsweise eines der Hilfsanträge I - VII wie mit der Beschwerdebegründung eingereicht, wobei Haupt- und Hilfsanträge I-V die in der angegriffenen Entscheidung behandelten Anträge betreffen, und Hilfsanträge VI, VII mit der Beschwerdebegründung eingereicht wurden.

Die Beschwerdegegnerinnen-Einsprechenden beantragen

-die Zurückweisung der Beschwerde (Beschwerdegegnerinnen-Einsprechenden 1 und 2); bzw.

- die Zurückweisung der Beschwerde im Umfang des Hauptantrages, Hilfsanträge I, II, III neu, VI und VII und Zurückverweisung der Beschwerde im Umfang eines der Anträge Hilfsanträge III alt, IV und V (Beschwerdegegnerin-Einsprechende 3), sowie

- eine anderweitige Kostenverteilung (Beschwerdegegnerin-Einsprechende 2).

V. Die zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung maßgebende Fassung der unabhängigen Ansprüche lautet wie folgt:

a) Hauptantrag

"Windenergieanlage mit einem Rotor mit wenigstens einem eine Längsachse aufweisenden Rotorblatt und einer Verstelleinrichtung zur Einstellung des Pitchwinkels des Rotorblattes,

wobei der innere Bereich des Rotorblattes eine Rotorblattwurzel (10) bildet, die zur Pitchwinkelverstellung um die Längsachse des Rotorblattes drehbar ist und

wobei die Verstelleinrichtung wenigstens zwei als Elektromotoren ausgebildete Antriebe aufweist,

dadurch gekennzeichnet, dass die Antriebe (12) derart angeordnet sind, dass durch sie jeweils ein Drehmoment um die Längsachse des Rotorblattes an verschiedenen Stellen der Rotorblattwurzel (10) in das Rotorblatt eingeleitet werden kann."

b) Hilfsantrag I

Wie im Hauptantrag, unter Präzisierung des letzten Merkmals wie folgt: "...Drehmoment um die Längsachse des Rotorblattes an verschiedenen Stellen der Rotorblattwurzel (10) in das Rotorblatt gleichzeitig eingeleitet werden kann."

c) Hilfsantrag II

Wie im Hilfsantrag I, unter Präzisierung des Merkmals, dass

"...wenigstens zwei als [deleted: Elektromotoren] ersten und zweiten Elektromotor ausgebildete Antriebe aufweist..."; und

unter Präzisierung und Hinzufügung der letzten Merkmale wie folgt:

"...in das Rotorblatt gleichzeitig eingeleitet [deleted: werden kann] wird,

dass der erste und zweite Elektromotor jeweils ein elektrischer Gleichstrommotor ist, oder dass der erste und zweite Elektromotor jeweils ein Drehstrom-Asynchronmotor ist und dass die Drehstrom-Asynchronmotoren zeitweise mit Gleichstrom beaufschlagt sind."

d) Hilfsantrag IIIalt

Wie im Hilfsantrag II, unter Hinzufügung des folgenden Merkmals im Kennzeichen:

"..., und

dass Messmittel vorgesehen sind zur Ermittlung momentaner Beanspruchung wenigstens eines Teils der Windenergieanlage und durch Steuerungsmittel (20), welche die für momentane Beanspruchung gewünschte Stellung wenigstens eines Rotorblattes ermitteln mittels der Verstelleinrichtung entsprechend verstellen."

e) Hilfsantrag IIIneu

Wie im Hilfsantrag II, aber mit folgenden Änderungen (durch Streichung bzw. Unterstreichung hervorgehoben):

"Windenergieanlage mit einem Rotor mit wenigstens einem eine Längsachse aufweisenden Rotorblatt und einer Verstelleinrichtung zur Einstellung des Pitchwinkels des Rotorblattes, wobei der innere Bereich des Rotorblattes eine Rotorblattwurzel (10) bildet, die zur Pitchwinkelverstellung um die Längsachse des Rotorblattes drehbar ist und wobei die Verstelleinrichtung [deleted: wenigstens zwei als erstem und zweiten] drei als Elektromotoren ausgebildete Antriebe aufweist,

dadurch gekennzeichnet, dass die Antriebe derart angeordnet sind, dass durch sie jeweils ein Drehmoment um die Längsachse des Rotorblattes an verschiedenen Stellen der Rotorblattwurzel (10) in das Rotorblatt gleichzeitig eingeleitet wird,

dass [deleted: der erste und zweite] die Elektromotoren entweder als [deleted: jeweils ein] elektrischer Gleichstrommotoren [deleted: ist], oder dass [deleted: der erste und zweite Elektromotor jeweils ein] als Drehstrom-Asynchronmotoren [deleted: ist] ausgebildet sind, und dass [deleted: der] die Drehstrom-Asynchronmotoren zeitweise mit Gleichstrom beaufschlagt [deleted: ist] sind und

dass die drei Antriebe (12) so ausgelegt sind, dass die Verstellfunktion der Rotorblätter aufrechterhalten bleibt, wenn einer der drei Antriebe ausfällt und dass die Windenergieanlage nicht abgestellt werden muss, wenn einer der Antriebe ausfallen sollte, weil dann die jeweilige Einstellung des Pitchwinkels des Rotorblattes nur noch durch die zwei verbliebenen Antriebe aufrechterhalten werden kann."

f) Hilfsantrag IV

Wie im Hilfsantrag I, unter Präzisierung und Hinzufügung der letzten Merkmale wie folgt

"...in das Rotorblatt gleichzeitig eingeleitet [deleted: werden kann] wird und

jeder Antrieb entsprechend der Zahl der Antriebe nur einen entsprechenden Bruchteil der erforderlichen Gesamtkraft zur Vertellung des Rotorblatts aufbringt."

g) Hilfsantrag V

wie im Hauptantrag, aber mit folgenden Änderungen (durch Streichung bzw. Unterstreichung hervorgehoben):

"Windenergieanlage mit einem Rotor mit wenigstens einem eine Längsachse aufweisenden Rotorblatt und einer Verstelleinrichtung zur Einstellung des Pitchwinkels des Rotorblattes,

wobei der innere Bereich des Rotorblattes eine Rotorblattwurzel (10) bildet, die zur Pitchwinkelverstellung um die Längsachse des Rotorblattes drehbar ist, [deleted: und wobei]

dadurch gekennzeichnet, dass die Verstelleinrichtung [deleted: wenigstens zwei] drei als Elektromotoren ausgebildete Antriebe aufweist,

[deleted: dadurch gekennzeichnet,] dass die Antriebe (12) derart angeordnet sind, dass durch sie jeweils ein Drehmoment um die Längsachse des Rotorblattes an verschiedenen Stellen der Rotorblattwurzel (10) in das Rotorblatt eingeleitet werden kann, und dass die drei Antriebe (12) so ausgelegt sind, dass die Verstellfunktion der Rotorblätter aufrechterhalten bleibt, wenn einer der drei Antriebe ausfällt."

h) Hilfsantrag VI

Wie im Hauptantrag, unter Präzisierung des letzten Merkmals wie folgt: "...in das Rotorblatt eingeleitet [deleted: werden kann] wird."

i) Hilfsantrag VII

Wie im Hilfsantrag I, unter Präzisierung des letzten Merkmals wie folgt: "...in das Rotorblatt gleichzeitig eingeleitet [deleted: werden kann] wird."

VI. Der Beschwerdeführer-Patentinhaber hat folgendes vorgetragen:

Alle Anträge seien zulässig. Er sei der Auffassung, dass alle Anträge ohne eine Zurückverweisung vor der Beschwerdekammer verhandelt werden sollten. Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß allen Anträgen sei neu und erfinderisch im Lichte der zitierten Entgegenhaltungen. Es gebe keine Gründe für eine anderweitige Kostenverteilung.

VII. Die Beschwerdegegnerinnen-Einsprechenden haben folgendes vorgetragen.

Keiner der Anträge sei zulässig. Die Beschwerdegegnerinnen-Einsprechenden 1 und 2 sind der Auffassung, dass ohne eine Zurückverweisung alle Anträge vor der Beschwerdekammer verhandelt werden sollten. Die Beschwerdegegnerin-Einsprechende 3 ist demgegenüber der Auffassung, dass eine Zurückverweisung der Beschwerde im Umfang der Anträge IIIalt, IV und V gerechtfertig sei. Der Gegenstand des Anspruchs 1 aller Anträge sei im Lichte von D1, D4, D10, D19 in Verbindung mit Fachwissen entweder nicht neu oder nicht erfinderisch. Das Verhalten des Patentinhabers habe den Beschwerdegegnerinnen-Einsprechenden derart zusätzliche Arbeit verursacht, dass eine anderweitige Kostenverteilung gerechtfertigt sei.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig. Die Zulässigkeit der Beschwerde wurde von den Parteien nicht mehr bestritten. Da sie form- und fristgerecht eingereicht wurde, sieht auch die Kammer keinen Grund, die Zulässigkeit in Frage zu stellen.

2. Die vorliegende Erfindung betrifft eine Verstelleinrichtung für das Rotorblatt (Pitchwinkelverstelleinrichtung) einer Windenergieanlage. Zwecke der Erfindung sind die Erhöhung von Zuverlässigkeit sowie die Reduzierung der Motorabmessung der Verstelleinrichtung. Zu diesem Zweck umfasst die Verstelleinrichtung wenigstens zwei Antriebe, die ihre Kraft zum Verstellen des Rotorblattes an verschiedenen Stellen in die Blattwurzel einleiten. Durch einen gleichzeitigen Betrieb aller Antriebe muss jeder nur einen Bruchteil der erforderlichen Gesamtkraft aufbringen. Somit kann die entsprechende Dimensionierung des Motors kleiner ausfallen, siehe Patentschrift Absätze [0005]-[0008].

3. Zulässigkeit der Anträge

Die Beschwerdegegnerinnen-Einsprechenden bezweifeln die Zulässigkeit aller Anträge.

3.1 Der Hauptantrag und die Hilfsanträge I und II wurden erstinstanzlich in das Verfahren zugelassen. Diese Anträge sind also integraler Teil der angefochtenen Entscheidung und definieren zum Teil den Gesamtrahmen des Verfahrens. Es ist auch nicht ersichtlich, auf welcher Rechtsgrundlage eine rückwirkende Unzulässigkeit basieren könnte. Die Kammer hat nach Art. 12(4) VOBK lediglich die Befugnis, Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können oder dort nicht zugelassen worden sind.

3.2 Die Beschwerdegegnerinnen-Einsprechenden argumentieren im wesentlichen, dass die Hilfsanträge III(alt), III(neu), IV und V bereits erstinstanzlich in rechtsfehlerfreier Ausübung des Amtsermessens nicht in das Verfahren zugelassen wurden. Die erst im Beschwerdeverfahren eingereichten Hilfsanträge VI-VII hätten bereits erstinstanzlich vorgebracht werden müssen. Sie seien folglich nach Artikel 12(4) VOBK nicht in das Verfahren zuzulassen.

3.2.1 Wie aus dem Protokoll und der Entscheidung hervorgeht, hatte die Abteilung in der Verhandlung nach Diskussion der Haupt- und Hilfsanträge I und II dem Patentinhaber eine "letzte Gelegenheit" bzw. "letzte Chance" (Seite 7 bzw. 11 der Entscheidung) gegeben, einen weiteren Hilfsantrag zu stellen, obwohl weitere Hilfsanträge III bis VI vorlagen. Daraufhin formulierte die Patentinhaberin den neuen Hilfsantrag III(neu), um den geltenden Hilfsantrag III(alt) zu ersetzen. Hilfsantrag III(neu) wurde nicht zugelassen. Keine weiteren Hilfsanträge wurden zugelassen, Entscheidung, Seite 6 unten.

3.2.2 Bezüglich der Nicht-Zulassung des Hilfsantrags III(neu) waren, der Argumentation der Einspruchsabteilung folgend, die Einsprechenden durch das verspätete Einreichen der Anträge bereits am 21. September 2012 - d.h. etwa einen Monat vor der Verhandlung - nicht in der Lage, weder den im Hilfsantrag III(neu) enthaltenen neuen Aspekt mit der notwendigen Genauigkeit abhandeln, noch Nachrecherchen durchführen zu können.

3.2.3 Nach Auffassung der Kammer hat die Abteilung nicht korrekt gehandelt. Insoweit sie ein Ermessen hatte, hat sie dieses nicht sachgerecht und somit willkürlich ausgeübt.

Regel 116 EPÜ dient nach ihrem Sinn und Zweck auch dazu, allen Beteiligten sowie der Abteilung genügend Zeit für eine sorgfältige Vorbereitung der mündlichen Verhandlung einzuräumen, siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammer, 8. Auflage 2016(RdBK), III.C.4.4. In der Regel sind somit Anträge, die vor dem Ablauf der Frist nach Regel 116 EPÜ eingereicht werden und Regel 80 erfüllen, zuzulassen, siehe z.B. die Richtlinien für die Prüfung (in der damals geltenden Version 2013), E-V.2.2. Das gilt auch für Anträge, in denen Anspruchsmerkmale aus der Beschreibung aufgenommen worden sind. Die Frist nach Regel 116 gewährt den Einsprechenden die Möglichkeit, angemessen, z.B. durch Nachrecherche, zu reagieren.

3.2.4 Die Hilfsanträge III(alt), IV-V betreffen die Hilfsanträge III-V der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchabteilung. Diese wurden bereits als Hilfsanträge IV bis VI am 21. September 2012 vor Ablauf der Frist nach Regel 116 eingereicht, aber am Anfang der mündlichen Verhandlung nach einer Diskussion umnummeriert, siehe Protokoll, Seite 1, "Anträge", sowie Entscheidung, Seite 9, Mitte.

Insoweit die Änderungen in den am 21. September 2012 eingereichten Anträgen Regel 80 EPÜ erfüllen, hätten die Anträge somit nach gängiger Amtspraxis zugelassen werden müssen. Daran vermag eine spätere Umnummerierung oder Umordnung nichts zu ändern.

Im übrigen ist aus der angefochtenen Entscheidung nicht ersichtlich, warum die Hilfsanträge IV bis VI vor der Einspruchabteilung (Hilfsanträge III(alt), IV-V vor der Beschwerdekammer) weder zugelassen noch behandelt wurden. Diese Ermessenentscheidung ist folglich unbegründet und rechtsfehlerhaft.

3.2.5 Dass die Abteilung nach Diskussion des Hilfsantrags II der Patentinhaberin eine letzte Gelegenheit oder Chance gewährt hat (siehe Seite 7 bzw. 11 der Entscheidung), ohne über die Zulässigkeit der noch geltenden Hilfsanträgen III(alt) bis VI zu befinden, hat keine Rechtsgrundlage und scheint auf reiner Willkür zu basieren. Wenngleich die Behandlung dieser Anträge, und sei es nur auf ihre Zulässigkeit in das Verfahren hin, möglicherweise eine Vertagung der Vertagung der Verhandlung erforderlich gemacht hätte, bleibt für die Kammer unerfindlich, woher die Einspruchsabteilung die Befugnis herzunehmen glaubte, gleichsam nach Gutsherrenart zu verfügen, dass als "letzte Chance" nur noch ein Antragssatz behandelt werde, gleich wie viele sich noch im Verfahren befanden. Durch dieses willkürlich und rechtlich nicht gestützte Vorgehen wurde der Patentinhaberin ihr Recht auf Gehör verwehrt. Wenn sich die Abteilung nicht in der Lage sah, an einem Tag über alle Anträge zu befinden, hätte sie die Verhandlung vertagen müssen, wie auch von dem Patentinhaber beantragt, siehe Entscheidung, Seite 10, letzter Absatz. Es war erst die Vorgehensweise der Einspruchsabteilung, die den Patentinhaber dazu genötigt hat, den neuen Hilfsantrag III(neu) zu formulieren, der den Hilfsantrag III(alt) ersetzen sollte.

3.2.6 Die Kammer stellt somit fest, dass die erste Instanz ihr Ermessen bezüglich der Zulässigkeit der jetzt geltenden Hilfsanträge III(alt),III(neu),IV-V grob unrichtig ausgeübt und damit den ihr eingeräumten Ermessensspielraum überschritten hat. Diese Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung ist aufzuheben. Im Übrigen wurden diese Hilfsanträge mit der Beschwerdebegründung nach Artikel 108 EPÜ eingereicht und liegen somit nach Artikel 12(1) VOBK dem Beschwerdeverfahren zugrunde.

3.2.7 Die Hilfsanträge VI-VII wurden erst im Beschwerdeverfahren eingereicht und es steht somit im Ermessen der Beschwerdekammer, diese nach Artikel 12(4) VOBK zuzulassen. Im vorliegenden Fall scheinen diese Anträge durch das Ersetzen des Merkmals "eingeleitet werden kann" durch "eingeleitet wird" eine angemessene Reaktion auf die Argumente im Abschnitt 3.3 der angefochtenen Entscheidung zu sein. Diese Hilfsanträge sind demzufolge nach Ansicht der Kammer zulässig.

3.3 Somit lässt die Kammer alle Anträge des Beschwerdeführers-Patentinhabers, nämlich die Haupt- und Hilfsanträge I-II, III(alt), III(neu), IV-VII zu.

4. Antrag auf Zurückverweisung

Die Beschwerdegegnerin-Einsprechende 3 beantragt die Zurückverweisung der Beschwerde im Umfang eines der Anträge Hilfsanträge III (alt), IV und V nach Artikel 111(1) EPÜ, da diese erstinstanzlich weder diskutiert noch abgehandelt worden sind. Der Beschwerdeführer-Patentinhaber und die Beschwerdegegnerinnen-Einsprechenden 1 und 2 haben demgegenüber beantragt, die Sache nicht zurückzuverweisen und direkt zu entscheiden. Zu bemerken ist vorliegend, dass es sich bereits um die zweite Beschwerde in diesem Fall handelt und dass es nach ständiger Rechtsprechung kein absolutes Recht auf zwei Rechtsinstanzen gibt, siehe RDBK IV.E.7.6.1. Besonderes Gewicht misst die Kammer vorliegend der Tatsache bei, dass der Patentinhaber selbst, zu dessen Schutz im Falle eines wesentlichen Verfahrensfehlers regelmäßig eine Zurückverweisung erfolgt, diese hier nicht beantragt hat. Die Beschwerdekammer hält es nach einer Abwägung der Argumente und Interessenlage im konkreten Fall für vorzüglich, das Verfahren in angemessener Zeit ohne eine Zurückverweisung zum Abschluss zu bringen. Die Kammer macht daher von ihrem Ermessen nach Artikel 111(1) EPÜ in der Weise Gebrauch, dass sie selbst über die Begründetheit der Beschwerde entscheidet.

5. Neuheit: Hauptantrag, Hilfsanträge I, VI, VII

5.1 Hauptantrag

5.1.1 Die Kammer ist der Auffassung, dass D10 den Gegenstand des Anspruchs 1 neuheitsschädlich vorwegnimmt. Die Rotorblattverstellvorrichtung einer Windenergieanlage nach D10 weist zwei Antriebe 25a, 25b mit jeweils einem Motor 35 auf, die über jeweilige Ritzel 27 an zwei verschiedenen Stellen des Innenrohrs 13 der Rottorblattwurzel eingreifen, siehe D10, Figuren 2 und 5. Wie von der Einspruchsabteilung befunden - siehe Entscheidung, Seite 12, 3.3 -, ist der Bereich in D10, wo die Antriebseinheiten 25 eingreifen, als Teil der Rotorblattwurzel im Sinne des Streitpatents anzusehen. Dieser Bereich liegt am gegenüberliegenden Ende des Rotorblatts 3a und nahe zur Nabe, was auch im Einklang mit der Auslegung des Begriffes "Rottorblattwurzel" in der vorherigen Entscheidung T 1188/09 steht.

5.1.2 Die Kammer ist von der Argumentation des Beschwerdeführers-Patentinhabers nicht überzeugt, wonach das Innenrohr 13 der D10 nicht Teil des Rotorblatts bzw. der Rotorblattwurzel ist. Nach Auffassung des Beschwerdeführers-Patentinhabers liege das Innenrohr 13 in der Nabe, wobei das Rotorblatt selbst lediglich die aerodynamische Fläche eines Rotors bezeichne. Diese entspreche nur dem Teil 3a bis zur Flansch 13a von D10. Des Weiteren verweist er auf die erste Beschwerdeentscheidung T 1188/09, Seite 9, 2. Abschnitt, wonach ein Teil der Nabe, die am Rotorblatt befestigt sei, als Teil der Nabe und nicht des Rotorblatts anzusehen sei.

Die Kammer kann sich dieser Argumentation nicht anschließen. Nach Auffassung der Kammer ist die Rotorblattwurzel als der aus Sicht der Nabe funktionelle Beginn des Rotorblatts anzusehen. Das Innenrohr 13 ist daher als dieser Beginn anzusehen, da beide Teile 13 und 3a durch die Schraubverbindung am Flansch 13a mit dem Blatt 3a fest verbunden sind und sich somit zusammen bewegen und eine funktionelle Einheit bilden. Hinsichtlich des Verweises auf die Entscheidung T 1188/09 ist zu bemerken, dass sich der zitierte Abschnitt auf eine Auslegung des Anspruchswortlauts bezieht, wonach ein Teil der Nabe zur Befestigung des Rottorblatts in dessen Innenraum hineinragen würde. Dieser Auslegung ist die Kammer in T1188/09 aber nicht gefolgt und kann somit schwer zur Auslegung von D10 herangezogen werden. Jedenfalls ragt die Nabe in D10 in das Rotorblatt nicht hinein, sondern umgekehrt ragt das Innenrohr 13, das fest mit dem Rotorblatt verbunden ist, in das Außenrohr 15 der Nabe hinein. Demzufolge sieht die Kammer das Innenrohr 13 als Teil des Rotorblatts und nicht der Nabe an. Dieses Innenrohr bildet den inneren Bereich des Blattes zur Nabe hin und ist somit als dessen Blattwurzel zu betrachten.

5.1.3 Somit ist der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag nicht neu.

5.2 Hilfsantrag I

5.2.1 Über den Hauptantrag hinaus schreibt der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I lediglich vor, dass beide Motoren das jeweilige Drehmoment gleichzeitig einleiten. Nach Ansicht der Kammer wird dieses Merkmal auch in D10 offenbart. Beide in D10 beschriebenen Antriebe 25a,25b sind gleich dimensioniert, symmetrisch angeordnet und bilden zusammen eine Verspannantriebseinheit, siehe Figur 5 und Seite 7, 4. Absatz. Dort ist auch beschrieben, dass das Rotorblatt durch die gesamte aus zwei Motoren bestehende Verspannantriebseinheit 25 verstellt wird. Mit anderen Worten wird das Rottorblatt durch die zwei Motoren gleichzeitig verstellt.

5.2.2 Der Beschwerdeführern-Patentinhaber hat vorgetragen, dass die gleichzeitige Einleitung von Drehmoment aus D10 nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen sei. Seiner Auffassung nach sei in D10 eine explizite Gleichzeitigkeit nicht offenbart. Ferner diene ein Verspannantrieb dem Ausgleich des durch die Verzahnung des Ritzels 27 mit dem Zahnkranz 29 verursachten Spiels. Zu diesem in D10 beschriebenen Zweck sei es möglich, dass einer der beiden Motoren die Verstellung durchführe, während der andere Motor lediglich das Rottorblatt nach Ausschaltung des erstes Motors und zwar nicht gleichzeitig anhalte. Somit könne der unerwünschte Effekt des bestehenden Spiels an der Verzahnung bei der Rotorblattverstellung vermieden werden.

Dem kann nicht gefolgt werden. Nach Ansicht der Kammer offenbart D10 in Bezug auf die Verspanneinrichtung lediglich, dass beide Motoren über ein Verbindungsglied 26 gegeneinander mechanisch verspannt sind, siehe Seite 7 der D10, 6. Absatz. Dass diese dazu verwendet werden, Verzahnungsspiel in der Verstellung zu vermeiden, ist weder explizit in D10 angedeutet, noch geht dies sonst wie aus der D10 hervor. Es geht aber aus der D10 klar hervor, dass die offenbarten Antriebe 25a,25b gleich dimensioniert und symmetrisch angeordnet sind, was nach Ansicht der Kammer auf eine gleiche Funktionalität schließen lässt. In diesem Sinne sind beide Motoren auch explizit als Antriebe und nicht als Antrieb und Bremse bezeichnet, siehe Anspruch 3. Die Kammer kann hieraus nur schließen, dass die beiden Antriebe funktionell gleichwertig sind und somit gleichzeitig eingesetzt werden. Daher stellt die Kammer fest, dass aus der D10, wie oben erläutert, eine gleichzeitige Drehmomenteinleitung für den Fachmann unmittelbar und eindeutig hervorgeht.

5.2.3 Daraus ergibt sich, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags I gegenüber D10 nicht neu ist.

5.3 Hilfsanträge VI, VII

Im Vergleich zum Hauptantrag und Hilfsantrag I verlangen diese Anträge nun, dass das Drehmoment in das Rotorblatt "...eingeleitet wird" anstatt "eingeleitet werden kann". Die Kammer sieht in dieser Umformulierung keinen weiteren Unterschied gegenüber der aus D10 bekannten Anlage, da, wie oben ausgeführt, durch die beiden Antriebe tatsächlich Drehmoment eingeleitet wird. Die Feststellung der fehlenden Neuheit gegenüber D10 für Haupt- und Hilfsantrag I gilt also auch aus vergleichbaren Gründen für Anspruch 1 der Hilfsanträge VI und VII, siehe Abschnitte 5. und 5.2 oben.

6. Erfinderische Tätigkeit: Hilfsanträge II bis V

Die Hilfsanträge II bis V werden unten in der Reihenfolge II, IV, III(alt), V und III(neu) behandelt, wie auch auf Wunsch der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer.

6.1 Hilfsantrag II

6.1.1 Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II wird im Vergleich zum Anspruch 1 des Hilfsantrags I dadurch ergänzt, dass die zwei Elektromotoren entweder Gleichstrommotoren oder Drehstrom-Asynchronmotoren sind, die zeitweise mit Gleichstrom beaufschlagt sind. In Vergleich dazu beschreibt Dokument D10, das als nächstliegender Stand der Technik angesehen wird, lediglich Elektromotoren, ohne zu präzisieren, welche.

Durch die Auswahl einer Motorart setzt der Fachmann die Lehre von D10 um. Aufgabe der vorliegenden Erfindung ist es daher, eine funktionsfähige Ausführungsform nach der Lehre der D10 bereit zu stellen.

Da dem Fachmann aber nur zwei verschiedene Arten von Elektromotoren bekannt sind, nämlich Gleichstrom- oder Wechselstrommotoren, ist die Auswahl einer der beiden möglichen Alternativen für den Fachmann naheliegend, es sei denn, dass z.B. durch besondere Umständen der Fachmann nur eine der Alternativen in Erwägung ziehen würde. Solche besonderen Umstände liegen nicht vor und sind auch nicht geltend gemacht worden. Daher sieht die Kammer die Auswahl von Gleichstrommotoren als eine für den Fachmann fachübliche und nicht erfinderische Auswahl an. Mindestens die in Anspruch 1 beanspruchte Alternative der Gleichstrommotoren wird somit durch die Kombination der Lehre von D10 und dem allgemeinen Fachwissen nahegelegt, Artikel 56 EPÜ.

6.2 Hilfsantrag IV

6.2.1 Der Beschwerdeführer-Patentinhaber argumentiert, dass D2 als nächstliegender Stand der Technik angesehen werden sollte. Dahingegen geht die Kammer, wie auch die Einspruchsabteilung, von dem Einzelmotor-Antrieb von D1 als erfolgversprechendstem Ausgangspunkt aus, weil hiervon ausgehend eine naheliegende Entwicklung zur Erfindung führt. Die Kammer fügt hinzu, dass letztendlich jeder Stand der Technik, von dem ausgehend der Fachmann auf naheliegende Weise zur Erfindung gelangt, einen geeigneten Ausgangspunkt für die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit darstellt. Ein solcher Ausgangspunkt entspricht per Definition dem rein gedanklichen "nächsten Stand der Technik".

6.2.2 Ausgehend von D1 offenbart diese Entgegenhaltung eine Windenergieanlage mit einer Verstellvorrichtung, die einen Elektromotor 34 aufweist. Dieser leitet ein Drehmoment an der Rotorblattwurzel des Rotorblatts 16 ein, siehe Figur 1. Somit unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 dadurch, dass dort wenigstens zwei Elektromotoren vorgesehen sind, die an verschiedenen Stellen der Rotorblattwurzel ein Drehmoment einleiten. Ferner bringt jeder Motor den entsprechenden Bruchteil der erforderlichen Gesamtkraft zur Verstellung des Rotorblatts auf.

6.2.3 Durch die beanspruchte Anordnung, wonach jeder Motor nur einen Bruchteil der erforderlichen Gesamtkraft aufbringen muss, kann die entsprechende Dimensionierung des Motors kleiner ausfallen und somit die oben genannten Nachteile bei größeren Anlagen mildern, siehe Patentschrift Absätze [0005]-[0008]. Den unterscheidenden Merkmalen kann also die Aufgabe zugrunde gelegt werden, die aus D1 bekannte Verstelleinrichtung auf eine größere Windenergieanlage auszulegen, siehe Absätze [0005]-[0006] der Patentschrift.

6.2.4 In diesem Zusammenhang verweist die Einspruchsabteilung in Abschnitt 5.3.9 ihrer Entscheidung auf eine naheliegende Zusammenschau von D1 mit der Lehre der D4. Im Dokument D4 wird im Zusammenhang mit Azimutantrieben der Lösungsansatz des bei zunehmender Anlagegröße entstehenden Problems angesprochen, wonach bei kleinen Anlagen ein Verstellantrieb genügt, größere Windenergieanlagen hingegen in der Regel mit mehreren Azimutantrieben ausgestattet sind, siehe D4, Seite 1, 1. Absatz; oder Seite 2, 3. Absatz. Zu diesem Zweck schlägt D4 vier Azimutantriebe vor, wobei jeder der Antriebe wie im angefochtenen Anspruch einen entsprechenden Bruchteil der erforderlichen Gesamtkraft aufbringt, siehe Seite 3, 2. Absatz. Damit wird ein konstruktiv einfacher Antrieb bei zunehmenden Anlagegrößen geschaffen, siehe Seite 3, 4. Absatz. Somit bietet D4 die gleichen technischen Vorteile, die bei der Adaptierung der Verstelleinrichtung aus D1 auf größere Windenergieanlagen angestrebt werden. Folglich würde der Fachmann, ein Bauingenieur, der Windenergieanlagen entwickelt und hierzu breite Kenntnisse im Bereich von Windenergieanlagen besitzt, auf die Lehre der D4 für die Lösung der oben formulierten Aufgabe zurückgreifen und diese heranziehen, um die Verstelleinrichtung bei größerer Auslegung anzupassen. Dazu überträgt er in naheliegender Weise den Lösungsansatz des Azimutantriebs einer Windenergieanlage aus D4 auf einen Verstellungsantrieb für das Rotorblatt einer solchen Anlage. Durch diese Lehre würde der Fachmann ohne Weiteres angeregt, eine lastentsprechende Mehrzahl von Antrieben in einer vergrößerten Rotorblattverstellvorrichtung nach D1 anzuwenden. In dieser Weise gelangt der Fachmann ohne erfinderisches Zutun zu einer Windenergieanlage nach dem Gegenstand vom Anspruch 1 des Hilfsantrags IV.

6.2.5 Der Beschwerdeführer-Patentinhaber hat dagegen vorgetragen, dass zwar D4 mehrere Antriebe für die Azimutverstellung lehre, eine solche Anordnung in einer Rotorblattverstelleinrichtung aber aus keiner der genannten Druckschriften hervorgehe. Im Stand der Technik werde eine solche Lösung lediglich für eine Azimutverstellung angedeutet, welche für den Fachmann mit der Rotorblattverstellung aufgrund der unterschiedlichen Lasten und Bedingungen nicht vergleichbar sei. Daher sei eine für die Azimutverstellung bekannte Lösung nur durch erfinderisches Zutun auf eine Rotorblattverstellung zu übertragen. Dies kann die Kammer nicht überzeugen. Erstens geht es nicht darum, dass die D4 einen solchen Stellantrieb für die Rotorblattverstellung offenbart, weil die D4 dann die Neuheit vorwegnehmen würde. Sondern es geht darum, ob der Fachmann ohne weiteres erkennt, dass die dort für Azimutantriebe gezeigte Lösung aus diesem Zusammenhang verallgemeinert werden kann. Ob und inwiefern der Fachmann eine solche Abstrahierung vornimmt, ist von Fall zu Fall zu entscheiden. In diesem Fall ist die Kammer davon überzeugt, dass der einschlägige Fachmann, der im Fachbereich der Windenergieanlagen tätige Bauingenieur, hierzu in der Lage ist. Die Problematik der immer größeren Auslegung von Windenergieanlagen ist ihm hinlänglich bekannt. Er wird auch mit der Tatsache vertraut sein, dass bei Hochskalierung einer Anlage nicht alle individuellen Bauteile unbegrenzt mitvergrößert werden können: so setzen die Wartung und Austausch Grenzen an Gewicht und Größe von Bauteilen. Hierzu bietet die D4 einen ersten Ansatz: wo in einer kleineren Anlage ein einziger Antrieb genügte, sind bei größeren Anlagen diese mit mehreren Azimutverstellantrieben auszustatten, Seite 1, 1. Absatz, letzter Satz. Der Fachmann erkennt sofort, dass dieser einfache Ansatz nicht strukturell oder funktionell mit einer Azimutverstellung verknüpft ist, sondern darüber hinaus auf andere Verstellungen einer Windkraftanlage angewandt werden kann. Dies um so mehr, als D4 selbst beide Arten von Stellantrieben als vergleichbar anzusehen scheint, siehe D4, Seite 2, 2. Absatz. In dieser Textstelle werden Stellantriebe für Rotorblatt- und Azimutverstellungen als ähnlich eingestuft. Der Fachmann würde sich also bei der Lösung einer solchen Aufgabe ohne erfinderisches Zutun an bekannten Antriebsanordnungen mit anderen Verstellfunktionen orientieren.

6.2.6 Daraus ergibt sich, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 in Zusammenschau der Lehre von D1 und D4 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

6.3 Hilfsantrag III(alt)

Eine Rotorblattverstellung dient bekanntlich der Regelung der Rotordrehzahl und Leistungsabgabe, sowie auch dem Schutz gegen Überdrehzahl des Rotors bei hoher Windgeschwindigkeit einer Windenergieanlage, siehe hierzu z.B. D1 und das darin genannte Textbuch (Spalte 1, Zeilen 12 bis 24. Dazu offenbart zum Beispiel die D1 bereits (siehe D1, Zusammenfassung) eine Regelung mittels Messmittel 38,40 zur Ermittlung momentaner Beanspruchung eines Teils der Windenergieanlage und Steuerungsmittel 8, welche entsprechend der ermittelten Beanspruchung mit Hilfe der Verstellvorrichtung entsprechend das Rotorblatt verstellen können. Diese aus D1 bereits bekannte Maßnahme fügt dem Anspruch 1 des Hilfsantrags III(alt) nichts neues hinzu, ist im Bereich von Windkraftanlagen sonst fachüblich und kann daher (ob von D1 oder D4 ausgehend) nicht zur erfinderischen Tätigkeit beitragen. Die Beschwerdeführerin hat auch in der mündlichen Verhandlung davon abgesehen, hierzu weiteres vorzutragen.

6.4 Hilfsanträge III(neu), V

6.4.1 Ausgehend von D1 unterscheidet sich die Anlage nach Anspruch 1 dadurch, dass drei Elektromotoren vorgesehen sind, die an verschiedenen Stellen der Rotorblattwurzel ein Drehmoment einleiten. Ferner sind diese entweder Gleichstrommotoren oder Drehstrom-Asynchronmotoren, die zeitweise mit Gleichstrom beaufschlagt sind. Der Anspruch verlangt auch, dass die drei Motoren so ausgelegt sind, dass bei Ausfall eines der Motoren die Verstellfunktion durch die zwei verbliebenen aufrechterhalten werden kann.

6.4.2 Die Auslegung des letzten Merkmals ist umstritten. Das Merkmal besagt zwar, dass die Verstellfunktion aufrechterhalten werden kann, es bestimmt aber nicht, wie lange. In diesem Kontext argumentiert der Beschwerdeführer-Patentinhaber, dass das Merkmal so auszulegen sei, dass die Anlage noch im "Normalbetrieb" so lange wie nötig aufrechterhalten werden kann, beispielsweise bis zur nächsten regelmäßig geplanten Wartung. Demgegenüber sind die Beschwerdegegnerinnen-Einsprechenden der Auffassung, dass eine breitere Auslegung, wonach auch eine kürzere Aufrechterhaltung, z.B. um die Rotorblätter im Rahmen eines Notfallstopps in Fahnenstellung zu bringen, ebenfalls von diesem Merkmal umfasst sei.

Die Kammer ist der Auffassung, dass insoweit, als der Anspruch keine Dauer der Aufrechterhaltung der Verstellfunktion mit zwei Motoren vorschreibt, auch eine kürze Aufrechterhaltung der Verstellfunktion durch zwei Motoren, z.B. nur solange, bis die Rottorblätter in Fahnenstellung gebracht worden sind, das Merkmal anspruchsgemäß verwirklicht. Diese Auslegung wird auch von der Beschreibung gestützt. Das hinzugefügte Merkmal der Aufrechterhaltung der Verstellfunktion entspricht dem in den Absätzen 0022 und 0023 der Patentschrift beschriebenen Ausführungsbeispiel. Nach dieser Textstelle ist dieses Merkmal ausdrücklich auch so zu verstehen, dass die zwei verbliebenen Verstellantriebe noch für eine gewisse Zeit im Überlastbetrieb gefahren werden können, "zumindest so lange, um einen sicheren Stopp der Windenergieanlage einzuleiten bzw. die Rotorblätter in Fahnenstellung zu bringen". Da diese Stelle der Beschreibung die einzige Offenbarung für dieses Merkmal bildet, sieht die Kammer auch keinen Grund, sich eine Auslegung dieses Merkmales zu eigen zu machen, die von der Beschreibung nicht gestützt ist.

6.4.3 Durch die Verwendung von drei Elektromotoren anstatt einem kann die entsprechende Dimensionierung des Motors kleiner ausfallen und somit die oben genannten Nachteile bei größeren Anlagen mildern, siehe Abschnitt 6.2.3 oben und die Patentschrift Absätze [0005]-[0008]. Durch die Auswahl der Art des Elektromotors, nämlich eines Gleichstrommotors, kann der Fachmann die Lehre von D1 umsetzen und somit eine funktionsfähige Ausführungsform nach der Lehre der D1 auszuführen, siehe Abschnitt 6.1.1 oben. Die Aufrechterhaltung der Verstellfunktion durch zwei verbliebene Motoren sorgt für Redundanz bei Notfällen.

6.4.4 Nach Ansicht der Kammer weisen die oben formulierten Aufgaben untereinander keine Wechselwirkung auf. Die drei unterscheidenden Merkmalsgruppen stehen also in keiner funktionellen Wechselwirkung zueinander. Es ist folglich zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zu untersuchen, ob sich die Merkmalsgruppen jeweils für sich alleine in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik herleiten lassen.

6.4.5 Wie oben unter Abschnitt 6.2.4 erläutert, würde der Fachmann durch die Lehre von D4 ohne Weiteres angeregt, eine lastentsprechende Mehrzahl von Antrieben in einer vergrößerten Rotorblattverstellvorrichtung nach D1 anzuwenden. In dieser Weise gelangt der Fachmann ohne erfinderisches Zutun den Lastbedingungen entsprechend auch zu einer Windenergieanlage mit dreimotorigen Pitchverstellantrieben, um eine Adaptierung der aus D1 bekannten Verstelleinrichtung an eine größere Windenergieanlage zu erzielen.

6.4.6 Ebenfalls sieht die Kammer in der Anwendung von Gleichstrommotoren lediglich eine nicht erfinderische Auswahl aus zwei möglichen Alternativen zur Realisierung der Elektromotoren von D1, siehe oben.

6.4.7 Ist der Fachmann mit einer Erhöhung der Zuverlässigkeit einer solchen Anlage konfrontiert, würde er sich der Lehre von D19 bedienen. Dort wird dieses Problem in Bezug auf Rotorblattverstelleinheiten umfänglich angesprochen. Insbesondere offenbart Spalte 2, Zeilen 50-52 hierzu in einer Rotorverstelleinrichtung redundant zu gestalten. Dies soll einen zuverlässigeren Betrieb der Anlage erlauben, wie in Spalte 2, Zeilen 7-12 erläutert wird, und zwar durch Minimierung der Gefahr einer Beschädigung aufgrund einer Fehlfunktion. Diese Redundanz wird insbesondere mittels mehrerer Pitchverstellantriebe verwirklicht, siehe Spalte 2, Zeilen 61-64, wobei durch die verbliebenen Antriebe die Verstellfunktion aufrechterhalten werden kann, und zwar zumindest so lange, um das Rotorblatt in Fahnenstellung zu bringen, siehe Spalte 3, Zeilen 15-19. Der mit der Erhöhung der Zuverlässigkeit beauftragte Fachmann würde also durch diese Lehre angeregt, eine solche Redundanz in der Rotorblattverstelleinrichtung vorzusehen. Er würde folglich die Auslegung eines Mehrmotorenantriebs dergestalt, dass bei Ausfall eines Motors die jeweilige Einstellung des Winkels nur noch durch die verbliebenen Antriebe aufrechterhalten werden kann, als eine naheliegende Maßnahme erkennen, um eine Erhöhung der Zuverlässigkeit zu erreichen.

Die Kammer ist von der Argumentation des Beschwerdeführers-Patentinhabers, dass Dokument D19 lediglich hydraulische Verstellantriebe betreffe und dass demzufolge die Lehre auf Elektroantriebe von D1 nicht ohne erfinderische Tätigkeit übertragbar sei, nicht überzeugt. Die Ausführungsbeispiele von D19 weisen zwar hydraulische Antriebe auf, die Lehre der Zuverlässigkeit und der Redundanz wird aber auch allgemein bezüglich eventueller Fehlfunktionen der Rotorblattverstelleinrichtung erläutert, siehe Spalte 1, Zeilen 15-18 und Spalte 2, Zeilen 7-13. Der Fachmann würde also bei seiner Suche nach einer Erhöhung der Zuverlässigkeit elektroangetriebener Rotorblattverstellungen auch die Lehre von D19 ohne erfinderisches Zutun berücksichtigen.

6.4.8 Somit kommt die Kammer zum Schluss, dass die obigen Merkmalsgruppen in keiner funktionellen Wechselwirkung zueinander stehen und dass sie sich jeweils für sich in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik herleiten lassen. Folglich stellt die Kammer fest, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 von Hilfsantrag III(neu) nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

6.4.9 Hilfsantrag V

Alle Merkmale des Anspruchs 1 dieses Antrags sind im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag III(neu) enthalten. Daher betrachtet die Kammer den Gegenstand des Anspruchs 1 von Hilfsantrag V aus desselben Gründen (soweit einschlägig) als nicht erfinderisch.

7. Im Endergebnis ist daher keiner der Anträge des Beschwerdeführers-Patentinhabers gewährbar. Die Kammer ist somit zu dem Ergebnis gelangt, dass das Patent nach Artikel 101(3)(b) zu widerrufen ist. Die Beschwerde ist demzufolge zurückzuweisen.

8. Antrag auf anderweitige Kostenverteilung

Die Beschwerdegegnerin-Einsprechende 2 trägt vor, dass das Verhalten des Patentinhabers, insbesondere in Bezug auf die große Anzahl von Anträgen, die zu einem späteren Zeitpunkt des erstinstanzlichen Verfahrens und ohne ausreichende Begründung eingereicht worden seien, den Beschwerdegegnerinnen-Einsprechenden dermaßen zusätzliche Arbeit verursacht habe, dass sie eine anderweitige Kostenverteilung rechtfertige.

Nach Artikel 104(1) EPÜ hat jede Partei in der Regel ihre entstandenen Kosten zu tragen, sofern nicht aus Gründen der Billigkeit eine anderweitige Anordnung erforderlich ist. Im vorliegenden Fall hat die Patentinhaberin im Laufe des Verfahrens vor der ersten Instanz auch im zweiten Gang eine Vielzahl von Hilfsanträgen eingereicht. Die Zahl geht aber nach Ansicht und Erfahrung der Kammer nicht soweit über das hinaus, was sie von einem Patentinhaber bei der normalen Verteidigung seines Patentes erwartet, dass die Grenzen des Zumutbaren überschritten worden wären. Dass Anträge mangelhaft oder nicht begründet in der ersten Instanz eingereicht wurden, wäre ein Grund gewesen, sie nicht in das (erstinstanzliche) Verfahren zuzulassen. Dass die Einspruchsabteilung bei der Nicht-Zulassung dann unrichtig gehandelt hat und die Frage der Zulassung nun in der Beschwerde erneut angesprochen werden muss, ist aber dem Patentinhaber nicht anzulasten. Durch die rechtsfehlerbehaftete Nicht-Zulassung wurde den Parteien sogar erstinstanzlich Arbeit erspart. Nun im Beschwerdeverfahren hat der Beschwerdeführer-Patentinhaber die gestellten Anträge begründet, sodass alle Parteien und auch die Kammer sich angemessen haben vorbereiten können. Sonst vermag die Kammer keinen Verfahrensmissbrauch zu erkennen, der eine andere Kostenverteilung rechtfertigt hätte.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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