T 1093/13 () of 24.11.2014

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2014:T109313.20141124
Datum der Entscheidung: 24 November 2014
Aktenzeichen: T 1093/13
Anmeldenummer: 10155122.4
IPC-Klasse: B62D 33/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Aufbau für ein Transportfahrzeug und Kühltransportfahrzeug mit einem solchen Aufbau
Name des Anmelders: Kaiser, Ria
Lange, Hans Juergen
Baalmann, Alfred
Graßl, Gregor
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 113(1)
European Patent Convention R 103(1)(a)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 11
European Patent Convention R 111(2)
Schlagwörter: Zurückverweisung an die erste Instanz -wesentlicher Mangel im Verfahren vor der ersten Instanz (ja)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die am 5. Dezember 2012 zur Post gegebene Entscheidung der Prüfungsabteilung die europäische Patentanmeldung 10155122.4 zurückzuweisen.

Dabei hat die Prüfungsabteilung die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gegenüber

(WO2004/001149A2) D1

beanstandet.

II. Gegen diese Entscheidung haben die Anmelder Beschwerde eingereicht.

III. Mit einer Mitteilung der Beschwerdekammer gemäß Regel 100 (2) EPÜ hat die Kammer die Beschwerdeführer darüber informiert, dass die Entscheidung der Prüfungsabteilung fehlerhaft sei, da sie sich nicht mit den tragenden Gründen auseinandersetze. Insbesondere habe sie das Vorbringen der Beschwerdeführer, eingereicht mit Schreiben vom 18. Juni 2012 nicht erkennbar berücksichtigt. Da somit eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vorliege und des Weiteren die Entscheidung nicht dem Rechtserfordernis einer ausreichenden Begründung genüge, beabsichtige die Kammer, die Sache unter Rückzahlung der Beschwerde­gebühr an die erste Instanz zur weiteren Prüfung zurückzuverweisen. Die Beschwerdeführer wurden um Stellungnahme gebeten.

IV. Mit der Antwort der Beschwerdeführer, datiert 10. November 2014, beantragten die Beschwerdeführer,

- die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Angelegenheit an die erste Instanz zur weiteren Prüfung zurückzuverweisen. Weiterhin wird beantragt, die Beschwerdegebühr in voller Höhe zurückzuzahlen.

- Hilfsweise wird beantragt, die Entscheidung der Prüfungsabteilung aufzuheben und ein Patent zu erteilen auf der Grundlage des Anspruchs 1 vom 11. Januar 2012 (überschrieben mit "neugefasster Patentanspruch 1, 13. Dezember 2011") und den Ansprüchen 2 bis 4 wie urspünglich eingereicht.

- Weiter hilfsweise wird beantragt, die Entscheidung der Prüfungsabteilung aufzuheben und ein Patent zu erteilen auf der Grundlage des Anspruchs 1 des Hilfsantags 1, eingereicht am 5. April 2013, und den Ansprüchen 2 bis 13 wie urspünglich eingereicht.

- Ferner wird eine mündliche Verhandlung beantragt.

V. Anspruch 1, datiert 13. Dezember 2011, eingereicht im Verfahren vor der Prüfungsabteilung mit Schreiben vom 11. Januar 2012 und Grundlage für deren Entscheidung, lautet wie folgt:

Aufbau für ein Transportfahrzeug (1), insbesondere für ein Kühltransportfahrzeug, mit ein Inneres umschließenden Seitenwandungen (3), Boden (4) und Decke (5), wobei die Seitenwandungen (3) und/oder der Boden (4) und/oder die Decke (5) mit einer inneren und einer äußeren, jeweils durchgehenden Deckschicht (8,9,15) und dazwischen angeordneten Vakuumisolationspaneelen (7) versehen sind, dadurch gekennzeichnet, dass die Deckschichten (8,9,15) solche aus einem Kohlenstofffaserverbundwerkstoff (CFK) sind, die gegebenenfalls unter Zwischenlage je einer Oberflächenschutzschicht zum Schutz von kratz- und stoßempfindlichen Oberflächen der Vakuumisolations­paneelen (7), jedenfalls aber unter Auslassung weiterer Isolations- oder Stützlagen auf den inneren und äußeren Oberflächen der Vakuumisolationspaneele (7) unmittelbar aufgelegt sind.

VI. Die Beschwerdeführer brachten im Wesentlichen die folgenden Argumente vor:

Die Entscheidung der Prüfungsabteilung sei fehlerhaft, da sie unbegründet und unzutreffend sei. Insbesondere sei auf den Schriftsatz vom 18. Juni 2012, indem der technische Sachverhalt detailliert vorgetragen worden sei, weder im Ladungszusatz vom 14. September 2012 noch in der angefochtenen Entscheidung eingegangen worden. Dort sei dezidiert ausgeführt worden, dass der von der Prüfungsabteilung vorgehaltene Mangel an Neuheit gegenüber dem Dokument D1 unbegründet sei. Es sei vorgetragen worden, dass - im Gegensatz zu den Ausführungen der Prüfungsabteilung - D1 lediglich ein einziges Panel offenbare, während der strittige Anspruch 1 mehrere Vakuumpaneele vorsehe. Daher könne D1 auch keine Deckschicht offenbaren, die mehrere dieser Paneele überdecke, wie es der strittige Anspruch 1 fordere. Zu diesem Punkt sei in der Entscheidung nicht ausgeführt worden.

In dem Schreiben vom 18. Juni 2012 sei weiterhin ausgeführt worden, dass die Schicht (11a, 11b, 11c), die in D1 in den Fig. 1a bis 1c gezeigt werde, keine Schicht aus CFK sei, wie es die Prüfungsabteilung in ihrem Bescheid vom 20. September 2010, Punkt 2.1, behaupte, sondern es handele sich dabei um eine folienartige Hülle, die das Vakuum­isolationspaneel gasdicht umgebe. In der Darstellung der Fig. 2 sei zwar eine Deckschicht mit der Bezugsziffer 24 gezeigt, diese aber umgebe ein einziges Vakuum­isolationspaneel. Auch auf diesen Punkt werde nicht eingegangen.

Des Weiteren wurde vorgebracht, dass D1 ein für den Einsatz in Gebäuden gestaltetes Vakuumisolations­paneel offenbare, welches nicht als Aufbaumaterial für ein Fahrzeug in Frage komme.

Auch sei die Auffassung der Prüfungsabteilung nicht korrekt, dass das Merkmal CFK implizit durch die Offenbarung Faserwerkstoff neuheitsschädlich getroffen sei, da es mehrere Arten von Faserwerkstoffen gebe.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die angefochtene Entscheidung verstößt gegen das Rechtserfordernis des Artikels 113(1) EPÜ. Nach Artikel 113 (1) EPÜ dürfen Entscheidungen des Europäischen Patentamts nur auf Gründe gestützt werden, zu denen sich die Beteiligen äußern konnten.

Weiterhin ist die Entscheidung nicht ausreichend begründet (vgl. Regel 111 (2) EPÜ).

2.1 Gemäß der ständigen Rechtsprechung der Beschwerde­kammern des Europäischen Patentamts ist Voraussetzung für die Gewährung rechtlichen Gehörs im Sinne von Artikel 113 (1) EPÜ, dass den Beteiligten nicht nur die Gelegenheit gegeben wird, sich zu den für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachen und Überlegungen zu äußern, sondern dass diese Äußerungen auch gewürdigt, d.h. im Hinblick auf ihre Relevanz für die Entscheidung in der Sache überprüft werden.

Die entscheidende Instanz muss dazu das Vorbringen nachweislich berücksichtigen. Grundsätzlich garantiert Artikel 113 (1) EPÜ somit das Recht eines Beteiligten darauf, dass jedenfalls die relevanten Argumente in der schriftlichen Entscheidung vollständig abgehandelt werden, vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, B.III.1.1.1, 7. Auflage.

2.2 Weiterhin besteht die Aufgabe von Beschwerdeverfahren darin, ein gerichtliches Urteil über die Richtigkeit einer davon strikt zu trennenden früheren Entscheidung der erstinstanzlichen Stelle zu fällen. Eine begründete, den Erfordernissen der Regel 111 (2) EPÜ entsprechende Entscheidung einer erstinstanzlichen Stelle ist demnach die Voraussetzung für die Prüfung der Beschwerde.

2.3 Die Begründung soll es dem Beschwerdeführer und der Kammer ermöglichen, zu verstehen, ob die Entscheidung gerechtfertigt ist oder nicht. Die Entscheidung sollte auf die Tatsachen, Beweismittel und Argumente eingehen, die für die Entscheidung im Einzelnen maßgeblich waren.

Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern muss eine "begründete" Entscheidung alle zentralen Streitfragen behandeln. Die der Entscheidung zugrunde liegenden Argumente und alle maßgeblichen Erwägungen bezüglich der rechtlichen und faktischen Umstände des Falls müssten in der Entscheidung ausführlich gewürdigt werden (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, III.K.4.2.1, 7. Auflage).

3. Die Prüfungsabteilung hat die Anmeldung mit einer Entscheidung per Standardformular (EPA Form 2048.2) zurückgewiesen (sogenannte ,,Zurückweisung nach Aktenlage", vgl. Richtlinien für die Prüfung am Europäischen Patentamt (2012), C-V.15.1 und 15.2), in der festgestellt wurde, dass in den Bescheiden vom 14. September 2012, 15. Februar 2012 und 29. September 2010 den Anmeldern mitgeteilt wurde, ,,dass und aus welchen Gründen die Anmeldung nicht die Erfordernisse des EPÜ erfüllt". Die Entscheidung stellt weiter fest, dass die Anmelder auf den letzten Bescheid keine Stellungnahme oder Änderungen eingereicht haben, sondern mit einer Eingabe vom 22. Oktober 2012 eine Entscheidung nach Aktenlage beantragt haben.

3.1 Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die Beurteilung in der Entscheidung der Prüfungsabteilung, es seien keine weiteren Stellungnahmen nach dem letzten Bescheid eingegangen, nicht korrekt ist.

Die Anmelder haben im besagten Schreiben vom 22. Oktober 2012 vorgetragen, dass die mit der Eingabe vom 18. Juni 2012 vorgetragenen Argumente nach wie vor zuträfen, auf die aber im Bescheid vom 14. September 2012 nicht eingegangen worden sei. Somit ist mit dieser Stellungnahme der Prüfungsabteilung kundgetan worden, dass auf anmelderseitig vorgebrachte Argumente bislang nicht von der Prüfungsabteilung reagiert wurde, oder aber, dass die Anmelder die Erklärungen der Prüfungsabteilung im Bescheid vom 14. September 2012 nicht mit ihrem Vorbringen in Zusammenhang hatten bringen können.

4. In der Eingabe vom 18. Juni 2012 haben sich die Anmelder umfänglich und vollständig mit dem von der Prüfungsabteilung vorgehaltenen Mangel an Neuheit gegenüber dem Dokument D1 auseinandergesetzt.

Insbesondere argumentieren die Beschwerdeführer, dass D1 lediglich ein einziges Paneel offenbare, während der strittige Anspruch 1 mehrere Vakuumpaneele vorsehe. Daher könne auch D1 keine Deckschicht zeigen, die mehrere dieser Paneele überdeckten, wie es der strittige Anspruch 1 definiere. Auch irre die Prüfungsabteilung in ihrer Auffassung, dass die Schicht (10a, 11a) eine Schicht aus CFK sei; hierbei handele es sich um eine folienartige Hülle, die das Vakuumisolationspaneel gasdicht umgebe.

5. Diese Punkte hat die Prüfungsabteilung auch aus Sicht der Kammer nicht erkennbar in den der Entscheidung zugrundeliegenden Bescheiden berücksichtigt.

5.1 In dem Bescheid vom 14. September 2012, der unmittelbar auf die o.g. Eingabe der Beschwerdeführer folgt, hat die Prüfungsabteilung gleichzeitig zu einer mündlichen Verhandlung geladen und festgestellt, dass die Anmelderin am 18. Juni 2012 ,,erneut Argumente zur Unterstützung der Neuheit mitgeteilt" hat.

Auf Seite 3 dieses Bescheids nennt die Prüfungsabteilung die Punkte, die während der mündlichen Verhandlung zu diskutieren seien. Zum Thema Neuheit wurde (nur) das Dokument D1 genannt und dazu ausgeführt, dass

- das mit der eingereichten Änderung des Anspruchs 1 im Oberbegriff hinzugefügte Merkmal folglich auch aus D1 bekannt sein müsse,

- CFK aus der Gruppe der Faserverstärkten Kunststoffe stamme und diese in D1 benannt wurden,

und somit, da dies der einzige Unterschied aus Sicht der Anmelder sei, der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neu sei.

5.2 So ist insbesondere nicht erkennbar, wie das Argument der Beschwerdeführer, Anspruch 1 definiere mehrere Vakuumisolationspaneele, seinen Niederschlag in der Entscheidung gefunden hat. Auch sind die Ausführungen nicht berücksichtigt worden, wonach es sich bei der gasdichten folienartigen Hülle (10a, 11a) nicht um die eine Deckschicht aus CFK handelt, wie im Bescheid der Prüfungsabteilung vom 29. September 2010, Punkt 2.1 behauptet.

6. Die Tatsache, dass die Anmelder in ihrer Eingabe vom 22. Oktober 2012 einen Antrag auf eine ,,Entscheidung auf dem schriftlichen Weg" gestellt haben, begründet weder einen Verzicht der Antragsteller auf ihr rechtliches Gehör, noch auf den Erhalt einer ordnungsgemäßen Begründung der Entscheidung. Überdies kann auf eine Darlegung der tragenden Gründe, die gegen die Argumentation eines Beteiligten sprechen, schon deswegen nicht verzichtet werden, da, wie oben ausgeführt (siehe Punkt 2.3), eine begründete Entscheidung die Voraussetzung für eine Überprüfung derselben durch die Beschwerdekammer ist.

6.1 Auch dann, wenn die Anmelder explizit einen Antrag auf ,,Entscheidung nach Aktenlage" gestellt hätten, wie es die Prüfungsabteilung mit Bescheid vom 14. September 2012 (siehe dort Seite 4, letzter Absatz) vorgeschlagen hat und wie es die dort genannten Richtlinien für die Prüfung am Europäischen Patentamt (2012), C-V.15.1 empfehlen, ist eine Entscheidung per Standardformular mit EPA Form 2048.2 aus den genannten Gründen vorliegend ungeeignet. Eine solche kommt nur in Betracht, wenn der oder die vorausgegangene Bescheid(e) bereits auf alle vorgebrachten Argumente ausreichend eingegangen sind und seit ihrer Übersendung keine neuen Einwände erhoben wurden.

6.2 Diese Sichtweise der Kammer, nämlich dass alle relevanten Aspekte der Entscheidung, einschließlich aller Argumente der Anmelder in den genannten Bescheiden abschließend diskutiert worden sein müssen, wenn das Standardformular Verwendung finden soll, steht auch im Einklang mit den Richtlinien für die Prüfung am Europäischen Patentamt (2012), C-V.15.2.

7. Aufgrund der genannten schwerwiegenden Verfahrensfehler ist die Kammer nicht in der Lage die Entscheidung der Prüfungs­abteilung zu überprüfen.

7.1 Aus diesem Grund wird die Angelegenheit in die erste Instanz zurückverwiesen, um das Prüfungsverfahren fortzusetzen (Artikel 11 Verfahrensordnung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts).

7.2 Da offensichtlich die Notwendigkeit, Beschwerde einzulegen, eine Folge der schweren Verfahrensfehler der ersten Instanz darstellt, entspricht es mangels anderer, hiergegen sprechender Gesichtspunkte der Billigkeit, die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen (Regel 103(1)a) EPÜ).

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die erstinstanzliche Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Prüfung zurückverwiesen.

3. Die Beschwerdegebühr wird zurückgezahlt.

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