T 1020/13 () of 16.10.2013

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2013:T102013.20131016
Datum der Entscheidung: 16 October 2013
Aktenzeichen: T 1020/13
Anmeldenummer: 08806905.9
IPC-Klasse: B21C 37/20
B21J 5/08
B21K 23/04
B21D 17/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: WERKZEUG UND VERFAHREN ZUM FERTIGEN EINES HOHLTEILS
Name des Anmelders: IFUTEC Ingenieurbüro für Umformtechnik GmbH
Stiftung Fachhochschule Osnabrück
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention R 101
European Patent Convention R 99(2)
European Patent Convention Art 113(1)
European Patent Convention Art 84
Guidelines for examination in the EPO F IV-4.14
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 11
Schlagwörter: Zulässigkeit der Beschwerde - (ja)
Rechtliches Gehör - Prüfungsverfahren
Rechtliches Gehör - Verletzung (nein)
Klarheit - Hauptantrag und Hilfsantrag 1 (nein)
Zulassung in das Verfahren - Hilfsantrag 2 (nein)
Zulassung in das Verfahren - Hilfsantrag 3 (ja)
Orientierungssatz:

Wenn ein wesentlicher Verfahrensmangel in der Beschwerdebegründung gerügt und ausreichend begründet ist, ist es für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Beschwerde im Folgenden unerheblich, ob die Beschwerde auch hinsichtlich der tragenden Gründe der Entscheidung als ausreichend begründet angesehen werden kann. (Punkt 1 der Entscheidungsgründe)

Angeführte Entscheidungen:
T 0455/92
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1338/19
T 1913/19

Sachverhalt und Anträge

I. Mit der am 15. März 2013 zur Post gegebenen Entscheidung der Prüfungsabteilung wurde die Europäische Patentanmeldung mit der Nummer 08806905.9 zurückgewiesen.

II. Der Entscheidung vorausgegangen war ein am 29. November 2011 erlassener Bescheid, in dem die Prüfungsabteilung Einwände unter Artikel 84 EPÜ gegen die zuvor mit Schreiben vom 13. Juni 2011 eingereichten Ansprüche erhob. Auf diese Einwände reagierte die Beschwerdeführerin (Anmelderinnen), in dem sie am 19. Mai 2012 einen geänderten Anspruchssatz vorlegte. Die darauf folgende Zurückweisung der Anmeldung begründete die Prüfungsabteilung damit, dass Anspruch 1 des am 19. Mai 2012 eingereichten Anspruchssatzes das Erfordernis des Artikels 84 EPÜ nicht erfülle.

III. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 14. April 2013 Beschwerde ein und entrichtete gleichzeitig die entsprechende Gebühr. Sie beantragte die Erteilung eines Patents auf Grundlage der Ansprüche vom 13. Juni 2011 (Hauptantrag), hilfsweise auf Basis der Ansprüche vom 19. Mai 2012. Außerdem enthielt die Beschwerdeschrift auf Seite 2 folgende Ausführungen:

"Inhaltlich widersprechen die Anmelderinnen insbesondere der Auffassung der Prüfungsabteilung, die Ansprüche seien gemäß der genannten Schriftsätze vom 13.06.2011 bzw. 19.05.2012 unklar, unter Verweis auf Teil F der Prüfungsrichtlinien, Kapitel IV-19, 4.14 sowie T455/92. In den genannten Literaturstellen wird eine Bezugnahme auf einen weiteren Gegenstand, der nicht Bestandteil eines beanspruchten Gegenstands ist, explizit als zulässig erachtet, so dass eine Zurückweisung, die ausschliesslich auf dieses Argument zurückgreift, hinfällig sein sollte.

Des Weiteren wird eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr beantragt, da das Prüfungsverfahren an einem wesentlichen Verfahrensmangel litt, weil den Anmelderinnen keine Gelegenheit gegeben wurde, zu folgenden Aspekten Stellung zu beziehen, die die Zurückweisungsentscheidung maßgeblich beeinflussten:

a) Der Dorn sei bei der (erstmals mit Schriftsatz vom 19.05.2012 eingereichten) Anspruchsformulierung nicht Teil des Umformwerkzeugs.

b) Der Außendurchmesser des Dorns müsse wegen Spiel nicht zwingend dem Ausgangsinnendurchmesser des Hohlformteils entsprechen.

c) Die mit Schriftsatz vom 19.05.2012 in den Anspruchssatz aufgenommenen Merkmale enthielten eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung und verstießen somit gegen Art. 123(2) EPÜ."

IV. Mit Schreiben vom 9. Juli 2013 wurde die Beschwerdeführerin zur mündlichen Verhandlung am 16. Oktober 2013 vor der Beschwerdekammer geladen.

V. In einer Mitteilung vom 3. September 2013 informierte die Kammer die Beschwerdeführerin, dass während der Verhandlung zu diskutieren sein könnte, ob die Beschwerde als ausreichend begründet angesehen werden könne und folglich zulässig sei (Regel 101(1) in Verbindung mit Regel 99(2) EPÜ) und ob diesbezüglich der Hinweis auf die Richtlinien bzw. eine darin zitierte Entscheidung den Klarheitseinwand der Prüfungsabteilung widerlegte. Eine Patenterteilung auf Grundlage der vorliegenden Anträge erschien der Kammer nicht möglich, da der jeweilige Anspruch 1 das beanstandete Merkmal weiterhin aufwies. Auch ein wesentlicher Verfahrensmangel sei nicht zu erkennen.

VI. Mit Schreiben vom 2. Oktober 2013 reichte die Beschwerdeführerin Anspruchssätze gemäß einem Hauptantrag und Hilfsanträgen 1 und 2 ein und nahm unter anderem auch Stellung zur Frage der Zulässigkeit und der ausreichenden Begründetheit der Beschwerde. Für den Fall dass die Beschwerde als unzulässig erachtet werde, beantragte die Beschwerdeführerin die Vorlage einer Frage an die Große Beschwerdekammer.

VII. Die mündliche Verhandlung fand am 16. Oktober 2013 statt. Die Beschwerdeführerin reichte Hilfsantrag 3 ein und nahm den Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr zurück.

VIII. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf Grundlage des Hauptantrags oder eines der Hilfsanträge 1 oder 2 vom 2.10.2013 oder auf der Grundlage des Hilfsantrags 3 vom 16.10.2013 zu erteilen.

IX. Anspruch 1 der jeweiligen Anträge hat folgenden Wortlaut:

Hauptantrag:

"Umformwerkzeug mit einer ersten Matrize (2a, 2b), der eine zweite verstellbare Matrize (3) zugeordnet ist, die in mehrere bewegliche, insbesondere in unterschiedliche Richtungen verschieblich gelagerte Segmente (3a, 3b, 3c, 3d) unterteilt ist, die

- ein umzuformendes Hohlformteil (1) während einer plastischen Umformung desselben an mehreren Seiten, insbesondere in radialer Richtung abstützen und die

- insbesondere während einer plastischen Umformung des Hohlformteils mittels Stauchen insbesondere in radialer Richtung verstellbar sind, wobei

- mehrere, insbesondere alle Segmente (3a, 3b, 3c, 3d) eine gleiche Dicke quer zu ihrer Verschieberichtung aufweisen, die dem zwei- bis zwanzigfachen Wert der (Ausgangs-)Wandstärke des umzuformenden Hohlformteils (1) entspricht."

Im Vergleich zum Hauptantrag haben die Merkmale in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 nach dem Merkmal des zweiten Spiegelstrichs folgenden Wortlaut (Hervorhebung der Änderungen durch die Kammer):

"- die erste Matrize ein erstes ringförmiges Matrizenteil (2a) und ein zweites ringförmiges Matrizenteil (2b) umfasst, die derart positioniert sind, dass das Hohlformteil (1) passgenau einsetzbar und in einem Stützbereich (S) entlang seiner Mantelfläche (1’) ringförmig umschlossen abstützbar ist, wobei

- das Hohlformteil innenseitig zusätzlich über einen Dorn (8a, 8b) abstützbar ist, wobei

- mehrere, insbesondere alle Segmente (3a, 3b, 3c, 3d) eine gleiche Dicke quer zu ihrer Verschieberichtung aufweisen, die dem zwei- bis zwanzigfachen Wert der Ausgangswandstärke (t) des umzuformenden Hohlformteils (1) entspricht."

Der unabhängige Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 hat folgenden Wortlaut:

"Verfahren zum Umformen eines Hohlformteils, bei dem

- in einem ersten Verfahrensschritt ein Hohlformteil (1) in eine erste Matrize (2) eingesetzt wird, die das Hohlformteil in einem Stützbereich entlang seiner Mantelfläche ringförmig umschließt und abstützt, und bei dem

- in einem zweiten Verfahrensschritt (Umformschritt) das Hohlformteil in Richtung seiner Hauptachse derart gestaucht wird, dass

- das Hohlformteil (1) in einem von der ersten Matrize (2) nicht abgestützten Umformbereich (U) plastisch umgeformt wird, wobei

- das Hohlformteil im Umformbereich von einer zweiten, in ihrer Geometrie verstellbaren bzw. veränderbaren zweiten Matrize (3) außenseitig abgestützt wird, wobei

- die zweite Matrize (3) in Richtung einer oder mehrerer parallel zur Hauptachse (4) des Hohlformteils (1) orientierter Ebenen und/oder in Richtung einer oder mehrerer die Hauptachse (4) des Hohlformteils enthaltender Ebenen in Segmente (3a, 3b, 3c, 3d) unterteilt ist, die während einer plastischen Umformung des Hohlformteils insbesondere in radialer Richtung bewegt werden, wobei

- mehrere Segmente (3a, 3b, 3c, 3d) jeweils entlang einer zugeordneten Geraden (Verschieberichtung) translatorisch verschieblich gelagert sind, wobei die jeweils zugeordneten Geraden mehrerer Segmente in einer gemeinsamen, insbesondere senkrecht zu einer Hauptachse des umzuformenden Hohlformteils orientierten Ebene angeordnet sind, wobei

- mehrere, insbesondere alle Segmente (3a, 3b, 3c, 3d) der zweiten Matrize (3) eine gleiche Dicke quer zu ihrer Verschieberichtung aufweisen, die

- dem zwei- bis zwanzigfachen Wert der Ausgangswandstärke (t) des umzuformenden Hohlformteils (1) entspricht."

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 enthält im Vergleich zu dem des Hilfsantrags 2 die folgenden Änderungen (Hervorhebung durch die Kammer):

"Verfahren zum Umformen eines Hohlformteils, bei dem

- in einem ersten Verfahrensschritt ein Hohlformteil (1) in eine erste Matrize (2) eingesetzt wird, die das Hohlformteil in einem Stützbereich entlang seiner Mantelfläche ringförmig umschließt und abstützt, und bei dem

- in einem zweiten Verfahrensschritt, nämlich einem Umformschritt, in dem das Hohlformteil einem Axialpressvorgang unterworfen wird, das Hohlformteil in Richtung seiner Hauptachse derart gestaucht wird, dass

- das Hohlformteil (1) in einem von der ersten Matrize (2) nicht abgestützten Umformbereich (U) plastisch umgeformt wird, wobei

- das Hohlformteil im Umformbereich von einer zweiten, in ihrer Geometrie verstellbaren bzw. veränderbaren zweiten Matrize (3) außenseitig abgestützt wird, wobei

- die zweite Matrize (3) in Richtung einer oder mehrerer parallel zur Hauptachse (4) des Hohlformteils (1) orientierter Ebenen und/oder in Richtung einer oder mehrerer die Hauptachse (4) des Hohlformteils enthaltender Ebenen in Segmente (3a, 3b, 3c, 3d) unterteilt ist, die

- das umzuformende Hohlformteil (1) während der plastischen Umformung desselben an mehreren Seiten in radialer Richtung abstützen und die während der plastischen Umformung des Hohlformteils in radialer Richtung verstellbar sind, wobei

- mehrere Segmente (3a, 3b, 3c, 3d) jeweils entlang einer zugeordneten Geraden, nämlich ihrer Verschieberichtung, translatorisch verschieblich gelagert sind, wobei während des Umformvorgangs die Segmente der zweiten Matrize (3) in unterschiedlichen Richtungen quer zur Hauptachse des Hohlformteils (1) bewegt werden, wobei die Matrize kontinuierlich, stufenweise oder oszillierend in radialer Richtung geöffnet wird, wobei jedem Segment dabei ein eigener Bewegungsweg in radialer Richtung zugeordnet ist, wobei sich die Geraden der Bewegungswege in einem Punkt M der Hauptachse (4) schneiden, wobei die jeweils zugeordneten Geraden mehrerer Segmente in einer gemeinsamen, insbesondere senkrecht zu einer Hauptachse des umzuformenden Hohlformteils orientierten Ebene angeordnet sind, wobei

- mehrere, insbesondere alle Segmente (3a, 3b, 3c, 3d) der zweiten Matrize (3) eine gleiche Dicke quer zu ihrer Verschieberichtung aufweisen, die

- dem zwei- bis zwanzigfachen Wert der Ausgangswandstärke (t) des umzuformenden Hohlformteils (1) entspricht."

X. Die für die vorliegenden Entscheidung wesentlichen Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden.

a) Die Beschwerdeschrift enthält die ausreichende Begründung der Beschwerde. Die in ihr enthaltenen Verweise auf die Richtlinien und die zitierte Entscheidung sollten es der Kammer ermöglichen zu verstehen, dass der Zurückweisungsgrund mangelnder Klarheit, der allein auf einer von der Prüfungsabteilung behaupteten unzulässigen Definition eines beanspruchten Gegenstands durch einen zweiten, nicht zum Anspruch gehörenden Gegenstand beruhte, hinfällig sei. Darüber hinaus sei im Zusammenhang mit dem Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr ein Verstoß gegen Artikel 113(1) EPÜ gerügt, wonach der Beschwerdeführerin keine Möglichkeit zur Stellungnahme zu den erstmals in der Entscheidung genannten Argumenten der Prüfungsabteilung hinsichtlich des neu eingeführten Merkmalskomplexes gegeben worden sei. Ob diese in der Beschwerdebegründung vom 14. April 2013 genannten Gründe durchgreifen, sei keine Frage, die bei der Prüfung auf Zulässigkeit eine Rolle spiele, sondern erst im Hinblick auf die Frage, ob der Beschwerde letztendlich statt gegeben werde.

b) Aus der zitierten Passage der Richtlinien sowie in Analogie zu T 455/92 ergebe sich, dass die Definition des Umformwerkzeugs durch Bezugnahme auf das nicht zum Anspruchsgegenstand gehörende umzuformende Hohlformteil explizit, d.h. in wenigstens einem in den Richtlinien genannten Fall, als zulässig zu erachten sei. Die Prüfungsabteilung habe dagegen die Richtlinien gar nicht, bzw. falsch angewandt, in dem sie einen Rückbezug auf einen zweiten Gegenstand generell für unklar befunden habe. Es sei richtig, dass sich die Dickenrelation allein am Werkzeug nicht feststellen lässt. Es sei auch richtig, dass die umzuformenden Hohlformteile keine standardisierten Gegenstände und hinsichtlich Material und Abmessungen nicht eingeschränkt seien. Allerdings sei für den Fachmann klar, dass für ein bestimmtes Umformwerkzeug dieses je nach umzuformendem Hohlformteil entsprechend dimensioniert sein müsse. Der Fachmann kenne also die Wandstärke der mit dem Werkzeug umzuformenden Hohlformteile, auch wenn diese variabel sein können.

c) Der im Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags zusätzlich definierte Dorn würde vom Fachmann als Teil des Umformwerkzeugs verstanden werden. Aus dem zwischen seiner Mantelfläche und der inneren Umfangsfläche der Matrize gebildeten Ringspalt ließe sich, auch unter Annahme eines geringen Spiels zwischen Hohlformteil, Dorn und Matrize, die Dickenrelation feststellen. Aus den Ausführungsbeispielen sei klar zu entnehmen, wie der Dorn das Hohlformteil abstützt.

d) Die Ansprüche gemäß Hilfsantrag 2 seien auf ein Umformverfahren beschränkt und wurden von der Prüfungsabteilung in der angefochtenen Entscheidung als gewährbar angesehen.

e) Die weiteren Änderungen am Verfahrensanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 beruhten im wesentlichen auf der Beschreibung, Seite 2, zweiter Absatz und Seite 9, zweiter Absatz und beheben die von der Kammer erhobenen Einwände unter Artikel 84 und 123(2) EPÜ.

Entscheidungsgründe

Zulässigkeit der Beschwerde

1. In der am 14. April 2013 eingegangenen Beschwerdeschrift, die der Beschwerdeführerin zufolge die vollständige Beschwerdebegründung enthält, wird im Rahmen des Antrags auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Artikel 113(1) EPÜ) durch die Prüfungsabteilung gerügt. Die Beschwerdeführerin sieht das rechtliche Gehör unter anderem darin verletzt, dass ihr die Möglichkeit verwehrt wurde, zu den Argumenten der Prüfungsabteilung Stellung zu nehmen, die sich mit den hinzugefügten Merkmalen im Anspruch 1 vom 19. Mai 2012 hinsichtlich des für die Zurückweisung maßgeblichen Klarheitseinwands unter Artikel 84 EPÜ befassten, siehe Zitat unter Punkt III oben, Buchstaben a) und b).

Aus den von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Gründen kann die Kammer unmittelbar verstehen, worin der behauptete Verfahrensmangel bestehen soll. Würde sich auf Grundlage dieser die gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs als begründet erweisen, hätte allein dies als Regelfall nach Artikel 11 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) die Aufhebung der angefochten Entscheidung und die Zurückverweisung an die erste Instanz zur Folge. Die Beschwerde ist damit jedenfalls bezüglich dieses behaupteten wesentlichen Verfahrensmangels ausreichend begründet. Wenn ein wesentlicher Verfahrensmangel in der Beschwerdebegründung gerügt und ausreichend begründet ist, ist es für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Beschwerde im Folgenden unerheblich, ob die Beschwerde auch hinsichtlich der tragenden Gründe der Entscheidung (in diesem Fall in Bezug auf Artikel 84 EPÜ) als ausreichend begründet angesehen werden kann. Da die Kammer auch sonst alle Zulässigkeits-Erfordernisse als erfüllt ansieht, ist die Beschwerde zulässig.

2. Da die Beschwerde zulässig ist, ist über den hilfsweise gestellten Antrag auf Vorlage einer Frage an die Große Beschwerdekammer keine Entscheidung erforderlich.

Artikel 113(1) EPÜ

3. Die behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Artikel 113(1) EPÜ durch die Prüfungsabteilung in Bezug auf Punkte a) und b) des Beschwerdeschriftsatzes (siehe Punkt III oben) basiert im wesentlichen auf dem Argument, dass der Beschwerdeführerin keine Möglichkeit zur Stellungnahme hinsichtlich der Beurteilung durch die Prüfungsabteilung der Änderungen am Anspruch 1 vom 19. Mai 2012 gegeben wurde. Die Kammer kann allerdings in der Unterlassung keine Verletzung des rechtlichen Gehörs erkennen. Der zur Zurückweisung der Anmeldung führende Grund wurde der Beschwerdeführerin unbestritten mit dem Bescheid vom 29. November 2011 mitgeteilt. Die Prüfungsabteilung hat in der angefochtenen Entscheidung zu den Änderungen und den dazu von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Argumenten Stellung genommen, ohne jedoch einen neuen Einwand unter Artikel 84 EPÜ als Zurückweisungsgrund anzuführen. Damit hat sie dem Anspruch auf rechtliches Gehör genüge getan.

Dass die Prüfungsabteilung anders als die Beschwerdeführerin den Dorn nicht als zum beanspruchten Umformwerkzeug gehörend verstanden hat, ist für die Kammer keine neue technische oder rechtliche Erwägung, die einen Bescheid und eine erneute Stellungnahme zwingend erforderlich gemacht hätte. Die Prüfungsabteilung hat lediglich in begründeter Weise der Auffassung widersprochen, die die Beschwerdeführerin in ihrem Schreiben vom 19. Mai 2012 vertreten hatte, siehe Seite 2, untere Hälfte, wonach der Dorn Teil des Umformwerkzeugs sei. Darüber hinaus hat die Prüfungsabteilung in ihrer Entscheidung dargelegt, warum dieses hinzugefügte Merkmal auch nicht geeignet ist, den Einwand hinsichtlich des unklaren Merkmals zu beheben (untere Hälfte der Seite 4 der Entscheidungsgründe). Die Prüfungsabteilung greift daher nur technische Überlegungen im Kontext der Unbestimmtheit des Merkmals "Ausgangswandstärke des Hohlformteils" auf, so dass keine neuen technischen (und/oder rechtlichen) Erwägungen eingeführt wurden.

4. Auch durch die Aufnahme des unter Punkt 3.1 der Entscheidungsgründe zusätzlich erhobenen Einwands unter Artikel 123(2) EPÜ wurde das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin nicht verletzt. Aus Punkt 2 der Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung geht eindeutig hervor, dass der Klarheitsmangel nach Artikel 84 EPÜ Grund für die Zurückweisung der Anmeldung ist ("...Anmeldung wird deshalb ... zurückgewiesen", siehe Punkt II oben, Hervorhebung durch die Kammer). Die Prüfungsabteilung hätte die unter Punkt 3 aufgeführten "zusätzlichen Anmerkungen" auch komplett weglassen können, ohne dass dies zu einem anderen Ausgang des Verfahrens geführt hätte. Dass dieser zusätzliche Einwand die Entscheidung der Prüfungsabteilung maßgeblich beeinflusst hätte, wurde von der Beschwerdeführerin nicht überzeugend vorgetragen und ist für die Kammer auch nicht erkennbar.

5. Die Kammer kommt zu dem Schluss, dass die angefochtene Entscheidung nur auf Gründe gestützt ist, zu denen sich die Beschwerdeführerin äußern konnte, so dass das rechtliche Gehör (Artikel 113(1) EPÜ) nicht verletzt wurde.

Hauptantrag - Artikel 84 EPÜ

6. Es ist unbestritten, dass das umzuformende Hohlformteil kein Merkmal des Umformwerkzeugs gemäß Anspruch 1 ist. Die Beschwerdeführerin akzeptiert auch, dass das Merkmal "wobei mehrere... Segmente (3a, 3b, 3c, 3d) der zweiten Matrize eine gleiche Dicke quer zu ihrer Verschieberichtung aufweisen, die dem zwei- bis zwanzigfachen Wert der Ausgangswandstärke (t) des umzuformenden Hohlformteils (1) entspricht" am Umformwerkzeug selbst nicht festgestellt werden kann. Sie hat außerdem anerkannt, dass die umzuformenden Hohlformteile keine standardisierten Gegenstände sind. Die Kammer ist nicht überzeugt von der Behauptung der Beschwerdeführerin, dass der Fachmann anhand eines gegebenen Werkzeugs feststellen könne, welche Art von Hohlformteil damit umgeformt werde, so dass er folglich auch die Wandstärke, die zwar variabel sei, aus dem Werkzeug ableiten könne. Mit einem gegebenen Umformwerkzeug können nämlich abhängig von den wählbaren Umformbedingungen (Druck, Temperatur, etc.) und vom Material des Hohlformteils Hohlformteile unterschiedlichster Wandstärke bearbeitet werden. Anspruch 1 enthält hinsichtlich der Umformbedingungen und Materialien keine Einschränkungen. Somit kann aus dem Werkzeug selbst nicht die Wandstärke der mit ihm umformbaren Hohlformteile abgeleitet werden. Die Dicke der Segmente der verstellbaren Matrize ist folglich unbestimmt, so dass Anspruch 1 nicht deutlich gefasst ist (Artikel 84 EPÜ).

Die Prüfungsabteilung hat ihren entsprechenden Einwand unter Artikel 84 EPÜ nicht, wie von der Beschwerdeführerin behauptet, damit begründet, dass eine Bezugnahme auf einen zweiten, nicht zum Anspruch gehörenden Gegenstand generell bzw. automatisch unzulässig sei. Sie hat vielmehr festgestellt, dass sein Gegenstand unklar ist, da versucht wird ein Merkmal des Werkzeugs über das Werkstück zu definieren und hat außerdem begründet, um welches Merkmal genau es sich dabei handelt und warum dies zur Unklarheit führt. Ihre Begründung steht auch nicht im Widerspruch zu den Prüfungsrichtlinien. Die von der Beschwerdeführerin daraus zitierte Passage, Teil F, Kapitel IV 4.14 (Version Juni 2012) enthält keine Anweisung, wonach eine Definition des Anspruchsgegenstands durch einen zweiten, nicht zum Anspruch gehörenden Gegenstand explizit als zulässig zu erachten wäre. Die Richtlinien führen ganz im Gegenteil aus, dass sich bei einer solchen Definition ein Mangel an Klarheit ergeben kann. Unter gewissen Umständen können solche Definitionen zulässig sein. Dies ist allerdings im Einzelfall einer genauen Prüfung zu unterziehen. Im vorliegenden Fall trifft aber keiner der in den Richtlinien, oder in der darin zitierten Entscheidung T 455/92, genannten Ausnahmetatbestände zu (Gegenstände standardisierter Größe oder bei denen der Fachmann ohne große Mühen die sich für den beanspruchten Gegenstand ergebenden Einschränkungen des Schutzbereichs herleiten kann; siehe oben). Dass es in dem vorliegenden Fall schwierig oder gar unmöglich ist, einen Anspruch für das Werkzeug zu formulieren, ohne ihn stark einschränkend auf eine Kombination des Werkzeugs und des Hohlformteils auszurichten, ist unerheblich und insbesondere kein Grund, einen undeutlich gefassten Anspruch zu gewähren.

Die Kammer kommt zu dem Ergebnis, dass auf Grundlage des Hauptantrags kein Patent erteilt werden kann.

Hilfsantrag 1 - Artikel 84 EPÜ

7. In Anspruch 1 wurde unter anderem das Merkmal "das Hohlformteil innenseitig zusätzlich über einen Dorn (8a, 8b) abstützbar ist" hinzugefügt. Damit sollte nach Auffassung der Beschwerdeführerin der lichte Ringraum zwischen der Innenfläche der Matrize und der Mantelfläche des Dorns, in den die Wandstärke des umzuformenden Hohlformteils passen muss, definiert sein, so dass die Dicke der Matrizensegmente eindeutig bestimmt sei. Die Beschwerdeführerin hat auch ausgeführt, dass der Hinweis auf den Dorn im Anspruch vom Fachmann nur so verstanden werden kann, dass das Umformwerkzeug einen solchen zwingend aufweisen muss. Die Kammer kann dieser Argumentation nicht folgen.

Wie die Prüfungsabteilung richtig festgestellt hatte, ist der Dorn nicht Teil des Anspruchsgegenstands. Das hinzugefügte Merkmal definiert auch nicht in welchen Bereichen bzw. in welchem Zustand das Hohlformteil vom Dorn "abstützbar" sein soll. Wie von der Beschwerdeführerin anerkannt, kann ein mehr oder weniger großes Spiel zwischen der Innenfläche des Hohlformteils und der Mantelfläche des Dorns bestehen, was auch durch die Beschreibung gestützt ist, siehe Seite 6, letzter Satz; ebenso können in einem Umformwerkzeug Dorne unterschiedlicher Form und Durchmesser verwendet werden. Dass darüber hinaus die Ausführungsbeispiele eine bestimmte Form der Abstützung zeigen, findet im Anspruch durch den gewählten Wortlaut keinen Ausdruck. Folglich gibt es keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Innendurchmesser der ersten Matrize, dem Innendurchmesser des Hohlformteils und dem Durchmesser des Dorns. Die Kammer schließt daraus in Übereinstimmung mit der Prüfungsabteilung, dass das aufgenommene Merkmal bestenfalls eine weitere Eigenschaft des Hohlformteils definiert, nämlich, dass es innseitig durch einen undefinierten Dorn abstützbar ist, ohne dass sich daraus eindeutig die Wandstärke des Hohlformteils und in der Folge die Dicke der Matrizen-Segmente ableiten lässt.

Die Kammer kommt daher zum Ergebnis, dass sich im Vergleich zum Hauptantrag an der Beurteilung der Deutlichkeit (Artikel 84 EPÜ) des Anspruchs 1 nichts ändert.

Eine Patenterteilung auf Grundlage des Hilfsantrags 1 ist somit auch nicht möglich.

Hilfsantrag 2 - Artikel 13(1) VOBK

8. Der Hilfsantrag 2 wurde nach Ablauf der Frist für die Beschwerdebegründung eingereicht und stellt somit nach Artikel 13(1) VOBK eine Änderung des Vorbringens der Beschwerdeführerin dar. Die Zulassung eines solchen Antrags in das Verfahren liegt im Ermessen der Kammer. Bei der Ausübung ihres Ermessens berücksichtigt die Kammer neben dem Verfahrensstand und der Komplexität des neuen Vorbringens auch die gebotene Verfahrensökonomie. Im Hinblick auf letztere ist es für die Zulassung geänderter Ansprüche in das Verfahren erforderlich, dass diese prima facie gewährbar sind, in dem Sinne, dass sie bestehende Einwände eindeutig beheben ohne dabei neue einzuführen.

Im vorliegenden Fall wurden die auf das Umformwerkzeug gerichteten Ansprüche gestrichen und damit die obigen Einwände ausgeräumt, so dass nur noch die von der Prüfungsabteilung unter Punkt 3.2 ihrer Entscheidungsgründe als gewährbar erachteten Verfahrensansprüche verbleiben. Die positive Beurteilung der Ansprüche durch die Prüfungsabteilung kann aber nicht bedeuten, dass die Kammer an diese gebunden ist und die Ansprüche damit das Kriterium der prima facie Gewährbarkeit automatisch erfüllen. Die Kammer muss sich vielmehr selbst davon überzeugen, ob die Ansprüche, die jetzt zum ersten Mal isoliert als Hilfsantrag vorgelegt wurden, prima facie gewährbar in obigem Sinne sind.

Dies ist bezüglich des zweiten Hilfsantrags nicht der Fall, da zumindest Anspruch 1 die Erfordernisse der Artikel 84 und 123(2) EPÜ nicht erfüllt. Zum Beispiel wird am Ende des fünften Spiegelstrichs das Merkmal "die während einer plastischen Umformung des Hohlformteils..." definiert. Dabei lässt der unbestimmte Artikel offen, ob mit "einer plastischen Umformung" der zweite Verfahrensschritt, oder eine weitere plastische Umformung gemeint ist. Anspruch 1 scheint außerdem auf einer Kombination der ursprünglichen Verfahrensansprüche 9 und 15 und, durch den Rückbezug im ursprünglichen Anspruch 9 "insbesondere zur Anwendung mittels eines Umformwerkzeugs nach einem der vorherigen Ansprüche", der auf das Umformwerkzeug gerichteten ursprünglichen Ansprüche 2 und 6 zu beruhen. Dabei wurden zwar die Merkmale der abhängigen Ansprüche 2 und 6 übernommen, nicht aber alle Merkmale des Anspruchs 1, auf den die Ansprüche 2 und 6 rückbezogen waren, ohne dass eine Grundlage in den ursprünglichen Unterlagen dafür angegeben werden konnte.

Da Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags die Erfordernisse des Artikels 84 und 123(2) EPÜ zumindest hinsichtlich der zuvor genannten Mängel nicht erfüllt, hat die Kammer ihr Ermessen gemäß Artikel 13(1) VOBK dahingehend ausgeübt, den Hilfsantrag 2 nicht in das Verfahren zuzulassen.

Hilfsantrag 3

9. Den dritten Hilfsantrag reichte die Beschwerdeführerin während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer als Reaktion auf die von der Kammer erhobenen Einwände hinsichtlich des zweiten Hilfsantrags ein. Der geänderte Anspruch 1 beruht auf den ursprünglichen Verfahrensansprüchen 9 und 15 in Kombination mit den ursprünglichen Ansprüchen 1, 2 und 6, sowie der Beschreibung, insbesondere Seite 2, dritter Absatz und Seiten 7 und 9, jeweils zweiter Absatz. Die Kammer ist der Auffassung, dass die vorgenommenen Änderungen die Einwände gegen Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags ausgeräumt haben und dass sie prima facie keinen Anlass zu weiteren Einwänden unter Artikel 84 und 123(2) EPC gegenüber Anspruch 1 geben. Daher sind die vorgenommenen Änderungen am Anspruch 1 in obigem Sinne prima facie gewährbar. Die Kammer hat daher ihr Ermessen nach Artikel 13(1) VOBK dahingehend ausgeübt, den Hilfsantrag 3 in das Verfahren zuzulassen.

10. Durch die Änderungen gemäß Hilfsantrag 3 hat sich der Beschwerdegegenstand substantiell geändert. Die Kammer hat nicht abschließend geprüft, ob alle Erfordernisse des EPÜ, insbesondere auch im Hinblick auf die abhängigen Ansprüche und die Beschreibung, erfüllt sind. Die Sache wird daher unter Ausübung des in Artikel 111(1) EPÜ eingeräumten Ermessens zur Fortsetzung des Prüfungsverfahrens an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird zur Fortsetzung des Prüfungsverfahrens an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.

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