T 1756/12 () of 7.7.2017

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2017:T175612.20170707
Datum der Entscheidung: 07 Juli 2017
Aktenzeichen: T 1756/12
Anmeldenummer: 00965909.5
IPC-Klasse: A47L 9/14
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: FILTERBEUTEL FÜR EINEN STAUBSAUGER
Name des Anmelders: Vorwerk & Co. Interholding GmbH
Name des Einsprechenden: Eurofilters N.V.
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 54(2)
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(3)
Schlagwörter: Zulässigkeit spät eingereichter Antrag - Änderungen nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung (ja)
Patentansprüche - Klarheit
Patentansprüche - Hauptantrag (ja)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin hat gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 1 137 360 in geändertem Umfang, zur Post gegeben am 25. Juni 2012, am 1. August 2012 Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung ist am 30. Oktober 2012 eingegangen.

Die Beschwerdeführerin-Einsprechende hat ebenfalls gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung am 4. September 2012 Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung ist am 2. November 2012 eingegangen.

II. Mit dem Einspruch war das gesamte Patent im Hinblick auf Artikel 100 (a) i.V.m. 54 und 56 EPÜ und Artikel 100 (c) i.V.m. 123 (2) EPÜ angegriffen worden.

Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass die in Artikel 100 (a) and (c) EPÜ genannten Einspruchsgründe so wie Artikel 84 EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang nicht entgegenstünden.

Sie hat folgende Entgegenhaltungen berücksichtigt

(D4) DE-U 91 01 981,

(D6) DE-U 296 15 163,

(D7) Eidesstattliche Versicherung des Dr. Ralf Sauer, Technischer Direktor der Einsprechenden, zusammen mit Anlagen A-E,

(D7') Ergänzung zu D7.

III. Am 7. Juli 2017 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

IV. Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des Hauptantrags, eingereicht als Hilfsantrag I mit Schriftsatz vom 7. Juni 2017 oder auf der Grundlage einer der Hilfsanträge II bis XIV, ebenfalls eingereicht mit Schriftsatz vom 7. Juni 2017.

V. Die Beschwerdeführerin-Einsprechende beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

VI. Die zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung maßgebende Fassung des Anspruchs 1 (Hauptantrag, eingereicht als Hilfsantrag I mit Schriftsatz vom 7. Juni 2017) lautet wie folgt:

"Filterbeutel (1) für einen Staubsauger mit einer Halteplatte (2) und einem mit der Halteplatte (2) verbundenen Staubbeutel (3), wobei in der Halteplatte (2) eine Durchtrittsöffnung zur Beladung des Staubbeutels (3) im Staubsauger ausgebildet ist, welche Durchtrittsöffnung (4) mittels eines Verschlussteiles (6) verschließbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass das Verschlussteil (6) im Zuge der Verlagerung in die Verschlussstellung einer Überfallwirkung unterliegt und dass im Zuge der Öffnungsbewegung des Verschlussteiles (6) ein Abfall der Rückschließkraft (N) erfolgt."

VII. Die Beschwerdeführerin-Einsprechende hat folgendes vorgetragen:

Der Hauptantrag (Hilfsantrag I vom 7. Juni 2017) ist nach Artikel 13(3) VOBK nicht zulässig. Der Anspruch 1 ist nicht klar (Artikel 84 EPÜ). Darüber hinaus ist der Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber D4 (D7,D7') nicht neu (Artikel 54(2) EPÜ) oder im Lichte von D4 in Verbindung mit D6 oder in Verbindung mit D6 und allgemeinem Fachwissen nicht erfinderisch (Artikel 56 EPÜ).

VIII. Dem entgegnete die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin wie folgt:

Der Hauptantrag (Hilfsantrag I vom 7. Juni 2017) ist eine nicht überraschende und zu erwartende Reaktion auf den Einwand der unzulässigen Erweiterung und daher zulässig. Darüber hinaus ist der Gegenstand des Anspruchs 1 klar und von der Beschreibung gestützt (Artikel 84 EPÜ). Er ist weiterhin neu und erfinderisch (Artikel 54, 56 EPÜ).

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerden sind zulässig.

2. Hauptantrag - Zulässigkeit

Der Hauptantrag wurde nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung als Hilfsantrag I mit Schriftsatz vom 7. Juni 2017 als Reaktion auf den Einwand der unzulässigen Erweiterung eingereicht. Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin hat dann während der mündlichen Verhandlung den ursprünglichen Hauptantrag zurückgenommen.

2.1 Die Beschwerdeführerin-Einsprechende beanstandet, dass der Einwand bezüglich unzulässiger Erweiterung schon im Einspruchsverfahren und in der Beschwerdebegründung erhoben worden sei. Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin hätte also diesen Antrag bei sorgfältiger Verfahrensführung bereits mit der Erwiderung zur Beschwerdebegründung und nicht erst kurz vor der mündlichen Verhandlung einreichen sollen. Darüber hinaus enthalte der neue Anspruch 1 den Begriff "Überfallwirkung", der an sich unklar sei. Wegen dieses prima-facie erkennbaren Klarheitsmangels sei Anspruch 1 nicht eindeutig patentfähig. Nach alledem sei der Hauptantrag (Hilfsantrag I vom 7. Juni 2017) nach Artikel 13(3) VOBK als verspätet zurückzuweisen.

2.2 Die Kammer ist hingegen der Auffassung, dass der neu vorgelegte Antrag eine nicht überraschende und zu erwartende Reaktion der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin auf die von der Kammer in ihrer vorläufigen zur unzulässigen Erweiterung geäußerten Erweiterung darstellt. Das aufgenommene Merkmal bezüglich "Überfallwirkung" entspricht wortwörtlich dem während des Prüfungsverfahrens weggelassenen Merkmal des ursprünglich eingereichten Anspruchs 1. Darüber hinaus ist der o.g. Einwand selbst von der Beschwerdeführerin-Einsprechenden erhoben worden.

Es ist zu ergänzen, dass die Einspruchsabteilung (vgl. Punkt II A der angefochtenen Entscheidung) diesen Einwand erstinstanzlich zurückgewiesen hatte. Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin hatte deshalb auch Anlaß, mit der Erwiderung vom 20. März 2013 den Hauptantrag (Hilfsantrag I vom 7. Juni 2017) nicht formell einzureichen, sondern auf Seite 10 der Erwiderung im Angesicht der Beschwerdebegründung der Gegenpartei lediglich zu erklären, dass sie gegebenenfalls auch diesen Antrag einreichen würde. Nur weil der Antrag in Hinblick auf die Bemerkungen der Kammer zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung bezüglich unzulässiger Erweiterung erst als Hilfsantrag I mit Schreiben vom 7. Juni 2017 formell eingereicht worden ist, kann die Kammer daher kein mit einer sorgfältiger Verfahrensführung unvereinbares Verhalten erkennen.

2.3 Bezüglich des Begriffs "Überfallwirkung" ist zu bemerken, dass er zwar dem Fachmann nicht bekannt zu sein scheint, unter Zuhilfenahme der Beschreibung aber ohne großen Ermittlungsaufwand feststellen lässt, was mit dem Begriff gemeint ist, siehe Abschnitt [0005] der Patentschrift. Somit ist die Kammer der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags (Hilfsantrag I vom 7. Juni 2017) prima-facie deutlich angegeben wird. Zudem stellt dieser Hauptantrag einen erfolgsversprechenden Versuch zur Ausräumung des erhobenen Einwands der unzulässigen Erweiterung dar. Die Kammer ist demzufolge der Meinung, dass der Zulässigkeit dieses Antrags der Grundsatz der eindeutigen Gewährbarkeit nicht im Wege steht.

2.4 Nach alledem gelangt die Kammer zu dem Ergebnis, dass der Hauptantrag (Hilfsantrag I vom 7. Juni 2017) ins Verfahren zugelassen wird.

3. Hauptantrag (Hilfsantrag I vom 7. Juni 2017) - Klarheit

Es ist unstreitig, dass der Begriff "Überfallwirkung" im Merkmal des Anspruchs 1, wonach

"...das Verschlussteil (6) im Zuge der Verlagerung in die Verschlussstellung einer Überfallwirkung unterliegt...",

kein gebräuchlicher Fachbegriff im technischen Bereich des Streitpatents ist. Die Kammer ist dennoch der Auffassung, dass Anspruch 1 die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ erfüllt.

3.1 Die Beschwerdeführerin-Einsprechende trägt vor, dass die Ansprüche in sich deutlich sein müssten, sodass der Fachmann nicht den Inhalt der Beschreibung hinzuziehen müsse. Da der Begriff "Überfallwirkung" keine technische Bedeutung habe, lasse der Anspruch 1 des Hauptantrags den Schutzbereich nicht genau erkennen.

Nach Auffassung der Kammer darf hingegen die Beschreibung zur Feststellung der Klarheit in einigen Fällen herangezogen werden. Im vorliegenden Fall vermittelt der Begriff "Überfallwirkung" in Anspruch 1 dem fachmännischen Leser keine technische Lehre. Folglich sieht sich die Kammer veranlasst, die Beschreibung zur Auslegung des unbekannten Begriffs heranzuziehen und bei der Prüfung der Klarheit des Anspruchs 1 zu berücksichtigen, siehe zu dieser Vorgehensweise: Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 8. Auflage, 2016 (RdBK), II.A.6.3.1. und II.A.6.3.5.

In Hinsicht auf die in Anspruch 1 genannte "Überfallwirkung" lautet Abschnitt [0005] der Patentschrift:

"...Um diesen Verlust zu minimieren und gleichzeitig eine gute Dichtwirkung zu erzielen, weist das Verschlussteil eine spezielle Federcharakteristik auf. Erfindungsgemäß wird das Verschlussteil mit einer für die Dichtwirkung ausreichend hohen Kraft in den Dichtsitz gepresst. Demzufolge ist für den Beginn des Öffnungsvorganges zunächst eine erhöhte Kraft, verbunden mit einem erhöhten Druckverlust nötig. Nachdem jedoch das Verschlussteil einen vordefinierten Öffnungsweg überschritten hat, schlägt die Federcharakteristik nahezu schlagartig um. In der Folge ist die zum Öffnen benötigte Kraft und der damit verbundene Strömungsverlust deutlich verringert. Zufolge der erfindungsgemäßen Federcharakteristik des Verschlussteiles ist eine Überfallwirkung erzielt,..."

Die Beschreibung in Abschnitt [0005] verleiht also dem Begriff "Überfallwirkung" im vorliegenden Fall eine präzise Bedeutung, wobei das Verschlussteil eine spezielle Federcharakteristik aufweist und mit einer hohen Kraft in den Dichtsitz gepresst wird. Für den Beginn des Öffnungsvorgangs ist demnach zunächst eine erhöhte Kraft nötig. Nachdem jedoch das Verschlussteil einen vordefinierten Öffnungsweg überschritten hat, erfolgt ein nahezu schlagartiges Umschlagen der Federcharakteristik.

Die Tatsache, dass der Begriff "Überfallwirkung" kein gebräuchlicher Fachbegriff ist, schließt daher nicht aus, dass Anspruch 1 deutlich und knapp gefasst ist, Artikel 84 EPÜ. Nach Auffassung der Kammer gibt Anspruch 1 dem Fachmann nämlich anhand der im Patent beschriebenen Bedeutung des unbekannten Begriffs den begehrten Schutzumfang unmissverständlich an.

3.2 Die Beschwerdeführerin-Einsprechende beanstandet darüber hinaus, dass auch die in der Beschreibung angegebene "Überfallwirkung" Merkmale umfasse, die für den Fachmann unklar seien. Insbesondere stellten die Merkmale "hohe Kraft", "nahezu schlagartig umschlägt", oder "einen vordefinierten Öffnungsweg" ohne Angabe von bestimmten Referenz- bzw. Parameterwerten oder Zahlenbereichen keine deutliche Abgrenzung zum Stand der Technik dar. Folglich könne also die angegebene Stelle der Beschreibung dem Merkmal "Überfallwirkung" keine deutliche Definition verleihen. Somit sei der Gegenstand des Anspruchs 1 auch aus diesem Grund unklar.

Aus Sicht der Kammer gibt diese Definition zwar ein funktionelles und breites, aber für den Fachmann ausreichend klares Merkmal an, das eine spezielle Federcharakteristik deutlich beschreibt und erfordert. Eine Federcharakteristik ist für den Fachmann wie im vorliegenden Fall durch die Form der Kurve ohne Angabe von bestimmten Zahlenbereichen deutlich definiert. Somit ist anhand dieser Definition ohne Weiteres verständlich, welches Merkmal sich für jeden bestimmten Staubsaugerfilterbeutel durch den Fachmann verwirklichen lässt.

3.3 Die Kammer kommt folglich zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags (Hilfsantrag I vom 7. Juni 2017) den Anforderungen des Artikels 84 EPÜ genügt.

4. Hauptantrag (Hilfsantrag I vom 7. Juni 2017) - Neuheit

Der Gegenstand des Anspruchs 1 wird durch die Kammer als neu gegenüber dem vorgebrachten Stand der Technik angesehen. Neuheit wird durch die Beschwerdeführerin-Einsprechenden gegenüber D4 in Verbindung mit D7,D7' und D6 bezweifelt.

4.1 Es ist unstreitig, dass das Dokument D4 den Oberbegriff des Anspruchs 1 offenbart, nämlich einen

Filterbeutel 12 für einen Staubsauger mit einer Halteplatte 1 und einem mit der Halteplatte 1 verbundenen Staubbeutel, wobei in der Halteplatte 1 eine Durchtrittsöffnung 2 zur Beladung des Staubbeutels im Staubsauger ausgebildet ist, welche Durchtrittsöffnung 2 mittels eines Verschlussteiles 3 verschließbar ist.

Dagegen wird der kennzeichnende Teil des Anspruchs 1, wonach die Federcharakteristik so definiert wird, dass das Verschlussteil im Zuge der Verlagerung in die Verschlussstellung einer Überfallwirkung unterliegt und dass im Zuge der Öffnungsbewegung des Verschlussteiles ein Abfall der Rückschließkraft erfolgt, jedenfalls nicht explizit offenbart.

Aber auch das Vorbringen der Beschwerdeführerin-Einsprechenden, wonach diese Merkmale implizit in D4 offenbart seien, kann die Kammer nicht überzeugen. Sie argumentiert dazu, dass das in D7,D7' dargestellte Modell ein Ausführungsbeispiel des Filterbeutels gemäß D4 sei, das die im Anspruch 1 beanspruchte Federcharakteristik aufweise, siehe D7 Anlage B. Die beanspruchten Merkmale ergäben sich also zwangsläufig bei der Ausführung der Lehre nach D4 und sie würden somit implizit durch D4 offenbart. Die Kammer vertritt aber, wie im Folgenden erläutert, die Auffassung, dass aus D4 nicht unmittelbar und eindeutig ableitbar ist, dass das vorgelegte Ausführungsbeispiel gemäß D7 Anlage A tatsächlich zum Stand der Technik nach Dokument D4 gehört.

Es ist unstreitig, dass die Ausführungsform gemäß D7 - Anlage A - den Abfall der Rückschließkraft gemäß Anlage B (Federkennlinie) aufweist, weil das Gummiband von seiner Ausgangslage auf der Erhöhung ab einem gewissen Öffnungswinkel abrutscht (vgl. Schreiben der Beschwerdeführerin-Einsprechenden vom 17. Mai 2013, Abschnitt 2.2.2, und ihre Einspruchsbegründung, Abschnitt 5.1.2).

Der Fachmann entnimmt dem Dokument D4 jedoch aus Sicht der Kammer das o.g. Merkmal - dass das Gummiband ab einem Öffnungswinkel abrutscht - nicht unmittelbar und eindeutig. Zunächst ist zu bemerken, dass ein Zweck der Erfindung gemäß D4 ein sicheres und vollständiges Schließen der Einlassöffnung im Ruhezustand ist. Dieses sichere Schließen wird durch die Erhöhung 7 erreicht (siehe D4, Seite 4, Zeilen 3-9). Rutscht das Gummiband beim Öffnen von der Erhöhung ab, kann aber das vollständige Schließen der Einlassöffnung beim nächsten Ruhezustand nicht mehr gesichert werden. Die Kammer gelangt somit zu der Auffassung, dass ein solches Abrutschen der Gesamtoffenbarung der D4 widerspricht.

Die Beschwerdeführerin-Einsprechende verweist demgegenüber auf Seite 2, Zeilen 14-24 und Seite 3, Zeilen 13-18. Dort wird beschrieben, wie die Elastizität und die Lage des Gummibandes für die Anpassung an Saugleistungen unterschiedlicher Staubsaugertypen gewählt werden sollen, dass das Gummiband durch Haltelaschen gespannt und befestigt ist und dass es die Erhöhung 7 überdeckt. Der Beschwerdeführerin-Einsprechenden zufolge kann der Fachmann aus dieser Formulierung ableiten, dass das elastische Band nicht an dem Verschlussteil befestigt sei, und dass es somit zwangsläufig ab einem bestimmten Öffnungswinkel abrutsche. Da D4 weiter offenbare, dass das Gummiband über die Erhöhung 7 gespannt sein müsse, damit der vollständige Verschluss im Ruhezustand gesichert sei (siehe D4, Seite 4, Zeilen 3-9), erkenne der Fachmann zwangsläufig, dass die Erhöhung die geeignete Form (z.B. eine "Rampe" anstatt Seitenkante) aufweisen müsse, so dass das Band beim Schließen wieder aufrutschen könne.

Aus Sicht der Kammer geht dieses Verständnis aber darüber hinaus, was der Fachmann der D4 implizit unmittelbar und eindeutig entnehmen kann. Die Fundstellen beziehen sich nämlich lediglich auf die Wahl der Rückstellkraft des Gummibandes in der Schließstellung: z.B. bezieht sich die exzentrische Anordnung auf Seite 2, Zeile 20 auf die Hebelwirkung an der Verschlussklappe um die gewünschte Rückstellkraft in der Schließstellung zu erreichen.

Außer der Bedingung, dass die Saugleistung stark genug zum Überwinden der voreingestellten Rückschließkraft sein muss, enthält D4 über den nachfolgenden Verlauf der Öffnungs- bzw. Schließbewegung der Verschlussklappe und deren Federcharakteristik daher keine Angaben. Die von der Beschwerdeführerin-Einsprechenden selbst vorgenommenen Weiterentwicklungen am Filterbeutel der D4 zwecks einer Ausführung nach dem Versuchsaufbau gemäß D7, insbesondere ein Abrutschen des Verschlussteils bei irgendeinem bestimmten Öffnungswinkel (abhängig von verschiedenen Parametern wie z.B. der Reibungskraft der ausgewählten Materialien oder der Form der Erhöhung) sind also nach Ansicht der Kammer aus dem Offenbarungsgehalt der D4 für den Fachmann nicht ableitbar.

Daher ist die von der Beschwerdeführerin-Einsprechenden behauptete Übereinstimmung der Funktionsweisen im Stand der Technik D4 mit dem Versuchsanbau D7 nicht gegeben. Folglich gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass der Fachmann die Merkmale bzgl. der Überfallwirkung und des Abfalls der Rückschließkraft nach Anspruch 1 aus D4 nicht unmittelbar und eindeutig entnehmen kann.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit gegenüber dem Dokument D4 neu.

4.2 Das Dokument D6 offenbart einen Filterbeutel, der eine Feder 7 an der Verschlussklappe 6 aufweist. Die Feder 7 kann als Blattfeder ausgebildet oder auch anders geformt sein, siehe Seite 3, Zeilen 1,2, und Seite 4, Zeilen 14,15. Eine Blattfeder weist die entsprechende Federcharakteristik des kennzeichnenden Teils vom Anspruch 1 nicht auf. Die Angabe, dass die Feder auch anders geformt sein kann, kann nicht als eine Vorwegnahme der bestimmten Merkmale des kennzeichnenden Teils von Anspruch 1 angesehen werden, wonach das Verschlussteil im Zuge der Verlagerung in die Verschlussstellung einer Überfallwirkung unterliegt und im Zuge der Öffnungsbewegung des Verschlussteiles ein Abfall der Rückschließkraft erfolgt.

4.3 Daher kommt die Kammer zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag (Hilfsantrag I vom 7. Juni 2017) neu im Sinne vom Artikel 54(2) EPÜ ist.

5. Hauptantrag (Hilfsantrag I vom 7. Juni 2017) - erfinderische Tätigkeit

5.1 Nächstliegender Stand der Technik

D4 offenbart einen Filterbeutel mit den Merkmalen des Oberbegriffs von Anspruch 1. In Betrieb wird die Verschlussklappe von D4 so wie beim Filterbeutel des Streitpatents durch die Saugkraft des Staubsaugers geöffnet. In diesem Kontext beschäftigt sich sowohl D4 als auch das Streitpatent mit der Rückstellkraft der Schließfeder. Folglich wird der Filterbeutel gemäß D4 als nächstliegender Stand der Technik angesehen.

5.2 Aufgabe und Lösung

Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich vom bekannten Filterbeutel dadurch, dass das Verschlussteil im Zuge der Verlagerung in die Verschlussstellung einer Überfallwirkung unterliegt und dass im Zuge der Öffnungsbewegung des Verschlussteiles ein Abfall der Rückschließkraft erfolgt.

Aufgabe der vorliegenden Erfindung ist es also, einen Filterbeutel der Art von D4 hinsichtlich des Verschlusses der Durchtrittöffnung verbessert auszugestalten, siehe Patentschrift, Abschnitt [0004].

Das Verschlussteil wird aufgrund der Überfallwirkung mit einer höheren Kraft in den Dichtsitz gepresst. Damit ist eine sichere und hygienische Dichtwirkung erzielt. Nach einem vordefinierten Öffnungsweg schlägt die Federcharakteristik des Verschlussteils aufgrund der Überfallwirkung um und ein Abfall der Rückschließkraft erfolgt, sodass die zum Öffnen benötigte Kraft verringert ist. Damit ist der durch das Verschlussteil verursachte Strömungswiderstand und der während des Betriebs damit verbundene Strömungsverlust dementsprechend verringert. In Folge dieser Ausgestaltung ist also ein Verschlusssystem angegeben, welches den Betriebsverschluss und den Hygieneverschluss vereint, vgl. Patentschrift Abschnitt [0005].

5.3 D4 in Verbindung mit D6 und allgemeinem Fachwissen

Das Verschlussteil 6 des Filterbeutels gemäß D6 wird durch den einsteckbaren Einlassstutzen 5 des Staubsaugers entgegen der Kraft einer Feder 7 in die Offenstellung bewegt, siehe D6 Anspruch 1 und Fig. 2. Die Federkraft wird also beim Einsetzen des Filterbeutels in den Staubsauger durch das Einstecken des Einlassstutzens überwunden. Im Gegensatz dazu wird die Verschlussklappe von D4 und vom Filterbeutel des Streitpatents bei jeder Inbetriebnahme durch die Saugkraft des Staubsauger geöffnet. Die damit verbundenen Rückschließkräfte jeder Feder und die entsprechenden Einstellungen der Kraft insbesondere die Federcharakteristiken sind also erheblich unterschiedlich. Daher ist die Kammer der Auffassung, dass der Fachmann die Lehre der D6 für die Verbesserung der Rückstellfeder des Verschlusses gemäß D4 im Kontext der zu lösenden Aufgabe nicht heranziehen würde.

Selbst wenn er dies täte, würde die Erfindung des Streitpatents dadurch nicht nahegelegt. Durch die Anwendung einer aus Stahl oder rückstellbarem Kunststoff bestehenden Blattfeder - siehe D6, Seite 3, Zeilen 1,2 - in dem Filterbeutel gemäß D4, würde der Fachmann nicht zu einer Feder mit Überfallwirkung und Abfall der Rückschließkraft gelangen, weil die gängigen Federn dieser Art eine gerade Federkennlinie oder Federcharakteristik aufweisen. Zwar mögen die Ausführungen auf Seite 4, Zeilen 14,15 der Druckschrift D6 den Fachmann dazu anregen, die Feder anders auszuformen. Allein dadurch würde er aber nicht zwangsläufig zu einer Feder gelangen, deren Federcharakteristik eine Überfallwirkung und einen Abfall wie im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 des Streitpatents aufweist.

Die Beschwerdeführerin-Einsprechende trägt auch vor, dass der Fachmann infolge der Anregung aus D6 eine aus seinem allgemeinen Fachwissen bekannte bombierte Feder in dem Filterbeutel gemäß D4 anwenden würde. Aus Sicht der Kammer mag der Fachmann wohl grundsätzlich eine Optimierung des bekannten Filterbeutels vornehmen. Allerdings ergibt sich aus dem Vortrag der Beschwerdeführerin-Einsprechenden und insbesondere aus D4, D6 oder dem allgemeinen Fachwissen nicht, warum er aus einer Fülle von verschiedenen Federarten und Federausgestaltungen gerade eine Bombierung der Stahlfeder von D6 für die Anwendung in dem Filterbeutel gemäß D4 auswählen, und die Bombierung ihn dann zwingend zu einer Überfallwirkung und einem Abfall der Rückstellkraft aufweisenden Federcharakteristik führen sollte, ohne dass es dafür konkrete Hinweise gibt.

6. Somit kommt die Beschwerdekammer zu dem Ergebnis, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag (Hilfsantrag I vom 7. Juni 2017) auch auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ beruht.

7. Bei dieser Sachlage ist es für die Kammer nicht erforderlich, die Hilfsanträge zu berücksichtigen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in der folgenden Fassung aufrecht zu erhalten:

- Ansprüche 1 bis 12 gemäß Hauptantrag, eingereicht als Hilfsantrag I mit Schriftsatz vom 7. Juni 2017;

- Beschreibung: Spalten 1 bis 4 wie eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer und Spalten 5 bis 11 wie erteilt;

- Abbildungen 1 bis 16 wie erteilt.

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