T 1731/12 (Implantat/Forschungszentrum Jülich) of 15.2.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T173112.20190215
Datum der Entscheidung: 15 Februar 2019
Aktenzeichen: T 1731/12
Anmeldenummer: 04726429.6
IPC-Klasse: A61N 1/32
A61N 1/372
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VORRICHTUNG ZUR DESYNCHRONISATION VON NEURONALER HIRNAKTIVITÄT
Name des Anmelders: Forschungszentrum Jülich GmbH
Name des Einsprechenden: Advanced Neuromodulation Systems, Inc.
Kammer: 3.4.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(a)
European Patent Convention Art 54(1)
European Patent Convention Art 54(2)
European Patent Convention Art 53(c)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights Art 28(1)(a)
Deutschland: Patentgesetz 1936 (2018), § 9
Vereinigtes Königreich: Patents Act 1977 (2018), Section 60(1)(a)
Frankreich: Code de la propriété intellectuelle, CPI Art L613-3, (modifié par la loi 2014-315 du 11 mars 2014)
Schlagwörter: Ausnahmen von der Patentierbarkeit - Vorrichtung definiert durch Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung
Orientierungssatz:

Eine Vorrichtung, die durch ein Merkmal definiert ist, das nur durch einen chirurgischen oder therapeutischen Schritt erzeugt werden kann, ist nach Artikel 53(c) EPÜ von der Patentierung ausgenommen (in Fortführung von T

775/97).

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/07
G 0002/13
T 0426/89
T 0712/93
T 0775/97
T 1695/07
T 1407/08
T 1798/08
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0944/15

Sachverhalt und Anträge

I. Gegen das europäische Patent Nr. 1 613 394 wurde in vollem Umfang ein Einspruch eingelegt auf der Basis von Artikel 100(a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ (mangelnde Neuheit) und Artikel 56 EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit) sowie auf der Basis von Artikel 100(c) EPÜ.

II. Im Rahmen des Einspruchsverfahrens führte die Einspruchsabteilung von sich aus mit Artikel 100(a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 53(c) EPÜ (Ausschluss von therapeutischen, chirurgischen und diagnostischen Verfahren) einen weiteren Einspruchsgrund ein.

III. Die Einspruchsabteilung wies den Einspruch gegen das europäische Patent zurück.

IV. Gegen diese Zurückweisung des Einspruchs legte die Einsprechende (Beschwerdeführerin) Beschwerde ein und beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen. Sie diskutierte dabei Gründe nach Artikel 100(c) EPÜ, Artikel 100(b) EPÜ, und Artikel 100(a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54(1),(2) EPÜ (mangelnde Neuheit), in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit) und in Verbindung mit Artikel 53(c) EPÜ (Ausschluss von medizinischen Verfahren). Darüber hinaus legte sie neue Dokumente D25 bis D31 vor.

V. Die Patentinhaberin beantragte die Beschwerde zurückzuweisen.

VI. Mit einer Ladung zur mündlichen Verhandlung versendete die Kammer ihre vorläufige Meinung in einer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK. Dabei wies sie auf zu diskutierende Punkte hin und forderte die Beschwerdegegnerin/Patentinhaberin auf zu erklären, ob sie mit der Einführung eines neuen Einspruchsgrunds nach Artikel 100(a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 57 EPÜ (gewerbliche Anwendbarkeit) einverstanden wäre oder nicht.

VII. Mit Schreiben vom 15. Januar 2019 kommentierte die Beschwerdeführerin/Einsprechende die vorläufige Meinung der Kammer.

VIII. Die Beschwerdegegnerin/Patentinhaberin widersprach mit Schreiben vom 15. Januar 2019 der Einführung der Einspruchsgründe nach Artikel 100(a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 57 EPÜ und nach Artikel 100(b) EPÜ in Verbindung mit Artikel 83 EPÜ und reichte Anspruchssätze für Hilfsanträge 1 bis 4 sowie neue Dokumente D32 und D33 ein.

IX. Während der mündlichen Verhandlung wies die Kammer die Parteien darauf hin, dass für die Beurteilung der Anwendung von Artikel 53(c) EPÜ auf Vorrichtungen auch die Rechtsprechung der Beschwerdekammern berücksichtigt werden sollte, wie sie in der Entscheidung T 775/97 zum Ausdruck kommt. Dadurch könnte sich die vorläufige Meinung der Kammer aus der Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK hinsichtlich dieses Aspektes ändern.

X. Während der mündlichen Verhandlung reichte die Beschwerdegegnerin/Patentinhaberin einen neuen Patentanspruch 1 als einen Teil eines gegebenenfalls später zu vervollständigenden Anspruchssatzes für einen neuen Hilfsantrag ein, der den Hilfsanträgen vom 15. Januar 2019 vorangehen sollte. Da im Laufe der mündlichen Verhandlung der Hilfsantrag 1 vom 15. Januar 2019 zurückgenommen wurde, wird im Folgenden der neue - während der mündlichen Verhandlung eingereichte - Hilfsantrag als Hilfsantrag 1 bezeichnet.

XI. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet:

Vorrichtung zur Desynchronisation der Aktivität von krankhaft aktiven Hirnarealen umfassend Mittel zum Stimulieren von Hirnregionen, dadurch gekennzeichnet,

dass sie folgende Komponenten umfasst:

- mindestens zwei Elektroden (2) und

- Steuerungsmittel, die so ausgestaltet sind, dass sie im Betrieb die mindestens zwei Elektroden (2) derart ansteuern, dass die mindestens zwei Elektroden (2) Reize an jeweils eine von mindestens zwei Subpopulationen einer zu desynchronisierenden Neuronenpopulation abgeben, wobei die von unterschiedlichen Elektroden (2) abgegebenen Reize zeitversetzt sind und durch die Reize eine Phasenrücksetzung der neuronalen Aktivität der mindestens zwei Subpopulationen bewirkt wird, sodass die mindestens zwei Subpopulationen nach der durch die Reize bewirkten Phasenrücksetzungen unterschiedliche Phasen ihrer neuronalen Aktivität aufweisen.

XII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 weist das zusätzliche Merkmal auf:

[ ... unterschiedliche Phasen ihrer neuronalen Aktivität aufweisen]; und

- einen Sensor (3), welcher ausgelegt ist, ein Feedback-Signal zu messen, wobei die Steuerungsmittel ausgelegt sind, Änderungen des Feedback-Signals zu erkennen und bei Ausbleiben der Änderungen des Feedback-Signals die Reize nach oberen Werten bis zu einem aus Sicherheitsgründen starr vorgegebenen Maximalwert anzupassen.

XIII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 ist gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch verändert, dass die Zweckbestimmung der Vorrichtung angepasst ist zu (Änderung hervorgehoben):

Vorrichtung zur Desynchronisation der rhythmischen Aktivität von krankhaft aktiven Hirnarealen ...

und dass am Ende des Anspruchs das zusätzliche Merkmal eingefügt wurde:

[ ... unterschiedliche Phasen ihrer neuronalen Aktivität aufweisen] und die Phasen der neuronalen Aktivität der Subpopulationen in äquidistanten Schritten von T/N aufeinander folgen, wobei T die Periode der rhythmischen Aktivität der zu desynchronisierenden Neuronenpopulation und N die Anzahl der Elektroden (2) ist.

XIV. Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 weist gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags ebenfalls die Anpassung der Zweckbestimmung auf zu (Änderungen gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags hervorgehoben):

Vorrichtung zur Desynchronisation der rhythmischen Aktivität von krankhaft aktiven Hirnarealen ....

Weiterhin wurde eingeführt, dass

[ ... einer zu desynchronisierenden Neuropopulation abgeben, wobei] die rhythmische Aktivität der zu desynchronisierenden Neuronenpopulation eine Periode T hat ...

und die Zeitversetzung der Reize wurde dahingehend spezifiziert, dass

[ ... eine Periode T hat und] die von unterschiedlichen der insgesamt N Elektroden (2) abgegebenen Reize um T/N zeitversetzt sind ...

XV. Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 lautet (Änderungen gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags hervorgehoben):

Vorrichtung zur Desynchronisation der rhythmischen Aktivität von krankhaft aktiven Hirnarealen umfassend Mittel zum Stimulieren von Hirnregionen, dadurch gekennzeichnet,

dass sie folgende Komponenten umfasst:

- mindestens zwei Elektroden (2) und

- Steuerungsmittel, die so ausgestaltet sind, dass sie im Betrieb die mindestens zwei Elektroden (2) derart ansteuern, dass die mindestens zwei Elektroden (2) Reize an jeweils eine von mindestens zwei Subpopulationen einer zu desynchronisierenden Neuronenpopulation abgeben, wobei die rhythmische Aktivität der zu desynchronisierenden Neuronenpopulation eine Frequenz g hat und die von unterschiedlichen Elektroden (2) abgegebenen Reize zeitversetzt sind und durch die Reize eine Phasenrücksetzung der neuronalen Aktivität der mindestens zwei Subpopulationen bewirkt wird, sodass die mindestens zwei Subpopulationen nach der durch die Reize bewirkten Phasenrücksetzungen unterschiedliche Phasen ihrer neuronalen Aktivität aufweisen, wobei die von jeder der mindestens zwei Elektroden (2) abgegebenen Reize elektrische Niederfrequenzpulszüge sind und die Niederfrequenzpulszüge aus mono- oder biphasischen Einzelpulsen oder kurzen, aus mono- oder biphasischen Einzelpulsen bestehenden Hochfrequenzpulszügen bestehen, wobei die Einzelpulse bzw. die Hochfrequenzpulszüge mit einer Frequenz f wiederholt werden, für die f/g = n/m gilt, wobei n und m kleine ganze Zahlen sind.

Entscheidungsgründe

Hauptantrag: Neuheit (Artikel 100(a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54(1),(2) EPÜ)

1. Es ist unstreitig, dass Vorrichtungen zur Desynchronisation der Aktivität von krankhaft aktiven Hirnarealen mit Mitteln zum Stimulieren von Hirnregionen und mit mindestens zwei Elektroden vor dem Prioritätszeitpunkt des Streitpatents bekannt waren (siehe beispielsweise D4: EP 1145735 A1, Absätze [0001], [0002], [0014], [0033]-[0038]).

2. Die in D4 offenbarte Vorrichtung beinhaltet dafür unter anderem eine Zentraleinheit (neurostimulator central unit), die verschiedene elektronische Bauelemente und auch eine programmierbare zentrale Verarbeitungseinheit (CPU) (central processing unit) (siehe Absatz [0035]) aufweist. Die Pulsparameter der über die Elektroden an die Nervenzellen des Patienten abgegebenen elektrischen Pulse für die therapeutische Behandlung von Epilepsien können programmiert werden. Die Programmierung erfolgt dabei durch einen Arzt, nachdem die Elektroden im Gehirn des Patienten implantiert wurden: "Once the electrodes are placed near the epileptogenic focus in the brain, the physician can use bursts of pulses both to initiate and to terminate epileptiform activity. By varying the burst parameters, it is possible to arrive at a parameter set that is effective at terminating epileptiform activity, but is ineffective at initiating it." (D4: Seite 3, Zeilen 40 to 42).

Auch ein Zeitversatz der von den Elektroden abgegebenen Reizen ist in D4 bereits offenbart (siehe Figuren 6 und 7, Seite 6, Zeilen 1 bis 4).

3. Für die Beurteilung der Neuheit kommt es daher auf die Interpretation des zusätzlichen Anspruchsmerkmals an: "wobei durch die Reize eine Phasenrücksetzung der neuronalen Aktivität der mindestens zwei Subpopulationen bewirkt wird, sodass die mindestens zwei Subpopulationen nach der durch die Reize bewirkten Phasenrücksetzungen unterschiedliche Phasen ihrer neuronalen Aktivität aufweisen".

4. Die Beschwerdeführerin/Einsprechende interpretiert den Begriff Phasenrücksetzung so, dass sowohl Typ 1-Phasenrücksetzungen (durch eher schwache Reize ausgelöst) als auch Typ 0- Phasenrücksetzungen (durch eher starke Reize ausgelöst) umfasst sind (siehe insbesondere Seite 14, Absatz 3 der Beschwerdebegründung). Sie kommt daher zum Ergebnis, dass sehr viele (eigentlich wohl alle) elektrische Pulse, die von in der Nähe von Nervenzellen implantierte Elektroden abgegeben werden, eine Phasenrücksetzung der Nervenzellen bewirken.

5. Demgegenüber argumentiert die Beschwerdegegnerin/Patentinhaberin, dass mit einer solchen Interpretation das Merkmal "vollständig sinnentleert" sei, "da dann beinahe sämtliche möglichen Reize unter dieses Merkmal fallen würden" (Schreiben vom 3. Mai 2013, Seite 16, 1. vollständiger Absatz). Sie verweist darauf, dass der Fachmann daher unter dem Begriff Phasenrücksetzung keine Typ-1-Phasenrücksetzung, sondern nur eine Typ-0-Phasenrücksetzung verstehen würde. Außerdem verbinde der Fachmann "mit dem deutschen Begriff "Phasenrücksetzung" nicht eine undefinierte, beispielsweise durch Rauschen oder nichtlineare Charakteristika der stimulierten Neuronen bedingte Verschiebung der Phase", sondern "dass die Phase auf einen bestimmten Vorzugswert, beispielsweise 0° oder auch einen anderen Phasenwert, zurückgesetzt wird" (Schreiben vom 3. Mai 2013, Seite 16, Punkt 2. und Vortrag während der mündlichen Verhandlung).

6. Die Kammer schließt sich den während der mündlichen Verhandlung seitens der Beschwerdegegnerin/Patentinhaberin gemachten Ausführungen an, dass ein Fachmann bei der Interpretation des Anspruchsmerkmals den Begriff Phasenrücksetzung so versteht, dass die damit verbundene Phasenänderung gut kontrollierbar sein muss, damit das weitere Merkmal "sodass die mindestens zwei Subpopulationen nach der durch die Reize bewirkten Phasenrücksetzungen unterschiedliche Phasen ihrer neuronalen Aktivität aufweisen" erfüllt sein kann. Das ist nur durch eine Typ-0 Phasenrücksetzung gewährleistet, bei der es (siehe beispielsweise Figur 1 des Dokuments D10 (A. T. Winfree: Phase Control of Neural Pacemakers, Science 197 1977, 761-763) oder Figur 4a-f der D1 aus dem Prüfungsverfahren des Streitpatents (P. A. Tass: Desynchronizing double-pulse phase resetting and application to deep brain stimulation, Biological Cybernetics, Springer Verlag, Berlin, Bd. 85, Nr. 5, November 2001, 343-354)) unabhängig von der momentanen Phase des zu beeinflussenden Oszillators (hier die Nervenzellpopulation) im Moment der Pulsbeaufschlagung zu einem festen Phasenwert kommt. Phasenrücksetzungen vom Typ 1 sind ausweislich dieser Darstellungen eher als Phasenverschiebungen zu verstehen, deren Phasenlage nach der Pulsbeaufschlagung nicht ausreichend gut kontrolliert werden kann, da diese von der momentanen Phasenlage des Oszillators im Moment des Pulsbeaufschlagung abhängt.

7. Mit dieser Auslegung des Merkmals ist eine Vorrichtung mit Steuerungsmitteln beansprucht, die nur eine begrenzte Menge von möglichen Reizen aus einer beliebigen Kombination von frei programmierbaren Reizen nutzt, wie sie in den Dokumenten D4 mit dem darin offenbarten Implantat möglich sind.

8. Die Beschwerdeführerin/Einsprechende führte aus, dass im Dokument D4 außer der generellen Möglichkeit frei programmierbare Reize zu nutzen, gerade auch solche Reize offenbart sind, wie sie im strittigen Merkmal beansprucht sind. Insbesondere verwies die Beschwerdeführerin/Einsprechende dabei darauf, dass die Pulse im Anspruch 1 des Hauptantrags nicht durch konkrete Pulsparameter definiert sind, sondern nur über ihre Funktion (Phasenrücksetzung der Subpopulationen). Dokument D4 würde aber bereits zeitversetzte Pulse (Figuren 6 und 7) für die Behandlung von Epilepsien zeigen und auch offenbaren, dass die Pulse ausreichend stark sein müssten, um die Epilepsie abzuschalten (Absatz [0032]: "After the burst is delivered, the EEG is re-examined, and if the epileptiform activity was not terminated, a subsequent burst is delivered. The subsequent burst may have the same parameters as the first burst, may re-adapt to the changing EEG rate, or may have new parameters to more aggressively attempt to terminate the epileptiform activity (e.g. higher rate, more pulses, higher output, or modified pulse-to-pulse intervals)").

9. Die Kammer schließt sich allerdings der Auffassung der Beschwerdegegnerin/Patentinhaberin an, dass D4 grundsätzlich eine andere Herangehensweise an die Desynchronisierung von Nervenzellen zur Behandlung von Epilepsien offenbart. In D4 wird versucht, durch möglichst viele unterschiedliche Pulsparameter innerhalb eines Pulszuges eine größtmögliche Streuung möglicher Phasenwerte in der Nervenzellpopulation zu erzeugen (siehe beispielsweise D4: Absatz [0017]). Demgegenüber geht es im Streitpatent darum, von den einzelnen Elektroden beeinflusste Subpopulationen in sich synchronisiert zu lassen und stattdessen verschiedene Subpopulationen gegeneinander in verschiedene Phasen zu versetzen (siehe Patentschrift: Absatz [0009]).

Eine Phasenrücksetzung (vom Typ 0) für das in D4 offenbarte Verfahren ist somit nicht unbedingt erforderlich. Daher kann auch nicht geschlussfolgert werden, dass D4 notwendigerweise auch Pulse offenbart, die phasenrücksetzend vom Typ 0 sind.

10. Das Merkmal "wobei durch die Reize eine Phasenrücksetzung der neuronalen Aktivität der mindestens zwei Subpopulationen bewirkt wird, sodass die mindestens zwei Subpopulationen nach der durch die Reize bewirkten Phasenrücksetzungen unterschiedliche Phasen ihrer neuronalen Aktivität aufweisen" (im Folgenden auch: Unterscheidungsmerkmal) ist somit nicht in D4 offenbart. Folglich ist der Gegenstand des Anspruchs 1 neu gegenüber der Vorrichtung aus D4.

Ausschluss von der Patentierbarkeit (Artikel 100(a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 53(c) EPÜ): Anwendung von Artikel 53(c) EPÜ auf Erzeugnisse

11. Nach Artikel 53(c) EPÜ werden europäische Patente unter anderem nicht erteilt für Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers. Satz 2 des Artikels 53(c) EPÜ sagt darüber hinaus explizit: "Dies gilt nicht für Erzeugnisse, insbesondere Stoffe oder Stoffgemische, zur Anwendung in einem dieser Verfahren."

12. Es ist allgemein akzeptiert, und wird beispielsweise auch in den Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer, die sich mit medizinischen Verfahren auseinandersetzen (zuletzt in G 1/07) erläutert, dass das Patentierungsverbot für diese Verfahren gewährleisten soll, "dass die Freiheit von Human- und Veterinärmedizinern, ihren Patienten die beste verfügbare Behandlung angedeihen zu lassen, ohne Einschränkungen durch etwaige Patentrechte befürchten zu müssen, geschützt wird, und zwar dadurch, dass solche Aktivitäten von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sind" (G 1/07, Entscheidungsgründe, Abschnitt 3.2.3.2). Dabei reicht ein einzelner chirurgischer Verfahrensschritt aus, um ein mehrschrittiges Verfahren als nicht patentfähig anzusehen. Auf die Frage, ob ein Mediziner das beanspruchte Verfahren dann verletzen würde, kommt es nicht an (G 1/07, Entscheidungsgründe, Abschnitt 3.2.3.2).

13. In der Entscheidung T 775/97 ist dieser Ansatz auch auf bestimmte Erzeugnisse übertragen worden. Dort wurde ein Patentanspruch behandelt, der ein neues Erzeugnis beanspruchte, welches aus zwei an sich bekannten Teilen durch einen chirurgischen Schritt im menschlichen Körper hergestellt wurde. Es wurde entschieden, dass kein europäisches Patent auf Erzeugnisse erteilt werden kann, welche durch eine Konstruktion definiert werden, die nur durch einen chirurgischen Verfahrensschritt in einem tierischen oder menschlichen Körper hergestellt werden können (Reasons, 2.8).

14. Die Entscheidung T 775/97 erging im Zusammenhang mit dem damals gültigen Artikel 52(4) EPÜ 1973. Nach der Revision des EPÜ in die jetzt gültige Fassung wurde das entsprechende Patentierungsverbot in Artikel 53(c) EPÜ aufgenommen, wobei die Praxis des EPA hinsichtlich Artikel 52(4) EPÜ 1973 nicht berührt werden sollte (Amtsblatt EPA, 2007, Sonderausgabe Nr. 4, Seite 58), die Rechtsprechung aus T 775/97 also weiterhin gilt.

15. Die hier entscheidende Kammer sieht keinen Grund von der Entscheidung T 775/97 abzuweichen. Sie stimmt der Überlegung zu, dass ein durch einen chirurgischen Schritt definiertes Erzeugnis ohne diesen gar nicht existieren kann, so dass der chirurgische Schritt zum beanspruchten Erzeugnis dazugehört.

16. Der Ausschluss von Erzeugnissen widerspricht auch nicht Artikel 53(c) Satz 2 EPÜ. Danach ist die Patentierung von Erzeugnissen erlaubt, wenn diese für die Nutzung in therapeutischen oder chirurgischen Verfahren vorgesehen sind. Auch dadurch ist die Freiheit von Human- und Veterinärmedizinern eingeschränkt, wie beispielsweise auch in G 1/07 diskutiert wird (Entscheidungsgründe, Abschnitt 3.2.3.2).

17. Hinsichtlich der Nutzung ist dabei Überlegungen zuzustimmen, die beispielsweise im Benkard zu finden sind:

"Zur Therapie oder Diagnostik verwendete Geräte sind grundsätzlich patentfähig. Die Gründe, die bei Therapie und Diagnostik zur Verneinung der Schutzfähigkeit geführt haben, greifen hier nicht ein. Anders als bei Behandlungs- und Diagnostizierverfahren schafft der Einsatz von Stoffen und Geräten idR für den Anwender kein unübersehbares Risiko einer Patentverletzung. Medikamente, Instrumente oder sonstige Geräte werden im Allgemeinen nicht erst im Augenblick der Behandlung entworfen und gebaut, sondern liegen fertig vor. Die Entscheidung über ihren Erwerb und Einsatz ist lange vor der tatsächlichen Verwendung gefallen. Bei dieser Entscheidung hat auch die Patentrechtslage geklärt werden können." (Benkard, Europäisches Patentübereinkommen, 3. Auflage, 2019, Artikel 53, Randziffer 181).

Auch im Visser wird auf diese Überlegungen Bezug genommen ('Art. 53: Exceptions to patentability' in Derk Visser, Laurence Lai, et al, Visser's Annotated European Patent Convention 2018 Edition, 2018, section 3.5).

18. Bei dieser Betrachtungsweise liegt allerdings ein wesentlicher Unterschied zwischen den Handlungen benutzen (bzw. gebrauchen, einsetzen) und herstellen von Erzeugnissen vor. Beide Handlungen sind bei einem patentgeschützten Erzeugnis dem Patentinhaber vorbehalten (siehe beispielsweise die nationalen Rechtsordnungen in Deutschland (Patentgesetz 1936 (2018), §9), im Vereinigten Königreich (UK Patents Act 1977 (2018), Section 60(1)(a)), oder in Frankreich (Code de la propriété intellectuelle (CPI), Article L613-3, (Modifié par la loi 2014-315 du 11 mars 2014)) oder auch Artikel 28(1)(a) des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights = TRIPS) der Welthandelsorganisation (WTO), der für alle Mitgliedsstaaten der WTO gilt und damit für fast alle Mitgliedsstaaten des Europäischen Patentübereinkommens).

19. Dieser wesentliche Unterschied liegt darin, dass die Benutzung eines patentgeschützten Gegenstandes in der Regel erlaubt ist, nachdem der Gegenstand ordnungsgemäß erworben wurde. Denn dann hat der Patentinhaber seinen ihm für die Erfindung zustehenden Lohn erhalten und der Erwerber kann in der Regel zumindest insoweit über den Gegenstand verfügen, dass er diesen benutzen, bzw. einsetzen kann. Die Kammer interpretiert Satz 2 von Artikel 53(c) EPÜ so, dass Erzeugnisse, die nach ordnungsgemäßem Erwerb bei einem chirurgischen oder therapeutischen Verfahren benutzt (angewendet bzw. eingesetzt) werden, durchaus patentiert werden dürfen. Das medizinische Personal ist dann in seinen Handlungen nur insoweit eingeschränkt, dass es den patentgeschützten Gegenstand rechtskonform erwerben muss.

20. Um ein patentgeschütztes Erzeugnis herstellen zu dürfen, müsste das medizinische Personal aber eine Lizenz für das Herstellungsverfahren erwerben, was - im Falle eines chirurgischen oder therapeutischen Verfahrensschritts im Herstellungsverfahren - genau in die Freiheit des medizinischen Personals eingreifen würde, die durch die Patentierungsausschlüsse nach Artikel 53(c) EPÜ geschützt sein sollte.

21. So sieht es beispielsweise auch das britische Patentamt, welches in seinen Prüfungsrichtlinien für medizinische Erfindungen ("Examination Guidelines for Patent Applications relating to Medical Inventions in the Intellectual Property Office", April 2016) im Abschnitt "Apparatus for Surgery, Therapy or Diagnosis" unter Berücksichtigung der Rechtsprechung der Beschwerdekammern zum Schluss kommt "Pending clarification from the courts, it remains our practice that if a claimed product can only be manufactured by performing a method of surgery then it is objectionable under s.4A(1); in such a case it would not be possible to work the invention without performing an excluded method." (page 25, point 77.).

Entsprechende Klarstellungen aus anderen EPÜ-Mitgliedsstaaten sind der Kammer allerdings nicht bekannt.

22. Von der mit der Entscheidung T 775/97 begründeten Rechtsprechung ist nie abgewichen worden. Entscheidungen, die die Entscheidung T 775/97 im Hinblick auf diese Frage zitieren (T 1695/07, Reasons, Abschnitt 17.3; T 1798/08, Reasons, Abschnitt 3.2) kommen zum Ergebnis, dass die dort jeweils beanspruchten Vorrichtungen eben gerade nicht durch chirurgische Schritte hergestellt werden und somit nicht nach Artikel 53(c) EPÜ von der Patentierung ausgenommen sind.

23. Die Kammer hat auch weitere Entscheidungen berücksichtigt, die sich mit der Thematik von Implantaten in der Abgrenzung von Artikel 53(c) Satz 1 und 2 EPÜ beschäftigt haben. In den unabhängigen Ansprüchen dieser Entscheidungen war der fragliche zu implantierende Gegenstand jeweils so beansprucht, dass die einzelnen Merkmale bereits vor der Ausführung des chirurgischen Schritts eindeutig definiert waren.

24. In der Entscheidung T 1407/08 kam die Kammer zwar zum Schluss:

In the present case this means that even if the final aortic graft is normally obtained after assembly in the body of the patient during surgery, the surgical steps of introducing the different parts or portions of the graft into the body and assembling them while in the body do not fall under the scope of the claim and therefore cannot lead to an objection under Article 53(c) EPC. (Reasons, 4.),

doch die dort beanspruchte Vorrichtung war eben auch über funktionale Bezüge zwischen Einzelteilen definiert, die bereits vor dem chirurgischen Schritt vorlagen. Somit war eine Überprüfung, ob ein patentgeschützter Gegenstand vorliegt, auch ohne chirurgischen Schritt am menschlichen oder tierischen Körper möglich:

For the sake of completeness the Board notes that it may also be possible to assemble the different parts of the claimed graft in an artificial aorta, should it become necessary to test whether a product falls under the scope of the claim or not. (Reasons, 4.)

25. Die Entscheidung T 712/93 befasste sich mit einer Gelenkprothese, deren einzelnen Elemente im Anspruch funktional zueinander und zum Körper eines Patienten definiert wurden. Dort wurde seitens der Kammer die Frage der Herstellung der Gelenkprothese nicht diskutiert, sondern nur festgestellt, dass die Verwendung funktionaler Merkmale in einem Erzeugnisanspruch diesen nicht zu einem Verfahrensanspruch machen würden, so dass der Erzeugnisanspruch die Anforderungen des Artikels 52(4) EPÜ 1973 erfüllen würde (Reasons, 3.).

Nach Ansicht der hier entscheidenden Kammer war im dortigen Fall die anspruchsgemäße Gelenkprothese durch Merkmale in Bezug auf den Körper des Patienten definiert, aber doch auch so, dass die Gelenkprothese diese Merkmale bereits vor dem Ausführen eines chirurgischen oder therapeutischen Schritts aufwies, und diese nicht erst durch den chirurgischen bzw. therapeutischen Schritt hergestellt wurden.

26. In der Entscheidung T 426/89, Herzschrittmacher / SIEMENS, OJ 1992, 172 kam die Kammer zum Schluss, dass die Programmierung eines rechtmäßig erworbenen frei programmierbaren Herzschrittmachers "zwar von einem Arzt im Rahmen der Ausübung der Heilkunde ausgeführt werden kann, an sich jedoch keine unmittelbare therapeutische Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers darstellt" (T 426/89, Entscheidungsgründe, Abschnitt 3.2). Diese Entscheidung befasste sich somit zwar auch mit der Herstellung eines für die Nutzung in einem therapeutischen Verfahrens vorgesehenen Erzeugnisses, kam aber zum Ergebnis, dass dort eben gerade keine therapeutische Behandlung zum Herstellen (Programmieren) des Herzschrittmachers notwendig war.

27. Die Kammern in diesen Entscheidungen kamen dann auch jeweils zum Ergebnis, dass die beanspruchten Implantate nicht von der Patentierung ausgenommen waren.

28. Diese Entscheidungen sind somit ebenfalls hinsichtlich der Herstellung von Erzeugnissen zu keinen gegenteiligen Ergebnissen gekommen. Die Kammer hält daher fest, dass eine Vorrichtung, die durch ein Merkmal definiert ist, das nur durch einen chirurgischen oder therapeutischen Schritt erzeugt werden kann, nach Artikel 53(c) EPÜ von der Patentierung ausgenommen ist (in Fortführung von T 775/97).

Hauptantrag: Herstellung der beanspruchten Vorrichtung

29. Es ist daher zu untersuchen, wie die im Anspruch 1 des Streitpatents beanspruchte Vorrichtung hergestellt wird.

30. Die Beschwerdegegnerin/Patentinhaberin argumentierte, dass das beanspruchte Erzeugnis bereits vor der Implantierung, also vor einem chirurgischen Schritt vorliegen würde. Sie führte dazu aus, dass die Vorrichtung einen Rechner mit einem Datenträger aufweist, in dem Daten des Krankheitsbildes abgespeichert sind (B1-Patentschrift, [0018]). Die Daten können dabei auch Anfangswerte für Frequenz und Intensität umfassen, so dass diese nicht im Rahmen einer Kalibrierung bestimmt werden müssen (B1-Patentschrift, [0049] - [0051]). Dem Fachmann seien auch die Parameter zur Erzeugung von Phasenrücksetzungspulsen bekannt. Damit müsste die Vorrichtung nicht erst nach dem chirurgischen Schritt hergestellt werden, sondern läge bereits vorher vollständig vor.

31. Die Kammer kann sich dieser Argumentation nicht anschließen.

32. Zum einen ist in der Beschreibung an vielen Stellen ausgeführt, dass die Steuerungsmittel an die Gegebenheiten nach der Implantation angepasst werden, damit das beabsichtigte Verfahren der Phasenrücksetzung von Subpopulationen durchgeführt werden kann. So wird beispielsweise geschildert, dass die Stimulationsperiode T in Abhängigkeit der Aktivität nachgeschalteter Areale angepasst wird (B1: [0052]) und auch das Timing bedarfsgesteuert erfolgt (B1: [0053]). Ein wesentlicher Grund für diese Anpassung der Steuerungsmittel, damit diese nach der Implantation tatsächlich wie gewünscht funktionieren, ist ausweislich der Beschreibung darin zu sehen, dass die Stimulationsparameter entscheidend von der Positionierung der Elektroden abhängig sind. Es wird strikt unterschieden zwischen Fällen, in denen die Elektroden direkt im zu stimulierenden Nervengewebe liegen oder nicht (B1: Seite 12, Abschnitt 5.1: "Alle Elektroden 2 liegen in der zu desynchronisierenden Neuronenpopulation" und Seite 15, Abschnitt 5.2: "Mindestens eine Elektrode 2 liegt nicht in der zu desynchronisierenden Neuronenpopulation", oder auch Abschnitt 3: "Anzahl und räumliche Anordnung der Elektroden"). Im letzteren Fall muss die Leitungszeit der Reize von den Elektroden zu den zu stimulierenden Neuronenpopulationen berücksichtig werden und dazu gemessen werden (B1: [0058]). Es ist nicht ersichtlich, wie eine solche Messung der Leitungszeit vor der Implantation der Elektroden erfolgen kann. Ohne die Kenntnis der Leitungszeit ist dann aber nicht vor der Implantation anspruchsgemäß sicherzustellen, dass "die mindestens zwei Subpopulationen nach der durch die Reize bewirkten Phasenrücksetzungen unterschiedliche Phasen ihrer neuronalen Aktivität aufweisen".

32.1.1 Außerdem ist in der Beschreibung als Vorteil herausgestellt, dass mittels der Vorrichtung intraoperativ durch Stimulation während der Implantierung die optimale Position der Elektroden bestimmt werden kann (B1: Seite 3, Zeilen 34-39). Dabei wird ebenfalls darauf hingewiesen, dass die Laufzeit der Reize für die Steuerung berücksichtigt werden muss (B1: Seite 6, Zeilen 36-51). Aus diesen Angaben folgt, dass die Steuerungsmittel für die Realisierung des Merkmals "die mindestens zwei Subpopulationen nach der durch die Reize bewirkten Phasenrücksetzungen unterschiedliche Phasen ihrer neuronalen Aktivität aufweisen" die Position der implantierten Elektroden berücksichtigen müssen. Diese Position kann aber auch erst nach der Implantierung festgestellt werden, so dass die Steuerungsmittel vor der Implantierung noch nicht so ausgebildet sein können, dass das Merkmal erfüllt ist.

33. Die beanspruchte Vorrichtung wird daher durch zumindest ein Merkmal definiert, welches nur durch die Implantierung, also einen chirurgischen Schritt hergestellt werden kann.

34. Außerdem ist die Regelung, die die Steuerungsmittel mit den beanspruchten Merkmalen erzeugt, in der Patenschrift auch so beschrieben, dass dafür elektrische Reize an die Nervenzellpopulationen angelegt werden und danach mittels eines Feedback-Signals ermittelt wird, wie die Nervenzellpopulationen darauf reagieren. Dabei ist konkret ausgeführt "Wird kein gewünschter Effekt erzielt, das heißt, wird die Zielpopulation nicht in ausreichendem Maße desynchronisiert und somit das Feedback-Signal nicht unter den Schwellenwert verschoben, wird die Stärke des Stimulus bis zu einem aus Sicherheitsgründen starr vorgegebenen Maximalwert, zum Beispiel 5V, langsam erhöht ..." (B1: Seite 13, Zeilen 47-50). Die Herstellung der anspruchsgemäßen Steuerungsmittel enthält in diesem Fall nicht nur den chirurgischen Schritt der Implantation, sondern auch einen therapeutischen Schritt, da bereits während der Herstellung der Steuerungsmittel die Nervenzellpopulation desynchronisiert wird.

35. Der vorliegende Sachverhalt ist auch zu unterscheiden von den Überlegungen in der Entscheidung G 2/13, OJ EPO 2016, 28, die die Patentierung von durch im wesentlichen biologische Verfahren gezüchteten Pflanzen und Pflanzenteilen erlaubt, obwohl in Artikel 53(b) EPÜ die Patentfähigkeit von im Wesentlichen biologischen Verfahren zur Züchtung von Pflanzen ausgenommen ist. Dort wird argumentiert, dass es faktisch schwierig sei, bei einer Pflanze zu entscheiden, ob diese durch ein im Wesentlichen biologisches Züchtungsverfahren oder möglicherweise durch ein - nach Artikel 53(b) Satz 2 EPÜ patentfähiges - mikrobiologisches Verfahren entstanden sei (G 2/13, Entscheidungsgründe, VIII.2.(6)(a)).

36. Im vorliegenden Fall ist die beanspruchte Vorrichtung aber zwangsläufig durch einen - nicht patentfähigen - chirurgischen Schritt implantiert worden, sonst würde insbesondere das Unterscheidungsmerkmal gar nicht realisiert sein können, wie oben ausgeführt.

37. Damit ist die in Anspruch 1 beanspruchte Vorrichtung nach Artikel 53(c) EPÜ von der Patentierung ausgenommen.

Hilfsantrag 1

38. Hilfsantrag 1 wurde während der mündlichen Verhandlung eingereicht. Entsprechend Artikel 13(1) VOBK liegt es im Ermessen der Kammer, diesen verspätet eingereichten Antrag zuzulassen. Da sich die vorläufige Meinung der Kammer nach Absenden der Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK hinsichtlich Artikel 53(c) EPÜ geändert hatte, wäre eine Zulassung von verspätet eingereichten Anträgen grundsätzlich möglich. Es ist in der Rechtsprechung allerdings auch anerkannt (für Nachweise siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 8. Auflage, Juli 2016, IV.E.4.4.2), dass verspätet eingereichte Ansprüche, die auf einen nicht prima facie gewährbaren Gegenstand gerichtet sind (weil sie beispielsweise die Einwände gegen bereits im Verfahren befindliche Anträge ausräumen), nicht zugelassen werden.

39. Die Beschwerdegegnerin/Patentinhaberin argumentierte, dass durch die Hinzufügung des Sensors im Anspruch 1 des Hilfsantrags nun klargestellt sei, dass die beanspruchte Vorrichtung bereits vor dem chirurgischen Schritt der Implantierung vollständig vorläge und keine chirurgischen Schritte zur Herstellung der beanspruchten Vorrichtung mehr nötig wären.

40. Dem kann sich die Kammer nicht anschließen. Das Merkmal wobei durch die Reize eine Phasenrücksetzung der neuronalen Aktivität der mindestens zwei Subpopulationen bewirkt wird, sodass die mindestens zwei Subpopulationen nach der durch die Reize bewirkten Phasenrücksetzungen unterschiedliche Phasen ihrer neuronalen Aktivität aufweisen, auf welches der Einwand mangelnder Patentfähigkeit nach Artikel 53(c) EPÜ begründet ist (siehe oben), ist auch im Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 enthalten. Auch der Sensor ist nur so beansprucht, dass die Steuerungsmittel in Abhängigkeit eines Feedback-Signals die Reizstärke verändern, ohne dass damit eindeutig klargestellt wird, dass diese Änderung der Reizstärke automatisch zur gewünschten (und beanspruchten) Phasenverschiebung der Subpopulationen führt. Diese Phasenverschiebung bleibt daher eine Einstellung der Steuerungsmittel, die erst nach der Implantierung der Vorrichtung definiert wird.

41. Da die vorgenommene Änderung im Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 daher den Einwand nach Artikel 53(c) EPÜ nicht behebt, wurde Hilfsantrag 1 nicht in das Verfahren zugelassen.

Hilfsanträge 2 bis 4

42. Die Hilfsanträge 2 bis 4 wurden ebenfalls verspätet eingereicht, nämlich erst mit dem Schreiben vom 15. Januar 2019 als Antwort auf die Ladung zur mündlichen Verhandlung. Für deren Zulassung gelten daher die gleichen Überlegungen wie für den Hilfsantrag 1.

43. Die Beschwerdegegnerin/Patentinhaberin argumentierte, dass die beanspruchte Vorrichtung nach Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 so definiert sei, dass diese bereits vor dem chirurgischen Schritt der Implantation hergestellt sei.

44. Anspruch 1 des Hilfsantrag 2 definiert in den gegenüber dem Hauptantrag zusätzlichen Merkmalen allerdings nur die Eigenschaften der Subpopulationen näher (Periode T, Folgen der Phasen der neuronalen Aktivität der Subpopulationen in äquidistanten Schritten), ohne dass die beanspruchte Vorrichtung dadurch näher definiert würde. Daher können diese zusätzlichen Merkmale nicht den Einwand nach Artikel 53(c) EPÜ beheben, der sich auf das Herstellen der Steuerungsmittel durch einen chirurgischen Schritt stützt.

45. Hilfsantrag 2 wurde daher nach Artikel 13(1) VOBK nicht in das Verfahren zugelassen.

46. Hilfsantrag 3 definiert - wie von der Beschwerdegegnerin/Patentinhaberin auch argumentiert - zwar die beanspruchten Steuerungsmittel und damit die beanspruchte Vorrichtung näher, in dem der zeitliche Abstand der Abgabe der Reize definiert wird. Doch auch diese Definition weist noch Bezüge zum chirurgischen Schritt auf. Zum einen ist die Periode T der rhythmischen Aktivität der Nervenzellpopulation als Parameter enthalten, die als patientenindividuell und daher nicht als vor dem chirurgischen Schritt festlegbar anzusehen ist, zum anderen ist damit nur etwas über den Zeitversatz der Reize, aber nichts über deren Stärke ausgesagt. Wie weiter oben ausgeführt, ist diese Reizstärke (neben dem zeitlichen Verlauf) aber auch entscheidend für die Frage, ob die Reize Phasenrücksetzungsreize für den individuellen Patienten und die individuelle Position der Elektroden sind oder nicht. Das weiterhin im Anspruch 1 vorhandene Merkmal wobei durch die Reize eine Phasenrücksetzung der neuronalen Aktivität der mindestens zwei Subpopulationen bewirkt wird, sodass die mindestens zwei Subpopulationen nach der durch die Reize bewirkten Phasenrücksetzungen unterschiedliche Phasen ihrer neuronalen Aktivität aufweisen ist somit immer noch erst durch den chirurgischen Schritt der Implantierung der Vorrichtung definier- und herstellbar.

47. Da Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 daher die Einwände nach Artikel 53(c) EPÜ nicht ausräumt, wurde Hilfsantrag 3 nicht in das Verfahren zugelassen.

48. Nach Ansicht der Beschwerdegegnerin/Patentinhaberin weist Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 weitere Merkmale auf, die ebenfalls dazu führen sollen, dass die beanspruchte Vorrichtung und die darin enthaltenen Steuerungsmittel bereits vor dem chirurgischen Schritt definiert sind.

49. Wie für Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 definieren die zusätzlichen Merkmale allerdings ebenfalls nur den zeitlichen Verlauf der Pulse in Rückbeziehung auf eine patientenindividuelle Frequenz g der rhythmischen Aktivität der Nervenzellen und außerdem nicht die Reizstärke. Damit ist auch im Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 die beanspruchte Vorrichtung nicht so definiert, dass sie ohne chirurgischen Schritt herstellbar wäre.

50. Da Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 daher die Einwände nach Artikel 53(c) EPÜ ebenfalls nicht ausräumt, wurde auch Hilfsantrag 4 nicht in das Verfahren zugelassen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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