T 1357/12 (Zylinderkopfdichtungen/REINZ) of 23.3.2015

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2015:T135712.20150323
Datum der Entscheidung: 23 März 2015
Aktenzeichen: T 1357/12
Anmeldenummer: 99113930.4
IPC-Klasse: C09D 201/00
F16J 15/12
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Lösemittelfreier applizierbarer wärmehärtender Beschichtungsstoff
Name des Anmelders: REINZ-Dichtungs-GmbH
Name des Einsprechenden: ElringKlinger AG
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Entscheidung über die Zulassung spät eingereichter Beweis-mittel im Einspruchsverfahren - Ermessensfehler (nein)
Im Beschwerdeverfahren erstmals eingereichte Beweismittel -Entgegenhaltungen hätten bereits im erstinstanzlichen Verfah-ren vorgebracht werden können (ja)
Erfinderische Tätigkeit - nicht naheliegende Änderung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0007/93
T 0020/81
T 0037/82
T 0912/94
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) hat gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Fassung, in der das Europäische Patent Nr. 0 974 630 in geändertem Umfang aufrechterhalten werden kann, Beschwerde eingelegt.

II. In der vorliegenden Entscheidung wird auf die folgenden Druckschriften Bezug genommen:

(1) US 4,169,185

(2) US 4,973,516

(6) US 5,516,587

(7) Aufbau und Anwendung von Coatings auf der Basis von Bornitrid, Keramische Zeitschrift, Heft 4, 1993, 206 to 209; korrespondierender Internet-Artikel, 6 Seiten

(8) DE 31 01 921

(9) DE 35 27 833

(10) DE 36 18 786

(12) Vergleichsversuche der Beschwerdegegnerin, (Anlagen 2A und 2B des Schreibens vom 20. Januar 2012 bzw. Anlagen 1A und 1B des Schreibens vom 8. März 2013)

III. Mit dem Einspruch wurde das Streitpatent in seinem gesamten Umfang wegen mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit angegriffen (Artikel 100(a) EPÜ).

IV. Die Einspruchabteilung ließ die verspätet eingereichten Druckschriften (6) und (7), nicht jedoch die Vergleichsversuche der Beschwerdegegnerin (Druckschrift (12), Anlagen 2A und 2B) in das Verfahren zu. Sie entschied, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht neu sei gegenüber der Druckschrift (1) und der Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags gegen Artikel 123(2) EPÜ verstoße. Der zweite Hilfsantrag erfülle die Erfordernisse der Artikel 123(2) und (3) EPÜ. Sein Gegenstand sei neu und beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit, da der Fachmann die Druckschriften (6) und (7) nicht herangezogen hätte, um die aus den Druckschriften (1) und (2) bekannten Dichtungen zu modifizieren.

Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrag lautet wie folgt:

"1. Metallische Dichtung, insbesondere Flachdichtung, mit mindestens einer metallischen Lage und mindestens einem Dichtungsdurchbruch, wobei mindestens eine Oberfläche einer metallischen Lage zumindest teilweise mit einem lösungsmittelfrei applizierten Beschichtungsstoff enthaltend als Binder anorganische Polymere und/oder organische Polymere, Vernetzer und Gleitmittel, beschichtet ist, und das Gleitmittel des Beschichtungsstoffes Bornitrid oder Bornitrid in Gemischen mit Gleitmittel ausgewählt aus Grafit, Molybdändisulfid, PTFE und Metallpulver ist."

V. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin die Druckschriften (8) bis (10) ein.

VI. Mit der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) die Hilfsanträge 1 bis 3 ein. Primär verteidigte sie das Patent auf der Grundlage des in der angefochtenen Entscheidung beurteilten zweiten Hilfsantrags (nachstehend "Hauptantrag" genannt). Darüber hinaus legte sie erneut die von der Einspruchsabteilung nicht in das Verfahren zugelassenen Vergleichsversuche (Druckschrift (12), Anlagen 1A und 2A) vor.

VII. In ihrem Ladungsbescheid verwies die Kammer darauf, dass die Änderungen in den Hilfsanträgen 1 bis 3 im Hinblick auf Artikel 123(2) EPÜ zu überprüfen seien.

VIII. Mit Schreiben vom 9. März 2015 reichte die Beschwerdegegnerin die Hilfsanträge 1 bis 3 in maschinenschriftlicher Form ein. Zusätzlich wurde ein neuer Hilfsantrag 4 eingereicht.

IX. Die Argumente der Beschwerdeführerin bezüglich der entscheidungserheblichen Sachverhalte lassen sich wie folgt zusammenfassen:

- Zulassung der Druckschriften (6) bis (10)

Die Druckschriften (6) und (7), die als Reaktion auf den Hilfsantrag der Beschwerdegegnerin zu werten seien und deren Vorlage noch vor dem Ablauf der Frist gemäß Regel 116 EPÜ erfolgte, seien von der Einspruchsabteilung korrekt auf ihre Relevanz geprüft und anschließend in das Verfahren eingeführt worden. Sie seien Teil der angefochtenen Entscheidung bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit und daher auch Teil der Beschwerdegegenstandes.

Die Druckschriften (8) bis (10) seien trotz ihrer Verspätung zuzulassen, da sie für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit hochrelevant seien. Ihre verspätete Vorlage werde durch die im Widerspruch mit der gängigen Rechtsprechung stehende Entscheidung der Einspruchsabteilung gerechtfertigt.

- Erfinderische Tätigkeit

Der Gegenstand des Hauptantrags beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Ausgehend von einer der Druckschriften (1) oder (2) als nächstem Stand der Technik liege die Aufgabe in der Bereitstellung einer alternativen metallischen Dichtung. Die vorgeschlagene Lösung, nämlich der Ersatz der aus den Druckschriften (1) und (2) bekannten Gleitmittel durch Bornitrid, werde durch die Druckschriften (6) und (7), die Bornitrid als Gleitmittel offenbarten, nahegelegt. Die lösungsmittelfreie Applikation stelle kein zusätzliches Unterscheidungsmerkmal dar.

X. Die Argumente der Beschwerdegegnerin bezüglich der entscheidungserheblichen Sachverhalte lassen sich wie folgt zusammenfassen:

- Zulassung der Druckschriften (6) bis (10)

Die Einspruchsabteilung habe ihr Ermessen bezüglich der Zulassung der Druckschriften (6) und (7) fehlerhaft ausgeübt. Diese Druckschriften hätten im Hinblick auf den Anspruch 6 des Streitpatents sowie die Beispiele bereits mit der Einspruchsschrift eingereicht werden müssen. Darüber hinaus seien diese Druckschriften auch nicht relevant, was sich aus den Ausführungen der Einspruchsabteilung zur erfinderischen Tätigkeit ergebe. Dort wurde festgestellt, dass der Fachmann diese aus fachfremden Bereichen stammenden Druckschriften nicht berücksichtigt hätte. Dies stehe eindeutig im Widerspruch zu ihrer Entscheidung über die Zulassung.

Die Druckschriften (8) bis (10) hätten bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegt werden müssen, spätestens nach Vorlage des Hilfsantrags. Sie seien daher gemäß Artikel 12(4) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) nicht in das Verfahren zuzulassen. Die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit sei eine Tatsachenfrage, die von der Einspruchsabteilung vollständig richtig vorgenommen wurde. Sie rechtfertige nicht die Vorlage von ganz neuem Stand der Technik. Zudem seien diese Druckschriften nicht prima facie hochrelevant, da sie auf die Vermeidung von Bördelbrüchen gerichtet seien.

- Erfinderische Tätigkeit

Der Gegenstand des Hauptantrags beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit. Ausgehend von den Druckschriften (1) und (2) liege die zu lösende technische Aufgabe in der Bereitstellung einer Dichtung mit einer geeigneten Gleitschicht, bei deren Beschichtung keine Geruchsbelästigung, keine schädlichen Dämpfe und damit insbesondere keine gesundheitlichen Probleme aufträten. Der vorgeschlagene Einsatz von Bornitrid als Gleitmittel werde durch die Druckschriften (6) und (7) nicht nahgelegt. Diese Druckschriften seien völlig anderen technischen Bereichen entnommen und würden von einem Fachmann im Bereich der Dichtungstechnik nicht berücksichtigt werden. Im Übrigen würden das Metallpulver in der Druckschrift (1) und der Grafit in der Druckschrift (2) nicht als Gleitmittel offenbart. Für den Fachmann hätte daher keine Veranlassung bestanden, diese Komponenten durch Bornitrid zu ersetzen. Auch die lösungsmittelfreie Applikation werde in den Druckschriften (1) und (2) nicht offenbart.

XI. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen. Darüber hinaus beantragte sie, die Druckschriften (8) bis (10) in das Verfahren zuzulassen und die Vergleichsversuche (Druckschrift (12)) der Beschwerdegegnerin nicht in das Verfahren zuzulassen.

XII. Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen, oder hilfsweise das Patent auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1 bis 4, eingereicht mit Schreiben vom 9. März 2015, aufrechtzuerhalten. Des Weiteren beantragte sie, die von der Einspruchsabteilung nicht zugelassenen, erneut vorgelegten Vergleichsversuche (Druckschrift (12)) in das Verfahren zuzulassen und die Druckschriften (6) bis (10) nicht zuzulassen. Für den Fall, dass die Druckschriften (8) bis (10) in das Verfahren zugelassen werden, beantragte die Beschwerdegegnerin die Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz.

XIII. Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung der Kammer verkündet.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zulassung der Druckschriften (6) und (7).

2.1 Die Druckschriften (6) und (7) wurden nach Ablauf der Einspruchsfrist gemäß Artikel 99(1) EPÜ eingereicht und von der Einspruchsabteilung im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens gemäß Artikel 114 EPÜ als prima facie relevant in das Verfahren zugelassen.

Diese Ermessensentscheidung wurde von der Beschwerdegegnerin angefochten. Sie verwies dabei auf die widersprüchliche Beurteilung dieser Druckschriften durch die Einspruchsabteilung bei ihrer Zulassung und im Rahmen der erfinderischen Tätigkeit und auf das Fehlen jeglicher rechtfertigender Gründe für die verspätete Vorlage dieser Druckschriften (siehe Punkt X oben).

2.2 Gemäß der Entscheidung G 7/93 sollte sich eine Beschwerdekammer nur dann über die Art und Weise, in der die erste Instanz ihr Ermessen ausgeübt hat hinwegsetzen, wenn sie zu dem Schluss gelangt, dass die erste Instanz ihr Ermessen nicht nach Maßgabe der richtigen Kriterien oder in unangemessener Weise ausgeübt hat (ABl. EPA 1994, 775, Punkt 2.6 der Entscheidungsgründe). Es nicht die Aufgabe der Beschwerdekammer, die Sachlage des Falls nochmals wie ein erstinstanzliches Organ zu prüfen, um zu entscheiden, ob sie das Ermessen in derselben Weise ausgeübt hätte.

2.3 Ein wesentliches Kriterium, das nach ständiger Rechtsprechung von der Einspruchsabteilung bei der Zulassung verspätet vorgelegter Druckschriften zu berücksichtigen ist, ist deren prima facie Relevanz. Aus der angefochtenen Entscheidung ist ersichtlich, dass sich die Einspruchsabteilung mit dieser Frage befasst hat und zu dem Schluss gelangte, dass diese Bedingung erfüllt sei (siehe die Punkte 2.2.1 und 2.2.2 der Entscheidungsgründe). Die im Rahmen der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit getroffene Feststellung der Einspruchsabteilung, dass der Fachmann die Druckschriften (6) und (7) nicht zur Kombination mit dem nächsten Stand der Technik herangezogen hätte, ist nach Auffassung der Kammer kein Grund, die Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung als fehlerhaft oder unangemessen anzusehen. Bei der Beurteilung der Zulassung war es für die Einspruchsabteilung notwendig darüber zu entscheiden, ob die verspätet eingereichten Unterlagen "auf den ersten Blick" für den Ausgang des Falles entscheidend, d.h. rechtserheblich, sein könnten. Die Feststellung der Rechtserheblichkeit der Dokumente, d.h. ihre Eignung zum Nachweis von Sachumständen, an deren Vorliegen die anzuwendende Norm eine Rechtsfolge knüpft, erfordert daher keine Würdigung aller Einzelheiten des Offenbarungsgehalts, sondern lediglich eine summarische Betrachtung des Inhalts. Diesem Ansatz folgend, wurde die Rechtserheblichkeit von der Einspruchsabteilung offensichtlich bejaht (siehe jeweils den fünften Absatz der Punkte 2.2.1 und 2.2.2 der Entscheidungsgründe). Dem steht nicht entgegen, dass die Einspruchsabteilung bei einer detaillierten Prüfung der erfinderischen Tätigkeit unter Anwendung des Problem-Lösungs-Ansatzes zu dem Schluss gelangen kann, und vorliegend auch gelangt ist, dass der beanspruchte Gegenstand durch den Stand der Technik letztendlich doch nicht nahegelegt wird.

2.4 Bezüglich der vorgeblich fehlenden Rechtfertigung für das verspätete Vorbringen, stellt die Kammer fest, dass auch dieses Kriterium von der Einspruchsabteilung bei ihrer Ermessensentscheidung berücksichtigt wurde. Dazu weist die angefochtene Entscheidung im vierten Absatz unter Punkt 2.2.1 auf die von der Patentinhaberin im ersten Hilfsantrag vorgenommenen Änderungen hin, die nach Auffassung der Einspruchsabteilung nicht zwingend vorhersehbar waren. Die Vorlage der Druckschrift (6) wurde als angemessene Reaktion auf diese Änderungen angesehen.

Die Druckschrift (7) wurde innerhalb der von der Einspruchsabteilung gesetzten Frist gemäß Regel 116 EPÜ, und damit zwei Monate vor der mündlichen Verhandlung vor der Abteilung, eingereicht. Da die Druckschrift (7), wie auch die Druckschrift (6), von der Einspruchsabteilung, als prima facie relevant angesehen wurde, was nach Auffassung der Kammer nicht zu beanstanden ist (siehe Punkt 2.3 oben), und da darüber hinaus auch weder ersichtlich ist, noch vor der Einspruchsabteilung geltend gemacht wurde, dass es der Patentinhaberin nicht zuzumuten war, sich innerhalb der verbleibenden zwei Monate bis zur mündlichen Verhandlung mit dem Inhalt der Druckschrift (7) angemessen auseinanderzusetzen, kann die Kammer in der Entscheidung der Einspruchsabteilung, diese Druckschrift zuzulassen, ebenfalls keinen Ermessensfehler erkennen.

2.5 Die Kammer sieht aus den genannten Gründen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Einspruchsabteilung ihr Ermessen willkürlich, nach Maßgabe der falschen Kriterien oder unter Nichtbeachtung der richtigen Kriterien ausgeübt hat. Die Kammer entschied daher, dass die Druckschriften (6) und (7) im Verfahren verbleiben und berücksichtigt werden.

3. Zulassung der Druckschriften (8) bis (10)

3.1 Die Beschwerdegegnerin beantragte unter Berufung auf Artikel 12(4) VOBK, die Druckschriften (8) bis (10), die von der Beschwerdeführerin zusammen mit der Beschwerdebegründung eingereicht worden waren, nicht in das Verfahren zuzulassen (siehe Punkt X oben).

3.2 Gemäß Artikel 12(4) VOBK kann die Beschwerdekammer das Vorbringen eines Beteiligten unberücksichtigt lassen, das im erstinstanzlichen Verfahren nicht zugelassen wurde oder bereits dort hätte vorgebracht werden können.

3.3 Die Druckschriften (8) bis (10) wurden von der Beschwerdeführerin offensichtlich zu dem Zweck vorgelegt, die Verwendung von Bornitrid als Gleitmittel in Beschichtungen von Dichtungen zu belegen. Ein dieses Merkmal enthaltender Hilfsantrag wurde jedoch bereits im erstinstanzlichen Verfahren mit der Eingabe vom 12. Oktober 2009 in Erwiderung auf die Einspruchschrift vorgelegt. Die Beschwerdeführerin hatte daher bereits im erstinstanzlichen Verfahren ausreichend Veranlassung und auch Gelegenheit die Druckschriften (8) bis (10) vorzulegen. Es ist jedoch nicht die Funktion des Beschwerdeverfahrens, der unterlegenen Partei eine Gelegenheit zu geben, Versäumnisse im erstinstanzlichen Verfahren zu beheben, um den Fall, basierend auf neuem Stand der Technik, völlig neu aufzurollen.

3.4 Die Beschwerdeführerin rechtfertigte die Vorlage der Druckschriften (8) bis (10) mit der überraschenden Entscheidung der Einspruchsabteilung in Bezug auf die erfinderische Tätigkeit, die ihrer Auffassung nach in deutlichem Widerspruch zur gängigen Rechtsprechung stünde. Insbesondere brachte die Beschwerdeführerin vor, dass nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern, das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit nicht auf Merkmale gestützt werden könne, für die kein Vorteil gegenüber dem Stand der Technik belegt sei. Darüber hinaus bedürfe der Fachmann, wenn die Aufgabe lediglich in der Bereitstellung einer Alternative bestand, auch keinerlei spezieller Anregung aus dem Stand der Technik diese Alternative zu verwirklichen, zum mindestens dann nicht, wenn diese Alternative aus dem Stand der Technik als solche bekannt gewesen sei. Auf das Fehlen eines solchen nicht erforderlichen Hinweises stütze sich jedoch die Einspruchsabteilung in ihrer Begründung hinsichtlich mangelnder erfinderischer Tätigkeit. In diesem Zusammenhang berief sich die Beschwerdeführerin auf die Entscheidungen T 20/81, T 37/82 und T 912/94.

3.5 Die Kammer teilt die Auffassung der Beschwerdeführerin nicht. Zum einen braucht gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern bei der Entscheidung über die erfinderische Tätigkeit keine Verbesserung gegenüber dem Stand der Technik nachgewiesen zu werden. Auch alternative Lösungen können erfinderisch sein, sofern der Stand der Technik diese dem Fachmann nicht nahelegt. Der Entschuldigungsgrund der Beschwerdeführerin für das späte Vorbringen ist damit schon im Ansatz unzutreffend. Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, dass die sachliche Begründung der Einspruchsabteilung für das Nichtnaheliegen der vorgeschlagenen Lösung nicht nachvollziehbar und völlig überraschend sei, beruft sie sich auf einen Beurteilungsfehler. Eine solche eventuelle Fehlbeurteilung durch die erste Instanz erfordert jedoch nicht zwingend die Vorlage neuer Beweismittel und ist daher nicht geeignet, die späte Vorlage solcher Beweismittel zu rechtfertigen.

Die von der Beschwerdeführerin angeführten Entscheidungen dienen einzig zur Stützung der angeblich fehlerhaften Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes, mithin eines Rechtsfehlers. Für die Frage der Zulassung der Dokumente (8) bis (10) sind sie dementsprechend ohne Belang. Denn selbst wenn die Beschwerdeführerin mit ihrer Rechtsauffassung durchdringen sollte, ergibt sich aus dem beanstandeten Rechtsfehler und der zitierten Rechtsprechung nicht nachvollziehbar, warum deswegen die Vorlage neuen Tatsachenmaterials im Beschwerdeverfahren erforderlich wurde. In dieser Hinsicht machte die Beschwerdeführerin einzig geltend, die Vorlage der Druckschriften (8) bis (10) sei eine Erwiderung auf die Feststellung der Vorinstanz bei der Anerkennung einer erfinderischen Tätigkeit, dass die Druckschriften (6) und (7) keine Flachdichtungen offenbarten und damit ein anderes Anwendungsgebiet beträfen. Die Aussagen der Vorinstanz stellen indes eine Würdigung der von der Beschwerdeführerin in das Verfahren eingeführten Beweismittel im Rahmen der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit dar. Die Einspruchsabteilung hat damit keine neuen Tatsachen in das Verfahren eingebracht. Seit der späten Einführung der Druckschriften (6) und (7) in das Verfahren war das gegenüber den anspruchsgemäßen Metalldichtungen andere Anwendungsgebiet Diskussionspunkt. Die Einspruchsabteilung hat die von der Beschwerdegegnerin geltend gemachte Unzulänglichkeit der Beweismittel im Rahmen der ihr obliegenden Beweiswürdigung und Rechtsanwendung lediglich bestätigt. Dass dieser Aspekt erst spät im Verfahren aufgekommen ist, ist der späten Einreichung dieser Dokumente geschuldet. Soweit die Vorlage der Druckschriften (8) bis (10) darauf abzielt, die festgestellten Unzulänglichkeiten der Druckschriften (6) und (7) auszuräumen, kann die Kammer darin keinen triftigen Grund für deren Zulassung in das Verfahren erkennen.

3.6 Schließlich teilt die Kammer auch nicht die Auffassung der Beschwerdeführerin, die Druckschriften (8) bis (10) seien hochrelevant. Sie sind unstrittig nicht neuheitsschädlich. Sie belegen die potentielle Verwendung von Bornitrid als Gleitmittel auf dem Gebiet der Dichtungen für einen speziellen Zweck, nämlich zur Vermeidung von Brüchen in speziellen Einfassungen (Bördeln), mit denen Dichtungsdurchbrüche bewehrt sind. Zur Beantwortung der bereits in der angefochtenen Entscheidung aufgeworfenen entscheidungsrelevanten Frage, warum es für den Fachmann naheliegend gewesen sei, das Metallpulver der Druckschrift (1) oder den spezifischen Graphit der Druckschrift (2), deren Zusatz nicht auf ihrer Funktion als Gleitmittel beruht, durch das Gleitmittel Bornitrid zu ersetzen, können sie nicht mehr beitragen als die bereits im Verfahren befindlichen Druckschriften (6) und (7).

3.7 Aus den vorstehend genannten Gründen ließ die Kammer die Druckschriften (8) bis (10) gemäß Artikel 12(4) VOBK nicht in das Verfahren zu.

3.8 Da die Kammer die Druckschriften (8) bis (10) nicht in das Verfahren zugelassen hat, war eine Entscheidung über den Antrag der Beschwerdegegnerin über die Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz (siehe Punkt XII oben) nicht erforderlich.

4. Zulassung der Vergleichsversuche der Beschwerdegegnerin (Druckschrift (12))

Die Entscheidung über die Zulassung der von der Einspruchsabteilung nicht in das Verfahren zugelassenen und von der Beschwerdegegnerin erneut vorgelegten Vergleichsversuche wurde von der Kammer in der mündlichen Verhandlung zunächst zurückgestellt, solange diese von den Parteien in ihren Vorträgen nicht aufgegriffen wurden. Da sich keine der Parteien im Rahmen der Diskussion der erfinderischen Tätigkeit des Hauptantrags auf diese Versuche berief, war eine Entscheidung über deren Zulassung nicht erforderlich.

Hauptantrag (eingereicht als zweiter Hilfsantrag in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung)

5. Erfinderische Tätigkeit

5.1 Anspruch 1 des Hauptantrags richtet sich auf eine metallische Dichtung mit einem lösungsmittelfrei applizierten Beschichtungsstoff enthaltend Bindemittel, Vernetzer und Gleitmittel auf mindestens einer der metallischen Lagen, wobei das Gleitmittel Bornitrid oder Bornitrid im Gemisch mit weiteren spezifischen Gleitmitteln ist (siehe Punkt IV oben).

5.2 Ähnliche Dichtungen sind aus aus den Druckschriften (1) und (2) bereits bekannt. So offenbart die Druckschrift (1) eine metallische Dichtung, deren Oberfläche mit einem Beschichtungsstoff aus einem, bevorzugt vernetzbaren Siloxanharz als Bindemittel und Metallpulver beschichtet ist (Spalte 1, Zeile 65 bis Spalte 2, Zeile 5; Beispiele). Die Druckschrift (2) offenbart metallische Dichtungen, die mit einem Beschichtungsstoff aus einem vernetzbaren Bindemittel, beispielsweise einem synthetischen Harz, und geblähtem Grafit beschichtet sind (Spalte 2, Zeilen 17 bis 28, Beispiele).

In Übereinstimmung mit der angefochtenen Entscheidung und den Parteien, sieht die Kammer jede der Druckschriften (1) und (2) als einen geeigneten Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit an.

5.3 Ausgehend von diesen Druckschriften liegt die zu lösende technische Aufgabe in der Bereitstellung einer alternativen beschichteten Dichtung. Diese Aufgabe wird im Rahmen der vorliegenden Ansprüche dadurch gelöst, dass das Gleitmittel des Beschichtungsstoffes Bornitrid oder Bornitrid in Gemischen mit Gleitmitteln ausgewählt aus Grafit, Molybdändisulfid, PTFE und Metallpulver ist.

Ob auch eine ehrgeizigere Aufgabe gelöst wird, braucht im Hinblick auf den Ausgang der vorliegenden Entscheidung nicht erörtert werden.

5.4 Damit bleibt zu untersuchen, ob der Stand der Technik dem Fachmann nahegelegt hätte, diese Aufgabe durch den Einsatz von Bornitrid als Gleitmittel, gegebenenfalls im Gemisch mit anderen spezifischen Gleitmitteln, zu lösen.

5.5 Nach Auffassung der Beschwerdeführerin wird die beanspruchte Lösung durch die Kombination der Lehre der Druckschrift (1) oder (2) mit der Lehre einer der Druckschriften (6) oder (7) nahegelegt, da der Fachmann, ohne dass es dafür eines speziellen Anreizes bedurfte, das Metallpulver aus der Druckschrift (1) oder den Grafit aus der Druckschrift (2), die ihm beide als Gleitmittel bekannt seien, durch das aus den Druckschriften (6) und (7) bekannte Gleitmittel Bornitrid ersetzt hätte. Dass in der Druckschrift (1) im Zusammenhang mit dem Metallpulver nicht von einem Gleitmittel gesprochen werde, sei von keiner Bedeutung, da dem Fachmann diese Wirkung des Metallpulvers bekannt gewesen sei. Darüber hinaus weise die Druckschrift (7) bereits auf die hohe Temperaturbeständigkeit von Bornitrid hin (siehe Punkt 2, erster Absatz, Zeilen 9 bis 12). Dem Fachmann ständen somit alle Informationen zu Verfügung, die er benötige, um die Eignung von Bornitrid als Ersatz für das in der Druckschrift (1) verwendete Metallpulver zu erkennen. Im Übrigen werde in der Druckschrift (1) in den Beispielen 6 und 7 Grafit eingesetzt. Im Hinblick auf die Druckschrift (7), in der Bornitrid als bevorzugte Alternative zu Grafit beschrieben werde, sei ein Austausch des Grafits durch Bornitrid für den Fachmann naheliegend.

Ähnliches gelte auch im Hinblick auf den Austausch des in der Druckschrift (2) verwendeten Grafits. Die dort angeführten Vorteile seien, im Gegensatz zur Auffassung der Einspruchsabteilung, nicht alle auf die Verwendung von Grafit zurückzuführen. Vielmehr zeigten die Beispiele in der Tabelle 2 dieser Druckschrift, dass der eingesetzte Grafit im Wesentlichen für die Herabsetzung des Reibungskoeffizienten verantwortlich sei und damit als Gleitmittel eingesetzt werde, während die weiteren Eigenschaften wie Elastizität und Spannungsrelaxation überwiegend von der Schichtdicke und dem eingesetzten Bindemittel abhingen. Somit sei es für den Fachmann offensichtlich, dass er den Grafit ohne Weiteres durch das alternative, aus den Druckschriften (6) und (7) bekannte Gleitmittel Bornitrid ersetzen könne. Dazu gebe ihm die Druckschrift (7) noch einen besonderen Hinweis, da dort Bornitrid dem Grafit sogar bevorzugt werde.

5.6 Gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist bei der Beurteilung des Naheliegens einer Lösung danach zu fragen, ob der Fachmann, um die Aufgabe zu lösen, die Lehre der nächstliegenden Entgegenhaltung angesichts anderer Lehren des Standes der Technik so abgewandelt hätte, dass er zu der beanspruchten Erfindung gelangt wäre. Entscheidend dabei ist nicht, dass diese anderen Lehren im Stand der Technik bekannt waren, es kommt vielmehr darauf an, ob der Fachmann diese für die Lösung der technischen Aufgabe miteinander kombiniert hätte. Zur Beantwortung dieser Frage ist nach schlüssigen Gründen zu suchen, die dem Fachmann, ohne Kenntnis der Erfindung, dazu bewogen hätten auf eine bestimmte Art und Weise vorzugehen.

5.6.1 In der Druckschrift (1) wird das Metallpulver als Mittel zur Erhöhung der thermischen Stabilität der dort offenbarten Beschichtung eingesetzt (siehe Spalte 4, Zeilen 41 bis 43). An keiner Stelle wird sein Einsatz als Gleitmittel beschrieben. Auch wenn es sich dabei, wie von der Beschwerdeführerin vorgebracht, um eine dem Fachmann bekannte Eigenschaft des Metallpulvers handelt, so erschließt sich aus der Druckschrift (1) jedenfalls nicht, dass das Metallpulver für diesen Zweck eingesetzt wurde. Die Zuordnung "Gleitmittel" in Bezug auf das Metallpulver geht damit über das hinaus, was der Fachmann objektiv der Lehre der Druckschrift (1) entnimmt. Mithin gab es für den Fachmann auch keine Veranlassung, Stand der Technik zu berücksichtigen, der auf Gleitmittel und deren Eigenschaften gerichtet ist, und der darüber hinaus noch auf grundlegend anderen, weder benachbarten noch eng verwandten Fachgebieten liegt.

So betrifft die Druckschrift (6), auf die sich die Beschwerdeführerin stützt, Kupplungsscheiben mit hoher Reibungskraft. Den Beschichtungen werden Gleitmittel, wie PTFE, MoS2, Grafit, Kohlenstoff oder Bornitrid, zugesetzt, um Fluktuationen in der Reibungskraft und Schlupf zu verhindern und dadurch ausgelöste Vibrationen und Geräusche zu verringern (siehe Spalte 3, Zeilen 30 bis 36). Die Kammer stimmt der Einspruchsabteilung zu, dass sich die thermischen und mechanischen Anforderungen an Kupplungsscheiben grundlegend von denjenigen unterscheiden, die an Dichtungen gestellt werden. Es ist daher nicht nachvollziehbar, warum der Fachmann bei der Suche nach alternativen Dichtungen diese Druckschrift in Betracht gezogen hätte.

Die Druckschrift (7) beschreibt Bornitridbeschichtungen, die auf Grund der guten Nichtbenetzung durch Schmelzen als Gleit- und Trennmittel für Hochtemperaturanwendungen eingesetzt werden (siehe Kapitel 1, erster Absatz), zum Beispiel a) in verschiedenen Formgebungsverfahren, wie dem Heißpressen von Keramik, der Formgebung von Glasschmelzen, der Beschichtung von Dauerformen beim Metallguß, b) in Umformungsprozessen, oder c), in der Beschichtung von Tiegeln und Schiffchen oder Thermoschutzrohren (siehe die Druckschrift (7), Punkt 4.1). Auch in Bezug auf diese Druckschrift ist nicht ersichtlich, was den Fachmann auf dem Gebiet Dichtungstechnik veranlasst hätte, diese Druckschrift in Betracht hätte ziehen.

Die Kammer teilt auch nicht die Auffassung der Beschwerdeführerin, dass sich der beanspruchte Gegenstand in naheliegender Weise aus den Beispielen 6 und 7 der Druckschrift (1) in Kombination mit der Druckschrift (7) ergebe. Die Gründe sind im Wesentlichen die gleichen, wie sie in den vorstehenden Absätzen erörtert werden. So gibt es in der Druckschrift (1) keinerlei Hinweise, für welchen Zweck der Grafit in diesen Beispielen zugesetzt wurde. Sein Einsatz als Gleitmittel geht damit über das hinaus, was der Fachmann objektiv der Druckschrift (1) entnommen hätte. Der vorgeblich naheliegende Ersatz durch ein anderes Gleitmittel beruht damit nach Überzeugung der Kammer auf einer Betrachtungsweise, die in unzulässigerweise von der Kenntnis der Erfindung Gebrauch macht.

5.6.2 Ähnliche Überlegungen wie unter Punkt 5.6.1 gelten im Hinblick auf eine vorgeblich naheliegende Kombination der Druckschrift (2) mit den Druckschriften (6) und (7). In der Druckschrift (2) wird geblähter Grafit in den Beschichtungsstoffen eingesetzt, um Dichtungseigenschaften, beispielsweise eine hohe Elastizität, einen ausreichenden Reibungskoeffizienten und gute Spannungsrelaxation, zu erzielen (siehe Druckschrift (2), Spalte 2, Zeilen 4 bis 14). Aus der Spalte 2, Zeilen 54 bis 58 dieser Druckschrift ist zudem klar ersichtlich, dass der geblähte Grafit einen entscheidenden Einfluss auf die gewünschte hohe Elastizität hat. Das Argument der Beschwerdeführerin, dass es für den Fachmann offensichtlich sei, dass der Grafit im Wesentlichen nur für den Reibungskoeffizienten verantwortlich sei, und er ihn deshalb ohne Weiteres durch das Gleitmittel Bornitrid ersetzen würde, kann die Kammer daher nicht überzeugen.

Die Kammer teilt hier die Auffassung der Einspruchsabteilung, dass der Zusatz des spezifischen Grafits das Kernelement der Lehre der Druckschrift (2) darstellt. Ohne triftigen Grund würde der Fachmann den Ersatz dieses wesentlichen Elementes durch eine Komponente, die im Stand der Technik, und noch dazu auf fachfremden Gebieten, lediglich als Gleitmittel beschrieben ist, nicht in Betracht ziehen. Daran kann auch die Tatsache, dass Bornitrid gemäß Druckschrift (7) ein besseres Gleitmittel ist als Grafit nichts ändern.

5.7 Aus den vorstehend genannten Gründen kommt die Kammer zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags, und aus den gleichen Gründen auch der abhängigen Ansprüche 2 bis 10, auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ beruht.

5.8 Daher erübrigt sich eine Entscheidung über die Hilfsanträge 1 bis 4.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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