T 0198/12 () of 14.1.2014

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2014:T019812.20140114
Datum der Entscheidung: 14 Januar 2014
Aktenzeichen: T 0198/12
Anmeldenummer: 05814815.6
IPC-Klasse: F16C 33/76
F16C 33/80
F16C 33/78
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: WÄLZLAGEREINHEIT
Name des Anmelders: AB SKF
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 112
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - nächstliegender Stand der Technik - (nein)
Vorlage an die Große Beschwerdekammer - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0184/91
T 0506/95
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 2175/15

Sachverhalt und Anträge

I. Die angefochtene Entscheidung über die Zurückweisung der Patentanmeldung Nr. 05 814 815.6 wurde am 13. September 2011 zur Post gegeben.

Die Beschwerdeführerin (Patentanmelderin) hat gegen diese Entscheidung form- und fristgemäß Beschwerde eingelegt und diese begründet.

II. Die Prüfungsabteilung war zu der Auffassung gekommen, dass von

D3: EP-A-1 167 793

als nächstliegenden Stand der Technik ausgehend, in Kombination mit

D1: EP-A-1 055 832

keiner der damals geltenden Anträge auf einer erfinde­rischen Tätigkeit beruhe.

III. Am 14. Januar 2014 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

Die Beschwerdeführerin beantragte

- die Zurückweisung aufzuheben und ein Patent zu erteilen auf der Basis des ursprünglich eingereichten Anspruchssatzes (Hauptantrag),

- hilfsweise auf der Basis des mit Schriftsatz vom 3. Januar 2012 als Hilfsantrag (I) eingereichten Anspruchssatzes,

- weiter hilfsweise die Vorlage der während der mündlichen Verhandlung eingereichten Frage an die Große Beschwerdekammer (Hilfsantrag II).

IV. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:

"Wälzlagereinheit umfassend folgende Merkmale:

- Ein Innenring, ein Außenring und dazwischen angeordnete Wälzkörper,

- Dichtungsmittel zum Begrenzen eines die Wälzkörper beinhaltenden Raums zwischen dem Innen- und dem Außenring,

- wenigstens eine radial umlaufende Nut am Außenmantel des Außenrings zum Aufnehmen eines O-förmigen Dichtrings und

- wenigstens eine, an einer der beiden Stirnseiten des Innenrings befestigte Schleuderscheibe."

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag unterscheidet sich hiervon dadurch, dass er sich auf eine "Wälzlageranordnung mit einer Wälzlagereinheit" richtet und folgende Merkmale hinzugefügt wurden:

"und mit einem Gehäuse, in das der Außenring eingebaut ist, wobei der Wärmeausdehnungskoeffizient des Gehäuses größer als der des Außenrings ist,

wobei die Wälzlageranordnung den O-förmigen Dichtring aufweist und der Dichtring in die Nut eingelegt ist und

wobei der Dichtring ein Hindurchtreten von Stoffen durch einen bei Wärmeausdehnung auftretenden Spalt zwischen dem Außenmantel des Außenrings und der gegenüber­liegen­den Fläche des Gehäuses verhindert."

V. Zur Stützung ihres Antrags hat die Beschwerdeführerin im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

a) Erfinderische Tätigkeit

Die Entscheidung T 506/95 vom 5. Februar 1997 (nicht im ABl. EPA veröffentlicht) lege fest, dass der nächst­liegende Stand der Technik derjenige ist, der für den erfindungsgemäß angestrebten Zweck am geeignetsten ist und nicht nur äußerlich strukturelle Ähnlichkeiten mit der erfindungsgemäßen Lösung aufweist.

Der von der erfindungsgemäßen Wälzlagereinheit erzielte Zweck sei ein Wälzlager bereitzustellen, das in sich dicht ist und einen dichten Einbau in ein Gehäuse ermögliche. Beide Zwecke würden von der Wälzlagereinheit gemäß D1, jedoch nicht von derjenigen gemäß D3 erfüllt. Folglich stelle, entgegen der Auffassung der Prüfungs­abteilung und der Beschwerdekammer, D1 und nicht D3 den nächstliegenden Stand der Technik dar.

Von der Wälzlagereinheit gemäß D1 ausgehend bestehe die zu lösende Aufgabe darin, eine alternative Abdichtung des Lagers bereitzustellen. D3 offenbare eine Abdichtung des Wälzlagers mit Schleuderscheiben, deren Funktions­mechanismus auf der ständigen und schnellen Rotation des Lagers beruhe. Da D1 ein Lager betreffe, das nur eine Drehbewegung von einer Vierteldrehung vorsehe, übertrüge der Fachmann die Lehre der D3 nicht auf die Wälzlager­einheit gemäß D1, um die gestellte Aufgabe zu lösen.

Selbst wenn der Fachmann von der Wälzlagereinheit gemäß D3 ausginge, zöge er die Lehre der D1 zur Lösung der gestellten Aufgabe nicht einmal in Betracht, weil diese – anders als die Wälzlagereinheit gemäß D3 - eine Wälzlagereinheit offenbare, die nur eine beschränkte Drehbewegung vorsehe.

Folglich beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag auf einer erfinderischen Tätigkeit.

b) Vorlage an die Große Beschwerdekammer

Falls die Kammer nicht bereit sei, den in T 506/95 angewandten Ansatz zur Festlegung des nächstliegenden Standes der Technik im vorliegenden Fall anzuwenden, solle die folgende Frage der Großen Beschwerdekammer vorgelegt werden:

"Nach diesseitiger Auffassung widerspricht die für den Hauptantrag des vorliegenden Verfahrens vorgenommene Ermittlung des nächstliegenden Stands der Technik der Entscheidung T 506/95. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung wird deshalb beantragt, die Große Beschwerdekammer mit dem Hauptantrag zu befassen."

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag

2.1 Nächstliegender Stand der Technik

Der zur Bewertung der erfinderischen Tätigkeit heranzu­ziehende nächstliegende Stand der Technik ist in der Regel ein Dokument, das einen Gegenstand offenbart, der zum gleichen Zweck oder mit demselben Ziel entwickelt wurde wie die beanspruchte Erfindung und die wichtigsten technischen Merkmale mit ihr gemein hat, der also die wenigsten strukturellen Änderungen erfordert (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 7. Auflage, September 2013, Kap. I.D.3.1).

Dabei ist der Zweck der Erfindung - im vorliegenden Fall die Bereitstellung eines Wälzlagers - nicht mit der von ihr gelösten Aufgabe zu verwechseln. Diese besteht im vorliegenden Fall aus den zwei Teilaufgaben "eine Wälzlagereinheit zu schaffen, die in sich dicht und für einen dichten Einbau in eine vorgegebene Einbauumgebung ausgebildet ist" (siehe Seite 1, Zeilen 30 und 31 der Anmeldung).

D3 offenbart eine Wälzlagereinheit, die wie die beanspruchte Wälzlagereinheit durch eine Schleuder­scheibe (10) und Dichtungsmittel (5) eine in sich dichte Wälzlagereinheit darstellt, und somit die erste Teil­aufgabe löst.

D1 offenbart zwar eine Wälzlagereinheit, die sowohl durch den O-Ring (23) gegenüber dem Gehäuse, als auch durch die Dichtplatten (17) in sich selbst abgedichtet ist und somit beide der Erfindung zugrundeliegenden Aufgaben löst. Diese Entgegenhaltung betrifft jedoch eine Wälzlagereinheit zur Lagerung einer Drosselklappe und ist folglich nur dafür vorgesehen, eine beschränkte Drehbewegung durchzuführen. Deswegen würde sie der Fachmann nicht als "erfolgreichstes Sprungbrett" in Betracht ziehen, wenn er eine Wälzlagereinheit weiterentwickeln möchte, die wie in der vorliegenden Anmeldung uneingeschränkter und schneller Drehung unterworfen ist.

Gerade weil der nächstliegende Stand der Technik der­jenige ist, der für den erfindungsgemäß angestrebten Zweck am geeignetsten ist und nicht nur äußerlich strukturelle Ähnlichkeiten mit der erfindungsgemäßen Lösung aufweist (siehe T 506/95), stellt die Wälz­lager­einheit gemäß D3 den nächstliegenden Stand der Technik dar.

Außerdem ist zu berücksichtigen, dass selbst wenn zwei Dokumente vorliegen, die sich beide gleichermaßen als Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit eignen, wobei aus einem Dokument folgt, dass der beanspruchte Gegenstand naheliegend ist, und aus dem anderen Dokument genau der entgegengesetzte Schluss gezogen werden muss, das zweite Dokument nicht als nächstliegender Stand der Technik betrachtet werden kann, weil dieses nicht das "erfolgversprechendste Sprungbrett" zur Erfindung darstellt (siehe Recht­sprechung, a.a.O., Kap. I.D.3.4).

2.2 Erfinderische Tätigkeit

D3 offenbart eine Wälzlagereinheit mit den folgenden Merkmalen:

- ein Innenring (2), ein Außenring (3) und dazwischen angeordnete Wälzkörper (4),

- Dichtungsmittel (5) zum Begrenzen eines die Wälz­körper beinhaltenden Raums zwischen dem Innen- und dem Außenring,

- wenigstens eine, an einer der beiden Stirnseiten des Innenrings befestigte Schleuderscheibe (10).

Hiervon ausgehend besteht die zu lösende Aufgabe darin, eine Wälz­lagereinheit bereitzustellen, die für einen dichten Einbau in eine vorgegebene Einbauumgebung aus­gebildet ist.

Zur Lösung dieser Aufgabe ist wenigstens eine radial umlaufende Nut am Außen­mantel des Außenrings zur Auf­nahme eines O-förmigen Dichtrings vorgesehen.

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin, zöge der Fachmann zur Lösung dieser Aufgabe sehr wohl die Lehre der D1 ergänzend zur D3 in Betracht, weil es für die Abdichtung zwischen dem Wälzlager und dem es umgebenden Gehäuse irrelevant ist, ob das Lager nur für begrenzte Umdrehungs­bewegungen vorgesehen ist.

D1 zeigt eine Wälzlagereinheit mit einer oder mehreren Nuten am Außenmantel und einem O-förmigen Ring zur Abdichtung gegenüber einem Gehäuse. Insbesondere gibt D1 ausdrücklich an, dass die O-förmigen Ringe dafür gedacht sind, Unterschiede in der thermischen Dehnung des Gehäuses und der Wälzlagereinheit zu kompensieren.

Folglich ist es für den Fachmann zur Lösung der eingangs definierten objektiven Aufgaben naheliegend, die Nuten zur Aufnahme von O-förmigen Ringen der D1 auf die Wälzlager­einheit der D3 zu übertragen, so dass er, ohne erfinderisch tätig zu werden, zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangt.

3. Hilfsantrag

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag betrifft wie D3 eine Wälz­lager­anordnung, umfassend eine Wälzlagereinheit und ein Gehäuse. Es ist unstreitig, dass D1 die Merkmale dieses Anspruchs offenbart, denen zufolge "die Wälz­lager­anordnung den O-förmigen Dichtring aufweist und der Dichtring in die Nut ein­gelegt ist (siehe Figur 1) und wobei der Dichtring ein Hindurchtreten von Stoffen durch einen bei Wärme­aus­dehnung auftretenden Spalt zwischen dem Außenmantel des Außenrings und der gegenüber­liegen­den Fläche des Ge­häuses verhindert (siehe Spalte 4, Zeilen 6 bis 8)".

Die Beschwerdeführerin vertritt die Meinung, dass D1 nicht das Merkmal offenbart, denen zufolge "der Wärme­ausdehnungskoeffizient des Gehäuses größer als der des Außenrings ist".

In D1 werden die in Nuten eingelegten O-förmige Ringe jedoch insbesondere dafür eingesetzt, den Unterschied des Wärme­ausdehnungs­koeffizients zwischen Lager und Gehäuse zu kompensieren (siehe Spalte 4, Zeilen 6 bis 8). Das bedeutet, dass D1 zwangsläufig auch den Fall betrifft, bei dem der Wärmedehnungskoeffizient des Gehäuses größer ist als der des Außenrings.

Zudem ist folgendes zu beachten: Selbst wenn D1 nicht ausdrücklich das Verhältnis zwischen den Wärme­ausdehnungs­koeffizienten von Wälzlager und Gehäuse beschreibt, führt ein Unterschied des Wärme­ausdehnungs­koeffizients nur dann zu einem Spalt zwischen zwei Bauteilen und somit zu der Notwendigkeit einer dafür vorgesehen Dichtung, wenn das äußere einen höheren Wärme­ausdehnungs­koeffizienten hat als das innere. Da also D1 zumindest implizit auch dieses Merkmal des Anspruchs 1 gemäß dem Hilfsantrag offenbart, beruht sein Gegenstand ebenfalls nicht auf einer erfinde­rischen Tätigkeit.

4. Antrag auf Vorlage an die Große Beschwerdekammer

Nach Artikel 112 (1) EPÜ kann eine Beschwerdekammer von Amts wegen oder auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten die Große Beschwerdekammer mit einer Rechtsfrage befassen, wenn diese für die Sicherung einer ein­heitlichen Rechtsanwendung erforderlich erscheint oder wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt. Die Entscheidung über die Vorlage steht im Ermessen der jeweiligen Beschwerdekammer. In Ausübung dieses Ermessens lehnen die Beschwerdekammern einen entsprechenden Antrag grundsätzlich immer dann ab, wenn keine widersprüchliche Rechtsprechung vorliegt und sie keinen Grund sehen, von den früheren Entscheidungen abzuweichen (vgl. Rechtsprechung, a.a.O., Kap. IV.E.9.1).

Vorliegend scheidet eine Vorlage entsprechend dem Antrag der Beschwerdeführerin auf "Befassung" der Großen Beschwerdekammer "mit dem Hauptantrag" schon deshalb aus, weil diese keine Frage zu einem konkreten Aspekt betrifft, sondern im Ergebnis auf eine Vorlage des gesamten Falles gerichtet ist; eine solche Vorlage ist indes im Rahmen von Artikel 112 (1) EPÜ nicht möglich (siehe T 184/91 vom 25. Oktober 1991, Punkt 7 der Entscheidungsgründe). Darin wurde klargestellt, dass der Großen Beschwerdekammer nur Fragen zu einem besonderen Punkt vorgelegt werden können, aber nicht der ganze Fall.

In der Sache selbst ist das Vorlagebegehren ebenfalls unzureichend, denn die Kammer weicht entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin gerade nicht von der Rechtsprechung anderer Beschwerdekammern ab, insbesondere nicht von der zitierten Entscheidung T 506/95, sondern wendet die in der Rechtsprechung allgemein anerkannten Grundsätze zur Auswahl des nächstliegenden Standes der Technik für die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit an. Der Umstand, dass die Kammer – wie oben ausgeführt - in Anwendung dieser gefestigten Maßstäbe hierbei zu einem von der Beschwerdeführerin nicht geteilten Ergebnis kommt, bedeutet für sich genommen nicht das Vorliegen divergierender Rechtsprechung.

Nach alledem ist der Vorlageantrag zurückzuweisen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Der Antrag auf Vorlage an die Große Beschwerdekammer wird zurückgewiesen.

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